Jaroslav Hasek
Von Scheidungen und anderen tröstlichen Dingen
Jaroslav Hasek

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Tante Anna und wir.

Was das kleine Karlchen erzählte.

Wir haben zu Hause eine alte Tante. Papa sagt, daß sie vor zwanzig Jahren vom Land zu uns nur für ein paar Tage zu Besuch gekommen ist und ungefähr für 12 Kreuzer Topfen mitgebracht hat. Seit der Zeit ist sie fortwährend bei uns und aus den paar Tagen sind zwanzig Jahre geworden. Die Alte ist noch wie eine Rübe und wie ihr vor fünf Jahren die Beine angeschwollen sind, hat Papa große Freude gehabt und hat uns einen Baukasten versprochen. 190 Aber der Tante sind die Beine wieder abgefallen und aus wars mit dem Baukasten. Seit der Zeit hab ich große Wut auf sie und hab schon Juckpulver für sie gekauft, das ich ihr dreimal hintern Hals gestreut hab, wie sie bei den Gebetbüchern geschlafen hat. Diese Gebetbücher sind sehr groß und recht abgeschlagen, weil die Alte sie immer auf Papa und Mama wirft. Wie ich ihr das Pulver also hintern Hals gestreut hab, hat sie angefangen, sich zu kratzen und hat sich hinters Hemd geblasen, was noch ärger war und ist nebenan auf den Gang zur Nachbarin gelaufen und hat geschrien, daß wir bei uns Wanzen haben und daß wir ihr absichtlich nicht das Bett reinigen, damit sie sie auffressen und wir die alte, arme Tante loswerden.

Oder ich streu ihr, wenn sie schläft und den Kopf über den Gebetbüchern hat, Schnupfpulver unter die Nase und sie ist dann davon ganz wild und geht bei den Nachbarinnen herum und erzählt, daß wir ihr in der Nacht das Federbett wegziehen und das Fenster aufmachen, damit sie Schnupfen bekommt. Und sie niest, daß sie sich überreißen kann und ich hab große Freude, weil ich Papa einmal in der Küche sagen gehört hab, wie die Tante soviel geniest hat: »Überreiß dich nur, alte Kunkel!« Papa hat auch Freude, wenn der Tante nur bischen schlecht ist und ruft gleich den Doktor zu ihr, weil er glaubt, daß uns der Doktor eher helfen kann. Das denkt er von den 191 Ärzten seit der Zeit, was er gelesen hat, daß in Amerika ein Mensch mit einem Zahn auf die Klinik gekommen ist und man ihm statt dem Zahn aus Versehen den Blinddarm herausgezogen hat. Und so sagt er: »Nur die Doktoren über sie!« Und die Alte hat von Doktoren nichts hören wollen, bis sie sich endlich doch hat sagen lassen. Der Doktor ist gekommen und hat angefangen sie durchzuklopfen und sie hat geschrien, daß sie diese Schande nicht überlebt, daß sie schon fünfzig Jahre niemand so angerührt hat, sie ist siebzig und Papa hat sich nebenan im Zimmer lustig die Hände gerieben und hat gesagt: »Sie überlebt's nicht, Karlchen! Sie überlebt's nicht!« Dann sind wir nebenan ins Zimmer zur Tante gegangen. Sie war noch nach dem Klopfen am Leben und die Goschen ist ihr gegangen wie geschmiert: »Ach, Herr Doktor, die da behandeln mich ja wie Räuber, zu essen geben sie mir nicht und, Jesus Maria, sie möchten mich am liebsten loswerden und durch Hunger zu Tode martern. Und wenn sie mir ab und zu einen Bissen geben, werfen sie's mir die ganze Woche vor.« Derweil ißt die Alte einen Teller mehr auf als Papa und Mama. – »Ach ich, mein goldener Herr Doktor, geben Sie mir ein Gift, damit ich mich nicht quälen muß und nicht herumgestoßen werde wie der ärgste Hund.« Der Doktor hat sie beschwichtigt und hat Papa vor ihr gesagt, daß er ihr etwas verschreiben wird und daß sie den starken Wein jeden Tag trinken soll. Die Alte 192 hat gekreischt: »Mein goldener Herr Doktor, Sie sind der einzige brave, liebe Mensch auf Gottes Welt!« Und wie er so beim Bett gestanden ist, hat sie ihn gepackt und auf die Augen geküßt, daß sie ihm fast mit den Borsten, was ihr am Kinn wachsen, die Augen ausgestochen hätt. Dann ist Papa mit dem Arzt ins Vorzimmer gegangen und hat ihn mit zitternder Stimme gefragt, wann wir's also mit der Tante erwarten sollen. Der Doktor hat ihm gesagt, daß sie herich noch hundert Jahre hier sein kann und Papa ist ins Zimmer gekommen, hat die Hände gerungen und hat gesagt: »Die hat einen gesunden Kern, das ist ein Unglück!« – Derweil hat die Alte geschrien: »Was ist denn mit dem Wein? Warum hab ich nicht den Wein hier?« Seit der Zeit trinkt die Tante wie ein Bürstenbinder und jeder Wein scheint ihr zu schwach und wenn sie eine halbe Flasche austrinkt, geht sie auf den Hof und fängt dort zu jammern an: »Ach, meine goldenen Leutchen, sie geben mir lauter Essig statt Wein, wie die gottlosen Soldaten Jesus Christus am Kreuz! Sie möchten mich ja auch kreuzigen, wenn sie sich nicht fürchten möchten, daß man sie aufhängt. Das erlebt man auf seine alten Tage und ich hab für sie alles geopfert.« Ich weiß nicht, ob sie damit den Topfen für 12 Kreuzer meint.

