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Drittes Kapitel.

Ein gutes Weib ist ein Geschenk Gottes.


Und nun haben wir trübe Tage zu verzeichnen, Tage des Kummers und der Sorge, Tage der Wunden und Demütigungen, Tage, die getäuschte Hoffnungen und das Herzweh brachten, das ihre Folge ist, Tage unangenehmer und erschöpfender Mühen, schon an sich widerwärtig, wie viel mehr, da sie auch vergeblich und am Abend jedes Tages nicht die geringsten Erfolge zu verzeichnen waren, sondern nur Mißerfolge, Entmutigung und Verzweiflung; Tage, wo selbst die Liebe kein Glück brachte, dagegen Sorge für die Wohlfahrt der Geliebten, Schmerz beim Anblick ihres Elends und das nagende Bewußtsein, daß nichts zu sagen oder zu thun war, was diesem Elend ein Ende machen konnte.

Und doch waren sie sich anfänglich nicht darüber klar, daß die Tage so sehr trübe sein würden. Sie wußten natürlich, daß sie ihre Wohnung im Ariosto aufgeben und sich zu einer weniger kostspieligen Lebensweise bequemen müßten; sie wußten, daß es notwendig sei, die eben beschafften Möbel wieder zu verkaufen, um sich bar Geld zu verschaffen; sie wußten – eine fast lächerliche und doch so schmerzliche Einzelheit – daß sie Roses Piano und Toms Schreibtisch den Kaufleuten, von denen sie diese Sachen auf Kredit entnommen hatten, zurückgeben müßten, – jenen Tisch, von dem Tom gesagt hatte, daß daran zu schreiben, allein schon genügt hätte, seine Schaffenskraft anzufeuern, das Piano, das mit liebevoller Sorgfalt ausgewählt war, um die Roses Gesang würdige harmonische Begleitung zu liefern! Und endlich wußten sie, daß sie auf irgend eine Weise ihr tägliches Brot verdienen müßten. Aber was wollte das alles sagen? Sie liebten sich, sie hatten ja einander. Das war der feste Faden, woraus ihr Glück gewebt war; alles andre war nur Zierat und Flitter. Was lag an deren Verlust, solange ihnen der feste Faden blieb? Was kümmerten sie sich darum, wo oder wie sie lebten – im Ariosto oder in einer Pension – wenn sie nur zusammen lebten? Sie erinnerten sich, wie sie vor noch nicht sehr langer Zeit bei dem bloßen Gedanken an eine Pension geschaudert hatten, und sie wunderten sich jetzt über ihren thörichten, kindischen Hochmut. Was brauchten sie überhaupt auf Aeußerlichkeiten zu geben, solange die Flamme der Liebe stetig in ihnen brannte? Ein gemästetes Rind, oder ein Linsengericht, was kam darauf an; wenn nur die Liebe mit zu Tische saß? Diese gegenseitige innige Liebe würde jedes Mahl würzen, wozu sie sich niederließen. Wie? Es war ja gar kein Grund vorhanden, zu jammern. Nein, sie hatten viel eher Ursache zur Dankbarkeit. Wie viel Schlimmeres hätte sie befallen können! Stellt euch nur einmal vor, eins von ihnen wäre gestorben oder hätte aufgehört, das andre zu lieben? Im Vergleich zu einem solchen Unglück war doch der Verlust ihres Vermögens nur ein Mückenstich. Und was die Frage des Brotverdienens anbetraf – nun, es gab eine ganze Menge andrer Männer, die nicht kräftiger und nicht gescheiter als Tom waren, und doch ihren Lebensunterhalt fanden, – warum sollte er nicht im stande sein, für sich und Rose das Nötige zu verdienen? Sie konnten mit sehr wenig auskommen, zum Beispiel mit zweitausend Dollars das Jahr, und es müßte wirklich sonderbar zugehen, wenn er, Thomas Gardiner, mit seinen Anlagen, seinen Kenntnissen nicht einmal erbärmliche zweitausend Dollars im Jahr verdienen könnte. Und welche Freude würde ihm das sein! Für Rose zu arbeiten, zu wissen, daß er durch den Schweiß seines Angesichts seinem Weibe Nahrung, Kleidung und ein Heim verschaffe – ah! – das war ein Genuß! Das zu thun, würde ihn stolz, glücklich machen! – So trieb die Liebe die Sorgen zu Paaren; Jugend und Unerfahrenheit erzeugten Selbstvertrauen und Mut. Ihre Unkenntnis der Welt war für den Augenblick ein Segen für sie. Wie schwer, wie furchtbar schwer der Kampf ums Dasein sei, der auch ihnen bevorstand, davon hatten sie keine Ahnung. Ihr Guthaben auf der Bank betrug noch etwa hundert Dollars, ihre Möbel, die ihnen über sechshundert Dollars gekostet hatten und doch noch so gut wie neu waren, durften nach ihrer Rechnung bestimmt nicht weniger als fünfhundert Dollars einbringen. Sie konnten demnach auf ungefähr sechshundert Dollars bar rechnen, wovon sie leben mußten, bis es Tom gelungen war, eine passende Beschäftigung zu finden. Ihre Miete in Ariosto war bis zum 1. November bezahlt. Sie hatten also einen vollen Monat vor sich, um eine ihnen zusagende Pension zu suchen. Anfangs war der Selbstmord Pinners derjenige Teil des Trauerspiels, der sie am tiefsten erschütterte. Das war wirklich gräßlich! Wenn – wenn er doch lieber durchgegangen wäre oder etwas Aehnliches. Aber sich das Leben zu nehmen! Jedesmal, wenn sich ihre Gedanken dem zuwandten – und das geschah sehr oft – wurden sie fast krank vor Entsetzen.

