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Der Frühling kam – der traurigste Frühling des Engadins.
Die letzte Jugend, die den Dörfern geblieben war, zog aus, die einen als Zuckerbäcker, die anderen als Angestellte von Bündnercafés in weiten Städten und Landen. Noch andere als Lehrlinge in Kaufmannsgeschäften, einige vielleicht auch wahllos auf gut Glück.
Manche kamen nach ein paar Jahren wieder und holten sich aus den zurückgebliebenen Mädchen der Dörfer Frauen, und selbst die weibliche Jugend verlor sich aus dem Thal.
Draußen, in der Welt zerstreut, blühte ein neues Engadin, im Thal aber herrschte das Grauen über die Entvölkerung, denn die einmal fortgegangen waren, kehrten nicht zurück. Was sollten sie in der Heimat suchen?
Ja einige – das war der größte Schmerz der Alten – wurden aus Geschäftsvorteil Bürger fremder Länder.
Wohl fangen die Abziehenden das Lied Konradins von Flugi:
»Dir halt' ich Treue, wie dem Kind
Der Bursch' die Treue hält.
Der Fischer seinem Boot im Wind,
Das mit ihm steht und fällt.«
Aber das Lied klang den Zurückbleibenden wie Hohn in die Seele.
Die zerfallenden Dörfer waren stumm – viele Gemeinden hatten Mühe, ihre Aemter zu besetzen, denn es fehlten die Männer, und Trauer im Herzen, zogen die Engadiner auf die Landsgemeinde. Mit dumpfer Verzweiflung spürten sie es: die Auflösung des Lebens im grünen Hochthal war da. Bald leuchteten die blauen Seen nur noch wenigen Hirten.
Doch gerade in dieser Zeit der äußersten Not hoben die Anhänger des Alten, die österreichische Partei im Bündnerland, die Köpfe. Napoleons Stern war im Sinken, die Reiche, die er gegründet, im Wanken, und nicht nur im Bündnerland, überall in der weiten Welt sprach man von der Wiederherstellung der alten Ordnung und der alten Rechtsverhältnisse. Da mußte doch von Gott und Rechts wegen das Veltlin auf Grundlage der alten Verträge wieder zu Rätien geschlagen, der Gewaltstreich des Korsen gutgemacht werden.
Man sprach von einem großen Diplomatenkongreß zu Wien, der kommen würde – man rechnete auf die Fürsprache Oesterreichs – auf den Gerechtigkeitssinn der Könige – man wollte frühzeitig genug eine Gesandtschaft in die österreichische Hauptstadt senden, um die Ansprüche Bündens zur Geltung zu bringen. In ihren Träumen lebten die alten Engadiner schon wieder als Herren des Veltlins, wie ehedem – sie waren nicht nur die Regenten im blühenden, fruchtbaren Thal – sie saßen auch wieder wochenlang auf den ihnen widerrechtlich entzogenen Privatgütern – sie fuhren im Herbst zur Weinlese und nahmen von ihren Pächtern den größeren Teil der Ernte – und das Engadin war wieder, was es vor der Revolution gewesen war: eine Hochburg vornehm herrenbäuerlichen Lebens in Mäßigkeit und Genügsamkeit, mit den Freuden der Landsgemeinde, der ländlichen Schützenfeste, der Schlittenfahrten und der tollen Fastnacht. Die verderbliche Auswanderung kam dann von selbst zum Stillstand.
Das waren die großen Hoffnungen der Alten.
An ihrer Spitze stand der würdige Landammann, der in seinen jungen Jahren den Glanz des Hofes zu Wien gesehen hatte und ein unerschütterliches Vertrauen in das Wohlwollen Oesterreichs für das Bündnerland und in die Gerechtigkeit des Kaisers setzte. Hinter ihm alle die aristokratischen Bauern und Viehhändler von St. Moritz, dem wohlhabenden Dörfchen auf sonniger Höhe. Und das waren harte Köpfe, ihre Losung: »Wieder das Alte – aber nichts Neues!«
Zwischen dem Landammann und Konradin aber herrschte schwerer Disput. Auch Konradin kannte die Diplomatie, und er traute den alten Briefen nicht.
Der Vater grollte: »Ohne meine Erlaubnis ist er heimgekommen, wider meinen Willen hat er sich mit Menja Driosch, der Tochter des alten Widersachers, verlobt! Alles, was ich nicht will, thut er, der Schwärmer, der Poet – der Plebejer – der Revolutionär!«
Der starre Landedelmann hatte sich nie entschließen können, die Gedichte seines Sohnes zu lesen, wenigstens gab er nicht zu, daß er je nach den Versen gelangt – er kenne nur einige davon durch Frau Premont. – Aber vielleicht blühte doch in einer versteckten Falte seiner Brust etwas Vaterstolz.
