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Der Häuptling vom Delta des Stroms der Jakstiere faßte einen tüchtigen Armvoll Zweige und Reisig und warf ihn ins Feuer, daß es hell aufloderte, dann hüllte er sich in seinen Pelz und begann zu erzählen. Gespannt lauschte Tsangpo Lama dem Berichte des Häuptlings:
Etwa in der Mitte des Winters, also vor neun Monaten, als die Kälte am schärfsten und das Eis am dicksten war, gingen einige Hirten mit den üblichen Lebensmitteln von Süden her nach der Insel hinüber. Zu dieser Zeit waren die Eremiten reichlich mit allem versehen, dessen sie bedurften. Sie besaßen etwa hundert Schafe und Ziegen, die ihnen nach und nach von Nomaden geschenkt waren und die ihnen Milch lieferten. Sie waren im ganzen vier: die drei Tibeter Tsembe, Angdu und Ngurbu Tanduk, und der Tangute Namgjal Dortsche. Dieser, der jüngste, war ein Fünfziger. Ngurbu Tanduk war ein Achtziger, der fünfundvierzig Jahre auf der Insel verweilt und in dieser Zeit niemals das Festland betreten hatte. Tsembe und Angdu waren Siebziger.
Eine Woche nach dem letzten Besuch der Hirten raste ein Sturm, der das Eis aufbrach: damit waren die Eremiten bis zum nächsten Winter, also dem, der jetzt vor der Tür steht, abgeschnitten.
Inzwischen folgte eine Zeit stiller Witterung und schneidender Kälte, und der See fror wieder zu. Das Eis wurde aber nicht wieder so dick wie das erstemal, und selbst bei mäßigem Sturm konnte es jeden Tag aufbrechen. Die Nomaden wagten sich daher nicht hinaus. Die neue Eisdecke mochte ja nur eine List des Drachen sein. Die Eremiten erwarteten auch keine Gäste. Sie wußten, daß sie zehn oder elf Monate keinen Menschen sehen würden. Aber, wie gesagt, sie litten keine Not.
Eines Nachts, bei schwachem Nordwestwind, kamen zwei Wölfe auf die Insel. Vermutlich hatten sie, am Südostufer des Sees herumstreifend, die Schafe gewittert. Das Eis war uneben und mit einer dünnen Schneeschicht bedeckt. Wölfe können lange Strecken schneller zurücklegen als Menschen. Ihr Instinkt warnt sie auch, wenn Sturm im Anzug ist. Und auch wenn das Unwetter losgebrochen wäre, während sie auf der Insel waren, hätten sie Zeit gehabt, über das Eis zurückzugelangen, bevor es aufgebrochen wäre.
Wölfe sind, wie du besser weißt als sonst jemand, kluge, mutige und listige Tiere. Man kann sich daher denken, daß sie sich in der Nacht genau orientierten. Offenbar haben sie ausfindig gemacht, daß die Schafe und Ziegen in einer großen Höhle eingesperrt waren, die eine Steinmauer abschloß, und vermutlich haben sie auch in Erfahrung gebracht, daß ein Mensch bei den Tieren schlief. Deshalb haben sie sich nach den unzugänglichen Klippen und Schluchten zurückgezogen und gewartet.
Bei Tagesanbruch hat der Eremit, der in der Hürde schlief, nach seiner Gewohnheit den Zaun geöffnet und die Herde auf die Weide gelassen. Nie hatte bisher den Tieren Gefahr gedroht. Die Weide fanden sie selber. Der Eremit begab sich also zu seinen Kameraden, um das Morgenfeuer zu schüren und die erste Schale Tsamba zu genießen.
Als sie beim Mahl saßen, hörten sie ängstliches, verzweifeltes Blöken, das nach der Südostspitze der Insel zu verhallte. Alle, außer Ngurbu Tanduk, der zu alt war, sprangen auf und eilten in der Richtung, woher die Laute kamen. Nun merkten sie, daß ein scharfer Wind ging, und an den Wolkenformen erkannten sie, daß einer jener plötzlich einsetzenden Winterstürme gerade dabei war, seine Luftgeister loszulassen. Die Wölfe hatten sich diesmal verrechnet. Das Eis knackte und knallte: infolge des Winddrucks öffneten sich Risse und Sprünge.
Binnen wenigen Minuten waren die Eremiten an der Spitze der Insel angelangt und sahen, wie zwei Wölfe in klug berechnetem Abstand voneinander die Schafe und Ziegen aufs Eis hinaustrieben.
Die Wölfe wußten, daß ihr eigenes Leben auf dem Spiel stand; denn der Sturm fegte jetzt mit aller Gewalt über den See. Aber der prächtige Fang, der sie lockte, hatte sie leichtsinnig gemacht. Die ganze Herde war schon unten auf dem Eise. Verwirrt und vor Schreck von Sinnen, flohen die Schafe und Ziegen nach verschiedenen Richtungen. Sobald aber ein Tier nach der Insel zurückzukehren versuchte, war ein Wolf hinter ihm her und riß ihm den Hals auf. Schon lagen mehrere Opfer zappelnd in ihrem Blut.
