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Elftes Kapitel

Schon im Januar hätte er nach Rom gehen können, da der Hof die zweite Hälfte des Winters in Pisa zu verbringen gedachte. Aber seine alte Krankheit nahm ihn wieder vor. Sein Gelenkleiden zwang ihn, abermals das Bett zu hüten. Er ließ sein Bert an das Fenster schieben, einen Tisch daneben stellen und verbrachte seine schlaflosen Mächte, von fürchterlichen Schmerzen gequält, damit, den Sternenhimmel zu untersuchen. Durch die Butzenscheiben konnte er aber nicht sehen, er mußte die Fenster öffnen lassen. Auf die Dauer konnte er jedoch die Kälte nicht vertragen, darum mußte er das Fenster wieder schließen lasten. Bei jeder Bewegung stöhnte er vor Schmerz, und trotzdem setzte er seine täglichen Aufzeichnungen fort. Hatte er sich einigermaßen erwärmt, ließ er das Fenster wieder öffnen.

Tagsüber versuchte er die Sonne zu studieren. Schon seit langer Zeit – noch in Padua – hatte er bemerkt, daß auch die Sonne keineswegs so vollkommen makellos war, wie die Peripatetiker lehrten. Wenn das Wetter etwas dunstig war, so daß seine Augen das In-die-Sonne-blicken einige Sekunden lang aushalten konnten, bemerkte er, daß sich auf der Oberfläche des glitzernden Himmelskörpers Flecke befinden. Seine Beobachtungen ergaben, daß diese verschwommenen Flecke von unregelmäßiger Form sich langsam zur Seite ziehen. Er mußte also annehmen, daß entweder irgendeine unlösliche Materie auf der Oberfläche der Sonne schwimmt oder daß diese Flecke einen bestimmten Standort haben, die Sonne sich aber um ihre eigene Achse dreht, wie ein in Bewegung gesetzter Kreisel.

Länger als zwei Monate lag er so, von Qualen heimgesucht, und schrieb seine Beobachtungen nieder oder beantwortete mit seiner gesunden Hand Briefe. Die meiste Zeit aber dachte er nach. Immer wieder sah er das blaue Weltall vor sich mit der Sonne im Mittelpunkt, er sah die Kugeln, die sich um sie herum auf ihren von der Schöpfung vorgesehenen Kreisbahnen bewegen. Und um einige von ihnen kreisen wiederum ihre eigenen Kinder. Die Flächen der einzelnen Bahnen schneiden sich in schiefem Winkel, einmal wirft dieses Gestirn vorübergehend einen Schatten auf das andere, dann wieder jenes auf dieses. Und auf dieses Kreisen, das an das Schwärmen von Hummeln erinnert und besten letzter Sinn unverständlich bleibt, blicken, Theaterbesuchern gleich, die Fixsterne, und über dem ganzen Bild schweben gleich einem Schleier die Millionen Sterne der Milchstraße. In dieser Welt gibt es kein Oben und Unten, keinen Tag und keine Nacht, die Sonne strahlt ununterbrochen, und das Ganze wird vom Nichts im Nichts gehalten. Was ist das alles? Und was verbirgt sich hinter dem Standort des am weitesten entfernten Sternes, wo die Kurzsichtigkeit der peripatetischen Schule ein für allemal die Grenze ziehen will …?

»Was ich alles erledigen muß, was ich alles erledigen muß!« seufzte er und suchte sich deutlich zu vergegenwärtigen, wie er sich jetzt auf einem Stern des kopernikanischen heliozentrischen Weltsystems im All befinde, auf einem seiner Kontinente, in einer bestimmten Stadt, einer bestimmten Villa, in einem bestimmten Zimmer … und wie das ganze kopernikanische Weltall, sich in einem Miniaturbild spiegelnd, in seinem Kopf herumschwinge, dröhne und kreise …

Im März war er endlich so weit genesen, daß er sich auf den Weg machen konnte. Er nahm eine wertvolle Ausrüstung mit: das beste seiner Fernrohre und seine fleißig geführten Tagebuchnotizen über die Himmelskörper. Auch unterwegs setzte er seine Beobachtungen fort, in seinen Aufzeichnungen fehlte kein einziger Tag: den genauen Standort der Jupitertrabanten vermerkte er in jeder geschlagenen Nacht, nur ab und zu mußte er statt aller Beobachtungen hinschreiben, eine viel zu dicke Wolkendecke habe alles verborgen. Tagsüber rief er sich die Erinnerungen an seine Jugendwanderungen ins Gedächtnis, wo er auf der Landstraße zu Fuß dahintrottete und nur manchmal von menschenfreundlichen Fuhrwerkern weiterbefördert wurde. Heute trug ihn eine Sänfte des Hofes nach Rom.

