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Sechstes Kapitel

Aus Pesaro kam eine traurige Nachricht. Er mußte den Brief zweimal lesen, weil er es nicht fassen konnte: Alessandro, der eine Sohn des Marchese del Monte, teilte ihm mit, daß der alte Herr sanft entschlafen sei.

 

»Gottes Willen müssen wir uns fügen: wir haben ihn verloren, dem Euer Gnaden in Liebe zugetan waren. Nehmt an unserem Schmerz teil und nehmt an Stelle des Entschlafenen uns als die Eurigen auf, mich und meine Geschwister, die zwar Eurer nicht würdig, aber Euch in Siebe ebenso ungetan sind, wie er Euch liebte, der jetzt schon da oben weilt, bei Gott.«

 

Galilei trauerte dem Heimgegangenen schmerzlich nach. Er hatte niemanden im Leben jemals so lieb gehabt. Und vielleicht hatte auch ihn niemand so lieb gehabt. Solche große Seelen verlosten die Erde und so nichtsnützige Kreaturen wie Capra führen lustig ihr irdisches Dasein weiter!

Die Osterferien standen vor der Tür. Er beschloß, gegen Capra gerichtlich vorzugehen. Für gelehrte Angelegenheiten war der Bo die oberste Behörde. Er mußte sich also mit seinem Prozeß an die Riformatori wenden. Er ging mit dem festen Vorsatz nach Venedig, nicht eher zu ruhen, als bis er sich Genugtuung verschafft hätte.

Fra Paolo war der erste, den er besuchte. Er traf ihn in vortrefflicher Laune an. Auch der junge Sekretär Micanzio strahlte über das ganze Gesicht.

»Was sagt Ihr zu meinem Sieg?« rief ihm der Mönch strahlend entgegen. »Bellarmin hat vergeblich beraten und Briefe geschrieben, umsonst haben alle Anhänger des Nuntius unterirdisch gewühlt, ich habe gesiegt! Der Papst hat den Rückzug angetreten. Aber sicherlich habt Ihr schon in Padua davon gehört.«

»Ja, ich habe mit halbem Ohr läuten gehört, daß der Friede nahe sei.«

»Er ist schon da! Serenissima wird nun erst recht selbst über die Vergehen Geistlicher in weltlichen Angelegenheiten richten und hat nun erst recht jenes Gesetz in Kraft belassen, wonach niemand sein Vermögen zugunsten kirchlicher Anstalten verschenken darf. Alles ist geblieben wie es früher war. Es hat zwar ein ganzes Jahr lang gedauert, aber Seine Heiligkeit, der Papst, hat schließlich eingelenkt.«

»Kurz und gut: der Krieg ist aus, und Ihr könnt Euch endlich ausruhen, mein Vater.«

»Keine Rede davon. Soeben habe ich mich an eine neue Riesenarbeit gemacht. Ich will eine Geschichte des Tridentinischen Konzils schreiben, die vieles klären soll. Aber auch der Kampf ist für mich noch lange nicht beendet. Rom wird mir diesen Sieg nie verzeihen. Wie ich hörte, soll der Papst erklärt haben: ›Dieser Sarpi ist schlimmer als die Calvinisten.‹ Einen anonymen Brief habe ich auch erhalten. Ich möge mich gut vorsehen, mit einem blauen Auge käme ich diesmal nicht davon. Aber jetzt bemerke ich erst, Ihr seid ja ganz aufgeregt. Was habt Ihr denn?«

Wortlos holte Galilei das Buch Capras hervor und schlug die Stelle auf, die ihn des Plagiats bezichtigte. Fra Paolo war ganz erstaunt.

»So etwas ist mir noch nie vorgekommen. Das ist tatsächlich eine himmelschreiende Unverschämtheit. Wie war das denn möglich?«

»Je länger ich darüber nachdenke, um so klarer wird mir vieles. Diese Capras, die mit Simon Mayr unter einer Decke stecken, neiden mir meine Geschäfte. Lange schlichen sie um mein Haus herum, spionierten in meiner Werkstatt und, wie ich hörte, sind sie dem Zirkel lange nachgelaufen, um eine genaue Zeichnung anfertigen zu können. Soviel Geld hatten die Elenden nicht übrig, daß sie durch einen Beauftragten hätten ein Stück kaufen lassen. Jetzt stellt sich heraus, daß sie einen von Cornaro geliehen erhielten. Das hat mir Cornaro selbst erzählt; denn Capra war so unglaublich kühn, ihm auch ein Exemplar seiner Schrift zu senden. Cornaro las es durch, griff sich an den Kopf und kam sogleich zu mir. Er entschuldigte sich tausendmal, daß er den Zirkel an Capra ausgeliehen habe und so zum Mittäter in diesem Skandal geworden sei.«

»Ist denn Cornaro bereit, dies zu bezeugen?«

»Natürlich. Er ist zu allem bereit. Er kommt gern nach Venedig, um vernommen zu werden.«

