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Vor dem unteren Stadttor zu Hasela stand am ersten Maientag des Jahres 1337 eine Anzahl Bürger und schaute dem Zimmermeister Oswald Bürgin zu, wie er mit seinen Gesellen unmittelbar vor der Stadtmauer hin einen großen Platz mit Pfählen und Stricken einhegte.
Die Bürger, teils von Feldarbeit heimkehrend, teils zu solcher ausziehend, fragten verwundert den Zimmermann, was es da gebe.
»Ich soll einen Platz machen, einen Roßlauf lang und einen Morgen breit, für einen Zweikampf, dazu eine Tribüne für die Kampfrichter. So hat mir unser Graf durch den Burgvogt befohlen«, antwortete der greise Meister.
»Einen Zweikampf, zwischen wem und warum?« – so fragten sich die Bürger und ergingen sich in allerlei Mutmaßungen. Der eine hatte das, der andere jenes gehört über Dinge, die drüben in der Burg vorgegangen sein sollten.
»Mir hat der Oberkoch«, also begann Peter Bosch, der Bäcker am untern Tor, »vor Monaten schon gesagt, es sei schwerer Unfriede in der Burg. Die junge Gräfin solle einen reichen Herrn von Rappoltstein im Wasgau heiraten und wolle nicht.«
»Was, den will sie nicht?« fiel Basche Stricker, ein Schlosser, dazwischen. »Ich hab' in Rappoltsweiler im Elsaß gearbeitet, da ich in der Fremde war, und die Schlösser des Herrn von Rappoltstein gesehen, seine Reben und seine Wälder. Dort ist ein wahres Paradies, und die Tochter unseres Grafen will nicht? Das ist mir unbegreiflich.«
»Es steckt ein anderer dahinter«, fuhr Peter Bosch still redend weiter. »Die Herzeleide sei in den Sohn des Harnaschers am Bach, den Rumo, verliebt und sie wolle keinen als den. Der hab' deswegen auch fortmüssen aus der Burg.«
»So ist es«, nahm nun ein anderer Bürger das Wort, Dietmar Lösly, der Schenkwirt am Tor. »Mein Weib ist die Patin des Rumo, und ihr hat dessen Mutter vor kurzem alles anvertraut. Die Herzeleide will keinen als den Rumo, obwohl der sich so was nie hat träumen lassen und noch weniger ernstlich etwas getan hat, die Heirat mit dem Rappoltsteiner zu hintertreiben.
Die Sache kam so an den Tag: der Zwerg Peter, den die Herzeleide oft mißhandelte und schlug, und der hörte, daß sie dem Herrn aus dem Wasgau nicht das Jawort geben wolle, hat dem Grafen verraten, daß sie den Rumo im Herzen habe, und ihm erzählt, wie sie diesem einmal bei einer Vogelbeize eine Liebeserklärung gemacht.
Der Graf hat daraufhin die Tochter vernommen, und sie hat gestanden, daß sie nur den Rumo lieben könne und keinen andern, aber bei allen Heiligen geschworen, daß er nichts getan habe, um diese Liebe in ihr zu entzünden. Sie erriet gleich den Zwerg als den Verräter und hätte ihn mit eigener Hand getötet, wenn ihr Vater es nicht verhindert.
Der Graf glaubte ihr, aber er schickte den Rumo doch fort, hinauf zum Grafen von Hohenberg, hoffend, die Tochter würde anderen Sinnes werden, wenn er ihr aus den Augen käme.«
»Der hat ein Glück, der Rumo«, meinte der Becke-Peter. »Aber ein schöner Mensch ist er auch, sticht alle Ritter aus, und an der Herzeleide freut es mich, daß sie mit ihrer Liebe keinen Unterschied der Person macht.«
»Ja und noch was, Peter«, flüsterte Dietmar, der Tabernenwirt, »der Rumo ist auch kein gewöhnliches Blut. Seine Mutter ist eines adeligen Herren Kind und aus Liebe mit unserm Harnascher aus dem Welschland durchgegangen. Er kam viel auf die Burg ihres Vaters, dem er Harnische machte und Schwerter schmiedete. Dort sah ihn des Burgherrn Tochter und ließ nimmer von ihm. Drum ist der Sohn auch ein so ritterlicher Mensch geworden, weil er welsches, adeliges Blut im Leib hat.«
»Aber unsere junge Gräfin bekommt er doch nicht, so lange der Graf lebt«, sprach jetzt der Schlosser-Basche. »Eher würde Graf Götz beide in der Kinzig ersäufen, als so was zugeben und, wenn sie fliehen wollten, sie verfolgen bis ans Ende der Welt.«
»Da hast du recht, Basche«, stimmten die anderen Bürger ein. »Unsern Grafen muß man kennen. Der Rumo gilt viel bei ihm, aber seine einzige Tochter gibt er keinem Harnaschers-Buben.«
»Doch die Herzeleide hat auch ihren Kopf«, meinte Dietmar, der Wirt. »Die Diener aus der Burg erzählen in meiner Stube oft davon, daß sie den Teufel nicht fürchte und eine starkmütige Maid wäre. Doch wollen sie dieselbe in letzter Zeit oft mit verweinten Augen gesehen haben. Der Rumo geht ihr sicher zu Herzen, und das ist, wie schon der Becke-Peter gesagt, immer schön, wenn eine hohe Maid auf einen niedrigen Knecht sieht; es ist wahre, echte Liebe.«
»Jetzt reden wir aber schon eine halbe Stunde und keiner weiß, warum ein Platz hergerichtet wird zu einem Zweikampf«, – nahm das Wort Clevi Rinderle, ein Schneider, der eben vom Helgenberg gekommen war, wo er mit seinem Weib Bohnen gesetzt hatte.
