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Ein seltsames Geschlecht – diese Denker und Grübler, und alle, die hoffen, es könnte mit Gedanken sich lösen, was jeder fertig leben muß, um es zu lösen und doch ungelöst dem andern weiterzugeben, daß er es von neuem in Freud und Leid ins Ungewisse erledige, gar nicht anders. Denn das Denken ist ein Maß, und das Leben hat kein Ende.
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Alles Wissen über die Dinge draußen muß eingeschränkt sein durch streng begrenzte Zwecke. Zur Einheitslehre kann ein Wissen nur werden in seiner Beziehung auf die unabsehbare Aufgabe »Mensch«. Eine Metaphysik der Dinge ohne den festen Anker »Mensch« heißt in einem uferlosen Meere treiben. Die letzte Bestimmung des Menschen ist Einheit, und in seiner Einheit allein findet das Chaos seine Ordnung. Alle »Mächte« tauchen aus der Quelle »Mensch«, daß immer wieder der Mensch sich darin gesund bade für seine unendliche Bestimmung. Ein wahres Wunder ohne Ende.
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Menschenforschungen müssen wir treiben. Aber Namen und Begriff vergessen. Wenn wir eigentümlich wachsen wollen am Leben, müssen wir uns Welt und Mensch und Dinge erschauen – und nicht bloß mit den Augen.
Namen ordnen ein. Denkgüter sind Gesellschaftswerte. – Schauen macht frei. Schauensgüter sind wahres Eigentum.
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»Wirklichkeit«
Ein Denker sagte mir einmal in einem Gespräch über die Wirklichkeit spöttisch: »Jeder Fischer steht der Wirklichkeit zehnmal näher als ich.«
Er sagte Wirklichkeit und meinte: Die Kenntnis des Bootes und der Hantierungen mit Rudern und Segeln in Stürmen, die Kenntnis von Wind und Wetter, Wolken und Lüften.
So hätte er auch sagen können: »Die Wanze steht der Wirklichkeit zehnmal näher als ich«, wenn er nämlich nur die Wirklichkeit der Menschenhaut, all die minutiösen Erkennungen ihrer Unebenheiten und Dünste meinte. Denn die menschlichen, tastenden Finger erkennen und durchdringen nicht so im Kleinen, wie der Wanzenrüssel.
Aber das Vollbild der Wirklichkeit, wie es der schauende Mensch sich erträumt, will die Erfahrungskreise des Fischers und der Wanze mit umfassen.
Der schauende Mensch will die gesunde Tat des Fischers und die schöne Wirklichkeit seiner männlichen Hantierungen und kühnen Lebensgefühle nicht vergessen, und will auch mit den Augen des Kleinsten eindringen und mit dem Getast und dem Spürsinn des winzigsten Lebens in die verborgenen Ereignisse und innigen Werte dieser Welt.
Die Wirklichkeit, die der schauende Mensch träumt, ist nicht die Welt eines einzelnen Sinnenscheines. Es kann nur die überhaupt als Sinnenschein mögliche Welt sein–: als Sinnenschein von ungezählten Leben in Erde und Tiefen, Licht und Lüften, im weitesten Umblick und in engster Zelle –: die Wirklichkeit der stummen Pflanze, des schwimmenden Fisches, des schwebenden Vogels, auch die nahe Welt des augenlosen Wurmes –: aber eingefügt alle diese engen oder weiten, dunklen oder lichten Welten in die eine umfassende, lichte Welt des Geistersehers.
O über den Bettler an den vollen Ufern von Himmel und Wassern, der mit geschlossenen Sinnen hinausfahren will nach dem einen, weiten, sinnvollen Geheimnis.
