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Durch einen wonnigen Augustabend schritt Cilgia mit ihrem Lateinbuch zum Kirchlein Santa Maria empor.
Sie trug einen Brief Konradins von Flugi mit sich. Er schrieb, daß die Freunde nächstens zu einem frohen Nachmittag nach Pontresina kommen werden, sie möge es auch Paltram mitteilen. Es freuen sich alle, den jungen Büchsenmacher kennen zu lernen, von dessen neuem, vortrefflichem Gewehr man in den Dörfern rede.
Was thun? Paltram war seit der Begegnung einmal an ihr vorbeigegangen. Da hatte sie den Kopf abgewandt und seinen Gruß nicht erwidert.
O, das Volk hat recht: er ist ein Camogasker – eine abgründige Seele!
Wie es aber den Freunden sagen, daß sie sich in Paltram getäuscht habe, daß er der Jugend des Engadins nicht würdig sei? Sie knirschte vor Verlegenheit mit den Zähnen.
Ob die Freunde sie auch nur verstünden? Das Engadinervolk, jung und alt, hat andere Gedanken über die Jagd als sie, und selbst ein so gebildeter Mann wie der Pfarrer beschönigt die unsägliche Roheit Paltrams.
»Schau um dich,« hat er gesagt, »und wo du hinblickst in der Natur, ist nicht der sanfte Ausgleich, sondern der Kampf, und jeder, der kann, übt sein Herrenrecht über Mitmenschen und Kreatur.«
Sie aber hat in flammendem Zorn erwidert: »Wohlan, wenn andere das Recht der Grausamkeit für sich in Anspruch nehmen, so wollen doch wir gütiger sein und Barmherzigkeit üben!« Im Pfarrhaus ist darauf etwas wie eine Verstimmung entstanden, und erst etliche Tage später hatte der Pfarrer gefragt, welche Bewandtnis es denn mit einer Anklage Paltrams gegen einen Dritten habe. Da hat sie ihm wohl oder übel die Geschichte vom Fang der Gemsen mit der Gabel erzählt. Und der sonst milde Jakob Taß hat nicht Ausdrücke, die hart genug sind, die That Grubers zu verurteilen! Der Schuß Paltrams aber sollte ehrenhaft sein. Die Mutter unter den Augen des Kindes töten – ehrenhaft!
So grübelt Cilgia.
Bleiern und leblos ist der Abend! Wie lange erscheint Pia mit den Geißen nicht? Barfüßige Kinder kommen vom Dorf gelaufen und spähen nach ihr. »Es ist doch Melkzeit!« Auch ein paar Frauen erwarten ihre Tiere. »Es ist nichts mit Pia,« zürnen sie. »Ziege um Ziege fällt ihr zu Tod. Sie hat wohl wieder ein schlechtes Gewissen.«
Endlich, schon in sinkender Nacht tritt die bimmelnde Herde aus dem Wald, doch die Hirtin fehlt. Die Frauen und Kinder geleiten ihre Ziegen ins Dorf. Cilgia zögert noch.
Wo bleibt Pia?
Da bringt aus dem Dunkel des Waldes ein bärtiger starker Wildheuer die Hirtin auf seinem Rücken. Das barfüßige, lotterisch gekleidete Mädchen hatte den einen braunen Arm um den Hals des Mannes geschlungen, der andere aber ist mit einem Tuch aufgebunden, und die sonst so wilde Hummel stöhnt.
»Was ist geschehen, arme Pia?« fragt Cilgia teilnahmsvoll. Die Antwort ist ein Gewimmer.
Der Wildheuer erzählt, auf der Rückkehr habe er unter einem Felskopf ein Weinen gehört, er sei in die Tiefe gestiegen und habe auf einem Gesteinsband Pia mit zerschmetterter Schulter gefunden. Sie habe eine Ziege, die sich verstiegen, von dem Felsen holen wollen und sei, während sich die Geiß selber zurückgefunden habe, gestürzt.
Die Verletzte aber erhebt ein zorniges Geheul. »Es ist niemand als Paltram schuld! Seit er in unserem Hause wohnt, der Camogasker, habe ich Unglück über Unglück. – Ihr seid auch schuld, Fräulein!« Und der verwundete Waldteufel läßt die Funkelaugen rollen.