»Ich weiß nichts Gewisses«, sprach der Dietmar. »Von denen, die aus der Burg zu mir kommen, hat keiner etwas davon verlauten lassen, daß und warum der Meister Oswald einen Turnierplatz ausstecken muß.
Etwas weiß ich, ich soll's aber nit sagen.«
»Deinen Nachbarn, Dietmar, kannst du's sagen«, meinte der Becke-Peter. »Wir behalten's bei uns.«
»Nun so höret: Mein Weib war gestern abend bei der Harnascherin, und die verriet ihr, daß dieser Tage spät am Abend die Kammermagd der jungen Gräfin ins Haus des Harnaschers gekommen sei und einen Brief gebracht habe. Den sollte, so sei es der Wunsch der Herzeleide, der Bruder des Rumo, der Ulin, alsbald nach der Burg Hohenberg tragen und seinem Bruder bringen. Zugleich bekam Ulin einen Goldgulden. Er machte sich alsbald auf die Füße.
Der Harnascher und sein Weib haben es nit gern getan, aus Furcht vor dem Grafen, wenn er was erführe; aber der Loveline, wie die welsche Harnascherin des Grafen Tochter zu nennen pflegt, wollten sie's doch auch nit abschlagen.
Ich vermute, daß in dem Brief was steht, das uns über den Zweikampf, der hier stattfinden soll, ein Licht aufstecken könnte.
Aber ich bitt' euch, schweigt mir still.«
Die Bürger gelobten dies und gingen dann auseinander. Bald waren der Zimmermann und seine Gesellen allein auf dem Platz, und nur wenige Knaben schauten ihrem Hämmern und Klopfen noch zu. –
Wenden wir unsere Blicke jetzt auch stadteinwärts und kehren wir am gleichen Maien-Nachmittag in der Burg ein.
In einer Kemenate nach Westen, die einen guten Ausblick gewährte auf den Platz vor der Stadtmauer, den die Zimmerleute eben zum Zweikampf herrichteten, saßen die Gräfin Anna und Loveline, beide in eifrigem, ernstem Gespräch.
»Kind, wirst du auch einen Ritter finden, der für deine Ehre kämpft?« fragte besorgt die Mutter.
»Ich find' ihn, Mutter, sei unbesorgt«, entgegnete die Tochter. »Ich vertraue auf Gott und meine Unschuld, drum ist der Zweikampf ein Gottesgericht.«
»Wie hast du denn deinen Vater so schnell gewonnen, auf ein solches einzugehen?« fragte die Mutter weiter.
»Du weißt, Mutter, daß der Vater die vergangene Woche von der Jagd heimkam und ganz entrüstet über mich herfiel mit der Anklage, ich sei im letzten Herbst von Bauern ertappt worden, wie ich heimlich mit Rumo in der Hütte gewesen sei droben beim Vogelherd im Urwald.
Ich beteuerte meine und Rumos Unschuld und wollte wissen, wer dem Vater diese Verleumdung hinterbracht. Er nannte mir den Künlin von Bärenbach, welchen der Vater erst kürzlich zum Ritter geschlagen hat, weil er der beste Schnapphahn ist nach dem Wirich von Schnellingen, aber weit älter als dieser.
›Der soll mir's vor dem Schwert verantworten!‹ rief ich. ›Ich selbst fordere ihn, wie schon manch' tapfere Maid in meinem Stand getan, oder stelle einen Ritter, der für meine Ehre ficht. Du, Vater, bist es deiner eigenen Ehre schuldig, die deines Kindes zu retten.‹
›Für dich wird kein Adeliger eintreten‹, meinte der Vater, ›denn seitdem du den freien Herrn von Rappoltstein verschmäht hast, wird keiner für dich kämpfen. Oder bitte den Rappoltsteiner darum, er legt sicher gerne seine Lanze für deine Ehre ein, wenn du als Siegespreis dich ihm selbst gibst.‹
›Ich finde einen Ehrenmann, Vater‹, so sprach ich, ›doch den Herrn von Rappoltstein will ich nicht belästigen und kann es ihm auch nicht zumuten, für eine Dame, die ihn nicht lieben kann, sein Schwert zu ziehen.‹
›Gut‹, schloß der Vater. ›Am Dienstag vor Sankt Pankraz soll der Zweikampf statthaben; fordere den von Bärenbach und schau, wo du einen Ritter findest. Unterliegst du aber im Gottesgericht mit deiner Ehre, dann verstoße ich dich, und Rumo, dein Buhle, verliert seinen Kopf.‹
›Wenn es einen gerechten Gott gibt, so muß ich siegen, Vater, und da es einen gibt, wird er mir auch zur Zeit einen Ritter senden‹, sprach ich.«
»Kind, was machst du uns Kummer!« nahm die Mutter das Wort wieder. »Du heißest nicht umsonst Herzeleide. Erst den ganzen Herbst und Winter über den Unfrieden in der Burg, weil du dem Herrn Ulrich dein Jawort verweigerst, und jetzt noch ein Gottesgericht.«
»Ja, Mutter, ich heiß' nicht umsonst Herzeleide, denn ich weiß, was Herzensleid ist, hab's schon in meinen jungen Jahren zur Genüge erfahren. Ach, wozu anders haben wir Menschen eigentlich ein Herz, als um zu fühlen, was leiden heißt!