Die Dunkelheit senkte sich hernieder, ihre Illusionen waren grausam zerstört, ihre Lichter erloschen eins nach dem andern, und die trostlosen Schwierigkeiten ihrer Lage wurden ihnen, eine nach der andern, klar.

An demselben Tage noch – es war der 1. Oktober – wurde Tom von dem Gedanken erfaßt, etwas zu thun, weil er das Gefühl hatte, daß die Lage Handeln gebieterisch fordere. Deshalb begab er sich ins Geschäftszimmer des Ariosto und verlangte den Wirt, Mr. Watson, zu sprechen.

»Nun, Mr. Gar'ner,« fragte dieser Herr, als Tom eintrat, »was kann ich für Ihnen thun?«

»Ich möchte gern einige Augenblicke mit Ihnen im Vertrauen sprechen,« entgegnete Tom, der die Angelegenheit nicht gern in Gegenwart der Kellner verhandeln wollte.

»O, selbstverständlich,« stimmte Watson zu, »hierher, wenn ich bitten darf,« und dabei führte er seinen Mieter in eine von dem übrigen Raum durch ein niedriges Geländer abgetrennte Ecke, die das Comptoir vorstellte. »Hier sind wir ganz ungestört. Bitte Platz zu nehmen. Nun also?«

»Ich komme,« begann Tom, der sich natürlich das, was er sagen wollte, vorher überlegt und ausgedacht hatte, – »ich komme, um Ihnen zu sagen, daß ich genötigt bin, meine Wohnung Ende dieses Monats aufzugeben. Es thut mir sehr leid, allein eine unvorhergesehene Aenderung meiner Verhältnisse macht es notwendig. Bis zum 1. November werde ich natürlich bleiben, da ja die Miete bis dahin bezahlt ist. Ich dachte, es wäre richtig, Sie sofort in Kenntnis zu setzen, damit Sie sich nach einem andern Mieter umsehen können. Ich habe die Geschichte selbst erst diesen Morgen erfahren. Sie haben vielleicht in der Zeitung den Selbstmord Mr. Marcus Cicero Pinners gelesen. Er war mein Vermögensverwalter und hatte alles in Händen, was ich besitze.«

Im Wesen seines Zuhörers war allmählich eine Veränderung vor sich gegangen, die es Tom schwer machte, seine Rede zu beenden; die dienstbeflissene, warme Höflichkeit hatte einer Art von Versteinerung Platz gemacht, und ihre Temperatur war augenscheinlich auf den Gefrierpunkt gesunken. Watson hatte ihn jedoch ruhig und ohne Unterbrechung ausreden lassen. Selbst jetzt zögerte er noch eine Weile mit der Antwort. »Nun, Mr. Gar'ner,« sagte er endlich, »Sie haben eine eigentümliche Art, Geschäftssachen zu behandeln.«

Er sprach so laut, daß Kellner und Hausburschen ihn verstehen konnten, und sein Ton war spöttisch und verletzend.

»Ich verstehe Sie nicht,« entgegnete Tom, durch das Benehmen des Wirts gereizt, hochmütig.

