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Am selben Abend, an dem Herr und Frau Rechtsanwalt Rasch ihr Gartenfest gaben, verführte die Elster droben bei Herrn Holmengraas Haus ein fürchterliches Geschrei. Die Elster will nämlich, wenn sie sich des Abends auf ihren Baum gesetzt hat, Frieden und Stille um sich her haben. Wird sie aber beunruhigt, dann schreit sie und benachrichtigt auch andere Elstern, daß diese auch tüchtig schreien sollen, und auf diese Weise gibt es einen gewaltigen Lärm.
Was wohl die Elster bei uns droben so zu schreien hat? denkt Frau Irgens, die auch auf dem Feste ist.
Ja, jetzt endlich gibt der Rechtsanwalt sein Gartenfest, sein Herbstfest, und ganz Segelfoß ist dabei. Der Telegraphenamtsvorsteher Baardsen ist allerdings nicht dabei, denn er hatte in allen diesen Jahren keinen Besuch gemacht, und so konnte keine Rede davon sein, ihn einzuladen. Aber sonst war niemand vergessen, und die Arbeiter waren alle zusammen zu Butterbrot und Tee eingeladen.
Und wenn nun Willatz Holmsen kommt, sagte Rechtsanwalt Rasch zu seiner Frau, dann bleibst du ruhig in deinem Sessel sitzen, bis er zu dir herkommt, du nimmst ihn keineswegs feierlich. Sieh du nur auf mich und gib acht, wie ich es mache, dann gehst du vollständig sicher. Und wenn Willatz Holmsen dann wieder gehen will, habe ich keineswegs im Sinn, ihn aufzuhalten.
O, der Herr Rechtsanwalt Rasch mußte seiner Frau im Gesellschaftsleben vieles beibringen, sie hatte gar kein Gefühl für Feinheiten. Wie, wenn sie es nun zum Beispiel ihm nachgemacht und ihr Taschentuch im Ärmel getragen hätte, wie er und Doktor Muus? Nein. Da wurde er es müde, über ihre Fehler zu wachen, und nur wenn sie gar zu grobe machte, mußte er sie zurechtweisen: Hör mal, Kristine, man hält nicht seinen Teller schief, um noch das letzte Restchen Suppe zu erwischen, denk nun doch endlich einmal dran! Feine Leute tun das nicht!
Frau Rasch war vielleicht einfältig genug, sich von ihrem Mann unterdrückt zu fühlen, aber dazu hatte sie keinen Grund; hätte sie die Sache richtig aufgefaßt, so wäre sie ihm dankbar gewesen. Aber natürlich war das Frauenzimmer undankbar.
Sie war hübsch, aber verblüht, ehrlich und ein wenig dumm, so daß sie nicht immer wußte, was sie sagte. Als Mädchen fröhlich und heiratslustig, als Frau schwerfällig, grauhaarig und empfindsam, der Lagermeister ach, er war ihr nun eben nicht bestimmt gewesen! Er war heute abend mit seinen Sängern anwesend, und als sie draußen im Garten zu singen anfingen, hatte sie in ihr Schlafzimmer hinauflaufen müssen, um ihre Tränen zu verbergen. Gott segne ihn! Und wer weiß, ob er nicht gerade für sie sang, für seine frühere Liebste, Kristine Salvesen? Sie hatte auf kräftiges Zureden von Frau Irgens dem Rechtsanwalt Rasch die Hand gereicht, das war wohl Gottes Bestimmung gewesen, jetzt hatte sie zwei Kinder, die ihresgleichen nicht fanden höchstens hätte sich vielleicht Willatz Holmsen mit ihnen messen können, Willatz Holmsen, als er noch ein Kind war.
Und nun kam Willatz nicht einmal an diesem Abend. Nein, seit Anton Coldevin wieder abgereist war, hatte Willatz wieder mehr sein eigener Herr sein können, und da hatte er fleißig gearbeitet. Er hatte ihr soeben Liebe Frau Kristine! eine Karte geschickt, sich für die Einladung bedankt und zugleich auch ihren Mann grüßen lassen, aber er sitze gerade in der Klemme mit seiner Arbeit und müsse sehen, wie er glücklich damit zustande komme, deshalb wage er nicht, zu dem Fest zu kommen.