Dennoch begleitet Cilgia das seltsame Paar des struppigen Wildheuers und des fast zart gebauten braunen Mädchens, das in einem fort wimmert und heult, zu der Hütte, in deren erstem Stockwerk es mit seiner kindischen Großmutter wohnt.
Der Wildheuer war kaum mit seinem schweren Tritt in die Stube getreten und hatte das stöhnende Kind auf eine Bank gesetzt, als er sagte: »Ich habe schon viel Zeit versäumt – mein Weib ist in Sorge um mich – ich muß heim – Guten Abend!«
In dem muffigen Gemach war es dunkel, die Alte irrte händeringend hin und her. »Mein Schäfchen, mein Rößchen, wer hat dir das gethan?«
Zuletzt gelang es Cilgia, einen Kienspan anzuzünden.
Aber was nun? – Sie verstand so wenig von der Behandlung Kranker und der nächste Arzt war in Samaden.
Markus Paltram! schoß es ihr durch den Kopf. Hat man nicht immer erzählt, daß er vor Jahren an Krankenbetten gestanden und sich dabei mancherlei Kenntnisse angeeignet hat? Vielleicht weiß er einen ersten guten Rat!
Sie schrak davor zurück, ihn zu rufen; als aber das Kind stärker weinte, verwand sie mit einem Seufzen ihre Scheu.
Paltram arbeitete, als sie den Kopf durch die Thüre steckte, noch bei einer hellen Lampe an einer Gewehrfeder.
»Kommt schnell, Pia ist gestürzt!« bat sie.
Da hob er den ausdrucksvollen, von der Lampe hellbeleuchteten Kopf: »Was geht mich der Waldteufel an! – Ich muß das Gewehr für Gruber fertig machen, er läßt es nächstens abholen.«
Cilgia wollte sich schon mit einer Gebärde der Verachtung von ihm wenden, da sagte er rasch: »Ich komme.«
Er erhob sich, er folgte ihr, seine Lampe mit sich nehmend.
Pia schrie auf, als er in die Stube trat, und die Alte kauerte, die Hände über die Kniee geschlagen, in einem Winkel und beobachtete ihn mit entsetzten Augen.
Mit ruhigem Ernst schaute er der Leidenden, die sich bei seinem Anblick krümmte, ins Gesicht. »Ich muß jetzt halt thun wie ein Arzt,« wandte er sich in entschuldigendem Ton zu Cilgia. »Pia, setze dich auf einen Schemel,« befahl er streng, und als sie ihm in zitternder Furcht gehorchte, streifte er dem Mädchen das Hemdchen von den noch kindlich schmalen Schultern.
Cilgia trat errötend ins Dunkel zurück, Pia schrie, sperrte sich und wies ihm das weiße Gebiß. Doch sonderbar – er richtete nur sein hartes Gesicht und sein strenges, ruhevolles Auge auf sie und ihr Ingrimm erlahmte in gräßlicher Angst.
Mit eiserner Ruhe stellte er sich vor und hinter das Kind, verglich in angestrengter Aufmerksamkeit die stark gerötete, blutunterlaufene linke Schulter mit der gesunden rechten – besann sich – betastete die zerschlagene Achsel lange und sorgfältig und sagte dann freundlich zu Pia: »Es ist ein Wunder, wie du das erträgst!«
Da ging doch ein Zug der Befriedigung über das schmerzverzerrte Gesichtchen.
Damit Pia es nicht verstehe, wandte er sich deutsch an Cilgia: »Der Fall ist sehr ernst – es hat sich ein ausgerenkter Knochen ins Schulterblatt gebohrt!«
»Soll ich den Mesner zu Doktor Troll in Samaden schicken?«
»Ich fürchte,« sagte Paltram nach einer Pause und ohne eine Spur von Selbstgefälligkeit, »der versteht gerade von diesen Verletzungen weniger als ich. Und woher nähme er die Zeit für die lange Behandlung, die nötig ist, wenn Pia nicht ein elender Tropf werden soll?«
Maßlos wuchs das Erstaunen Cilgias über Paltram, über seine sichere Art, zu sprechen.
Er wandte sich wieder zu dem zitternden Mädchen, hob vorsichtig den linken Arm, schwenkte ihn langsam nach innen und außen und beobachtete dabei die Züge ihres Gesichts. »So, das thut weh!« sagte er einmal, als es sich jäh schmerzlich verzog.