»Dann ist ja alles gut. Capra wird zweifellos verurteilt werden. Die Eingabe werden wir beide schon aufsetzen. Heute habe ich zwar keine Zeit mehr, aber den morgigen Tag will ich gern dafür freihalten. Übermorgen suchen wir dann mit der Eingabe die Riformatori auf.«

Sie verabredeten sich für den nächsten Tag. Galilei legte zu Hause alles sorgfältig zurecht. Er brachte Capras Buch mit, das am siebenten März gedruckt worden war, und auch sein eigenes, das er dem Prinzen Cosimo gewidmet hatte und das bereits am zehnten Juni vorigen Jahres erschienen war. Er brachte Briefe mit, die er Jahre zuvor erhalten hatte und in denen sich die verschiedensten Persönlichkeiten für den Zirkel bedankten, den er ihnen geschenkt hatte. Er brachte die Quittungen von Messer Silvestro mit, aus denen hervorging, daß ihm Galilei für die Abschrift der Gebrauchsanweisungen des Zirkels schon mehrere Jahre ein Honorar zahlte. Die Eingabe war also nicht schwer aufzusetzen, aber Fra Paolo war in der Formulierung derartiger amtlicher Schriftstücke doch viel gewandter.

Am darauffolgenden Tage hielten die Riformatori zufällig eine Sitzung ab. Auch dieses Jahr waren ihrer drei: Francesco da Malin, Antonio Quirini und Girolamo Cappello. Quirini war aber zu dieser Sitzung nicht erschienen, da er schon seit langem krank war. Galilei, dem bereits vor Beginn der Sitzung Einlaß gewährt worden war, richtete seine Rede hauptsächlich an Cappello. Der war ein großer, blonder Mann mit weißer Hautfarbe und Neigung zur Korpulenz. Seiner einst so berückend schönen Verwandten, die auf dem Thron von Florenz gesessen hatte, war er nicht im geringsten ähnlich.

»Die Sachlage ist ziemlich klar«, unterbrach Cappello den Gelehrten mitten in seinem Vortrag, »wir fassen in dieser Sitzung am besten gleich einen Beschluß. Wenn Ihr Zeit habt, könnt Ihr draußen warten.«

Galilei hatte Zeit. Er war noch immer unbändig zornig. Minutenlang wurde er ruhiger, dann wieder wollte er jemandem in aufwallender. Wut an die Gurgel springen. Zwei gute Stunden saß er im Vorzimmer, bis die Beratung der beiden Herren zu Ende war. Im Fortgehen beruhigten sie ihn dann:

»Wir haben von diesem Fall beiden Rektoren des Bo, dem Bürgermeister von Padua, Ermolao Zaër, und Giovanni Manipiero, dem Polizeipräfekten von Padua, Mitteilung gemacht, daß sie den Verkauf des Buches sofort untersagen. Außerdem haben wir Baldassare Capra in zehn Tagen hierherbestellt. Wir haben die Frist deshalb so kurz bemessen, weil es unsere Pflicht ist, darüber zu wachen, daß ein Professor des Bo sich von der Verdächtigung eines Plagiats so schnell wie möglich reinigt. Wir hoffen, daß Euer Gnaden zufrieden sind. Nur keine Sorge, Ihr werdet Genugtuung erhalten.«

Galilei verbeugte sich dankend. Er beriet noch mit Sarpi, was weiter zu unternehmen sei, dann kehrte er nach Padua zurück. Während der Osterfeiertage sprach er nicht auf der Universität vor. Da er in der Stadt allerlei zu besorgen hatte, mußte er hin und wieder an der Buchhandlung des Pietro Paolo Tozzi vorbei. Sonst kehrte er stets bei ihm ein, um eine Zeitlang mit ihm zu plaudern. Diesmal ging er, rot vor Zorn, weiter. Aus dem Laden tönten die Stimmen von Capra und Mayr, die sich vergnügt mit dem Buchhändler unterhielten. Sie ahnten noch nicht, daß Capra aus Venedig eine Vorladung erhalten würde. Er beschleunigte seine Schritte. Er war so wütend, daß ihm der Hals eng wurde und an den Schläfen die Adern anschwollen. In dem Gesicht eines jeden seiner Bekannten forschte er, ob er wohl schon das Buch Capras gelesen habe. Er errötete, wenn er einen Schüler traf, der ihn grüßte. Vielleicht lachte dieser Junge hinter seinem Rücken schadenfroh den erwischten Plagiator aus! Wenn es doch möglich wäre, die Zeit vorwärts zu schieben, damit er endlich seinem Verleumder gegenüberstehen könnte! Er hielt es in Padua nicht aus und ging zurück nach Venedig, um dort die Verhandlungen abzuwarten.

