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Die lieben Engländer haben uns nicht bloß ihre guten Freunde, die Russen und die Franzosen und Völker aus allen Weltteilen auf den Hals geschickt, sie wollen auch Deutschland mit allem, was drin als Mensch lebt, aushungern, eine Todesart, welche, so schrecklich sie auch ist, in Europa nur bei den Engländern vorkommt, in deren Hauptstadt alljährlich Hunderte den Hungertod erleiden neben den Geldsäcken der Reichen.
Um auch Deutschland diese englische Todesart zu bereiten, schnitten sie uns alle Zufuhr von Lebensmitteln und aller jener Waren ab, die wir für Industrie und Handel brauchen. Zu Wasser besorgen die schöne Sache ihre Kriegsschiffe, die vor den amerikanischen Häfen liegen und jedes Schiff wegnehmen, das Ladung nach Deutschland hat. Zu Land verhinderte bis vor kurzem die Zufuhr aus den Donauländern das englische Geld. Eine Hauptwaffe Englands in Kriegszeiten war von jeher die Bestechung.
Noch im Krimkrieg, so erzählt der preußische General Prinz Kraft zu Hohenlohe in seinen vor einigen Jahren erschienenen, sehr interessanten Erinnerungen, bestach der englische Botschaftssekretär Loftus in Berlin Abgeordnete und andere höhere Leute, um Preußen auf Englands Seite gegen die Russen mobil zu machen. Der König Friedrich Wilhelm IV. kam aber rechtzeitig dahinter, sonst wäre der Vermittler der englischen Bestechungen, ein Graf P., Minister geworden.
Vor 100 Jahren reiste der Rubel in Deutschland, um Spione zu besolden, die jeden freiheitlichen Gedanken denunzierten. Damals schrieb der Dichter Platen sein famoses Gedicht: »Der Rubel auf Reisen.« Heute macht seine Reise diesseits und jenseits des Meeres der englische Sterling in Form von Pfundnoten. Und man kann mit Platen – statt Rubel Sterling gesetzt – vielerorts in Afrika, Amerika und Europa sagen:
Der Sterling klirrt, der Sterling fällt,
Was ist der Mensch? Ein Schuft!
Und wenn die Welt dir nicht gefällt,
So steig in deine Gruft.
Wie viele Pfund mag es gekostet haben, bis Italien die Schmach der Treulosigkeit auf sich lud und bezahlte Hetzer unten, in der Mitte und oben in der Gesellschaft das arme Volk und seine Söhne auf die Schlachtbank führten zu Ehren Englands und Frankreichs?
Der Teufel siegt, der Gott verliert,
Der blanke Sterling reist:
So ward von je die Welt regiert,
So lang die Sonne kreist.
Also wir Deutsche sollten ausgehungert werden durch Abschneiden jeglicher Zufuhr. Kein Wunder, wenn Deutschland nach den Worten des Dichters Geibel:
Und wenn die Not nicht Eisen bricht,
Das Eisen bricht die Not –
seine eisernen Torpedoboote mit den stählernen Sprenggeschossen in die See schickt, so weit es geht, und alle Schiffe, die nach England fahren, um den Engländern Munition oder Lebensmittel und sonstige Bannwaren zu bringen, mit wohlgezielten Schüssen in die Tiefe versenkt.
Milliarden an Werten und Tausende von Menschenleben (auf Kriegs- und Truppentransportschiffen) sinken so in die Tiefe, und es möchte einem das Herz bluten ob der Verwüstungen, die allein nur auf dem Meere vorkommen.
So kommt ihr Fische zu euerm Gefrierfleisch, zu Schinken und Konserven (Eingemachtes) aller Art aus den geborstenen Schiffen, die den deutschen Unterseebooten zum Opfer fallen.