Die Eremiten hatten kaum den Strand erreicht, als sich schon das ganze Eisfeld von der Insel loslöste. Ein gewaltiger Spalt, der, soweit das Auge reichte, sich von Norden nach Süden erstreckte, trennte es von dem Eis, das noch am nordwestlichen Teil der Insel festlag. Von Mordlust berauscht, setzten die Wölfe ihre wilde Jagd fort.
Sie merkten nicht, daß neue Risse entstanden. Als der eine Wolf einem Schaf den Hals aufriß und das warme Blut schlürfte, wurde er mitsamt seinem Opfer auf allen Seiten von Wasser eingeschlossen. Er sprang von seiner Scholle ins Wasser, um schwimmend das Eisfeld zu erreichen, auf dem sein Kamerad beschäftigt war. Aber das Eis trieb schneller. Die offenen Wasserflächen erweiterten sich, und der See ging hoch. Der Wolf ermüdete, bevor er die Eiskante erreichte, und als er endlich soweit war, wurde er zwischen zwei Eisschollen festgeklemmt und kam, soviel die Eremiten sehen konnten, nicht wieder hoch. Wo der andere blieb und wie es den Schafen und Ziegen erging, die noch nicht zerrissen waren, erfuhren sie nicht; denn die Entfernung nahm zu, und der Schaum, der von den sturmgepeitschten Wogenkämmen wie ein Nebel aufstieg, verhüllte jede Aussicht. Im Südosten war jetzt nur noch der aufgeregte offene See zu sehen.
Bestürzt und entsetzt sahen sich die Eremiten an.
Der Sturm brach die ganze Eisdecke auf. Der Winter ging dem Ende zu, und es war nicht zu erwarten, daß sich noch einmal tragfähiges Eis bilden würde. Dann kamen der Frühling, der Sommer und der Herbst, und erst im Winter konnten sie wieder mit dem Lande Verbindung bekommen. Was sie an Butter und Tsamba von den letzten Nomaden erhalten hatten, konnte bei sparsamem Verbrauch drei oder vier Monate reichen. Sie mußten also Hungers sterben, sobald die Vorräte erschöpft waren!
Namgjal Dortsche unterbrach das Schweigen:
»Nicht eine einzige Spur von Schafen, Ziegen oder Wölfen wird von unserm Schicksal Kunde ans Ufer des Sees bringen. Und wenn auch die Wellen tote Schafe ans Land treiben, wird niemand sehen, daß sie aus unserer Herde stammen.
»Im übrigen kann jetzt niemand auf die Insel kommen und uns Hilfe bringen. Wir müssen die Vorräte in vier gleich große Teile teilen, und jeder muß für sich haushalten. Die Tsamba können wir mit Gras strecken. Stirbt einer von uns, bevor sein Anteil aufgebraucht ist, so wird der Rest in drei gleichen Teilen an die Überlebenden verteilt. Aber auch diese sind verurteilt zu sterben, ehe das Eis im nächsten Winter trägt. Wir können ruhig oben neben dem Tempel drei Gräber für uns herrichten. Die ersten Nomaden, die im nächsten Winter die Insel besuchen, werden nur einen einsamen Leichnam in einer der Höhlen finden und werden nie erfahren, was uns zugestoßen ist.«
In ihren zerfetzten Mänteln, die Füße mit Tuchstreifen umwickelt, standen Tsembe und Angdu auf ihre Stäbe gestützt. Ihr langes, zottiges Haar flatterte im Winde, und traurig blickten die Augen nach Osten, wo die Sonne aufging und ihren rotgoldenen Schein auf den aufgewühlten See warf. Bei Namgjal Dortsches Worten schüttelten sie langsam den Kopf und boten ein Bild der größten Hilflosigkeit. In ihren gefurchten, runzligen Gesichtszügen stand keine Spur von Hoffnung zu lesen. Seit vierzig Jahren hatten sie Morgen für Morgen die Sonne über dem Blauen See aufgehen sehen. Niemals aber hatte ein neuer Tag so unheilvoll begonnen. Sonst waren sie Jahr für Jahr in aller Sicherheit in ihre Höhlen gegangen, und die Stunden waren ihnen bei ihrer einförmigen Beschäftigung verflogen. Jetzt aber konnten sie berechnen, wie viele Tage sie noch zu leben hatten. Wenn sie unter gewöhnlichen Verhältnissen dem Sonnenaufgang gegenüber gleichgültig waren, so fühlten sie jetzt das Morgenlicht als eine Erleichterung. Von nun an zählten sie die Sonnenaufgänge.
Der Sturm raste und tobte weiter. Dunkelgrünblaue Wellen klarsten Wassers rollten über den See, brausende Schaumkränze auf den Dämmen; die Tropfen, die der Sturm in die Höhe peitschte, glitzerten im Sonnenschein wie Diamanten. Auf den Bergen ringsum glänzte der Schnee blendend weiß.
