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Schon bei den alten Heiden ging das Sprichwort um: »Was die Könige (und die Regierungen) sündigen, das müssen die Völker büßen.« Das ist gewiß ein Unrecht, und doch geht es so, seitdem es eine Geschichte der Menschheit gibt. Aber noch etwas ist's, das durch die Welt geht, solange wir sie kennen: der Krieg, der Kampf. Wo wir hinschauen in uns selbst, in der Natur und in der menschlichen Gesellschaft – überall Zwiespalt, Widerspruch, Krieg und Kampf. In jedes Menschen Herz kämpfen Gut und Bös miteinander. Läßt doch unser Dichter Goethe so schön in seiner Dichtung »Faust« den Dr. Faust zu seinem Diener sagen: »Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust, die eine will sich von der andern trennen.« Und auch in der Natur ist ein steter Kampf. Die Elemente kämpfen gegeneinander. Wie peitscht der Sturm das Meer und wie hassen sich Wasser und Feuer! Tiere und Pflanzen und Mineralien zerfallen in gute und böse, in nützliche und schädliche, in heilsame und giftige. Liebe und Haß, Tugend und Laster ziehen beständig durch die Welt. Und in den kleinsten Stoffteilchen wie in den kleinsten Lebewesen zeigt sich Kampf und Widerstreit, Liebe und Haß. Warum? Weil zwei Urkräfte, eine gute (Gott) und eine böse (Teufel) miteinander im Streit liegen und dieser Streit sich auf alles Geschaffene ausdehnt. Deshalb sehnt sich, wie der Apostel schreibt, alle Kreatur nach Erlösung.
Dies ist der Glaube nicht bloß des Christentums, sondern aller Religionen der Welt. Hören wir eine uralte Religion, die der Perser. Hier heißt es: »Der gute Gott Ormudz sprach zum bösen Wesen Ahriman: ›O Ahriman hilf der Welt, die ich erschaffen habe, ehre sie, und dein Geschaffenes soll auch unsterblich sein, nicht altern, noch Mangel leiden.‹ Wer Ahriman, von Stolz und Neid verblendet, antwortete: ›Ich entsage jeder Verbindung mit dir. Nie will ich im Einklang mit dir wirken, dein Volk nicht achten, vielmehr es plagen, solange die Jahrhunderte dauern.‹« Und der große englische Dichter Milton legt in seiner Dichtung: »Das verlorene Paradies« dem Satan die Worts in den Mund:
Unser Werk wird nie sein, Gutes tun;
Nein, Übles stets als einziges Ergötzen.
Hat nicht auch unser größter Dichter, Goethe, in seinem Trauerspiel »Faust« in so berühmter Art den Geist des Bösen, sein Wirken und Treiben, den Kampf zwischen Teufel und Menschenseele dargestellt?
Und in wie wundervollen Versen hat einer der neuesten Dichter, Friedrich Mistral († 1914), in seiner herrlichen Dichtung »Nerto« den gleichen Gegenstand, wenn auch mit anderem Ausgang, behandelt!
Heute gehört es zum guten Ton, nicht mehr an den Teufel zu glauben, und in solchen Zeiten macht er die besten Geschäfte. Sagt nicht Goethe so trefflich in seinem »Faust«:
Den Teufel spürt das Völkchen nie,
Und wenn er sie beim Kragen hätte.
Und wie schön schreibt, teilweise ähnlich wie Goethe, Mistral in seiner eben erwähnten Dichtung:
Ich weiß, vom Teufel jetzt noch hören
Kommt jedermann befremdlich vor,
Und doch, wie manchen Teufelsleugner
Hält Satan selbst ganz sacht am Ohr.
Ja, wie in manchen Zweiflers Kragen
Hat er die Krallen längst geschlagen!
Die klugen Leute merken's nicht,
Und wenn man warnend von ihm spricht,
So erntet man, statt Dank und Lohn,
Entrüstung, Mitleid oder Hohn.
