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So war also in dem Hause der Popjels lange Frieden gewesen. Das Konzert hatte Geld gebracht. Und der Erlös für das Petschaft aus Vater Popjels Arbeitsstube, die noch immer in ihrem heiligen Dämmer lag, hatte auch für Franzes Bedürfnisse eine gehörige Weile ausgereicht.
Nun begann es in den tiefen Winter zu gehen.
Eduards Aussichten waren in der Zeit glänzend. Es schien durchaus nichts Bedrohliches in der Luft. Nur daß die Novemberstürme auf den Straßen fauchten und die Teppiche auf den Stangen im Hofe auf und ab flattern machten.
Eduard übte viel und war verstrickt in Arbeit.
Auch Franz gab Pflichten des Studiums vor, hörte ein paar Collegs über Philosophie und Kunstgeschichte und schmiedete allerlei Pläne. Was man so Pläneschmieden nennt, wenn man eigentlich nur denkt, wie kann ich einen Schatz aus der Erde graben, einen Sack Gold wie einen Sack Kartoffeln? Ihn hinstellen und hinein langen wie die Weiber mit den roten Kopftüchern draußen auf umgewühlten Herbstäckern?
Nur Frau Popjel weinte schon wieder manchmal heimlich. Das merkte Eduard. Da gab es Vorwürfe. Jähes, herrisches Aufbrausen, Jähzorn des in die Arbeit vertieften Eduard. So daß dann der Hohn aus Franz wie Schläge ins Gesicht des Bruders wirkten.
Einmal war es schon wieder zu einem tollen Geschrei ausgeartet.
Weil mit dem Winter auch diese verfluchte Eisluft um die Gemüter sich neu bilden wollte, die man schon ohne Gewaltsamkeit nicht mehr vertreiben konnte.
Aber wenn auch die große Vertraulichkeit Hellens mit Eduard Franz heimlich in Erregung gebracht hatte, fand sich die kleine Frau Popjel noch immer in der Zeit wieder zurecht.
Es war Franz stets lächerlich erschienen, wenn ein Künstler sich in jungen Jahren an ein Weib binden wollte.
»Das Genie muß seine Fülle dem Werke ungeteilt geben . . . Sehnsucht und Erlebnis muß im Kunstwerke in vollem Schwalle lebendig werden,« sagte er hart. »Nun gar die kleinlichen Plackereien mit einer Familie . . . die sollen den Künstler weiß Gott ungeschoren lassen!«
Er fühlte sich noch immer als Hüter des Schatzes, den er in Eduard heimlich anbetete. Deshalb hatte es Franz schon manchmal Frau Popjel aufgebracht und höhnisch in ihre erschrockenen Augen geflüstert, daß nur der törichte, arglose, kindliche Eduard sich schließlich von den Blicken und Armen der Circe könnte umstricken lassen.
Da war Franz eines Tages selber bei Fräulein Hellen erschienen.
Er war im Leben kaum zweimal sonst in geschäftlichen Angelegenheiten gekommen, als das Konzert in Sicht stand.
Was ihn dazu brachte, gerade jetzt zu Fräulein Hellen zu gehen, war für sie nicht recht zu ergründen.
Jedenfalls lagen in diesen Tagen die Kummerlinien in Franzes Gesicht sehr tief gezogen. Er war offenbar in einer sehr zerrissenen und vieldeutigen Lage. Noch im Hörsaal hatte er sich zuerst ganz leidenschaftlich an die Andacht anzuklammern versucht, die der Kunsthistoriker erweckte, als er Leonardos Tun und Seele beschrieb.
Da waren dazwischen plötzlich heiße Überlegungen in ihm aufgebrannt. Und er war hastig aus dem Colleg heim und dann sogleich weiter zu Fräulein Hellen Raddas gelaufen.
Alles in allem war es ein Knäuel von hohen und niedrigen Drängen, die ihn längst wieder bestürmten.
So kam er zu Hellen Raddas, die Mienen zerquält. Äußerlich nur den Versunkenen spielend. Dumpf und leise die Stimme. Ein wenig mit den glimmenden Augen in den Winkeln suchend. Aber noch immer wie ein guter Kamerad.
Hellen behandelte ihn außermaßen freundlich und zutunlich, obwohl ihr gleich ein banges Gefühl kam.
Eine große Schwüle herrschte im Raume.