An einem schönen Frühlingstage kam er spät am Nachmittag an und ließ sich geradeswegs zur Gesandtschaft tragen. Niccolini, der toskanische Gesandte beim Heiligen Stuhl, wußte bereits von seiner Ankunft, nahm das eigenhändige Handschreiben des Großherzogs entgegen und wies ihm zwar kühl, aber mit außerordentlicher Höflichkeit seine Wohnräume im Palais an. Der Gesandte wohnte in der Stadt, um der päpstlichen Residenz möglichst nahe zu sein, obwohl am Pincio die fabelhafte Medici-Villa prunkte, die die Dynastie vor einigen Jahren gekauft hatte. Galileis geheime Sehnsucht war es, dort wohnen zu können, aber die Höflichkeit des Gesandten war so kühl, daß er sich nicht wagte, ihm gegenüber irgendwelche Wünsche zu äußern.

In aller Eile packte er seine Sachen aus, nahm ein Fernrohr an sich und suchte Pater Clavius auf. Er ging in das Jesuitenkollegium. Vor fünfundzwanzig Jahren war er zum letzten Male in Rom gewesen, nur schwer fand er sich zurecht, das Stadtbild hatte sich inzwischen wesentlich verändert. Aber endlich war er doch an Ort und Stelle. Statt des kraftstrotzenden, untersetzten Paters sah er einen gebeugten zahnlosen alten Mann mit gekrümmtem Rücken, den er kaum wiedererkannte. Bis jetzt war ihm wohl nie eingefallen, daß Pater Clavius schon über siebzig Jahre alt sein mußte. Sie umarmten einander herzlich, dann stellte Pater Clavius ihm den jungen Jesuiten vor, der sich in seinem Zimmer aufhielt.

»Das ist Pater Grienberger, den Ihr durch Briefwechsel schon kennt. Liebet Euch.«

Das Gespräch wurde in lateinischer Sprache geführt; Pater Clavius konnte zwar sehr gut Italienisch, aber Grienberger noch nicht. Er war ein rothaariger, schlanker Jesuit, ein Deutscher aus Tirol, mit heiteren, klugen Gesichtszügen. Galilei fand ihn sogleich sehr liebenswert. Und wenige Minuten später waren sie schon bei der Astronomie angelangt. Dem Jesuitenkollegium stand hierfür ein vortrefflich eingerichteter Raum zur Verfügung, mit sehr vorteilhaft gebauten Fenstern, Himmelsglobus, Handbüchern, Karten; aber das Wichtigste, das sehr gute Fernrohr, hatte Galilei erst mitgebracht. Stundenlang betrachteten sie am Himmel alles, was Galilei im » Sidereus Nuntius« der Welt verkündet hatte. Und was er dort geschrieben hatte, ergänzte er nun durch endlose Kommentare.

»Jetzt sagt mir aber, mein lieber Sohn, was eigentlich der wahre Zweck Eurer römischen Reise ist«, unterbrach ihn Pater Clavius endlich.

