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Der er Thronfolger von Toskana hatte bei den Riformatori die Gehaltserhöhung des Universitätsprofessors befürwortet, und der toskanische Gesandte in Venedig erkundigte sich sogar persönlich nach dem Brief des Thronfolgers. Lionardo Donato ließ den Gelehrten zu sich bitten und teilte ihm mit auffallender Zuvorkommenheit mit, daß er Anweisung gegeben habe, die Akte zu erledigen, obwohl er sein Amt als Riformatore bereits niedergelegt habe. Mit seinem Nachfolger habe er die Angelegenheit jedoch schon besprochen, in Kürze würde alles in Ordnung sein.
»Sollte sich die Angelegenheit hinziehen, so kommt ruhig zu mir. Und wenn Ihr Seiner Hoheit schreibt, so meldet meinen Handkuß.«
Die Angelegenheit verzögerte sich sogar beträchtlich, da die Zerwürfnisse mit dem Heiligen Stuhl nunmehr ihren Höhepunkt erreicht hatten. Zu gleicher Zeit starb auch der Doge Grimani. Jetzt hätte es wirklich keinen Sinn gehabt, einen Senator mit seinen Sorgen zu behelligen. Aber Galilei beschloß dennoch, Donato nach der Dogenwahl sofort aufzusuchen. Eines Morgens kam dann die Nachricht nach Padua, der Doge sei gewählt.
»Ausgezeichnet!« meinte Galilei. »Dann gehe ich morgen zu Donato. Wer ist Doge geworden?«
»Donato. Bei dem dürftest du aber jetzt schwerlich vorgelassen werden.«
Der ihm diesen Bescheid gab, war niemand anders als sein Kollege Cremonini, der verstockte Peripatetiker. Als Galilei in seinen Vorträgen über den neuen Stern offen gegen die aristotelische Astronomie Stellung genommen hatte, hatte der gute Cremonini ihm erklärt, ihre Wege müßten nun auseinandergehen. In Wirklichkeit bestand die Trennung aber nur darin, daß Cremonini bei jeder Begegnung Galilei mit einem wehmütigen Rehblick ansah und ostentativ jede wissenschaftliche Unterhaltung mied. Er strich um Galilei herum wie eine schmollende Braut. Sie waren beide zwei sonderbare Käuze: wissenschaftlich unversöhnliche Feinde, menschlich aber unfähig, einander nicht gern zu haben. Vor anderen Leuten sprachen sie ständig im Ton wehmütigen Bedauerns voneinander.
»Auf Cremonini lasse ich nichts kommen!« sagte Galilei. »Er ist wie ein gezäumter Rappe. Er würde prächtig galoppieren, kreuz und quer über die Felder der Wissenschaft, aber er hat Scheuklappen vor den Augen. Er steht nichts als den engen, ausgetretenen Weg vor sich. Sonst ist er ein guter, ehrlicher Mensch mit einem goldenen Herzen. Es ist wirklich schade um ihn.«
»Es ist schade um diesen Galilei!« sagte wiederum Cremonini. »Er könnte Großartiges leisten, wenn er nicht ungezügelt wäre. Aber er kann nichts dafür, er ist nun einmal so. Himmel und Erde trennen uns voneinander. Himmel und Erde im wahrsten Sinne des Wortes. Aber ich habe ihn trotzdem lieb wie meinen eigenen Bruder. Um so mehr schmerzt es mich, vorauszusehen, daß er sich noch einmal tüchtig den Schädel einrennt.«
Jetzt wollte es das Schicksal, daß sie in der Aula der Universität an jener eisernen Urne zusammentrafen, in die sonst bei der Rektorwahl die Stimmkugeln gelegt wurden. Jetzt aber, im Winter, schüttete der Pedell Glut in die Urne, damit sich die Professoren oder Studenten ihre vor Kälte steifen Hände ein wenig wärmen könnten. Die Hörsäle konnten nicht geheizt werden, da ihre Erbauer keine Ofen darin vorgesehen hatten. Die beiden Gegner standen also vor der Urne und wärmten ihre Hände. Sie waren allein. Nach einigem Zögern sagte Cremonini:
»Du, Galilei, ich habe das Buch von Secco gelesen. Es ist jetzt schon ein offenes Geheimnis, daß du es geschrieben hast.«
»Nun und?«
»Es ist Freundespflicht, dich auf etwas aufmerksam zu machen. Und zwar auf den Fall Piccinardi. Ich habe gerade jetzt davon gehört.«
»Was ist damit?«
»Piccinardi war ein armer Teufel in Rom, der nur zu seinem eigenen Vergnügen eine Biographie des Papstes Clemens VIII. geschrieben hatte. Darin soll er behauptet haben, der Charakter des Papstes Clemens sei dem des Kaisers Tiberius in vielem ähnlich. Das Manuskript gelangte auf unerklärliche Weise in den Vatikan. Und, was denkst du, was mit Piccinardi geschah?«
»Er hat wohl Unannehmlichkeiten gehabt?«
»Das kann man wohl sagen! Der Papst ließ ihn auf der Brücke der Engelsburg köpfen, weil er den Heiligen Vater geschmäht habe. Ich warne dich, Galilei! Ich bin doch nun wirklich ein ziemlich bedächtiger Mann, aber als ich behauptete, die Mathematik habe nichts mit der Theologie zu tun, zeigte mich der Oberinquisitor von Venedig in Rom an. Ich kann dir sagen, ich habe viel Ärger gehabt.«
»Es ist sehr lieb von dir, daß du so um mich besorgt bist, aber du weißt vielleicht nicht, daß Kopernikus sein Buch dem damaligen Papst gewidmet hatte. Der Papst nahm die Widmung auch an. Es ist also sozusagen päpstlich sanktioniert. Und gerade jetzt hast du solche Angst um mich? Serenissima pfeift doch auf den Papst. Wenn tatsächlich Donato zum Dogen gewählt ist, wie du sagst, dann muß es zum endgültigen Bruch kommen. Du weißt ja selbst, daß Donato jeden Abend bei Francesco Morosini verbringt, wo die Sarpi-Partei ihre Besprechungen abzuhalten pflegt. Hier ist es aus mit der Inquisition, mein Lieber! Wirklich, deine Besorgnis um mich ist rührend, aber sei getrost, mir kann nichts geschehen. Mir wird man meinen Kopf nicht abhauen, weil ich die Lehren eines dem Papst gewidmeten Buches vertrete.«
»Bitte«, entgegnete Cremonini kühl, »es ist schon möglich, daß der deutsche Katholik, Kopernikus, sein Buch dem Papst gewidmet hat, aber du bist jetzt mit einem deutschen Protestanten im gleichen Fahrwasser.«
»Cesare«, rief Galilei, »das sagst du? Du, der die Religion und die Wissenschaft so streng voneinander trennt? Hängt denn die wissenschaftliche Wahrheit von dem Glauben ab, den ihr Vorkämpfer vertritt? Also erstens mußt du wissen, daß Luther selbst den Kopernikus einen Narren genannt hat. Du mußt ferner wissen, daß der Protestant Kepler sein ganzes Leben dem katholischen Kopernikus widmete. Und schließlich mußt du noch wissen, daß ich, der Kopernikaner, längst von den Lehren Keplers abweiche.«
»Was?« staunte Cremonini, »worin weichst du ab?«
»In hunderterlei Einzelheiten. Kepler behauptet, daß die Planeten sich auf einer elliptischen Bahn bewegen, deren Mittelpunkt die Sonne ist. Ich behaupte, daß die Planeten sich in konzentrischen Kreisen bewegen. Ich könnte dir eine halbe Stunde lang von diesen Differenzen reden. Als ich sein erstes Werk las, war ich so erregt wie noch nie in meinem Leben. Später jedoch mußten wir beide feststellen, daß wir in hundert Fällen nur einmal der gleichen Meinung sind. Jetzt gerade stimmen wir wieder einmal überein. Willst du hören, was er von Lorenzini schreibt? Denn auch er hat über den neuen Stern ein Buch geschrieben, ich bin eben dabei, es zu lesen, und habe es zufällig bei mir …«
Schon zerrte er aus seiner engen Tasche das Buch hervor, aber Cremonini hob abwehrend die Hand.