So standen sie eine Zeitlang schweigend da. Da beobachtete Namgjal Dortsche, wie im Norden und Süden der Insel eine Eisscholle um die andere nach Südosten trieb. Zuweilen kamen ganze große Eisfelder heran, und der Schnee auf ihrer Oberfläche hob sich scharf von dem dunkeln See ab. Wie aus einem Traum auffahrend, rief er den andern zu:
»Gehen wir zum Tempel hinauf, wo wir nach allen Seiten freie Aussicht haben und der Schaumnebel nicht den Blick beengt.«
Tsembe und Angdu folgten ihm. Von der Höhe aus sahen sie deutlich, welche Teile des Sees offenes Wasser waren und welche noch unter schneebedecktem Eise lagen. Die Insel stand nirgends mehr in Verbindung mit den festen Eisfeldern, die übrigens jetzt nur im Nordwesten zu sehen waren. Von dort riß der Sturm Stücke, Schollen und ganze Felder los und trieb sie nach Südosten.
Die Eremiten verfolgten das Schauspiel eine Zeitlang. Zuweilen zog das Treibeis unbeschädigt an den Klippen der Insel vorüber, zuweilen aber prasselte ein Feld gegen die Nordwestspitze, und Seegang und Sturm ließen es an den Klippen zerschellen. Von Zeit zu Zeit klang ein Rasseln und Klirren durch das Sturmgebraus zum Tempel hinauf.
Wieder durchzuckte Namgjal Dortsche ein Gedanke. Auf das Treibeis weisend rief er:
»Wenn uns auch niemand zu Hilfe kommt, so haben wir doch eine Möglichkeit, uns selbst zu retten. Wir springen auf eine große Scholle alten dicken Eises und fahren auf ihr über den See. Sie hält nicht eher an, als bis sie mit dem landfesten, vom Wind zusammengepackten Eis oder mit dem Ufer selber in Berührung kommt. Wenn wir soweit gelangt sind, wandern wir zu den Nomaden und kehren im nächsten Winter hierher zurück.«
»Wir drei«, wandte Tsembe ein, »würden vielleicht ein solches Abenteuer überleben. Für Ngurbu Tanduk aber bedeutete es den Tod. Wir können ihn nicht der Gefahr aussetzen, und ich bin überzeugt, daß er lieber still und ruhig in seiner Höhle Hungers stirbt, als in Kälte, Sturm und Sprühregen auf einer Eisscholle zu sitzen und dann über Eis und Steppe zu wandern und Nomaden zu suchen. Fragen wir ihn!«
Sie gingen in die Höhle und hielten Rat. Der alte Eremit wollte von einer Seefahrt nichts wissen. Er wollte, wenn die Stunde gekommen sei, in unerschütterlicher Ruhe in seiner Höhle sterben.
»Wie lange können unsere Lebensmittel reichen?« fragte Namgjal Dortsche.
»Im besten Fall vier Monate«, antwortete Tsembe.
»Oder acht Monate, wenn ich mit einem von euch die Insel verlasse.«
»Jawohl«, antworteten die andern.
»Vom Tempel aus habe ich beobachtet, daß das Treibeis an Ausdehnung abnimmt. Also ist keine Zeit zu verlieren. Wer geht mit mir?«
»Ich«, antwortete Angdu.
Sie nahmen beide ihre Säckchen Tsamba und Butter, ihre Stöcke und Messer, sagten Ngurbu Tanduk und Tsembe Lebewohl und verließen die Höhle. Am Ausgang wandte sich Namgjal Dortsche um und sagte:
»Vergeßt nicht, daß wir nächsten Winter, sobald das Eis trägt, mit frischen Vorräten und mit Schafen und Ziegen zurückkehren, die wir bei den Nomaden zusammenbetteln werden. Erst in zehn Monaten hätten wir Hirtenbesuch erwarten dürfen. Uns könnt ihr in neun Monaten erwarten. Hungern werdet ihr auf alle Fälle eine Zeitlang müssen. Wir werden unser möglichstes tun, um die Zeit abzukürzen. Lebt wohl!«
Sie eilten den nächsten Weg nach der Spitze der Insel. Schon ehe sie dorthin kamen, gerieten sie in den Sprühregen, den der wilde Kampf der Sturzseen mit den Uferklippen hervorrief. Als Angdu sah, wie hoch der See sich in entfesselter Wut bäumte, wurde ihm angst und er sagte:
»Bei diesem Seegang ist es nicht leicht, trocknen Fußes auf eine Eisscholle zu springen. Dir gelingt es wohl: aber ich bin alt.«
»Das wird anders, wenn das Treibeis kommt. Du siehst, wie der Seegang nachläßt und wie die Sonne durch den Sprühregen dringt. Dort kommt ein Eisfeld. Kommt es an die Spitze heran, so springen wir hinauf. Wenn nicht, so warten wir auf das nächste.«
Die Wellen wurden immer niedriger, und der Sprühregen hörte allmählich auf. Unter betäubendem Krachen und dem Klirren zersplitterter Scheiben glasklaren Eises prallte eine gewaltige Scholle gegen die Uferklippen. Eine dunkle, klaffende Wasserrinne bildete sich in dem Spalt, den der Stoß hervorrief. Die beiden Hälften des Eisfeldes preßten noch weiter gegen die Insel, und Eisblöcke und Eissplitter häuften sich am Strand.