Ja, ja, hatte ihr Mann gesagt; aber Doktor Muus ist ja gekommen, und Herr und Fräulein Holmengraa sind da, und Frau Landmarck mit ihren Töchtern ist da! Der Rechtsanwalt hätte noch mehrere aufzählen können: den Lensmann von Ura, den Redakteur und Setzer von der Segelfosser Zeitung, den Kaufmann Henriksen von Utvär, die beiden Töchter des Ladenper, also die Fräulein Jensen, die sich ordentlich herausgemacht hatten, die die Uhr an der Kette vorne auf der Brust trugen und gebildete Mädchen geworden waren. Aber Theodor im Laden, ihr Bruder, war nicht anwesend wegen der Zwietracht und Feindschaft mit dem Rechtsanwalt.
Alle Gäste versammelten sich draußen im Garten. Es war allerdings etwas spät im Sommer, das konnte man wohl sagen, aber es war immerhin noch mild und schön, und niemand hatte Überkleider nötig, das heißt Florina trug natürlich ihren gelbseidenen Mantel, obgleich sie aufwarten mußte, aber sonst war es allen auch ohne Überkleider noch ganz mild genug. Und der Garten oder Park stand jetzt in seiner größten Pracht mit allen seinen Beeten und Gebüschen und anderen Herrlichkeiten. Seht, es war alles da, was nicht fehlen durfte: der Springbrunnen hatte seinen Wasserstrahl, und die Rasenflächen hatten ihr grünes Gras und die Wege ihren Kies und ihre Einfassung. Und jetzt für das Fest war noch mehr eingekauft worden, viele Holzbänke und viele runde Tische, und die Tische hatten Blechplatten, die mit einem gewaltigen Bums nachgaben, wenn etwas darauf gelegt wurde.
Ja, hier ging das eigentliche Fest vor sich, hier nahm der neue Photograph die ganze Festversammlung auf, solange es noch hell war, und hier hielten sich die Leute bis tief in die Nacht hinein auf. Aber die feinen und vornehmen Gäste nahmen später auf der Veranda Platz oder setzten sich sogar ganz in die Stube hinein, tranken Punsch miteinander, stießen an und unterhielten sich. Es war auf diesem Gartenfest richtig behaglich, und Doktor Muus gab sicherlich jedermanns Ansicht Ausdruck, als er sein Glas erhob und eine Rede auf den Garten und Rechtsanwalt Raschs Haus hielt. Nein, wie sich dieser Doktor Muus hinstellen konnte und reden und eine ganze Gesellschaft beherrschen! Das schlimmste an ihm waren seine verkrüppelten Ohren, aber sein ganzes Gesicht strahlte von Geist, und die Brille saß ihm auf der Nase wie einem japanischen Gelehrten. An diesem Abend hatte seine Rede eine symbolische Bedeutung, weil der Doktor jetzt im Süden des Landes ein Amt bekommen hatte und vor der Abreise stand. Er lobte den Garten und die Parkanlagen, aber Nachtigallen fehlten noch. Nun gäbe es allerdings weiter im Süden auch noch keine Nachtigallen, aber er, der im Begriffe sei, dorthin überzusiedeln, komme doch den Nachtigallen näher willkommen alle, die ihr auch nach dem Süden kommt!
Vielen Dank! sagte Rechtsanwalt Rasch. Vielen Dank! sagte auch Frau Landmarck, sie zog sogar ihr Taschentuch heraus, winkte dem Doktor damit zu und rief: Bravo! Der Lagermeister hatte seine Leute vor der Veranda versammelt, sie räusperten sich und machten die Kehlen rein und stimmten das Lied an: Im Frühlingsglanz der Jugend und in der holden Sommerzeit!