»Fräulein Premont, haltet doch einmal den rechten Arm Pias straff rückwärts! Gut!«
Langsam hob er den linken Arm Pias, schaute ihr mit einem Ausdruck ins Gesicht, daß sie zuckte vor Furcht, zog den Arm mit einem raschen Ruck wagrecht und schnellte ihn so in einer Biegelage aufwärts, daß die Hand der entsetzlich Schreienden die kranke Schulter berührte.
Man hörte deutlich ein Knacken, die Alte fuhr aus dem Winkel: »Er will sie töten – er will sie töten!«
Paltram aber sagte gelassen: »Legt sie zu Bett – für heute ist alles gethan.«
Da führte Cilgia die Blasse in das Nebenstübchen. – Eine Weile später folgte Paltram.
Pia wimmerte immer noch kläglich.
»Ja, schläfst du noch nicht?« fuhr Paltram sie barsch an, rückte einen Stuhl zu ihr hin, setzte sich, legte die Hand auf ihren Scheitel, sah sie mit seinen blauschwarzen, geheimnisvollen Augen ruhig an und sagte milder: »Schlaf jetzt, Pia!«
Mit unheimlicher Stärke und Kraft ließ er den Blick auf dem schmerzreichen Gesichtchen ruhen.
Eine Weile verstrich in tiefer Stille, leise stöhnte die Kleine noch, aber unter den Augen Paltrams fielen ihre Lider zu und die Züge des kleinen hübschen Gesichts verloren den schmerzlichen Ausdruck und versteiften sich.
»So, die Hornisse schläft!« sagte Paltram.
»Ich will die Mesnerin schicken, daß sie bei ihr wache,« erwiderte Cilgia; »ich muß nun doch wieder ins Pfarrhaus gehen.«
»Eine Wärterin ist kaum nötig,« antwortete er.
Gemeinsam verließen Cilgia und Paltram die Kammer der Schlummernden, Cilgia gab ihm aber auch an diesem Abend die Hand nicht, ihr Groll über das Jagdbild im Rosegthal war noch zu frisch und lebendig. Mit kühler Zurückhaltung sagte sie: »Ich danke Euch, daß Ihr Euch zu einer That der Barmherzigkeit habt finden lassen.«
Mit tiefer Enttäuschung erwiderte er ihren Gutenachtgruß, sah ihr aber so lange nach, bis sich der letzte Ton ihrer Schritte im Grau der Nacht verlor.
In stürmischer Erregung erreichte Cilgia das Pfarrhaus. Was ist Markus Paltram für ein Mensch? – Sein Blutdurst ist verabscheuungswürdig, aber – – so gewaltig ist kein anderer wie er! Wie hat er Willen und Schmerz Pias bezwungen – was für ein wunderthätiges Auge hat er!
Die geheimnisvolle Kraft, die man ihm nachsagte, sie hatte sie mit eigenen Blicken gesehen, und sie ist ihr wohl wunderbar, aber auch als der natürliche Ausfluß seines machtvollen Wesens und gar nicht so unheimlich erschienen, wie es die Leute schildern.
Wer ist er?
Eine heiße Bewunderung streitet mit dem tiefen Abscheu, den sie gegen ihn gefaßt hat. Und sie spürt, daß ihr Herz ihm gehört.
Aber obwohl sie sich immer wieder am Schmerzenslager Pias begegneten, sprachen sie kein vertrautes oder überflüssiges Wort miteinander und Paltram sehnte sich umsonst nach einem Händedruck Cilgias.
Sie weilte fast den ganzen Tag in der Kammer der ungeduldigen und eigensinnigen Kranken, die es nicht erwarten konnte, bis die Großmutter am Abend mit ihrer Ziegenherde zurückkam und ihr über jede einzelne Geiß berichtete.
»Fräulein, gebt mir doch einen von den Schuhen unter dem Bett, daß ich ihn der Großmutter an den Kopf werfe,« knirschte sie, wenn die kindische Alte von etwas anderem sprach, als sie wünschte.
Und das schmale Ding wütete, bis ihr der wehe Arm mit dem gebieterischen Befehl des Schmerzes Ruhe gebot.
Zuweilen kam Paltram auf einige Augenblicke in das Kämmerlein hinaufgestiegen und sprach so sicher, als ob die Heilung nur eine etwas schwierige Rechnungsaufgabe wäre.
