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Sechstes Kapitel.

Bei der »Tante«.


Während Rose nach beendetem Frühstück den Tisch abräumte, nahm Tom Bleistift und Papier zur Hand und fertigte, als ob er gewisse Thatsachen, die in seinem Hirn ungeordnet umherwogten, sich klar machen und feststellen wolle, einen Abschluß an, von dem hier eine Abschrift folgt.

 

Soll.   Haben.
  Doll. Ct.     Doll. Ct.
Watson, laut Uebereinkunft 83 33   Guthaben in der Bank 91 75
Fuhrlohn für das Piano 4   Kasse 3 62
Fuhrlohn für den Tisch, ungefähr 1        
Fuhrlohn für die Möbel nach der Verkaufsstelle 10        
Fuhrlohn für die Koffer nach Beekman Place 10        
Kostgeld und Miete für eine Woche
an Mrs. Grickel 
15        
  _________     _________
Summa 115 33   Summa 95 37
ab nebenstehend 95 37        
  _________        
Fehlbetrag 19 96        

 

Die Bedeutung dieses Abschlusses war offenbar die, daß in den nächsten vierundzwanzig Stunden seine notwendigen Ausgaben, soweit er sie voraussehen konnte, seine verfügbaren Mittel um den Betrag von neunzehn Dollars sechsundneunzig Cents überschreiten würden. In einer Woche, nach Verkauf seiner Möbel, war er reichlich mit bar Geld versehen. Aber bis dahin? Da er nichts verdienen konnte und nicht stehlen wollte, mußte er borgen.

Von wem? Nun, weder Jack Pearse, noch Mr. Soule würden ihm ein Darlehen von fünfundzwanzig oder fünfzig Dollars abgeschlagen haben – aber er konnte sich nicht entschließen, sie darum anzugehen. Wir wissen, daß er in seinen guten Tagen sehr viel Geld verliehen, aber er hatte nie einen Pfennig geborgt, und er fühlte jetzt eine unbesiegbare, wenn auch vielleicht unvernünftige Abneigung dagegen. Die Haltung, die ein Mensch annehmen mußte, der zu einem andern mit der Absicht zu borgen kam, war zu beschämend und demütigend. Sein Stolz empörte sich dagegen und wollte sich nicht beruhigen lassen. Nein, wenn er borgen mußte, sollte es wenigstens nicht bei einem Freund geschehen; er wollte das Darlehen nicht als eine Gunst erbitten, sondern als Geschäft behandeln.

»Rose,« sagte er, »ich gehe aus.«

»Wozu?« fragte sie.

»Ich will einen Fuhrmann suchen, der morgen unsre Sachen zum Verkäufer, und einen Dienstmann, der unsre Koffer und Kisten nach Beekman Place schafft.«

»Die Koffer sind fast fertig gepackt,« entgegnete sie, »wir können sie heute nachmittag hinüberschicken. Wie sollen wir's aber mit den Büchern und Bildern machen?« (Sie hatten beschlossen, diese nicht zu verkaufen.)

»Ich will sie zurecht machen, wenn ich zurückkomme. Das geht rasch, und ich werde auch nicht lange fortbleiben.«

Er begab sich zunächst nach dem dreieckigen Platz am Schnittpunkt des Broadway mit der 7. Avenue und sicherte sich die Dienste eines Fuhrmanns. Dieser versprach um neun Uhr am nächsten Morgen zu kommen. Der Preis sollte acht Dollars für jede Fuhre betragen.

»Nach dem, was Sie sagen,« fügte der Mann hinzu, »wird's nicht mehr als eine gute Ladung geben, aber die Leute, die mir helfen, werden wohl eine Kleinigkeit verlangen.«

»Wieviel?« fragte Tom.

»O, einen Dollar der Mann.«

»Und wieviel Mann werden's sein?«

»Zwei.«

Von dort ging er nach einem Dienstmannbüreau in der 8. Avenue und traf die für die Ueberführung seiner Koffer nach Beekman Place und des Tisches nach dem Möbelgeschäft von Finch und Comp. erforderlichen Abreden. Vierzig Cents das Stück sei der Preis, wie ihm der Geschäftsinhaber mitteilte. Ein einfaches Rechenexempel – ein Tisch, drei Koffer, drei Kisten mit Büchern, zwei große Packe Bilder – ergeben den Betrag von drei Dollars sechzig Cents, also sechzig Cents mehr, als er in seinem Voranschlag dafür angesetzt hatte.

Als er das Dienstmannbüreau verlassen hatte, stand er einen Augenblick mitten auf dem Bürgersteig stille. Ein tiefer, schwerer Seufzer hob seine Brust; er versuchte seinen ganzen Mut zusammenzunehmen und sein schmerzlich klopfendes Herz zur Ruhe zu bringen. Jetzt galt es, – jetzt mußte das Anlehen abgeschlossen, die Uhr verpfändet werden.