Jetzt war Rechtsanwalt Rasch an der Reihe. Er klingelte mit seinem Schlüsselbund in der Tasche, sah schrecklich dick und gemästet aus, redete aber bestimmt und verständlich. Nachtigallen, sagte er, nein, die habe er allerdings nicht, bis jetzt noch nicht. Aber er habe sonst allerlei in Segelfoß eingeführt und dadurch einigermaßen ein Beispiel gegeben. Was sei dieser Platz hier gewesen, ehe er hergekommen sei? Feld. Und was sei er nun? Ein Park mit Springbrunnen und fremdländischen Bäumen; unter seinen Händen habe sich das Feld bekleidet, eine Villa habe sich erhoben im modernen Stil, wie man sie im Süden habe, und er stehe außerdem noch in Unterhandlung mit einigen Eisengießereien wegen zweier Kunstwerke für den Garten. Aber das sei nicht alles, er, der Rechtsanwalt, verfolge noch einen etwas tieferen Zweck mit dieser Zusammenkunft; jetzt, da so viele einflußreiche Männer und Frauen anwesend seien, schlage er vor, einen Verein zum Wohle von Segelfoß zu gründen als Vorsitzenden könne man seinetwegen wählen, wen man wolle. Inzwischen wolle er jetzt den Anwesenden für ihr Kommen danken, ja, jedem einzelnen danken in seinem und seiner Frau Namen, und er erhebe sein Glas auf das Wohl seines dem Hause unersetzlichen Freundes, der nun fortziehe, aufs Wohl von Doktor Muus!
Hurra und Bravo und Gesang des Singvereins.
Aber damit war der Abend noch nicht für alle zu Ende. Viele von den Gästen gingen heim, Herr und Fräulein Holmengraa gingen, und der Lensmann von Ura ging auch mit seiner Freundin, Fräulein Holmengraa. Aber der Doktor ging nicht, Frau Landmarck mit ihren Töchtern ging auch nicht, und diese Gäste blieben bis tief in die Nacht hinein und vergnügten sich weiter.
Und in des Rechtsanwalts Wohnung, da konnte man auch wirklich mit Vergnügen sitzen. Da war kein so moderner Jux mit Jugendstil und viereckigen Lampen und Gemälden von den jungen Künstlern, das war solide Bürgerlichkeit, der Geschmack des Hausherrn war anererbt, ein altes Beamtengeschlecht hatte ihn geprägt, aber man konnte es sich ja auch leisten! Da stand ein Bücherschrank mit Glastüren, und da jetzt alle Dichter tot sind, so stand auch kein Werk eines Lebenden in dem Schrank, es standen nur Dichter darin. Und herrliche Teppiche und Vierecke von maschinengewebten Gobelins hingen an den Wänden, und auf kleinen Tischchen lagen zwei große Alben mit den Bildern von Raschs Familie und seinen Freunden, ja und da lagen auch die Glückwunschtelegramme zu Herrn und Frau Raschs Hochzeit in ein Buch zusammen eingebunden, mit goldenen Buchstaben und goldenem Datum darauf! Die Etagere war reichbesetzt mit nachgemachten, altertümlichen Leuchtern sowie vielen Muscheln und schönen Steinen und Glasflaschen und Weihnachtsgeschenken in der Form von Tintenfässern und Figuren aus Rauhporzellan. Alles durchgängig ererbte Bildung. Aber Rechtsanwalt Rasch hatte keineswegs nur Ererbtes und damit Punktum! Er sowohl als Doktor Muus hatten sich auch ein wenig von der modernen Zeit angeeignet, soweit sich das mit dem wahren Geschmack, in dem sie geboren waren, vereinigen ließ. So hatte zum Beispiel Doktor Muus, als er neulich in der Stadt war, auf dem Dampfschiff mit einigen Handelsreisenden zusammengesessen; deren Unterhaltung und Ansichten waren nichts für ihn gewesen, aber sie hatten sich auffallend neu und reizend mit dem Messer gebärdet, sie hatten es wie einen Federhalter gehalten. Diesen Zug der modernen Zeit nahm Doktor Muus an, und mit ein wenig Übung wurde er immer geschickter darin, sein Fleisch mit einem Federhalter zu zerschneiden. Es währte auch gar nicht lange, da machte der Rechtsanwalt das ganz von selbst nach und lernte den Kniff mit dem Messer; aber natürlich mußte er seine Frau erst langsam darin unterrichten, denn die lernte nichts von selbst, das Frauenzimmer. Allein Doktor Muus war nicht besonders begeistert, als er seine Kunst in den Händen des Rechtsanwalts sah, und Gott weiß, ob ein Mann, der so viel aß und so dicke Wurstfinger hatte, ob ein solcher Mann von Familie sein konnte! Wenn der Rechtsanwalt behauptete, einen empfindlichen Magen zu haben, so war das sicherlich nur Getue; Doktor Muus dagegen hatte einen echten schwachen Magen, der von der Verfeinerung durch eine Reihe von Vorfahren hindurch herrührte.