Die Verhandlung verzögerte sich jedoch um zwei Tage, da die Riformatori in ihren Sitzungen so viel zu erledigen hatten, daß der Fall Capra nicht sofort an die Reihe kommen konnte. Sie warteten: auf der einen Seite Galilei, vor Zorn bebend, auf der anderen Seite der junge Capra und neben ihm sein Berater und böser Dämon Simon Mayr, der ohne Zweifel der Urheber der ganzen Affäre war. Die gegnerischen Parteien grüßten einander nicht. Galilei stellte sich an das Fenster und blickte hinaus auf das Wasser. Die anderen beiden aber flüsterten fortwährend miteinander. Endlich erklärte man ihnen, daß ihre Sache erst am nächsten Tage verhandelt würde; sie möchten morgen um neun Uhr vormittags wieder hier sein. Galilei nickte, drehte sich um und ging. Unten auf der Straße sah er, daß Capra und Mayr, heftig gestikulierend, sich in entgegengesetzter Richtung entfernten.

Am anderen Tage brauchten sie nicht wieder zu warten. Malin und Cappello hatten an dem Sitzungstisch mit der grünen Decke Platz genommen. Vor ihnen lag das Material des Prozesses: die beiden Bücher und allerlei andere Schriften. Mayr mußte im Vorzimmer bleiben, nur die beiden Parteien durften eintreten.

»Wir ersuchen Euch«, forderte Malin den Kläger auf, »Eure Beschwerde vorzutragen.«

Galilei begann zunächst ruhig und mit trockener Sachlichkeit seine Geschichte herunterzuleiern. Je länger er aber redete, um so erregter wurde er, er feuerte sich selbst an und schließlich brüllte er wie ein Löwe.

»Mit aller Entschiedenheit verwahre ich mich dagegen, daß ich meine Erfindung oder auch nur einen unbedeutenden Teil davon jemand anderem gestohlen haben soll, ganz gleich, ob dem jungen Manne hier oder sonst einem Lebewesen dieser Welt. Und wenn mir dieser Lump keine ausreichende Genugtuung gibt, erwürge ich ihn mit bloßer Hand!«

»Ruhig«, beschwichtigte Malin, »ruhig! Wir wollen doch den sachlichen Charakter dieser Sitzung wahren. Was ist Eure Antwort darauf, Messer Capra?«

Der junge Capra gab sich Mühe, ein unschuldiges Gesicht zu machen.

»Ich verstehe wirklich nicht«, sagte er und riß die Augen weit auf, »warum ich Seiner Gnaden, Messer Galilei, hier eigentlich gegenüberstehe. Ich wüßte nicht, worüber ich mit ihm zu streiten hätte. Ich habe ein Instrument erfunden und darüber ein Buch geschrieben. Ich verstehe nicht, wie Seine Gnaden dazu kommen, mich deswegen zu verklagen.«

Malin unterbrach ihn ungeduldig.

»Halt, junger Mann, wir haben keine Zeit zu langen Diskussionen. Euer Buch spricht, ohne einen Namen zu nennen, von einem Gelehrten, der sich nicht scheue, diese angeblich von Euch gemachte Erfindung als die seine zu bezeichnen.«

»Ich habe nicht auf den verehrungswürdigen Messer Galilei angespielt. Warum bezieht er das auf sich?«

Der Riformatore schlug mit der flachen Hand auf den Tisch.

»Es gibt nur einen Gelehrten, der diesen Zirkel als seine Erfindung bezeichnet, verkauft und erklärt. Auf diese Weise kann man sich der Verantwortung nicht entziehen, junger Mann. Ihr habt in Eurem Buch behauptet, daß Messer Galilei Eure Erfindung gestohlen habe. Das müßt Ihr hier nun beweisen.«

»Es ist nicht gerade meine Erfindung … Das heißt, sie stammt schon von mir, ich habe nur den Grundgedanken von einem anderen entlehnt. Und von ihm hat ihn auch Messer Galilei.«

»Das klingt schon glaubhafter. Von wem habt Ihr also die Idee?«

»Von … äh … von Dingsda …«

»Nun? Dingsda ist kein Name. Von wem also?«

»Von Tycho Brahe«, ächzte Capra. »Von ihm stammt der Gedanke. In ganz Padua erzählt man sich's lang und breit, daß Seine Gnaden, Messer Galilei, diesen Zirkel nach den Angaben eines in Deutschland erschienenen Buches hergestellt habe. Ich habe dieses Buch augenblicklich nicht zur Hand, aber ich verpflichte mich, es kommen zu lassen und hier vorzulegen.«

»Ha!« schrie Galilei, »das kommt gar nicht in Frage! Monatelang zu warten, bis dieses angebliche Buch aus Deutschland kommt! Und bis dahin soll ich als Plagiator dastehen? Nein! Meine Herren, dieser Kerl will das ganze Verfahren nur hinausziehen. Wenn er mir aber unter die Hände kommt und ich seinen Hals zwischen meinen Fingern habe …«

»Ruhig, ruhig, Messer Galilei! Euer Recht soll Euch werden, nur nicht gleich so hitzig sein!«

Galilei wischte sich mit der Hand über das Gesicht und versuchte, sich zu beherrschen. Capra nahm wieder das Wort.

