Gerhart Hauptmann
Wanda
Gerhart Hauptmann

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Sechzehntes Kapitel

Über Paul Haake kam nun Finsternis, nicht nur für diesen Morgen, sondern für lange Zeit. Das Dienstmädchen warf er Knall und Fall hinaus, um sich dann in der Wohnung ein- und abzuschließen. Obgleich man vermuten konnte, der Flunkertzirkus befinde sich irgendwo auf einem Dorfe in der Nähe der Stadt, dachte er nicht daran, nach Wanda wiederum auf die Suche zu gehn. Mit dieser Sache war er nun fertig.

Wie war Flunkert in den Zirkus Renz gekommen? – Das war eine Frage, die ihn eine Weile beschäftigte. Vielleicht ein Gastspiel auf Engagement, vielleicht eine Aushilfe. Weitere Fragen tauchten auf: hatte er Wanda zu Recht mißhandelt? Darüber konnte kein Zweifel sein. Er sah alles noch immer so klar, als ob er den Vorgang mit Augen erblickt hätte. Ihr ganzes Verhalten, auch als er sie schlug, konnte man nur als ein volles Geständnis auffassen.

Da hatte sie um Erbarmen gefleht: Nie mehr werde es wieder geschehen! Sie gehöre ihm zu, sie liebe ihn! Nur einmal noch möge er ihr vergeben, und er werde an ihr die treueste, ergebenste, gehorsamste Frau haben! Ausrufe, flehende Bitten, Beschwörungen, Schwüre, die indes seine Wut nur steigerten und die Wucht seiner gnadenlosen Züchtigung.

Vielleicht: wenn sie alles geleugnet hätte . . .?

Aber schließlich, plötzlich ward Haake weich und brach mit Heulen und Zähneklappern zusammen. Er schluchzte und flennte wie ein Kind und bekam am Ende das Schlucken, das sogenannte Bockstoßen.

Hernach mußten Wandas Kleider herhalten. Es war Fetischismus, was er mit ihnen trieb. Er umarmte, er küßte, was er von ihnen zu packen bekam. Wandas Schuhe preßte er an die Brust, an den Mund. Hüte, Hemden, Strümpfe, Strumpfbänder, Schuhwerk, Pelze, Abendkleider lagen in der ganzen Wohnung verstreut, als er sie am späten Nachmittag, in Angst vor dem Fegefeuer der Dämmerung, vor der nahen Hölle der Nacht, verließ, Hals über Kopf die Flucht ergreifend.

Der Dämon bekam Gewalt über ihn. Das unerträgliche Elend seines Zustandes machte ihn lechzen nach Betäubungen. Er verkroch sich in eine jener Spelunken, wo irgendein unsauberes Mensch den Gast bedient, der sicher ist, daß ihn hier kein Freund aus der guten Gesellschaft aufstöbern wird. Hier goß er Bier und Schnaps in seinen Jammer, in seine Verzweiflung hinein. Er trank und trank, als ob er Wanda, Willi Maack, seine Arbeiten und Entwürfe, seine Professur, seinen Schmerz, seine Qual, seine Martern, seinen Glauben, seine Hoffnungen, das Bild seiner alten Mutter, kurz: alles und alles, was seine Phantasie beherbergte, in Bier und Schnaps ersäufen wollte.

Das ging so fort, bis ihm von Seiten des Wirtes der Stoff gesperrt wurde.

Er irrte nun in den Straßen umher, immer geflissentlich Richtungen einschlagend, die ihn weiter und weiter von der Gegend seiner Wohnung entfernen sollten. In einen Vorstadtkeller, aus dem er Lärm und Gebrüll hörte, trat er ein. Hier konnte er sein Gesäufte fortsetzen. Noch war er nicht so besinnungslos, daß er sich über die Gesellschaft täuschte, in die er durch Zufall geraten war: Stromer, dunkles Gesindel aller Art, das seltsame Worte in seine Sprache mischte und die Beute verschleuderte, die ihm durch Bettel, Taschendiebstahl, nächtlichen Einbruch zugefallen war.

Ohne zu wissen, wie er dorthin gekommen, fand sich Haake am Morgen außerhalb der Stadt, am Arm irgendeines verlausten Kerls, der auf alles einging, was der Bildhauer mit lallender Zunge Verworrenes sagte, ihm dabei immerfort gut zuredete, aber ihn schließlich mit einem Stoß in den Straßengraben beförderte, als Haake Verdacht schöpfte, in störrischem Eigensinn nicht weiterwollte und stehenblieb. Dort lag er, bis er am späten Abend wiederum aufwachte. Er war ernüchtert, hatte wütende Kopfschmerzen, übergab sich, fand sich seiner Uhr, seiner Barschaft, seiner Diamantnadel und seines Eheringes beraubt. Die Verluste ließen ihn vollständig gleichgültig. Er grübelte nur darüber nach, wie unumgänglich und widerwärtig es sei, noch einmal zurück in die Wohnung zu müssen, um sich mit Geldmitteln zu versorgen. Er schlich wie ein Dieb in die eigene Wohnung ein, raffte mit der Hast und dem bösen Gewissen eines Einbrechers alles Geld zusammen, das im Hause war, und was etwa Wanda an Schmuckstücken nicht mitgenommen hatte. Eine Droschke brachte den vom Dämon der Trunksucht Befallenen zur Bahn, da er hier in Breslau die Dazwischenkunft Willis oder anderer Freunde fürchtete, die ihn vielleicht gewaltsam vom Trinken abhielten, die vielleicht nicht wußten, daß er sich sogleich eine Kugel durch das Hirn jagen müßte, wenn er nicht trank. Er fand ein Dorf, er fand einen Kretscham, in dem er sich niederlassen und unter den Augen eines ehrlichen Bauernwirts trinken, trinken und trinken konnte.

 


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