So bedauerlich diese Vorgänge sind, wir Deutsche haben sie nicht auf dem Gewissen, sie geschehen aus Notwehr. Es sind Gegenmaßregeln gegen die Macht, die uns zu Tod hungern will. –
Aber gleichwohl gibt es in Deutschland Leute, die viel auf dem Gewissen haben. Der Mangel an Zufuhr und der große Bedarf für unsere Soldaten im Felde, die man selbstverständlich möglichst gut nähren muß, haben manches verteuert bei uns. Dazu ist noch ein böser Geist in viele Menschen gefahren, der Geist des Profitmachens und des Wuchers. Erst warf er sich auf die Hauptlebensmittel, auf Mehl und Brot. Beide waren im Verhältnis zu den Fruchtpreisen viel zu teuer und zu schlecht. Vor dem Kriege rechnete man auf einen Doppelzentner Getreide 8-10 Mark, um ebensoviel Mehl zu bekommen. Dabei waren Mahllohn, Profit des Mehlhändlers und freier Transport ins Haus des Bäckers inbegriffen. Im Mai 1915 kostete das Mehl 19 bezw. 18 Mark mehr. Heute noch 13½ und 15. Und was hab' ich für Mehl und Brot gesehen im Sommer 1915!
Vergeblich wandte ich mich für die geplagten Bäcker, aus deren Zunft ich stamme und denen man zumutete, aus schlechtem Mehl gutes Brot zu machen, da und dorthin. Nirgends konnte man mir sagen, wo das Geld für das teure und schlechte Mehl hinkäme. Endlich las ich in den Zeitungen, daß in einer großen Stadt am Rhein die Müller monatlich 7-8 Millionen »herausmüllerten« und die Frankfurter Zeitung sprach von »Riesengewinnen« der Großmühlen. Warum diesen Müllern niemand das Handwerk legte, weiß ich nicht. Besser wurde es erst, als im Reichstag schwer geklagt worden war. Doch höre ich, daß zur Stunde noch, trotzdem die Weizenländer an der Donau offen sind, den Bäckern beschlagnahmefreies Auszugsmehl zu 175 Mark pro Doppelzentner offeriert wird. Das ist ein haarsträubender Preis! Es wird nach meiner festen Überzeugung von »unsern« und andern Leuten noch viel Geld auf dem Mehl-, Getreide- und Ölsamenmarkt aus dem Volke herausgewimmelt, das nicht in den Reichsinvalidenfonds fließt. Ich habe es schwarz auf weiß gesehen. Und wenn ich so viel Schreibfreiheit hätte, wie die Reichstagsabgeordneten, die sich in ihren Bezirken so selten oder gar nicht sehen lassen in dieser schweren Zeit, Redefreiheit, würde ich viel mehr sagen und fragen. Ich würde namentlich auch fragen, warum man Gesellschaften mit beschränkter Haftbarkeit, die doch gegründet werden, nicht um zu verlieren, sondern um zu gewinnen, so große Macht über Mehl, Getreide, Ölsamen usw. eingeräumt hat.
Indes hat aber der Wuchergeist fast auf alle Verkäufer sich erstreckt vom Millionengewinner bis zum Marktweib und auf alle Gegenstände des täglichen Lebens übergegriffen; selbst Tinte und Papier wurden teurer. So zahlte ich im August für 15 Mark Papier 3 Mark 60 Pfennig Kriegsteuerungszuschlag! Abgeschlagen haben eigentlich nur die Banken mit dem Zinsfuß, den sie ihren Einlegern zahlen. Warum, weiß ich nicht. Auf dem Geldmarkt gibts am meisten Geheimnisse in solcher Zeit.
Während unsere Soldaten den äußeren Feind bekämpfen, ist ein innerer über uns hergefallen.
Der Bundesrat sah sich veranlaßt, für viele Lebensmittel Höchstpreise anzusetzen, was die Schattenseite hat, daß niemand unter dem Höchstpreis verkaufen will. Vor sechzig und mehr Jahren, in meiner Knabenzeit, wurde amtlich jeden Monat durch die Schelle in den Straßen bekannt gemacht: Das Brot und das Fleisch kosten diesen Monat so und so viel per Pfund und damit basta; wer's nicht so hergibt, dem wird die Bude geschlossen.