Hätte der Vater mir nicht den Rumo geben und uns auf die alte Burg im Runzengraben setzen und den Meierhof dabei uns schenken können – ich wäre glücklich gewesen, wenn ich nur Brot und Wasser dort drunten gehabt hätte!«
»Nie und nimmermehr können wir ein Kind, das zum Vater einen Fürstenberger und zur Mutter eine Montfort hat, einem Edelknecht geben, der eines Handwerkers Sohn ist«, – entgegnete die Mutter.
»Ihr gebt nicht nach, aber ich auch nicht. Nicht der Adel und nicht die Standesehre machen das Glück einer Ehe aus, sondern die Liebe, und meine Liebe hat eben der Rumo und nicht der Herr von Rappoltstein«, erwiderte die Tochter und fuhr dann fort:
»Man hat den armen Rumo, der nicht einmal weiß, wie stark ich ihn liebe, verbannt und jetzt ihn und mich noch verleumdet.
Doch der lumpige Bärenbacher wird's büßen müssen, und ich freue mich schon auf den Zweikampf.«
»Sag' mir, Kind, woher hast du diese Zuversicht?«
»Ich sag's noch einmal, ich vertraue auf Gott, auf meine Unschuld und auf meines Ritters Tapferkeit!«
»Wer ist der Ritter? Ein Ritter muß es sein. Du weißt, Rumo ist nur Edelknecht, denn vor dem Ritterschlag ward er fortgeschickt, und wenn der Rumo käme, gäb's ein Unglück. Denk' an den Vater!«
»Mutter, drängt mich nicht. Meinen Ritter verrat' ich Euch nicht und darf ihn nicht verraten. Rumo ist ja weit weg, wie mag er kommen!
Aber das weiß ich, wenn ich mehr Freude am Klosterleben hätte, ich ginge, wenn meine Unschuld erwiesen ist, nach Neidingen in unser Kloster, wo schon so manch eine Fürstenbergerin ihre Tage beschlossen hat. Leider hab' ich keinen Klostergeist, wohl aber den störrischen Geist des Vaters, der durchsetzen will, was er im Kopf hat.«
»Ich hoff' immer noch«, schloß die Mutter, ihre Tochter umarmend und küssend, »daß du deinen Starrsinn eines Tages brichst und den Ulrich von Rappoltstein nimmst.«
»Mutter, das erlebt Ihr nicht!« – –
Der Dienstag vor Sankt Pankraz, der Tag der Entscheidung, fing an über Hasela zu leuchten. In ihrer Kemenate kniete in aller Frühe Herzeleide vor einem alten, hölzernen Madonnenbilde, das ihr die Nonnen von Neidingen einst mitgegeben.
Sie betete zur Gottesmutter, sie möge ihren Helfer, den Verteidiger ihrer Unschuld, glücklich hierher geleiten zur rechten Zeit und ihm Sieg verleihen.
Mehr wagte sie nicht zu bitten, obwohl sie noch einen anderen großen Herzenswunsch hegte. –
Während sie in ihrer Kemenate betete, kniete sieben Stunden von Hasela entfernt auf dem waldigen Berge Kniebutz in einem Waldkirchlein der mindern Brüder des heiligen Franziskus ein junger, stattlicher Mann im Harnisch.
Er war gestern abend mit einem reisigen Knecht vom Donautal her auf der waldigen Paßhöhe angekommen und hatte in dem Franziskaner-Hospiz Herberge gesucht und gefunden.
Graf Heinrich I. von Fürstenberg, der Urgroßvater Herzeleidens, hatte den Söhnen des Heiligen von Assisi das Klösterlein gebaut, und der junge reisige Herr war schon oft bei ihnen eingekehrt, wenn er hinüber oder herüber den Kniebutz passierte.
Er war sonst immer heiter gewesen, wenn er zu den Brüdern kam, diesmal fanden sie ihn ernst. Der Pater Guardian fragte ihn, warum er so trübselig sei heute; aber er bekam keine rechte Antwort.
»Betet für mich«, sprach er, »ihr frommen Väter, auf daß ich morgen einen glücklichen Ritt tue und übermorgen wieder hier durchreite, dann sollt ihr mich heiter sehen. Komm' ich aber nimmer, so betet für meine arme Seele.«
»Ihr geht doch nicht darauf aus, irgend einem Kaufmann aufzupassen und ihn niederzulegen? Dann können wir nicht für Euch beten«, – meinte der Guardian, Pater Hilarius, ein alter Franziskanermönch.
»Seid beruhigt, Pater«, gab der ritterliche Mann zurück. »Ich gehe nicht auf Beute aus. Ihr betet für eine gute Sache, wenn Ihr für mich betet. Aber jetzt dringt nicht weiter in mich. Wenn ich wieder komme, kann ich vielleicht mehr sagen.
Aber morgen in aller Frühe, bitt' ich Euch, hört meine Beicht an und reicht mir den Leib des Herrn.« –
So kniete er denn am andern Morgen in dem hölzernen Waldkirchlein und flehte um Sieg, glücklich, einer Unschuldigen einen Dienst erweisen zu können, und unglücklich, weil er ahnte, was kommen möchte, auch wenn er siegen würde.
