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Nach der Weihnachtszeit hatte Hieronymus van Doorn vom Bischof einen kurzen Urlaub in die Hauptstadt erhalten. Er war im Treppenhause Derer van Doorn und dann gleich im Treppenhause der Kroens gewesen. In beiden Häusern hatte er niemand angetroffen als Diener. Aber draußen auf der Straße im Menschengewühl war ihm der vornehme Hängewagen mit Herrn und Frau Kroen in Staatskleidern hinter spiegelnden Glasscheiben, offenbar vom Hofe kommend, entgegengefahren. Frau Kroen hatte erst ganz förmlich mit kaum fühlbarem, gnädigen Kopfnicken gegrüßt, hatte dann Hieronymus erkannt und lächelnd ein wenig zurückgeblickt grade, als auch der junge, verhärmte Priester sich nach dem Wagen noch einmal umgesehen, um nun auch seinerseits den Rundhut noch einmal tiefer und ergebener herabzuziehen.
Aber diese erste Begegnung hatte Hieronymus sehr erschüttert. Schon wie der an sich eingeschüchterte, unschlüssige Heilige vom Lande in dem Hoteleingang erschienen war, hatte der abgeschabte Portier eine Miene voll heimlichen Mitleids gemacht.
Den Priester hatte nur der eine Gedanke erfüllt, Frau Hartje Auge in Auge wiederzusehen. Und jetzt war sie soeben wie ein lichtes Bild der Einbildungskraft hoheitsvoll und fern über den Köpfen und dem Staube der Menge schwebend vorübergezogen.
Hieronymus war in menschenfremde Ratlosigkeit ganz eingesponnen durch Straßen und Menschengewühl weiter gehastet und derart ins Hotel zurückgekehrt.
Da hörte er, daß der Diener von Frau Kroen den Versuch gemacht hatte, ihn persönlich zu sprechen. Der gemächliche Portier legte ihm auch einen feinen, köstlichen Brief, den Frau Hartje selber adressiert hatte, ehrerbietig in die Hände.
Frau Hartje schrieb voll Huld: »Nein . . . Ehrwürden . . . daß Sie wirklich in der Hauptstadt sind! Sie werden hier nicht die Stille der Dünenhügel und die eintönige Gewalt der blauen Meerwogen finden. Nur ein zerfahrenes, menschliches Durcheinander. Und wenig Besinnung. Und noch weniger Halt. Der innere Mensch hat hier keine Rechte. Man lebt mit Augen und Sinnen draußen. Eine richtige Jagd nach Vergnügung. Wer im Strome steht, muß vorwärts. Kommen Sie trotzdem. Sie, der Sie nach dem Höchsten in Ihrer Einsamkeit die Flügel rühren . . . usw.«
Hieronymus las den Brief viele Male. Er dachte an Frau Hartje. Ein zehrendes Verlangen nach ihrer leibhaftigen, sonnigen Erscheinung quoll auf in ihm. Er las den Brief wieder. Er sog den reichen Duft, der von dem Papiere ausging. Er schmeckte fast die Lieblichkeit ihres huldreichen Grußes. Und wähnte, daß auch sie sich heimlich nach ihm sehne. Und war erfüllt, als wenn er nicht bei sich wäre, all die Stunden, ehe er vor Frau Hartjes helle, blaue, schwermütige Augen wirklich hintreten konnte.
Aber wie Hieronymus van Doorn am Abend durch das weit aufgetane, hellerleuchtete Tor einschritt, entlud Equipage um Equipage Herren und Damen in prahlenden Uniformen und kostbaren Kleidern. Scharen von üppig geschmückten Menschen liefen durch Treppenhaus und auf den Gängen.
Auch Hieronymus fühlte sich eine Weile wie gehoben.
Als wenn er ein richtiger van Doorn wäre.
Aber wie er wie zufällig an seinem Priesterhabit herabblickte. merkte er, daß er bis an den Hals schwarz zugeschnürt und ärmlich und dürftig aussah.
Hieronymus war im Zuge der Herren langsam bis zu Herrn Kroen selber durchgedrungen.
Es hatte ein lachendes Ins-Auge-blicken und ein kräftiges Handschütteln gegeben.
Dann befand er sich schon wieder an einer andern Stelle.
Da stand er eine Weile wie angewurzelt.
Eingeklemmte Monokles unbekannter Gesichter spiegelten auf ihn.
Die Uniformen in bunten Farben und mit goldenen Schnüren prangten und glitzerten.
Die nackten Frauenschultern in seiner Nähe, die blendend weiß schimmerten, machten ihn erröten.
Üppig quoll ein Arom von lebendigem, süßen Fleische und Blumen, wie in einem Orchideengarten.
Das alles ging ganz verwirrend in ihm hin.
Fast hätte er Frau Hartje dabei ganz vergessen.
Da hatte ein neuer Saal mit blinkenden Spiegeln und tausend warmen Kerzenflammen an Decke und von den Wänden und mit sprühenden Diamanten allenthalben über den Köpfen vor seinem schüchternen Blicke sich aufgetan.
Da sah er auch Frau Hartje. Sie selber noch heller als der volle Lichterschein, mit blitzendem Diadem, über den dicken, goldlichten Zöpfen. Die freien Schultern wie Blüten. Große, sprühende Steine an der Brust.
