Gerhart Hauptmann
Wanda
Gerhart Hauptmann

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Zehntes Kapitel

Das Ehepaar Haake bezog eine hübsche Wohnung am Stadtgraben. Die Einrichtung der fünf Zimmer besorgte Maack. Sie war gediegen, nicht exzentrisch, und atmete eine gewisse Behaglichkeit. Aus Rom hatte Haake einige Antiken, griechische Marmortorsen, Vasen, Terrakotten und Münzen mitgebracht: sie zierten die Räume und adelten sie, auf Säulen gestellt oder in hübschen Glasschränken untergebracht. Kein Zweifel, daß Wanda ein Racker war und daß sie viel auf dem Kerbholz hatte. Aber sie war gescheit, gelehrig und keineswegs langweilig. Der Architekt, der ihr dieses Zeugnis gab, setzte hinzu: wenn sich ein Mann in sie verschieße, so sei an der Tatsache nichts Befremdliches. Schon aus Grundsatz, und weil das Gegenteil die Sachlage nur verschlimmern konnte, nahm er überall Wandas Partei. Sie war vergnügt. Mit viel Geschick fügte sie sich auf gute Art in die neuen Umstände, und Haakes Gäste, meist allerdings nur Männer und Kunstgenossen von der Akademie, fanden sich von ihren Pikanterien und Drollereien angeregt, wobei gewisse Entgleisungen, denen sie unterlag, das Vergnügen der Geselligkeit im Hause Haake nur würzen konnten.

Bald war die junge, kindhaft reizende Professorenfrau an der Seite ihres Gatten eine bekannte Erscheinung geworden, nicht zwar in den Gesellschaften, aber in den besseren Breslauer Restaurants. Der Bildhauer putzte sie mit unermüdlicher Liebe, wie ein Kind seine Puppe, heraus.

Hätt' ich irgend wohl Bedenken,
Balch, Bochara, Samarkand,
süßes Liebchen, dir zu schenken,
dieser Städte Rausch und Tand?!

Nein, er hatte keine Bedenken. Nackt ist sie am schönsten! sagte er. Aber das soll man ahnen, soll man wissen, soll man voraussetzen, wenn man diesen köstlichen Schatz verborgen oder mit schützenden Hüllen umgeben sieht, indem man aus der Kostbarkeit dieser Umhüllungen Schlüsse zieht.

Dieses Verhalten Haakes war bei einem Künstler natürlich. Es schadete ihm nach außen nichts. Da ist der Professor, sagte man, mit der schönen Seiltänzerin! Er war nur noch interessanter geworden. Um Wandas willen wurden die jungen Kürassieroffiziere und Avantageure vorübergehend zu Kunstfreunden. Aber der Bildhauer war auf der Hut. In ihm glimmte allbereits der Lynkeusfunke der Eifersucht. Willi Maack war im ganzen zufrieden mit der Entwicklung, welche der Geniestreich Haakes genommen hatte. Tat dem Bildhauer kein Geldbetrag für die Ausschmückung seines Idols leid, und ging er bis an die Grenzen seiner Bezüge, so verdoppelte sich zugleich sein Fleiß, und man mußte schon übelwollend sein, wenn man den Aufstieg seiner Karriere hinwegleugnen wollte.

Der Professor gehörte nicht zu den Leuten, die durch Titel und Amt zu verändern oder gar zu schablonisieren sind. Seine Art, zu sein, sich zu gehaben, zu reden, war in ihrer breiten Natürlichkeit unveränderlich. Es war ja klar, daß man auch seine Frau nach einer gewissen Probezeit in die Gesellschaft aufnehmen würde. Haake entbehrte durchaus nichts, solange es nicht geschah, aber er langweilte sich, da er sich überall gehen ließ, auch in Gesellschaft nicht. Was er sprach, hatte Hand und Fuß und war durch keinerlei Rücksicht eingeengt. So war Haake überall gern gesehen, zumal ihm der Frack ausgezeichnet saß, und man gönnte ihm den Raum und die Redefreiheit einer Persönlichkeit. Am lustigsten, derbsten und geistreichsten aber erwies sich Haake unter seinen Kunstgenossen beim Wein. Es zeigte die volle Gesundung seiner Person, daß er dabei, aus der Gesamtheit seines Lebens von unten auf, ohne irgendwelche Partien zu verheimlichen, mit breitem Behagen schöpfend, reden und erzählen konnte. Da war Willi Maack, waren die meisten seiner Kollegen völlig verliebt in ihn. Kann es etwas Schöneres geben, als wenn sich aus dem immer und ewig so schwer bedrückten Volkstum ein Mann mit breiter Brust, starken Schultern und freiem, unabhängigem Geist erhebt? Er ist eine Macht; sie stellt ihre Ansprüche. Wenn er redet, spricht er von sich. Haßt er jemand, ist er es, der haßt. Hat er Pläne, ist er's, der sie hat. Hat er Glück, ist er's, der es hat. Und hat er ein Weib, dessen Besitz ihn vor Seligkeit beinahe wahnsinnig macht, so spricht er tagaus, tagein von diesem Weibe.

Als unverbildeter Mensch und Künstler sah Haake nichts Arges darin, von den einzigartigen Eigenschaften, Fähigkeiten und Reizen Wandas immer wieder ganz offen zu reden und jedermann mit Verachtung zu strafen, der ihr irgendein weibliches Lebewesen auch nur von ferne gleichsetzen wollte.

 


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