So glaubte wenigstens die wackere Mutter.
Die Gedichte Konradins lebten in allen Häusern, sie waren der Trost des Volkes, das sie mit Erhebung las, nach ihnen wie zur Postille und Chronik griff, wenn es seine Kinder Lesen und Schreiben lehren wollte. Sie gingen mit den Ausziehenden, in ihrem Klange grüßten sich die Engadiner in der Fremde.
Oft ertönte in die Stille der Nacht eines dieser Lieder. Irgend ein Säumer sang es zur Kurzweil auf einsamem Weg.
Gewiß, das Volk machte sich aus den Liedern mehr als aus dem Dichter. Denn keusch und sparsam ist es in seinem Lob. Von Angesicht zu Angesicht rühmt es keinen, und zu viel traut es einem Verseschmiede nicht.
Aber man horchte doch, wenn Herr Konradin sprach, und legte Wert auf seine Worte.
Nur zu einem schüttelten die Leute die Köpfe bedenklich: ein Bad, das viele tausend Gulden kostet, will er aus St. Moritz machen. Das paßt zu den Straßen, die man baut und auf denen niemand fahren wird! Konradin von Flugi aber war voll heiligen Eifers, und der ehemalige Bund der Jugend stand mit männlicher Kraft am Werk.
»Du darfst dich nicht zu weit vorwagen,« mahnte Lorka seinen Freund, »wegen deines Vaters nicht!«
Die Freunde verabredeten, daß Lorka die Führung vor den Bürgern übernehme. Im stillen warben sie Genossen und hofften, daß in der Maiengemeinde zu St. Moritz eine Mehrheit der Bürger die Errichtung des Bades bewillige.
Sie trauten aber der Gemeindeversammlung nicht ganz: »Der Landammann reißt uns im letzten Augenblick mit der Macht seines Ansehens und der Gewalt seiner Beredsamkeit die Mehrheit hinweg!«
»Die Gemeinde ist durch alte Uebung auf den Tag nach dem großen Markt von Tirano festgesetzt. Wenn wir es einrichten könnten, daß er hinüberritte, mit ihm die hartköpfigsten unserer Bauern – daß sie sich verspäteten und die Gemeindeversammlung ohne sie abgehalten werden könnt«!«
Viele Wochen hindurch sprach niemand mehr von der Errichtung eines Bades in St. Moritz.
Im stillen aber spann sich ein Spiel kühner Bündnerverschlagenheit über die Berge.
Jeder Viehhändler, jeder Bauer bekam seinen Anlaß, auf den Markt in Tirano zu gehen, jung und alt von St. Moritz wollte über den Berninapaß reiten.
»Man kann die Maiengemeinde nicht abhalten – der Landammann sagt es,« so ging die Rede.
Was über den feierlichen, seinen Landammann bewegte, nach Tirano zu gehen?
Ein Brief Cilgia Premonts. In ihrem Haus würde am Tag nach dem Markt die Schule von Puschlav eingeweiht. Es würde die Puschlaver freuen, wenn das Engadin die alte Freundschaft für den Flecken dadurch bezeigte, daß einige angesehene Engadiner daran teilnähmen. Als besondere Ehre würde man es empfinden, wenn der Landammann selbst zu der Einweihung kommen wollte. Er befinde sich in guter Gesellschaft – Pfarrer Taß und Driosch kämen auch.
»Driosch – ja, wenn Driosch hinübergeht, ist keine Gefahr!«
Eine amtliche Einladung des Podesta gab derjenigen Cilgias Nachdruck.
Aber ein gewisses Mißtrauen blieb dem alten Herrn.
Als indessen am Maitag auch die Jugend des Dorfes über die Bernina zog, da war der Landammann sicher, daß keine Ueberrumpelung stattfinden werde.
Fortunatus Lorsa selber ritt über den Berg.
In Tirano überfiel die jungen Engadiner schon früh am Abend eine auffällige Tanzlust.
»In unseren Dörfern ist doch keine Freude mehr, wir wollen wieder einmal die Nacht durchtanzen!« Und manche thaten, als hätten sie noch eine Reise nach Bormio oder Chiavenna vor.
