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17.

Noch Tage lang sprachen die Leute in Hasela von den Geißlern, von ihren grausigen Bußübungen und ihren ergreifenden Liedern. Auch in der Burg ward viel von ihnen geredet, und Herzeleide hatte alles, was sie erlebt in der Gruftkapelle, ihren Brüdern Hug und Heinrich anvertraut und deren Frauen Adelheid von Krenkingen und Irmengard von Werdenberg, und alle waren tief ergriffen.

Graf Hug meinte: »Der Rumo war allezeit ein edler und vornehmer Mensch; er ist's geblieben auch in seinem Geißlerwahn. Uns allen aber, die wir Fürstenberger heißen, hat er als Büßer noch einen wichtigen Dienst geleistet, und wir werden, so hoffe ich, bald eine Hochzeit feiern auf den herrlichen Burgen im Wasgau.« –

Es waren kaum zwei Wochen ins Land gegangen seit dem Abzug der fahrenden Büßer, als der Bruder Vitus vom Klösterlein auf dem Kniebutz in Hasela eintraf, um für seine Brüder und sich Almosen zu sammeln.

Die Franziskaner vom Kniebutz kamen zu diesem Zweck stets herab bis Hasela, weil die Fürstenberger, so hier residierten, ihres Ahnen Stiftung nicht hungern ließen und den frommen Mönchen jeweils reichliche Spenden gaben an Wein und Früchten.

Bruder Vitus war besonders wohl gelitten in den gräflichen Burgen zu Wolfa und Hasela, denn er hieß im Leben Konrad von Hohenrod und war einst Ritter gewesen und ein Dienstmann des Bischofs von Straßburg.

Er hatte noch den Grafen Egino gekannt und mit dem Grafen Götz manchen Kriegszug getan, manch' Lied gesungen und manchen Humpen geleert, ehe er bei den Franziskanern auf dem Kniebutz anklopfte, um ein minderer Bruder zu werden und der Welt für immer zu entsagen.

Auch diesmal ward Bruder Veit herzlich empfangen auf der Burg zu Hasela, und wie immer, wenn er mit dem Bettelsack kam, blieb er da übernacht und saß am Abend im Kreise der beiden Burgherren, der Hausfrauen und Herzeleidens, trinkend und erzählend.

Herzeleide war spät erst in den Rittersaal gekommen, wo ihre Brüder und Schwägerinnen um den heitern, alten Bruder saßen, der gerne erzählte von vergangenen Zeiten und Menschen und stets neues wußte für seine jungen Zuhörer.

Da Herzeleide eintrat und er sie demütig, wie es einem Ordensbruder geziemt, begrüßt hatte, hub er an:

»Gnädiges Fräulein, ich wollte morgen noch besonders an Euere Kemenate klopfen, nicht bloß um ein Almosen für unser armes Klösterlein zu erbitten, sondern auch noch um mich eines Auftrags zu entledigen, den mir jemand auf die Seele gebunden hat.«

»Besorgt ihr mindere Brüder auch Botschaften an ledige Frauen im stillen Kämmerlein? Ihr seid doch nicht gar ein Liebesbote geworden, alter Ritter?« sprach lachend Graf Hug.

»Wer weiß!« meinte der Bruder drauf. »Ein alter Rittersmann wird selten ein so frommer Bruder, daß er nicht auch noch zu derlei Dingen zu gebrauchen wäre. Unsereiner hat zu lang in der Welt gelebt, um sie in der Kutte gänzlich abstreifen zu können. Doch, hoffe ich, daß ihr nichts Böses dahinter findet, Herr Graf, wenn ich Fräulein Herzeleide unter vier Augen eine Botschaft eröffne.«

»Da sag' auch ich: Wer weiß!« nahm Graf Heinrich im Spaß das Wort. »Unsere Schwester hat an uns beide 450 Mark Silber zugut als Erbteil. Vielleicht habt lhr's auf die abgesehen.«

»Ihr Herren kennt die Söhne des hl. Franziskus schlecht«, erwiderte heiter der Bruder, »sonst müßtet ihr wissen, daß wir weder Geld noch Gut haben dürfen und haben wollen.«