In ihrem heißen Kessel, meint ihr,
Hab unsrer Tage Wissenschaft
Den Bodensatz des Mittelalters
Längst ausgesaugt mit großer Kraft;
Ihr sagt, daß sie, mit ihrer Leuchte
In alle Höhlen zündend, hell
Des Teufels Nichtigkeit beweise ...
Ich bitt euch, urteilt nicht so schnell!
Im Baum des Wissens, wohl verborgen,
Geduldig lauernd, sitzt voll List
Er, der seit unermeßnen Zeiten
Ein Ausbund von Gelehrtheit ist. –
Man wird heutzutage, wie Mistral mit Recht sagt, ausgelacht, verhöhnt und dazu noch für dumm und ungebildet gehalten, wenn man an den Teufel glaubt. Und doch lebt sein Name seit Jahrtausenden neben dem Namen Gottes in den verschiedensten Wendungen und Redeweisen im Munde aller Menschen. Und in unserer Zeit, in welcher Kultur und Bildung so gewaltigen Mißerfolg aufweisen, ist es sicher keine Schande mehr, ungebildet zu sein. Und in einem Kriege, in welchem der Teufel so ungeheure Beweise seiner übermenschlichen Bosheit gibt, kann es nicht dumm sein, an seine Existenz zu glauben.
In Wahrheit, brauchen wir in diesem Krieg noch Beweise, daß es einen Teufel gibt, dessen Macht hienieden ein ebenso großes Geheimnis als sie eine furchtbare Tatsache ist? Nennt nicht unser Dichter Klopstock den Krieg eine »Ausgeburt der Hölle«, und meinte nicht selbst der große Heerführer Moltke, Kriege kämen von höheren, außerweltlichen Gewalten?
Sind das menschliche oder teuflische Taten, wenn wir sehen und hören, wie unsere Gegner wehrlose, verwundete Soldaten martern, morden, verstümmeln, verbrennen? Sind das nicht teuflische Taten, wenn verwundete Soldaten als lebendiger Wall vor die Schützengräben gelegt werden? Ist das nicht teuflisch, wenn die Russen Scharen von Frauen und Kindern im Kampfe vor sich hertreiben, um sie den deutschen Kugeln, die ihnen gelten, auszusetzen? Ist das nicht teuflisch, wenn die Franzosen und Engländer einen Waffenstillstand zur Beerdigung der Toten und zur Bergung der Verwundeten verweigern? Ist das nicht teuflisch, wenn eine französische Bestie in Frauengestalt wehrlose deutsche Soldaten mordet und vom Präsidenten der Republik mit einem Ehrenkreuz dekoriert wird? Ist das nicht teuflisch, wenn unschuldige Landbewohner von Haus und Hof ins Elend und in den Hungertod getrieben und ihre Habe und ihre Wohnungen verbrannt werden? Ist es nicht teuflisch, wenn schiffbrüchige Matrosen, die sich auf ein Schiff gerettet haben, kaltblütig ermordet werden und ihr Kapitän, der sich ergeben will, im Meere erschossen wird? Ist es nicht teuflisch, was die Franzosen zuerst getan, auf offene Orte Bomben zu werfen, Wohnungen friedlicher Menschen zu zerstören und Frauen und Kinder auf der Straße in Stücke zu reißen? Ist das nicht teuflisch, wenn höllische Verbindungen, Ringe geschlossen werden, um Lebensbedürfnisse aller Art zu Gunsten des Großkapitals in die Höhe zu schrauben?
Und nennt nicht seit langer Zeit die Sprache aller Völker die Vorrichtungen zum böswilligen Sprengen von Brücken, Häusern, Schiffen und zu Mordanschlägen in richtigem Gefühl Höllenmaschinen?