»Na, dann spitzen Sie mal die Ohren. Ich kann mich in ein paar Sekunden verständlich machen. Sie kommen her und mieten die Wohnung auf ein Jahr; ich halte Sie für einen anständigen Herrn und überlasse sie Ihnen. Und nun kommen Sie ganz unverfroren an und teilen mir mit, daß Sie am Ende des ersten Monats ziehen wollen: Nun denn, so behandelt man keine Geschäftssachen, weiter sag' ich nichts. Was geh'n mir Ihre Verhältnisse und Ihr Vermögensverwalter und alles das an? Ob Sie geh'n oder bleiben ist mir ganz egal. Eins aber kann ich Ihnen sagen: Sie haben die Wohnung kontraktlich auf ein Jahr gemietet, und an Sie halte ich mich wegen der Jahresmiete. So, das ist hoffentlich deutlich, Herr!«

Hier zeigte sich eine Schwierigkeit, worauf Tom in seiner Unerfahrenheit nicht vorbereitet war, und zwar eine sehr ernste. Dazu kam, daß Watsons Benehmen nach und nach geradezu beleidigend geworden war, und in Tom kochten Aerger und Entrüstung. Er merkte sehr wohl, daß der Vorgang Kellner und Hausburschen höchlichst belustigte, und es kostete ihm große Mühe, ruhig zu bleiben, aber es gelang ihm. »Aber Mr. Watson,« entgegnete er mit dem Schein vornehmer Gelassenheit, »es ist wirklich ganz unnütz, sich in dieser Weise zu erregen. Ich kann einfach die Miete nicht bezahlen, so liegt die Sache. Wenn Sie sagen, Sie wollen sich wegen der Miete an mich halten, so ist das gegenüber der nackten Thatsache, daß ich nicht mehr die Mittel besitze, zu zahlen, leeres Gerede. Wo nichts ist, hat der Kaiser sein Recht verloren. Mr. Pinner hat alles, was ich auf der Welt besaß, bis auf den letzten Pfennig verloren. Ich bin bankerott – da haben Sie die Geschichte in einem Wort. Sie würden viel gescheiter thun, wenn Sie die Wohnung an jemand anders vermieteten – an jemand, der sie bezahlen kann. Ich bin auch bereit, vor dem 1. November auszuziehen, wenn Sie es wünschen. Sie können also die Wohnung sofort vermieten – noch diese Woche.«

»O, ob Sie auszieh'n oder nicht, ist mich ziemlich gleichgültig. Auch um die Vermietung der Wohnung werde ich mir nicht kümmern; von meinem Standpunkt aus ist sie ja vermietet. Sie haben sie gemietet, und Sie müssen sie bezahlen; weiter geht mir die Sache nichts an.«

»Aber können Sie denn gar nicht begreifen, daß ich –«

»Was? Sie wollen mich wohl in meinem eigenen Geschäftszimmer noch grob werden? Gehen Sie nur zu einem Rechtsanwalt, und sagen Sie dem, daß ich Ihre Unterschrift schwarz auf weiß unter einem Mietsvertrag auf ein Jahr besitze, dann wird er Ihnen den Standpunkt schon klar machen. Ich mache mich keine Sorgen. Sie besitzen doch Möbel, wie? Die werde ich doch wohl mit Beschlag belegen können. Ich bin doch nicht umsonst Hausbesitzer gewesen, schon lange ehe Sie geboren waren, um mich von einem grünen Jungen, wie Sie, übern Löffel balbieren zu lassen. Es gibt auch noch Gerichte in New York, wo ich Sie verklagen kann. Die Wohnung gehört Ihnen, damit habe ich nichts zu schaffen. Sie können sie benutzen, oder leer stehen lassen, oder veraftermieten oder sonst damit machen, was Sie Lust haben, aber von Ihnen fordre ich die Miete. – Oder Sie bezahlen mir eine Entschädigung, wenn ich Sie frei lasse. – So – damit basta! Das ist mein letztes Wort, ob es Ihnen gefällt oder nicht, ist mir Wurst.«

Tom wandte sich ab, ohne etwas zu entgegnen, und das war sehr verständig. Ueberlegung war es jedoch keineswegs, was ihn dazu trieb; er that es instinktiv, mechanisch, ohne sich der Beweggründe bewußt zu werden. Sein Herz hämmerte in der Brust, und sein Blut kochte, das kann ich euch versichern. Er hatte das Gefühl, als ob er einen Schlag ins Gesicht empfangen hätte. Aber Watson diese Empfindungen merken zu lassen – nein, nein, sein ganzer Stolz sträubte sich dagegen. Er warf den Kopf trotzig und hochmütig in den Nacken, als er zwischen den grinsenden Kellnern und Hausburschen Spießruten lief, um den Aufzug zu erreichen. Wie dienstbeflissen waren alle diese Leute von Watson abwärts noch gestern gegen ihn gewesen!