»O, es muß sein,« sagte er sich. »Was nützt es, hier zu stehen und sich davor zu scheuen? Man darf es nicht zu tragisch nehmen. Vorwärts.«

Mit einem Gefühl, als ob ihm die Kehle zugeschnürt werde, mit brennenden Wangen und von kaltem Schweiße feuchten Händen, schritt er die 8. Avenue hinauf und sah sich nach dem Schild eines Pfandleihers um. Nicht lange, so fand er, was er suchte. Drei Kugeln, die einst vergoldet gewesen waren, bewegten sich im Wind über einer Thür. Im Fenster lagen einige verrostete Waffen, musikalische Instrumente, Uhren, Schmucksachen, stumme Zeugen des Unglücks, und auf den Fensterscheiben stand in goldenen Buchstaben:

M. Klasch.
Hohe Darlehen auf Wertsachen
aller Art.

Unser Held versuchte seine Nerven zu stählen und einzutreten. Dabei warf er einen vorsichtigen, verstohlenen Blick die Straße hinauf und hinab, um sich zu versichern, daß er nicht beobachtet werde. Weshalb es ihm peinlich war, von den gänzlich unbekannten Leuten, die durch die Straße gingen, gesehen zu werden, ist schwer zu erklären, aber es war ihm eben peinlich. Er hatte die Empfindung, als ob er vor Scham in die Erde sinken müsse, wenn ihn irgend jemand, mochte es sein, wer es wolle, in ein Pfandleihgeschäft treten sähe, und ein sonderbares und vollkommen unbegründetes Gefühl aufzufallen, einen Verdacht, daß jedermann innerhalb Sehweite seine Bewegungen beobachte. Es ist dies dasselbe Gefühl, glaube ich, das uns beunruhigt, wenn wir im Begriffe sind, etwas zu thun, von dem wir wissen, daß es schlecht ist. »So macht Gewissen Feige aus uns allen.« Allein hier stand er doch auf dem Punkte, etwas zu thun, was, wie er wußte, nichts Schlechtes, sondern viel eher etwas Gutes, eine Pflicht war, und doch machte etwas – aber sicher nicht das Gewissen – einen Feigling aus ihm. Er trat ans Fenster und gab sich den Anschein, als ob er die dort ausgelegten Waren, vielleicht mit der Absicht, etwas zu kaufen, mustere, in Wahrheit aber versuchte er mit seinem Blick die Tiefe dahinter zu durchdringen und zu erkennen, ob noch andre Kunden in dem Laden seien. Aber die Tiefe war undurchdringlich, seine Blicke reichten nicht weiter als bis zum nächsten Ende des Ladentisches. Demnach beschloß er, langsam an der Thür vorbeizugehen und durch diese einen scharfen Blick ins Innere zu werfen. Wenn die Luft rein war, wollte er eintreten. So ging er denn an der Thüre vorbei und sah durch die Scheiben. Aber auch von hier aus erwies sich die Tiefe als unergründlich. Das Innere des Ladens war in dichte Finsternis gehüllt. Soweit er zu beurteilen vermochte, konnte ein Dutzend Leute, aber auch geradesogut keine Seele darin sein. Nein, er mußte allein sein; eine Unterredung mit einem Pfandleiher gleicht einer Besprechung mit einem Arzt oder Rechtsanwalt, man wünscht allein und vertraulich mit ihnen zu reden. Diese Rücksicht, meinte Tom, dürfe er auch auf seine Empfindungen nehmen. Im geheimen froh, daß er eine, wenn auch noch so durchsichtige Ausrede gefunden hatte, das unangenehme Geschäft hinauszuschieben, beschleunigte er seine Schritte und setzte seinen Weg die Straße hinauf fort.

»Ich will's mit dem nächsten Geschäft versuchen,« sagte er sich.

Allein er war noch nicht weit gegangen, als er stehen blieb, denn es stand ihm plötzlich mit beschämender Klarheit vor der Seele, wie thöricht, wie feige er gehandelt hatte, und er hielt an, um sich selbst zur Rechenschaft zu ziehen, sich zu schelten. Machte er nicht einen Berg aus einem Maulwurfshaufen, gab er nicht einer kindischen Schwäche, einem albernen Widerwillen, eine unabweisbare Pflicht zu erfüllen, nach? Er hatte sich selbst einen Kinderstreich gespielt. Wenn er ehrlich sein wollte, mußte er sich eingestehen, daß ihn keineswegs die Ungewißheit, ob der Laden leer, oder von Kunden besucht sei, veranlaßt hatte, vorbeizugehen, denn, so unmöglich es ihm auch gewesen war, hineinzusehen, hatte er doch die moralische Ueberzeugung, daß der Laden leer sei. Es war weiter nichts als Mangel an Mut, das instinktive Bestreben, Aufschub zu erlangen, das Kinder und Feiglinge beherrscht, wenn es sich um etwas Unangenehmes handelt.