Angdu stützend, eilte Namgjal Dortsche über die Eisblöcke und war mit seinem Kameraden bald draußen auf dem Eis. Das Eisfeld machte eine langsame Pendelbewegung, indem sein landfester Teil noch still lag, während der äußere sich drehte und von Wind und Wellen weitergetrieben wurde. Durch die Spannung entstanden neue Spalten. Große Stücke rissen sich los und trieben weiter.
Schließlich löste sich auch die Scholle, auf der die beiden Eremiten standen. Sie war so grob, daß sich hundert Zelte hätten bequem auf ihr aufschlagen lassen. Aber sie wurde rasch kleiner, da sie im Treiben an mehrere vorspringende Uferklippen prallte, und als sie am Südufer der Insel vorüberkam, hätte sie nur noch für fünfzig Zelte Raum geboten.
Oben auf der Insel standen Tsembe und Ngurbu Tanduk und verfolgten die Fahrt ihrer Kameraden, die die beiden Zurückgebliebenen sehen konnten, solange die Insel in Sicht war. Aber die Eisscholle trieb rasch an der Südostspitze vorüber, und bald verschwand die Insel im Nebel. Dann war ringsum nichts als der aufgeregte See, und die beiden Eremiten fuhren über blauschwarze Tiefen.
An den Rändern der Scholle erhoben sich ganze Wälle von Eisblöcken und -splittern, Zeugen der Zusammenstöße, die sie überstanden hatte. Um sich gegen den schneidenden Wind und den Schaumsprühregen zu schützen, der ihre dürftigen Mäntel mit einem Eispanzer zu bedecken begann, bauten die beiden Männer in der Mitte der Scholle eine kleine kreisförmige Eismauer, wobei sie Eisstaub als Mörtel benutzten. Sie fror bald zu einem festen Block zusammen. Auf ihrer windgeschützten Seite legten sie ihre Stöcke und Tsambabündel nieder und schmiegten sich dicht aneinander, um die Kälte fernzuhalten.
Es war noch früh am Tag. Der Himmel bewölkte sich; er kündigte schlechtes Wetter an. Sie fürchteten, der Sturm, der ringsum heulte und klagte, könnte zum Orkan werden. Donnernd schlugen die Wellen gegen die Scholle und spülten über sie hin. Die Eisplatte war jedoch so groß und fest, daß sie den beiden Eremiten unbeweglich schien.
Das änderte sich am Nachmittag. Sie hörten einen dumpfen Knall, und dann begann die Scholle auf den Wellen zu schaukeln und eine halbe Umdrehung zu machen, so daß sie sich jetzt an der dem Winde ausgesetzten Seite der Eismauer befanden. Sie standen auf und sahen, daß ein neuer Ritz die Scholle gespalten hatte. Nun hätten nur noch zwanzig Zelte darauf Platz gehabt. Sie flüchteten an die windgeschützte Seite der Mauer hinüber und bauten diese so zu, daß sie nach Osten hohlrund wurde. Die Scholle konnte sich nun drehen wie sie wollte, sie fanden immer Windschutz. Das schlimmste war, daß jetzt einige Wellen über die ganze Scholle gingen und die Mauer zu unterwaschen drohten. Um nicht in der Nässe festzufrieren, machten sich die beiden Eremiten daran, die Fläche innerhalb der Mauer mit kleineren Eisstücken zu bedecken. Aber der Wall, der eben noch die Scholle eingefaßt hatte, war von der See weggespült worden.
Die Stunden vergingen, der Tag neigte sich seinem Ende zu, die Dämmerung brach herein. Die Eremiten fühlten, wie ihre Glieder steif wurden. Wenn sie sich bewegten, knisterten ihre holzhart gefrorenen Lumpen. Sie fürchteten, in der Nacht zu erfrieren. Der See sah unheimlich aus. Rabenschwarz gähnte ringsum die Tiefe, und die Sturzseen mit ihren weißen Schaumkämmen zogen wie Gespenster vorüber. Die Nacht senkte sich auf den Tso-ngombo herab.
Immer heftiger schaukelte die Scholle, je mehr ihre Ränder von den Wellen angefressen wurden und je mehr die Fläche sich verminderte. Mit ihren Messern bohrten die Eremiten zwei Löcher senkrecht ins Eis. Dorthinein steckten sie ihre Stäbe, damit sie sich an etwas festhalten konnten, wenn sie das Schaukeln in Gefahr brachte, von dem glatten Block ins Meer zu gleiten.