»Das will ich Euch sagen, mein Vater. Ich habe zwei Ziele: eins, das mir sehr nahe, und eins, das mir etwas ferner liegt. Das Näherliegende ist, ein kirchliches Forum zu finden, das bereit ist, den » Sidereus Nuncius« zu überprüfen, seine Behauptungen zu untersuchen, und mich dadurch zugleich rechtfertigt, sowie des weiteren auch die von mir entdeckten Medici-Sterne bestätigt. Aber ich habe auch ein fernerstehendes Ziel. Hierzu muß ich Euch erklären, daß ich einen hervorragenden Schüler namens Castelli habe, der soeben den astronomischen Lehrstuhl an der Universität zu Pisa erhalten hat. Castelli ist natürlich Kopernikaner, er ist ja mein Schüler. Aber: nach den Statuten der Universität Pisa werden alle Entscheidungen von dem Oberkurator, einem gewissen Grafen d'Elzi, getroffen. Der ist ein verknöcherter Peripatetiker. Bevor sie Castelli in sein Amt einführten, mußte er geloben, Astronomie nicht nach Kopernikus, sondern nach dem Almagest zu lehren. Was konnte der arme Kerl anderes tun als die Bedingung annehmen. Ich hatte genau so gehandelt: bis zuletzt habe ich in Padua das Almagest gegen meine bessere Überzeugung gelehrt. Jetzt aber möchte ich mit der kopernikanischen Lehre vor die Öffentlichkeit treten. Mich dazu bekennen! Jetzt wage ich es, weil ich Beweise habe. Dies ist aber ein ungeheuerlicher Schritt, so daß ich sehr achtgeben muß. Ich muß ein kirchliches Forum im Rücken haben. Ein gewisser Sizzi klagt mich sowieso schon an, ich stünde im Gegensatz zur Heiligen Schrift.«

Clavius nickte, dann erklärte er:

»Der Plan ist gut und klug. Sizzi ist ein großer Esel, wir haben sein Werk gelesen und herzlich gelacht. Aber Eurem Kopernikus glaube ich auch nicht, mein Sohn!«

»Darüber kann man streiten, mein Vater«, sagte Galilei lächelnd, »aber erst, wenn ich vor die Öffentlichkeit getreten bin. Bleiben wir einstweilen beim » Sidereus Nuncius«. Haltet Ihr es für undurchführbar, eine kirchliche Kommission einzusetzen?«

»Natürlich nicht, wenn Ihr Protektion habt. Bei guter Unterstützung halte ich alles für ausführbar. Habt Ihr gute Protektion?«

»Reichlich. Wenn erforderlich, sogar beim Papst.«

»Das läßt sich hören!« erwiderte der alte Jesuit und erhob sich. »Der Papst ist allmächtig, sogar in der Wissenschaft.«

Während er seinen Gast von Grienberger hinausgeleiten ließ, fügte er noch hinzu:

»Bezieht Euch aber bei Seiner Heiligkeit nicht auf Fra Paolo Sarpi, diesen Rat möchte ich Euch geben! Wie ich höre, wart Ihr in Venedig sehr eng befreundet. Und auch von Eurem Familienleben erwähnt Seiner Heiligkeit gegenüber nichts.«

Sie waren am Tor.

»Kommt morgen vormittag wieder, ich werde Euch mehrere Mathematiker unseres Ordens vorstellen. Gute Nacht.«

»Der alte Clavius ist ein Spießbürger geworden«, war Galileis erster Gedanke. Als er dann aber in der Nacht den Weg nach Hause suchte, fand er eine Erklärung für die spitzen Bemerkungen des Paters. Clavius liebt seinen Orden, wie die Jesuiten überhaupt stets mit Leib und Seele Jesuiten sind. Und Fra Paolo Sarpi ist schuld, daß Serenissima die verjagten Jesuiten heute noch nicht wieder aufnehmen will, obwohl sie sich mit dem Heiligen Stuhl längst ausgesöhnt hat.

Am anderen Tage begann er seine organisatorischen Arbeiten. Zuerst besuchte er den Kardinal del Monte. Der gebrechliche Greis, der jetzt dem unvergeßlichen Marchese Guidubaldo auffallend ähnlich sah, wußte nicht, was er vor Freude mit seinem Gast anfangen sollte. Als ihm Galilei erzählte, was er begehrte, warf der Kardinal sofort ein:

»Bellarmin! Wenn jemand das zustande bringen kann, dann ist er es. Und ein Jesuit ist er obendrein.«

Dann lächelte er und fügte hinzu:

»Habt Ihr ihm kein Empfehlungsschreiben gebracht von Fra Paolo Sarpi? Na, na, ich scherze ja nur! Wir wollen hoffen, daß Bellarmin diese Freundschaft nicht in die Waagschale der Wahrheit legen wird.«