»Komm her, Tom, wo ist deine Entschlossenheit? Wenn es einmal geschehen muß, dann je rascher, je besser.«

Er biß die Zähne aufeinander, machte kurz kehrt, ging geradeswegs auf Mr. Klaschs Thür zu, und ohne sich noch einmal Zeit zum Zögern und Unschlüssigwerden zu lassen, öffnete er sie und überschritt den Rubikon.

Das mißtönige Rasseln einer gesprungenen Klingel verkündete seinen Eintritt, worauf aus dem tiefen Schatten, der den Hintergrund des Ladens erfüllte, ein Mann auftauchte und sich ihm näherte, ein kleiner schwärzlicher Mann mit kahlem Kopf, scharfer, wieselartiger Physiognomie und einem dazu gar nicht passenden dunkeln, soldatischen Schnurrbart.

Mit einem kurzen trockenen »Nu?« fragte dieser Mann von der andern Seite des Ladentisches nach seinem Begehr.

Tom zog seine Uhr aus der Tasche, löste sie von der Kette und legte sie vor sich auf den Ladentisch. »Ich möchte Geld auf diese Uhr borgen,« sagte er dabei.

Der Pfandleiher nahm, ohne zu sprechen, die Uhr auf und besichtigte sie mit teilnahmlosen, gleichgültigen Blicken, als ob er sagen wollte: »Was für ein wohlfeiles, nichtsnutziges Ding mag das wohl sein?« Nach ganz kurzer Besichtigung legte er die Uhr wieder auf den Tisch, schob sie mit geringschätziger Gebärde dem Eigentümer zu und fragte in einem Ton, der andeuten sollte, daß er eine ziemlich schlechte Meinung von dem Gegenstand habe: »Wieviel wollen Se haben?«

»Wieviel können Sie mir geben?« fragte Tom zurück.

»Nu, wieviel wollen Se?« wiederholte der Pfandleiher listig, indem er zu verstehen gab, daß seine Geduld zu Ende sei.

Allein das war eine Frage, durch deren Beantwortung Tom seine Aussichten nicht gefährden wollte. Welchen Betrag er auch nennen mochte, der andre würde jedenfalls so thun, als ob er viel zu hoch sei, und außerdem konnte er in seiner Unwissenheit vielleicht einen weit geringeren Betrag nennen, als Klasch zu geben willens war. »Ich möchte gern wissen, wieviel Sie darauf geben würden,« fragte er deshalb noch einmal.

Jetzt war aber des Juden Geduld erschöpft. Er schob die Uhr ganz aus seinem Bereich. »Nix geb' ich,« sagte er grob, »wenn Se mer nicht sagen, wieviel Se wollen haben.« Damit wandte er Tom den Rücken und ging nach dem Hintergrund des Ladens, als ob er die Verhandlung als abgebrochen betrachte.

Dieser Kriegslist war Tom nicht gewachsen.

»Einen Augenblick!« rief er dem sich zurückziehenden Wucherer nach. Dieser blieb stehen und wandte den Kopf.

»Nu?« fragte er über die Schulter weg.

»Kommen Sie her, wir wollen über die Sache reden.«

Der Pfandleiher kam zurück.

»Machen Se rasch, ich kann nit stehen hier den ganzen geschlagenen Tag.«

»Wollen Sie mir hundert Dollars geben?«

Klasch fuhr in die Höhe, als ob er einen Schlag erhalten hätte, und musterte Tom mit entrüsteten Blicken von oben bis unten. Dann aber lachte er laut auf, und sein Ausdruck veränderte sich, er wurde zu einer Mischung von Heiterkeit und Mitleid.

»Hundert Dollars!« echoete er. »Hundert Dollars! Sie sind wohl bestußt?«

»Es ist eine Jules Jürgessen, und sie hat dreihundert Dollars gekostet,« entgegnete Tom. »Sie können doch sicher hundert Dollars darauf geben?«

Der Wucherer trat einen Schritt zurück und erhob seine Hände, als ob er einen drohenden Schlag abwehren wolle.

»Geh'n Se fort, machen Se, daß Se raus kommen, nehmen Se weg das Ding, nehmen Se's weg!« schrie er erregt.

»Nun,« fuhr Tom fort, »wenn Sie hundert Dollars für zuviel halten, wieviel wollen Sie darauf geben?«

»Ich will se nit, nehmen Se se fort, fort dermit,« wiederholte der Jude.

»Wollen Sie damit sagen, daß Sie gar nichts darauf leihen können – auf eine goldene Uhr von Jules Jürgessen?« fragte Tom verdutzt.

»Na, lassen Se noch mal seh'n,« erwiderte der Pfandleiher achselzuckend und mit einem Seufzer der Ergebung. Seine Aufregung hatte sich völlig gelegt.