Daß die Reichsregierung die Kriegsgewinne hoch besteuern will, ist nur zu loben, aber sie nimmt viel zu wenig, wenn sie mit 50 Prozent zufrieden ist. Auch der Antrag der Reichsboten, unlautere Gewinne zu konfiszieren, geht mir nicht weit genug. Wer durch wucherische Preise und unlautere Manöver reich geworden ist, dem gehören die Hunderttausende und Millionen nicht bloß genommen, sondern die betreffenden Ehrenmänner sollten auch noch in Ketten gelegt werden.
Man könnte auf diese Art mindestens ein Drittel der 40 Milliarden, die das deutsche Volk bis heute für den Krieg aufgebracht hat, wieder holen.
Merkwürdig ist, daß schon Marktweiber, die statt 18 Pfennig für ein Ei 19 Pfennig verlangt, gestraft wurden; aber noch nie ein großer Vogel gefangen worden ist. Aber ein altes Huhn ist auch leichter zu fangen als ein Tiger, dem man oft beim besten Willen nicht auf die Spur kommt.
Und dazu gehört dieser Tiger einer Gesellschaft an, die eine internationale Macht ist und in allen Ländern großes Ansehen genießt. Ihrer Macht ist keine Regierung gewachsen und wenn sie noch so ehrlich den Kampf mit ihr aufnehmen wollte. Diese Macht hat Riesenarme, mit denen sie hoch hinaus und tief hinunter, weithin rechts und links und über Meere und Länder langen kann. Sie heißt Großkapitalismus.
Neulich tröstete uns im Reichstag ein Regierungsvertreter damit, daß in andern Ländern auch Teuerung herrsche, wie bei uns, teilweise in noch höherem Maße. Das ist selbstverständlich, weil das Großkapital in Zeilen wie die heutigen überall an der Arbeit ist und seine Hochsaison, seine »Kirchweih« hat, wie der Schwarzwälder Bauer sagt.
Und nicht der Bauer und nicht der Kleinkaufmann und Kleinhändler ist im letzten Grunde schuld an dem. Wuchergeist, der durchs Reich und durch Europa, ja durch die ganze Welt geht, sondern der Großhandel, das Großkapital. Und der Kleinhändler, der auf dem Lande, wie es im Kinzigtal geschah, den Bürinnen, die 12 und 13 Pfennig für ein Ei forderten, 15 Pfennig gab, ist nur ein Agent des Großhandels gewesen, der dann für seine »Kisteneier« 13 Pfennig verlangt. Und der Händler, welcher kürzlich auf dem Markt in Haslach den Bauern für Nüsse pro 50 Kilogramm 45 Mark bezahlte (statt 18-20 Mark früher) und erklärte, er kaufe im Auftrag der Heeresverwaltung, war von dieser sicher nicht geschickt. Sie wird weder den Soldaten noch den Offizieren Nüsse zum Dessert auftischen. Aber das Nußöl soll in die Höhe, was auch eingetroffen ist. Diese Agenten, welche den Bauern mehr geben, als sie je zu bekommen ahnten, haben den Wuchergeist auch in die Landbevölkerung getragen. Wenn nicht der Arbeiter- und Handwerkerstand, die mittlere und untere Beamtenwelt und die pensionierten badischen katholischen Pfarrer darunter litten, könnte man den Bauern diese goldne Zeit gönnen. Wenn sie Geld haben, kommts vielen zugute.