»Ich lege Verwahrung gegen die Zuständigkeit dieses Gerichtes ein. Es handelt sich um eine literarische Frage. Messer Galilei hat die Möglichkeit, auf mein Buch mit einer Gegenschrift zu antworten. Wenn er sich jedoch in seiner Ehre gekränkt fühlt, so können wir ja unsere Degen kreuzen, wie es sich für Herren von Geblüt geziemt.«

Das war zuviel für Galilei. Er stürzte sich auf den jungen Mann, doch im letzten Augenblick zerrte ihn der Saaldiener noch zurück. Aber schweigen konnte er nicht länger.

»Du willst einen Zweikampf, du schmutziger Hund? Jetzt bist du wieder Fechtlehrer, he? Erst stiehlst du mein Buch, und jetzt willst du Herr von Geblüt mich auch noch niederstechen? Du Schwein, du Lump du!«

Die Schimpfworte strömten von seinen Lippen; nichts unterschied ihn mehr von Frau Giulia, seiner Mutter, wenn diese in Zorn geriet. Die beiden Riformatori waren kaum imstande, die Ruhe wiederherzustellen. Endlich schwieg Galilei, seine Brust keuchte heftig auf und nieder, seine Augen schossen haßerfüllte Blicke auf seinen Gegner.

»Ich bitte um Gehör!« rief Malin. »Die Frage ist keine literarische. Wenn jemand einen anderen des Plagiats bezichtigt, also des Diebstahls, dann muß er das hier vor uns beweisen. Messer Capra ist, wie wir sehen, nicht imstande, diesen Beweis anzutreten. Er verweist auf irgendein deutsches Werk, aber damit können wir uns hier gar nicht befassen. In seiner Schrift ist weder von Tycho Brahe, noch von einem anderen deutschen Buch die Rede. Hingegen behauptet Messer Galilei in seiner Gegenklage, daß das Buch von Capra Wort für Wort die lateinische Übersetzung seines Buches wäre.«

»Das leugne ich!« erklärte Capra.

»Dann bestellen wir einen Sachverständigen. Und zwar betrauen wir hiermit Fra Paolo Sarpi. Er wird ein Gutachten darüber abgeben, ob das in lateinischer Sprache abgefaßte Werk von Capra als wortwörtliche Übersetzung oder als Auszug des in italienischer Sprache geschriebenen Werkes von Galilei anzusehen ist. Wir verfügen, daß die Bücher sofort an Fra Paolo Sarpi geschickt werden. Für die Ausarbeitung des Gutachtens bewilligen wir eine Frist von fünf Tagen. Heute ist der neunzehnte, die Hauptverhandlung findet am vierundzwanzigsten im großen Verhandlungssaal des vierzigsten Strafsenats statt. Die Hauptverhandlung ist öffentlich. Die Sitzung ist geschlossen.«

Galilei rannte zu Fra Sarpi.

»Ich wußte es eher als Ihr, mein Sohn. Schon gestern fragte mich Malin, ob ich bereit wäre, als Sachverständiger zu fungieren. Ich will das Buch noch heute lesen und den Bericht schon morgen weitergeben.«

»Und was wird in diesem Bericht stehen?«

»Die reinste Wahrheit, mein lieber Sohn, auch wenn sie gegen Euch sprechen sollte.«

Die Kunde von der Hauptverhandlung verbreitete sich schnell in Venedig. Im vierzigsten Senat füllten sich schon früh um neun Uhr die Bänke. Sogar Senatoren waren erschienen, die sich für diesen Skandalprozeß interessierten. Sebastiano Venier, ein steinreicher Patrizier, Mitglied der Dogenfamilie, saß in der ersten Reihe, neben ihm Fra Paolo und ein Grundbesitzer namens Santini. Hinter Sarpi stand sein Leibwächter, der junge Mönch Micanzio. Auch Simon Mayr war da. Auf seinem Gesicht stand geschrieben, daß dies sein Prozeß und nicht der Capras sei. Vor den Richtern stand zwischen zwei brennenden Kerzen ein Kruzifix. Diesmal waren sie zu dritt, da Quirini sein Krankenlager verlassen hatte, um seines Richteramtes zu walten.

Die Verhandlung wurde damit eingeleitet, daß Cappello Fra Paolos Gutachten verlas. Sein Urteil rief in den Bänken große Erregung hervor.

»Es läßt sich leicht feststellen«, las Cappello, »daß in dem lateinisch geschriebenen Buche von Capra sämtliche Abschnitte des früher in toskanischer Sprache erschienenen Buches von Galilei enthalten sind, mit Ausnahme des einunddreißigsten, das sich mit der Quadratur des Kreises befaßt. Ich fand in Capras Buch auch einzelne Stücke, die ich im ersten Augenblick als eigene Gedanken des angeblichen Verfassers anzusehen geneigt war, ungefähr drei, aber nach eingehender Überprüfung erwies sich, daß auch diese Gedanken gleichfalls im Buche Galileis ausgesprochen sind … Das Gutachten des Sachverständigen beweist also zweifelsfrei, daß das Buch Capras ein Plagiat ist. Messer Capra, ich fordere Euch auf, Euch zu rechtfertigen.«

Capra erhob sich. Mayr versuchte, ihm etwas zuzuflüstern, aber umsonst.