Er nahm die Uhr nochmals zur Hand und besichtigte sie, aber seine Mienen drückten nur Geringschätzung aus. Er schien sie offenbar für eine ganz erbärmliche Leistung der Uhrmacherkunst zu halten. Ein Vergrößerungsglas ins Auge klemmend, öffnete er das Werk, besichtigte es genau und schloß dann die Kapsel mit gerunzelter Stirn. Endlich reichte er Tom die Uhr hin und schüttelte den Kopf. »Ne, kann se nit brauchen, habe keine Verwendung derfür,« sagte er gleichgültig. »Fünfundzwanzig Dollars will ich geben drauf,« fügte er in einem Ton hinzu, als ob er das Anerbieten nur in einer plötzlichen Anwandelung von Mitleid mache.

»Fünfundzwanzig Dollars!« rief Tom. »Das ist ja geradezu lächerlich.«

»Na, dann nehmen Se se fort. Ich habe gesagt, daß ich se nit kann brauchen. Fünfundzwanzig Dollars geb ich aus reiner Gefälligkeit. Fünfundzwanzig Dollars, keinen Cent mehr!«

Das Anerbieten war unverschämt, aber Tom überlegte, daß fünfundzwanzig Dollars doch mehr seien, als er augenblicklich bedurfte, und daß, je weniger er erhielt, um so weniger er auch zurückzuzahlen brauchte, wenn er sie wieder einlöste, und das hoffte er in der nächsten Woche, wenn seine Kasse durch den Verkauf der Möbel gefüllt sein würde, thun zu können. Ferner bedachte er, daß mit der Größe des Betrags sich auch sein Verlust an Zinsen steigerte, und er glaubte sich zu entsinnen, daß das Gesetz den Pfandleihern gestatte, für jedes Jahr und jedes angefangene Jahr fünfundzwanzig vom Hundert an Zinsen zu berechnen. Endlich aber kam noch in Erwägung, daß, wenn er das Anerbieten dieses Biedermanns ablehnte, er einfach zu einem andern gehen, noch einmal eine ebenso widerwärtige Verhandlung durchmachen müsse und wahrscheinlich kein besseres Ergebnis erzielen werde. Diese Gedanken wurden von dem Pfandleiher unterbrochen. »Na, denken Se etwa,« rief dieser ärgerlich, »ich habe weiter nix zu thun den ganzen Tag, als zu steh'n hier hinter dem Ladentisch?«

»Nun, dann geben Sie die fünfundzwanzig Dollars,« erwiderte Tom.

Ehe er fortging, befestigte er sein kleines silbernes Messer am Ende der Uhrkette und steckte es in die durch die Weggabe der Uhr leer gewordene Tasche. »Nein, Rose wird nichts merken,« sagte er beruhigt, nachdem er sich vorgebeugt und die Kette betrachtet hatte. Hierauf verließ er den Laden und machte sich auf den Heimweg. Der Galgenhumor, den einer seiner Universitätsfreunde bei einer ähnlichen Gelegenheit entwickelt hatte, ging ihm ab. Dieser Freund hatte, als Tom ihn einmal nach der Zeit gefragt, so gethan, als ob er seine Uhr hervorziehen wolle, aber was er zum Vorschein gebracht und dem Fragesteller gezeigt hatte, war ein sauberer, weißer, am Ende einer schönen Uhrkette befestigter Pfandschein gewesen. Trotz seiner ernsten Stimmung konnte Tom ein Lächeln nicht unterdrücken, als ihm jetzt dieser Jugendstreich in Erinnerung kam.

Um sechs Uhr verließen Tom und Rose den Ariosto, um sich nach Beekman Place zu begeben. Koffer und Kisten hatten sie vorausgeschickt. Die Entschädigung an Watson war bezahlt, und es blieb ihnen nichts mehr zu thun, als am nächsten Morgen ihre Möbel fortzuschaffen. Der Abschied von den Räumen, die der Mittelpunkt so vieler schöner Hoffnungen gewesen waren, von den Zimmern, deren Ausschmückung sie einen so großen Teil ihrer Zeit und ihrer Gedanken gewidmet und in denen sie ein glückliches Jahr zu verleben gehofft hatten, war nicht ohne schmerzliche Empfindungen für sie von statten gegangen, aber sie suchten Trost in dem Gedanken, daß die Wohnung an sich eine Sache von sehr untergeordneter Bedeutung ist, wenn man nur mit demjenigen oder derjenigen zusammenlebt, den oder die man liebt. Die Dienstboten im Ariosto, die unsre wehrlosen Freunde während der letzten paar Tage mit der geringschätzigen Herablassung behandelt hatten, die nur Bedientenseelen so vollkommen zum Ausdruck zu bringen verstehen, drängten sich bei dieser Gelegenheit eifrig genug heran, mit Abschiedsgrüßen auf den Lippen und der Erwartung von Trinkgeldern in den Augen. Es forderte einen gewissen moralischen Mut, diese Erwartungen unerfüllt zu lassen, aber Tom fühlte, daß er sich niemals wieder achten könnte, wenn er jetzt sozusagen moralisch kapitulierte, und so täuschte er sie denn mit einem gewissen grimmigen Vergnügen. Nicht einer von ihnen erhielt einen Kupfercent.