Am liebsten wär' es ihm gewesen, zu siegen – und dann zu sterben. So schwer war's ihm ums Herz.
Voll innerer Aufregung bestieg er den schwarzen andalusischen Hengst, den ihm, als ein Kampfroß ersten Ranges, ein adeliger Herr, dem er alles geoffenbart, samt seinem Schild geliehen hatte.
»Laß uns zureiten, Rudi«, sprach er zu seinem Knecht, als sie nach langsamem Ritt durch den Wald herab die Talsohle des Wolfbachs erreicht hatten. Und in scharfem Trab ging's der Kinzig zu.
Am Ausgange des Tales, kurz bevor die Wolf in die Kinzig mündet, stand ein alter Lindenbaum und bei ihm eine Herberge. Dort rasteten die Reiter und ließen auch die Rosse sich erquicken. Sie mußten dies tun, denn der Weg wäre zu weit gewesen in einem Ritt vom Hospiz auf dem Kniebutz bis hinab nach Hasela. Und mit einem todmüden Hengst ein Gottesgericht zu bestehen, wäre eine gewagte Sache gewesen.
»Schüttet den Rossen eine Maß Roten in den Hafer!« befahl der ritterliche Gast dem Jonas Dieterle, Wirt am Lindenbaum.
»Wenn die noch von meinem Roten zum Hafer bekommen«, meinte der Jonas, »dann könnt Ihr mit ihnen durch die Hölle und durch alle Teufel hindurchreiten. Hab' den Wein selbst geholt im letzten Herbst; er ist an der Burghalde des Ritters von Staufenberg gewachsen und hat Feuer im Leib.«
»Dann bringt uns zweien auch eine Maß, wenn Ihr Staufenberger habt. Den Wein kenn' ich und den Ritter Reinbold und seinen Bruder, den Humbele, auch.«
»Es soll heute ein eigen Ding vor sich gehen drunten in Hasela«, begann der Wirt, als er die Maß auf den Tisch stellte. »Der alte Burgvogt unseres Grafen in Wolfa, der jeden Abend zu mir heraufkommt und ein Schöpplein von diesem Roten trinkt, hat mir erzählt, in Hasela werde ein Gottesurteil abgehalten und unser Graf reite auch hinunter als Zeuge.
Die Herren werden wohl auch dahin reiten?«
»Wir wollen auch dabei sein«, gab der Geharnischte kurz zur Antwort und dem Gespräche eine andere Wendung, indem er, nach einem tüchtigen Schluck, meinte: »Euer Wein ist gut, er läßt sich beißen. Wenn wir mehr Zeit hätten, würden wir noch eine Maß trinken. Aber wir müssen weiter.
Rudi, trink«, sprach er zu seinem Knecht, »und schau, ob die Pferde fertig sind mit Fressen, dann sitzen wir auf! Welche Stunde zeigt Euere Sanduhr, Wirt?«
»Ich habe keine«, antwortete dieser. »Aber die Sonnenuhr an der Kirche zeigt eben die fünfte Morgenstunde, Das ist elf Uhr. und die Leute kehren von den Feldern heim zum Mittagessen.«
»Dann ist's höchste Zeit, daß wir reiten«, sprach der reisige Mann, zahlte die Zeche und folgte seinem Knecht auf die Straße, wo unter dem Lindenbaum die Hengste angebunden waren.
Bald flogen die Reiter dahin, dem nahen Städtchen Wolfa zu.
Es war gut reiten in den Städten jener Zeit, da sie kein Pflaster hatten und die Straßen so weich waren wie die in den Dörfern. Drum ging's im schärfsten Trab durch Wolfa hindurch bis zum unteren Tor. Dort stand des Grafen Heinrich von Fürstenberg Schloß, und nur vor diesem war der Weg gepflastert.
Der Hengst des Ritters, übermütig geworden durch den Roten vom Staufenberg, schlug sprühende Funken aus den großen Pflastersteinen, aber auch eines seiner Hufeisen weg, so daß es zersprang und klirrend davonflog. Der Reiter hielt an. »Um Gottes willen!« rief er, »das bedeutet Unglück; auch kann ich ohne Eisen nicht weiter reiten, sonst wird mein Hengst in kurzem so hinkend, daß er nimmer zu brauchen ist, bis wir nach Hasela kommen.
Wo ist ein Hufschmied?« fragte er einen Bürger, der am Tore stand.
»Dort«, sprach dieser, »hinter dem Rathaus wohnt der Meister Werner, ein guter Schmied.«
Während die zwei Reisigen in Wolfa an der Schmiede standen und ängstlich und hastig dem Beschlagen des Hengstes zuschauten – bliesen drunten in Hasela die Signalhörner zum Beginn des Zweikampfes.
Graf Götz, die Zeugen Walther von Geroldseck und Graf Heinrich von Fürstenberg, Herr zu Wolfa, schritten mit ihren Dienstmannen vors Tor hinaus, wo an den Schranken des Turnierplatzes schon alles stand, was in Hasela laufen konnte, und bewaffnete Knechte zu Pferd Ordnung hielten.
Auf der Tribüne saß Herzeleide mit zweien ihrer Mägde und begrüßte ernst den Vater und die übrigen Herren. Gräfin Anna, die Mutter, wollte nicht zusehen. Sie kniete in der Burgkapelle und betete, auf daß ihres Kindes Unschuld an den Tag komme.