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Eine unglaubliche Täuschung des Intellektualmenschen besteht darin, daß er sich und andere glauben machen will, er steure auf ein bestimmtes, klar erkennbares Entwicklungsziel los, als ob er ein solches Ziel voraussähe, und als könnte er damit alle Zeiterscheinungen messen. Und doch ist alle schöpferische Entwickelung gerade so ganz unvorhergesehen im Persönlichen, wie im Ganzen, und immer eine Neuheit nicht nur für den Genießer, auch für den Schöpfer. Nur Intellektuelles läßt sich vorher sagen. Nur was sich vorher denken läßt, läßt sich vorhersagen. Aber der Gang der Ereignisse ist ein Ungedachtes und paßt kaum in den engen Rahmen verständiger Maße. Wer konnte Goethe, wer Michel-Angelo, wer Beethoven vorhersagen? Aus denen immer neue Ahnungen von Menschenaufgaben, neue große Ausblicke und Fernblicke, neue Menschenmaße sich auftaten? Selbst die großen Erfindungen waren Überraschungen und Zufälle, waren ein Überflüssiges für den Verstand, wenigstens hatte sie der Verstand nicht gedacht, kaum die Ahnung hatte sie gesucht.
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Ihr wartet immer auf die Zukunft und glaubt an ein Draußen. Und es ist doch immer nur in euch – und kann nur aus euch genommen werden, was euch heilen kann. Es ist ein fürchterlicher Popanz: Entwickelung von der Zeit gebracht und von außen bemessen! Nie ist die Entwickelung. Immer nur Auswickelung.
Enthüllt euch! Dringt durch zu euch! Erringt das letzte Mögliche in euch!
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Unsere Zeit ist arm, weil sie intellektuell zu reich ist, und der Intellektuelle alles von außen erwartet.
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Man muß von innen nach außen lernen. Die meisten lernen von außen nach innen: Meister und Stümper.
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Einheit ist mir nicht mehr nur Kategorie, mit der ich denke. Sie ist innerstes Wesen, mit dem ich schaue.
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Je mehr sich mir die Welt im eigensten Erlebnis erweitert und vertieft, desto luftiger erscheinen mir alle verbindenden Theorien. Die wahre Brücke aller Daseins und Erkenntnisklüfte heißt immer wieder Mensch.
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Wahres Wissen
Nur der tausendste Teil des wahren Wissens kann sich mitteilen. Nur immer einen Zipfel des Schleiers kann Wort und Weise lüften.
Wir müssen uns immer wieder auf die Person besinnen, um zur Einstimmung alles Wissensstückwerks mit der Macht der Wirklichkeit durchzudringen.
Furchtbar der Irrtum des ausschließlich äußerlichen Weitergebens!
Wunderbar immer wieder, das Entzünden des Persönlichen an der Person, der Flamme an der Flamme.
Es ist die Verblendung unserer Zeit, daß das Wesen und Ereignis der Person erst in Henkeltöpfe gebracht, auf den Markt getragen und verkäuflich sein müsse; daß nur gilt, was marktgängig und gemein werden kann.
Persönlichkeit, das unteilbare, große, stumme Feuer. Die tausend Flammen schlagen hoch und singen und wärmen, und nehmen tausendfache Gestalt an.
Setzt euch darum! Starrt in die Flammen! Sinnt und staunt in sie und in euch! Denn ihr seid es.
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Was ist ein Evangelium, das uns nur im Ohre klingt! Was eine Offenbarung, die nur aus Worten tönt, nicht aber aus Fleisch und Bein! Was eine Lehre, die nicht unsere Geschäfte durchdringt, in jeder unserer Handlungen gegenwärtig und als innerste Macht fühlbar wird! –: »Es sei denn, daß ihr von neuem geboren werdet!«
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Wir von heute glauben nicht mehr an die Bekehrung der Persönlichkeit – anders denn von Bluts wegen. Wollen wir eine Philosophie einflößen – anders, als daß wir das Blut in die Idee hineinwachsen, das System eine Wahlanziehung und Anlockung fürs Blut sein lassen? Von diesem Gesichtspunkt aus muß sich unsere ganze Verfahrungsart Welt und Menschen gegenüber ändern. Oder lag nicht in Krieg und Kampf diese Ansicht schon deutlich ausgedrückt? und war nicht der fromme Glaube an Wort und Lehre allzeit ein wenig Windbeutelei? Nun das wäre das Neue unserer Zeit, daß nicht nur gute Seelen hoffen, es könnte ohne blutigen Krieg – auf irgendeine friedliche Art glücken. Nur die Natur wird sich ihre ultima ratio, den Tod, nicht entwinden lassen.