»Verzeiht vielmals«, bat Galilei lebhaft, »stehe ich denn hier in Rom so sehr im Rufe eines Kirchengegners?«

»Allerdings. Die Freundschaft Sarpis ist hier keine Empfehlung. Und in Rom ist man über alles sehr gut unterrichtet.«

»Aber von mir? Rom? Bin ich denn eine so wichtige Person?«

»Natürlich! Ihr seid Euch vielleicht gar nicht im klaren darüber, wie berühmt Ihr seid. Seit Tagen höre ich nichts anderes als: Galilei kommt. Von zehn Seiten mindestens habe ich das gehört. Ich konnte nicht genug von Euch erzählen, als es sich herausstellte, daß wir alte Freunde sind. Wißt Ihr was, ich bringe Euch selbst zu Bellarmin. Morgen verabrede ich mit ihm den Zeitpunkt.«

Dabei blieb es vorläufig. Galilei ließ sich in seiner Sänfte weitertragen. Er hatte Empfehlungsschreiben auch an andere Geistliche, und die Jesuiten mußte er auch wieder besuchen. Von diesem Tage an kam er fast nur mit Geistlichen in Berührung. Ein Bekannter brachte den anderen. Immer wieder staunte er, wie berühmt er war. Viele empfingen ihn mit begeisterter Freude, andere mit unverhohlener Feindseligkeit, gleichgültig aber niemand. Zu den Jesuiten ging er so gut wie jeden Tag, er lernte das ganze Kollegium kennen, ging stundenlang erklärend und debattierend mit den Patres im Garten spazieren. Und endlich kam der Tag, wo er den Kardinal Bellarmin besuchen durfte, den ihm Sarpi als einen sehr ernst zu nehmenden Gelehrten und gewichtigen Feind bezeichnet hatte. Er war darauf vorbereitet, daß der berühmte Kardinal sofort auf Fra Paolo anspielen würde. Dafür hatte er sich schon eine Antwort zurechtgelegt: er erzählte jedem, was für ein frommer Mann Fra Paolo einerseits und welch begeisterter venezianischer Patriot er andererseits sei, und daß man ihn nach seinen Taten bewerten müsse.

Der Kardinal Bellarmin erwähnte aber Fra Paolo Sarpi mit keinem Wort. Der große Kirchenfürst war ein majestätisch aussehender, siebzigjähriger Mann. Unter der energischen Nase trug er einen langen Schnurrbart, der mit dem Backenbart verwachsen war, und das Eigentümliche an seinem Gesicht war, daß die Augenbrauen von der Nasenwurzel aus nach oben zu liefen. Gnädig reichte er dem Besucher die Hand zum Kuß, wies ihm einen Platz an und kam sofort zur Sache. Galilei trug seine Bitte vor: Er bäte um einen Ausschuß, der die Behauptungen des » Sidereus Nuncius« untersuchen solle, es wäre seine größte Freude, wenn der Kardinal selbst das Präsidium in diesem Ausschuß übernähme.

»In dieser Form übernehme ich es nicht«, erwiderte der Kardinal sogleich mit starker, durchdringender Stimme, »aber die Form werde ich schon finden. Das Werk habe ich gelesen, es hat mich über alle Maßen verblüfft. Es wäre wünschenswert, wenn ich mit eigenen Augen sehen könnte, was das Werk behauptet.«

Galilei erbot sich sofort, an einem der nächsten Abende seine Erfindung mitzubringen und mit Erklärungen zu dienen. Aber der Kardinal ging darauf nicht ein: er wollte selbst am Sternenhimmel Ausschau halten. Er würde schon wissen, was er zu denken habe. Das Zweckmäßigste würde sein, wenn er das Fernrohr im Jesuitenkollegium erhielte, über alles Weitere würde er zu gegebener Zeit Nachricht geben.