Mrs. Grickel öffnete ihren neuen Gästen in höchsteigener Person die Thür, hieß sie mit der ihr eigenen Redseligkeit willkommen und ersuchte sie, näher zu treten und zu thun, als ob sie zu Hause wären. Sie geleitete sie nach ihrem Zimmer, und als Rose dort ausrief: »O, wie reizend! Sieh nur mal die Blumen, Tom!« entgegnete die gute Frau: »Ja, meine Dochter Lina hat se geholt aus der 3. Avenue. Se meinte, de Stube würde ausseh'n 'n bißchen freindlicher, wenn Se kämen – was? – Wenn Se also sin fertig, dann kommen Se runter ins Wohnzimmer, da will ich Se vorstellen meinem Grickel. Er is ganz toll, ze machen Ihre Bekanntschaft, ich hab' em so viel von Ihnen erzählt. Ihre Koffer steh'n da drüben im Alkoven, aber de Kisten un de annern Sachen sin noch unten. Ich hab se nicht lassen bringen rauf, damit de Stube nicht wird so voll, wissen Se. – Na, nu machen Se sich's bequem un dann kommen Se runter. Adieu so lange.« Und damit trippelte sie aus dem Zimmer.

Die beiden folgten sehr bald – sie zögerten nur lange genug, um eine kleine Einstandsfeier, und zwar, wie das nicht anders zu erwarten war, in Gestalt einer innigen Umarmung zu veranstalten – und dem Wortlaut der Einladung folgend, traten sie ins Wohnzimmer, dessen Thür halb offen stand.

»O, da sin Se ja!« rief die Wirtin. »Popper, da sin se; das ist Mr. und Mrs. Gartiner, – Mr. Grickel.«

Mr. Grickel war ein kleiner Mann von gedrungener Gestalt, mit einem Haarwuchs, der der Mähne eines Löwen glich, aber weich wie Seide und weiß wie Milch war, und mit einem ebenso weißen welligen Bart. Das durch dieses zottige Oval eingeschlossene Gesicht, in dem gleichzeitig Ernst und Güte, Kraft und Sanftmut, vor allem aber Geist lag, zeigte kräftig geschnittene, aber angenehme, ja sogar schöne Züge. Die Nase war gerade und stark, die Backenknochen aber standen etwas vor und weit auseinander. Die Stirn war breit, hoch und von zahlreichen senkrechten und wagerechten Falten und Fältchen durchfurcht, die einander durchkreuzten und ein unregelmäßiges Netzwerk bildeten. Schwere Lider und buschige, graue Augenbrauen, die in seltsamem Gegensatz zu dem reinen Weiß seines Haares und Bartes standen, beschatteten die großen, braunen Augen, die mit ihrem Glanz und ihrer Lebhaftigkeit das Bemerkenswerteste in seinem Gesicht waren. Wären diese Augen nicht gewesen, man würde nie auf den Gedanken gekommen sein, ihn für einen Juden zu halten; aber sie drückten ihm unverkennbar den Stempel seiner Rasse auf. Sie strahlten in einem gewissen tiefen, gedankenvollen Glanz, halb traurig, halb leidenschaftlich, den ich in andern Augen als denen eines Juden oder einer Jüdin nie beobachtet habe. Ihre Farbe, ihre Klarheit, der Reiz ihres Ausdrucks waren so, daß ein Weib ihn um diese Augen hätte beneiden können. Jedenfalls war Mr. Grickel ein Mann, der bedeutend und ungewöhnlich, wie ein Gelehrter, ein Enthusiast und wie ein guter, warm und menschlich empfindender Mann aussah. Wo man ihn auch treffen mochte, man fragte sich gewiß, wer und was er wohl sei, und wußte im voraus, daß man es mit keiner Null zu thun hatte.

»Er sieht aus,« dachte Tom, »wie eine Vereinigung von Kossuth, Viktor Hugo und Garibaldi.«

Die sonst scharfen Züge wurden durch ein freundliches, gewinnendes Lächeln weicher, als er sich erhob und Tom und Rose begrüßte. »Ich freue mich, Sie kennen zu lernen,« sagte er mit ruhiger, wohllautender Stimme und nur einer schwachen Andeutung von fremdem Accent, »und ich hoffe, daß Sie sich glücklich bei uns fühlen werden.« Er hielt Roses Hand in der seinigen und blickte der jungen Frau ernst in die Augen. »Es ist freundlich von Ihnen, daß Sie gekommen sind, um bei uns zu wohnen. Sie sind schön und gut, und Ihre Anwesenheit wird unserm Hause ein Segen sein. Dies ist meine Werkstatt,« sagte er erklärend zu Tom, der die ringsum, fast bis zur Decke des Zimmers mit Büchern besetzten Wände betrachtete. »Aber wir speisen auch hier, um die Aussicht auf den Fluß genießen zu können. Kaffee und das zweite Frühstück nehmen wir unten, aber wenn mein Tagewerk vollbracht ist, öffne ich die Thür und mein Arbeitstisch verwandelt sich in ein Tischlein-deck-dich. Sehen Sie –« und er wies auf einen Tisch, der zur Hälfte im Erkerfenster, zur Hälfte im Zimmer stand. Natürlich war Tom neugierig, was für eine Art von Beschäftigung Mr. Grickel wohl betreiben mochte.

