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Das mächtigste Herrengeschlecht im obern Rheintal von Chur abwärts bis zur Mündung des Rheins in den Bodensee waren das ganze Mittelalter hindurch die Grafen von Montfort.
Ihre Ahnen sind noch in den letzten römischen Statthaltern Rätiens und in den kaiserlichen Sendgrafen der Karolingerzeit zu suchen.
Die Zweige dieses stolzen Stammes gingen im Verlauf der Jahrhunderte weit hinüber über den Bodensee ins schwäbische Land, wo von den Burgen zu Tübingen, Sigmaringen, Tettnang und Heiligenberg das Montfortische Banner – rote Fahne im weißen Feld – wehte und Grafen dieses Hauses als Herren saßen.
Kriegerische Bischöfe, geharnischte Äbte und zahllose tapfere Rittergestalten entstammten diesem mächtigen Geschlechte.
Sein Stammsitz war die hochgelegene Burg Alt-Montfort unweit Rankweil im heutigen Vorarlberg.
Unangreifbar wegen ihrer hohen Lage, beherrschte sie zugleich die ganze herrliche Landschaft zu ihren Füßen: das Rheintal mit seinen Berghalden voll Wald und Rebhügeln, die schöne Stadt Feldkirch und die Feste Rankweil, den Walensee, das Sarganserland bis hinüber zum grauen Alpgestein, zum Himmel anstrebenden Altmann und zum triftenreichen Kamor.
Und alles, so weit das Auge sah, war montfortisches Erbgut.
Auf dieser Burg weilte im Frühjahr des Jahres 1311 Anna von Veringen, die Witwe des Grafen Hugo von Montfort mit ihrer Tochter gleichen Namens und drei unmündigen Söhnen.
Ihr Gatte hatte noch in den ersten Monaten des vergangenen Jahres mit seinen Brüdern Ulrich und Rudolf den König Heinrich VII. auf seinem Zuge durch die Schweiz begleitet, war aber nach der Rückkehr im August bei Schaffhausen erschlagen worden. Seitdem lebte die Witwe trauernd auf der Stammburg.
Die Frauen sitzen zur Zeit, da wir sie besuchen wollen, in einer Kemenate und sticken, die Tochter an einem großen, kostbaren Wandteppich und die Mutter an einem Meßgewand für die Kirche in Rankweil drunten im Tale.
Beide trugen faltige, schwarze Kleider als Zeichen ihrer Trauer um den Gatten und Vater, und beide waren schön in diesen dunklen Gewändern, aus denen blaß und ernst edle Züge schauten. Anna von Veringen war noch nicht vierzig Jahre alt, da sie ihr den Gatten erschlugen, und seit der Geburt ihrer Tochter war der Lenz kaum achtzehnmal vom Rheintal heraufgestiegen nach Alt-Montfort.
Jung-Anna war seit ihrem elften Jahre drüben im Schwabenland, der Mutter Heimat, bei den Klosterfrauen von Habstal erzogen worden und hatte später am Hofe des Herzogs von Bayern in München höfische Sitten gelernt. Jetzt war sie auf der Mutter Wunsch heimgekehrt, um ihr die Trauer zu versüßen.
»Wenn ich«, hub die Tochter, von ihrer Arbeit aufschauend, zu reden an, »meinen Teppich nicht schon am herzoglichen Hofe angefangen hätte, ich würde ihn nimmer anfangen. Die Figuren von Helena und Paris sticken und Blumen dazu paßt nicht in unsere Trauerzeit. Ich würde lieber, wie Ihr, Mutter, einen Kruzifixus auf ein Meßgewand sticken.«
»Mach dir darüber keine Vorwürfe, mein liebes Kind«, entgegnete die Mutter. »Du bist jung und mußt dich vom Schmerze losmachen, damit er deinem jungen Leben und deiner Zukunft nicht schade. Es ist drum gut, wenn du bei deiner Arbeit dich nicht in Leiden versenkest wie ich. Meine irdische Zukunft ist mit dem Tode deines Vaters abgeschlossen, und sobald ich dich versorgt weiß, ziehe ich in meine schwäbische Heimat, um im Kloster Habstal meine Tage zu beschließen.