»Das eine Fernrohr, Monsignore, ist ständig bei den Jesuiten, da ich mehrere mitgebracht habe. Es steht Euch jederzeit zur Verfügung.«

»Gut so. Ich versichere Euer Gnaden meines aufrichtigen Wohlwollens.«

Und Galilei küßte abermals diese Hand, von der man leicht annehmen konnte, daß sie den in geheimem Auftrage handelnden venezianischen Meuchelmördern Geld auf den Tisch zählte. Dann ließ er sich in seiner Sänfte zu einem anderen großen Herrn tragen, zum Herzog Cesi. Das war ein reicher junger Aristokrat, der sich für Wissenschaft und Poesie begeisterte. Vor einigen Jahren hatte er in Rom eine Akademie ins Lebens gerufen, die den Namen »Lincei« trug. Dieses »Luchse« sollte andeuten, daß die Mitglieder der Akademie neue Wahrheiten mit Luchsaugen erspähen und gegen die scholastische Verkalkung der Wissenschaft kämpfen sollten. Die Akademie der Luchse wies also einen gewissen antiperipatetischen Einschlag auf. Herzog Cesi hatte Galilei selbst wissen lassen, daß er ihn besuchen wolle; er war jedoch aus Höflichkeit dem Besuche des Herzogs zuvorgekommen und machte ihm zuerst seine Aufwartung. Er lernte in dem jungen Herzog einen eleganten Kavalier mit sehr guten Manieren kennen, der ihn gleich nach der ersten Begrüßung aufforderte, Mitglied der Akademie zu werden. Galilei wollte seinen Ohren kaum trauen.

»Wie ich sehe«, sagte der Herzog, »wundert Ihr Euch. Und ich wundere mich, daß Ihr Euch wundert. Ihr müßt doch wissen, daß Euer Name jeder Akademie der Welt nur zur Ehre gereicht.«

»Eure Durchlaucht zeichnen mich über Gebühr aus. Darf ich mich erkundigen, ob Eure Durchlaucht mein Buch gelesen haben?«

»Den › Sidereus Nuntius‹? Und ob ich den gelesen habe! Und wie oft habe ich mich schon dafür eingesetzt? Es ist wirklich bewunderungswürdig, daß die Menschen so wenig geneigt sind, die Wahrheit zu glauben. Sie glauben lieber das Alte, das Bequemere. Aber deswegen sind wir ja hier, wir Luchse! Seid Ihr also bereit, uns mit Eurer Mitgliedschaft die Ehre zu erweisen? Ja? Ich danke Euch verbindlichst. Jetzt möchte ich Euch aber in meinem bescheidenen Hause herumführen. Ich besitze einige gute Bilder, Skulpturen und Bücher. Meine Frau wird sich auch freuen, Euch kennenzulernen. Hierher, bitte!«

Galilei schwindelte schon der Kopf von den vielen Bildern, Skulpturen und Büchern. Kardinale, hohe Geistliche und andere große Herrn zeigten ihm jedesmal ihre Kunstschätze. Und er hatte stets auch alles mit Vergnügen betrachtet, aber in der kurzen Zeit stürzte eine solche Unmenge von Eindrücken auf ihn ein, daß er einfach nicht mehr aufmerksam zu folgen vermochte. Auch hatte er unendlich viel zu tun, man gab ihn von Hand zu Hand. Wen er kennenlernte, der lud ihn auch noch ein zweites Mal ein. Der Herzog Cesi gab ihm zu Ehren ein festliches Mahl, wo er mit einer Unzahl neuer Menschen zusammentraf. Jetzt behielt er keinen Namen mehr und fing an, die Menschen miteinander zu verwechseln.

Seine Angelegenheiten aber gingen glatt vorwärts. Die Jesuiten ließen ihn wissen, daß der Kardinal Bellarmin bei ihnen gewesen wäre, anderthalb Stunden lang durch das Fernrohr gesehen und sich über das Beobachtete mit großer Befriedigung geäußert habe. Die Bitte Galileis erfüllte er in der Weise, daß er an das Jesuitenkollegium einen Brief richtete und um ein Gutachten über den » Sidereus Nuntius« bat. Ein aus vier Personen bestehender Ausschuß möge die Antwort aufsetzen. Und zwar sollte dieser Ausschuß bestehen aus den Deutschen Clavius und Grienberger, dem Niederländer Maelcoté und dem Italiener Lembo. Die Patres setzten die Konferenz auf den vierundzwanzigsten April an. Galilei beschloß, bis dahin auszuruhen und den Pincio zu genießen. Der Gesandte mußte nämlich plötzlich verreisen, und er benützte diese Gelegenheit sogleich dazu, seine Sachen in die herrliche Medici-Villa schaffen zu lasten. Aber ausruhen konnte er doch nicht, weil er gleichzeitig die Nachricht erhielt, daß ihn Seine Heiligkeit der Papst empfangen wolle.