Om mani padme hum murmelten die Unglücklichen immer wieder. Aber das Gebet gefror ihnen auf den Lippen, und sie verfielen der dumpfen Gleichgültigkeit, die bei Erfrierenden der Vorbote des Todes ist.
Noch war die Nacht nicht weit vorgeschritten, als wieder eine Veränderung eintrat. Namgjal Dortsche erwachte aus seinem Schlummer davon, daß es ringsum ganz still geworden war. Der Wind hatte plötzlich aufgehört, und es war klarer Himmel. Auf schwarzem Grund schimmerten die Sterne weihblau. Der Seegang dauerte jedoch die ganze Nacht an, wenn auch immer schwächer und ohne Sturzwellen. Kam eine Schlagwelle, so ging sie nicht mehr über die ganze Scholle. In der ruhigen Luft, die nach Mitternacht herrschte, konnten die Bedrängten sich eher warmhalten als bisher.
Doch nun schoß Namgjal Dortsche ein Gedanke durchs Gehirn und machte ihm das Blut in den Adern erstarren. Die Scholle lag still, und wenn die Ruhe andauerte, kamen sie niemals ans Land! Die rauschenden Sturzseen glätteten sich immer mehr und trieben die Scholle nicht weiter. Gewiß war das ein Vorteil, daß sie allmählich zu runden Wellen wurden, die die Schollenränder nicht angriffen.
Aber es brauchten nicht viel sonnige Tage zu kommen, um das Eis so mürbe zu machen, daß die Scholle schmolz und von selbst zerfiel. War ihr Tsambavorrat dann noch nicht aufgezehrt, und waren sie nicht schon vor Kälte und Hunger gestorben, so ertranken sie in der blauen Tiefe, und der Drache schloß sie in seine Arme. Namgjal ließ seinen Kameraden nichts von seinen Befürchtungen hören, rollte sich, so gut es ging, zusammen und schlummerte wieder ein.
Als er erwachte, hatte die Sonne schon ein beträchtliches Stück ihres Wegs zurückgelegt, und ihre Lichtfluten flößten ihm neue Hoffnung ein. Er sah sich um. Kein Wölkchen am Himmel! Der See sah bald hellgrün aus wie Malachit, bald dunkelblau wie Lapislazuli, je nachdem man der Sonne entgegensah oder von ihr weg. Die Wellen gingen in flachen, langen, blanken Wölbungen. An mehreren Stellen erschienen schwimmende Eisfelder und Schollen, die meisten in weiter Ferne. Doch kein landfestes Eis war zu sehen und kein Ufer. Unbeweglich lag die Scholle auf dem See. Wenn die Sonne höher stieg und wärmende Kraft erhielt, mußte die Zerstörung beginnen.
Namgjal Dortsche ging auf und ab, um das Blut in Umlauf zu bringen. Dann weckte er Angdu. Der alte Eremit starrte ihn fragend an und fuhr sich mit der Hand über die Stirn, wie um seine Gedanken zu klären. Er richtete sich auf, erhob sich und schaute mit verwirrten Blicken in die Runde.
Dann riß er seinen Stock aus dem Eis, ballte die Hände, streckte die Arme über den See hinaus und verfluchte die verräterischen Wogen. Mit Aufgebot seiner ganzen Lungenkraft schrie er:
»Verflucht sollst du sein, Tso-ngombo! Fluch dir, du falsches, heimtückisches Gewässer! Habe ich nicht vierzig Jahre in deiner Mitte auf Knien dem Gesang deiner Wellen und dem Heulen deiner Stürme gelauscht, ohne müde zu werden! Habe ich je geklagt, wenn du, um meine Ruhe zu stören, der Winterkälte den Weg in meine elende Höhle wiesest oder wenn du dem Schneegestöber gebotest, ihren Zugang mit weißen Schleiern zu schließen, um mir die Erquickung zu rauben, dem Blick der treuen Sonne zu begegnen! Bin ich nicht Jahr für Jahr zum Tempel hinaufgewandert, um die Lampe vor Buddhas Antlitz und vor Tsongkapas Schwert brennend zu erhalten, damit der Glanz ihrer Augen wie ein Strom des Segens sich ergießen sollte auf dein verräterisches Wasser, in dem der Drache wohnt, und auf deine Ufer, an denen die Nomaden ihr schweres, freudeleeres Leben dahinschleppen! Winter für Winter hast du Eisbrücken von der Tempelinsel nach deinem Ufer geschlagen, um mich wegzulocken, um mich in Versuchung zu führen, meine Pflicht zu vergessen, in der Hoffnung, daß Buddhas Lampe erlösche und der Drache in Ruhe gelassen werde! Aber ich bin treu geblieben!
