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Gegen Abend langte er auf dem Gute an; er gab sein Pferd vor dem Hause einem Diener, fragte nach seinem Herrn und wurde in den Garten gewiesen. Dort erkannte er schon von weitem Gestalt und Stimme seines Freundes. Er schien in diesem Augenblick mit einem alten Mann, der an einem Baum mit Graben beschäftigt war, heftig zu streiten. »Und wenn Ihr es auch hundert Jahre nach dem alten Schlendrian gemacht habt, statt fünfzig, so muss der Baum doch so herausgenommen werden, wie ich sagte. Nur frisch daran, Alter, es kommt bei allem nur darauf an, dass man klug darüber nachdenkt.« Der Arbeiter setzte seufzend die Mütze auf, betrachtete noch einmal mit wehmütigem Blicke den schönen Apfelbaum und stiess dann schnell, wie es schien, unmutig den Spaten in die Erde, um zu graben. Der Baron aber pfiff ein Liedchen, wandte sich um, und vor ihm stand ein Mensch, der ihn freundlich anlächelte und ihm die Hand entgegenstreckte. Er sah ihn verwundert an. »Was steht zu Dienst?« fragte er kurz und schnell.
»Kennst du mich nicht mehr, Faldner?« erwiderte der Fremde. »Solltest du bei deiner Baumschule London und Paris so ganz vergessen haben?«
»Ist's möglich, mein Fröben!« rief jener und eilte, den Freund zu umarmen. »Aber, mein Gott, wie hast du dich verändert. Du bist so bleich und mager; das kommt von dem vielen Sitzen und Arbeiten; dass du auch gar keinen Rat befolgst, ich habe dir ja doch immer gesagt, es tauge nicht für dich.«
»Freund!« entgegnete Fröben, den dieser Empfang unwillkürlich an seine Gedanken unterwegs erinnerte: »Freund, denke doch ein wenig nach; hast du mir nicht immer gesagt, ich tauge nicht zum Landwirt, nicht zum Forstmann und dergleichen, und ich müsste eine juridische oder diplomatische Laufbahn einschlagen?«
»Ach, du guter Fröben!« sagte jener, zweideutig lächelnd, »so laborierst du noch immer an einem kurzen Gedächtnis? Sagte ich nicht schon damals –«
»Bitte, du hast recht, streiten wir nicht!« unterbrach ihn sein Gast, »lass uns lieber Vernünftigeres reden, wie es dir erging, seit wir uns nicht sahen, wie du lebst.«
Der Baron liess Wein in eine Laube setzen und erzählte von seinem Leben und Treiben. Seine Erzählung bestand beinahe in nichts als in Klagen über schlechte Zeiten und die Thorheit der Menschen. Er gab nicht undeutlich zu verstehen, dass er es in den wenigen Jahren, mit seinem hellen Kopf und den Kenntnissen, die er auf Reisen gesammelt, in der Landwirtschaft weit gebracht habe. Aber bald hatten ihm seine Nachbarn unberufen dies oder jenes abgeraten, bald hatte er unbegreifliche Widerspenstigkeit unter seinen Arbeitern selbst gefunden, die alles besser wissen wollten als er und in ihrer Verblendung sich auf lange Erfahrung stützten. Kurz, er lebte, wie er gestand, ein Leben voll ewiger Sorgen und Mühen, voll Hader und Zorn, und einige Prozesse wegen Grenzstreitigkeiten verbitterten ihm noch die wenigen frohen Stunden, die ihm die Besorgung seines Gutes übrigliess. »Armer Freund!« dachte Fröben unter dieser Erzählung, »so reitest du noch dasselbe Steckenpferd, und es geht wie der wildeste Renner mit dir durch, ohne dass du es zügeln kannst.«
Doch die Reihe zu erzählen kam auch an den Gast, und er konnte seinem Freunde in wenigen Worten sagen, dass er an einigen Höfen bei Gesandtschaften eingeteilt gewesen sei, dass er sich überall schlecht unterhalten, einen langen Urlaub genommen habe und jetzt wieder ein wenig in der Welt umherziehe.
»Du Glücklicher!« rief Faldner. »Wie beneide ich dich um deine Verhältnisse: heute hier, morgen dort; kennst keine Fesseln und kannst reisen, wohin und wie lange du willst. Es ist etwas Schönes um das Reisen! Ich wollte, ich könnte auch noch einmal so frei hinaus in die Welt!«
»Nun, was hindert dich denn?« rief Fröben lachend; »deine grosse Wirtschaft doch nicht? Die kannst du alle Tage einem Pachter geben, lässt dein Pferd satteln und ziehst mit mir!«
»Ach, das verstehst du nicht, Bester!« erwiderte der Baron, verlegen lächelnd. »Einmal, was die Wirtschaft betrifft, da kann ich keinen Tag abwesend sein, ohne dass alles quer geht, denn ich bin doch die Seele des Ganzen. Und dann – ich habe einen dummen Streich gemacht – doch lass das gut sein; es geht einmal nicht mehr mit dem Reisen.«
In diesem Augenblicke kam ein Bedienter in die Laube, berichtete, dass die gnädige Frau zurückgekommen sei und anfragen lasse, wo man den Thee servieren solle?