Und Paltrams Zuversicht war für Cilgia ein Sporn. Täglich aber wurde er finsterer, wortkarger.
Da erschien eines Morgens unvermutet der junge, hochmütige Doktor Troll von Samaden mit dem Landjäger im Kämmerlein Pias, rieb die Augengläser aus, untersuchte ohne viele Umstände das Kind und schüttelte den Kopf.
»Die geht an Brand zu Grund!«
In diesem Augenblick kam Paltram die Treppe emporgestiegen und lächelte den Arzt spöttisch an.
»Die geht an Brand nicht zu Grund – dafür laßt mich und Fräulein Premont sorgen!«
»Der Landjäger wird Euch nach Samaden führen!« versetzte der Doktor scharf. »Ihr werdet Euch wegen unbefugten Arznens vor Gericht zu verantworten haben!«
»Ihr werdet mich nicht nach Samaden führen lassen, Doktor,« erwiderte Paltram fest und mit ingrimmigem Blick. »Ihr würdet Euch lächerlich machen.«
So tauschten der Doktor und Paltram gereizte Worte.
»Was gilt's,« rief Paltram wütend, »daß meine Arzneikunst, mein chirurgisches Wissen von einem höheren Namen unterschrieben ist als Euer Doktortitel. Habt Ihr den Namen des Professors Lagourdet in Paris gehört?«
»Lagourdet,« stammelte der junge Doktor überrascht, und wie um seine eigene Wissenschaft zu bezeugen, sagte er: »Das ist der Pariser Wundarzt, der keine Glieder mehr abnehmen, sondern mit einem Muskel- und Nervenbelebungsverfahren Amputationen überflüssig machen will.«
»Er will nicht nur,« grollte Paltram, »er thut's. Ich war in St. Etienne Schlosserlehrling, der gelegentlich die Messer und Pincetten für das Militärspital schliff. Ein erster Zufall – und drei Jahre lang war ich dort bei allen schweren Fällen sein Gehilfe. Ehe der Professor nach Paris überfiedelte, sagte er: »Markus, in deinen Bergen wirst du, was du gelernt hast, schon brauchen können. Da hast du einen Schein – mein Name darunter ist dir eine Empfehlung in aller Welt!«
»Zeigt das Zeugnis!« sagte der Arzt.
»Klagt! Vor Gericht will ich es weisen!« höhnte Paltram.
»Gut. Ich klage!«
Damit zogen der Arzt und der Landjäger ab – jener zornig und geärgert, weil er den Triumph im Gesichte Paltrams sah.
In höchster Spannung war Cilgia dem Zusammenstoß gefolgt, und die Niederlage des Doktors freute sie königlich, vieles an Paltram war ihr durch das Gespräch der beiden plötzlich klar geworden. »Ja, wenn man alles von ihm wüßte,« dachte sie, »würde man alles an ihm verstehen.«
Sie begegneten aber einander immer fremder, ihre Gespräche wurden immer kürzer und kühler, und eines Abends, als Cilgia, von Pia kommend, mit ihrem Buch droben beim Thor des Kirchleins Santa Maria saß, wechselten beide nur den knappsten Gruß und sie sah kaum auf von ihrem Buch.
Da stand er plötzlich still und wandte sich um.
Sie that, als sähe sie ihn nicht, aber die Buchstaben tanzten vor ihren Augen.
Er keuchte vernehmlich wie unter einer schweren Last – und stand – und stand.
Sie aber rührte sich nicht.
Da begann er: »Ich halte es nicht mehr aus, dieses elende Leben! Sprecht mit mir, Fräulein! Sonst – – werde ich ein Thor!«
Cilgia hob die schönen Augen mit einer großen inneren Genugthuung. Fast drängte es sie zu einem Lächeln; sie erschrak aber, als sie in sein Gesicht blickte, und kühl erwiderte sie: »Ich habe Euch nichts zu sagen, Ihr begreift doch, daß ich keine Gemeinschaft und Freundschaft mit einem Manne haben kann, der die Mutter vom Kinde wegschießt.«
Da wurde er totenblaß, und stoßweise kamen die Worte von seinen Lippen: »Cilgia Premont, seid barmherzig, wie Katharina Dianti barmherzig gewesen ist – gebt mir die Hand – ich verspreche Euch darein, daß ich in meinem Leben nie wieder eine Gemse noch ein anderes Tier töte.«
Da stand Cilgia Premont mit flammendem Antlitz auf.