»Nun, mein Lieber?« fragte Rose, von ihrer Näharbeit zu ihm aufblickend, als er ins Zimmer trat. »Hast du mit ihm gesprochen?«

»Ja.«

Seine Lippen zitterten, und der Ton seiner Stimme war hart und rauh. Beunruhigt sprang sie auf, eilte an seine Seite und legte ihre Hände auf seinen Arm.

»Tom, was gibt's, was ist denn vorgefallen?«

»O, nichts, du brauchst nicht zu erschrecken. Er hat sich flegelhaft gegen mich betragen und mich beleidigt, das ist alles. Aber es liegt nichts dran, ich hab's schon verwunden. Er behauptet, er könne mich zwingen, die Miete fürs ganze Jahr zu bezahlen, weil ich den Vertrag unterschrieben habe. Vollständiger Unsinn! Wenn wir das Geld nicht haben, können wir nicht bezahlen, das ist doch so klar wie der Tag. Und dann drohte er, er wolle unsre Möbel mit Beschlag belegen. Wenn er das thäte, wenn ihm das Gesetz dazu das Recht gibt – dann würden wir nicht einen Cent besitzen. Aber das war wohl nur eine leere Drohung.«

»Natürlich war's das. Wie kann er uns wohl zwingen, zu zahlen, wenn wir hier nicht wohnen? Das ist eine gemeine Drohung, weiter nichts. Nein, aber! – Wie konnte er sich nur unterstehen, ungezogen gegen dich zu sein! Er ist weiter nichts als ein gewöhnlicher – – o! nimm's dir nicht so zu Herzen, Tom, denke nicht mehr daran. Was liegt daran, was so ein – so ein Mensch sagt!«

»O Rose – liebe, liebe, süße Rose!« rief er und zog sie an sich.

Sie warf sich an seine Brust, und in seinen Armen liegend, goß sie den Balsam der Liebe in seine Wunden, der sie heilte und seine Schmerzen stillte.

»Heute abend kommt Pearse, Tom. Wir wollen ihn um Rat fragen, er ist ein Rechtskundiger und wird mit solchen Sachen Bescheid wissen,« sagte sie nach einer Weile.

Als die Zeit für das zweite Frühstück kam, verließen sie das Haus. Im Verhalten des Mannes, der den Aufzug bediente, glaubte Tom Anzeichen mangelnder Achtung zu entdecken. Aber es war nichts Greifbares, nichts, was man hätte beschreiben oder bestimmt bezeichnen können; eine Beschwerde darüber war also nicht anzubringen. Aber selbst wenn es zur Begründung einer solchen ausgesprochen genug gewesen wäre, dachte Tom bitter, welche Beachtung würde Watson unter den gegenwärtigen Verhältnissen wohl einer von ihm ausgehenden Klage geschenkt haben? Ja, im Benehmen jedes einzelnen der Angestellten des Ariosto lag unverkennbar etwas Unverschämtes, Nachlässiges, wenn sie mit ihnen in Berührung kamen, und doch war es so versteckt, so verhüllt, daß man es nicht fassen konnte. Es ärgerte Tom, und was ihn noch mehr verdroß, er konnte seinen Aerger nicht verbergen. Für die »Pfeile und Schleudern« so untergeordneter Personen, solcher Mietlinge und Dienstboten hätte er unverwundbar, er hätte darüber erhaben sein müssen. War es möglich, daß Watson sie angestiftet hatte? Jedenfalls hatte er das Beispiel gegeben, und tel maître, tel valet. Glücklicherweise schien Rose nichts zu merken. Hätte aber einer gewagt, auch nur im geringsten ungezogen gegen sie zu sein oder es an der weitgehendsten Höflichkeit fehlen zu lassen, dann würde er – o, er würde – er würde –. Seine Fäuste ballten sich drohend.