»Behalte das nur für dich. Ich will gar nichts von Euch hören. Ich habe schon einmal gesagt, daß sich unsere Wege trennen. Der Sternenhimmel ist ursprungslos und unveränderlich. Das beschwöre ich vor dem Altar!«
Fort eilte er in seiner ganzen peripatetischen Würde. Galilei schüttelte den Kopf. Aber da er das Buch nun einmal in der Hand hielt, wollte er auch die bewußte Stelle noch einmal nachlesen. Und als er, unter den Arkaden des Bo einherschreitend, seinen Blick die Zeilen entlang gleiten ließ, befiel ihn plötzlich wiederum der schmerzliche Verdruß, der ihn schon tags zuvor beim Lesen erfaßt hatte. Und jetzt war er froh, daß Cremonini gegangen war.
»Wenn der gute Lorenzini die Berechnung der Parallaxe als sehr schwierig bezeichnet hätte (beachtet dabei, Ihr Philologen, daß dieser bedeutende Mann ›Parallapse‹ schreibt!), wenn er also behauptet hätte, daß es den Astronomen unmöglich sei, eine Parallaxe mit minutiöser Genauigkeit zu berechnen, so hätte ich ihm selbst recht gegeben. Aber was sagt der Schwätzer? Es ist besser wenn ich gar nicht danach frage, was er schwätzt, sondern nur, gegen wen er schwätzt: er bezweifelt die Fähigkeit des Astronomen, bestimmen zu können, ob ein Himmelskörper sich diesseits oder jenseits der Mondbahn befindet! Er hält es also für fraglich, ob die Astronomen einen Winkel von zweiundfünfzigeinhalb Grad messen können! Was sagt Ihr dazu, Ihr italienischen Mathematiker: Clavius, Ubaldi, Magini, Galilei, Ghetaldi, Rubei und ihr anderen alle? Was sagt Ihr Franzosen dazu, in deren Heimat dieses Buch in lateinischer Übersetzung erscheinen konnte?«
Galilei starrte mit einem Gefühl bitterer Enttäuschung auf diese Zeilen. So also schätzt Kepler ihn ein? War das Keplers Rangliste? Clavius, Ubaldi, Magini und dann erst Galilei? Daß er Clavius, den Deutschen, an erster Stelle nannte, war ja zu verstehen; daß er den Ubaldi voransetzte, mochte auch noch angehen. Aber daß ihm auch dieser unfähige Magini bedeutender erschien … Alle Gelehrten würden das Buch Keplers lesen. Und alle würden seinen, Galileis Namen, an vierter Stelle finden – ihn, den Professor des Bo, der den Aristoteles widerlegt hatte, und vor ihm an dritter Stelle Magini aus Bologna! Das tat ihm brennend weh; bitterer Groll gegen Kepler stieg in seinem Herzen auf. Anfangs leugnete er dieses Gefühl noch, aber bald konnte er sich seiner nicht mehr erwehren. »Ja«, sagte er zu sich selbst, »ich hänge am Ruhm. Ja, es tut mir weh, wenn man mich herabsetzt, besonders wenn das ein so bedeutender Mann gegenüber einer solchen Null tut!«
Zu anderen Zeiten hätte diese Wunde noch länger geschmerzt, aber augenblicklich ging es in der Welt so stürmisch zu, daß jeder durch die erregenden Tagesereignisse von seinen persönlichen Angelegenheiten abgelenkt werden mußte. Der neue Doge, dessen Feindschaft gegen den Papst nicht nur eine grundsätzliche, sondern auch eine rein persönliche war, scheute auch vor dem Äußersten nicht zurück. An einem schönen Frühlingstage trafen in sämtlichen zu Venedig gehörenden Städten Serenissimas Eilboten ein, um bekanntzugeben, daß Papst Paul die gesamte venezianische Republik in den Bann getan habe, daß der Staat jedoch den Bann für ungesetzmäßig erkläre und allen auf seinem Gebiet lebenden Geistlichen befehle, weiter Messen zu lesen und die Sakramente zu spenden. Diese Nachricht rief in den Mauern des Bo ungeheure Erregung hervor. Die geistlichen Mitglieder des Professorenkollegiums waren von heftig gestikulierenden, sie mit Fragen bestürmenden Menschen umlagert.
