Carl Hauptmann
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Carl Hauptmann

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Sechstes Kapitel

Wenn jetzt der Sonntag sonnig übers Meer in die niedrigen Fischerhäuschen und in die kleine, rote Backsteinkirche kam, war in Hieronymus Seele tiefes Ungemach. Er lag betend in seiner ärmlichen Pfarrstube. Seine Augen waren von Inbrunst geschlossen. Sein verhärmtes Gesicht rang um den Frieden dessen, der ihn bis heute noch nicht verlassen hatte. Er sah auf zum heiligen Christ am Kreuze, der als drohendes Zeichen an der Wand aufwuchs. Und seine Gelübde gingen mit inbrünstigem Atem über die hastig murmelnden Lippen.

Und wenn dann das kühle Kirchengewölbe sich mit Fischersleuten füllte, wenn die alten wetterharten Männer und Weiber und ihr blühender Nachwuchs der kleinen Schnitzkanzel mit dem schwebenden Holzengel darüber verlangenden, kindlichen Auges sich zugewandt, von wo Hieronymus heilige, flehende Rede über die Köpfe sanft hinfloß, da saß auch Frau Hartje Kroen mit ihrer vornehmen Mutter und Schwester und mit Herrn Kroen feierlich und licht in der kleinen Seitennische. Und Hieronymus hatte einen harten Kampf zu kämpfen heimlich, daß er nicht wieder ganz den Sinn seiner heißen Worte vergaß, und Frau Hartjes fromm versunkene Herrlichkeit nicht ganz das heilige Gnadenbild auf dem Altar verdrängte, das noch immer bunt über dem Goldkelche zu schimmern schien.

Hieronymus Versunkenheit in die Predigtworte schien in solchen Augenblicken wie ein Fieber. Als könnte er nie aus seiner ringenden Erbetung des Heils je wieder in die Welt der irdischen Gewalten sich zurückfinden.

Die Fischergesichter waren tief ernst.

Auch Frau Hartje war versunken. Ihr kostbares, goldviolettes Brokathäubchen, davor die dicken, blonden Zöpfe vor den Schläfen lagen, senkte sich. Ihr Auge war wie das der heiligen Jungfrau selber fromm und heilig.

Und Hieronymus konnte seiner Verwirrung, je leidenschaftlicher er redete, um so weniger Herr werden. Weil sich das Spiel in seinem Blute ewig wiederholte. daß er in Frau Hartjes Gesicht heimlich tief hinein sah, als stünde es als heilige Gnadenjungfrau selber über den Häuptern im Raume. Bis er über der Lebendigen die toten Götterbilder alle vergessen.

Wenn er dann aus der Predigt heimkam, sehnte er sich. Er stand still in seinem Pfarrgarten. Die süße Schwermut der jungen, lichten Blicke Frau Hartjes stand vor seiner Seele. Er sah noch immer die weiche, frohe Hand, die sich zärtlich an die silberne Wasserkapsel gelegt hatte, mit der er die frommen Hörer weihend besprengt. Er fühlte noch immer die goldenen Fäden in der kühlen Kirchwölbung allseitig ausgespannt, die aus ihrer andächtigen Seele heimlich hingeflossen wie Sonnenfäden zu seiner Seele. Er begann auch jetzt ein Spiel zu treiben mit den ragenden Blumen, die im Pfarrgarten an der alten Ziegelmauer blühten. Er mußte lachen, weil er dachte, daß eine solche steife Schwertlilie, wie sie in Büscheln vor ihm aufragten, mit ihrem seltsamen, schneidigen Zierat wohl Herrn Kroen gleiche. Aber die volle. reiche, blaßgelbe Rose, die üppig aufbrach und wie ein zaubrischer Weinkelch Duft hauchte, nur Frau Hartje selber sein könnte, niemand sonst weder auf Erden noch im Himmel.

Dann war seine Seele ganz entzündet.

Dann nannte er heimlich ihren Namen, als wenn er leibhaftig mit ihr spräche wie mit einer Geliebten.

Und wenn er sich an den Schreibtisch gesetzt, um an den heiligen Worten zu sinnen und zu spinnen, mit denen er die Fischersleute im Dorfe für ihr hartes Lebensgeschäft mahnen und stärken wollte, da entdeckte er sich wohl gar dabei, daß er Zettel um Zettel beschrieb und zerriß, worauf richtige Verse standen, wie sie Jünglinge schreiben, die sich zum ersten Male nach einem Mädchen sehnen.

Auch Briefe schrieb er an Frau Hartje. Heiße, irdische Briefe, wie sie wohl ein Ritter van Doorn ehedem an seine auserwählte Geliebte manchmal mochte geschrieben haben.