»Nun, Tom,« sagte sie, als sie die Straße erreicht hatten, »jetzt, wo wir arm sind, müssen wir sehr sparsam sein, und wir wollen gleich den Anfang damit machen. Wir sind immer in furchtbar teure Restaurants gegangen, wie du weißt. Das dürfen wir nicht mehr. Gleich hier um die Ecke, in der 7. Avenue, ist ein kleines Restaurant, das sehr nett aussieht, und das gewiß ebensogut und viel billiger ist. Dort müssen wir heute frühstücken.«

Tom brummte etwas über den Vorschlag und meinte, an ihrer Ernährung dürften sie am allerletzten sparen. »Und außerdem,« fügte er hinzu, »so furchtbar arm sind wir doch nicht. Wir haben noch hundert Dollars auf der Bank, von unsern Möbeln nicht zu reden, und dann werde ich doch bald zweitausend Dollars das Jahr verdienen, wie du weißt.«

»Das heißt die Kücken zählen, noch ehe sie ausgebrütet sind. Für jetzt, bis du anfängst, Geld zu verdienen, sind wir sehr arm, und müssen sehr verständig sein. Jedenfalls ist es doch Unsinn, viel Geld für das Frühstück auszugeben, wenn man in einem Restaurant, das nicht gerade zu den vornehmsten gehört, für viel weniger Geld etwas ebenso Gutes bekommen kann.«

Und sie lenkten ihre Schritte nach dem sehr nett aussehenden Restaurant in der 7. Avenue.

Sehr nett aussehend? Wirklich? Tom meinte, seine Frau habe die Grenzen etwas sehr weit gesteckt, als sie das sehr nett aussehend genannt hatte. Ihm kam es entschieden schäbig vor. Die Ausstattung war anspruchsvoll, aber bestand aus billigem Flitterstaat. Die Tapeten zeigten viel unechte Vergoldung, schauerliche Oeldruckbilder verunzierten die Wände, die Glocken der Glaslampen waren von farbigem Glas und die Luft war von Bratenduft erfüllt. Bettler dürfen jedoch nicht allzu anspruchsvoll sein. Der äußern Erscheinung der wenigen anwesenden Gäste nach zu urteilen, waren dies meist Commis und Ladenmädchen der kleinen Geschäftsleute jenes Stadtteils. Der Kellner, ein Neger, der herbeikam, um Toms Bestellung entgegenzunehmen, redete ihn mit »Boß« an und trug eine Schürze, die weißere Tage gesehen hatte. Billig war es allerdings; die Preise, die die schmutzige Speisekarte aufwies, waren von wahrhaft jungfräulicher Bescheidenheit.

»Beefsteak fünfundzwanzig Cents, gebratene Kartoffeln zehn Cents,« las Rose laut, wobei ihr Mann das Gesicht verzog, denn der Kellner stand in Hörweite. »Wir wollen Beefsteak und gebratene Kartoffeln bestellen.«

Während sie auf das Bestellte warteten, versuchten sie, heiter miteinander zu plaudern, aber – weshalb, wären sie wohl selbst nicht im stande gewesen zu sagen – ihre Bemühungen waren nicht sehr erfolgreich. Vielleicht lag es daran, daß sie sich nicht in ihrem Element fühlten, sie hatten sich der neuen Umgebung, in der sie sich befanden, noch nicht angepaßt, sie fühlten sich nicht am Platz, und das machte sie niedergeschlagen und bereitete ihnen ein gewisses Unbehagen, das sie beide voreinander zu verbergen suchten.

Das Beefsteak, das ihnen der Kellner bald brachte, war von anständiger Größe, und der Kartoffeln waren es vier. Sie konnten sich also jedenfalls dazu beglückwünschen, etwas gespart zu haben. Was ihnen vorgesetzt worden war, hätte in jedem der Restaurants, die sie bisher zu besuchen gewohnt waren, mindestens einen Dollar gekostet, während sie es hier für fünfunddreißig Cents erhalten hatten.

Tom schnitt das Beefsteak und legte Rose vor. Dann bediente er sich selbst, spießte ein ansehnliches Stück an die Gabel und führte es zum Munde – – –

Er machte wirklich einen ernsthaften, ehrlichen Versuch das Beefsteak zu essen. Schlecht war es nicht gerade, wenigstens nicht schlecht genug, um eine Verweigerung der Annahme zu rechtfertigen; Verdächtiges war nicht daran. Aber, wie Rose endlich aussprach, es hatte einen »komischen« Geschmack. Anfänglich redeten beide nicht darüber. Schweigend und ängstlich vermeidend, einander anzusehen, versuchten sie tapfer, ihre Schuldigkeit zu thun. Nach dem dritten Bissen aber versagte ihnen die Kraft.