»Dich interessiert das gar nicht?« sagte Cremonini zu Galilei, der gleichgültig an einer solchen Gruppe vorüberging.
»Ich habe wichtigere Dinge im Kopf«, erwiderte er, »mein Bruder ist aus Polen zurückgekehrt.«
Michelagnolo war ohne jede vorherige Ankündigung in Padua eingetroffen. Er sah sehr wohl aus, war gut gekleidet und machte einen recht männlichen Eindruck; er war erst vor kurzem dreißig Jahre alt geworden. Galilei freute sich unbändig über den Besuch. Alle Augenblicke umarmte er den Bruder. Später zeigte er ihm das ganze Haus, nahm ihn mit zu Marina, setzte die kleinen Mädchen auf seinen Schoß und flüsterte ihm ins Ohr, daß bald auch das dritte Kind da sein würde. Michelagnolo nickte anerkennend zu allem und äußerte immer wieder seine Befriedigung darüber, daß sein Bruder in so guten Verhältnissen lebe. Aber statt nun seine polnischen Erlebnisse zum besten zu geben, knüpfte er alsbald an die guten Verhältnisse des Bruders an. Er wollte Geld haben. In Polen war er auf keinen grünen Zweig gekommen, hatte inzwischen aber gute Beziehungen zu dem königlichen Hof in Bayern angeknüpft. Wenn er das Reisegeld nach München hätte, könnte er dort in dem königlichen Hoforchester unterkommen und sogar heiraten – das wäre sowieso schon höchste Zeit – und schließlich auch einiges Geld nach Hause schicken. Die Wiedersehensfreude hatte Galilei so mitgerissen, daß er sogleich unüberlegt erklärte: »Wollen sehen, was sich machen läßt.« Michelagnolo nahm das sofort als bare Münze, dankte dem Bruder herzlich für seine außerordentliche Güte und betrachtete die ganze Angelegenheit als erledigt. Doch als Galileo beim Schlafengehen das Licht löschte, kam ihm mit Schrecken zum Bewußtsein, daß er trotz seiner drückenden Wechselschulden nun wieder neue Lasten auf sich genommen hatte. Und ausgerechnet jetzt, wo er die Verhandlungen über eine Gehaltserhöhung, die sich schon so lange hinzogen, schwerer denn je Vorwärtstreiben konnte. Er beschloß, am anderen Tage, gleich frühmorgens, ernsthaft mit dem Bruder zu reden, ihm seine Gewissenlosigkeit und egoistische Gleichgültigkeit vorzuwerfen, die er bei der Bürgschaft für die Mitgift der Schwestern an den Tag gelegt hatte, und zugleich seine eigene schwierige Lage zu schildern. Er legte sich die schön klingenden Sätze zurecht, die er an den Bruder richten wollte, und schlief in der Überzeugung ein, daß er Michelagnolo morgen seinen Standpunkt wie ein gütiger, aber entschlossener Vater klarmachen werde. Am anderen Morgen aber blickte ihn der Bruder mit so kindlicher Sicherheit, soviel selbstverständlichem Glauben des Schwächeren an den Stärkeren an, daß er seine schöne bereitgehaltene Rede nicht vorzubringen vermochte, sondern Michelagnolo bloß mit väterlicher Güte beruhigte: es werde schon alles in Ordnung kommen. Der Bruder trieb sich eine Zeitlang in Padua herum, suchte seine alten Bekannten auf, kam nachts spät nach Hause, und eines schönen Tages packte er seine Sachen, um nach Florenz heimzufahren. Als ihm Galileo ein wenig verschämt mitteilte, er sei augenblicklich nicht in der Lage, ihm das Reisegeld zur Verfügung zu stellen, winkte Michelagnolo nur leicht ab:
»Das hat Zeit. Gib mir nur etwas Geld, damit ich nicht mit ganz leeren Taschen nach Florenz komme.«
Galileo gab ihm das Geld und der Bruder fuhr ab. Er selbst aber eilte nach Venedig; denn ihm stand das Wasser schon bis zum Halse. Er war bereit, sich, wenn es nicht anders ging, mit den Türwächtern herumzuschlagen, den Senatoren vor ihren Wohnungen aufzulauern: in seiner verzweifelten Lage war er jetzt zu allem entschlossen. Zu seiner größten Überraschung fand er in Venedig Siegesstimmung und völlige Ruhe vor.