So hat meine Mutter Verena getan, so tun viele Witwen unseres Standes, und so will auch ich tun.«
»Ja, die Nonnen in Habstal haben mir oft noch von der Großmutter erzählt«, nahm jetzt das Wort die Tochter, da die Mutter schwieg, weil Tränen in ihre Augen traten. »Die Großmutter habe, so sagten sie mir, jeden Abend in ihrer Zelle das ›Salve Regina‹ gesungen. Das sei ihr Lieblingslied gewesen.«
»Es ist dies aber nicht bloß ein herrlich Loblied«, fiel die Mutter wieder ein, nachdem sie sich die Tränen aus den Augen gewischt, »es ist auch unser Familienlied, das ein Graf von Veringen vor mehr denn zweihundert Jahren gedichtet hat.« Hermann der Lahme, Graf von Veringen, Mönch zu Reichenau am Bodensee, gestorben 1054, ist bekanntlich der Dichter des genannten Hymnus auf die Muttergottes.
»Aber was meint Ihr denn damit, Mutter, daß Ihr nach Habstal ziehen wollt, wenn ich versorgt bin. Ich bin ja wohl versorgt bei euch auf Alt-Montfort und, das will ich offen sagen, nach Habstal möcht' ich Euch nicht begleiten. Ich war gerne im Kloster, aber lieber bin ich doch in der Welt«
»Das verüble ich dir gar nicht, mein Kind. Ich war auch so in jungen Jahren, und drum will ich dich in der Welt versorgt wissen, d. h. warten, bis du einen Gemahl gefunden und Herrin geworden bist auf einer Burg. Aber lieb wär's mir nicht, wenn dich ein Herr suchte aus dem Rheintal oder um den Bodensee herum. O, da ist ewig Fehd' und Streit.
Ich bin seit zwanzig Jahren hier im Lande, und immer ist Krieg. Gar oft folgte dein Vater den Heereszügen der Könige, namentlich zog er mit dem König Adolf weit ins deutsche Land hinab, und heimgekehrt, mußte er immer wieder von dannen reiten. Bald hatten seine Vettern zu Bregenz, bald die zu Tettnang Fehden, bald lagen die Montforter mit ihren eigenen Sippen, mit denen von Werdenberg, im Kampf, bald dienten sie alle dem Abt von St. Gallen, bald dem Bischof von Konstanz im Felde.
Und so war es von jeher im Rheintal – Streit und Blut und Kampf. Deines Großvaters Bruder, Bischof Friedrich von Chur, geriet in solch einem Streit in Gefangenschaft der Werdenberger, saß zwei Jahre auf ihrem Schloß gefangen, wollte flüchten und ließ sich am Seile von der Feste herab. Das Seil brach, und er fiel zu tot. Ein anderer Bruder, Wilhelm, führte als Abt von St. Gallen ununterbrochen Krieg und Fehden, selbst mit dem Kaiser Rudolf, und alle Montforter waren in dieselben verwickelt.
Da ist drüben im Schwabenland doch noch etwas mehr Ruhe, und mir wär's lieb, wenn du einst dort deinen Gemahl fändest.«
»Gehört der Schwarzwald auch zum Schwabenland, liebe Mutter?« fragte jetzt Jung-Anna.
»Der Schwarzwald gehört nicht zum Schwabenland, Kind, aber auch dort wohnen edle Geschlechter, friedlicheren Sinnes als die von Montfort und von Werdenberg und als die Äbte von St. Gallen und die Bischöfe von Konstanz. Und in des Schwarzwalds Tälern ist es vielfach schöner, milder und fruchtbarer als im Schwabenland, ja so schön fast als im Rheintal. Ich bin einmal als Jungfrau mit meinem seligen Vater und dem Grafen von Neuenburg nach Straßburg geritten und habe einen Teil des Schwarzwalds gesehen.