Wie schön sie sangen! sagte Frau Rasch zu den Damen Landmarck, und versuchte Konversation zu machen.
Finden Sie? O ja, gewiß, erwiderte Frau Landmarck. Wir aus dem Süden sind allerdings an ganz anderen Gesang gewöhnt.
Ach, ich meinte nur, aber es ging doch an, es war ganz nett. Ich verstehe allerdings nicht viel davon.
Du bist ja auch so leicht zufrieden zu stellen, liebe Kristine, sagte ihr Mann. Aber über eins freue ich mich, daß wir den Verein zum Wohl von Segelfoß gegründet haben. Darüber freue ich mich wirklich sehr.
Der Doktor verstand es jederzeit jawohl, zu aller und jeder Zeit die richtige Antwort zu geben. Er erhob sein Glas und wünschte seinem Freunde zu seiner Vorstandschaft Glück.
Na ja, erwiderte der Rechtsanwalt gleichgültig, man opfert sich für seine Freunde. Aber jetzt müssen wir einen Basar zustande bringen und Geld verdienen. Das ist das erste. Und ich bitte, auf die jungen Damen Landmarck rechnen zu dürfen.
Dieses Fräulein Holmengraa macht keinen besonders sympathischen Eindruck, bemerkte das eine Fräulein Landmarck.
Nein, das weiß Gott! stimmte das andere Fräulein Landmarck bei.
Meiner Meinung nach kann man eigentlich nicht sehr viel von einer Dame erwarten, die nicht mehrere Generationen von gebildeten Vorfahren hat, erklärte Doktor Muus.
Und dann hat sie eine ganz gelbe Haut! Kommt das von einem schlechten Magen, Doktor?
Hu sprechen Sie nicht von einem schlechten Magen! rief der Rechtsanwalt.
Der Doktor überhörte den Einwurf und antwortete:
Nein, es ist ererbt. Unbedingt ererbt. Wer etwas von der Wissenschaft über die Rassen versteht, kann gar nicht im Zweifel sein. Fräulein Holmengraa hat Indianerblut in ihren Adern, sie ist, was wir eine Quinterone nennen.
Wie merkwürdig, eine Indianerin! rief das eine Fräulein Landmarck.
Ach, wie kann man nur eine Indianerin sein wollen! sagt das andere Fräulein Landmarck.
Mir macht der Lensmann Sorge, sagt der Rechtsanwalt aus seinen eigenen Gedanken heraus. Eines schönen Tages wird es einen großen Krach geben. Ich fürchte, ich werde einmal kurzen Prozeß machen müssen.
Lebt er denn so schandbar über seine Verhältnisse? fragt der Doktor.
Ach er ist ein ! sagte der Rechtsanwalt ärgerlich. Er könnte massenhaft Geld verdienen, aber er weiß nicht, wie er es angreifen muß, und hat er einmal etwas eingenommen, dann versteht er nicht, es festzuhalten. Wie jetzt, da wir, die sich das leisten können, jeder fünf Kronen für das Wohl von Segelfoß gezeichnet haben muß der Lensmann natürlich das gleiche geben! Aber das kann sich dieser Mann eben nicht leisten, fünfzig Öre wären auch genug gewesen.
Ich habe den Telegraphenbeamten heute abend nicht gesehen. Geht er nirgends hin? fragte das eine Fräulein Landmarck.
Kennen Sie ihn? erkundigte sich Doktor Muus.
Nein, wir sind nur einmal dort gewesen und haben telegraphiert, antwortete das andere Fräulein Landmarck.
Nein, er geht nirgends hin, sagte der Rechtsanwalt. Ein Mensch, der keine Besuche macht, wird jedenfalls in mein Haus nicht eingeladen. Es gibt gewisse Formen, an denen gebildete Menschen festhalten müssen, sonst ist schließlich gar kein Unterschied mehr.
