Carl Hauptmann
Nächte
Carl Hauptmann

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Viertes Kapitel

Jetzt gab es einige gute Zeiten.

Claus Tinnappel war ein straffer Mann. Oder besser eine ehrliche Haut und ein fester Sinn. Und es sprang aus den Augen Clausens auch in Salies Augen hinein, daß sie wie eine Braut einherlief, die Glückliche spielte, überall wie ein vornehmes, gesittetes Mädchen auftrat, wo sie es gefällig fand, und vor den Dorfleuten und der kleinen, blassen Frau Rotkegel insgesamt etwas darstellte, was sie in dieser Zartheit noch keinem erschienen war.

Wie die großen Kastanienblätter den Vorgarten des Rotkegelschen Hauses bestreuten, und man raschelnd hindurch ging, wie die gefleckten Knollen beim Auffallen aus den Stachelfrüchten sprangen, und über dem Dorfe in den milchigen Lüften Scharen von Krähen kreischend dem Gebirge zuzogen, da war auch in Frau Rotkegel eine gelinde Beruhigung heimlich eingekehrt.

Die kleine Dame, scheu wie sie immer unter ihren Glasservanten und Truhen in dem weiten Schatzhause umging, begann sich an den Anblick Tinnapppels langsam zu gewöhnen. Hatte sie die Sommer- und Herbstmonate noch gewünscht, daß Claus nur wie zufällig ins Haus käme, so duldete sie, wie die Winterzeit heran war, daß er bei Salie in der Stube saß, und daß der beiden Liebesleute Gespräch und Gekicher manchmal noch bis in die späteren Abendstunden in das feine, einsame Treppenhaus heraus hörbar blieb.

Und was das Beste war, und einen sehr versöhnlichen Geist zwischen Mutter und Tochter säte, das war die Willfährigkeit, mit der die zarte, verschleierte Frau Rotkegel viel schöne Dinge herbeischaffte, die bald Claus Tinnappel und der Tochter in ihrem eigenen Hause zu gute kommen sollten. Wie es Frau Rotkegel noch nie so lebhaft getan hatte, sann sie mit Salie an Einrichtungen und Kleidern herum. Und wenn einer im Winter, wo ein Paar Schneiderinnen an den Fenstern von Frau Rotkegels Wohnräumen saßen und eifrig stichelten, und die Maschinenräder ewig schnurrten, in das Rotkegelsche Haus eingetreten wäre, hätte er wohl gar die kleine Mutter Salies unter Leinwanden und Spitzen und feinen Seiden wühlen und mit ihren nie gestillten, fremden Blicken ratlos darin herum suchen sehen.

Unterdessen sauste Salie, in feinem, drallem Pelzwerk, angetan wie ein Jagdpage, mit schlanken Beinen, die in Ledergamaschen straff eingefügt standen, den dunklen, spanischen Kopf mit einem sammetnen, pelzverbrämten Federbarett bedeckt, im Arme Claus Tinnappels aus der einsamen Baude die Schneehänge jauchzend zu Tale nieder.

Toll war Salie noch immer.

Toll konnten ihre heißen, erhitzten Blicke noch mehr sein, sobald sie einsam in Claus Tinnappels strahlender Verliebtheit ging.

Auch wenn der Winter die alten und jungen Wetterfichten oben an den einsamen Kammhängen in tausende Urwelttiere und schlafende Adler verzaubert, und über die weiten Schneefelder verwunschene Zwergenhochzeiten im Dämmer huschten, auch oben unter den Reifriesen im Gebirge hing unversehens ihr heißes Begehren an Tinnappels Lippen und Leben.

In seinem Blute war dann auch die Kraft und das Jauchzen. In seinem Blute sausten und tobten auch Frühlingsstürme. Auch in ihm war dann eine Gewalt und Seligkeit ausgebrochen, die nicht leicht zu stillen war.

An einem dieser Abende waren Claus Tinnappel und Salie den Dorfweg vollends mit schwebenden Schritten niederstreifend, er ein Jägersmann mit dickem Fuchsmuff am Leibe, und sie in ihrem drallen Pagenkostüm, in die Dorfwirtschaft eingetreten.

Salie hatte schon von ferne die Musik angelockt.

Es war eine mächtige Dorfbrauerei, ein altes, breites Giebelhaus, das aus seinen hohen Saalfenstern auf die Dorfstraße und den Schnee Schein warf.

Es war Sonntags.

Und weil sich immer zu Feiertagen allerlei Leute aus der Stadt hier ihre Lust machten, hatte Claus, ehe sie eintraten, doch noch dawider geredet.

Claus Tinnappel war einer von denen, die in der Einsamkeit aufgewachsen, die Blicke fremder Menschen immer wie etwas Kaltes und Peinliches empfinden. Und außerdem fühlte er jetzt stets seine Glut für Salie beleidigt, wenn Neugier und Dreistigkeit über ihre auffällige Gestalt hinkroch.

Aber Salie wollte es.

Und im Grunde war augenblicklich durchaus nicht einzusehen, warum sie nicht hätten offen in die Wirtsstube eintreten und sich dort an einem der wachstuchnen Tische des hellerleuchteten Raumes niederlassen sollen.

Überwindung kostete es Claus immer noch ein wenig.

