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Vor dem Senat des Strafgerichtes in Jesreel.
(Zivilstreitfall.)
In Chalata, einer Stadt in Syrien, wurde vor kurzem eine Papyrosrolle gefunden, deren Entzifferung mit großen Schwierigkeiten verbunden war. Nichtsdestoweniger ist sie geglückt und die gebildete Welt ist um eine Perle des Schrifttums des Altertums reicher. 31
Es handelt sich offenbar um ein Gerichts-Referat einer Zeitung, die in Jesreel zur Zeit des König Achab herausgegeben wurde und der vollständige Text lautet:
»Die Leser unseres Blattes werden sich gewiß an das rätselhafte Verschwinden des Propheten Elias erinnern, der zum letztenmal in der Prophetenschule zu Gilgal gesehen wurde, wo er früh um zehn Uhr ein Stückchen Eselssalami aß. Gegen drei Uhr erreichte er Beth-El, wo er dem Eliseus begegnete. Wie Eliseus behauptet, war Prophet Elias frohen Sinns und unterhielt sich recht gut mit den Dorfbewohnern, die auf dem Felde arbeiteten. So gelangten beide bis nach Jericho und stiegen gemeinsam zum Jordan hinab, um gegen Abend Jesreel zu erreichen. Etwa zwei Stunden vor der Stadt gelangten sie zu dem großen Wald, der ein beliebter Ausflugsort der hiesigen Bevölkerung ist. Auf einer kleinen Lichtung tummelten sich einige Knaben aus dem unfernen Dorf Banbotha; als sie den Herrn Propheten Elias erblickten, der, wie aus dem in der vorvorigen Nummer veröffentlichten Bilde ersichtlich ist, barhäuptig war, fingen sie zu schreien an: Lisi, Lisi! Der Aussage der Schüler Jehu und Naboth zufolge stieß Prophet Elias einen Pfiff aus, worauf augenblicklich zwei Bären aus dem Dickicht stürzten, die im Ganzen acht der schäkernden Kinder verwundeten und zerrissen und davonliefen. Als Herr Prophet Elias 32 die Folgen seiner unbedachten Tat sah, verschwand er und konnte bisher nicht ausfindig gemacht werden. Sein verhafteter Gefährte Eliseus behauptet, daß Elias auf einem feurigen Wagen gen Himmel gefahren sei, was, wie es scheint, eine sehr plumpe Ausrede ist, die den Zweck hat, die mit der Untersuchung betrauten Behörden auf eine falsche Spur zu führen.
Die Väter der verwundeten und zerrissenen Schüler haben gegen Prophet Elias sofort eine Klage auf Schadenersatz überreicht und bei der gestrigen Verhandlung haben wir uns überzeugt, daß sie aus der ganzen Angelegenheit Kapital zu schlagen suchen. Alle Kläger waren Juden und wir dürfen uns daher nicht wundern, daß sie die Verhandlung als eine wahre Goldgrube betrachteten. Propheten Elias gehört das Haus Konskriptionsnummer 247 in Jesreel und das Haus Konskriptionsnummer 8 in Beth-El. Das Gericht gab dem Antrag der Rechtsvertreter der Geschädigten statt und weil der Beklagte nicht gefunden wurde, beschlagnahmte es sein Eigentum zur Deckung des Schadens, dessen Höhe bei der gestrigen Verhandlung festgestellt wurde.
Wir stellen uns weder auf die eine noch auf die andere Seite, allein es scheint uns, daß die Schuld hauptsächlich auf die unglücklichen Opfer dieser unseligen Begebenheit fällt. Die Kinder halten heutzutage verdiente Menschen nicht in Ehren, denn die heutige Erziehung ist sehr oberflächlich. Die 33 Kinder lesen lauter blutrünstige Geschichten, besuchen Theatervorstellungen, die entschieden nicht imstande sind, ihre Seele in irgendeiner Weise zu veredeln. Auch die Kinematographen haben daran ihren Teil. Ehrliche nationale Arbeiter, wie es der verschwundene Prophet Elias war, sind unserer Jugend nicht bekannt, und es wäre an der Zeit, daß sich unsere Jugend statt pornographischer Bilder die Photographien bedeutender Männer ansehen würde und dann könnte es bestimmt nicht zu einer solchen Tragödie kommen, wie sie sich bei Banbotha abgespielt hat. Durch die Voruntersuchung wurde festgestellt, daß jene Bären ebenfalls Eigentum des Herrn Propheten Elias waren, der mit ihnen früher in ganz Palaestina herumzuziehen pflegte; bei Antritt seiner Prophetenlaufbahn setzte er die Bären aus Dankbarkeit im Walde bei Banbotha in Freiheit, allerdings nachdem er die Bewilligung des hohen Palaestinenser Landesausschusses eingeholt hatte. Das Rätsel ist also bisher nicht gelöst, zumal der Hauptzeuge und Angeklagte Prophet Elias fehlt. Gerüchte besagen, daß er Selbstmord begangen und im Toten Meer ertrunken sei. Wir wiederholen, was wir bereits damals geschrieben haben, daß diese Gerüchte geradezu lächerlich sind, denn die Dichte des Toten Meeres ist viermal größer als die des Meereswassers, so daß er überhaupt nicht hätte ertrinken können; kann man doch auf dem Spiegel des Toten Meeres ruhig 34 schlafen. Wahrscheinlicher ist, daß Herr Prophet Elias nach Phönizien geflüchtet ist, von wo er uns sicher bald mit einem seiner guten und fesselnden lateinischen Leitartikel überraschen wird, die sich immer der Beliebtheit unserer Leser erfreuen.«
Die Verhandlung wurde gegen die achte Morgenstunde eröffnet und als erster trat mit seinen Ansprüchen Herr Metzeles vor, dessen Sohn zerrissen worden war.