Im Tal der Kinzichen sind wir beim Grafen Egino von Fürstenberg abgestiegen, der in einem Städtchen Hasela seinen Sitz hat, und wo es mir gar gut gefiel.«
Jung-Anna trat bei diesen Worten das Blut mit Macht vom Herzen aufwärts und färbte ihre Wangen rot
»So, in Hasela seid Ihr schon gewesen, Mutter, und bei denen von Fürstenberg?« fragte sie, erstaunt von ihrer Stickerei aufsehend. Sie hatte eben den Kopf des griechischen Helden Paris mit der Nadel vollendet.
»Aber was frägst du so hastig, Kind? Weißt du auch was von jener Gegend und von jenem edlen Hause?«
»Ja, Mutter, ich weiß etwas und hätte es Euch schon längst gesagt, aber es paßt nicht in die Trauerzeit.«
»Wenn's kein Unglück ist, mein Kind, nichts, was mir weitern Kummer macht, so paßt's auch in die Trauerzeit, und dann erzähle es.«
»Ein Unglück ist es nicht, Mutter, es paßt aber doch nicht, daß ich von so was rede, ehe das Trauerjahr für den Vater vorüber ist. Aber es ist mir jetzt lebhaft in den Sinn gekommen, als Ihr davon sprachet, mich versorgt zu wissen.«
»Ei, ei, Kind, jetzt ahn' ich was«, sprach die Mutter lächelnd, zur Tochter hinübersehend. »Doch nun heraus damit. Es handelt sich um Minne. Aber wie kommst du ins Haus Fürstenberg, das hat ja seine Burgen weit, weit weg von hier?«
»Ihr habt's erraten Mutter«, sprach sanft errötend Jung-Anna, »und ich will Euch jetzt erzählen, was ich seit Wochen auf dem Herzen habe.
Ihr wißt, ich ließ Euch mit Eurer Erlaubnis über die Ostertage allein und ritt mit unserm Burgvogt und zwei Knechten hinab gen Bregenz, die Base Irmengard zu besuchen. Ihr selbst habt mir zugesprochen, es zu tun, da sie kinderlos und allein in ihrer Burg sitzt, weil Graf Hugo, ihr Gemahl, in Italien weilt mit dem König.
Daß der Vetter heimgekommen ist aus dem Welschland in der Woche nach Ostern, hab' ich Euch ja erzählt, aber nicht, daß er einen jungen Ritter bei sich hatte vom Hause Fürstenberg.
Und dieser Fürstenberger, Mutter, – Götz ist sein Name – hat mir's angetan.
Ich habe am Hofe des Herzogs Otto in München manch' jungen, schönen Ritter und Knappen gesehen, aber alle ließen mich gleichgültig, nur der Graf von Fürstenberg nicht, den ich in Bregenz gesprochen und gehört habe.
Er ist blond, mit wallenden Haaren und blauen Augen, kann singen und spielen wie ein Minnesänger und ist im höfischen Wesen erfahren, wie ich noch keinen Ritter kennengelernt.
Aber, wie Vetter Hugo sagte, sei das nicht zu verwundern, denn er habe als Knappe gedient am Hofe des Herzogs von Lothringen, wo die höfischen Sitten von Frankreich Mode sind.«
»Von welcher Linie der Fürstenberger stammt er?« fragte die Mutter, befriedigt über das, was sie bisher gehört. Es sitzen Fürstenberger in der Baar und solche im Tale der Kinzichen.«
»Er nennt sich Graf Götz von Fürstenberg-Hasela.«
»Da kenn' ich seinen Vater, den Grafen Egino, und hab' den jungen Herrn sicher als Knaben gesehen, als ich auf dem Ritt nach Straßburg mit deinem Großvater in der Burg zu Hasela nächtigte.«
Das Gespräch ward unterbrochen, da der Burgvogt hereintrat und der Gräfin meldete, es ritten von Klausen herauf Reisige der Burg zu. So melde der Wächter, und er, der Vogt, frage an, ob die Ankömmlinge einzulassen wären.