Aber es kam noch dazu, daß er sich in der Sonderlichkeit des auffallenden Wesens Salies, heimlich verlegen, doch auch sonnte. Und daß er an die vielen Blicke der Neugier nicht hatte denken können, ohne nicht auch eine Genugtuung zu fühlen, daß Salie, der reichen Frau Rotkegel Tochter und die einstige Erbin ihres Reichtums, seine Geliebte war.

So war also Claus Tinnappel, den lustigen Pagen an der Seite, doch in die weite, erhellte und durchlärmte Wirtsstube entschlossen eingetreten.

Salie sah sehr chick und erlesen aus. Claus benahm sich gleich wie ein großer Herr.

»Nach einer solchen Anstrengung wird Dir ein Glas Wein gut tun!« sagte er nur ganz wie nebenher und gar nicht geflüstert.

Er wählte mit einem flüchtigen Blick wie ein Kenner auf der Weinkarte und hing dann erst mit Hilfe des Kellners Salies Barett und seinen Hut und Stock sorglich an den Halter.

Salie sah sich keck um. Ihre Augen hatten Glut.

Im Nebensaal wiegte man sich.

Für Salie war das gleich ziemlich zerrüttend. Der Rauch, der sie umspann, nahm ihr vollends die Ruhe. Rauch mit Bierdunst und Ausdünstungen und Staub. Das kriecht ins Blut und ist wie Gift in den Sinnen.

Salie blinzelte lüstern in den Dämmer hinein. Sie blinzelte heute mit keinem Bedenken.

An einem Tische saß eine lustige Runde, Stadtherren in schwarz, die alle getrunken hatten. Einer, ein spießbürgerlich eleganter, kräftiger Herr, dessen Schnurrbart straff stand wie bei einem französischen Grenadier, und dessen Bartspitzen über das derbe Gesicht hinaus ragten wie zwei Pinsel, schien der Gefeierte. Er benahm sich sehr laut und sehr zuvorkommend.

Wie der Wein kam, lachte Salie ungebärdig. Claus Tinnappel war ahnungslos auf Champagner verfallen.

Das Auffällige der Sachlage, wie der alte Dorfkellner den Korken umständlich knallen ließ, brachte sie immer mehr aus dem Häuschen.

Claus Tinnappel war es unangenehm.

Und die Galle fuhr Claus noch mehr ins Blut, als Salies Blicke sich mit dem schnurrbärtigen Städter zu begegnen schienen.

Der gefeierte elegante Herr mit der roten Weste unter seinem Gehrock kam an Salie heran, sie zum Tanze in den Saal zu entführen.

Claus war gelinde gesagt empört.

Der Wein und der tolle Tag saß ihm ohnehin in den Sinnen.

Und Salie tanzte wie eine Süchtige. Sie schien den Mann gleich zu pressen, nicht nur er sie. Ihr Lachen, das ohne seiner zu achten, jetzt aus ihren dunklen, hitzigen Blicken in die Luft ging, hätte ihn beinahe um allen Verstand gebracht. Nur war jetzt gar nicht Gelegenheit, irgendwie zu Verstande zu kommen.

Claus Tinnappel wollte nur in den Saal, den Tanzenden nach.

Aber der Tanz kreiste. Er konnte nicht weiter. Er mußte den Tanzpaaren ewig ausweichen. So ging er rückwärts wieder in den Türrahmen zurück und gewann langsam Geduld.

Wein im Kelche ist kühl. Er lief zum Weinkelch und goß ein volles Glas hinunter.

Dann kam Salie auch wieder.

Aber noch in der Tür hatte sie sich neu zu dem Fremden zurück gewandt.

Der schnurrbärtige Riese schien ihre Hand noch immer nicht loszulassen, und ihre Hand immer noch wieder herzhaft zu drücken.

In dieser Nacht war mit Claus Tinnappel nicht mehr viel anzufangen. Er saß da und sah zornig aus. Sein offenes, junges Gesicht feuerte rot nicht nur von Wein und Wetter. Auch seine hellen Augen konnten brennen.

Salie hatte sich doch wieder noch besonnen. Obwohl sie zuerst nur höhnisch gelacht hatte. Sie begann ihm Flausen vorzumachen. Sie fing seine Füße unterm Tisch und preßte sie. Am Ende wagte sie doch nicht mehr in den Tanzsaal zu gehen, obwohl ihre Blicke immer noch einmal den Schnauzbärtigen suchten.

Claus Tinnappel benahm sich an dem Abend gradezu kindisch.

Er redete mit Salie kein Wort.

Alle Blicke in der Wirtsstube, die den Streit mit ansahen, amüsierten sich.

Claus verlangte plötzlich wie ein gestrenger Liebhaber den Aufbruch.

Als sie das Gastzimmer verließen, sandte Claus aus seinen hitzigen, vertrunkenen Augen einen gehässigen Blick nach allen Seiten.

Den schnurrbärtigen Fremden, der sich besonders verneigte, als Salie aufstand und drollig demütig Clausens Arm nahm, sah er mit durchbohrender Herausforderung an.

Erst wie sie beide auf der Straße standen, und Salie toll loslachte und ihn umhalste und mit sich zog, gewann er langsam sein Lachen wieder.


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