Aber das letzte Lied ist mir doch recht nett vorgekommen, sagte plötzlich Frau Rasch. Meinen Sie nicht auch, Frau Landmarck?
Lächelnd und unendlich nachsichtig gibt der Rechtsanwalt seiner Frau Antwort und sagt:
Das ist das Hübsche an dir, Kristine, daß du so leicht zufrieden zu stellen bist.
Frau Landmarck sagt:
Und dieser junge Holmsen, auf dem »Herrenhofe«, wie man hier sagt, es ist ein nettes Wohnhaus dort, aber ein »Herrenhof«! Es gibt hier im Norden wohl nicht viele »Herrenhöfe«. Der Besitzer soll sich ja jetzt wieder hier niedergelassen haben?
Ja, vielleicht, erwiderte der Doktor, als ob er es nicht so recht wüßte und als ob es auch gar nichts Wissenswertes sei.
Er war wohl heute abend auch nicht anwesend?
Nein, auch er gehört zu denen, die sich nicht an die Formen der Höflichkeit binden, erwiderte der Rechtsanwalt. Aber ich habe ihn meiner Frau zuliebe eingeladen man opfert sich ja beständig für die Seinen sie hat ihn ja von Kind auf gekannt. Aber der Erfolg war, daß er nicht kam.
Er hat doch abgesagt und sich entschuldigt, warf seine Frau ein. Mit einer sehr höflichen Karte.
Das fehlte auch noch, daß er nicht einmal höflich und ehrerbietig geantwortet hätte, nachdem ich ihm die Freundlichkeit erwiesen hatte, ihn einzuladen.
Ich weiß nicht, wie es geht, mit diesen Leuten konnte ich nie recht warm werden, sagte Doktor Muus. Auch mit seinem Vater konnte ich mich nicht befreunden, mit einem Mann, der sein Leben als Leutnant beschlossen hat. Er meinte offenbar, er könne zu mir kommen und den Vornehmen spielen da kam er ja an den Rechten!
Das Dienstmädchen Florina trat ein und sagte: Bitte, hier ist ein Telegramm, das ich auf dem Platz gefunden habe, wo der Herr Mühlenbesitzer gesessen hat.
Ein Telegramm an Herrn Holmengraa, es war erbrochen: Puerto Rico den soundsovielten, zweihundertundzwanzigtausend für ein Schiff, für die »Eule«, Antwort bis zu der und der Stunde, Felix.
Felix ist der Sohn des Mühlenbesitzers, erklärte der Rechtsanwalt. Daß er ein so wichtiges Telegramm verlieren konnte! Trag es sofort zu Herrn Holmengraa hinauf, Florina!
Diese große Geldsumme hatte für den Augenblick allen den Mund geschlossen, es war, als ob das Geld mitten auf den Tisch gefallen wäre. Dann fingen sie an, darüber zu reden: Zweihundertundzwanzigtausend mein Gott, welche Geschäfte und Reichtümer, mit denen dieser Mann zu tun hat! Sogar der Rechtsanwalt sagte ganz geschlagen: Der Mann weiß wohl selber gar nicht, wie reich er ist! Alle diese kleinen Leute hatten mit einem Male einen Blick in eine Größe anderer Art als ihre eigene getan, und es dauerte eine Weile, bis sie sich wieder fassen konnten. Der Wundermann Holmengraa hatte ein Telegramm verloren, Florina trug es ihm jetzt nach ja, denn er konnte es doch wohl nicht mit Absicht verloren haben?
Frau Landmarck vom Pfarrhaus verfolgte wohl ihren eigenen Gedankengang, sie sagte zu ihren Töchtern: Felix das ist ein schöner Name, nicht wahr, Kinderchen?
Jawohl, den Kinderchen gefiel der Name auch: Kommt er niemals nach Hause? fragten sie.
Nach Hause? Er ist doch zu Hause, sagte Doktor Muus entrüstet. Bei seinen Stammesgenossen, fügte er hinzu.
Vom Park her hörte man noch Gelächter und kleine verliebte Aufschreie; ganz spät in der Nacht war es also noch nicht. Als sich aber die Schreie wahrhaftig immer wiederholten und nicht enden zu wollen schienen, sagte Doktor Muus zum Rechtsanwalt:
Hören Sie, sind das Ihre Wähler, mit denen Sie Nachsicht haben müssen?