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Wir kamen auf Nietzsche. Ich ging davon aus, daß ich zwischen monumentalen und ornamentalen Geistern unterschiede, und daß ich in Nietzsche einen monumentalen Geist nicht finden könnte – und keinen Geist des schöpferischen Affektes, so sehr er Lachen und Tanz und Leichtigkeit gepriesen hat. Wenn ich ihn früher las, habe ich mir immer einen Mann vorstellen müssen, der mit erhitztem Kopfe zu mir redet, einen Mann in Erregung, nicht in Verzückung. Man denke ihm gegenüber die stille, abgeklärte Größe eines Platon, dessen Dialoge in Reichtum und Gliederung einherfließen, wie Beethovens Sonaten, in sich versunken, ganz in dem eigensten Geheimnis der Sache befangen, in sich und ihrer Fülle ruhend und emporwachsend: nicht Beethoven, nicht Platon, sondern Idee und Klang, und mehr wie das, das Tiefste und Herrlichste aus jener Welt. Aber in Nietzsche war allzeit einer, der neben seiner Ideen- und Formenwelt herlief, und manchmal mit den Fingern, wie ein Gassenbube, darauf wies, lachend und höhnend, manchmal wie ein müder Kranker sie verächtlich entwertend, manchmal wie ein Wütender mit der geballten Faust dagegen rennend, wie gegen böse Schatten, oder auch wie ein Zauberkünstler mit ihnen mit mephistophelischer Miene jonglierend. Kein Zweifel, seine Ideen und Formen waren in einer großangelegten Seele, aus flutendem Lebenskampfe geboren, es handelt sich bei ihm allezeit um köstliche Dinge. Man muß zugeben, daß es Brillanten waren, die er ausgestreut. Und man kann sich mit Brillanten schmücken. Er hat sie üppig ausgestreut, genug für viele Bettelleute, die plötzlich wieder Ideen haben in heller Menge. Ja, mit Brillanten kann man die Seele schmücken. Aber monumentale Geister sind Felsen, auf denen die Seele festen Fuß und festen Grund findet. Und das sind ornamentale Geister nie. Nietzsche hatte Fülle und Glanz und Schönheit, auch wahres und tiefes Erlebnis auf Schritt und Tritt, aber die eherne Ruhe und das schlichte, notwendige Wahre fehlten ihm – und wahrhaft überlegnes Schauen und Bauen mit dem freundlich lachenden Blick aus der Höhe auf die kleine Welt, und mit dem weiten Auge des Schwärmers, wenn die Sonne sinkt. Denn Nietzsches Schönheits- und Wahrheitswelt wurzelt nicht in den Lichtgründen der Menschenseele, wie bei Goethe, Beethoven, Michelangelo, sie wurzelt in vergifteten, gewaltsamen und gespannten Affekten, die grotesk aufwuchsen und ein launisches Spiel trieben. Deswegen mag man ihn bewundern, wie man ein glänzendes Feuerwerk bewundert. Aber um unser Menschenleben zu erleuchten und zu erwärmen, wird nur ein Kind oder ein Narr nach Sprühsonnen und Leuchtkugeln greifen.