Fürwahr, man glaubt, alle bösen Geister der Hölle seien in die Menschen gefahren, so viele teuflische Werke geschehen in unsern Tagen. Und diejenigen, welche an den Teufel der Religion nicht glauben, müssen doch angesichts der Greuel dieses Kriegs dem großen Weltweisen Schopenhauer recht geben, wenn er sagt: »Die Welt ist die Hölle und die Menschen sind einerseits die gequälten Seelen, anderseits die Teufel darin.« Und an einer andern Stelle: »Man betrachte nur, was gelegentlich Menschen über Menschen verhängen, mit welchen Martern sie sich zu Tode quälen und frage sich, ob Teufel mehr leisten können.«
Und die Werkzeuge der Hölle in London, Paris, Petersburg und Rom, die zum Kriege gehetzt haben, werden verschont von den Übeln und Leiden des schrecklichen Völkermordens, das sie angerichtet haben! Das ist auch teuflisch.
Doch gerade denen, die hienieden am meisten zu leiden und zu opfern haben, dem unschuldigen, armen, mühseligen Volle, hat der gute Gott durch seinen Sohn die frohe Botschaft von einem andern bessern Leben gesandt und er, der Gottmensch, hat die Leiden dieses Lebens und die Bitterkeit des Sterbens am tiefsten getragen und so die Leiden seines Volkes vergöttlicht und durch die Verheißung: »Wer mit mir leidet, wird mit mir verherrlicht werden« – versüßt.
Ich bekam dieser Tage von einer Leserin ein rührendes Bild von einem Maler Heumann zugesandt. Ein gemeiner Soldat in voller Feldausrüstung steht vor einem Kruzifix mit gefalteten Händen und entblößtem Haupte, während der göttliche Dulder mit der Dornenkrone sein Haupt zu dem Soldaten neigt und seine Stirne küßt. Das ist das Bild des gemeinen Volkes, dem der göttliche Mann der Schmerzen seinen Trost gibt im Kampf und im Elend dieses Lebens.
Ich begründe meine eben kurz besprochene Auffassung von übermenschlichen Einflüssen auf den Krieg und seine unschuldigen Opfer, eine Auffassung, die ich schon in meinem Buche »Sommerfahrten« auf dem Schlachtfeld von Wörth vertreten habe, mit den Worten des jüngst verstorbenen geistreichsten Verteidigers des Christentums in der Neuzeit, Friedrich Bettex:
»Inmitten dieser millionenfachen, stets wirbelnden Weltgeschichte, die sich in scheinbar planlosem Gewirr von tausenden von widerstreitenden Faktoren bewegt und durch diplomatische Verwicklungen, Welthändel, Kolonial- und innere Politik, Erfindungen und Neuerungen durch Kriege und Umwälzungen hindurch einem unbekannten Ziele zueilt; über diesem Kampf ums Dasein und hinter den Kulissen dieses Chaos und Gewühls auf dem Markt des Lebens waltet eine unheimliche und eine heilige Geisterwelt; Boten und Diener und Gewalten des Lichts und der Finsternis beeinflussen und lenken die Taten und Gedanken der Menschen, ziehen und weben an den unsichtbaren Fäden, die uns unbemerkt und stark wie diamantene Ketten dorthin und dahin leiten.«
Heute ziehen die Geister der Finsternis über die Welt, die Geister des Aufruhrs und der Empörung in der Natur und im Menschenleben. Stürme brausen über die Erde hin, Wasser rauschen, Meere toben, Blitze zucken und Donner rollen in der Winterszeit, Überschwemmungen verheeren das Land und Feuerbrände lodern zum Himmel. Das Innere der Erde zuckt und zittert von unterirdischen Kräften.
Geben diese Naturerscheinungen, die allermeist unbeeinflußt von Menschenkraft austreten, nicht zu denken in ihrer Übereinstimmung mit den Erscheinungen im Menschenleben?