In Hellens Atelier. wo sie ihr Klavier stehen hatte, lagen Felle herum. Eine Chaiselongue streckte sich unter dem breiten Atelierfenster, das im Dache saß. Buketts von Rosen und Orchideen gaben Duft. Ein violetter, japanischer Seidenlaken mit feinen Goldtroddeln hing über dem Rundtisch in der Ecke.
Franz war nur an den Tisch getreten und hatte sich eine Zigarette achtlos angezündet. Und er hatte beim Eintreten das Gefühl erweckt, als wenn er um einer wichtigen Sache willen käme.
Aber er besah sich beim Anrauchen jetzt nur wieder eingehend die kleine Cloisonnévase, die dastand, zog den Rauch in die Lungen, blies Kringel aus der Nase, betrachtete en passant Fräulein Hellen, die die Maschine in Ordnung setzte, um ihm Tee zu bereiten, und sagte gar nichts.
Alles gewann sofort eine Dumpfheit.
Fräulein Hellen konnte die Spannung nicht lange ertragen. Sie lachte hell auf und riß Franz aus seinem dumpfen Träumen heraus.
»Franz! . . . Sie schlafen ja!« sagte sie drollig.
Das brachte Franz wirklich ganz zu sich.
»Nein!« sagte er hart. »Nichts weniger als das!« sagte er. »Aber ich komme, weil es anders werden muß . . . weil es so nicht weiter gehen kann . . . weil es nicht mehr zu ertragen ist, ein solches Hundeleben . . . ohne daß man ein Ende sieht!« sagte er hart und stoßweise.
Es war ein reiner Betrug, der in diesem Augenblicke ganz unvermittelt in ihm aufkam.
»Franz! . . . Herrgott! . . . wenn Sie endlich zur Besinnung kämen!« wollte Hellen wie erleichtert ausrufen.
Sie dachte jetzt, daß er mit moralischen Selbstanklagen käme und sich vor ihr zerfleischen und geißeln wollte.
Aber davon war gar nicht die Rede. Franz dachte gar nicht an Selbstanklagen. Im Gegenteil. Er schien jetzt noch vollends klar zu werden, worum er gekommen war. Er nahm eine ganz herrische Haltung an und warf die Bemerkung Hellens mit Hohn beiseite.
»Reden Sie nicht töricht, bevor Sie wissen, was ich sagen will,« sagte er verächtlich. »Sie scheinen gar nicht zu ahnen, worum es sich auch für Sie in diesem Augenblick handelt,« sagte er und sah Hellen durchbohrend an. Lange und ganz unheimlich. So daß Hellens Blick ihn einen Augenblick gar nicht mehr erkannte und sich vor seinen stechenden Augen zu fürchten anfing. Aber sie beherrschte sich.
»Auch für mich?« sagte sie noch immer ganz an sich haltend und mit weicher Stimme.
»Auch für Sie! . . . natürlich . . . für wen denn sonst? . . . für Sie und mich! . . . warum käme ich denn sonst zu Ihnen?« stieß er hart und dumpf heraus. »Sie dachten wohl gar, ich käme als armer Sünder? . . . hahahaha,« lachte er verächtlich. »Ich wollte Beichte tun? . . . das fehlte noch grade! . . . ich hätte mich in einen Betbruder verwandelt? . . . wie?« stieß er hervor. »Warum denn? . . . weil ich Erlebnisse habe . . . mehr als Sie! . . . weil ich Kraft habe . . . mehr als Sie und Eduard zusammen . . . die Ihr nur immer die starken Gefühle destilliert in die Luft blast . . . Ja, so ist es . . . ich lebe,« schrie er. »Aber das wäre mir jetzt ganz gleichgültig . . . nur das ist mir nicht gleichgültig, daß Eduard mit Ihnen ein Spiel treibt . . . und Sie mit Eduard . . . Ihr beide kennt die Wirklichkeit nicht!« sagte er verhalten und leidenschaftlich. »Aber ich kenne die Wirklichkeit . . . mir ist das liebe Leben schon zu Leibe gegangen . . . ich habe Nöte . . . und weiß was Trost ist . . . ich bin es wahrhaftig bedürftig . . . ich weiß Trost zu schätzen . . . ich weiß Liebe zu schätzen,« grollte und tollte er heraus. »Wie der Verdurstende nach einem Tranke beinah verschmachtet!«
Schon diese Worte machten Hellen Raddas sonderbar verwandelt. Sie war, wie wenn sie noch immer nicht begriffe, an den Ofen rückwärts getreten, die Hände in die schwarzen Shawlenden gewickelt hinter sich gehalten. Ihre schlanke Gestalt ragte frei im Raume, der dämmrig war. Und ihr junger, erschütterter Blick sah mit kühler Güte in Franzens brennende Augen hinein.