Darauf hatte er gar nicht mehr zu hoffen gewagt. Der Gesandte Niccolini hatte noch am Tage seiner Ankunft gemeldet, Galileo Galilei, Hofmathematiker aus Florenz, bäte, dem Heiligen Vater seine Huldigung zu Füßen legen zu dürfen. Aus dem Vatikan war darauf keinerlei Bescheid gekommen. Er dachte schon, die ganze Sache wäre eingeschlafen. Und jetzt auf einmal erschien frühmorgens ein Schweizer Gardist mit einem versiegelten Schreiben, das die Stunde der Audienz enthielt: noch an diesem Tage, vormittags. Er kleidete sich sehr sorgfältig an, zog sein schwarzes Samtwams an, aus dem ein schneeweißer Leinenkragen hervorleuchtete, setzte auch das mit Federn geschmückte Barett auf, und noch in der Sänfte zupfte er an sich herum. Bereits eine halbe Stunde vor der festgesetzten Zeit war er dort. Im Vorzimmer arbeitete ein junger päpstlicher Kämmerer, dem übergab er seine Einladung. Der Kämmerer unterwies ihn vor allem, wie er sich vor dem ersten Herrscher der Welt zu benehmen habe: er müsse vor dem Papst niederknien, seinen heiligen Pantoffel küssen, sich dann wieder aufrichten und kniend die Fragen Seiner Heiligkeit entgegennehmen, bis dieser den Besucher selbst aufforderte, sich zu erheben. Galilei hörte sich alles das folgsam an und wartete.

»Wer ist jetzt drinnen bei Seiner Heiligkeit?« erkundigte er sich.

»Sein Neffe, der Staatssekretär Scipione Caffarelli.«

Inzwischen trat ein junger Mann ein, den kaum der erste Bartflaum zierte, angetan mit einer prächtigen militärischen Uniform und mit glitzerndem Geschmeide behangen. Als ob er hier zu Hause wäre, eilte er durch das Vorzimmer, winkte dem Kämmerer flüchtig zu und eilte zum Papst.

»Wer war das?«

»Seine Exzellenz Borghese, General der päpstlichen Streitkräfte. Gleichfalls ein Neffe Seiner Heiligkeit.«

»So. Und wie alt ist der Herr General?«

»Neunzehn.«

Galilei hielt es für richtig, keine Bemerkung weiter zu tun. Er bedauerte, überhaupt gefragt zu haben. Nach langem Warten, als die für ihn bestimmt gewesene Zeit längst vorüber war, kamen die beiden Neffen wieder heraus, und er konnte eintreten. Gemäß den Vorschriften eilte er der in der Mitte des Saales stehenden Gestalt zu, kniete unmittelbar vor ihr nieder und berührte einen der weißen, mit Edelsteinen besetzten Pantoffel mit seinen Lippen. Dann richtete er sich auf, um bis zum Schluß kniend zu verharren. Aber der Papst hieß ihn sofort aufstehen.

»Ich freue mich, den berühmten Gelehrten begrüßen zu können.«

Galilei stand dem Statthalter Christi gegenüber. Der Beherrscher aller Seelen war ein großer, kräftiger Mann, etwa in den sechziger Jahren, von straffer, kraftvoller Haltung. Ein spärlicher Schnurrbart und ein gepflegter Spitzbart zierten sein breites, rundes Gesicht. Er hatte eine sehr spitze Nase und ein süßliches, fast schmeichlerisches Lächeln. Am auffallendsten waren seine roten, wulstigen Lippen, die er, während er redete, immerfort mit der Zunge befeuchtete, wie ein auf ein gutes Mahl bedachter Tiger. Das war also der Mann, der einen friedlichen, dilettierenden Schriftsteller wegen eines Manuskriptes hatte köpfen lasten.