Das traf, und der Rechtsanwalt sah einen Augenblick aus, als sei er durchschaut, dann sagte er:
Ich muß sagen, ich gönne dem Volke sein Vergnügen, wenn wir das unsrige haben.
Weiser Kadi, du hast richtig gesprochen, und deine Worte sind das lautere Gold, erwiderte der Doktor und machte damit wieder gut, was er verfehlt hatte. Wir andern wollen gerne bedingungslos für Sie stimmen, Sie haben es verdient. Mißverstehen Sie mich nicht.
Es ist allerdings kein Zweifel, daß die da draußen mehr als nur Tee und Butterbrot genossen haben, meinte der Rechtsanwalt versöhnt. Ich habe es den ganzen Abend über gemerkt. Jetzt will ich
Er stand auf und rief von der Veranda aus in die Dämmerung hinein, jedermann müsse jetzt den Park verlassen und heimgehen. Und: Ich danke euch, daß ihr gekommen seid!
Ja, der weise Kadi, er hätte sein Gartenfest doch lieber nicht so spät im Sommer geben sollen. Wohl war es noch lind und mild, aber es war auch schon dunkel genug zu dem und jenem, die Pflanzungen hatten gelitten, die Grasplätze hatten gelitten, der Kies in den Wegen war an vielen Stellen sehr verwühlt. Und als die Segelfosser Zeitung herauskam, stand ein Leitartikel darin, daß Rechtsanwalt Rasch seinen Park nie mehr zu einer Volksbelustigung öffnen werde. Das sei sehr beklagenswert, schrieb das Blatt, denn der Herr Rechtsanwalt und das Volk hätten stets in gutem Verhältnis zueinander gestanden, aber nun habe das Volk selbst dieses schöne Verhältnis zerstört. Nach dem Feste seien die Anpflanzungen zum großen Teil niedergedrückt gewesen, und nicht weniger als achtzehn Nackenkämme seien in den Gebüschen gefunden worden, darunter einer mit einer roten Perle. Daß dies eine Abscheulichkeit ist, kann nicht geleugnet werden, schrieb das Blatt, und unserer Ansicht nach müßte das Volk Herrn Rechtsanwalt Rasch dadurch einigermaßen schadlos halten, daß es ihn jetzt zur Wahl aufstelle. Alle Mann herbei!
Den Rechtsanwalt wählen?
Aber der weise Kadi hätte nicht so lange mit seinem Feste zögern sollen, die Abende waren schon recht dunkel, und in der Dunkelheit geschieht gar vieles. Weshalb hatte die Elster denn so entsetzlich geschrien? Ho, wegen nichts Geringerem als einem Einbruch bei Herrn Holmengraa, während er und seine Leute bei dem Feste waren und das Haus verlassen stand, Einbruch in sein Vorratshaus, schwerer Diebstahl, Fleisch und Speck und Käse und Butter und Rauchlachs und Leckerbissen in Töpfen, große Fleischstücke, von allem etwas. Ja, das hatte das Geschrei der Elster verkündigt!
Als Frau Irgens nach Hause kam, ging sie sofort an den Schlüsselkasten ja, alle Schlüssel waren da. Frau Irgens war eine tadellose Haushälterin, und vielleicht hatte sie auch eine Ahnung gehabt, jedenfalls fand sie keine Ruhe, solange der kleine Vorratshausschlüssel, der abhanden gekommen war, fehlte. Sie nahm also ein Licht und ging an das Vorratshaus. Da sah sie ja sofort, was geschehen war, und ihr Geschrei rief das ganze Haus zusammen; es rief auch den Lensmann herbei, der gerade anwesend war, und der Lensmann ergriff das Licht, untersuchte alles genau und fand heraus, was herauszufinden war. Leider war es nicht viel, mögliche Fußspuren auf dem Hofplatz waren durch andere Fußtritte verwischt, und der Dieb hatte kein Erkennungszeichen zurückgelassen. Aber so viel entdeckte der Lensmann doch, und übrigens die andern auch, daß das kleine Vorlegschloß an der Vorratshaustür geöffnet worden war, das Yaleschloß, das die ganze Zeit her unberührt an der Tür gehangen hatte, das aber nun frische Zeichen im Rost um das Schlüsselloch herum aufwies. Das Schloß war vollständig in Ordnung, es war also mit dem Schlüssel geöffnet und wieder zugeschlossen worden.