»Aber es war unklug von mir, vor euch Herren zu sagen, daß ich an Fräulein Herzeleide einen Auftrag habe. Man ist eben nie gescheit genug, wenn man noch so alt wird.«

»Jetzt wird Euer Auftrag doch etwas verdächtig«, meinte Frau Irmengard, »und Ihr macht uns Frauen auch neugierig.«

»Drum sagt ihn mir her«, fiel nun Herzeleide ein, »ich habe keine Geheimnisse, weder vor meinen Brüdern, noch vor meinen Schwägerinnen.«

»Aber es gibt auch Geheimnisse des Herzens, gnädiges Fräulein«, antwortete lächelnd der alte Bruder, »und ein solches in irgend einer Art besitzt jede weibliche Seele.«

»Nur ich nicht«, entgegnete Herzeleide. »Also heraus mit der Sprache, Herr von Hohenrod! Mir ist jede Botschaft recht, eine gute freut mich nicht und eine schlimme macht mich nicht unglücklicher, als ich bin.«

»Ich begreife nicht, edles Fräulein«, fuhr der Bruder fort, »wie man in Eurem Alter so reden kann. Als ich noch so jung war wie Ihr, da lebte ich wie der Vogel im Hanfsamen und träumte nur vom Glück.«

»Und dies Glück hat euch schließlich ins Kloster getrieben«, meinte drauf lächelnd Herzeleide. »Ihr schlagt Euch selber mit solcher Rede.«

»Doch, kurz und gut, meldet mir diesen Abend noch hier zur Stunde, was ihr zu melden habt, oder ich bin morgen gar nicht für euch zu sprechen, auch nicht für ein Almosen. Ich habe ein Stück feines Linnen gesponnen, das gibt euch Brüdern Altartücher und Alben. Das bekommt ihr, aber heute will ich noch Eure Botschaft hören. Wenn Ihr, ein frommer Mönch, sie übernehmen durftet, kann ich sie auch anhören und meine Verwandten mit mir. Und dann wiederhole ich, es gibt für mich keine Geheimnisse, die ich hier in dieser Burg nicht schon selbst verraten hätte.«

»So sei es denn!« nahm Bruder Veit das Wort. »Ihr sprecht so voll von innerer Ruhe und Zuversicht, edles Fräulein, daß ich glauben muß, es sei Euch ebenso lieb, wenn ich hier die Botschaft Euch verkünde, wie auf Eurer Kemenate. So höret und vernehmet alle, was in diesen Tagen sich zugetragen in einer Zelle unseres Waldhospizes.

Eines Morgens, es mögen vierzehn Tage sein, hörten wir durch den Wald her lautes Singen. Ernst und feierlich, wie ein starker Nachtwind, zog dies Singen durch die Tannen an unser Ohr, die wir in unserm Kirchlein eben bei der Mette waren.

Der Bruder, so an der Pforte ist, eilt hinaus in den noch dunklen Morgen, kommt aber bald erschreckt zu uns herein und ruft: ›Eine große Schar schwarzer Gestalten schreitet singend den Wald herunter!‹

Es waren die Geißlerbrüder. Schon öfters hatten Wanderer, die über den Gebirgspaß kamen, uns von diesen Büßern erzählt, gesehen aber hatten wir noch keine. Jetzt führte der Weg von Straßburg nach Ulm eine Schar auch zu uns. Wir nahmen sie auf mit der Ehrfurcht, die wahren Büßern geziemt, und was wir an Speise und Trank in unserm armen Hospiz besaßen, gaben wir ihnen, um sie zu erquicken nach dem langen Marsch an unserm Kniebutz hinauf.

Sie brachten auch einen Kranken mit sich. Auf Tannenäste hatten sie ihn gelegt und bis zu uns getragen. Er war, so sagten sie, beim Aufstieg niedergesunken. Sie jammerten sehr um ihn; er sei ihr herrlicher Vorsänger und der ernsteste Büßer der ganzen Schar.

Sie baten uns, ihn zu behalten, zu pflegen und zu begraben; denn, wie er oft schon gesagt, seine Tage seien gezählt.

