Johann Peter Hebel
Schatzkästlein des Rheinischen Hausfreundes
Johann Peter Hebel

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Zwei Weissagungen

Die erste ist sehr merkwürdig, wenn sie wahr ist, und man behauptet's. Als vor Jahr und Tag viele vornehme polnische Herren bei Spiel und Tanz sich erlusteten, trat ein leichtes, wegfertiges Weibsbild, eine Zigeunerin, in den lustigen Saal und bot ihnen ihre Weissagungen an. Da kam auch ein feines junges Herrlein, der nachmalige Fürst Poniatowsky, der nach der Leipziger Schlacht am 19. Oktober 1813 das Leben verloren hat, und streckte ihr die zarte Hand entgegen: »Weissage mir auch etwas Gutes, Mütterlein! Was, meinst du, will aus mir werden?« Da sah die Hexe den jungen Fürsten freudig und wieder mitleidig an. »Ei, du schmuckes Herrlein«, sagte sie, »du gelangst einst zu seltsamen Stand und Ehren! Möchte die Freude daran nur auch länger währen! Nimm vor den Elstern dich wohl in Acht! Eine Elster dir den Garaus macht.« Darob und ob andern Weissagungen dieses Weibes lachten sie lange, und wie eine Elster daherflog, sagten zu Poniatowsky seine Freunde: »Nehmt Euch in acht, Prinz! Seht Ihr, was dort fliegt?« Aber Poniatowsky erwiderte: »Seltsam Amt und Ehre ist noch nicht da.« Als aber Polen von den drei Adlern zernichtet war, richteten die Polen ihre Augen und ihre Hoffnungen auf Frankreich, und viele nahmen französische Dienste, hoffend, dass durch Frankreich ihre königliche Republik wieder sollte zu Leben kommen. Also hatte auch Poniatowsky diese Wahl ergriffen und kämpfte in den Tagen der Leipziger Schlacht unter den Augen Napoleons, ein achtbarer Streitgenosse, mit Tapferkeit und Glück, soviel der 16. Oktober erleiden mochte, also dass ihn der Kaiser Napoleon selbiges Tages zum Marschall von Frankreich ernannte. Das war seltsam Stand und Würde. Aber schon am 19. auf der Flucht, als alles drunter und drüber ging, ertrank der neue Marschall in der Elster. Elster heisst der Fluss, in welchem er ertrank. Mancher wohlbewanderte Leser wird sie kennen. Also ward auf eine unerwartete Weise die Prophezeiung der Zigeunerin erfüllt. Den Leichnam des Ertrunkenen hat nachher mit allen seinen goldenen Ringen und Kostbarkeiten ein Fischer im Wasser gefunden und um Geld gezeigt, aber von allen Kostbarkeiten an seinen Fingern und in seinen Taschen hat er nichts entwendet, sondern ein Angehöriger des Prinzen hat ihn nachher in Empfang genommen und den Fischer mit einer ansehnlichen Geldsumme belohnt.

Die zweite Weissagung lässt sich zwar ganz natürlich erklären. Nicht minder aber ist sie merkwürdig.

Bekanntlich konnte man dem grossen König Friederich von Preussen nicht nachreden, dass er leichtglaubig gewesen sei in Ansehung der übernatürlichen Dinge. Vielmehr hatte er manchmal gern seinen Spass mit solchen, die es waren, aber nicht immer gelang es ihm. Eines Tages versicherte man ihn von einem Prediger, dass er weissagen könnte. Alles, was er vorhersage, treffe ein. Der König befahl, den neuen Propheten vor ihn zu bringen. Unterdessen erkundigte sich der König, ob kein Soldat im Arrest sei, der das Leben verwirkt habe. Ja, es war einer drinnen. Also befahl er, den Delinquenten auf die bestimmte Stunde vor sein königliches Wohnzimmer auf die Schildwache zu stellen. Als aber der Prediger kam, »habt Ihr den heiligen Geist empfangen?« fragte ihn der König. – »Ihro Majestät«, sagte der Prediger, »es wäre gut, wenn ihn alle hätten.« – »Besitzt Ihr die Gabe der Weissagung?« – »Etwas davon, wie die Leute sagen.« – »Zum Exempel«, – fuhr der König fort, – »was soll ich geschwind fragen? – Man bringe den Burschen herein, der draussen Schildwache steht! Wie alt wird dieser Mensch werden«, fragte er den Prediger, »woran wird er sterben?« Der Prediger erwiderte, dieser Mensch werde nach vielen Jahren in einem hohen Alter sterben. – »Ihr seid in Eurer Probe schlecht bestanden«, versetzte hinwiederum der König. »Wisst Ihr«, sagte er, »dass ich morgenden Tages diesen Burschen henken lasse? Er ist ein Delinquent.« – Der Prediger sagte: »Es wäre der erste, der meiner Weissagung entliefe.« Item, der Delinquent wurde den andern Morgen zur Hinrichtung aus Potsdam hinausgeführt. Item, die Schwestern des Königs, die Herzogin von Braunschweig und die Prinzessin Amalia, fuhren desselbigen Morgens nach Potsdam hinein, dass sie dem König einen guten Morgen sagen und ihm mit ihrem Besuch eine unvermutete Freude machen wollten. Denn derselbige Morgen war schön, fast zu schön zum Henken. Als sie aber an dem Zug vorbeifuhren und den armen Menschen auf seinem schweren Todesgang erblickten, zuckte durch ihre fürstlichen Seelen ein zarter Schmerz. »Was soll mit diesem armen Menschen werden?« – »Ihre Hoheit, nimmer viel. Er wird gehenkt.« – »Was hat er begangen?« – »Das und das.« – Es war zum Henken und zum Laufenlassen, wie man wollte. Die Prinzessin befahl, mit der Hinrichtung noch innezuhalten, bis neue Ordre käme. Der König aber empfing seine Schwestern mit brüderlicher Freude. »Wir haben eine Bitte an Euch, geliebter Bruder«, sagten sie, »die Ihr uns wohl gewähren möget, so Ihr wollt. Gebt uns darauf Euer königliches Wort!« Der König war in guter Laune und tat's. »Wenn's möglich ist«, sagte er, »so soll's nicht Nein sein.« Denn er meinte, sie seien deswegen gekommen und wollten etwas verlangen für sich. Sie baten aber zu seinem Erstaunen um die Begnadigung des Delinquenten. – Was war zu tun? Das Wort war gegeben. Also schickte er einen Adjutanten mit einem weissen Tüchlein hinaus, dass man den Delinquenten wieder zurückbrächte. Der König segnete das Zeitliche den 17. August 1786.

Der Musketier kann in diesem Augenblicke noch leben.

 


 


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