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Gestern abends Fahrt mit L. Eine goldglühende Scheibe hinter bläulichen Abendbergen mit eitel Glanz und Strahlen und Sonnendunst das Tal überflutend. Wir kosteten die Abendstille, und unsere Seelen fingen an das Schäferglück mit zu fühlen, das rings um uns gebreitet lag – leuchtende Wiesen, schattende Eichenhaine, braune Kühe am Wasser, Hirtenjungen die sangen, Leute im Grummet, und über allem – im goldenen Äther – hoch – Schar um Schar, aus allen Windrichtungen des Tales – langgedehnte Züge von Staren, die auf- und abwogen im Sonnengolde – geschlossene Schwärme, die eiliger huschen – kleine Trupps, die sich verspätet – alle ziehen mit einem Ziele heran, alle fallen nieder im Schatten eines Eichenhaines. Und jeder Zug, wie hoch im Licht und Raum senkt sich plötzlich weich hernieder, immer wieder über jenem Haine. Im ganzen weiten Tal der eine Sammelplatz. Wir schauen uns nach allen Seiten um und sehen noch von der Ferne das wunderliche Schauspiel. Und wir grüßten die scheidende Sonne, empfanden das Wunder des Wandergeistes in den Herbstlüften, immer wieder derselbe Trieb denselben Weg in demselben Vogelkleid, immer wieder dieselbe Sehnsucht in demselben kleinen Vogelherzen. Und wir empfanden das Leben und die Welt eins und rätselhaft zugleich und wußten kaum im Fühlen und Schauen, wo in dem ewigen Erneuen der Tod seine Stätte hat, wie jemals die Finsternis den Lichtstrom dämmen und verschlingen sollte, wie die Nacht dem Tage und der Sonne gebieten wollte, komme nicht wieder; welch Titelchen der Tod der ewigen Flutwelle der Verjüngung rauben könnte: der Tod, diese schreckhafte Maske der Verjüngung. Denn die Welt bleibt eins, in welchem Kleide wir atmen und fühlen, und ein Wesen drängt in allem Leben.
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Mir wird die Welt immer mehr zur Einheit, und ich kann mich immer weniger daraus verlieren – mich und alles, was mir gehört, auch meine Toten.
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Es gibt Menschen, still und ewig versöhnt, die suchen Erlösung ohne Haß und Gram, Harmonie, die allem Lärm ferne klingt. Für sie liegt im »Glück« das Heil der Welt. Sie schwärmen. – Aber vielleicht ist Ordnung nicht Glück, die große Ordnung, wenn wir einer dienen, nicht Glück. Vielleicht ist das Rätsel unseres Lebens aus tausend Gefühlen von Leid und Hoffnung, Glück und Kümmernissen, und wie sie alle heißen, gewoben. Und das Alleben, wenn es im Großen Ordnung ist, ist vielleicht nur die Ordnung, die sich aus der Wirklichkeit aufbaut, aus Lärm und Staub, nicht gegen diese Wirklichkeit aus Duft und Traum: eine Riesenaufgabe ringender Kräfte, die endlich in Sphärenklängen zusammentönen. – Nichts außer dieser Welt. – Wir sind zu Kämpfern geboren. Wir müssen die Scholle lieben, weil sie Staub und Erde ist, und das Leben, weil es Qual und Freude einschließt. Wir müssen aus Lärm Chöre, aus Steinen Tempel, aus Worten Werke machen und nicht die Wirklichkeit hinter künstlichen Sonnendunst verschleiern.
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Heilige das Leiden, wenn du handeln willst. Allen echten Biedermännern ist das Leiden eitel Teufelei.
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Jede Kerzenflamme wirft einen Schatten im Sonnenlicht. So sind alle Dunkelheiten nur Schatten der Vereinzelung.
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Es muß so viel Ungerechtigkeit in der Welt geben, wie Ungradheit in der geraden Linie steckt, die ich mit Kreide ziehe. Wer diese Ungradheiten wie mit einer Lupe sieht, hat zu scharfe Augen. Wer sie gar aus der Welt schaffen wollte, wird zum Narren.
