Gerhart Hauptmann
Wanda
Gerhart Hauptmann

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Achtes Kapitel

Der Bildhauer nahm seine Arbeiten in der Haupt- und Residenzstadt Breslau sogleich wieder auf. Krankheit und Genesung hatten seine Seele gleichsam gereinigt, ihn weicher und empfindsamer gemacht. Seine Gesellschaft im Gartenfrühling des Krankenhauses war »Titan« von Jean Paul und »Hyperion« von Hölderlin, tiefste Vermächtnisse der deutschen Seele, deren Empfindungs- und Vorstellungswelt ihn auch in Breslau noch umgaben und die Atmosphäre seiner Werkstätte adelten.

Willi Maack ließ mehrere Monate verstreichen, bevor er auf die Katastrophe von Rom zu sprechen kam. Auch dann tat er es nur, weil Haake selbst bei einer gemeinsamen Abendmahlzeit zum allerersten Male überhaupt die Unterhaltung darauf lenkte.

Willi Maack war nicht der Mann, eine Beleidigung seines Freundes, wie er sie in dem Verhalten der Damen sah, ruhig hingehen zu lassen. Die Sache, als er sie zuerst erfuhr, hatte in der deutschen Kolonie von Rom das Wesen eines Skandals angenommen, für den Haakes Ruf die Kosten decken sollte. Aber Haake war krank und erfuhr nichts davon. Übrigens war er an sich so schwer getroffen, daß ihn ein wenig mefitischer Gestank als Begleiterscheinung kaum ernstlich erregt hätte. Anders Willi, der, aufs äußerste entrüstet und empört, in dem, was Haake geschehen war, ein Verbrechen sah, dessen Schuld freilich nicht bei den Damen lag, sondern bei irgendeinem Dunkelmann, dem auch sie zum Opfer gefallen waren. Diesen Dunkelmann mußte er aufstöbern.

Einige Tage sprang er hin und her, zur Rechten, zur Linken, wie ein Frettchen im Kaninchenbau der deutschen Kolonie, überall hämische Behauptungen, bösartige Fehlurteile und nichtswürdig erfundene und geglaubte Gerüchte abwürgend. Da sollte Haake gegen Zahlung einer Geldsumme katholisch geworden sein. Eine dicke Kunstreitersfrau sollte ihn aushalten. Er hatte gesessen, das eine Mal wegen Urkundenfälschung, das andere Mal wegen Bettelei. Nun war der Bildhauer wirklich während seiner Handwerksburschenzeit einmal auf kurze Zeit festgesetzt worden, weil er, wie üblich, jemand um eine milde Gabe angegangen hatte. Er sprach selbst mit dem heitersten Freimut davon. Alles übrige hatte ruchloser Klatsch erfunden.

Nicht erfunden: nein! Mit der frechen Gewissenlosigkeit, die ihm eigen ist, hatte der Klatsch einfach, wie der junge Baumeister später feststellen konnte, das Schuldkonto seines perfiden Gegners auf den Bildhauer übertragen. Denn schließlich gelang es Maack, diesen Feind und Dunkelmann wirklich aufzustöbern: in Egon Schmidt, einem sogenannten Kunsthistoriker. Dieser war in der Tat katholisch geworden, wegen Führung falscher Namen und Titel und wegen Urkundenfälschung vorbestraft und erhielt Geldbriefe von einer Zirkusdirektorin.

Der Weg seiner Ermittlungen führte Maack zunächst auf das Deutsche Konsulat. Ein junger Vizekonsul, den er gut kannte, eröffnete ihm, es seien auf Betreiben der Schwedischen Botschaft Erkundigungen über Haakes Vorleben eingezogen worden. Insonderheit darüber, ob er mit einer kleinen Kunstreitergesellschaft herumgezogen, ob er ein Trinker sei und ob es wahr sei, daß man aus diesem Grunde davon Abstand genommen habe, ihn mit dem Titel Professor an der Breslauer Kunstschule anzustellen. Die Fragen waren mit Ja beantwortet worden. Augenblicklich wisse man nicht, setzte die überaus schlaue und hellsichtige Regierungsstelle hinzu, wo der p. p. Haake verblieben sei.