»Was sagt Ihr, Paltram? – Ihr wäret das im stand – – – Ueberlegt noch einen Herzschlag lang,« bebte ihre Stimme, »ob Ihr halten könnt, was Ihr versprecht; die Toten, die in den Gräbern ringsum ruhen, hören, was Ihr sprecht – und es käme nicht gut, wenn Ihr Euer Wort brächet!«
Paltram hatte sich aufgerafft; sein Atem ging schwer, dann blickte er ihr mit vollem, leuchtendem Auge ins Antlitz.
»Ich halte es, so wahr mir Gott helfe! Gebt mir darauf Eure Hand, Cilgia Premont. Es ist mir hundertmal leichter, die Jagd zu entbehren als Euch!«
Mit klarer, fester Stimme und freudig sagte er es.
Da legte sie ihre schlanke seine Rechte in seine schwielige Arbeitshand, und ihre freien, offenen Blicke begegneten sich.
»Ich gebe Euch Frieden!« sagte sie einfach und ruhig.
»Mehr – mehr müßt Ihr mir geben!« keuchte er wie enttäuscht.
»Um Eures großen Mannesvorsatzes willen schenke ich Euch meine Achtung wieder, die Ihr eine Weile nicht mehr besessen habt.«
Cilgia sagte es ernst – er schwieg. Erst nach einer Pause fragte er dumpf: »Und sonst nichts?«
Sie biß sich verlegen auf die Lippen und schlug errötend die langen Wimpern nieder, dann machte sie plötzlich eine Bewegung, als wollte sie gehen.
Er aber nahm ihre beiden Hände und zog sie an seine Brust.
»Cilgia Premont, – ich bin noch nicht zufrieden! – Ihr habt am Waldesrand dort oben etwas zu mir geredet – und das brennt wie Feuer in mir. Ihr habt gesagt, daß über die Erde Frauen wie jene Katharina Dianti wandeln – und sie wandeln – sie wandeln – denn Ihr selber seid eine Katharina Dianti! Was muß ich thun, daß Ihr Euch mit einem Wort der Liebe zu mir neigt – o Cilgia Premont, ich kann nicht mehr leben ohne Euch!«
Aus glühender Brust rangen seine Worte und seine eindringlichen Augen flehten sie an.
Sie aber zögerte – ja, sie that, als wollte sie sich flüchten.
»Sagt, daß ich die oberste Flamme vom unersteiglichen Piz Bernina hole, und ich hole sie und bringe sie Euch in meinen Händen! Ich will unserem Engadin, dessen Lampe am Erlöschen ist, ein neues Licht anzünden, daß es ihm leuchte und seine Dörfer nicht in Ruinen stürzen! Das ist mein Vorsatz seit jener Stunde, wo Ihr zu mir geredet habt wie eine Apostelin. Und ich halte das Wort, wie ich das andere halte, daß ich nie wieder zur Jagd gehe. O, ich bin stark, Cilgia Premont, ich bin stark wie ein Berg – aber Eure Augen müssen auf mir ruhen.«
Scham und begeistertes Zutrauen standen im heißen Antlitz Cilgias – ihre Augen leuchteten siegreich auf. Sie that einen Schritt gegen ihn.
Sie stammelte und flüsterte: »Ich liebe Euch ja schon lange, Markus, aber Ihr habt es mir so unendlich schwer gemacht.«
Und sie senkte das stolze, schöne Haupt in hingebender Demut.
»Cilgia Premont!« Erstarrt im Glück stand Markus Paltram und meinte, Himmel und Erde singen ihren Namen. Und ihre Hände fanden sich, die Liebenden wußten nicht wie, sie atmeten wie im Traum, Cilgia den Kopf an die Schulter Paltrams gelehnt.