»Sie haben eine schöne Bibliothek,« sagte er, wohl fühlend, wie wenig geistreich diese Bemerkung war.

»O ja, für meine Zwecke,« stimmte Mr. Grickel zu. »Es ist sozusagen eine technische Bibliothek. Meine Bücher sind mein Handwerkszeug. Wenn Sie einmal Lust haben, hineinzublicken, stehen sie Ihnen zur Verfügung.«

»Meine Tochter Henriette – Mr. und Mrs. Gartiner,« unterbrach Mrs. Grickel das Gespräch, und die Dame mit der Brille, die ihnen am Morgen die Hausthüre geöffnet hatte, machte ihre Verbeugung. »Da is auch meine Tochter Lina. Lina is unser Nesthäkchen – Mr. und Mrs. Gartiner,« fügte sie hinzu, als ein schwarzhaariges, schwarzäugiges junges Mädchen von etwa zwanzig Jahren ihnen lächelnd einen Knix machte. »So, nu kennen Se de ganze Familie, bis auf 'n Professor. Wo is der Professor, Lina? Ah, da kommt er.«

Der »Professor« entpuppte sich als ein kleiner brauner Herr von ausgesprochen romanischem Typus mit weißem Schnurr- und Knebelbart, der sehr sauber und fein gekleidet war, und eine rote Rose im Knopfloch trug.

»Professor Zacchinelli – Mr. und Mrs. Gartiner,« stellte die Ceremonienmeisterin vor.

»Mihster und Mihsis Gardiner, ick sein serr entsückt!« entgegnete der Professor mit einer sehr tiefen Verbeugung.

»Na, da wär'n mer ja alle, nu können mer uns setzen un essen, wie?« sagte die Hausfrau, mit dem Absatz auf den Fußboden klopfend. »So rufen mer nämlich 's Mädchen,« erklärte sie Rose. »De Kiche is grade hier unter diesem Zimmer, und wenn mer nötig haben 's Mädchen, dann brauchen mer nur aufzetreten. Un nu setzen Se sich hier hin,« fügte sie hinzu, die Plätze andeutend. »Ich hab Se dahin gesetzt, damit Se haben ne schene Aussicht.« Rose konnte den Fluß in der schon sinkenden Dämmerung weit abwärts übersehen, bis dahin, wo eine Reihe von Lichtern die Wasserseite von Brooklyn bezeichnete, während hie und da auf den dunkeln Wellen die smaragd- oder rubinfarbenen Laternen eines Schiffes leuchteten. »Meine Tochter Lina soll sitzen neben Ihnen, Mrs. Gartiner, un neben Ihnen« – zu Tom gewandt – »meine Tochter Henriette. So, nu sin mer ja wohl in Ordnung, nu wollen mer's uns machen bequem.« Sie legte die Suppe vor, die Rose und Tom ebenso ausgezeichnet fanden, wie alle folgenden Gerichte.

Das Mahl wurde durch eine lebhafte, allgemeine Unterhaltung gewürzt, bei der Tom und Rose jedoch vorzugsweise die Rolle aufmerksamer Zuhörer spielten. Indem sie dies und jenes zusammenreimten, erfuhren sie in deren Verlauf mancherlei über die Beschäftigung und Interessen ihrer neuen Hausgenossen, so zum Beispiel, daß Professor Zacchinelli Gesanglehrer und Mr. Grickel Mitarbeiter an »Martingales Monatsheften« war; sie hörten, daß Lina Grickel Klavier spielte und Musikunterricht gab, während Henriette ihrem Vater als Vorleserin und Amanuensis zur Seite stand; und ferner, daß Adolf Grickel, der Sohn, der vor kurzem das jetzt von ihnen bewohnte Zimmer geräumt hatte, Violinist war und sich seinen Lebensunterhalt als Mitglied des philharmonischen Orchesters und durch Unterrichtgeben erwarb. Sie vernahmen ferner, daß Grickels die Bekanntschaft des Professors Zacchinelli an Bord des Segelschiffs gemacht hatten, daß sie alle drei im Jahre 1849 nach Amerika gebracht, und daß er seitdem immer bei ihnen gewohnt hatte, obgleich er Italiener und wahrscheinlich Katholik, sie aber deutsche Juden waren. Den größten Teil dieser Bruchstücke von Mitteilungen verdankten sie dem Professor selbst, der sehr viel sprach und stets versuchte, das eine oder andre Glied des kleinen Kreises ins Gespräch zu ziehen. Am Schluß einer seiner etwas langen Reden beugte sich Mrs. Grickel zu Tom hinüber und bemerkte flüsternd, aber doch laut genug, um vom Professor verstanden zu werden: »Ach Gott! Dieser Perfessor, schrecklich is er! Außer meinen beiden Döchtern hat er, glaub' ich, nix so gern, als wie wenn er sich kann dispetieren.«