Tom legte Messer und Gabel hin und sah Rose an. Diese errötete und schlug die Augen nieder.

»Wenn es – wenn es bloß zähe wäre, das wäre nicht so schlimm,« sagte sie nach einer kurzen, verlegenen Pause, »aber es – es – schmeckt so komisch.«

»Ja, sehr komisch, ganz possierlich. Ein bißchen nach Stockfisch und ein bißchen nach Citronenpastete; es ist der gelungenste Geschmack, den ich jemals auf der Zunge gehabt habe. Ein Humorist könnte ein Vermögen damit verdienen. Vielleicht ist der Koch einer – ein echter amerikanischer Humorist. Aber – aber die Kartoffeln kann man ernsthaft nehmen; dabei ist nichts Gelungenes.«

»O ja,« sagte sie ernst, »die Kartoffeln sind ganz gut, ebenso das Brot. Aber – aber die Butter –«

»Ja, ja, die Butter, je weniger man über die Butter spricht, um so besser. Das Salz kann ich dir aber wirklich empfehlen, und ich denke, mit Brot, zwei Kartoffeln und Salz ad libitum können wir Leib und Seele schon zusammenhalten. Das Salz,« – dabei nahm er eine Messerspitze voll und schnalzte mit der Zunge – »das Salz ist wirklich ganz vorzüglich.«

»O, Tom, bitte, laß das!« rief sie, und er gewahrte überrascht, daß sie mit Mühe ihre Thränen zurückhielt.

»O, Rose, mein süßer kleiner Schatz! Sei doch ruhig! Komm, wir wollen von hier fortgehen. Mach dir doch nichts daraus. Es ist ja ein famoser Spaß, wir sind einmal gründlich hereingefallen. Siehst du, nun lachst du wieder. Das ist recht! Es ist ja auch zu lächerlich!«

Das war ihr erster Versuch in der Sparsamkeit. Sein Ergebnis war, daß sie, nachdem sie ihre Rechnung bezahlt und dem Kellner ein Trinkgeld gegeben hatten, das sehr nett aussehende kleine Restaurant in der 7. Avenue verließen und nach dem Hotel St. Cloud hinübergingen, wo sie ein genießbares Frühstück erhielten, eine zweite Rechnung bezahlten und ein zweites Trinkgeld gaben.

»Heute abend kommt Mr. Pearse,« hatte Rose gesagt. »Wir wollen ihn um Rat fragen; er ist ein Rechtskundiger und weiß mit solchen Sachen Bescheid.«

Allein Pearse war nicht im stande, ihnen den Trost zu spenden, worauf sie gehofft hatten.

»Der Vertrag ist bindend,« mußte er ihnen eröffnen. »Watson kann klagbar werden und Beschlag auf deine Möbel oder jedes andre Eigentum legen, das dir gehört und ihm in die Hände gerät; allein er wird sich wohl mit einer mäßigen Entschädigung abfinden lassen. Oder du kannst veraftermieten.«

»Ich weiß nicht, wie ich jemals eine, wenn auch noch so mäßige Entschädigung zahlen könnte,« entgegnete Tom, »aber es wird wohl nicht schwer sein, die Wohnung zu veraftermieten.«

»Das kommt natürlich sehr auf die Miete an. Verzeih mir die Frage, – wie hoch ist sie?«

»Tausend Dollars.«

»Hm, – ich weiß doch nicht,« überlegte Pearse. »Leute, die tausend Dollars für drei Zimmer im sechsten Stock bezahlen, wachsen auch nicht auf jeder Hecke, und wenn du nicht zwischen heute und dem 1. November einen Mieter findest, so mußt du die Miete für den nächsten Monat bezahlen, und so weiter Monat für Monat, bis du einen Mieter gefunden hast. Verstehst du wohl? Alle Leute meiner Bekanntschaft, die es versucht haben, ein Haus oder eine Wohnung zu veraftermieten, haben Geld dabei zugesetzt. Natürlich liegt die Sache mit Watson anders, bei ihm ist's Geschäft und er versteht's. – Es gibt aber noch andre Bedenken. Angenommen, du findest wirklich einen Mieter, und wenn die Miete fällig wird, kann er nicht zahlen. Was dann? – Nein, du würdest immer im Nachteil sein. Ich bin sehr dafür, es mit dem Anerbieten einer Abfindung zu versuchen. Schaffe dir die Verantwortung vom Halse, wenn's auch was kostet. Wenn ich mit ihm redete, würde Watson wohl sehr mäßige Ansprüche machen. Es kann ja nichts schaden, wenn ich's versuche. Was meinst du, wenn ich jetzt gleich hinunterginge und mit ihm spräche? Ich will dich zu gar nichts verpflichten, nur mal sehen, wie er es aufnimmt.«

»O nein, das kann natürlich nichts schaden. Es ist furchtbar liebenswürdig von dir, daß du das thun willst, und wenn es dir wirklich nicht zu unangenehm ist und zu viele Mühe macht –«

Pearse ging hinaus.