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Jedes Wesen, das lebt, findet Wesen, die es aufzehren, jeder Ton, der klingt, Töne und Harmonien, jeder Geist Persönlichkeiten. Es ist ein unaufhaltsames Durchdringen und Fortwachsen durch Geist und Leib.
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Das Weltleid ist ein allgemeiner Begriff, das heißt eine Chimäre; weil niemals die Welt, immer nur der Einzelne wirklich leidet. Das wirkliche Leiden ist immer nur begrenzt im engen Becher der Vereinzeltheit. Und das Maß dieses persönlichen Leidens läßt sich durch Aneinanderreihung nicht um ein Jota steigern, noch vertiefen. Die Welt an sich ist in Wirklichkeit nicht Freude noch Leiden, sondern eine weite Ordnung. Und Lust und Schmerz ist nur im engen Teil Ordnung ein winziger Teil.
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Das Schauen und Herausarbeiten der großen Linie im Erkennen ist ein eigenes Geschäft und eine eigene Verantwortung. Es ist alles viel einfacher in der Welt, als der Fachpedant meint. Viel Wissen macht noch gar nicht viel erkennen. Und die große Linie der Erscheinungen hat nichts zu tun mit ihren tausend kleinen Ornamenten. Aber zum Ergreifen der großen Linie gehört ein schlichtes sich Besinnen auf das eigene Menschliche im Erkennen und Erleben, nicht ein sklavisches Fortspinnen einer erstarrten Erkenntnistradition. Das sich Besinnen auf das eigene Menschliche bedarf zum Ausdruck schließlich auch der eigenen Methode, wie jeder persönliche Wert und gehört den besten Geistern. Alle Traditionen fußen auf solchen eigenen Erkenntnisereignissen und – Erlebnissen.
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Weltanschauen
Das Auge sieht in mittleren Grenzen, umfaßt nicht die Welt und dringt nicht in sich.
Die Sphäre des Auges ist wie die Sphäre der Flamme. Sie hat das große Dunkel um sich und in sich, aus dem sie aufsprang. Und das Größte, wie das Kleinste, sind dem Auge unsichtbare Wesen, die Welteinheit, wie das Weltelement sind ihm die letzten Rätsel.
Das Auge dringt nicht in die Person, in der uns Menschen die lebendige Einheit Ereignis wird. Denn so dürftig das Persönliche auch ist, so gibt es doch für uns nichts, was wirklich höher stünde an Ordnung, wenn auch nicht an Macht. Aber das Auge haftet an der Oberfläche. So siegreich bewaffnet es sein mag, es dringt nicht zur Persönlichkeit, nicht im Großen der Welt, nicht im Kleinsten – es dringt nicht in sich, wo allein das Reich der lebendigen Einheit für uns wirklich ist.
Und Gott suchen –: heißt die Schranken der Welt ins Unendliche auftun wollen, die lebendige Einheit schauen wollen, dort, wo Auge und Ohr und kein Sinn reicht.
Aber im Großen, wie im Kleinen ist jenes Wesen, das herausschaut aus sich und alle Fülle und Einzelheit in Einheit zu sich zieht, – wenn wir es auch nicht mit Augen sehen. Das Wesen der lebendigen Welteinheit im Größten ist sicher auch im Kleinsten wirklich, lebendig und tätig. Es ist unser eigenstes Wesen, das schaut – mit dem wir schauen, freilich auch durch Augen, – mit dem wir das Menschenmögliche umfassen.
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Was die Welt aus sich ist, ist sie auch im Teil. Das Ursprüngliche der Kräfte und Vorgänge ist nie durch Mitteilung in den Dingen, nur aus sich und durch Verwandtschaft.