Das Land erbebt und widerhallt vom Donner der Geschütze auf den Schlachtfeldern, wo Hunderttausende und Millionen von Menschen kämpfen, bluten und sterben. Weinen und Wehklagen um die Toten geht durch die Lande von den Städten bis zur kleinsten Hütte in der einsamsten Bergschlucht. Aus der Luft fallen todbringende Geschosse, und im Meere sinkt Schiff um Schiff mit Mannschaft und Werten. Haß und Neid, Lüge und Verleumdung, Betrug und Wucher, Leid und Schmerz, Grausamkeit und Bestialität, Gram und Sorge, Hunger, Not und Tod sind überall an der Arbeit. Kultur (Bildung) und Humanität (Menschlichkeit) zeigen ihre Ohnmacht, und die Religion verhüllt ihr Antlitz ob der Greuel und Frevel, die durch die Menschheit gehen. Der Geist des Bösen triumphiert, und Satan und seine Knechte freuen sich, daß eine so böse Saat aufgegangen ist und die Menschheit quält und heimsucht wie noch nie. Engel weinen, Teufel lachen.
Unter diesen furchtbaren Erscheinungen schlägt die Weltuhr eine neue Stunde – vielleicht die letzte für die Welt in der jetzigen Gestalt. Die Zeit naht vielleicht, von welcher der Seher in der Geheimen Offenbarung schreibt: »Und ich sah einen Engel durch den Himmel fliegen, er hatte das ewige Evangelium, um es zu verkünden allen denen, die auf der Erde wallen, jeder Nation und Sprache, jedem Stamm und Volk. Mit lauter Stimme rief er: ›Fürchtet Gott und gebet ihm die Ehre, denn die Stunde seines Gerichtes ist gekommen, und betet den an, der den Himmel gemacht hat und die Erde und das Meer und die Wasserquellen‹«.
»So spricht der Herr der Heerscharen: Noch eine kleine Weile und ich werde erschüttern Himmel und Erde, das Meer und das trockene Land.« –
Wenn je eine Prophezeiung in Erfüllung ging, so ist es die schon vor drei Jahrhunderten gegebene, daß unter dem heutigen Papst, nach dieser Weissagung einem der letzten der Weltgeschichte, »die Religion werde entvölkert werden«. Millionen von Toten aller Religionen hat dieser Krieg gebracht.
Fürwahr, es ist so viel Haß und Feindschaft, so viel Lug und Trug, so viel Krieg und Streit, so viel Grausamkeit und Teufelei zwischen den Völkern, so viel Sturm und Toben in der Natur, daß man an das Kommen des Weltendes, an welches alle Religionen glauben und selbst die Wissenschaft, die sonst nichts glaubt, denken könnte. Mit welchem Hohn weisen eben wieder die heuchlerisch frommen Engländer und die freigeistigen Franzosen den Waffenstillstand am Weihnachtsfest ab, am Feste dessen, der den Menschen Liebe und Frieden verkündet! –
Meine Zuhörer auf dem Meeresgrunde schwiegen, da ich dies gesagt, stille in Andacht. Sie hatten das erstemal in der Nordsee von dem gehört, der das Meer gemacht und die Wasserquellen und alles erschüttert, Meer und Land, und von seinem Gegner, der so viel Freude hat, wenn Gottes Geschöpfe, vorab die unschuldigen Menschenkinder, leiden.
Endlich nahm der menschenfressende Blauhai das Wort: »Ich bin bisher kein Freund gewesen von den Menschen, die mich von allen Fischen am meisten hassen und verfolgen, weil ich auch Menschenfleisch verzehre. Ich will aber, sage es denen, die über den Wassern wohnen und fahren, angesichts der Leiden, von denen sie heimgesucht sind, Frieden mit euch machen und keinem Menschen mehr etwas zuleide tun, am wenigsten den unschuldigen Opfern des Kriegs, die im Meer ihr Grab gefunden. Denn der Herr der Welt erschüttert heute schon Land und Meer, die beide Zeugen des grausamen Krieges sind. Wenn also das Herz eines Haifisches das Bedürfnis nach Frieden empfindet, um wie viel mehr sollten es Menschenherzen fühlen. Wie steht es mit diesem Frieden über unsern Wassern? Und wer wird siegen in diesem schrecklichen Krieg? Sag uns das noch, dann kannst du wieder heim in die Oberwelt und unsern Dank für die Aufklärung, die du uns gebracht, mitnehmen.«