Herzeleide war schön heute, wie eine Königin. Sie trug ein blaues, enganliegendes Samtkleid mit goldgesticktem Gürtel und darüber einen leichten Mantel von roter Seide. Ihr goldenes Haar hatte sie mit einem Kranz von Maiblumen geziert und sah aus wie eine Braut, die sich geschmückt zum Hochzeitszug.
»Du mußt einen tapfern und sieggewohnten Ritter erwarten«, sprach lächelnd zu ihr der Vetter von Wolfa, Graf Heinrich, indem er zu ihrer Linken Platz nahm.
»Den erwart' ich auch, Vetter«, gab Herzeleide zur Antwort. »Schaut nur den von Bärenbach an, der eben anreitet und eher einem Strauchdieb gleicht, der er auch ist, als einem Ritter, der auf dem offenen Kampfplatz was leisten kann.«
»Täusche dich nicht, Base«, meinte Graf Heinrich. »Der von Bärenbach sieht nicht viel gleich; er hat aber schon als Edelknecht manchen Tjost und manchen Buhurt Kampfspiel, bei dem die Gegner in kleinen Reihen (Haufen) aufeinander losritten. geritten und ist nicht zuschanden geworden. Auch als Schnapphahn nimmt er es mit drei Kaufleuten und ihren Knechten auf.
Aber wo ist denn dein Ritter?«
»Den wird, so hoffe ich, der Herr senden zur rechten Zeit«, antwortete halb ängstlich, halb zuversichtlich die schöne Herzeleide.
»Es wird not tun, daß der Himmel dir einen sendet«, gab der Vetter zurück, »denn auf den Herrenburgen ringsum bist du nicht beliebt. Du bist eine zu kuriose Heilige, Herzeleide, und weißt, daß nicht leicht ein Herr von Adel für eine Dame ficht, die nichts wissen will von Grafen und freien Herren.«
»Ich will auch keinen solchen Helfer, Vetter!«
»Dann bin ich um so begieriger, wer für dich in die Schranken reitet, Base. Doch dürft' es an der Zeit sein, daß er käme.«
»Bis zur ersten Stunde des Nachmittags warten wir«, sprach jetzt Graf Götz, der zur Rechten seiner Tochter saß und bisher geschwiegen hatte. »Wenn dann kein Helfer kommt, Herzeleide, bist du gerichtet. Es ist schon eine halbe Stunde über Mittag.«
Der schönen Maid klopfte das Herz, ihre Wangen wurden rot bei dieser Rede. »Er muß jeden Augenblick eintreffen, wenn anders Gott mit den Unschuldigen ist und nicht den Verleumdern hilft«, sprach sie.
»Doch horch! Hört ihr das Horn von der Stadt her? Eben wird mein Ritter, so denk' ich, durchs obere Tor eingeritten sein und gleich zum untern Tor herausreiten.«
Die Hornsignale kamen näher. Alles lauscht und schaut gespannt nach dem Tor, das heute sperrangelweit geöffnet ist.
Da sprengt ein Ritter über die Fallbrücke, hinter ihm drein sein blasender Knecht. Ihre Topfhelme sind geschlossen, man sieht nichts als Eisen und Stahl an ihren Leibern. Ihre Hengste sind mit Schaum bedeckt.
Der Ritter sprengt vor die Tribüne, verneigt sich und ruft: »Ich übernehme den Zweikampf für Herzeleide von Fürstenberg gegen ihren Verleumder Künlin von Bärenbach und reite alsbald in die Schranken!«
»Siehst du seinen Schild?« fragte Graf Götz seinen Schwager, den Geroldsecker.
»Ja, sie hat einen guten Helfer«, entgegnete dieser. Sein Schild ist geteilt: oben Silber, unten blau. – »Das ist ein gutes Wappen. Du wirst es kennen?«
»Das ist ja das Hohenbergische Wappen«, rief Graf Götz, »und am Ende tritt gar unser Vetter Rudolf für die Herzeleide in die Schranken. Sie darf stolz sein!«
Jetzt gab er das Zeichen. Die Hörner schmetterten, und die Gegner nahmen ihre Stellung ein.
Ein zweites Zeichen und die Kämpfer stürmten mit eingelegten Lanzen gegeneinander. Atemlos schaute alles zu. Doch auf den ersten gewaltigen Stoß flog der Bärenbacher vom Gaul in den Sand.
Ein allgemeines Beifallrufen ging durch die Menge, und Herzeleide strahlte.
Der Sieger sprang vom Pferde, um mit dem Schwerte weiterzukämpfen, falls der Gestürzte sich erhöbe. Der aber blieb betäubt liegen. Sein Gegner trat auf ihn zu, löste ihm den Helm, rief nach Wasser und brachte den armen Künlein wieder zum Leben.
»Soll ich ihn töten, wie er's verdient?« rief der Sieger hinauf zur beleidigten Grafentochter.
»Laß ihn leben, lieber Freund und edler Mann, aber widerrufen muß er vor allem Volke!« sprach, sich erhebend, Herzeleide.
»Ist noch ein Gang mit dem Schwert gefällig oder wollt Ihr gleich Widerruf leisten?« fragte jetzt der fremde Ritter den von Bärenbach, der nun schwankend wieder auf den Füßen stand.