Wenn Sie doch ein Schloß aus der Stadt mitgebracht hätten, Herr Holmengraa! rief Frau Irgens weinend und jammernd. Aber es ist meine Schuld, sagte sie, und sie weinte und jammerte noch mehr. Ich hätte den Schlüssel niemals aus der Hand lassen und ihn auch nachts bei mir haben sollen.
Ja, es entstand ein großes Durcheinander; aber Herr Holmengraa selbst nahm die Sache mild und ruhig und meinte, man werde sich schon wieder etwas gepökeltes Fleisch verschaffen können. Kommt, wir wollen jetzt alle hineingehen! Kommen Sie, Lensmann!
Aber während sie noch herumstanden, kommt der Knecht Martin vom Herrenhof her, und er hat das Wort Diebstahl kaum vernommen, da sagt er so laut, daß alle es hören können:
Schweigen.
Meinst du? fragte der Lensmann.
Ja, das meine ich! Und der Knecht Martin hatte augenscheinlich nicht die geringste Lust, Lars Manuelsen zu schonen.
Hast du es gesehen?
Ja, ich bin ihm mit seiner Last begegnet. Und Ole Johan ist ihm begegnet, und unser Petter, der Halblappe, ist ihm begegnet. Wir sind ihm alle drei begegnet, wir gingen zusammen.
Wo habt ihr ihn getroffen?
Hier! antwortete der Knecht Martin und machte einige rasche Schritte hinüber auf die Straße.
Der Lensmann hielt das Licht in die Höhe und ließ seinen Schein auf Herrn Holmengraas Gesicht fallen, stellte aber keine Frage. Herr Holmengraa sagte kein Wort.
Weshalb wart ihr denn so spät am Abend noch hier oben? fragte der Lensmann.
Der Knecht Martin antwortete: Nicht um irgend etwas zu stehlen. Wir stehen in Lohn und Brot auf dem Gute Segelfoß und bei Willatz Holmsen. Nein, so ist es zugegangen: Wir hörten die Elster furchtbar schreien, und da sagte Ole Johan er war gerade bei uns und er will ja immer alles wissen kommt, laßt uns nachsehen, was die Elster so zu schreien hat! Und so sind wir heraufgegangen.
Wieder leuchtete der Lensmann Herrn Holmengraa ins Gesicht; aber Herr Holmengraa sagte kurz angebunden: Wir wollen nicht länger dastehen und schwatzen. Damit ging er ins Haus.
Der Lensmann stellte noch einige Fragen, gewissermaßen als Abschluß.
Lars, sagst du? Hat er euch angeredet oder habt ihr etwas gesagt?
Ich sagte guten Abend, er aber brummte nur etwas und machte, daß er weiterkam. Mehr ist nicht gesprochen worden.
Und ihr habt ihn deutlich erkannt?
Wir können einen Eid darauf ablegen, wenn es verlangt wird. Guter, lieber Herr, wir alle kennen Lars Manuelsen und seine Wamsknöpfe und seine Perücke. Er trug einen steinernen Topf unter dem einen Arm.
Das war der Topf mit dem Eingemachten! rief Frau Irgens. Die Himbeeren! sagte sie. Ach Gott, wenn er doch mir in die Hände gelaufen wäre!
Fräulein Mariane nahm den Lensmann mit sich und ging hinein. Die Leute trennten sich.
Aber obgleich Herr Holmengraa auch später nie mehr ein Wort über den Diebstahl oder den Täter sprach, so erscholl das Gerücht davon doch über Stadt und Land. Es wußten zu viele Leute davon. Die Segelfosser Zeitung konnte auch nicht darüber schweigen, sie brachte die Neuigkeit in einem überlegenen juristischen Artikel, von dem man annahm, daß ihn Rechtsanwalt Rasch selbst geschrieben habe; es war wirklich ein Haß und Wut schnaubender Artikel.