»Wo ist die Jungfrau?« erkundigte er sich in der Buchhandlung.
Jedermann nannte Fra Sarpi hinter seinem Rücken so. Der berühmte Geistliche lebte makellos, und niemand hätte gewagt, in seiner Anwesenheit unpassende Reden zu führen. Fleisch hatte er noch nie in seinem Leben gegessen, und vom Wein hatte er als Dreißigjähriger zum ersten Male gekostet.
»Die Jungfrau wird gleich hier sein«, gab man ihm zur Antwort, »in letzter Zeit kommt er wieder regelmäßig.«
Inzwischen erzählte man ihm die Neuigkeit. Der päpstliche Bann hatte die Spannung gelöst und Serenissima einen vollen Erfolg gebracht; denn die Geistlichkeit hatte dem Staat gehorcht. Die Präfekten der einzelnen Ortschaften gaben einander im Dogenpalast die Klinke in die Hand, sie kamen einer nach dem anderen, um das Treugelöbnis abzulegen. Viele Klöster hatten Geld angeboten, weil die Nachricht von einem Kriege umging: der päpstliche Staat würde mit dem spanischen Verbündeten Venedig angreifen. Der Orden der Benediktiner hatte allein eine über hundertfünfzigtausend Gulden lautende Anweisung dem Dogen zur Verfügung gestellt. Nur mit den Jesuiten gab es Scherereien; denn deren Ordensbrüder waren zumeist Fremde, nahmen keinen Anteil an dem Gedeihen Venedigs, sträubten sich auch, die Messe zu lesen. Der Zehnerrat hatte ihnen daraufhin ein Ultimatum gestellt. Sonst nahm alles seinen gewöhnlichen Gang, in den Kirchen erklangen Orgeltöne, die Glocken des Campanile dröhnten wie immer über den Lagunen und vor den Beichtstühlen war das Gedränge größer als je zuvor; denn auf einmal war jeder neugierig, ob man wirklich beichten und kommunizieren dürfe. Venedig hatte gesiegt! Aus dem Auslande berichteten die Gesandten natürlich von verschiedenen Schwierigkeiten. So hatte man in Krakau zwei junge Männer aus dem Gefolge des venezianischen Gesandten von der Messe gewiesen. Der König von Polen hatte zu diesem Vorfall eine eigenhändig geschriebene Erklärung an den Dogen geschickt. In Wien war der Nuntius zu einem feierlichen Gottesdienst nicht erschienen, um nicht gezwungen zu sein, gemeinsam mit dem anwesenden venezianischen Gesandten der Messe beizuwohnen. Aber es war alles umsonst: Venedig trug den Sieg davon.
Sarpi erschien in Begleitung von zwei Fremden, von denen er sich erst unter der Tür der Buchhandlung verabschiedete, und mit seinem Sekretär, einem jungen Mönch, namens Micanzio, der sich aber auch gleich wieder entfernte.