»Und dies ist deine Rache! Du stellst mich vor die Wahl, zu erfrieren, zu verhungern oder zu ertrinken. Fluch dir und deinem ganzen Anhang! – Höre das Schreien der Fischadler! Habe ich sie jemals gestört, wenn sie ihre Beute auf den Uferklippen verzehrten? Sieh die königlichen Geier an, die in der Luft schweben, ohne ihre Schwingen zu rühren! Habe ich ihnen je die Ruhe auf dem Tempeldach über den Gräbern der alten Eremiten verwehrt, trotzdem ich wußte, daß ihnen danach verlangte, mir die Eingeweide aus dem Leibe zu reißen? Erinnerst du dich der Wildgänse, die Frühling für Frühling auf Kuisu ihre Eier in den warmen Sand zwischen den Steinblöcken legten? Du hörtest sie der Wut des Drachen spotten! Sahst du mich aber je ihre Nester plündern oder ihre gelben, hilflosen Jungen beunruhigen? Und wenn die Federn der jungen Gänse ausgewachsen und stark genug geworden waren, die gefiederten Pilger der Luft über Berg und Tal nach den warmen Ländern des Südens zu tragen, hast du mich dann unter den am Strande lauernden Füchsen gesehen, bereit, einen vergifteten Pfeil auf meine Armbrust zu legen? Siehe, ist mein Haar in diesen Jahren nicht grau und weiß geworden? Ist mein Gesicht nicht wie ein Acker vom Pflug der Zeit gefurcht worden? Ist mein Rücken nicht krumm geworden in den Tagen, die ich über das Pergament gebeugt gesessen habe, auf das meine Hand geduldig die Worte der Wahrheit schrieb, damit sie wie ein Sonnenaufgang über fernen Ländern leuchteten? Den Wölfen, den Aposteln der Vernichtung und Bosheit, bautest du eine Brücke nach unserer Insel, um ihrem grimmen Blutdurst die Schafe und Ziegen auszuliefern, die in Unschuld auf unsern Wiesen weideten! Als aber die alten Eremiten ihres Lebensunterhalts beraubt waren, zerbrachst du die Eisdecke, um sie einem qualvollen Tode preiszugeben! Vergiß nicht, daß Buddha schließlich siegen und daß die Stunde des Drachens schlagen wird!«
Plötzlich brach er seine Strafpredigt ab und stieß ein schneidendes Hohngelächter aus, das mit den Schreien der Fischadler und Möwen über die schaukelnden Wellen schallte.
Dann wandte er sich um. Sein Blick fiel auf Namgjal Dortsche. Die Augen weit aufgerissen, mit den Zähnen knirschend, krümmte er sich wie ein Panther zum Sprung und stürzte sich voller Haß und Wut auf den Kameraden.
Doch ehe er ihn erreichte, stolperte er, fiel und schlug sich die Schläfe auf dem Eise blutig. Schäumend vor Wut stand er wieder auf, hob in der Haltung eines Speerwerfers seinen Stab und schleuderte ihn mit übermenschlicher Kraft gegen Namgjal. Blitzschnell wich dieser aus, und klatschend fiel der Stab in den See.
Durch seine Ohnmacht erst recht gereizt, wollte er sich auf Namgjal werfen und ihn in Stücke reißen. Der jüngere Eremit erkannte, daß Angdus Verzweiflung zu hellem Wahnsinn geworden war und daß es um sein Leben ging, da er auf der kleinen Eisscholle mit einem wilden Tier zusammen war und keine Möglichkeit hatte, zu entkommen. Wiederum wich er schnell aus und suchte hinter der Eismauer Schutz. Angdu aber schwang sich über die Mauer und setzte mit flammenden Augen und keuchendem Atem die Verfolgung rings um die Scholle herum fort, bis es ihm endlich gelang, Namgjal auf einen spitzen Vorsprung hinauszudrängen und ihn bei den Mantelfetzen am Halse zu fassen.
Der Angegriffene nahm seine ganze Kraft zusammen und suchte den Körper des Wahnsinnigen fest zu packen, um ihn nach der Mitte der Scholle zu drängen. Ein wildes verzweifeltes Ringen begann. Der Irrsinnige hatte übermenschliche Kräfte und er schob Namgjal Schritt für Schritt immer näher an den hellgrün schimmernden Eisrand heran, der wie ein Dachgesims über der dunkelblauen, unergründlichen Tiefe des Sees zu schweben schien. Die Spannkraft der Muskeln Namgjals nahm aber in demselben Maße zu, als ihm die Gefahr näher auf den Leib rückte.
Es war nur noch ein Schritt bis zur gähnenden Tiefe, als es ihm endlich gelang, Angdu zwei Schritte zurückzudrängen. Er schlang die Arme um den Alten, entschlossen, ihn mit zum Drachen hinabzureißen, wenn er besiegt würde. Während des wilden Ringens stöhnte der Irrsinnige:
»Du Teufel in Menschengestalt! Du Wolf in den Kleidern des frommen Eremiten! Nein, die Wölfe zerrissen nur die seelenlosen Schafe, du aber wolltest in der trügerischen Gestalt des Retters uns alle ins Verderben locken. Gesegnet seien Tsembe und Ngurbu Tanduk, die dir nicht in die Falle gingen.«
Namgjal stolperte und fiel auf die Knie. Sein einer Fuß hing bereits über den Rand ins Wasser hinab. Ein heftiger Stoß Angdus hätte genügt, ihn rücklings in den See zu werfen. Mit Aufgebot all seiner Kraft zog er seinen Gegner zu Boden.