»Gott hat gerichtet«, sprach Künlin, so laut er konnte. »Ich habe gelogen und war von meinen Bauern übel berichtet, da ich von der jungen Gräfin Böses sagte. Sie möge mir verzeihen!«
Die Herren auf der Tribüne, ihr Vater voran, gratulierten Herzeleiden und reichten ihr die Hand.
Der Sieger war indes wieder auf sein Roß gestiegen, hielt vor der Tribüne an und sprach: »Edle Herrin, gehabt euch wohl. Ich danke Gott, daß er mir so schnell zum Siege geholfen und bin glücklich, euch einen Dienst geleistet zu haben. Ich reite jetzt wieder von dannen, dorthin, von wo ich gekommen.«
Herzeleide aber rief mit lauter Stimme: »So darfst du nicht fortreiten, getreuer Mann, wie ein Dieb, der in der Nacht kommt und unerkannt wieder fortschleicht. Die Welt soll wissen, wer für mich gesiegt und sein Leben eingesetzt hat!«
»Ja, ja«, sprach nun Graf Götz, dem die Erregtheit seiner Tochter auffiel, »öffne dein Visier, Vetter Hohenberg, und bleibe einige Tage bei uns. Du brauchst dich nicht zu schämen, daß du der einzige gewesen bist unter den freien und adeligen Herren, der für meine verschrieene Tochter eingetreten ist!«
»Nicht Graf von Hohenberg ist in die Schranken geritten«, gab der geharnischte Reiter zurück; »unter seinem Schild, aber mit seiner Erlaubnis hat ein anderer heute hier seine Lanze probiert.«
»Ein anderer?« – fragte gereizt der Graf von Hasela.
»Jetzt bin ich erst recht begierig, wer dieser andere ist. Es steigt mir eine Ahnung auf, die sich aber hoffentlich nicht bewähren wird.«
»Öffne dein Visier, edler Mann! Ich werde dich nicht verleugnen«, sprach jetzt abermals Herzeleide.
»Laßt mich ziehen, holde Maid«, antwortete der im Harnisch, »ich fürcht', es ist kein Glück, wenn man den Ritter kennt, der für Euch eintrat und der für Euch sein Leben gäbe, aber es jetzt für besser hält, von dannen zu reiten. Gehabt Euch wohl!«
Mit diesen Worten gab er seinem Hengst die Sporen und sprengte durch die Menge dem offenen Stadttor zu. Sein Knecht ihm nach.
»Haltet ihn fest!« rief der Graf mit Donnerstimme seinen reisigen Knechten zu, die zu Pferde anwesend waren. »Ich will wissen, wer er ist, und wenn ihr ihn vom Rosse herunterschlagen müßt!«
Der Fremdling hörte diesen Befehl, lenkte alsbald seinen Hengst um, ritt wieder in die Schranken und vor den Grafen hin und sprach: »Gewalt ist nicht vonnöten, Herr, obwohl ich mich nicht so leichten Kaufes fangen ließe. Ich brauch' mich nicht zu schämen, mein Visier zu öffnen, und hab's nur unterlassen, um der edlen Dame, für die ich focht, neue Vorwürfe zu ersparen. Da Ihr aber mit Gewalt droht und dies die Sache verschlimmern könnte – so sehet, wer ich bin!«
Mit diesen Worten nahm er seinen Topfhelm ab, und alles rief: »Das ist der Rumo!« Viele aus der Reihe der Bürger klatschten mit den Händen; denn der Rumo war bei ihnen beliebt ob seines Sanges und seines lustigen Wesens und heute ob seines Sieges. Herzeleide glühte vor innerer Freude.
»Ha«, fragte höhnisch Graf Götz, »ha, seit wann kämpfen Knechte mit Rittern, und seit wann kämpft ein Knecht unter eines adeligen Herrn eigenem silberbeschlagenem Schild?«
»Ich bin ein Ritter, Herr, von Euerem Vetter, dem Grafen Rudolf von Hohenberg, dazu geschlagen und für den heutigen Tag von ihm, dem ich alles mitgeteilt, ermächtigt, seinen Schild zu führen!«
»Gut erdacht! Doch du bist ja ein Sänger, und denen sind derartige Dichtungen geläufig«, entgegnete Graf Götz.
»Ich bin bereit, mit jedem einen Zweikampf einzugehen, ja ich fordere ihn dazu heraus, der im Ernste leugnet, was ich eben gesagt«, – gab Rumo allen Ernstes zurück.
»Wie, du willst mich fordern? Deinen Gönner, der dich zu dem gemacht, was du bist?«
»Ich weiß, was ich Euch schulde, Herr Graf, aber meine Ehre laß' ich drum nicht antasten. Ich rede die Wahrheit, und für diese steh' ich ein gegen jedermann.«
»Aber zweifeln darf ich doch?« sprach milder der Herr von Hasela. »Und bis die Zweifel mir ein Bote an den Grafen von Hohenberg gelöst, bleibst du mein Gefangener!«
Die Bürger und auch einzelne von den Geschlechtern hatten sich herangedrängt und das Zwiegespräch vernommen. Sie waren entzückt von Rumos ehrlicher, offener Sprache. Drum murrten sie, als der bei ihnen nicht sehr beliebte Graf mit Haft drohte.
»Wir lassen unsern wackern Rumo nicht verhaften!« so riefen drohend Stimmen aus der Menge.