»Ich habe kein Plagiat begangen«, stammelte Capra, »was ich schrieb, sind meine eigenen Gedanken.«

Galilei sprang auf.

»Meine Herren, erlaubt mir, an diesen Mann einige Fragen über den Inhalt seines eigenen Buches zu richten.«

Malin, Cappello und Quirini steckten die Köpfe zusammen. Sie wechselten einige Worte, dann nickten sie zustimmend.

»Gewährt!« sagte Malin.

»Der Herr möge mir erklären«, wandte sich Galilei an Capra, »wie man mit diesem Zirkel bei einer Einstellung auf neunzig Grad innerhalb zweier Flächen einen zweikantigen Spitzwinkel abmessen kann.«

»Einen zweikantigen Spitzwinkel …« stotterte Capra, »kann man so … nämlich …«

Er blieb stecken. Mayr gestikulierte verzweifelt und wollte ihm wieder etwas zuflüstern, aber Cappello bemerkte es.

»Was gibt es denn dort? Ich werde Euch aus dem Saale weisen, wenn Ihr die Verhandlung stört!«

Capra ergab sich, er streckte die Waffen.

»Es fällt mir im Augenblick nicht ein. Ich bin zu aufgeregt. Aber in meinem Buch ist es erklärt.«

»Aha!« rief Galilei. »Wie habe ich den Zirkel einzustellen, wenn ich die Neigung einer Stützmauer berechnen will?«

Capra schwieg. Alle im Saale sahen nur auf ihn.

»Er hat von der ganzen Sache keine Ahnung!« rief Galilei. »Ein dummer Kerl ist er und nichts weiter.«

Er setzte sich. Capra schüttelte den Kopf, dann zuckte er die Achseln.

»Bitte, ich bin bereit, Seine Gnaden, Messer Galilei, offiziell um Verzeihung zu bitten. Ich bin auch bereit, diese offizielle Entschuldigung drucken zu lassen.«

Die drei Riformatori blickten fragend auf Galilei, der wiederum mißtrauisch auf Capra.

»Einen Augenblick«, sagte er, da er in der unterwürfigen Beflissenheit des jungen Mannes eine Hinterlist argwöhnte, »einen Augenblick! Was wird mit den Büchern Messer Capras?«

»Wenn ich Euch öffentlich Genugtuung gebe«, erwiderte Capra, »bricht das meinem Buche die Spitze ab. Besser kann ich meine Bereitwilligkeit und meinen guten Willen nicht bezeugen. Jeden, der hier anwesend ist, rufe ich als Zeugen an, daß ich völlige Genugtuung angeboten habe. Wenn Seine Gnaden, Messer Galilei, auch das nicht annimmt, weiß ich nicht, was ich ihm noch anbieten soll.«

Die drei Riformatori schienen jetzt auf seiten Capras zu sein. Die Stimmung der Zuhörer gleichfalls. Aber Galilei ließ sich nicht beirren, er fühlte, daß hier etwas noch nicht in Ordnung war. Während alle mit sichtlicher Ungeduld warteten, forschte er im Gesicht des jungen Mannes, der die allgemeine, zur Milde neigende Stimmung ahnte, und fast stolz den Blick erwiderte.

»Ich möchte von Messer Capra etwas wissen. Will er denn dieses Buch, das er nach der Meinung des Sachverständigen von mir gestohlen hat, in dem er jedoch mich als Plagiator hinstellt, auch weiterhin verkaufen?«

»Verzeihung«, fiel Capra ein, »ich habe nie zugegeben, daß ich mit diesem Buch ein Plagiat begangen hätte. Es ist mein Gedankengut, das behaupte ich und halte es auch aufrecht, selbst dann, wenn jemand zufällig Übereinstimmungen entdeckt. Daher will ich es auch weiter verkaufen. Meinen finanziellen Ruin wird Messer Galilei nicht wünschen können. Und wenn ich die offizielle Entschuldigung feierlich veröffentliche, habe ich meines Erachtens jede erdenkliche Genugtuung gegeben. Jedem, der mein Buch kauft, werde ich auch diese gedruckte Berichtigung aushändigen.«

»Und was wird mit den schon verkauften Exemplaren? Wie viele Exemplare sind von dem Buche hergestellt worden? Ihr braucht gar nicht zu erwidern, ich antworte schon. Die Behörde hat in Padua festgestellt, daß der Bestellbrief über vierhundertachtzig Exemplare lautet. Ich möchte also wissen, wie viele Exemplare noch vorhanden sind.«

Capra hob die Schultern.

»Wie viele gekauft worden sind und wie viele ich an meine Bekannten verschenkt habe, kann ich aus dem Kopfe nicht sagen. Aber ein Rest ist noch vorhanden.«

Galileis Stimme erklang plötzlich laut und erregt.