»Wie hoch schätzen Sie den Schaden ein?«
»Gott der Gerechte, was heißt schätze? Ich hab so einen Schaden, daß ich mich davon nicht erholn wer. Mein Sohn Aron war doch so e braves Jingl und hat angehabt zwei Paar Hosen, was red ich, vier Paar Hosen vier Westen fünf Röcke, in jeder Tasche hat er gehabt e Uhr und das alles ist weg. Gott der Gerechte, das Jingl weg, die Hosen weg, die Westen weg, die Röcke weg, die Uhren weg!«
»Hören Sie, Herr Metzeles, so viel hat er doch an dem verhängnisvollen Tag nicht anhaben können?«
»Gott der Gerechte, wie hätt er das nicht anhaben solln, er hat angehabt noch mehr, er hat angehabt acht Paar Hosen, acht Westen, acht Röcke, in jeder Tasche e Uhr, e Kette und e Goldstück, das heißt, hohes Gericht, drei Goldstücke.«
»Hören Sie, Herr Metzeles, mir scheint, Sie übertreiben, sagen Sie aufrichtig, wie es war.« 35
»Ich übertreib. Jehova ist mein Zeuge, daß ich genau so die Wahrheit red, wie Sie e reines Herz haben. Gott der Gerechte, sehn Sie her, wie ich wein, ich wein. Das war e so: Aron sagt: ›Tateleben, ich geh bißl spazieren.‹ Ich hab ihn sehr lieb gehabt und weil kühl war, sag ich: ›Aron, nimm dir noch e Paar Hosen, noch e Weste, noch e Rock und da hast du zwei Uhren, damit du weißt, wann du sollst kommen nach Haus.‹«
»Warum zwei Uhren?«
»Gott der Gerechte, eine hat er sich innen in die Weste gegeben und wie er sich die zweite Weste genommen hat, hat er sich die zweite in die zweite Weste gesteckt, damit er sie nicht aufknöpfen muß. Und in dem Moment kommt Mammeleben und sagt: ›Aron, draußen ist kühl, nimm dir noch e Paar Hosen, noch e Weste und noch e Rock und noch e Uhr, damit du dich nicht aufknöpfen mußt.‹ Und dann ist die Großmutter gekommen und hat gesagt: ›Aron, nimm dir noch e Paar Hosen, noch e Weste und noch e Rock und nimm dir meine Uhr hier, damit du weißt, wie spät ist.‹ Dann ist noch e Bruder da, e erster Bruder, e zweiter Bruder, e dritter Bruder, e vierter Bruder.«
Der Vorsitzende ironisch: »Und was die Schwester?«
»Ja, gelobt sei Jehova, Schwestern hat er auch 36 gehabt, e Schwester, e andere Schwester, e dritte Schwester, e vierte Schwester, e fünfte Schwester und dann hat er e Onkel gehabt, e zweiten Onkel, e dritten Onkel und alle drei ham Tanten gehabt und jede hat ihm gesagt: ›Nimm dir noch e Paar Hosen‹, aber was red ich da, sie ham gesagt: ›Nimm dir noch zwei Paar Hosen, noch zwei Westen, noch zwei Röcke und e Uhr.‹ Also, was soll ich Ihnen sagen, Aron ist gegangen, eso wie ihm Tateleben, Mammeleben, Großpapa, Großmama, vier Brüdern, fünf Schwestern, drei Onkel und drei Tanten gesagt ham, das macht, hohes Gericht, neunzehn Paar Hosen, neunzehn Westen, neunzehn Röcke, neunzehn Uhren und neunzehn Goldstücke, Gott der Gerechte, mit dem allen ham sie ihn aufgefressen und heut bin ich e Bettler, e fertiger Bettler, deshalb fordere ich als Schadenersatz e Tonne Silber für die Sachen, für den Schrecken die zweite Tonne, für das Unglück die dritte, für das Herzleid die vierte, für das Weinen die fünfte, und dafür, daß ich den Ernährer verloren hab, die sechste.«
»Aber erlauben Sie mal, war denn so ein Junge Ihr Ernährer?«
»Gott der Gerechte, ist er nicht e Ernährer, wenn er den Vater ernährt? Wenn er nicht gewesen wär, hätt ich nix können verlangen sechs Tonnen Silber; 37 no also, Gott der Gerechte, hab ich den Ernähren verloren oder nicht?«
Das Gericht vertagte hierauf die Verhandlung auf unbestimmte Zeit. 38