»Wer waren diese Menschen, Fra Paolo?«
»Zwei gute Freunde von mir: der englische Gesandte Wotton und sein anglikanischer Priester Bedell. Es sind Protestanten, aber aufrichtige, kluge Menschen. Was ist denn mit Euch los, mein Sohn?«
»Ich bin wieder einmal hinter Geld her, aber ich befürchte, immer noch zur unrechten Zeit.«
»Keine Spur. Komm mit, wir wollen einen der Riformatori besuchen. Auf dem Wege dahin können wir uns aussprechen. Gestern habe ich wiederum verschiedene Versuche mit Magneten angestellt und eigenartige Beobachtungen gemacht. Ihr müßt Euch mit dieser Frage unbedingt befassen, mein Sohn. Ich habe meine Beobachtungen auch aufgeschrieben, hier, Ihr müßt Euch mit Sagredo in Verbindung setzen, er hat irgendwo einen Magneten aufgetrieben, so groß wie mein Kopf …«
»Ich danke für die Aufzeichnungen, aber augenblicklich interessiert mich Euer Schicksal weit mehr, Fra Paolo. Wie geht es Euch?«
»Befühlt einmal meine Kutte.«
Galilei tastete ihn ab. Unter der Kutte fühlte er das Panzerhemd.
»Ja, mein lieber Sohn, jetzt kann mich anzeigen, wer Lust dazu hat, daß ich mich nicht nach den Vorschriften des Ordens kleide. Aber ich muß doch auf mich achten. Der Tod wäre mir gleichgültig, aber der Staat braucht mich noch. Leider hat der Papst ausgezeichnete Berater, mit denen sich nicht jeder messen kann. Ich mache Euch vor allem auf den Kardinal Bellarmin aufmerksam. Ein ganz hervorragender Politiker und ein Mann von gefährlich scharfem Verstand. Seid auf der Hut, wenn Ihr je im Leben mit ihm zusammengeraten solltet. Er ist der kirchenrechtliche Berater des Papstes, wie ich der des Dogen. Im Grunde genommen ist das Ganze ein Kampf zwischen uns beiden, und es ist gar nicht so leicht, mit ihm fertig zu werden. Er hat auf einer guten Schule gelernt: am Bo, und ist einer der fähigsten Jesuiten. In Löwen gab er Theologieunterricht. Eins seiner Werke stand auf dem Index, obwohl er ein fanatischer Anhänger der päpstlichen Partei war. Auch daran kann man sehen, daß er ein sehr gescheiter Mensch sein muß. Den heute gültigen authentischen Text der Bibel hat er mitbestimmt, er war Vorsitzender der Vulgatakommission. Als Inquisitor nahm er an der Verbrennung Giordano Brunos teil. Die früheren Päpste fürchteten ihn zwar, konnten ihm aber nicht viel anhaben, da er aus sehr guter Familie stammt: seine Mutter war die Schwester des Papstes Marcellus II. Der jetzige Papst schätzt ihn aber außerordentlich. Jetzt also streitet der Kardinal mit mir, und ich muß zugeben, daß er dies mit großem Geschick tut.«
»Wie argumentiert er?«
»Er beruft sich immer auf den heiligen Thomas von Aquino – › Potestas secularis subdita spirituali, sicut corpus animae.‹ So, wie die Seele über den Körper, muß die Kirche über alle weltlichen Mächte herrschen. Das ist ein bestechender Vergleich. Aber ich bin auch nicht auf den Kopf gefallen. Jetzt wartet hier auf mich, ich gehe erst allein hinein« …
»Es ging schneller, als ich gedacht hatte. Quirini kann Euch jetzt nicht empfangen, hat aber die ganze Angelegenheit schon mit mir erledigt. Euer Jahresgehalt wird um zweihundert Dukaten erhöht, und zwar rückwirkend für ein Jahr. Die Akte wird noch heute mit dem Vermerk ›ringend‹ weitergeleitet. Meiner Berechnung nach könnt Ihr heute für etwa drei bis vier Wochen zweihundert Dukaten aufnehmen. Euer Gehalt wird also nunmehr jährlich fünfhundertzwanzig Dukaten betragen, Quirini betonte noch, daß Molettis Gehalt nie höher als dreihundert war. Habe ich alles schnell genug erledigt?«
Galilei konnte vor Freude nichts erwidern. Überglücklich ging er mit dem Mönch im Panzerhemd zur Piazza zurück, und sobald er sich von ihm getrennt hatte, eilte er schnurstracks heim nach Padua. In Padua ging er nicht zuerst nach Hause, sondern geradeswegs zu Marinelli, dem Drucker, der in der Nähe des Bo wohnte. Schon seit langem trug Galilei einen großen Plan mit sich herum, den er bis jetzt geheimgehalten hatte. Von der toskanischen Gesandtschaft war ihm nämlich mitgeteilt worden, sich im Sommer bereitzuhalten: der Thronfolger Cosimo habe im vergangenen Jahre seinen Unterricht so liebgewonnen, daß ihn der Hof auch dieses Jahr nach Pratolino einladen werde, dort seine Sommerferien zu verbringen. Lange hatte Galilei überlegt, was er diesmal als Geschenk mitnehmen sollte. Endlich entschloß er sich, dem Thronfolger eines seiner Manuskripte zu widmen. Nach langem Suchen entschied er sich für eine Erklärung und Gebrauchsanweisung des Zirkels mit Zeichnungen. Deswegen suchte er den Drucker jetzt auf. Sie wurden bald einig: sechzig Exemplare sollten etwa achtzig venezianische Lire kosten.