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Es gibt nicht ein Draußen und ein Drinnen. Es gibt nur ein Sein in Einheit. Und jedes Wesen und Ding ist Ganzheit und Teil. Und wo es aus einer Einheit ausfällt, sinkt es in die andre hinein. Und keines kann aus seiner Einheit fallen, es sänke denn in die Einheit der Welt zurück.
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Das Universal
Das Universal nennt es Jakob Böhme.
In der Tat ist jedes Leben ursprünglich solch Universal, darinnen alles ruht zur Verblendung und zur Heilung. Jedes Leben ist ursprünglich ein vollkräftig Leben, in dem alles in Einigkeit liegt, was die Kultur in Sonderverrichtungen zerrissen hat.
Einig Denken dachte im ursprünglichen Menschen, der im natürlichen Kreise tätig war, und erfüllte sich in seinem natürlichen Kreise.
Einig Dichten und Träumen träumte und dichtete im ursprünglichen Menschen und umrankte seinen natürlichen Tatenkreis, verband sein Ereignis mit Erde, Sonne und Sternen.
Einig Erkennen, Schauen und Anbeten betete und schaute und erkannte im ursprünglichen Menschen und setzte im religiösen Sinn und Leben den Schluß der großen Einigung des menschlichen Wirkens und Tuns; so daß jedes Menschen natürliches Tun aus tieferen Quellen der Erkenntnis und Anbetung Licht gewann und wuchs.
Jeder trägt heimlich noch immer das Universal.
Aber unsere Pfarrer und Gelehrten und Philosophen und Dichter treiben heute Sondergeschäfte.
O ihr Fachmänner, die ihr hier lebt und dort tut, zersprungen und zerschlagen, wie schöne Schalen in scharfkantige Stücke oder gar in dumpfe Scherben!
Weltanschauung
Weltanschauung ist etwas Unwägbares.
Weltanschauung läßt sich nicht aufzeigen.
Weltanschauung verrät sich. Man bekommt ein Gefühl von Weite des Horizontes, wie in der Höhe auf einem Berge.
Man fühlt einen Kenner der Seele, einen Führer in Hölle und Paradiesen, einen, der in Stürmen Halt gibt.
Man glaubt, daß er auf den Fels durchgegraben und Grund gefunden hat.
Man kann sich ihm ergeben.
So und nicht anders kann Weltanschauung sein, nicht ein wenig Wissen mehr oder geringer, um ein paar Sonderlehren des modischen Erkennens.
Weltanschauung war immer das Kennzeichen des Großen, das Grundwesen des Sehers.
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Vielleicht sind alle Sonderungen und Vereinzelungen des Seelenlebens und Ichlebens nur Phasen des Weges, zum Erlebnis des Ganzen, der Welteinheit, nicht als Problem, sondern als Erfüllung durchzudringen.
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Unsere menschliche Persönlichkeit ist beschränktes Für-sich- und In-sich-sein mit unendlicher Tendenz, den Indizien der Gliedschaft. Das Ganze der Weltordnung ist ein Für-sich- und In-sich-sein ohne alle Tendenz, weil es keines weiteren Ganzen Glied sein kann. Deshalb ist es müßig, die Frage des Persönlichen dabei zu stellen.
»Gott«
Was ist Name und Begriff anderes, als nur ein Handgriff der Dinge und Erlebnisse, die nirgend recht und absolut zu packen sind. Was ist alles Heidentum anderes, als sich abhängig fühlen von tausend Mächten, die der Mensch untereinander nicht in Beziehungen sieht, deren Zusammenhang sich ihm noch nirgend offenbart hat? Was kann Gottesglaube anderes bedeuten, als daß dem Menschen endlich der innige Verein von Wesen und Dingen sich klar dargetan, und daß er nun das höhere Gesetz dieser Einheit als Sinngebendes auch für sein Dasein und so als letztes, dunkles Machtgebietendes über sich empfindet: Persönlicher Gott für den, der sich mit der menschlichen Charakteristik zufrieden gibt; fundamentalstes Rätsel für den, der im Blute den ewigen Menschheitsharm trägt, das Unbegreifliche begreiflich zu machen. Nachdem die Welt in Einheit sich dargetan, die einzelnen Ereignisse und Mächte ihre Selbständigkeit eingebüßt hatten, und mit der Verfeinerung der Vorstellung ihrer Einheit in fortschreitendem Grade, mußten Götter über Dämonen, mußte Gott über Götter siegen, mußte endlich auch die Philosophie der Theologie den Rang ablaufen, den Eingott seiner menschlichen Charaktere entkleiden und ihn zum Problem der Welteinheit erheben.