Hat der Bauer Geld,
So hat's die ganze Welt –
sagt ein altes Sprichwort. Doch der Hauptwucherer und Geschäftemacher – vom Geldmarkt bis zum Kartoffelmarkt – ist und bleibt der Großkapitalismus. Ein gewiß unverdächtiger Zeuge, der hervorragende israelitische Schriftsteller Max Nordau, schrieb schon vor Jahren: »Wir können keinen Bissen Brot essen, unser Haupt unter keinem Obdach ausruhen lassen, keinen Sparpfennig in einem Wertpapier anlegen, ohne dem Getreide-, Grund-, Häuser- und Börsenspekulanten seine Brandschatzung zu zahlen.« Und weiter: »Wirtschaftliche Krisen (und solche sind Kriegszeiten im größten Maße) sind die großen Erntefeste der Spekulation, die Gelegenheit zur Massenabschlachtung der ganzen erwerbenden und sparenden Menge eines Volkes oder Weltteils.«
Und wenn wir auf den letzten Grund dieses schrecklichen Krieges gehen, so ist der Großkapitalismus in England der eigentliche Vater des jetzigen Weltkriegs, den seine Mitraubritter vorab in Amerika und in allen kriegführenden Ländern ausnützen, ohne daß sie, wie die Raubritter des Mittelalters, gehängt werden, selbst nicht, wie Nordau sagt, wenn sie an ihrer Beutelschneiderei ertappt werden.
Die Regierungen tun, was sie können, um dem Wucher und der Profitmacherei zu steuern, aber das Übel ganz auszurotten, ist unmöglich. Die Herkulesarbeit ist zu groß. Eine Radikalkur ist nicht leicht. Auch nicht durch eine Revolution, die noch schlimmere Zustände schaffen würde. Die Pariser Schreckensherrschaft (Kommune) anno 1871 hat es gezeigt. Der Großkapitalismus wußte auch sie zu bändigen. Die römischen Kaiser Tiberius u. a. verfuhren etwas praktischer. Wer von den vielen Millionären in Rom, die ihr Geld aus dem Volk in den Provinzen als Beamte oder Steuerpächter erpreßt, beim Tode nicht den größten Teil dem Kaiser hinterließ, dessen Vermögen wurde ganz eingezogen. Andern wurde im Bedarfsfall Leben und Vermögen konfisziert. Übrigens waren die Geldmenschen jener Zeit die reinsten Bettelbuben gegen die heutigen Milliardäre. –
Während ich so gesprochen, merkte ich, daß der Riesenhai unruhig wurde und mit den Flossen arbeitete. Als ich eine Pause gemacht, nahm er das Wort: »Ich habe geglaubt, du würdest mich trotz meines kalten Blutes in Aufregung bringen. Als du nämlich von den Wucherern und Spekulanten sprachst, glaubte ich, weil du Menschen gerne mit Fischen vergleichst, du würdest uns Haie mit jenen Beutelschneidern vergleichen. Das wäre dir hier mitten unter uns schlecht bekommen. Wir haben, es ist wahr, einen guten Appetit und essen nach Lust. Aber ganze Fischvölker schlachten wir nicht ab, wie jene goldhungrigen Menschen.«
»Im Meere gibt es überhaupt keine Hungrigen und auch keine Wucherer. Da ist Nahrung in Hülle und Fülle für jedes lebende Wesen. Drum ist das Meer das schönste Vaterland, wir haben Freiheit und Brot im Überfluß. Aber euern tapfern Unterseeboots-Leuten, die Vergeltungsrecht üben und dabei uns Extragenüsse verschaffen, die wir sonst mühsam holen müssen, indem wir den Schiffen tagelang nachschwimmen, bringe ich ein dreifaches Hurra.« Alle stimmten ein.
Nun ergriff ein alter Lachs das Wort: »Sag mir einmal, warum der Krieg, den du uns da beschrieben, so lange dauert? Schon im zweiten Jahre, wenn ich zur Laichzeit den Rhein hinaufschwimme im Spätherbst, sehe ich nichts als Soldaten, höre am Oberrhein schießen, daß das Wasser zittert, und erblicke an den Ufern hin viele Frauen in Trauerkleidern. Da muß viel Tod und Leid in allen Landen sein, wenn ein so großer Krieg so lange anhält.«