Unter einer Bedingung, Messer Marinelli: Ihr müßt Eure Handpresse in mein Haus schaffen und das Buch dort drucken.«
»Das bedeutet aber eine große Verzögerung, Euer Gnaden. Und was für einen Zweck soll das haben?«
»Das überlaßt nur mir. In meinem Hause kann man die Bogen nicht stehlen, wohl aber hier bei Euch. Und auf mein Geschäft sind viele neidisch. Jeder möchte gern so einen Zirkel herstellen und eine Gebrauchsanweisung dazu herausgeben.«
Sie redeten noch eine ganze Weile hin und her, bis schließlich der Drucker einwilligte. Der Setzkasten, die Presse, die erforderlichen Instrumente, Farbtopf und Papier, alles wurde in Galileis Haus gebracht. Galilei beaufsichtigte den Satz, die Arbeit wuchs unter seinen Augen, sorgfältig achtete er auf die Korrekturen. Und als er das erste Exemplar in die Hand nahm, streichelte er es behutsam, wie man ein neugeborenes Kind liebkost.
Das kleine Kind kam ebenfalls, wenn schon mit ziemlicher Verspätung. Marina hatte sich in der Zeit verrechnet. Galilei hätte längst in Pratolino sein müssen, aber das Kind war noch immer nicht da. Ein Entschuldigungsschreiben nach dem anderen ging an den Kanzler Vinta ab. Endlich, an einem Morgen im August weckte man ihn, er möge zu Marina eilen. In größter Hast zog er sich an. Draußen regnete es in Strömen. Marina gebar einen Jungen. Er erhielt die Vornamen Vincenzo Andrea nach den zwei Großvätern, und unmittelbar nach der Taufe eilte Galilei nach Florenz.
Schon unterwegs spürte er, daß er sich sehr erkältet hatte, als er im strömenden Regen zu Marina rannte, und daß seine Gelenke wieder zu schmerzen anfingen. Er hoffte aber zuversichtlich, daß diese Schmerzen in der großen Sommerhitze schnell wieder vorübergehen würden. In Florenz übernachtete er nur und setzte am nächsten Morgen die Reise fort. In Pratolino überreichte er dem Thronfolger das ihm gewidmete Buch und war glücklich über die aufrichtige Freude des jungen Prinzen. Alle Anwesenden waren zufrieden, nur Galilei verzog das Gesicht.
»Was fehlt Euch, Messer Galilei?« erkundigte sich der Thronfolger.