Der Kranke lag in tiefer Ohnmacht, da die Bahre bei unserm Hospiz ankam, und wie ein verklärter Heiliger, so sah er aus, aber bleich und leblos.

Nachdem wir ihm ein Lager zurecht gemacht in einer Zelle, traten einzeln alle Geißler zu ihm, küßten des sterbenden Vorsängers Hand und vergossen Tränen des Abschieds von dem geliebten Manne.

Wir pflegten ihn, so gut wir konnten, und wuschen von Zeit zu Zeit sein Gesicht mit Wein. Die Geißler hatten vor ihrer baldigen Weiterfahrt uns gesagt, ihr Vorsänger sei ein ritterlicher Mann. Drum hatte unser Guardian mir befohlen, nicht von seinem Krankenlager zu weichen. Gegen Abend erwachte er aus seiner Ohnmacht.

Da sein Bewußtsein zurückgekehrt war und ich ihn mit Wein erquickt hatte, fragte er zuerst, wo er sei. Und als ich ihm gesagt, er befinde sich im Klösterlein auf dem Kniebutz, da ging ein Strahl der Zufriedenheit über sein Gesicht, und er sprach: ›Gottlob, daß ich hier sterben kann. Fern der Welt und doch nicht allzufern der Heimat an einsamer, geheiligter Stätte zu ruhen, war stets mein Wunsch.‹

›Habt Ihr niemanden mehr in der Welt, der Euch nahe steht, daß Ihr gleich redet vom Sterben und vom Begrabensein?‹ fragte ich den fremden Mann, aus dessen Zügen Geist und Kummer sprachen.

›Ich habe niemanden mehr, der sich um mich kümmert. Meine Eltern sind tot. Doch halt! Ich darf nicht lügen, beim Sterben muß man wahr sein.

Es lebt eine Seele, die mir noch gut ist. Aber in den Tagen, da mich das Leben noch freute, stand sie zu hoch für einen armen Knecht. Doch ich war glücklich, wenn ich sie nur sehen durfte. Und heute, heute bin ich ein Büßer und ein sterbender Mann. Nur der Tod kann mich noch freuen.‹

›Ihr sprecht von Armut und von Knechtsstand‹, nahm ich das Wort wieder, ›und doch sagten Euere Geißlerbrüder, daß Ihr von ritterlichem Stande wäret. Auch ich war einst ein Ritter und bin nun seit Jahren Bruder, um Gott zu dienen.‹

›Ritter war ich‹, fuhr der Kranke fort, ›aber auch Knecht. Hab' mich vom einfachen Reisigen zum Edelknecht und zum Ritter heraufgemacht, wie mancher in unserer Zeit, aber von Haus aus war ich arm und eines Handwerkers Sohn.‹

›Ich habe schon als Edelknecht und später als Ritter in euerem Klösterlein übernachtet. Lebt der Pater Hilarius, der Guardian, noch?‹

›Er lebt noch, ist aber längst versetzt und Guardian in der Reichsstadt Ulm.‹

›Hat der Heimweg von einem Kriegszug oder eine Botschaft Euch damals über den Kniebutz geführt oder seid Ihr in unserer Nähe daheim?‹ fragte ich neugierig weiter.

›Ich war Dienstmann des Grafen von Hohenberg und ritt zu einem Zweikampf für die Ehre einer Dame, als ich das letztemal hier war.

Doch ich kann nicht weiter reden, Bruder. Der Atem geht mir aus. Eine Ohnmacht ist wieder im Anzug. Holt mir einen Priester, damit ich beichte und des Herrn Leib empfange.‹

Ich eilte fort, seinen Wunsch zu erfüllen.

Kaum hatte er die Sterbesakramente empfangen, als er abermals in Bewußtlosigkeit zurücksank. Er phantasierte und träumte und redete irr und wirr durcheinander von Mord und Tod und Buße, wobei er immer wieder den Namen Herzeleide hören ließ.