So ragte Frau Hartje mitten in dem blendenden Saale.
Und alles drängte zu ihr.
Auch Hieronymus kam langsam und fast zwangsweise immer mehr in ihre Nähe.
Die Herren, die großen Schmuck und viel Orden trugen, verneigten sich tief vor ihr. Sie küßten mit gebeugten Häuptern die behandschuhten Hände von Frau Hartje. Und Frau Hartje lächelte lieblich und stand leicht und gnädig ihren von Schmuck und Jugend schimmernden Kopf geneigt.
Hieronymus hatte sich gleich derart in ihren Anblick verloren, daß er vergaß, Schritte vorwärts zu tun. Er stand wieder eine Weile, ohne sich zu rühren.
Auch Herr Kroen ragte jetzt in Staatskleidern in der Nähe, das Monokle ins Auge gedrückt, das auch von vielen andern Männeraugen glänzte.
Und der junge, bleiche Hieronymus fühlte sich wieder eine Weile wie gehoben. Als wenn er ein richtiger van Doorn wäre. Aber wie er an sich herabblickte, kam er sich bis an den Hals schwarz zugeschnürt sehr armselig vor.
Hieronymus war jetzt doch bis zu Frau Kroen hindurchgedrungen.
Frau Hartje sah ihn mit demselben Lächeln an, das schon von ferne in ihrem Auge stand. Sie schien zuerst kaum zu wissen, wer er wäre? Nein . . . doch! Sie nannte ganz deutlich und kindlich seinen Namen. Sie sagte zu den Kavalieren, die dabei standen, mit allergnädigster Glockenstimme: »Das ist der Herr Pfarrer von unserm schönen Meeresstrande. Er hat mir einmal in schwerer Zeit mit seiner Gebetsinbrunst das Leben gerettet.«
Frau Hartje sagte das besonders ins gerötete Gesicht eines jungen Offiziers, der ein Prinz war.
Und der auch besonders unbändig darüber lachte.
Das alles erschütterte Hieronymus van Doorn wie eine unbegreifliche Phantasmagorie, darin er obendrein eine ziemlich schauerliche Figur zu machen begann.
Zumal er schon längst nicht mehr vor Frau Hartje stand und die von Glanz und Hitze geblendeten, fremden Gesichter, die um ihn waren, ihn jetzt alle spöttisch anzulächeln schienen.
»Das ist der Herr Pfarrer vom schönen Meeresstrande. Er hat mir einmal in schwerer Zeit mit seiner Gebetsinbrunst das Leben gerettet.«
Das unbändige Lachen des jungen Offiziers, der ein Prinz war, schien sich im Lichterglanze fortzusetzen und ihn aus allen Blicken zu höhnen.
Er sah sich jetzt von unten bis oben an, gehetzt und gepeinigt, daß er noch immer schwarz eingeschnürt dastand wie eine Krähe im lichten Weizenfelde, darin der Wind die vollen Ähren durcheinandertreibt.
Hieronymus war völlig in Verwirrung geraten.
Und wie er in seinem ziellosen Umgeschobenwerden zufällig irgendwo eine Tür entdeckt hatte, war er auch sogleich aus dem Wirrwarr hinaus geflohen.
Er war irgend wohin in eine Gasse gelaufen, um sich nur erst abzukühlen.
Die blendenden Säle bei Kroens standen in seinem inneren Auge noch immer wie eine Feuersbrunst in Weißglut.
Er konnte der Aufregung und der Schmach gar nicht Herr werden.
Warum er sich so erschöpft und erniedrigt fühlte, das wußte er nicht.
»Ach was!« dachte er nur, »alle verlachten mich!«
Und er lief schon, wo in der Hauptstadt die Hafenarbeiter ihre Schenken haben.
Musik von einem Dudelsack und einer Flöte näselte und pfiff aus einer Schifferkneipe, darin Blusenmänner und Soldaten mit blonden Frauenzimmern im spärlichen Lichte um die Eisensäule tanzten.
Er begann langsamere Schritte zu nehmen.
Dann saß er einsam vor einem unsauberen, rohen Holztisch. Seine Augen brannten vor sich hin.
In dem unheimlichen Gewölbe, darin er in einer halbdunklen Nische Zuflucht gefunden, stand neben dem mit Schinken und Rauchfischen, Austern und Käse besetzten Schenksims ein kolossales, schwarzes Faß.
Schifferknechte und Matrosen mit der dicken Wirtin in aufgesteckter Schürze saßen gegen die Tür im andern Winkel des pechschwarzen Raumes und lärmten.
Geräucherte Fische und Würste hingen von der Decke nieder.
Und angemoderte Flaschen alten, schweren Weines standen in den rauchigen Mauernischen.
Hieronymus ließ sich den teuersten, alten Wein geben. Er trank Glas um Glas. Er begann stolz und erregt und gehässig auszusehen.
Er begann sich jetzt wieder als einer Derer van Doorn zu fühlen.
Und er lachte manchmal vor sich hin, als er eine um die andre Flasche kostbaren, schweren Trankes mit den wenigen Goldstücken, die er bei sich trug, bezahlte.
Erst gegen Morgen kam er torkelnd in sein kleines Hotel zurück. Und er faßte den Hausdiener lachend an, um nicht beim Hinansteigen auf die erste Stufe ganz in die Ecke der Treppe zu fliegen.