»Ah, Madame, wenn Sie nehme aus Ihre Dochters, so Sie müsse auk nehme aus der Mutter, von der ick sein die demütige Sklav,« entgegnete der Italiener galant. »Aber ein Argument – ja, ick gestehn, daß ick ihr lieben. Es sein ein serr erfrischende Uebung für das Geist. Wenn man 'at ge'ört der ganze Tag die Gänse gak-gak, die sick bilde ein zu sing, dann man muß gebe der Intelekt etwas Munteres, es zu 'alte lebendig. Sonst ick werden verrückt.«

»Gewiß, das is recht,« gab Mrs. Grickel zu. »Eine Disputation macht Spaß, un ich hab' se selbst gern; ich wollte auch nix sagen dergegen. Aber wenn Mr. und Mrs. Gartiner hören, wie Se widersprechen allem, was wird gesagt, dann könnten se vielleicht nit wissen warum, nit wahr?«

» Si, confesso! Widerspruck sein die Seele von die Unter'altung.«

Als sie sich vom Tisch erhoben hatten, näherte sich der streitlustige Italiener Tom: »Jetzt wir gehn nauf nack meine Simmer, und da wir raucke und macke Musik. Wenn Sie und Ihre Dam' wolle komme mit, es mir wird sein große Ehr!«

Tom, der einen fragenden Blick auf seine Frau gerichtet hatte, nahm die Einladung mit Dank an.

Des Professors Wohnstube war das nach hinten gelegene Zimmer des ersten Stocks. Es hatte ebenfalls ein Erkerfenster, von dem man dieselbe prächtige Aussicht über den Fluß genoß. Lina setzte sich ans Klavier und erfüllte eine köstliche halbe Stunde lang den Raum mit den Harmonieen Chopins und Schumanns, während die Herren ihre Cigarren rauchten und träumerisch aus dem Fenster blickten.

»Nun, Herr Professor,« sagte die Spielerin, als der alte Herr den Rest seiner Cigarre weggelegt hatte, »nun singen Sie uns etwas.«

Mit den Ueberbleibseln dessen, was einst gewiß eine herrliche Tenorstimme gewesen war, denn sie war noch immer wohllautend, klar und kräftig, sang er »Jesus von Nazareth« von Gounod mit italienischem Text. Sein Vortrag war voll Verständnis und Leidenschaft, und er wußte die Herzen seiner Zuhörer zu ergreifen. Als er geendet hatte, zog er schweigend sein Taschentuch hervor und wischte sich die Augen. Sie waren feucht von Thränen.

»Wie ick waren jung,« sagte er, »das Sing mir mackten große Freud. Wenn ick aber singen jetzt, es mir thut serr weh in meiner 'erz, und ick müssen weinen.«

»Ach Gott! Dieser Professor Zacchinelli,« rief Mrs. Grickel, ihren Kopf in echt jüdischer Weise wiegend, »er is so gefühlvoll, gar zu gefühlvoll is er. In meinem ganzen Leben hab' ich niemand geseh'n, wo is so gefühlvoll wie der Professor Zacchinelli.«

»Vielleicht ist auch Mrs. Gardiner musikalisch,« bemerkte der Hausherr. »Wollen Sie uns nicht etwas vorspielen?«

»Ich thät' es sehr gern,« antwortete Rose, »aber ich bin so aus der Uebung. Es wird jedenfalls hübscher sein, Miß Lina zuzuhören.«

»Wenn Se nit spielen, vielleicht singen Se?« fragte Mrs. Grickel.

»Ein wenig,« gestand Rose.

»Dann singen Se uns 'n Liedchen,« und als Rose etwas zögerte, »ach – Se missen nit sein blöde. Nur frisch! Singen Se 'n Liedchen, mer hören alle so gern de Musik.«

»Ah, Madame, wege meiner,« bat auch Zacchinelli. »Thun Sie uns das Gefall.«

»Vor Ihnen, Herr Professor, fürchte ich mich. Vielleicht halten Sie mich auch für eine von den Gänsen, die gak-gak machen.«

»O nein, Madame, unmöklick. Sie 'abe Musik in die Aug. Ick können sag von Ihre Aug, daß Sie sein eine Künstlerin, komm Sie 'er, wir wolle etwas sing.«

Rose, die nicht ungefällig erscheinen wollte, neigte zustimmend das Köpfchen. So nahm er denn einen Stoß Noten vom Klavier, und sie blätterten sie zusammen durch. Dann und wann richtete er eine Frage oder Bemerkung an Rose, wie: »Sing Sie das? – Ah, das sein sublim! – Vor viele, viele Jahr ick das 'ab ge'ört von die Maliban. Ecco, das waren meine 'auptstück, wie ick noch 'ab gesunge öffentlick. – Mein Sie nicht, daß dies liegen gut für Ihre Stimm?« und so weiter. Endlich kamen sie überein, Rossinis La Separazione zu wählen, und Rose erhob sich klopfenden Herzens zum Singen, während der Professor die Begleitung spielte.