»Ich wüßte nicht, wer mich besuchen wollte«, sprach die Burgfrau. »Doch erfragt zuerst der Kommenden Namen, und dann macht Ihr mir wieder Meldung. Es können wohl nur Verwandte sein, der Weg fremder Reisiger führt nicht über das einsame Alt-Monfort.«
Jung-Anna war bei der Meldung des Vogts alsbald in sichtliche Verlegenheit gekommen. Die Mutter merkte es und fragte lächelnd: »Hast du vielleicht deinen Ritter Götz hierher eingeladen, Anna?«
»Was fallt Euch ein, Mutter!« rief die Tochter, »das wäre ja gegen alle höfische Sitte, wenn ich ohne Euer Wissen einen Ritter einladen würde. Das wißt Ihr so gut als ich. Aber das will ich Euch gestehen, daß Herr Götz von Fürstenberg mich beim Abschied bat, ob er in den Wochen, welche er in Bregenz zu verweilen gedenke, uns einmal seine Aufwartung machen dürfte.
Ich hab' ihm gesagt, ich wollt' es der Mutter erst mitteilen, ob fremder Besuch ihr genehm, und es dann melden nach Bregenz. Aber bis heute hab' ich den Mut nicht gefunden, Euch was zu sagen.
Als ich gestern noch im Buchwald gegen St. Arbogast hin Maiblumen suchte, ging ich in die Kapelle, brachte dem Heiligen einen Strauß von diesen Blumen und bat ihn um Mut, meinem Herzen einmal vor Euch, Mutter, Luft zu machen. Und heute hat's sich so schön gefügt, daß Ihr selber von dem anfinget, was mich beunruhigte. Aber ich glaub' nicht, daß der Graf Götz kommt, ohne zu wissen, ob mir's lieb ist; dazu ist er zu höfisch erzogen.«
Der Burgvogt erschien wieder bei den Frauen und meldete, die Ankömmlinge seien der Graf Berthold von Montfort und zwei Knappen.
»Ah, der Vetter, Vetter heißt in der Zeit, in welcher unsere Erzählung spielt, stets der Bruder des Vaters oder ein fernerer Blutsverwandter, während der Bruder der Mutter Oheim genannt wird. der kommt ja von Bregenz«, rief jetzt Jung-Anna. »Er war auch mit in Italien und hat sich seither beim Vetter Hugo aufgehalten. Er hat mir ja – es fällt mir eben ein – gesagt, er reite bald einmal in das Laternsertal, das ihm gehört, und dann werde er uns besuchen.«
»Heißt meinen Schwager willkommen, und führt ihn in den Rittersaal«, befahl die Gräfin. »Wir zwei wollen nur unsere Hauskleider ablegen, und dann kommen wir hinab. Hätten wir's eher gewußt, dann wären wir ihm entgegen gegangen vors innere Burgtor, wie es Sitte ist.«
»Dazu ist's noch Zeit, gnädige Frau«, entgegnete der Burgvogt. »Der Herr Graf ist noch nicht an der Burg. Ich hab' ihn vom Turm aus erkannt an seinem weißen spanischen Hengst, und im Fähnlein des einen Knappen sah ich unser Wappen.«
»Um so besser, dann gehen wir ihm entgegen«, gab die Gräfin zurück. »Sorgt, daß ein Bad gerichtet werde, der Schwager wird warm bekommen haben in der sonnigen Maienluft draußen.«
»Ich habe also doch recht gehabt, Mutter, daß der Graf von Fürstenberg nicht komme«, meinte Jung-Anna, während sie den Gürtel um ein besseres Kleid legte.
»Es wird dir leid genug sein, daß er den Vetter Berthold nicht begleitet hat«, entgegnete die Mutter lächelnd.
