Gerhart Hauptmann
Wanda
Gerhart Hauptmann

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Einunddreißigstes Kapitel

So dumm, wie die Flunkerts annahmen, war der Bildhauer keineswegs. Schon in den Zeiten, als man ihn bearbeitete, stieß er zuweilen ein unbegründetes Lachen aus. Er fand sich dann durch den Dünkel der Flunkerts, durch die kriecherische Mühe, die sie sich gaben im Widerspruch zu ihrer eigenen Natur, und durch den Umstand belustigt, daß sie eine Absicht glaubten verbergen zu können, die so zutage lag.

»Wir wollen Ihr Juwel, Ihren Herzensschatz, Ihr Ein und Alles in Watte packen, Herr Professor!« sagte einmal die Direktorin, als sie Wanda ihren eigenen wattierten Mantel umlegte. Es war ebenso putzig, wenn der von kalter Habsucht regierte Luftgymnastiker mit angelegentlichster Wärme Haake Pfefferminztee gegen versetzte Winde empfahl.

Freilich, den Punkt mit Wanda und ihrem zu erwartenden Nachwuchs durchschaute er nicht.

Er war nach wie vor überzeugt davon, daß Wanda seit dem Wiedersehen ihm ganz von Herzen angehöre. Die innige Hingabe, mit der sie ihm trotz der wachsenden Veränderung ihres Körpers angehörte, schien ihm das durchaus zu bestätigen. Noch sicherer aber machte es ihn, als sich, nicht lange nach Übergabe des Geldes beginnend, Unfreundlichkeiten Balduins gegen ihn und Wanda zeigten, die er sich als Zeichen der Eifersucht und der Enttäuschung ausdeutete.

Der Bildhauer Haake war ein Kaltblüter. Der Vergleich aber mit der Pferderasse, die man so nennt, stimmte nur teilweise. Er schien es mehr, als daß er es war. Allzeit schwelte in seinem Innern ein Feuer. Viele der ihm zugeschobenen neuen Aufgaben ertrug er, weil Selbstironie ihm Bedürfnis war und geradezu einen Genuß bedeutete. Warum sollte man nicht im Fasching des Lebens alle möglichen Rollen einmal gemimt haben?!

Er wurde als Kutscher, mit einer ungeheuren Pappnase im Gesicht, bei der sogenannten Parade angestellt, dem Aufzuge, der, in Wagen und beritten, nach Ankunft der Truppe in einem Dorf oder kleinen Marktflecken jedesmal ausgeführt wurde. Dabei wurde getrommelt, geklingelt und meistens von Balduin eine Ansprache gehalten, die natürlich Wort für Wort immer die gleiche war. Der pompöse Kehlton Flunkerts war schauderhaft, der Vortrag jedesmal, nicht nur für Haake, geradezu aufreizend, weil damit der Kern und Antrieb des Flunkertschen Wesens, die Eitelkeit, in widerlicher Großtuerei zutage kam. Er reckte die Brust, ließ seine Muskeln spielen, schlug sich die Oberschenkel, auf dem dicksten Gaule reitend, mit der Hand, blitzte mit unwiderstehlichen Blicken und drehte fast ununterbrochen das gewichste Ende des Schnurrbärtchens zwischen Daumen und Zeigefinger der rechten Hand.

In Haakes Wagen saßen gewöhnlich die Musikanten. Maskos war seinem Prinzipal ebensowenig grün wie der Bildhauer.

»Sehen Sie«, sagte er oft zu ihm, »was das blöde Luder wieder für Zicken macht! Möchte ihn doch der Teufel holen! Tränen würde ich ihm nicht nachweinen, geweint habe ich nämlich seit dreißig Jahren nicht.«

Einer solchen Auffassung näherte sich in der Folge auch Haake von Woche zu Woche mehr und mehr, ließ sich aber davon nichts anmerken. Mit einer Tücke, die zugleich Wollust war, registrierte er schweigend, worauf der Halunke hinauswollte. Jeder von ihm verlangten Arbeit unterzog er sich, immer nach ihrer Beendigung feststellend, daß sie ihm einen Dank nicht eintragen konnte. Geduldig trug er die Zettel aus. Einmal machte er auch den Ausrufer. Zuzugreifen wo immer, beim Pferdestriegeln und ‑aufzäumen, beim Mistfortschaffen, beim Ein- und Ausladen der Gestänge, Zeltbahnen und so fort, war dem ehemaligen Steinmetzgesellen eine Selbstverständlichkeit. Er schmierte die Wagenräder, er arbeitete mit dem Hebebaum, rammte Steine und Pfähle ein und lächelte schrecklich, wie ein homerischer Held, wenn alle seine fast heraklischen Leistungen bei Balduin nur moralische Fußtritte auslösten.

Darüber vergingen Wochen und Monate. Im beginnenden Frühjahr hatte Haake noch nicht den ersten roten Heller seiner fälligen Zinsen eingeheimst. Den Einblick in die Geschäftsbücher verweigerte Balduin unter allerlei Ausflüchten. Die Geschäfte seien schlecht gewesen, er müsse sich gedulden, hieß es, und so fort. Dabei hatte sich Flunkert einen Gehpelz von Biber gekauft, die Witwe einen Fahrpelz aus Zibetkatze, ein überaus kostbares Stück, das ihr allerdings, wie sie behauptete, durch einen günstigen Zufall fast kostenlos in die Hände gefallen war.

Trotz alledem waren bis jetzt irgendwelche Sturmzeichen im Wesen Haakes den Flunkertleuten nicht bemerklich geworden. Er schien bei bester Laune zu sein. Wenn er, den Topf mit Farbe neben sich, das Grün der Wohnwagen, auf der Leiter stehend, mit dem Pinsel erneuerte und dabei rauchte und sang, schien er, was seine Stimmung anbetraf, eher Johann der muntre Seifensieder als ein tückebrütender Desperado zu sein. Vielleicht hätten ihn Breslau und sein Atelier wieder angelockt, wenn nicht, außer dem Trägheitsmoment, ein starrer Eigensinn, sich sein Kapital nicht entreißen zu lassen, durch die Flunkertsche Gemeinheit in ihm erzeugt worden wäre. Auch Wanda riet ihm: »Dableiben! Dableiben!« Da sie in ihrem Zustand augenblicklich nur hie und da am Waschfaß zu gebrauchen war, merkte man Balduin deutlich an, es wäre ihm recht, sie ebenfalls loszuwerden. »Dableiben! Bibi hat recht!« sagte Maskos ebenfalls. Maskos, der Wanda wegen ihres zigeunerhaften Aussehens Bibi nannte, ein Wort, mit dem sich Zigeunermädchen untereinander anreden. Also war die Parole: Dableiben! Dableiben! Mittlerweile kam so der Tag heran, der Wanda von ihrer Bürde befreite.

 


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