Als sie geendet hatte, wurde ihr lauter Beifall gespendet, der wohl verdient war, denn Rose hatte sich selbst übertroffen. Tom meinte, er hätte sie nie besser singen hören, und er wußte bestimmt, daß er sie nie hübscher gesehen hatte. »Schön, prächtig, prima!« rief Mrs. Grickel. »Herrlich! entzückend!« flüsterte ihr Mann, und Lina und Henriette kamen herbei, um ihr zu danken und sie zu beglückwünschen. »Sie müssen sehr stolz auf Ihre Frau sein,« wandte sich die ältere Schwester an Tom. »Sie hat eine wundervolle Stimme. Sie sollte öffentlich singen.«

Professor Zacchinelli blieb auf dem Stuhl vor dem Klavier sitzen, bis sich der Sturm etwas gelegt hatte. Dann erhob er sich langsam, wandte sich um, ergriff Roses beide Hände und sah sie an, ohne zu sprechen. »Lieb',« sagte er endlich, »Sie 'ab gänzlich gewönne meiner 'erz. Daß Sie wär ein Künstlerin, ick wußte vor'er, aber ick nicht 'atten erwartet so etwas. Unter fünftausend nickt eine sing wie Sie. Sie könne mack ein brillantes Sukunf für sick, wenn Sie studier nock ein bißken. Sie 'ab die Fä'igkeit zu mack die 'örer fühl gut 'ier,« wobei er die Hand aufs Herz legte. »Aber Ihr italiano! Wo 'ab Sie gelernt ausspreck so gut?«

Sie antwortete in fließendem Italienisch: »Ich habe von meiner frühsten Kindheit an in Italien, in Rom gelebt,« worauf er in derselben Sprache antwortete: » Ma, dio mio, Sie sprechen meine Sprache wie eine Tochter Italiens. Ich würde Sie nie für eine Fremde gehalten haben. O, das ist reizend!«

Und darauf vertieften sich beide in eine lange, lebhafte Unterhaltung, die unter anderm auch die Wirkung hatte, sie zu sehr guten Freunden zu machen.

»Den ganzen Tag, Signora,« sagte er, ehe Tom und Rose sich von der Gesellschaft verabschiedeten, »bin ich von Hause fort. Niemand benützt mein Klavier. Ich bitte Sie, mir die Gunst zu erweisen, mein Zimmer und mein Instrument zum Ueben zu benützen.« Rose war natürlich besorgt, daß das ein Mißbrauch seiner Güte sein würde, allein er bestand darauf. »Wenn Sie das nicht annehmen, werde ich mich verletzt fühlen. Warum soll mein Flügel den ganzen Tag unbenützt bleiben? Lina hat ihr eigenes Instrument im Wohnzimmer unten. Sie müssen mir versprechen, das meinige zu benützen. Es wäre geradezu eine Sünde, wenn Sie Ihre Stimme nicht üben wollten. Sie müssen es mir versprechen.« Und Rose gab das verlangte Versprechen.

Als sie auf ihrem eigenen Zimmer angelangt waren, fragte sie Tom, wieviel Uhr es sei.

»Etwa Zehn,« antwortete er.

»O, es muß später sein, sieh doch mal nach.«

»Nein, ich bin ganz sicher, daß es nicht später ist.«

»Aber warum siehst du denn nicht nach deiner Uhr? Laß mich mal sehen.« Sie trat vor ihn und zog – nicht seine Uhr, sondern sein silbernes Messer hervor. »Tom, wo ist deine Uhr?«

»O, sie ist – sie ist beim Uhrmacher zum Reinigen.«

Sie sah ihm fragend ins Gesicht.

»O, Tom – Tom – du hast deine Uhr verkauft!«

»Nein, Schatz, wirklich nicht.«

»Aber wo ist sie denn? Ich weiß, daß sie nicht beim Uhrmacher ist, das war geflunkert; das hab' ich gleich gemerkt an der Art, wie du's sagtest. Nun sprich mal, was hast du damit gemacht? Du hast sie verkauft – ganz gewiß – deine schöne goldne Uhr!«

»Nein, Liebste, ich hab' sie wirklich nicht verkauft. Ich hoffte, du würdest nicht merken, daß sie fort ist. Ich – ich habe sie versetzt – nur auf einige Zeit, weißt du.«

Sie trat etwas von ihm zurück und sah ihn einige Sekunden innig an; dann warf sie sich in seine Arme und verbarg ihr Antlitz an seiner Brust.

»O, Tom,« rief sie schluchzend, »lieber, lieber Tom, das hast du gethan – ohne – ohne – mir etwas davon zu sagen!«


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