Sie rangen auf den Knien weiter. Die Sonne stand in Mittagshöhe. Der Tag war blendend hell und warm. Der Frühling war im Anzug!
Angdu röchelte:
»Du Schurke aus dem Raubnest der schwarzen Tanguten! Hatte ich nicht schon achtundzwanzig lange Jahre in Ruhe und Frieden gelebt, als du eines Tages auf die Insel kamst, um mein und der beiden andern Dasein zu vergiften? Du kamst wie ein Wolf über das Eis geschlichen, entschlossen, unsere friedlichen Höhlen nicht eher zu verlassen, als bis du gesehen, wie unsere Leiber von den Geiern verzehrt wurden oder im Schoß des Drachen landeten.«
Durch eine geschickte Bewegung gelang es Namgjal, seinen Gegner gegen das Eis zu drücken. Im nächsten Augenblick warf er sich selbst auf ihn und schob ihn an den Rand der Scholle.
»Soll ich meine Überlegenheit ausnutzen?« dachte er. »Das Eis ist glatt wie die polierte Bronze des Buddhabildes im Tempel. Ich brauche ihn nur wie auf einem Amboß festzuhalten, bis er ermattet, und einmal muß er ermatten. Dann erschlafft sein Griff, und ich schiebe ihn mit einem Stoß über die Eiskante.
»Aber nein! Das darf nicht sein! Du sollst kein Leben auslöschen, du sollst nicht töten, ist das erste Gebot im Gesetzbuch des ewigen Buddha.«
»Ich schwöre bei Tsongkapas Schwert,« heulte Angdu, »daß die Sonne, die jetzt von seinem Himmel aus deine Bosheit erblickt, nicht eher im Westen untergehen soll, als bis sie auch deinen Leib und deine Lumpen langsam in das klare Wasser hat sinken sehen! Deine Seele soll wandern und in dem Ungeheuer Wohnung nehmen, das davon lebt, das Blut eines Schurken und Mörders zu schlürfen! Du bist schuld an meiner Lage, du hast mich auf den See hinausgelockt. Ich weiß, in dem Augenblick, wo ich dich über die Eiskante stoße, wird der Drache versöhnt sein, und die beruhigten Wellen wird ein Wind kräuseln, der mich freundlich schnell ans Ufer bringt, wo Hirten ihre Schafe weiden und fromme Männer mir den Weg zu heiligen Klosterhöfen zeigen.«
»Angdu, Angdu!« rief Namgjal Dortsche flehentlich. »Besinne dich! Wir sind beide in der gleichen Verdammnis, und du bist aus freien Stücken mit aufs Eisfeld hinausgegangen! Niemand als du selbst trägt Schuld an der Gefahr, die dir jetzt droht. Beruhige dich, iß Tsamba und Butter und schlafe nach deinem unnützen Kampf. Wenn du, vom Schlafe gestärkt, erwachst, wirst du höhergehende Wellen am Rande der Eisscholle plätschern hören, die der Wind treibt, von dem du sprachst, der Wind, der uns beide ans Ufer tragen wird.«
»Aha, du willst mich zum Schlafen verführen! Ich durchschaue deine teuflischen Berechnungen! Nein, ich werde bis zu dem Augenblick wachen, wo deine Augenlider sich vor Müdigkeit schließen. Wir wollen sehen, wer sich am längsten wach zu halten vermag.«
Der Alte merkte nicht, wie erschöpft er selbst war, und wie der Griff, mit dem er den Mantel des Gegners hielt, nachließ. Seine Knöchel, die eben noch auf dem Handrücken wie weiße Flecke hervorgetreten waren, erschlafften, und er sank der Länge lang aufs Eis. Wie ein Fieberkranker schlief er mit leichten, schnellen Atemzügen.
Leise und vorsichtig schlich Namgjal an den Unglücklichen heran. Er lag auf dem Rücken, die Arme ausgestreckt, die Außenseite der schwieligen, braunen Hände auf dem Eise. Seit dem Ringkampf war sein Mantel noch mehr zerrissen, und die rote Binde, die er um den Kopf trug, hatte sich gelöst. Er lag der Eiskante so nahe, daß seine rechte Hand von dem Wasser benetzt wurde, das andringende Wellen auf die Scholle spritzten. Aber er war gefühllos gegen die Berührung mit dem eiskalten Wasser, und in der ruhigen Luft wärmte die Sonne wie an einem Frühlingstag.