»Ich dank' euch, Mitbürger, für euer Eintreten«, beschwichtigte Rumo. »Ich bin gerne unseres Grafen Gefangener, bis er von der Wahrheit meiner Rede sich überzeugt hat. Unser Herr war mir stets gewogen, und daß er's nicht mehr ist, daran trifft mich keine Schuld. Ich habe seines Hauses Ehre allezeit hochgehalten. Ich folg' ihm drum jetzt mit gutem Gewissen in seine Burg, sicher, bald von ihm in Ehren entlassen zu werden.«
»Das ist ein braver Kerl, dieser Rumo«, meinte Graf Walther von Geroldseck zu Herzeleide, die er mit Macht bisher zurückgehalten.
»Das ist er und zugleich der edelste Ritter, den die Welt sah, obwohl nur eines Harnaschers Sohn!« rief sie laut und stürmisch. »Und wenn er um meinetwegen gefangen gesetzt wird, nachdem er für mich gestritten und gesiegt hat, so weiß ich erst recht, was ich ihm schulde, und werd' es nie vergessen!« –
In Mißklang ging alles auseinander. Der Graf und die Zeugen schritten von dannen, Herzeleide am Arme des Geroldseckers, die Reisigen mit Rumo hintendrein. Die Bürger verloren sich in den Straßen, die einen mehr, die andern weniger lärmend und räsonierend über das, was sich heute vor dem Tore zugetragen.
Innerhalb seiner Burg angekommen, ließ der Graf den armen Rumo ins unterste Verlies des Hauptturmes bringen.
»Hier bleibt er«, so sprach der Vater zu seiner Tochter, »bis ich weiß, ob er den Ritter falschlich gespielt hat, und dann erst noch so lange, bis seine Haare so gebleicht sind, daß du gerne auf ihn verzichtest.«
»Je grausamer Ihr gegen ihn seid, Vater«, gab Herzeleide ernst und entschlossen zur Antwort, »um so näher wird er meinem Herzen sein, und um so strahlender steht er vor mir als Märtyrer.«
Ein Bote ging alsbald nach Hohenberg und kam am dritten Tage in der Nacht mit der Kunde, daß Rumo die Wahrheit gesprochen, zurück. Der Graf verschwieg dies seiner Tochter. Diese weinte tagsüber in ihrer Kemenate, und nachts dachte sie in schlaflosen Stunden nach über des Geliebten Rettung.
Dieser war in einem schauerlichen Kerker. Mittelst eines Seiles hatten sie ihn durch ein Gewölbe hinabgelassen und dann die Öffnung wieder mit einem Stein geschlossen. Unten angekommen in dem schrecklich dunkeln Raum, war seine Lage eine entsetzliche – verpestete Luft, kein Licht, kein Stuhl, kein Bett, kein Tisch; nichts als Mauer und Erde. Und auf dieser Erde nichts als Kot und Schlamm und Grundwasser voll Kröten und Molchen.
Ein grobes Stück Brot und einen Krug mit Wasser ließ der Wächter einmal täglich dem Armen, der kaum stehen und gar nicht liegen konnte, an einem Seil hinab in seine Gruft.
Er litt unsagbar, der brave Rumo; aber, daß er für Herzeleide litt, milderte ihm seine Qualen, und der Gedanke, sie werde bei ihrer Mannhaftigkeit auf seine Rettung sinnen, verließ ihn nicht und stärkte ihn.
Und sie sann auf Rettung, die tapfere Maid, und sie fand in ihrem starken Geiste und in der Macht der Liebe auch die rechten Mittel und den rechten Mut, dieselbe auszuführen.
Aber auch in der Bürgerschaft regte es sich für die Befreiung des edlen Bürgersohnes.
Beim Harnascher, seinem Vater, gingen tagsüber und nächtlicherweile Bürger aus und ein und beratschlagten Maßnahmen, falls der Graf den Rumo nicht bald frei lasse.
Selbst Geschlechter und Ratsherren kamen zum alten Iselin und boten ihre Hilfe an.
»Der Zweikampf war ein Gottesgericht, und nachdem Gott zugunsten Rumos und Herzeleidens entschieden hat, darf der Graf nicht so barbarisch eingreifen«, – so hieß es überall im Städtle, in den Herbergen sowohl als in den Zunfthäusern.
Es ward – nicht ohne Wissen des Rats – beschlossen, daß die Bürger, nach Zünften geordnet, bewaffnet vor der Burg aufmarschieren und die Herausgabe Rumos verlangen sollten, falls Graf Götz ihn innerhalb einer Woche nicht freilasse. Doch die Liebe der Grafentochter kam der Ausführung dieses Beschlusses zuvor und machte die Meuterei in der Bürgerschaft unnötig. –
Es war in der fünften Nacht, die Rumo in dem schrecklichen Verliese verbrachte, und in der zwölften Stunde, da hörte er, wie der Stein, welcher das Gewölbe über seinem Haupte schloß, mit Mühe hinweggewälzt wurde. »Es kommen wohl Mörder, die mir den willkommenen Tod bringen«, dachte er. Denn er hatte vom nahen Kirchturm den Hochwächter Mitternacht rufen hören und wußte somit, daß es eine Zeit sei, in der man sich gewöhnlich nicht um Gefangene kümmert.
»Rumo! Rumo!« rief es jetzt von oben.
»Ist's ein Engel Gottes oder Euere Stimme, Herzeleide, die mich ruft?« fragte aus der Tiefe der Gefangene.