»Wieso? Ihr habt mehrere Exemplare an Eure Bekannten verschenkt? Wem? Guten Freunden? Hier in der Heimat, oder etwa auch Ausländern?«

Capra gab eine ausweichende Antwort. Er wollte nicht Farbe bekennen. Er geriet aber durch die an ihn gerichteten Fragen, an denen sich jetzt auch wieder die Riformatori beteiligten, in immer größere Bedrängnis. Allmählich kam es heraus, daß Capra den berühmtesten Mathematikern Europas, die er natürlich nicht einmal dem Namen nach, sondern allenfalls aus den Angaben Mayrs kannte, sein Buch gesandt hatte. Und so las jetzt die gelehrte Welt in Löwen und in Prag, in Rom und in Göttingen, daß Galilei eine Erfindung gestohlen habe.

»Seid Ihr bereit, das gedruckte Entschuldigungsschreiben auch allen denjenigen zu schicken, denen Ihr das Buch bereits zugestellt habt?« fragte Malin.

»Ich bedaure, aber ich erinnere mich nicht mehr, wem ich das Buch geschickt habe. Und wenn ich eine Liste gehabt habe, so habe ich sie verloren.«

Riformatore Malin sah nunmehr klar.

»Genug, die Beweisaufnahme ist geschlossen. Messer Capras Bereitwilligkeit, sich zu entschuldigen, war nicht aufrichtig, dies stellen wir hiermit fest, und wir wollen Seine Gnaden, Messer Galilei, gar nicht erst überreden, diese Genugtuung anzunehmen. Jetzt werden wir nach bestem Wissen und Gewissen urteilen. Die Hauptversammlung ist hiermit geschlossen.«

Die drei Riformatori erhoben sich von dem Tisch mit dem Kruzifix und verließen den Saal. Galilei packte blinder Zorn. Er schnaufte wie ein wütender Stier, mit eingezogenem Hals glotzte er Capra an, als wollte er ihn aufspießen. Und Fra Sarpi ergriff gerade noch in dem Augenblick seinen Arm, als er sich zähneknirschend auf den Gegner werfen wollte.

»Laßt mich los«, rief Galilei um sich stoßend, »ich will diesen Lümmel blutig schlagen. Vor der Wissenschaft von ganz Europa hat er meine Ehre befleckt und jetzt will er sich der Verantwortung entziehen! Aber warte nur, du nichtsnutziger Lump, du, ich werde dir schon helfen!«

Blaß hörte ihn Capra an, blinzelte mit den Augen und schwieg. Galilei keuchte vor Aufregung wie ein Blasebalg in der Schmiede. Vier Männer hängten sich zu beiden Seiten an ihn und umklammerten seine stierstarken Arme. So führten sie ihn aus dem Saal.

Das Urteil wurde ihm in Padua zugestellt, gleichzeitig auch der Behörde, dem Buchhändler und offenbar auch dem Gegner. Es lautete:

 

»Am vierten Mai sechzehnhundertundsieben.

Die endesunterfertigten allergnädigsten Herren Riformatori der Universität von Padua haben die Beschwerde des Professors Doktor Galileo Galilei von daselbst vernommen, wonach er vor mehreren Jahren unter dem Titel › Der Gebrauch des geometrischen und militärischen Proportionalzirkels‹ ein Buch geschrieben und veröffentlicht habe, das von Baldassare Capra plagiiert worden sei, indem letzterer unter dem Titel › Der Gebrauch und die Herstellung des proportionalen Zirkels‹ in dem obenerwähnten Padua ebenfalls ein Buch drucken ließ, dessen Text nur eine Übersetzung aus dem Italienischen des Galilei in das Lateinische repräsentiere. Nachdem die allergnädigsten Herren von dem Inhalt der beiden Bücher Kenntnis genommen, die Aussprache zwischen dem obenerwähnten Galilei und Capra in Anwesenheit eines hervorragenden sachverständigen Vertreters der einschlägigen Wissenschaft angehört und befunden haben, daß Capra nicht imstande war, über den Inhalt seines Buches befriedigende Antworten zu geben, erklären die genannten allergnädigsten Herren als einwandfrei erwiesen, daß besagter Capra den Inhalt seines Buches zum größten Teil dem genannten Buche Galileis entnommen hat, durch welches Gebaren er ein nicht geringes Ärgernis erregt und Galilei, den Vertreter der einschlägigen Wissenschaft und Universitätsprofessor, in seiner Ehre angegriffen hat. Demgemäß beschlossen die genannten allergnädigsten Herren einstimmig: die bei Capra oder bei dem Buchhändler Tozzi befindlichen Exemplare des Buches dürfen weder verkauft, noch irgendwie in den Verkehr gebracht werden, sondern sind sofort nach Venedig zu schaffen und den allergnädigsten Herren zu übergeben, damit diese die Bücher auf irgendeine ihnen genehme Art vernichten können, vorbehaltlich des Rechtes, wegen etwaiger Verletzung des Pressegesetzes noch gegen den Drucker und den Buchhändler vorgehen zu können. Francesco Malin, Hieronimo Cappello, Antonio Quirini, Riformatori der Universität Padua.«

 