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Ich habe oft ein ganz klares Gefühl, wie uns unsre Ichheit beenge und unsre wahre Grenzensetzerin ist inmitten der weiten, abgrundtiefen Welt. Denn jene Welt ist – sicherer, als ich in ihr bin, aus ihr wurde und in sie sinke. Aber ihr Einheitswesen ist mir Geheimnis. Die Ordnung dieser großen Welt ist mir dunkel. Die kühne Zwecksetzung eines Geistes, der sein Einheitswesen darin fände, ist mir verschlossen. Aber deuten hieße hier: alle Wasser in ein enges Bett sammeln, Gebirge und Sterne in Kästen bewahren wollen. Deuten ist für den engen Zweck der Notdurft. Wer will deuten, wo die Schranken der Notdurft nicht mehr gelten? Wir müssen vor dem Rätsel Halt machen, und unsre ewigen Gründe achten.
Persönlichkeit
Den kleinen Unterschied des Wesens, den man Ich nennt, muß man vergessen um der Persönlichkeit willen, die nicht Ich, die Tat und Werk ist.
Selbstlinge betonen ihr Ich.
Wahre Persönlichkeiten suchen mit der nachdrücklichen Kraft des Selbstlings Tat und Werk.
Selbstlinge jagen Launen und Genüssen nach.
Persönlichkeiten der mutigen Darstellung des höchsten eigenen Gesetzes.
Selbstlinge lassen sich gehen und tun das Bequeme.
Persönlichkeiten ringen in strenger Obhut ihrer selbst vorwärts und gewinnen in der Tat die Darstellung vollkommener Menschheitsmaße.
Die Säulen deines Tempels
Den Mut haben, immer von neuem alle Mauern einzureißen, alles Denken an sich und über sein Selbst, über alles Wesen und Atmen rings umzurätseln! Nie Schule und Gewohnheit denken! Gefühle haben – und daraus Rätsel stammeln, und zeitlich und flüchtig Antwort geben – für eine flüchtige Stunde. Denn die Antworten der Wissenden dauern auch nur drei Tage – und nicht aus Dauer ihrer selbst, nur aus der Trägheit der Trägen.
Und wenn du nun heute frei und neu sein willst – du, den ich in mir trage? – Die Säule deines Tempels mußt du stürzen, wie Simson, und diese Säule heißt–: die Persönlichkeit.
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Wesen und Worte
In einem System von Zeichen und Worten sitzen wir, wie die Spinnen im Netze. Das Hin und Her in diesen abgezogenen Werten – das macht unser Leben. Wir sind Staatsmenschen, Gesellschaftsmenschen und haben aufgehört, Naturwesen zu sein.