»Ich bin's, Herzeleide, gekommen, dich zu befreien. Umgürte dich mit dem Seil, das ich hinunterlasse, damit wir dich heraufziehen können.«
»Wär's möglich, daß Ihr, edle Maid, meine Retterin würdet aus dieser Qual?«
»Es ist so, doch spute dich, wir haben Eile!«
Herzeleide ließ nun eine Öllampe einige Fuß weit in die Gruft hinab und dann den Strick.
»Hast du dich umgürtet?« fragte sie nach einer Weile.
»Seid Ihr allein, so ist alles Gürten umsonst«, sprach der Gefangene.
»Ich bin nicht allein. Des Wächters Weib, der ich schon viel Gutes getan, ist meine Gehilfin. Aber beeile dich. Es ist Zeit, hohe Zeit, wenn du aus deinem Kerker kommen willst!«
»Ich bin umgürtet. Gott helfe euch, mich ans Licht zu ziehen!«
Herzeleide und ihre Begleiterin, des Turmwächters Weib, eine Hünin an Gestalt und Kraft – begannen nun aus Leibeskräften am Seil zu ziehen. Bald war der Gefangene so weit oben, daß er den Rand der Öffnung selber fassen und die Frauen ihm unter die Arme greifen konnten. Die Rettung war gelungen.
Abgehärmt, bleich wie eine Leiche, stand Rumo vor Herzeleide, die im leichten, faltigen Nachtgewand, ihr goldenes Haar aufgelöst über den Schultern, ihn empfing mit den Worten:
»Hier, Rumo, in diesem Täschchen ist Geld und hier ein Dolch, falls dir noch Hindernisse begegnen, und hier der Schlüssel zur kleinen Pforte, die aus dem Garten zur Kirche führt. Hinter der Kirche am Bertor beim Wächter, der unterrichtet ist, sind Kleider für dich und alles, was du zur Flucht brauchst. Du hast meine Ehre gerettet, und ich rette dir dafür das Leben, denn mein harter Vater hätte dich hier unten verenden lassen.«
Rumo ließ sich auf das rechte Knie nieder und küßte unter Tränen die Hand seiner Retterin. »Ich fürchte nur«, sprach er, »daß Ihr es zu büßen habt, weil Ihr mir zur Flucht geholfen aus diesem schrecklichen Verlies, das weit schrecklicher ist als das Grab.«
»Hab' keine Furcht für mich, geliebter Rumo, denn wahre Lieb' kennt keine Furcht, weil sie stärker ist als der Tod«, flüsterte Herzeleide, kniete nieder zu Rumo, schlang weinend ihren Arm um seinen Hals und küßte ihn in wildem Schmerz und Wehe.
Die Hünin des Wächters sieht das alles und weint mit den Weinenden.
Da – im gleichen Augenblick – ächzt die Türe in den Angeln und herein schaut höhnisch Peter, der Zwerg, und hinter ihm erhebt sich die riesige Gestalt eines Knechtes. Der Zwerg hatte in seiner Kemenate im untersten Stockwerk des Palas auf seinem Lager gewacht und etwas über die Wendeltreppe herabrauschen hören. Er spähte und sah Herzeleide im Nachtkleide mit einer Lampe dem Hauptturm zugehen.
Er ahnte was und haßte Herzeleide, wie sie ihn. Sie schlug ihn, so oft er allein ihr begegnete, weil er dem Vater ihre Liebe zu Rumo verraten und dieser Verrat ihm beim Grafen eine Stütze war.
Der Zwerg sah, wie des Wächters Weib der jungen Gräfin die Turmtür öffnete, hinter der sie verschwand. Er weckte den reisigen Knecht, der neben ihm in der Kemenate lag und auch im Palas schlief, um auf jeden Wink des Herrn zur Hand zu sein. Leise schleichen beide heran und stoßen die schwere Eisentüre, die nur angelehnt ist, auf.
Rumo und Herzeleide erheben sich erschreckt. »Stich ihn nieder, den elenden, boshaften Krüppel!« rief Herzeleide schnell gefaßt dem Rumo zu, »und den andern auch, wenn er dich hindern will zu fliehen.
Stich beide nieder, wenn du nicht wieder hinab willst in deine Gruft, aber bald, sonst wird's lebendig in der Burg, und du endigst dein Leben in diesem gräßlichen Verlies!«
»Faß ihn, Jos«, knirschte der Zwerg, »der Graf wird dir's lohnen!«
»Faß du zuerst, heilloser Knirps!« rief Rumo und senkte seinen Dolch in den Leib des Zwerges. »Und du«, fuhr er den Knecht an, »folgst diesem teuflischen Kobold nach, wenn du mich aufhältst!«
Der Knecht hieb als Antwort mit seinem kurzen Schwert auf Rumo ein. Dieser pariert den Hieb und stößt dem Angreifer den tödlichen Stahl ins Herz.
Zuckend liegen zwei Sterbende am Boden. Über sie hinaus stürmt jetzt der Befreite, und Herzeleide ruft ihm nach: »Fliehe, fliehe! Gott geleite dich, und meine Liebe und Treue folgen dir, wohin immer du gehst!« –
Er gelangt glücklich zum Bertor, verwandelt sich hier in einen fahrenden Mann und schreitet dann eilenden Fußes hinaus in die dunkle Nacht und dem Elztale zu. Seitdem war Rumo, des Harnaschers Sohn von Hasela, verschwunden.