Die Alten brachen nach der Heimat auf – sie blieben aber in Puschlav hängen. Denn im alten Wirtshaus war viel Gesellschaft aus dem Engadin. Andreas Saratz schaute aus dem Fenster und rief jeden herein. »Es kommt mir auf eine Maß nicht an, was wollt ihr auch so früh über den Berg?«
Die trinkfesten Engadiner sammelten sich, der Wein wurde immer besser, die Gesellschaft lauter.
»Wir bleiben da und sehen uns morgen das Jugendfest der Puschlaver an. Es ist zu spät, über die Berninahöhe zu reiten. Wir kommen tief in die Nacht!«
»Es ist zu spät,« wiederholte der Nachbar und kraute sich im Haar, niemand mochte sich vom Trunke trennen.
»Gut, ich sehe mir das Jugendfest auch an!« So Mann um Mann.
Gleichwie die im Wirtshaus fanden die paar Gäste, die im Garten Cilgia Premonts saßen, nicht die Zeit, sich darum zu kümmern, was auf dem Berninawege ging.
Sie sahen die späten Reiter nicht, die durch eine Hintergasse des Fleckens jagten, sondern lauschten den Weisen eines Posthorns, das Frau Cilgia zur Verschönerung des Abends in einiger Entfernung blasen ließ.
Der Podesta plauderte mit dem Landammann, die liebenswürdige, schöne Wirtin unterhielt alle Gäste zusammen.
Driosch war bester Laune. Als er mit Frau Cilgia unter den knospenden Bäumen dahinschritt, sagte er: »Gerecht seid Ihr – Ihr führt den Landammann g'rad' so anmutig in die Falle, wie mich bei der Rückkehr Konradins!«
Sie winkte ihm Schweigen und lachte nur mit den Augen.
Am anderen Tag aber zogen bekränzte Kinder mit Musik durch den Flecken Puschlav.
In dem blumengeschmückten Schulzimmer hielt der Landammann eine sehr schöne Rede auf Cilgia Premont. »Ich sage Premont, denn der Name ist uns im Engadin geläufiger und erinnert uns an den edelsten Bürger Puschlavs, dessen unvergeßliches Beispiel von Gemeinnützigkeit durch Euch, edle Frau, fortlebt! So lange mir solche Frauen unter uns haben, brauchen wir um die Zukunft des Bündnerlandes nicht zu bangen!«
Aus silbernem Becher trank er ihr mit der gehaltenen Liebenswürdigkeit des Edelmannes Gesundheit zu.
Nun saß Cilgia doch auf glühenden Kohlen. Aber das Kinderfest nahm den reizendsten Verlauf. Die Freundschaft der Veltliner und Puschlaver ging in hohen Wogen – und man sprach von den großen Hoffnungen der Wiedererwerbung des Veltlins, denn manche Anzeichen deuteten stark darauf, daß die französische Herrschaft wanke, ja man erwartete bereits, daß die Oesterreicher das Thal besetzen – natürlich nur vorübergehend besetzen würden, um es dann gegen eine mäßige Entschädigung den rechtmäßigen Herren, den Bündnern, abzutreten.
So sprach man mancherlei, und der gemütliche Pfarrer Taß brachte einen Toast aus auf Herrn Konradin, der das Romanische zu einer Dichtersprache emporgeweiht, sie mit unvergänglichen Blumen der Poesie geschmückt habe.
»Daß er heute nicht bei uns ist!« schmollte Cilgia.
»Er läuft in den Dörfern nach alten Volksgesängen herum – das ist jetzt sein Steckenpferd!«
Der Landammann sagte es in mißbilligendem Ton, am entgegengesetzten Ende der Tafel aber schneuzte sich Driosch.
Man sprach auch von Markus Paltram, und Pfarrer Taß erzählte eine merkwürdige Geschichte:
»Er beginnt wieder zu heilen. Ein Signore Belloni, ein sehr reicher Mailänder, stürzte am Berninawege und erlitt mehrere Brüche. Man brachte den Hilflosen, der sich nicht rühren konnte, ohne in großen Schmerzen aufzuschreien, zu mir ins Pfarrhaus. Da liegt er nun seit acht Tagen. Er muß schon, wie sich der Unfall ereignete, etwas von Markus Paltram gehört haben. Er verlangte den Mann, der die Schmerzen stillen könne. Da holte der Mesner den grauen Jäger. Er kam. Der Mailänder, der vor Schmerzen halb wahnsinnig war, versprach das Weiße aus dem Auge, wenn er ihm die Schmerzen lindere, etwas Schlaf verschaffe. Paltram wurde heftig: ›Das kann ich nicht, könnte ich es, so thäte ich es doch nicht! – es ist eine schlechte Kunst.‹ Aber er flickt jetzt den Mailänder wie einst die Geißhirtin mit Reiben und Drücken, und in sechs oder sieben Wochen, behauptet er, könne Belloni wieder zu Pferde steigen. Und das Sonderbarste: der Mailänder glaubt ihm wie ein Kind.«
Als der Pfarrer so erzählte, stand neben ihm mit großen Augen Lorenz, das gespannte, fragende Gesicht des Knaben verriet, daß er sich kein Wort entgehen ließ.