»Nein, Mutter. Es wär' mir nicht einmal recht gewesen, wenn er gekommen wäre, ohne von mir eingeladen zu sein. So eigenmächtige und unhöfische Herren mag ich nicht. Graf Götz hat dadurch gewonnen bei mir.«
Indes war der Graf Berthold von Montfort, ein stattlicher Ritter in den besten Jahren, Er ertrank 1314 im Rhein. den Berg heraufgeritten und im äußern Burghof abgestiegen.
Unter dem innern Burgtor erschienen die Damen und riefen ihm ihr »Willkommen« zu, während der Ritter auf sie zueilte, beide küßte und sprach: »Gott grüß Euch! Ich will das Laternsertal mit Bauern von Rankweil bevölkern. Das hat mich zunächst in eure Nähe gebracht, und dann hab' ich noch einen Auftrag bekommen, der mich heute zuerst zu euch führt. Doch bringt mich erst in meine Kemenate, wo ich mir's bequem mache, und nachdem ich noch ein Bad genommen, treffen wir uns in der Ritterstube.
Ich will womöglich heute abend noch nach Rankweil reiten.«
»Vom Fortreiten heute schon wieder darf nicht die Rede sein«, riefen beide Frauen zugleich, »um so weniger«, sprach allein die Gräfin-Mutter, »wenn Ihr was Gutes bringt. Ihr redet von einem Auftrag.«
»Meine Botschaft ist gut, Frau Schwägerin, so glauben wenigstens alle Montforter, die zur Zeit in Bregenz liegen. Mein Bruder Rudolf, der Dompropst, Rudolf von Montfort, Dompropst von Chur, später Bischof von Konstanz, gestorben 1333. ist seit einigen Tagen auch dort Er kam von Konstanz her in Geschäften für das Domkapitel in Chur. Er will auf der Heimreise Euch auch besuchen und gratulieren.«
»Zu was, Schwager?« – fragte die Gräfin hastig, während in Jung-Anna eine Ahnung aufstieg, die ihr den Atem kostete für den Augenblick. »Ihr macht mich neugierig.«
»Eure Neugierde müßt Ihr behalten, Frau Schwägerin, bis ich aus dem Bade komme und in der Ritterstube einen Humpen Rheintaler vor mir habe«, entgegnete Graf Berthold mit heiterer und wichtigtuender Miene.
»Und Ihr, Vetter, müßt bei uns über Nacht bleiben. Ihr waret noch nie hier seit des Vaters Tod und, glaubt mir, da oben ist's nicht so lustig wie in Bregenz, und ich bin froh, wenn Besuch kommt«, sprach mit bittenden Blicken Jung-Anna.
»Deinetwegen, lieb Ännchen, will ich bleiben und morgen in aller Frühe abreiten. Aber dann will ich gegen Abend noch nach Fraxern hinüber zum alten Leutpriester, der mich lesen und schreiben lehrte, da ich noch ein Knabe auf Alt-Montfort war. Du kannst mich dann begleiten, und ich erzähle dir von Bregenz und vom – Grafen Götz.«
Anna fand auf diesen Schuß in ihr Herz keine Antwort. Die Mutter erlöste sie. »Hab' erst heute von dem Grafen Götz gehört«, erwiderte die Gräfin.
»Ihr werdet nachher noch mehr hören, Schwägerin. Doch jetzt geht, und erwartet mich im Rittersaal.«
»Also Ihr bleibt, Vetter – und wir gehen zusammen nach Fraxern«, sprach noch Jung-Anna, der es immer enger und doch wohl ums Herz ward.
Diese Reden waren im innern Burghof gewechselt worden. Der Ritter und die Damen kamen jetzt an den Eingang des Palas, wo der Burgvogt den Grafen empfing und in seine Kemenate geleitete, während die Damen den Rittersaal aufsuchten, um eine Erfrischung zuzurichten.