Laut Pressegesetz wurde dieses Urteil auch auf der Universität verkündet, und zwar nach alter Überlieferung: ein Universitätsdiener begab sich in die Aula des ersten Stockwerkes, und zwar während der stärksten Besuchszeit des Tages. Er setzte eine Trompete an den Mund und blies dreimal kräftig hinein. Der Hof und die drei Arkadengänge waren voller Studenten, die nach den Osterferien alle wieder versammelt waren. Da holte der Hauptpedell das Urteil hervor und verlas es laut. Galilei wurde von den Studenten mit lärmendem Beifall begrüßt. Ein junger Mann rief:

»Suchen wir den Capra auf und prügeln ihn tüchtig durch!«

Der Hauptpedell beschwichtigte aber sowohl ihn als auch seine tatendurstigen Kollegen. Inzwischen begab sich der Polizeipräfekt persönlich in die Buchhandlung Tozzi und bestellte auch einen behördlichen Karren dorthin. Zwei Polizisten zählten die Bände ab. Sie fanden vierhundertvierzig Stück, die sie auf den Karren luden und mit Segeltuch zudeckten, damit die versammelte Menge nichts davon stehlen könne. Von dort aus gingen sie in die Wohnung Capras und nahmen eine Haussuchung vor. Sie fanden noch insgesamt dreizehn Exemplare. Siebenundzwanzig Stück fehlten also. Einige waren sicherlich noch in Padua: der Hauptpedell besaß eines und eines auch Cornaro. Die übrigen hatten Capra und Mayr bereits an die Gelehrten Europas verschickt.

Galilei war noch immer verzweifelt. Fortwährend dachte er an Kepler, Clavius und die anderen, denen Capra und Mayr bestimmt dieses Skandalbuch geschickt hatten.

»Was soll ich machen«, tobte Galilei bei Fra Paolo und Sagredo, »ich kann doch nicht aufs Geratewohl jedem europäischen Mathematiker einen Brief schreiben, es sei nicht wahr, daß ich ein Plagiat begangen hätte.«

»Warum denn nicht?« meinte Sagredo, »Ihr könnt auf dieses Buch eine Erwiderung schreiben, sie drucken lassen und wegschicken. Das ist doch nur eine Geldfrage.«

»Das Geld würde ich beschaffen, und wenn ich es aus der Erde kratzen müßte. Schließlich geht es doch darum, ob mich die europäische Gelehrtenwelt für einen Dieb hält oder nicht. Geld muß herbei und wenn ich morden müßte dafür!«

Er hatte das sehr entschlossen erklärt, aber auch sehr unüberlegt; denn als er zu Hause seine Finanzen prüfte, erschrak er vor dem Ergebnis: er steckte bis über die Ohren in Schulden, Marina mußte er nun schon mit drei Kindern versorgen, seiner Mutter schickte er regelmäßig eine Unterstützung und auch seine Schwäger quälten ihn unablässig; denn den Betrag, den er ihnen ab und zu schicken konnte, zehrten die immer höher werdenden Zinsen auf. Die Hauptschwierigkeiten beschwor Michelagnolo herauf, der das Reisegeld erhalten hatte, aber gar nicht daran dachte, abzureisen. Er verschob die Abfahrt von einem Tage auf den anderen, und endlich ließ er durch einen Brief wissen, daß er sich in ein Mädchen verliebt habe, das er noch heiraten wolle, ehe er nach Bayern gehe. Annachiara Bandinelli, seine Braut, sei vermögenslos, er brauche auch Geld für die Hochzeit, außerdem verdoppelten sich jetzt die Reisekosten. Für alles das sollte Galilei aufkommen. Und dann war noch jeden Augenblick ein Wechsel fällig, von Pontius zu Pilatus mußte er um Geld rennen, ein Loch stopfte er mit dem anderen zu. Und trotzdem gelang es ihm, das Geld für den Druck seiner Schrift gegen Capra zu beschaffen. Er hatte das Gefühl, er müsse krank werden, wenn er diesem Schuft nicht vor aller Öffentlichkeit seine Meinung sagen könne.

In grimmiger Hast schrieb er seine Verteidigungsschrift nieder. Der Gänsekiel stürmte über die Blätter dahin. Die innere Erregung beflügelte seine Hand.

Er tobte sich auf dem Papier aus und merkte selbst, daß dies sein mütterliches Erbe sei … Er mäßigte sich nicht, nahm sich kein Blatt vor den Mund, eine Beschuldigung, ein Schimpfwort löste das andere ab. Aber er fühlte, daß das geschehen mußte. Er fühlte, daß er keine ruhige Minute haben würde, ehe er sich den aufgespeicherten Zorn, die flammende Entrüstung von der Seele geschrieben habe.

Im August kam die » Difesa«, die Verteidigung, wie er seine Schrift nannte, aus der Druckerei. Als er sie fertig gedruckt las, fand er sie selbst sehr scharf, fast zu deutlich. Aber jetzt konnte er nichts mehr ändern, selbst wenn er es gewollt hätte. Er notierte sich alle jene europäischen Gelehrten, denen Capra und Mayr ihr Buch hätten geschickt haben können. Er schrieb sich sogar fünfzig Adressen auf, und versandte sein von Zorn und Empörung strotzendes Werk nach ganz Europa.