Plötzlich stürmte er zu seiner Mutter, die etwas verträumt zugehört hatte.
»Mutter, ich weiß, was ich, wenn ich groß bin, werde – etwas Rechtes, Mutter – ein Arzt wie der König der Bernina!«
Seine Augen leuchteten.
Kam man auf Markus Paltram zu sprechen, so ging die Rede nicht leicht aus. Man erzählte, er habe vor nicht langer Zeit im Zernetzer Wald ein junges Bärchen ausgenommen und sein Kind viele Wochen damit spielen lassen, bis das Tier seine Raubnatur zeigte und er es fahrenden Leuten schenkte. Man sprach von seiner Grausamkeit gegen die Bergamasken, von den tollen Sagen, die sie über ihn verbreiteten.
»Die neueste,« berichtete Driosch, »ist die, daß ein toter Jäger aus dem Gletscher aufstehen und ihn richten werde.«
Die Gesellschaft lachte dazu. Cilgia aber erhob sich blaß – und da fiel es den Herren ein, daß es Zeit sei, heimzureiten.
Als sie die Berninahäuser erreichten, hörten sie sonderbare Mär:
»In St. Moritz sind heute morgen etwa zwanzig junge Bürger aus Italien zurückgekehrt und ist nach überliefertem Recht und Brauch die Maiengemeinde abgehalten worden. Fortunatus Lorsa wurde von ihr als Vorsteher gewählt, bis der alte von Puschlav zurückgekehrt sei. Fast einhellig hat die Gemeinde beschlossen, den Bau eines Bades zu gestatten. Die junge Partei hat die alte Halle schon niedergelegt; das Baugespann für die neue errichtet und es mit Böllerschüssen begrüßt.«
Der alte Landammann zitterte vor Erregung, er konnte lange nicht sprechen. »Diese Beschlüsse sind ungültig!« stieß er endlich hervor, und er maß Driosch mit Blicken alten Grolls.
»Ihr seht, daß ich nicht dabei war,« versetzte der Viehhändler kühl. »Es geht mir wie Euch. Die Jungen werfen uns unter das alte Eisen. Sie haben mich gebeten, daß ich nichts zu ihren Plänen helfe!«
»Altes Eisen?« zürnte der Landammann. »Das wollen wir sehen!«
Umsonst schlug Pfarrer Taß die Töne der Versöhnlichkeit an, der Junker blieb unzugänglich. Er spürte nur den heißen Aerger über die List der Jungen. Er sprach kein Wort, und der Pfarrer fand es für gut, die beiden Gegner nach St. Moritz zu begleiten.
Das Dörfchen war, obwohl es bald auf Mitternacht ging, noch hell erleuchtet. Auf der Höhe des alten Wallfahrtskirchleins stand ein Triumphbogen und darin hing ein Transparent mit einer Inschrift.
Der Landammann war wütend. »Auch den Hohn wagen sie!« keuchte er.
Als aber die Reiter sich näherten, lasen sie:
»Gruß dem Landammann, dem Gesandten des rhätischen Volkes!«
Vom Kirchlein her trat an der Spitze der Jungmannschaft Fortunatus Lorsa mit gezogenem Hut an die Reiter heran und bat sie zu halten.
»Hochzuverehrender Vorsteher!« begann er. »Wir vom Bund der Jugend des Engadins, mir St. Moritzer vorab, sind durch den edeln Herrn Luzius von Planta und andere bei der Regierung in Chur vorstellig geworden, daß dem Engadin in der Gesandtschaft, die nach Wien geht, ein besonderer Vertreter gebühre, und wir wußten keinen höheren und würdigeren Namen Vorzuschlagen als den Euern! Heute haben wir die Freude und die Ehre, Euch als den Gesandten des Thales zu begrüßen, und bitten Euch, daß Ihr das wichtige Amt nicht ausschlagt!