Namgjal war dem Weinen nahe, als er seinen Kameraden betrachtete. Über zwölf Jahre hatten sie in einer Höhle auf der Insel zusammen gehaust. Sie hatten ihre Tsamba und ihre Butter an demselben Feuer gegessen. Sie waren mit den Schafen auf die Wiese gegangen und hatten zusammen die Ziegen gemolken. An stürmischen Tagen hatten sie über ihr Pergament gebeugt dagesessen und die Worte der heiligen Bücher abgeschrieben. Tag für Tag hatten sie sich im Tempeldienst abgelöst. Niemals war ein hartes oder unfreundliches Wort über ihre Lippen gekommen. Freiwillig hatten sie ihr Leben der Einsamkeit und Beschaulichkeit gewidmet und aller Freude entsagt, die die Welt zu bieten hatte. Mit Recht waren sie in weitem Umkreis wegen ihrer Frömmigkeit berühmt. Die Nomaden rechneten es sich zur Ehre an, sie zu besuchen und durch ihre Geschenke zu ihrem Lebensunterhalt beizutragen.
Zwölf Jahre lang hatten sie in derselben Ecke zusammengekauert geschlafen, waren zu den Schneestürmen, den Regenschauern, dem Sonnenschein eines neuen Tages erwacht, zwölf Jahre hatten sie demselben Wogengebraus an den Uferklippen gelauscht. Über die kurzen, flüchtigen Stunden des Lebens, über die Eitelkeit irdischer Freuden hatten sie unter der rußgeschwärzten Wölbung der Höhle Gespräche geführt. Den Tod hatten sie nie gefürchtet. Oben auf der Höhe wollten sie einmal nebeneinander ruhen und sie hatten selbst ihre Grabstellen bezeichnet. Ob aber ihre irdische Hülle in Frieden ruhen oder von Geiern zerfleischt werden würde, hatte sie nicht im geringsten bekümmert. Denn der Leib bedeutete nichts. Der Geist war alles.
Durch ein langes Leben voller Geduld wollten sie es sich verdienen, in neuer, verschönter Gestalt zu einem lichteren Dasein wiederaufzuerstehen, als es die schweren Jahre auf der Insel ihnen hatten bieten können. Ja, wenn sie nur in Treue und Wahrheit Buddhas Gesetz auch im kleinsten befolgten, so wurden sie würdig, in die Ruhe des Nirwana einzutreten, die keine Grenzen und kein Ende kennt!
Die Daumen im Leibgürtel stand Namgjal über den Kameraden gebeugt. Haß, Rachgier, Grausamkeit war aus dessen Gesichtszügen geschwunden. An ihre Stelle waren Kummer, Leiden und eine unendliche Müdigkeit getreten. Tränen, die nicht getrocknet waren, schimmerten in seinen Wimpern, und von den äußeren Augenwinkeln zogen sich nach den Schläfen zu tiefe Furchen, die von der Entsagung und Armut eines ganzen Lebens Zeugnis ablegten. Die Augen waren tief eingesunken und lagen im Schatten, die Umrisse der Stirnbeinbogen darüber waren scharf gezogen. Der spärliche, struppige Bart vermochte nicht die von den Nasenflügeln ausgehenden scharfen Falten zu verdecken, auch nicht den halb offenen Mund mit den harten, vertrockneten Lippen. Am Hals lag die Haut in zahllosen Falten, und das Schlüsselbein hob sich scharf von der Brust ab.
Voller Mitleid und Trauer konnte Namgjal den Blick nicht von dem Alten abwenden. Hätte es in seiner Macht gestanden, er hätte ihn gern auf seinen Händen in ein ruhiges, geschütztes Lager getragen und ihn behutsam auf ein weiches Schaffell neben einem freundlich brennenden Feuer niedergelegt.
Der Unglückliche hatte die mächtigen Götter des Tso-ngombo gelästert. Er hatte den Drachen und die Seegeister gehöhnt. Er hatte den Blauen See mit Worten verflucht, die von den Luftgeistern über die Wellen dahingetragen worden waren. Stürbe er jetzt, ohne durch Buße seinen hoffärtigen Hohn wieder gutgemacht zu haben und seine ohnmächtigen Herausforderungen der Geister, die in der Luft, im Wasser und auf dem Lande herrschten, sollten dann die Flüche, die er ausgestoßen, ihn auf den dunkeln Pfaden der Seelenwanderung verfolgen, sollten sie seine Kasteiung in der Höhle wertlos und sein Leben eitel machen, und sollte er zur Strafe in ein Dunkel zurückgestoßen werden, aus dem er sich erst nach einer langen Reihe von Wiedergeburten von neuem zu dem hohen Platz emporschwingen könnte, den er durch sein Einsiedlerleben auf der Insel errungen hatte?
Nein! Namgjal nahm ihn in Schutz. So grausam konnte Buddhas Weltordnung nicht sein! Angdus Seele hatte bereits die Wanderung nach höheren Gefilden angetreten. Der Greis, der dort auf dem Eis lag und mit dem Tod rang, war nicht mehr der edle Eremit. Es war ein armer Irrsinniger, ein beklagenswertes, ein hilfloses Geschöpf, das nicht wußte, was es tat und sagte. Er hatte seinem Glauben Leben und Verstand geopfert, und seine Seele war auf dem Wege zur Verklärung.