Mitten in der Nacht – ich saß an seinem Bette; draußen stürmte es über die Höhen des Kniebutz hin, die Tannen ächzten, und der Uhu krächzte mit seiner Totenstimme – erwachte der Kranke wieder. Er gab mir die Hand, dankte für mein treues Aushalten an seinem Lager und meinte, er werde bald sterben und mir nimmer lange Mühe machen.

Ich betete einige Zeit mit ihm. Aber sein edles Wesen hatte mich alten Weltmenschen neugierig gemacht, daß ich noch mehr von ihm wissen wollte, ehe er die Augen schloß. Drum sagte ich ihm, er habe eben lebhaft geträumt und oft den Namen Herzeleide ausgesprochen. ›Ich kenne‹, so bemerkte ich weiter, ›außer der Mutter Parzivals eine einzige Dame dieses Namens, und die wohnt drunten in Hasela auf der Burg und ist die Tochter meines ehemaligen Freundes, des Grafen Götz von Fürstenberg.‹

Jetzt richtete sich der kranke Mann mit der letzten Kraft auf und fragte: ›Herr, die kennt Ihr?‹

›Ja, die kenne ich, hab' sie als kleines Kind schon gekannt, da ich auf ihres Vaters Burg kam als der Ritter Konrad von Hohenrod – und ich kenne sie jetzt als ernste, hehre Jungfrau, weil ich öfters nach Hasela komme, um zu betteln für mein Kloster.‹

›Herr, Ihr kennet Herzeleide von Fürstenberg?‹ fragte nochmals mit gebrochener Stimme der sterbende Mann und fuhr dann zu reden fort: ›Nun, so sagt ihr, ich bitt' Euch, meines Lebens glänzendster Stern, der mich überallhin begleitet, sei ihre Liebe zu dem armen, niedrig geborenen Rumo gewesen. Sagt ihr, wenn ich noch zehnmal ein junges Leben für sie müßte im Elend verbringen, ich würde es mit Freuden tun, ohne einen andern Lohn als den, daß sie mir hold wäre.

Aber sie möge das Versprechen erfüllen, so sie mir gegeben in der Gruftkapelle zu Hasela vor drei Tagen, und mein Geist wird dann segnend die Burgen umziehen, die dem Herrn von Rappoltstein gehören.‹

Er sank erschöpft auf sein Lager und sprach vor seinem Ende nichts mehr, und als unser Bruder Sakristan in der Frühe zur Mette läutete, hauchte der Fremdling seine Seele aus.

Auf unserm Friedhof unter Tannen haben wir ihn unter dem Gebet aller Brüder begraben und ein hölzernes Kreuz ihm aufs Grab gesteckt. Der Herr aber möge ihm die ewige Ruhe geben!«

Kaum hatte der Bruder Veit das letzte Wort gesprochen, als Herzeleide aus dem Saale hinausging. Ihre Tränen trieben sie fort in ihre stille Kemenate, wo sie sich ausweinte und nimmer sehen ließ an jenem Abend. Ihre Brüder aber erzählten dem Mönch noch näher den Grund der Tränen.

Als dieser am andern Morgen vor der Abreise Herzeleide fragen ließ, ob er sie sprechen dürfe, sagte sie ihm zu und empfing ihn mit den Worten: »Hier, Bruder, habt Ihr einen Goldgulden. Nehmt ihn, und wenn Ihr heimkommt, geht Ihr so bald als möglich hinab ins Kloster Alpirsbach. Dort lebt, wie Ihr wißt, ein geschickter Mönch, der Stein- und Bildhauer und Baumeister ist. Er soll einen Marmelstein glätten und darauf mit vergoldeten Buchstaben schreiben: ›Herzeleide dem getreuen, unglücklichen Rumo.‹

Und diesen Stein legt Ihr auf das Grab des Geißlers, der bei Euch starb. Und wenn ich einmal seinen letzten Wunsch, den er Euch auftrug, erfüllt haben werde, so komm' ich selbst hinauf, um an seinem Grab zu beten.«

Bruder Vitus sagte gerührt treue Besorgung zu, nahm seinen Bettelsack auf die Schulter und schied, den waldigen Höhen des Kniebutz zu.


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