Aber wie sie jetzt noch immer versuchte, ein gütiges Wort zu finden. ließ Franz Hellen gar nicht mehr zu Worte kommen. Er war ihr schon ganz nahe getreten. Er hatte sie schon gewaltsam an sich gerissen. Er küßte sie wie unsinnig. So daß sie vor Schreck keinen Laut von sich gab. Bis sie doch ihrem Entsetzen endlich einen Hilferuf abzwang. Und ihr gellender Ton Franz plötzlich abwehrend nieder schlug, wie wenn ein Gewand von ihr abfiele.
Franz lag lange da, schluchzte und konnte sich nicht zusammenraffen. Hellen war schneebleich und zitterte an Händen und Füßen.
»Es hat uns niemand gehört . . . Gott sei Dank!« sagte Hellen nach langer, tiefer Stummheit im Raume.
Alles lag erstarrt.
Bis sie die elektrische Birne über ihrem Flügel rasch entzündete. Ihre Zähne schlugen.
»Sagen Sie Eduard nichts!« sagte Franz ganz leise. »Und vergeben Sie mir! . . . ich werde nicht wiederkommen . . . wenigstens so nicht!«
Er hatte sich aus seiner zusammengesunkenen Stellung langsam und geräuschlos erhoben und wollte zur Tür gehen und zögerte doch. Hellen horchte sorglich auf jedes Geräusch draußen.
»Im Hause ist alles still geblieben wie im Tode!« sagte sie wie für sich. Franz hatte geschluchzt, fast ohne Tränen. Aber er hatte sich schon besonnen. Die wenigen Tränen wischte er sich leicht weg. Und er reckte sich. Er nahm wieder Haltung an.
»Es ist nichts passiert zwischen uns! . . . gar nichts!« sagte er barsch.« Und also braucht niemand etwas davon zu wissen . . . das Lebensbehagen des Künstlers braucht nicht weiter gestört werden . . . auch ich bleibe, der ich bin,« sagte er mit Härte. Er wollte hinaus gehen. Aber er stand wieder zögernd, die Türklinke in der Hand haltend. Er blickte auf den Boden. Dann kam er in sich gebunden ins Zimmer zurück und lachte häßlich.
»Es ist gar nichts passiert,« sagte er noch einmal hart. »Vielleicht ist Ihre Seele jetzt noch reiner geworden, als sie schon war . . . der Wein braucht sich keine Skrupel zu machen, daß der Most aufschäumt,« sagte er mit innerem Lachen. »Sagen Sie Eduard kein Wort davon . . . es könnte den zarten Jungen nur verwirren!« sagte er jetzt, indem er versuchte, Hellens Blick zu finden.
»Sie sind ein Untier!« sagte Hellen in einer Anwandlung von Schlaf, den der Schreck gemacht hatte.
Aber sie reichte Franz doch die Hand hin, weil sie an Eduard und Frau Popjel dachte.
»Huh!« stieß sie hervor, »es ist greulich!«
Franz stand noch immer im Sinnen.
»Hellen!« sagte er plötzlich. Er zögerte wieder. »Wenn Sie wirklich trotzdem ein guter Kamerad sind . . . mir doch die Hand noch wieder reichen,« sagte er mit verlegenem Stammeln.
»Huh!« sagte Hellen noch einmal, »es ist greulich!«
»Nämlich . . . Hellen!« bemühte sich Franz, der Hellens Ausruf gar nicht mehr beachtete, in diesem Augenblick zögernd hervor zu bringen. »Ja . . . ich bin wahrhaftig in einer jämmerlichen Verlegenheit!« sagte er vor sich hin.
»Oh . . . Geld soll mir gleichgültig sein in dieser Minute!« sagte Hellen hastig, nahm eine Reihe Scheine braune und blaue aus ihrem Schube und breitete sie vor Franz hin. »Nehmen Sie! . . . Geld ist mir jetzt nichts!« sagte sie wie aufwachend. Franzens Augen waren zwischen ihrer Härte und den hingebreiteten Banknoten auf der Lauer. Sein Gesicht nahm eine Schalksmiene an.
»Blaue tun es nicht mehr!« sagte er pfiffig und steckte sich mit Gelächter, das häßlich und heiser klang, zwei Tausendmarknoten in seine Brusttasche. Dann war er bald mit verstohlenen Schritten die Treppe hinunter, als käme er von einer Dirne.