Er war beinahe eine Stunde abwesend, und die Länge seines Ausbleibens war, wie Tom und Rose fürchteten, kein günstiges Zeichen. »Nun? Nun?« fragten beide lebhaft, als er endlich wieder eintrat.

»Alles in Ordnung,« versicherte er. »Es dauerte etwas lange, aber schließlich hab' ich ihn herumgekriegt. Anfangs nahm er den Mund sehr voll. Fünfhundert Dollars sei die geringste Summe, von der überhaupt die Rede sein könne; er wolle ewig verdammt sein, wenn er sich mit einem Pfennig weniger zufrieden gäbe. Es scheint mir, als ob ihm die Art, wie du heute morgen mit ihm gesprochen hast, gegen den Strich gegangen wäre. Als ich ihn zu ködern versuchte, war er jedenfalls in sehr gereizter Stimmung. Beim ersten Wort, das ich sagte, warf er mir einige Flüche an den Kopf, die kräftig genug waren, das Haus in seinen Grundfesten zu erschüttern. Ich ließ aber nicht locker, und nach und nach beruhigte er sich; dann ließ er mit sich handeln. Zuerst ging er auf vierhundert, dann auf drei-, auf zwei-, auf einhundert, und schließlich erklärte er sich bereit, sich mit einer einmonatlichen Miete und sofortiger Räumung zufrieden zu geben. Das heißt also, wenn du ihm dreiundachtzig Dollars dreiunddreißig Cents bezahlst und diese Woche noch ausziehst, wird er weiter keine Schwierigkeiten machen.«

»Gut,« erwiderte Tom. »Ich werde alles thun, was du mir rätst; du weißt in solchen Angelegenheiten Bescheid, ich nicht; ich verlasse mich auf dein Urteil. Aber für Leute, die in einer solchen Klemme sitzen wie wir, sind achtzig Dollars doch ein recht ansehnlicher Betrag.«

»Es ist freilich viel Geld, aber es ist viel weniger als ich fürchtete, daß er verlangen würde. Ich habe ihn aber hübsch in die Enge getrieben und ihm seine Zustimmung abgezwungen. Er prahlte mit der Beliebtheit des Ariosto und daß ihm nie eine Wohnung leer stände. Und dann war er so unvorsichtig, sich entschlüpfen zu lassen, daß er schon jemand an der Hand habe, der deine Wohnung gern sofort, schon morgen, mieten wolle, wenn sie frei würde. Damit hatte ich ihn. Ich wette zehn gegen eins, es würde dich mindestens das Doppelte kosten, wenn du die Wohnung selbst auf eigene Rechnung anderweit vermieten wolltest, wahrscheinlich das Fünffache.«

»Gut, damit ist die Sache entschieden. Nun kommt es darauf an, unsre Möbel zu verkaufen und eine Pension zu suchen. Der Verkauf muß sofort geschehen. Wir haben in der letzten Zeit ziemlich viel ausgegeben und nur etwa hundert Dollars übrig. Weißt du, wie man Möbel am vorteilhaftesten verkauft? Versteigern oder was?«

»Ja, ich glaube, versteigern würde das ratsamste sein. Ich werde mich morgen nach dem Namen eines zuverlässigen Versteigerers erkundigen.«

»Aber wirklich, Mr. Pearse, das ist –« begann Rose.