Ueber das, was die Jungmannschaft von St. Moritz in Gemeindeangelegenheiten gethan, stehen wir gerne Rechenschaft. Vor allem aber versichern wir Euch, daß wir eine Kränkung verdienter Mitbürger und Vorsteher nicht beabsichtigten, sondern nur von dem brennenden Wunsche geleitet waren, wieder Leben und Verdienst ins Thal zu ziehen und dem Frieden zu dienen!«
Dann wandte er sich zu Driosch:
»Geehrter Mitbürger! – Ein ehemaliger Plan von Euch hat die Zustimmung der Gemeinde gefunden; wir bauen das Bad. Aber wir haben auch etwas, wogegen Ihr immer geeifert und die Mehrheit errungen habt, beschlossen: die alte Kirchenschuld muß abgetragen werden. Für das Recht, das Bad zu bauen, leihen wir der Gemeinde das Geld zur Tilgung der Schuld und bitten Euch, daß Ihr die alte Gegnerschaft gegen die Regelung dieser Angelegenheit aufgebt. Wir wollen Frieden!«
Jetzt horchte der Landammann auf: Driosch war von der Jungmannschaft getroffen wie er, und die junge Partei zog der alten mit dem Beschluß, die Kirchenschuld zu ordnen, einen dreißigjährigen Pfahl aus dem Fleisch.
Das empfand der Landammann dankbar. Dazu: Wien wiedersehen!
»Zieht den Vorteil gegen Euch,« flüsterte ihm Taß zu. Nur mit ein paar kühlen, grollenden Worten erwiderte der Landammann Fortunatus Lorsa, aber er sprach doch, und der äußere Friede war hergestellt.
Die versöhnliche, für den Landammann ehrenvolle Haltung des jungen Engadins nach der gelungenen Hintergehung brach dem bittersten Stachel die Spitze ab, die Mäßigung der Sieger gefiel dem Volke. Man spürte es, die Jungmannschaft war eine Macht, die man ernst nehmen mußte.
In St. Moritz aber zuckte und wühlte der Groll der Alten.
»Was wollen wir noch, die Jugend steht jetzt am Amboß!« lachte Driosch.
Doch auch der Landammann wollte noch einmal Schmied werden. Die Gesandtschaft nach Wien, wo er einst glückliche Jugendjahre verlebt hatte, wo der Entscheid über die Zukunft des Landes lag, erfüllte sein Sinnen und Denken, und ob er der Jungmannschaft auch äußerlich immer kühl begegnete, war es ihm innerlich doch eine große Genugthuung, daß sie, die jetzt das Regiment an sich gerissen, ihn für den ehrenvollen Posten eines Gesandten erwählt hatte.
Die Hochzeit Konradins von Flugi mit Menja Driosch war ein Sonnenstrahl in das Leben des Engadins; in der langen Treue der beiden sah das Volk die alte Bündner Zähigkeit, die zum Siege führt. Ein unendliches Glück stand in den vergißmeinnichtblauen Augen Menjas, als sie im Brautkranz ging, und Konradin von Flugi wogte das Herz von Hoffnungen.
Nur eine fehlte dem Fest – Cilgia! Sie wollte den Landammann an dem festlichen Tage nicht an die Falle erinnern, in die sie ihn gelockt hatte. Aber ihre Hand erkannte man an dem Feste doch. Ueberall auf dem Weg, den der Hochzeitszug beschritt, lagen frische Rosen und Nelken, selbst beim Ausritt, der die Gesellschaft am Nachmittag nach Samaden führte.
»So viele und so schöne Blumen hat im Land nur sie!«
Und bald erfuhr man, daß ein ganzer Saumzug die Körbe mit den frischgeschnittenen Rosen und Nelken von Puschlav herbeigebracht hatte. – –
Die Gesandtschaft war abgereist. In St. Moritz aber begann die Jungmannschaft, den Inn durch ein neues Bett in den See zu leiten und zwischen diesem und dem Berg Rosatsch die köstlichen altberühmten Sauerquellen zu fassen. An Widrigkeiten und Kämpfen fehlte es nicht, und bei dem großen Mißtrauen gegen das Unternehmen, das viele Tausende von Gulden kostete, war das Geld dafür und für die Kirchenschuld schwer zu beschaffen. Das meiste gaben Freunde im Ausland her.
»Man baut Straßen, auf denen niemand fährt – man errichtet Bäder, in denen niemand badet!« Das war der landläufige Witz und die Jungmannschaft von St. Moritz erhielt den Spottnamen: »Die Geldverlocher!«
Dafür vertraute das Volk auf die Erfolge der Gesandtschaft in Wien.