Über das Eingreifen der Botschaft zum Zwecke der Trennung eines Eheverlöbnisses zwischen einem schönen Mädchen und einem großen Künstler war Willi im höchsten Maße aufgebracht. Da war nun wieder ein Botschaftsrat, den er kannte und den er sofort nach Kenntnis der Sachlage aufsuchte. »Wir sind düpiert, wir sind hinters Licht geführt worden«, sagte der Botschaftsrat. »Es handelt sich da um die Intrige eines der bekannten Nicht-Gentlemen, ohne die keine Regierung recht auskommen kann. Er ist der Schwedischen Botschaft von einem Kardinal als Dolmetsch und Cicerone für die Damen Ingeström empfohlen worden und hat die Damen an drei verschiedenen Tagen geführt. Auf seine Berichte über Haake ist die schwere Beunruhigung zunächst der alten Dame Ingeström, sind die Bemühungen der Deutschen Botschaft durch die Schwedische und sind die Recherchen zurückzuführen, die man über den Meister Haake anstellte. Wie die Auskünfte lauten, wissen Sie.

Ich sagte Ihnen, wir seien düpiert worden: was besagen denn schließlich die Auskünfte? Der Künstler ist mit einer Kunstreitergesellschaft gereist. Dazu hatte er vielleicht als Zeichner und Plastiker gute Gründe. Er ist im betrunkenen Zustand gesichtet worden. ›Wer niemals einen Rausch gehabt, der ist kein braver Mann!‹ singt das deutsche Lied. Man hat bisher gezögert, ihn als Professor anzustellen. Jetzt wird man vielleicht nicht mehr zögern, wenn man die Riesenarbeit dieses Winters zu Gesicht bekommt und von seinem auch im übrigen exemplarischen Leben erfährt. Bei den Damen wurde ihm aber verhängnisvoll, daß die Auskünfte zu bestätigen scheinen, was ihnen dieser – im Vertrauen gesagt – Schweinehund von einem Cicerone aufgebunden hat. Es heißt, er soll sich dafür gerächt haben, daß ihn Haake einmal unsanft aus dem Atelier befördert hat.«

Willi quittierte: »Ich danke für Obst und andere Südfrüchte. Jetzt ist also Haake vollkommen unschuldig. Er stand allgemein geachtet, allgemein bewundert da. Seine Anstellung, wenn er heimkam, war selbstverständlich. Nun hat man Erkundigungen über ihn eingezogen, die in einer recht schlagenden, undifferenzierten Weise ausgefallen sind. Sein glorreicher römischer Aufenthalt hat mit einem Skandal abgeschlossen. Seine Braut hat ihn sitzenlassen. Hochstehende schwedische Damen haben sich entsetzt und entrüstet von ihm abgewandt, sie haben Rom mit Protest verlassen. Was glauben Sie, wie das auf den Ruf Haakes in der Heimat, bei der Regierung, im Kultusministerium und auf den Gedanken seiner Anstellung zurückwirken wird!«

Da nun bei jenem Abendessen Willi dies und das aus der im Wege seiner Nachforschungen zusammengetragenen Sammlung von Schmutzerei, Nichtswürdigkeit, Gemeinheit und Infamie zum besten gab, entsprach dies alles so ungefähr der Art, wie sich Haake die Sachen zusammengereimt hatte. In seiner derben Art nannte er den Verleumder, Konvertiten und Baron einen »Vorneherum und Hintenherum«, dem das Heroldsamt tatsächlich zum mindesten einen Weg zugebilligt habe und dessen römische Karriere und Einverleibung in die katholische Kirche zunächst wohl durch eine der bekannten unheiligen Handlungen eines Kardinals vorbereitet worden sei. Dies wurde, wie der Architekt bestätigen konnte, bei Konsulat und Botschaft nur mit listigem Augenzwinkern geleugnet.

 


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