»Ich bin gewohnt«, begann Graf Berthold, als er eine halbe Stunde später den ersten Trunk aus dem silbernen Humpen, der vor ihm stand, getan hatte, »Aufträge gleich, kurz und gut auszurichten. Also frisch heraus: Der Graf Götz von Fürstenberg-Hasela schickt mich heute zu Mutter und Tochter, damit ich bei der Ersteren um die Letztere anhalte. Jung-Anna, so meint er, würde ihm wohl nicht absagen, drum sollt' ich besonders die Mutter um ihre Einwilligung angehen.
Das ist, kurz und bündig, mein Auftrag, und nun laßt hören, Frau Base, was Ihr dazu sagt.«
»Ihr fallt mit einer wichtigen Frage in die Burg herein, Herr Schwager«, antwortete die Gräfin, während Jung-Anna, bald blaß, bald rot werdend, züchtig und verschämt auf die steinernen Fliesen des Rittersaales schaute. »Ich kenne den jungen Herrn gar nicht und weiß nur, was mir Anna heute von ihm gebeichtet hat. Aber das Haus Fürstenberg hat guten Klang. Die Familie ist mir recht, doch, wie gesagt, der Sprößling mir unbekannt.«
»Ich kenne ihn um so besser«, nahm Graf Berthold das Wort, »und ich will Euch sagen, daß Graf Götz seinem Geschlechte alle Ehre macht. Er ist zweifellos der erste Ritter zwischen dem Bregenzerwald und den Wasgauer Bergen. Und wie einst ein Montforter eines Königs Tochter aus Portugal heimführte, Ein Graf Albert von Montfort-Werdenberg soll von einer Fahrt in die Fremde eine Prinzessin Elisa aus Portugal heimgebracht haben. »Und er kam in große wirdigkeit, ehre und gut, denn er vernunfftig war, frumm und keck«, sagt ein Chronist von ihm. so würde jede Prinzessin der Welt, die den Grafen Götz kennenlernte, nach ihm verlangen. Solch ein herrlicher Ritter ist er.
Als unser König Heinrich VII., der im November 1309 das Kinzigtal hinunterzog. (Böhmer, Regesten.) vor zwei Jahren in Hasela weilte, wo die Stammburg Götzens liegt, hat er ihn, so jung er auch war, selber zum Ritter geschlagen, nachdem er ihn im Waffenspiel gesehen, und ihn zum Zug nach Italien besonders eingeladen.
Auf diesem Zug lernt' ich ihn kennen – Vetter Hugo in Bregenz steht seiner Familie schon länger nahe und ist seines Vaters Freund, 1298 erneuerte König Adolf von Nassau »im Lager bei Hasela an der Kinzichen« dem Grafen Hugo von Montfort-Bregenz die Pfandschaft vom Reiche, den Bregenzer Wald. – und wie lernt' ich ihn kennen! Wir Montforter, Hugo, Rudolf und ich, sind wahrlich auch keine Schneider im Harnisch, aber der Götz ist doch noch ein anderer Degen, als jeder von uns.
Als wir im Oktober vorigen Jahres mit dem König 5000 Mann stark über die Alpen kamen und in Susa einzogen und ein Turnier abhielten, war kein Ritter auf dem Platz, den der Götz nicht im Waffenspiel in den Sand gesetzt, aber auch keiner, der im Singen und Trinken ihn übertroffen hätte.
Und als nach der Krönung des Königs mit der Eisernen Krone in der Kirche des hl. Ambrosius zu Mailand – im Januar dieses Jahres – wieder Waffenspiele stattfanden, da hat unser Götz den Welschen gezeigt, was ein Deutscher kann.
Unsere Dienstzeit war in Mailand zu Ende, und welsche Ritter mit ihren Reisigen geleiteten den König.
Wir zogen heim und mit uns der Fürstenberger. Der König hätt' ihn gerne weiter mitgenommen, aber er fürchtete, die Welschen könnten ihm Gift geben, weil ihm keiner im Waffenspiel gewachsen war.
