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IV.

Als er den andern Tag sich wieder einfand und Fröben schon vor dem Gemälde traf, trat er auch hinzu mit recht freundlichem Gesicht; als aber der junge Mann ehrerbietig auf die Seite wich, um dem alten Herrn einen bessern Platz einzuräumen, verbeugte sich dieser höflich grüssend und sprach: »Wenn ich nicht irre, Sennor, so habe ich Sie schon mehrere Male vor diesem Gemälde verweilen sehen. – Da geht es Ihnen wohl gleich mir; auch mir ist dieses Bild sehr interessant, und ich kann es nie genug betrachten«.

Fröben war überrascht durch diese Anrede; auch ihm waren die Besuche des Alten vor dem Bilde aufgefallen, er hatte erfahren, wer jener sei, und nach der steifen, kalten Begrüssung von gestern war er dieser freundlichen Anrede nicht gewärtig. »Ich gestehe, mein Herr!« erwiderte er nach einigem Zögern, »dieses Bild zieht mich vor allen andern an, denn – weil – es liegt etwas in diesem Gemälde, das für mich von Bedeutung ist«. – Der Alte sah ihn fragend an, als genüge ihm diese Antwort nicht völlig, und Fröben fuhr gefasster fort: »Es ist wunderbar mit Kunstwerken, besonders mit Gemälden. Es gehen an einem Bilde oft Tausende vorüber, finden die Zeichnung richtig, geben dem Kolorit ihren Beifall, aber es spricht sie nicht tiefer an, während einem Einzelnen aus solch einem Bilde eine tiefere Bedeutung aufgeht; er bleibt gefesselt stehen, kann sich kaum losreissen von dem Anblick, er kehrt wieder und immer wieder, von neuem zu betrachten«.

»Sie können Recht haben«, sagte der Alte nachdenkend, indem er auf das Gemälde schaute, »aber – ich denke, es liesse sich dies nur von grössern Kompositionen sagen, von Gemälden, in welche der Maler eine tiefe Idee legte. Es gehen viele vorüber, bis die Bedeutung endlich einem aufgeht, der dann den tiefen Sinn des Künstlers bewundert. Aber sollte man dies von solchen Köpfen behaupten können?«

Der junge Mann errötete. »Und warum nicht?« fragte er lächelnd. »Die schönen Formen dieses Gesichtes, die edle Stirn, dieses sinnende Auge, dieser holde Mund, hat sie der Künstler nicht mit tiefem Geiste geschaffen, liegt nicht etwas so Anziehendes in diesen Zügen, dass –«

»O bitte, bitte«, unterbrach ihn der Alte, gütig abwehrend; »es war allerdings eine hübsche Person, die dem Künstler gesessen, die Familie hat schöne Frauen«.

»Wie? welche Familie?« rief der Jüngling erstaunt, er zweifelte an dem gesunden Verstande des Alten, und doch schienen ihn seine Worte aufs höchste zu spannen. »Dies Bild ist wohl reine Phantasie, mein Herr, ist zum wenigsten mehrere hundert Jahre alt!«

»Also glauben Sie das Märchen auch?« flüsterte der Alte; »unter uns gesagt, diesmal wurde der Scharfblick der Eigentümer doch getäuscht; ich kenne ja die Dame«.

»Um Gotteswillen, Sie kennen sie? wo ist sie jetzt? wie heisst sie?« sprach Fröben heftig bewegt, indem er die Hand des Spaniers fasste.

»Sage ich lieber, ich habe sie gekannt«, antwortete dieser mit zitternder Stimme, indem er das feuchte Auge zu der Dame aufschlug. »Ja, ich habe sie gekannt, in Valencia vor zwanzig Jahren; eine lange Zeit! Es ist niemand anders, als Donna Laura Tortosi«.

»Zwanzig Jahre!« wiederholte der junge Mann traurig und niedergeschlagen. »Zwanzig Jahre, nein, sie ist es nicht!«

»Sie ist es nicht?« fuhr Don Pedro hitzig auf. »Nicht, sagen Sie? So können Sie glauben, ein Maler habe diese Züge aus seinem Gehirn zusammengepinselt? Doch ich will nicht ungerecht sein, es war wohl ein tüchtiger Mann, der sie malte, denn seine Farben sind sehr wahr und treu, treu und frisch, wie das blühende Leben. Aber glauben Sie, dass ein solcher Künstler aus seiner Phantasie nicht ein ganz andres Bild erschafft? Finden Sie nicht, ohne die Familie Tortosi zu kennen, dass diese Dame offenbar Familienähnlichkeit haben müsse, Familienzüge, bestimmt und klar von der Natur ausgesprochen, Züge, wie man sie nie in Gemälden der Phantasie, sondern nur bei guten Porträten findet? Es ist ein Porträt, sage ich Ihnen, Sennor, und bei Gott kein andres, als das der Donna Laura, wie ich sie vor zwanzig Jahren gesehen in dem lieblichen Valencia«.

»Mein verehrter Herr«, erwiderte ihm Fröben, »es giebt Aehnlichkeiten, täuschende Aehnlichkeiten; man glaubt oft einen Freund sprechend getroffen zu sehen, nur in sonderbarem, veraltetem Kostüm, und wenn man fragt, ist es sein Urahn aus dem Dreissigjährigen Kriege, oder überdies gar noch ein Fremder. Ich gebe auch zu, dass dieses Bild sogenannte Familienzüge trage, dass es der liebenswürdigen Donna Laura gleiche, aber dieses Bild, dieses ist alt, und soviel weiss man wenigstens aus Registern und Kirchenbüchern, dass es in der Magdalenenkirche zu K. schon seit einhundertfünfzig Jahren hing, durch zufällige Stiftung, nicht auf Bestellung in die Kirche kam, und nach allen Anzeigen von dem deutschen Maler Lukas Cranach gefertigt wurde«.

»So hole der lebendige Satan meine Augen!« rief Don Pedro ärgerlich, indem er aufsprang und seinen Hut nahm. »Ein Blendwerk der Hölle ist's, sie will mich in meinen alten Tagen noch einmal durch dies Gemälde in Wehmut und Gram versenken«. Thränen standen dem alten Manne in den Augen, als er mit hastigen, dröhnenden Schritten die Galerie verliess.



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