»Ich danke Eurer Heiligkeit ergebenst für die große Gnade, daß ich hier erscheinen darf.«

»Und wie lassen sich deine Angelegenheiten an, um deretwillen du nach Rom kamst? Kardinal Bellarmin hat mir berichtet, worum es sich handelt.«

»Übermorgen setzt sich der Ausschuß zusammen, Euere Heiligkeit. Ich hoffe zuversichtlich, daß mir die Patres recht geben.«

»Bellarmin meint, deine Behauptungen wären richtig. Auf alle Fälle ist dein Eifer, die Wege der Kirche befolgen zu wollen, anerkennenswert. Das lobe ich ganz besonders an dir! Sei auch fürderhin bestrebt, ein treuer Sohn der Kirche zu sein, dann wirst du in deiner wissenschaftlichen Arbeit stets auf meine persönliche Unterstützung rechnen können.«

Galilei verbeugte sich dankerfüllt. Diese Äußerung des Papstes schien für die Wissenschaft ganz Europas von entscheidender Wichtigkeit zu sein.

»Hast du noch irgendeine Bitte an mich, Galilei?«

»Ich möchte meinem Herrn und Gebieter, dem Großherzog Cosimo II., den Segen Eurer Heiligkeit überbringen dürfen.«

»Ich erteile ihm gerne meinen Segen, ihm, meinem ganz besonders geliebten Sohn. Richte ihm das aus. Und ich segne auch dich.«

Galilei sank in die Knie. Papst Paul machte das Zeichen des Kreuzes über dem Haupt des Knienden, der sich in dem Augenblick noch tiefer beugte, um den mit Edelsteinen besetzten Pantoffel zu küssen. Damit war die Audienz zu Ende.

Wenn man Galilei gesagt hätte, als er das Gebäude verließ, er solle im vatikanischen Garten einen Vogel fangen, so hätte er es getan. Jetzt konnte die ganze Welt gegen den » Sidereus Nuntius« und die Medici-Sterne nichts mehr sagen! Es war nur noch erforderlich, daß das kirchliche Sachverständigenurteil gut ausfiel.

Und es fiel gut aus, mit einem einzigen, winzig kleinen Schönheitsfehler. Galilei erhielt eine Abschrift des an den Kardinal Bellarmin gerichteten Dokumentes, dessen Inhalt bestätigte, daß die Kommission am Sternenhimmel bezüglich der Nebelflecke des Krebses, der Milchstraße, des Saturn, der Venus und des Jupiter alles so gefunden habe, wie der Gelehrte es behaupte. Nur beim Mond wurde erklärt: »Die beträchtliche Unebenmäßigkeit der Oberfläche des Mondes ist nicht zu leugnen, Pater Clavius meint jedoch, daß nicht die Oberfläche ungleichmäßig, sondern der Körper des Mondes selbst nicht überall gleichmäßig dicht sei, daher die betreffenden Flecke und die irrtümlichen Annahmen. Andere halten in der Tat die Oberfläche für uneben, aber hier haben wir noch nicht genügend Beweise, um es mit absoluter Sicherheit behaupten zu können.«

Pater Clavius hielt also immer noch an dem aristotelischen Grundsatz fest, daß die Sterne vollkommen seien und ihre Gestalt eine Kugel. Galilei dankte für das günstige Gutachten und verabschiedete sich.

In Florenz meldete er sich bei dem Großherzog wie ein von einem siegreichen Feldzug heimkehrender Heerführer. Er übergab die Botschaft vom Segen des Papstes und zeigte das Dokument der Kommission vor, in welchem die wissenschaftlichen Autoritäten der Kirche die Medici-Sterne und die anderen Entdeckungen bestätigten. Außerdem händigte er dem Großherzog auch einen Brief des Kardinals del Monte aus, den ihm der Kirchenfürst anvertraut hatte. Cosimo erbrach das Siegel, überflog den Brief und gab ihn lächelnd an Galilei weiter. In diesem Brief schwärmte der liebenswürdige Kardinal von den Erfolgen des Hofastronomen in Rom. »Wenn wir im alten Rom leben würden«, schrieb er unter anderem, »so hätte man sicherlich Galilei am Capitol eine Statue errichtet, um ihn zu ehren.« Vor Glückseligkeit errötend, gab er den Brief zurück.

