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Erstes Kapitel
Das subjektive Kunstwerk

Der Mensch verhält sich mit seinen Bedürfnissen zur äußerlichen Natur auf praktische Weise und geht dabei, indem er sich durch dieselbe befriedigt und sie aufreibt, vermittelnd zu Werke. Die Naturgegenstände nämlich sind mächtig und leisten mannigfachen Widerstand. Um sie zu bezwingen, schiebt der Mensch andre Naturdinge ein, kehrt somit die Natur gegen die Natur selbst und erfindet Werkzeuge zu diesem Zwecke. Diese menschlichen Erfindungen gehören dem Geiste an, und solches Werkzeug ist höher zu achten als der Naturgegenstand. Auch sehen wir, daß die Griechen sie besonders zu schätzen wissen; denn im Homer erscheint recht auffallend die Freude des Menschen über dieselben. Beim Szepter des Agamemnon wird weitläufig seine Entstehung erzählt; der Türen, die sich in Angeln drehen, der Rüstungen und Gerätschaften wird mit Behaglichkeit Erwähnung getan. Die Ehre der menschlichen Erfindung zur Bezwingung der Natur wird den Göttern zugeschrieben.

Der Mensch gebraucht aber nun die Natur andrerseits zum Schmuck, welcher den Sinn hat, nur ein Zeichen des Reichtums und dessen zu sein, was der Mensch aus sich gemacht hat. Solch Interesse des Schmuckes sehen wir bei den homerischen Griechen schon sehr ausgebildet. Barbaren und gesittete Völker putzen sich; aber die Barbaren bleiben dabei stehen, sich zu putzen, d. h. ihr Körper soll durch ein Äußerliches gefallen. Der Schmuck aber hat nur die Bestimmung, Schmuck eines andern zu sein, welches der menschliche Leib ist, in welchem sich der Mensch unmittelbar findet, und welchen er, wie das Natürliche überhaupt, umzubilden hat. Das nächste geistige Interesse ist daher, den Körper zum vollkommenen Organ für den Willen auszubilden, welche Geschicklichkeit einerseits wieder Mittel für andre Zwecke sein, andrerseits selbst als Zweck erscheinen kann. Bei den Griechen nun finden wir diesen unendlichen Trieb der Individuen, sich zu zeigen und so zu genießen. Der sinnliche Genuß wird nicht die Basis ihres friedlichen Zustandes, so wenig als die daran sich knüpfende Abhängigkeit und Stumpfheit des Aberglaubens. Sie sind zu kräftig erregt, zu sehr auf ihre Individualität gestellt, um die Natur, wie sie sich in ihrer Macht und Güte gibt, schlechthin zu verehren. Der friedliche Zustand, nachdem das Raubleben aufgehoben und bei freigebiger Natur auch Sicherheit und Muße gewährt war, verwies sie auf ihr Selbstgefühl, sich zu ehren. So wie sie aber einerseits zu selbständige Individualitäten sind, um durch Aberglauben unterjocht zu werden, so sind sie auch nicht schon eitel. Das Wesentliche muß vielmehr erst herausgebracht werden, als daß es ihnen schon eitel geworden wäre. Das frohe Selbstgefühl gegen die sinnliche Natürlichkeit und das Bedürfnis, nicht nur sich zu vergnügen, sondern sich zu zeigen, dadurch vornehmlich zu gelten und sich zu genießen, macht nun die Hauptbestimmung und das Hauptgeschäft der Griechen aus. Frei wie der Vogel in der Luft singt, so äußert hier nur der Mensch, was in seiner unverkümmerten menschlichen Natur liegt, um sich durch solche Äußerung zu beweisen und Anerkennung zu erwerben.

Dies ist der subjektive Anfang der griechischen Kunst, worin der Mensch seine Körperlichkeit, in freier schöner Bewegung und in kräftiger Geschicklichkeit, zu einem Kunstwerke ausarbeitete. Die Griechen machten sich selbst erst zu schönen Gestaltungen, ehe sie solche objektiv im Marmor und in Gemälden ausdrückten. Der harmlose Wettkampf in Spielen, worin ein jeder zeigt, was er ist, ist sehr alt. Homer beschreibt auf eine herrliche Weise die Spiele Achills zu Ehren des Patroklus, aber in allen seinen Dichtungen findet sich keine Angabe von Bildsäulen der Götter, ohnerachtet er das Heiligtum zu Dodona und das Schatzhaus des Apollo zu Delphi erwähnt. Die Spiele bestehen beim Homer im Ringen und Faustkampf, im Lauf, im Lenken der Rosse und Wagen, im Wurf des Diskus oder des Wurfspießes und im Bogenschießen. – Mit diesen Übungen verbindet sich Tanz und Gesang zur Äußerung und zum Genuß froher, geselliger Heiterkeit, welche Künste gleichfalls zur Schönheit erblühten. Auf dem Schilde des Achill wird von Hephästos unter anderm vorgestellt, wie schöne Jünglinge und Mädchen sich mit gelehrigen Füßen so schnell bewegen, als der Töpfer seine Scheibe herumtreibt. Die Menge steht umher sich daran ergötzend, der göttliche Sänger begleitet den Gesang mit der Harfe, und zwei Haupttänzer drehen sich in der Mitte des Reigens.

Diese Spiele und Künste mit ihrem Genuß und ihrer Ehre waren anfangs nur Privatsache und bei besonderen Gelegenheiten veranstaltet; in der Folge wurden sie aber eine Nationalangelegenheit und auf bestimmte Zeiten an bestimmten Orten festgesetzt. Außer den olympischen Spielen in der heiligen Landschaft Elis wurden noch die isthmischen, pythischen und nemeischen an andern Orten gefeiert.

Betrachten wir nun die innere Natur dieser Spiele, so ist zuvorderst das Spiel dem Ernste, der Abhängigkeit und Not entgegengesetzt. Mit solchen Ringen, Laufen, Kämpfen war es kein Ernst; es lag darin keine Not des Sichwehrens, kein Bedürfnis des Kampfes. Ernst ist die Arbeit in Beziehung auf das Bedürfnis: ich oder die Natur muß zugrunde gehen; wenn das eine bestehen soll, muß das andre fallen. Gegen diesen Ernst nun gehalten ist aber das Spiel dennoch der höhere Ernst, denn die Natur ist darin dem Geiste eingebildet, und wenn auch in diesen Wettkämpfen das Subjekt bis zum höchsten Ernste des Gedankens nicht fortgegangen ist, so zeigt doch der Mensch in dieser Übung der Körperlichkeit seine Freiheit, daß er den Körper nämlich zum Organ des Geistes umgebildet habe.

Der Mensch hat an einem seiner Organe, der Stimme, selbst unmittelbar ein Element, welches einen weiteren Inhalt als nur die bloße sinnliche Gegenwart zuläßt und fordert. Wir haben gesehen, wie der Gesang mit dem Tanz verbunden ist und ihm dient. Der Gesang macht sich dann aber auch selbständig und braucht musikalische Instrumente zu seiner Begleitung; er bleibt dann nicht inhaltsloser Gesang, wie die Modulationen eines Vogels, die zwar die Empfindung ansprechen können, aber keinen objektiven Inhalt haben; sondern er fordert einen Inhalt, der aus der Vorstellung und dem Geiste erzeugt ist, und der sich dann weiter zum objektiven Kunstwerk gestaltet.


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