Himmel und die Sterne sehen wir noch und bewundern sie wie eine schöne Dekoration, aber sie greifen nicht mehr ins leidenschaftliche Leben. Wasser trinken wir. Wir wissen, was es ist, und sind zufrieden, es für ein Chemikal oder flüssiges Mineral zu halten und nichts weiter. Das Licht leuchtet uns. Wir können mit einem Fingerdruck tausend Glühflammen aus dem Dunkel wecken oder für Pfennige hundert Flämmchen aus kleinen Hölzern emporbrennen lassen. Was Licht ist, sagt uns das Wissen und die Gewohnheit, und wir sind zufrieden, es für eine Energie zu halten und nichts weiter. Wir wissen alles – und wir werten es wenig. Die Liebe zu den großen Wesensdingen ist uns verloren. Die Dinge wirken gar nicht auf uns. Wir genießen sie meist in dem engen Becher des Begriffes. Wir sind aus den Gründen der weiten Welt wie Pflanzen aus Felsen hervorgekrochen. Aber wir wissen, was Pflanzen und Erdboden und Licht und Luft ist, und sind es zufrieden. Wie ein schlechter Sohn, der gleichgültig auf die ewige Hilfe und Tat der reichen Eltern baut, ohne sie zu lieben, so sind wir befriedigt, wenn wir nur mit Sicherheit über die Dinge verfügen, nichts weiter. Wir sind Staatsmenschen. Wir sind auf Wort und Wissen gestellt, wir finden uns eingeengt in eine Welt von Begriffen, die der Notdurft dienen und im Zwange der Notdurft der Massen aus den wirklichen Dingen entstanden sind. Aber wir haben vergessen, daß ein jeder von uns einmal, ein ganz Einzelner, aus dunklen Gründen aufgestiegen ist, urverwandt im Blute mit Fels und Wasser und Fisch und Vogel. Wir haben vergessen, daß in Wahrheit alle Dinge Naturdinge sind und daß auch im Natursinne unseres Lebens die wahre bauende und nährende Macht des Persönlichen allein beschlossen liegt. Denn niemand kann auch nur eine eigene Sprache reden, dem nicht erst die Sinnendinge wieder reden, die große Sinnenwelt mit ihren Zeichen und Wundern, die zugleich zeugende und brennende Macht haben. Niemand kann ein Künstler sein, der nicht fernab von allem Herkommen und allen Namen in der weiten Sinnenwelt eine eigene, sinnliche Heimat gewann. Niemand kann vom Erkennen der Dinge etwas ahnen, der nicht das Wissen, an der Tiefe der Erlebnisse gemessen, als Stückwerk erkannt und es in sich selbst und nur in Beziehung auf sich zur inneren Einheit erhoben hat. Wer wollte anders auch sich in sich zurückfühlen bis ins Ein und All, in dessen leibhaftigem Wunder verstrickt wir unser Leben leben? Wer wollte zur Ehrfurcht kommen? Wer wollte anders wieder ein echt religiöser Mensch sein, nicht einer, der die unwirklichen und unsinnlichen Gedankendinge und engen Theorien – nein, der die machtvollen, grenzenlosen, allgegenwärtigen, alldrohenden und allgütigen wirklichen Dinge um uns und in uns anbetet?
Deine Mütter
Alle Wesen sind in einem jeden.
Alle Mächte leben in einem jeden.
Alle Sehnsüchte drängen in einem jeden –:
Stein sind wir. Der Stein spricht in uns.
Pflanze sind wir. Wir wachsen in einer Menschenmutter, wie die Knospe am Strauch, ziellos träumend. Die Pflanze spricht in uns.
Raumwesen, Licht und Feuer, alles lebt und spricht in der Sprache unsres Mundes und drängt im Gefühl unsres nie gedachten Schicksals.
Windhauch sind wir – und schwer wie Felsen.
Alle Dinge haben uns in unser Blut das Geheimnis ihres Tages und ihrer Nacht verraten.
Der Blitz zuckt in uns – und die Trauer der finsteren Wolke.
Der Bach plaudert in uns – und wir zerschellen wie eine Springflut.
Aller Geheimnisse Sinn lebt in unserm Leben:
Offenbare die Sprache von Blitz und Stein, Feuer und Wolke – deiner Menschwerdung Sprache aus zeitlos abgrundtiefem Dasein!
Alle Dinge sind deine Mütter!
O sprich deiner Mütter Sprache – deine Muttersprache!
Singe das Lied von deinem Leben!
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