Eines Tages kam Papa aus der Kanzlei sehr lustig zum Mittagmahl und wie wir alle, auch die Tante, 193 um den Tisch herumsitzen, zieht er eine Zeitung aus der Tasche und sagt: »Das ist ein gräßliches Verbrechen, was in Mähren geschehen ist! Hören Sie zu, Tante? Stelln Sie sich vor, daß man dort eine alte Tante vergiftet hat! Die Täter reden sich aus, daß sie es deshalb getan haben, weil die Tante sehr zanksüchtig war. Ist das heutzutage eine verlotterte Welt, was, Tante?« Darauf flüsterte er Mama zu, daß er ihr, der Tante, heute wenigstens das Mittagmahl verderben werde. Die Tante hat drauf nichts gesagt und hat mit Appetit gegessen, was in sie hineingegangen ist. Am nächsten Tag früh, wie sie den Kaffee bekommen hat, hat sie sich mit ihm in die Küche zurückgezogen und nach einer Weile fängt sie an zu schreien: »Was hab ich das im Kaffee, Ihr Bestien, wollt Ihr mich vergiften?« Sie lauft heraus und auf dem Hof schlägt sie einen fürchterlichen Krawall, daß wir sie vergiften wolln, und zeigt den Topf mit dem Kaffee. Die Nachbaren meinen, daß wir die Alte wirklich quälen und so ist einer aus dem Haus wirklich einen Schutzmann holen gegangen und der Schutzmann ist mit der Alten, was fortwährend den Topf mit dem Kaffee in der Hand gehalten hat, zu uns hinaufgekommen und hat gesagt, daß er im Namen des Gesetzes eine traurige Pflicht erfüllt und hat Papa und Mama mit der Alten aufs Kommissariat geführt. Dort hat sichs aufgeklärt, daß sich die Alte Lehm für die Stiegen in den 194 Kaffee geschüttet hat. Aber was hat das genützt: wie die Tante nach Hause zurückgekommen ist, hat sie übers ganze Haus geschrien, daß das vors Gericht kommen wird.

Versteht sich, daß Papa mit der Tante nicht gesprochen hat und die Tante ist immer früh mit einer alten Frau aus dem Haus nebenan in die Kirche gegangen und die ist uns sagen gekommen, daß die Tante schon eine Krone auf Kerzen geopfert hat, in der guten Absicht, daß uns alle der Schlag trifft und daß die Tante, damit sie Geld auf diese gute Absicht hat, in den Straßen bettelt und jammert, daß wir ihr nichts zu essen geben und daß wir sie herich schlagen und schrecklich quälen. So hat man den Papa aufs Kommissariat gerufen und dort hat man ihm gesagt, daß eine Anzeige gekommen ist, daß wir die Tante, was wir bei uns haben, quälen und daß man sie, wenn sich das wiederholen wird, in ihre Heimatsgemeinde schaffen wird. So hat mir Papa eines Tages eine Krone gegeben und hat gesagt, ich soll mir kaufen was ich will und daß ich ein Mann bin, der schweigen kann. Ich soll aufs Kommissariat laufen und dort in ein Gejammer ausbrechen, daß man die Tante wahrscheinlich wieder zu Haus quält, und daß sie flennt und schrecklich jammert, was man mit ihr macht. Wir haben aber in dem Augenblick dran vergessen, daß die Tante nicht zu Haus ist, und wie ich also aufs Kommissariat 195 gekommen bin und losgelegt hab, daß man die Tante jetzt zu Haus quält, hat der Kommissär gefragt, wie sie heißt und hat einen Schutzmann gerufen und der ist nach hinten gegangen und hat von dort diese verfluchte Alte mitgebracht. »Da irrst du dich, Buberl,« hat der Kommissär gesagt, »Deine Großmutter soll grad zu Gericht gehn, wir haben sie früh wegen Bettelei verhaftet; du bist ihr Enkel?« Ich hab gesagt, daß nicht. »Also warum haben Sie gesagt, daß Sie für Ihre acht verlassenen Enkel betteln?« sagte der Herr zu der Tante und die Tante legte los, daß sie mich nicht kennt und nicht weiß, wer ich bin. Da hat man mich um Papa geschickt, und derweil hat die Alte weglaufen wollen und vier Schutzleute haben sie halten müssen. Papa hat sie bewillkommt: »Du Mörder, du Lump; dich müssen die Würmer noch bei Lebzeiten fressen!« Mir hat sie ins Gesicht gespuckt und der Herr Kommissär hat die Achseln gezuckt und hat Papa gesagt, er soll sich die Alte nach Haus führen. Papa hat sich vor einem öffentlichen Skandal gefürchtet, so hat er eine Droschke gerufen, die Schutzleute haben ihm geholfen die Tante in den Wagen zu werfen und wir sind ins Irrenhaus gefahren. Die Tante hat ein Fenster zerdroschen und hat geschrien, daß dieser Lump sie erwürgen will. Und wie wir ins Irrenhaus gekommen sind, hat Papa sie mit dem Droschkenkutscher ins Tor geschoben und Papa hat gesagt, daß er gleich 196 kommt, ich soll auf ihn warten. Ungefähr nach einer Viertelstunde ist aber die Tante allein gekommen und sagt zu mir: »Also die Herren Doktoren, meine goldenen Herren, haben deinem Papa gesagt, daß ich einen gesunden Verstand hab und haben sich den Papa gleich dort gelassen.«

 


 


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