»Ich werde mich dafür sehr herzlich bedanken«, sagte er. »Ich muß dem Kardinal sowieso wegen meiner Töchter schreiben.«

»Dankt ihm nur, damit er sich freut. Und was habt Ihr für wissenschaftliche Pläne?«

»Ich will langsam und vorsichtig mit der neuen Lehre vor die Öffentlichkeit treten. Dies war der erste Schritt dazu und der gelang.«

»Sehr richtig! Nur gebt immer auf die Kirche acht. Aber was ist mit Euren Töchtern?«

»Ich habe viel Schwierigkeiten mit ihnen, Hoheit. Die ältere lernt in einem Kloster. Die jüngere ist bei meinem Schwager, aber dort muß ich sie jetzt wegholen, weil meine Mutter eine etwas schwierige Natur ist und mit einem kleinen Mädchen nicht fertig wird. Ich wollte auch sie in das Kloster geben, aber die Oberin sagt mir, daß man seit der Verordnung Papst Leos XI. zwei Geschwister in ein und dasselbe Kloster nicht aufnehmen dürfe. Vielleicht wenn der Kardinal den Papst ersuchen würde, eine Ausnahme zu gestatten … Man hat immer seine Sorgen, Hoheit.«

»Ja, mit Kindern ist das immer so. Meinem neugeborenen Sohn, dem Herzog Giovanni, können wir sein Darmleiden nicht heilen. Und ich habe Euch auch noch gar nicht erzählt, welch traurige Nachricht ich von Giuliano aus Prag erhielt: die Familie Kepler erkrankte an Masern, und die Frau und der Sohn sind gestorben. Der arme Kepler steht jetzt mit zwei noch unmündigen Töchtern da und ist bis über die Ohren verschuldet; denn Kaiser Rudolf konnte ihn schon seit langer Zeit nicht mehr bezahlen. Ja, ja, Gutes hört man selten. Eine um so größere Freude ist es, daß Eure Reise nach Rom von einem so schönen Erfolg gekrönt war. Wenn ich erst Zeit habe, müßt Ihr mir eingehend berichten. Im Augenblick habe ich aber sehr viel zu tun.«

Galilei ging, seine Töchter zu besuchen. Er war von dem Hanse Landuccis noch eine ganze Strecke entfernt, als er schon den wohlbekannten Redeschwall vernahm. Seine Mutter hatte wieder ihren schweren Tag. Schreien, Türenknallen und Gekreisch tönte aus dem Hause. Die Nachbarn stellten sich vor die Tür, um die Komödie mit anzuhören. Galilei blieb stehen. Dann entschloß er sich anders und wandte sich um. Er ging ins Kloster. Dort klangen ganz andere Töne an sein Ohr. Gitarrenspiel drang durch die offenen Fenster. Ein Lied aus »Arianna«, dem neuesten Werk von Monteverdi, ganz hervorragend gespielt. Auch hier blieb Galilei stehen, aber nicht, um sich abzuwenden, sondern um sich an dem herrlichen Spiel zu ergötzen. Wer mochte so schön spielen? Er wußte gar nicht, daß sich unter den Nonnen eine so vorzügliche Gitarrenspielerin befand.

Als das Spiel verklang, trat er in das Kloster ein. Bei der Schließerin erkundigte er sich sofort:

»Welche Schwester spielt in diesem Hause so ausgezeichnet Gitarre?«

»Keine Schwester, sondern Eure Tochter Virginia. Wir haben an diesem Mädchen immer mehr Freude. Sie unterrichtet auch die anderen in der Musik.«

Galilei eilte über die Treppe m das Empfangszimmer und bat, man möge seine Tochter von der Klausur zu ihm hierher schicken. Vater und Tochter fielen sich um den Hals.

»Seit wann kannst du denn so gut Gitarre spielen?«

»Ich habe viel geübt, als Ihr in Rom wart.«

»Aber Spaß beiseite, du bist doch eine große Begabung!«

Er wandte den Kopf des Kindes zu sich und sah ihm in die Augen. Ein Engel blickte ihn an.

»Hast du etwas von deiner Mutter gehört?«

»Ich weiß nichts, Euer Gnaden. Sie schreibt nie.«


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