Als wir in Bregenz ankamen, wollten wir noch zusammen lustig sein und hielten den Götz so lange als möglich zurück. In der Burg zu Bregenz sah er unser Ännchen, und seitdem ist er liebeskrank und will nicht über den Bodensee fahren ohne euer beiderseitiges Jawort; auch will er noch dem Grafen Hugo die Fehde gegen den Thumb von Neuburg austragen helfen.
Wir drei Montforter haben es mit Jubel begrüßt, als er uns gestand, Anna sei sein Leben, und nie, weder diesseits noch jenseits der Alpen, hab' eine Maid auf ihn solchen Eindruck gemacht. Anna müsse sein werden und wenn er Alt-Montfort stürmen und sich seine Dame stehlen müßte. Also, liebe Schwägerin, erlöst ihn und Euch und Jung-Anna!
Gestern abend noch sang er zur Laute ein Lied vom alten Schenken Ulrich von Winterstetten und darin die Strophe:
Minne, heile meine Wunde,
Die in rasch entschwund'ner Stunde
Mir dein Pfeil hat zugefügt!
Mich hat über lichten Wangen
Eines Auges Blick gefangen,
Ach, und was darunter liegt:
Lippen, als brennt Feuer drinnen!
All' das brachte mich von Sinnen,
Daß ich sie muß immer minnen,
So hat sie mein Herz besiegt
Wer viel dienet lange Zeit
Edler Fraue,
Der vertraue,
Daß sie Lohn ihm noch verleiht.
Seht – ich kann auch noch Minnelieder«, schloß Graf Berthold, der mit Wärme die Verse vorgetragen hatte.
Anna weinte Freudentränen, und die Mutter sprach: »Wenn ihr, meine Schwäger und Vettern, die ihr den jungen Grafen kennt, mir zuredet und Graf Götz der Mann ist, wie Ihr in schildert, so werde ich mich nicht lange besinnen. Anna gibt schon ihr Jawort in den wonnigen Tränen, die sie eben aus ihren Augen trocknet.
Aber warum ist Graf Götz nicht gleich mit Euch heraufgeritten und hat sich mir vorgestellt?«
»Er hat«, entgegnete Graf Berthold, »jeden Tag auf Botschaft gewartet von Anna. Er wurde immer ungeduldiger und unruhiger. Ohne Einladung wollt' er nicht kommen – was sich für einen Ritter, wie er ist, von selbst versteht. Drum hat er mich gebeten und dazu gemeint: »Du Berthold, kannst am besten sagen, was ich für ein Kerl bin. Ich kann mich nicht selbst loben. Es ist ja ohnedies Sitte, durch einen Boten um eine Maget anzuhalten.«
»Aber«, begann die Gräfin, »als besorgte Mutter muß ich auch fragen, wie es mit dem Wittum ihrer Tochter steht, und wo diese mit ihrem Gemahl wohnen soll. Ich denk' mir, der alte Graf von Fürstenberg, den ich kenne, lebt wohl noch.«
»Auch darüber hat mir der Graf Götz Mitteilung für euch gemacht«, erwiderte der Schwager. »Sein Vater, der Graf Egino, lebt noch; der älteste Sohn Heinrich starb vor einem Jahr, der zweite, Egino, ist bei den Johannitern, und der dritte, Johans, ist ledig und soll nach des Vaters Tod die Herrschaft gemeinschaftlich übernehmen mit Götz, welcher der jüngste ist, wie ja auch alle euere Söhne an den Besitzungen ihres Vaters teilhaben werden, wenn sie volljährig sind.
Der alte Graf wird, dafür hat Götz sein Wort, der Schwiegertochter ein Wittum verschreiben, das so hoch ist als die Ausstattung, die sie mitbringt, und zum Wohnsitz gibt er dem jungen Paar die Burg Warenberg, hart vor der Stadt Villingen, die den Fürstenbergern von Hasela gehört und mehr wert und größer ist als unser Feldkirch. Oder er räumt ihm auch die Hälfte der großen Burg in Hasela ein.