Dann beruhigte er sich nach und nach und gab sich vollkommen seinen neuen Forschungen hin. Er untersuchte die Eigenschaften des Magneten. Nicht allein, sondern gemeinsam mit Fra Paolo und Sagredo. Auch diese beiden hatten sich auf den Magneten gestürzt, teils nur aus Spielerei, teils aber auch aus wissenschaftlichem Interesse. Sie pflegten gemeinschaftlich Versuche anzustellen. Für teures Geld beschaffte Sagredo einen mächtigen, fünf Pfund schweren Magneten. Dessen Eigenschaften untersuchten sie: sie legten ihn in Wasser, erhitzten ihn, ließen ihn wieder abkühlen und hielten ihn ein andermal wieder in eine isolierende Masse. Die anderen beiden vergnügten sich, Galilei grübelte. Am meisten beschäftigte ihn, daß die eine Spitze der magnetischen Nadel immer nach Norden und die andere immer nach Süden zeigte. Das muß ein Miniaturbild der Erdachse sein, dachte er bei sich. Unter geduldigen, zähen Grübeleien bemühte er sich, diese Erscheinungen irgendwie in das kopernikanische Weltsystem einzufügen und zermarterte sich andauernd das Gehirn, wie er aus dieser sonderbaren Masse einen Beweis schmieden könnte, nicht nur eine Spielerei. Einen Galileischen Beweis für die Kopernikanischen Ideen. Seit dem Erscheinen des neuen Sternes, wodurch er den bedeutendsten Aristotelischen Lehrsatz widerlegt sah, erwachte in ihm von neuem die Zuversicht, einmal vor die Welt treten zu können, um seine Idee zu beweisen.

An einem Oktobertage kam er in Venedig an. Er eilte geradeswegs zu Fra Paolo, da kam ihm Micanzio entgegen, mit verweinten Augen, und ermahnte ihn zur Ruhe.

»Was ist geschehen?« flüsterte Galilei erschrocken.

»Fra Paolo ist in dieser Nacht niedergestochen worden.«

»Ist er tot?« fragte Galilei entsetzt.

»Nein, aber er liegt im Sterben. Nur ein göttliches Wunder könnte ihn retten.«

»Aber um Himmels willen, was ist denn geschehen, wie war das möglich?«

»Wir waren beim Dogen, Fra Paolo verhandelte mit ihm über Rechtsfragen. Ich wartete im Nebenzimmer. Um zehn Uhr abends befahl mir Fra Paolo, nach Hause zu gehen, da etwas Dringendes abzuschreiben wäre. Ich zögerte, weil ich es für bedenklich hielt, ihn spät abends allein durch die Straßen gehen zu lassen. Ich bat, auf ihn warten zu dürfen, aber er wiederholte seinen Befehl. Da ging ich nach Hause. Um elf Uhr nachts überfielen ihn an einer Ecke, wo die Merceria sehr eng ist, zwei maskierte Männer. Anscheinend wußten sie, daß er ein Panzerhemd trug, denn sie stachen gleich nach dem Hals. Dreiundzwanzig Stiche hat er erhalten. Eine Wunde war schwerer als die andere, und er blieb in einer großen Blutlache liegen. Wenige Sekunden nach diesem Vorfall kam jemand vorbei, stolperte über ihn und fiel der Länge nach hin. Der Mann schlug dann Lärm. Man schaffte den Verwundeten nach Hause. Er hatte das Bewußtsein verloren. Ein Arzt war nicht gleich zur Hand, wir ließen also einen Barbier kommen, der die Wunden zunähte. Die ganze Nacht lag Fra Paolo regungslos da. Wir erstatteten dem Dogen Meldung; er war heute schon hier. Heute früh kam Fra Paolo ein wenig zu sich und erzählte, was ich Euch soeben berichtet habe. Auch ein Arzt war da. Er sagte, daß Fra Paolo kaum am Leben bleiben würde. Verübelt es mir nicht, Euer Gnaden, aber ich darf jetzt niemand zu ihm lassen.«

So sprach der junge Mönch und brach in Tränen aus. Er lehnte sich an die Wand und wischte sich die Augen. Wortlos wandte sich Galilei ab und eilte der Rialtobrücke zu. Er wollte Sagredo aufsuchen. Aber er traf ihn schon auf der Straße.

»Habt Ihr schon gehört?« fragte Sagredo.

»Ja. Entsetzlich! Und die Mordbuben sind entkommen!«

»Ich habe schon Näheres darüber gehört. Der Doge hatte noch in derselben Nacht seinen geschicktesten Schergen ausgesandt. Der brachte heute morgen eine bedeutsame Nachricht. Mehrere Leute haben zwei maskierte Männer jenes Schiff besteigen sehen, das um Mitternacht am Malamocco Anker lichtete. Und wißt Ihr, wer dieses Schiff gemietet hatte? Der Nuntius.«


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