Pearse errötete, wie das seine Gewohnheit war. »O, das versteht sich ganz von selbst,« unterbrach er sie. »Das macht mir nicht die geringste Mühe. Dies unpraktische Genie, Ihr Herr Gemahl, hat keine blasse Ahnung davon, wie man eine solche Sache anfassen muß. Bei mir gehört's mit zum Geschäft. In einer halben Stunde kann ich mehr Nachrichten einziehen, als er in einer Woche. Ueberlaßt das nur mir. Ich bin ohnehin euer Rechtsanwalt, allerdings aus eigener Machtvollkommenheit, aber was hat ein Blatt Papier, eine Vollmacht, zwischen Freunden für eine Bedeutung? Morgen früh sollt ihr Nachricht haben. Und nun, mein junger Herr,« wandte er sich an Tom, »sag mir mal, was du anzufangen gedenkst?«

»Anzufangen? Was meinst du? In welcher Beziehung?«

»Nun, ich denke mir, daß du das Geschäft eines Rentiers wohl aufgeben und dein Brot verdienen mußt, wie wir alle, wie? Was hast du für Pläne?«

»Um die Wahrheit zu gestehen, bin ich bis jetzt noch nicht dazu gekommen, bestimmte Pläne zu machen. Die Geschichte mit Watson hat mich so in Anspruch genommen, daß ich noch gar nicht darüber nachgedacht habe. Irgend eine Beschäftigung wird sich schon finden. Ein gesunder, kräftiger Mann, bereit zu arbeiten, nicht auf den Kopf gefallen und mit einer ziemlich guten Bildung, ist wohl nicht in Gefahr, Hungers zu sterben, glaube ich.«

»Was hast du für Bekannte, was für Freunde hier? Hast du irgend welche einflußreiche Verbindungen? Wenn ein Mensch eine Anstellung sucht, dann ist das die Hauptsache.«

»Dergleichen habe ich allerdings nicht viel, wie ich fürchte. Ich kenne nur wenige Menschen, und diese ganz oberflächlich. Wenn man so lange abwesend gewesen ist, siehst du – mehr als zwei Jahre, und ich war erst einundzwanzig alt, als ich wegging. Und selbst damals kannte ich außer unsern Schulkameraden kaum irgend jemand. Mein Vater war nicht gesellig; er ging niemals aus und hatte kaum andre Bekannte, als die Leute, mit denen er in geschäftlicher Beziehung stand – seine Klienten und seine Kollegen. Einer seiner Partner war Mr. Soule – Jonathan D. Soule. Er ist wohl der einzige Mann von einigem Ansehen in New York, zu dem ich gehen könnte. Und auch ihn kenne ich nicht näher.«

»Und doch würde ich an deiner Stelle sofort zu ihm gehen, denn Jonathan D. Soule ist ein ganz hervorragender Rechtsanwalt – er gehört einer der größten Firmen an. Auch ein bißchen Politiker ist er, und er kann dir gewiß behilflich sein. Aber was willst du denn treiben? Welche Art von Beschäftigung? Wenn du dich nur für irgend eine Art von Beruf vorbereitet hättest.«

»Ja, wenn – aber ich habe es eben nicht gethan. Ich bin ein Thor gewesen, ich habe mich auf keinen Beruf vorbereitet, weil ich genug zum Leben zu haben glaubte und mich der Schriftstellerei widmen wollte. Darüber fällt mir etwas ein. Der alte Pinner hat selbst einmal mit mir wegen der Vorbereitung zu einem Beruf gesprochen. Ob er damals wohl schon an das gedacht hat, was jetzt eingetreten ist? O, ich weiß natürlich, daß ich keine zehn Dollars des Jahres mit Geschichtenschreiben und dergleichen verdienen kann, obgleich es mich Mühe gekostet hat, Rose das klar zu machen. Sie sagte sofort: ›Es wird dir leicht werden, unsern Lebensunterhalt zu verdienen, du wirst schreiben!‹ Und ich hatte die größte Mühe, sie zu überzeugen, daß ich nicht sofort ein schönes Einkommen als Romanschriftsteller verdienen könne. Eher wäre das wohl als Mitarbeiter an einer Zeitung möglich. Dazu schreibe ich, glaube ich, gut genug. Ja, ich will versuchen, eine Stellung bei einer Zeitung zu finden. Aber ich bin zu jeder Arbeit bereit, was es auch sei, und morgen werde ich zu Mr. Soule gehn.«

Während Tom sprach, blickte Pearse mit zusammengezogenen Brauen die Wand an, und als jener geendet hatte, öffnete er den Mund, als ob er etwas entgegnen wolle, allein er schien sich anders zu besinnen. Er schloß die Lippen wieder und seine Stirn glättete sich. »Wollen wir nicht etwas Musik machen, Mrs. Gardiner?« fragte er.

Rose erhob sich zum Singen, und Pearse begleitete sie auf dem Piano, das nur noch wenige Tage ihr gehören sollte.


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