»Ja, Markus,« flüsterte sie, »du wirst das blutige Bild aus dem Rosegthal austilgen mit Thaten des Segens!«
»Sprich nicht davon – weil du mit mir geredet hast am Waldbord, bin ich mit schlechtem Gewissen zur Jagd gegangen. Ich meinte, es sollte nur das einzige Mal sein, ich ging, weil ich wußte, daß du nicht in Pontresina warst. Da kamst du wie Gottes Strafe zu dem Schuß, und sonderbar – seit du dort wie eine unirdische Gestalt vor mir standest, graut mir vor den Gemsen – und wenn ich das Gewehr gegen eine erheben müßte, so wär' mir's, ich erhöbe es gegen dich!«
»Das höre ich gern, Markus,« sagte sie weich. »Denn gegen mich wirst du nicht schießen!«
Mit aufleuchtenden Augen und hellerer Stimme fuhr sie fort: »Nein, nein, Markus, deine Ziele liegen höher. Du sollst mir das Licht von der Spitze der Bernina holen, du sollst das Engadin lösen aus seiner schweren Not. Du bist ja stark wie keiner!«
Sie erzählte ihm voll Eifer von dem Jugendbund, den Lorsa auf der Höhe des Wallfahrtskirchleins zu St. Moritz gegründet.
»Auch du, Markus, gehörst zum Bunde und die edelsten Jünglinge des Engadins werden dich als ebenbürtig nehmen und deine Freunde sein!«
»Cilgia!« Es war ein Freudenruf, und in tiefer Bewegung wollte er sie auf die Stirn küssen.
Vor Scham erzitternd, entzog sie sich ihm. »Nein, Markus, noch nicht,« bat sie leise. Und ihr Blick ging träumerisch in die Weite.
Da stiegen den Alpweg herab mit Geklingel die Ziegen des Dorfes. Die kindische Alte führte sie. Gioja und Gloria sahen Cilgia mit ihren gelben Glasaugen verwundert an und meckerten kläglich.
Es mußte mit ihrer Herrin übel stehen. Sie hatte ihnen den Strauß nicht gerüstet und kraute ihnen nicht hinter den Ohren.
Nein, ihre Hand lag in der eines jungen Mannes und den schaute sie sonnig an. »Auf Wiedersehen, Markus, am Lager Pias!«
Erst jetzt wandte sie sich zu ihnen, machte einen übermütigen Knix gegen sie und rief fröhlich: »Guten Abend, Gioja, guten Abend, Gloria!«
In freudevollem Lauf eilte sie mit ihnen den Mattenweg gegen das Dörfchen hinab, über dessen steinbeschwerten Schindeldächern ein Bündel roter Sonne ruhte.
*
»Sie liebt mich!« Unter den nächtlichen Tannen und Lärchen jubelte es in heller Verzückung ein junger Mann, der es nicht spürte, wie er über die Waldwurzeln stolperte.
Ihm war, als hielte er in beiden Händen ein heiliges Gefäß, aus dem, wenn er es fallen ließe, zehrendes Blut und Feuer flösse.
Ihm war aber auch, eine Stimme riefe: »Sie sind nicht rein genug, daß sie es halten.«
Er hatte es in Frankreich nicht nur erlebt, wie man ein tüchtiger Büchsenmacher und Gehilfe eines berühmten Arztes wird – er hatte auch ein Stück Leben erfahren, das mehr als alles andere reift und zur Selbsterkenntnis führt.
Zu St. Etienne hatte er ein Weib kennen und es verachten gelernt.
»O, Cilgia, wäre ich wie du.« So wünschte er aus den Tiefen der Brust.
Sie erschien ihm wie die heilige Blume des Lebens, die nach der Sage in verborgenen Thälern des Gebirges blüht. Langsam, langsam erschließt sich ihr Kelch und die Blütenblätter beginnen zu erscheinen. Der Pilger aber, der vor ihr kniet, mag sehen, daß er ihr Entfalten mit keinem Zug des Atems stört, mit keinem Zucken der Wimper erschreckt, sonst zieht sie sich zusammen und nie wieder öffnet sie sich ganz.
Wer sie aber erwarten mag, dem blüht sie bis an seinen Tod und wie das Leben hart gegen ihn sei, er kann nie elend werden.
»Und verflucht wäre der Mund und verdammt die Wimper, die gegen Cilgia Premont zuckte – ruhelos wie der Ritter von Guardaval müßte er durchs Gebirge wandern. Und wenn ich zehnmal der Camogasker wäre, über sie hätte ich keine Macht.«
So denkt der junge Mann und im Ueberschwang des Glücks suchte er jemand, der ihm helfe seine Gedanken tragen.
»Mutter,« betet er, »sei bei mir, daß ich für Cilgia Premont die Flamme vom Piz Bernina hole.«