»Ich bitte vielmals um Nachsicht, aber ich habe unmenschliche Schmerzen. Meine Gelenke … Ich möchte untertänigst um die Erlaubnis bitten, mich zurückziehen zu dürfen.«
Die Großherzogin Christina zog die Augenbrauen in die Höhe. Dieses Ansinnen widersprach der höfischen Etikette. Aber der Thronfolger selbst geleitete den stöhnenden Kranken hinaus. Galilei legte sich sogleich zu Bett. Die Krankheit fiel mit ganzer Wucht über ihn her. Am Tag darauf mußte er sich bereits die Lippen blutig beißen, um nicht zu schreien. Das Fieber stieg so hoch, daß er wie im Delirium lag und irre redete. So lag er zehn Tage lang in einem Zimmer der großherzoglichen Villa und freute sich jeden Tag fünf Minuten lang über den Besuch des Thronfolgers. Sprechen aber konnte er nicht mit ihm. Da ordnete Vinta an, den Kranken nach Florenz zu bringen. Dort lag er eine Woche lang, konnte aber das Gebaren seiner Mutter nicht ertragen, die sich fortwährend mit Michelagnolo zankte. Endlich ließ er sich auf einen Wagen packen und heim nach Padua fahren, auf dem holprigen Wege oft vor Schmerzen laut aufschreiend. Hier empfing er bald ein, Geschenk von der Dynastie. Auf Veranlassung der Großherzogin Christina sandte ihm die Verwaltung des Palazzo Pitti einen Wintermantel als großherzogliche Gegengabe für das dem Thronfolger gewidmete Buch.
Zwei Ärzte weilten an seinem Krankenlager in Padua: der Universitätsprofessor Fabrizio und Tommaso Menato, ein junger Paduaner Doktor. Mit großer Mühe konnten sie ihn endlich heilen. Als er sich Ende November vom Krankenlager erheben konnte und, auf einen Stock gestützt, sich in seinem Zimmer herumschleppte, erhielt er aus Florenz die Nachricht, daß sein einstiger Kollege in Pisa, der greise Mercuriali, gestorben sei. Sofort schrieb er an die Großherzogin und empfahl ihr Fabrizio als Nachfolger für den bestbezahlten Lehrstuhl Italiens.
Zu Weihnachten konnte er dann auch mit seinen Kollegen gemeinsam die Messe besuchen. Seine Abende verbrachte er bei Marina und unterhielt sich köstlich darüber, mit welch ernster Mütterlichkeit die beiden kleinen Mädelchen den halbjährigen Vincenzo herumschleppten und verwöhnten. Nun waren auch die Feiertage vorüber. Er genas vollkommen und ging daran, seine versäumten Vorlesungen nachzuholen. Eines Abends sah er auch neugierig zu dem Himmel empor, um den neuen Stern zu suchen. Aber der war längst verschwunden. Auf dem Nachhausewege sann er lange über den Stern nach und über den Spaß mit dem Cecco-Buch, über Simon Mayr und die beiden Capras. Er hatte lange nichts mehr von ihnen gehört.
Um so mehr hörte er am anderen Tage. Als er in den Bo eintrat, überreichte ihm der Oberpedell wortlos ein Buch. Er besah sich den Titel: » Usus et fabrica circini cuiusdam proportionis.« Die Benutzung und Herstellung eines jeder Proportion würdigen Zirkels. Was war das? Erschrocken suchte er nach dem Namen des Autors: Baldastare Capra. Er begann zu lesen. Das war sein Werk, Wort für Wort seine Erfindung, deren genaue Beschreibung, die wortgetreue Wiederholung seiner Gebrauchsanweisung. Und als er zu einem Absatz kam, fühlte er sein Blut in den Adern stocken. Capra, der Verfasser, leistete sich unzweideutige Anspielungen: in Padua gebe es einen berühmten Gelehrten, der sich eines großen Rufes erfreue, der sich aber nicht gescheut habe, seine, Capras, Erfindung zu stehlen, als die seine zu bezeichnen und herzustellen. Er als Plagiator …!
»Um Gottes willen, Euer Gnaden …« Der Hauptpedell stürzte auf ihn zu.
»Nichts, danke, ich bin nur ein wenig schwindlig geworden.« Das Blut schoß ihm in den Kopf. »Könnt Ihr mir das Buch eine Zeitlang leihen?«
»Solange es Euch gefällt.«
»Ich danke Euch. Aber gebt auf mich acht, bis ich mich beruhigt habe; denn jetzt wäre ich imstande, einen Mord zu begehen.«