»Herrliche! Wie Du aufragst! . . . kräftig wie die Mutter junger Fischer . . . mit runden Armen, die von Fleisch glänzen und duften . . . mit den güldenen Armspangen, die deine Fülle zeigen . . . mit Deinen hellen Blicken, die sehnsüchtig von den Geheimnissen reden . . . mit Deinen rosigen Füßen, mit denen Du im Sande tändelst vor meinen Augen . . . mit Deinen kleinen, blanken Zähnen, die die Strandgräser zerbeißen, einen Halm nach dem andern . . . indes Du in Dich hineinlauschest, weil Du es vielleicht doch erhören möchtest, daß auch meine Seele tönt . . . Ja, ich liebe Dich! . . . ich liebe Deine eisklaren Augen . . . Deine goldenen Haare, die wie Weizenähren riechen . . . aber ich bin ein Priester . . . ein Geweihter . . . ein Streiter Gottes . . . und wenn ich Dich gleich liebte wie die Sonne die Blumen, so will ich doch nur einher gehen wie ein gepanzerter Turm, in dem die Liebe verschlossen liegt wie ein Schatz . . . Ja, ich liebe Dich, herrliche Hartje! . . . ich liebe dich, du herrliches, irdisches, blondes Weib Hartje! . . . ich liebe dich! . . .« so schrieb er. Und schrieb hundert solche Briefe in Tagen und Wochen und zerriß sie wieder.

Und es ging mancher Sommertag über Meer und Dünen hin.

Auch heute hatte Hieronymus van Doorn, wie er von den blumigen Hügeln des Strandfriedhofs heimkehrte, Frau Hartje begegnet.

Und Zeit und Stunde verging in tiefer Einsamkeit.

Der Meerstreif rauschte in der Ferne mit eintöniger Gewalt. Die Strandhalme zitterten, und die kleinen, blauen Skabiosen nickten drollig und hastig im Winde.

Frau Hartje war ermüdet niedergekniet und hatte das kirschrote Tuch, das sie lose um die Schultern gewunden, über den Sand gebreitet, so daß auch Hieronymus sich neben sie setzte.

Sie hatte in der Einsamkeit ihre feinen Sandalen noch vollends gelöst, die sie in der Hand trug, so daß ihre schlanken Füße jetzt im Sande lagen wie kleine, rosige Tiere.

Sie begann die ärmlichen, blauen Blumen, auch vereinzelte Glockenblumen und ein paar gelbe Ranunkeln zusammenzugreifen, um sie achtlos und lieblich lächelnd zu einem winzigen Kranze zu binden. Ihr großer Strandhut hüllte ganz ihr Gesicht ein, das voll eifrigen Ausdrucks war. Ihre jungen Hände waren geschäftig. Sie lachte dazu, weil eine einzelne Möve lautlos in der hellen Luft über sie hinstrich, dann ein zweiter und ein dritter schneeweißer Vogel, der ein jeder auch einen lachenden Laut gab.

Die blinkenden Tiere flogen ins weite, blaue Meer hinaus.

Da hatte Hieronymus das Spiel dieser heiligen Hände und das Spiel dieser kindlich lachenden Seele nicht ansehen können, ohne nicht einmal laut aufzuseufzen wie in Zerknirschung.

Und Frau Hartjes blaue Augen hatten ihn dabei auch sogleich unsäglich sehnsüchtig angesehen. Aber sie hatte ihn dann nur wieder kindlich angelacht.

»Hieronymus van Doorn« begann sie drollig feierlich zu sagen »ein Ritter und ein Gottgeweihter . . . oh ja . . . das Menschenherz muß manches ertragen und darf nicht seufzen!«

So hatte sie gesagt und hatte ihn dann lange angesehen.

Und sie hielt wie eine selige Gnadenmutter noch immer den Kranz dürftiger blauer Blumen in ihren schlanken Händen.

Und dann hatte sie mit ganz verlorener Seele, wie wenn sie nicht mehr wüßte, was sie tat, die schimmernden Blumen auf des Priesters Haar sorglich aufgedrückt.

Denn Hieronymus' schwarzer Priesterhut lag im Sande.

Und Hartjes feuchtpurpurner Mund stand lange vor Hieronymus verhärmtem Gesicht. Sie hatte Mühe, den Kranz auf dem Haupte des Priesters zu befestigen.

Und Hieronymus war heimlich zerrüttet.

Aber Hartje lachte wieder nur kindlich und fromm in des Priesters sengende Augen hinein. Und sie sagte weiter mit feierlicher, glockenheller Stimme: »Nur der, der den Sieg erringt, bekommt die Krone.«

Das hatte Frau Hartje leise in den Wind gesagt und hatte dann Hieronymus ihrerseits mit tiefer Schwermut lange angesehen, indes aus ihrem jungen Gesicht die Sommerröte eine Weile auch ganz gewichen war.


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