»Ich denke, oben im Zimmer«, sagte er, leicht errötend, und der Diener entfernte sich.
»Wie, du bist verheiratet?« fragte Fröben erstaunt. »Und das erfahre ich jetzt erst. Nun, ich wünsche Glück; aber sage mir doch – ich hätte mir ja eher des Himmels Einfall träumen lassen, als diese Neuigkeit; und seit wann?«
»Seit sechs Monaten«, erwiderte der Baron kleinlaut und ohne seinen Gast anzusehen; »doch wie kann dich dies so in Erstaunen setzen; du kannst dir denken, bei meiner grossen Wirtschaft, da ich alles selbst besorge, so –«
»Je nun! ich finde es ganz natürlich und angemessen; aber wenn ich zurückdenke, wie du dich früher über das Heiraten äussertest, da dachte ich nie daran, dass dir je ein Mädchen recht sein würde.«
»Nein, verzeihe!« sagte Faldner, »ich sagte ja immer und schon damals –«
»Nun ja, du sagtest ja immer und schon damals«, rief der junge Mann lächelnd, »und schon damals und immer sagte ich, dass du nach deinen Prätensionen keine finden würdest, denn diese gingen auf ein Ideal, das ich nicht haben möchte und wohl auch nicht zu finden war. Doch noch einmal meinen herzlichen Glückwunsch. Da aber eine Dame im Hause ist, die uns zum Thee ladet, so kann ich doch wahrlich nicht so in Reisekleidern erscheinen; gedulde dich nur ein wenig, ich werde bald wieder bei dir sein. Auf Wiedersehen!«
Er verliess die Laube, und der Baron sah ihm mit trüben Blicken nach. »Er hat nicht unrecht«, flüsterte er.
Doch in demselben Augenblick trat eine hohe weibliche Gestalt in die Laube. »Wer ging soeben von dir?« fragte sie schnell und hastig. »Wer sprach dies Auf Wiedersehen?«
Der Baron stand auf und sah seine Frau verwundert an; er bemerkte, wie die sonst so zarte Farbe ihrer Wangen in ein glühendes Rot übergegangen war. »Nein! das ist nicht auszuhalten«, rief er heftig; »Josephe, wie oft muss ich dir sagen, dass Hufeland Leuten von deiner Konstitution jede allzu rasche Bewegung streng untersagt; wie du jetzt glühst! Du bist gewiss wieder eine Strecke zu Fuss gegangen und hast dich erhitzt und gehst jetzt gegen alle Vernunft noch in den Garten hinab, wo es schon kühl ist. Immer und ewig muss ich dir alles wiederholen wie einem Kind; schäme dich!«
»Ach, ich wollte dich ja nur abholen«, sagte Josephe mit zitternder Stimme: »werde nur nicht gleich so böse, ich bin gewiss den ganzen Weg gefahren und bin auch gar nicht erhitzt. Sei doch gut.«
»Deine Wangen widersprechen«, fuhr er mürrisch fort: »muss ich denn auch dir immer predigen? Und den Shawl hast du auch nicht umgelegt, wie ich dir sagte, wenn du abends noch herab in den Garten gehst; wozu werfe ich denn das Geld zum Fenster hinaus für dergleichen Dinge, wenn man sie nicht einmal brauchen mag? O Gott! ich möchte oft rasend werden. Auch nicht das Geringste thust du mir zu Gefallen; dein ewiger Eigensinn bringt mich noch um. O ich möchte oft –«
»Bitte, verzeihe mir, Franz!« bat sie wehmütig, indem sie grosse Thränen im Auge zerdrückte; »ich habe dich den ganzen Tag nicht gesehen und wollte dich hier überraschen; ach, ich dachte ja nicht mehr an das Tuch und an den Abend. Vergieb mir, willst du deinem Weib vergeben?«
»Ist ja schon gut, lass mich doch in Ruhe, du weisst, ich liebe solche Scenen nicht; und vollends Thränen! Gewöhne dir doch um Gotteswillen die fatale Weichlichkeit ab, über jeden Bettel zu weinen. – Wir haben einen Gast, Fröben, von dem ich dir schon erzählte, er reiste mit mir. Führe dich vernünftig auf, Josephe, hörst du? Lass es an nichts fehlen, dass ich nicht auch noch die Sorgen der Haushaltung auf mir haben muss. Im Salon wird der Thee getrunken.«
Er ging schweigend ihr voran die Allee entlang nach dem Schlosse. Trübe folgte ihm Josephe; eine Frage schwebte auf ihren Lippen, aber so gern sie gesprochen hätte, sie verschloss diese Frage wieder tief in ihre Brust.