Seid also beruhigt, Schwägerin, Anna wird's gut gehen auch in dieser Hinsicht. Wir Männer sind nicht so ängstlich wie ihr Frauen. Graf Götz hat noch mit keiner Silbe wissen wollen, was Anna hat oder bekommt.«
»Herr Schwager«, so nahm die Gräfin wieder das Wort, »Ihr habt so großes Vertrauen in den jungen Fürstenberger, und ich kenne Euch als einen Mann, der nicht jedem Vertrauen schenkt, so daß ich nicht mehr länger fragen und zagen will. Graf Götz soll mein Kind haben, und Anna soll ihm nicht bloß ihre Jugend und ihre Tugend bringen. Ihre Mitgift sind 2000 Mark Silber, die beim Domkapitel in Chur stehen, und wenn ich ins Kloster Habstal eintrete, wovon Ihr bereits wißt, so soll sie die andere Hälfte meiner Eigengüter bekommen im Schwabenland, die andere Hälfte das Kloster. So wär' also alles abgemacht. Gott geb' dazu seinen Segen.«
»Aber, du bist so schweigsam, mein Kind«, fuhr sie, Anna anschauend, fort, »du mußt doch auch dein Jawort ausdrücklich geben!«
Jung-Anna erhob sich ungestüm von ihrem Sitze, umarmte und küßte die Mutter unter Tränen und sprach: »Ich danke Euch viel tausendmal, daß Ihr mir den Grafen Götz geben wollt. Ich lieb' und will ja keinen andern als ihn.« Auch den Vetter küßte sie und dankte ihm für seine warme Fürsprache.
Graf Berthold hatte indes aus seinem seidenen Wams, das er unter dem Waffenrock trug, ein kleines Schächtelein hervorgezogen, dem er einen kostbaren Damenring entnahm und Anna überreichte mit den Worten:
»Ich hab' dem Grafen Götz gesagt, ich würde für ihn heute siegen auf Alt-Montfort, er möge mir nur gleich den Verlobungsring mitgeben. Diesen Ring hier hat er in Meielan (Mailand) für seine Mutter gekauft, so eine Gräfin von Hachberg ist, und den will er nun dir geben zur Verlobung. Für seine Mutter hat er noch eine güldene Kette.«
Anna zog den Ring an, küßte den Vetter nochmals und bat ihn, dem Grafen Götz zu sagen, wie glücklich sie sei. Die Mutter holte nun einen prächtigen Siegelring ihres Gemahls und gab ihn Anna, damit sie ihn dem Vetter mitgebe für den Bräutigam.
»Aber ehe das Trauerjahr vorüber ist, wird nicht Hochzeit gehalten«, mahnte jetzt die Gräfin noch. »Doch das versteht sich ja von selbst und wird es auch Graf Götz zu würdigen wissen.
Ich denk' mir, in der Pfingsten-Maienzeit des kommenden Jahres kann die Hochzeit sein, hier oder in Hasela auf des Grafen Stammburg. Soll es hoch hergehen, wird Hasela besser sein, denn auf Alt-Montfort kommen die Gäste nicht so leicht wie in die Tiefburg Hasela.
Doch das zu bestimmen überlaß' ich den jungen Leuten. Der Graf wird nun bald einmal heraufreiten, und ich bin recht begierig, ihn zu sehen und kennenzulernen.«
»So ungefähr könnt' ich dir zeigen, wie er aussieht«, meinte die freudestrahlende Anna. »Ich habe auf meinem Wandteppich, an dem ich eben arbeite, den Paris als Ritter dargestellt und dabei stets an meinen jetzigen Bräutigam gedacht Der griechische Held sieht ihm drum ziemlich ähnlich.«
»Aber du bist eine, Anna«, sprach scherzend die Mutter. »Drum warst du so still in den Tagen, da du am Paris sticktest!«
»Komm', laß sehen!« rief Graf Berthold. »Ich will entscheiden, ob er getroffen ist. Und dann spazieren wir alle drei durch den Maienabend gen Fraxern zum alten Leutpriester.«