Es erhob sich ein großes Geschrei darüber. Aber der Täter mußte sich außerordentlich sicher fühlen, es war etwas Offenkundiges, etwas beinahe Drohendes an der ganzen Geschichte. Das Hotel Larsen hatte ganz sicherlich etwas von den feinen Fleischwaren abbekommen, denn es wurde mit einemmal ein ganz ungewöhnlich gutes Hotel, wenigstens behaupteten das einige Geschäftsreisende, die mit Herbstartikeln in den Laden kamen, sie sagten, sie hätten niemals erwartet, ein derartiges Hotel hier am Platz zu finden, und sie würden es überall empfehlen. Wie konnte das Hotel Larsen plötzlich seinen Gästen delikaten Rauchlachs und Rollschinken und eingemachte Himbeeren vorsetzen? Ob das nicht mit Herrn Holmengraas letzter Nachtlauferei zusammenhing? Ja, wie sonst? Manuelsen war Daverdanas Vater und der Hotelwirt Julius ihr Bruder, vielleicht wußten beide genau, was sie wagen durften.
Aber Segelfoß war umgekrempelt: es war nicht mehr das stille und unschuldige Segelfoß von einst. Unschuldig? Segelfoß ist ein Lasterpfuhl geworden, sagte sogar Lars Manuelsen, und ich werde das dem Lassen schreiben, meinem Sohn. Und still? Nein, hier war es nicht still, hier geschah allerlei im kleinen, und obgleich der Ort nicht groß war, ereigneten sich Umwälzungen, Schicksale.
Und nun ereignete sich das Fest des Ladentheodors auf der Insel. Dieses Eiderdaunenfest, das Theodor in seinem Kopf ausgebrütet hatte, einzig und allein, um das Fest des Rechtsanwalts herunterzusetzen und darauf zu pfeifen, jetzt wurde es verwirklicht. Und wenn sich jemand einen unübertrefflichen Festplan auszudenken vermochte, so war das Theodor. Aber er hatte keineswegs die Absicht, die ganze Herrlichkeit eines Tages draußen auf einer öden Insel zu verpuffen: vor allen Dingen sollten sein Name und sein Geschäft vor den Augen von ganz Segelfoß strahlen und leuchten, deshalb hatte er noch etwas im Hintergrund, hier am Ort noch nie gesehen und erhört: ein Feuerwerk!
Ach, dieser mit allen Wassern gewaschene Theodor!
Er war jetzt sehr in Anspruch genommen, sein neuer Kramladenpalast war beinahe fertig, und sobald alles Gold und aller Lack getrocknet waren, konnte er einziehen. Er hatte keine Zeit mehr, selbst am Ladentisch zu stehen. Ein Mann wollte Gelatine kaufen. Er war von einem Bergdorf und hatte schon früher Gelatine gekauft: Gebt mir noch fünf Pakete von demselben wie neulich. Warte, bis wir vom Fest zurückkommen, erwiderte Theodor. Siehst du nicht, daß ich geflaggt habe? Warum wird denn geflaggt? Das wirst du dann schon noch erfahren.
Er hatte geflaggt zu Ehren von Anton Coldevin, und auch zu Ehren des Festes. Früher einmal hatte er den Bedienten Kornelius zwei Tage auf dem Flaggenhügel stehen lassen und den Leuten mit seiner Geheimniskrämerei die Seele aus dem Leib gepeinigt; damals hatte es dem großen Geschäftsreisenden mit eigenem Dampfer gegolten, aber jetzt? O, etwas noch nie Dagewesenem! Das Postschiff war angekommen, und der Kollege Anton Coldevin war angekommen, doch Theodor hatte immer noch die Flagge draußen. Aber paßt nur auf, dieser Theodor wußte immer, was er tat! Er führte die Leute nie ganz an der Nase herum, es war immer etwas dahinter, wenn er was im Sinn hatte.
Der Nachmittag war sonnig und windstill, fünf Boote waren klar, die Jugend aufzunehmen, und es wurde belebt an der Lände. Auch verschiedene von den jungen Arbeitern des Mühlwerks hatten frei bekommen, und jeder kam mit seinem Mädchen an; Fräulein Mariane hatte wohl diesen halben Feiertag für die Arbeiter herausgeschlagen, weil sie selbst mit dabei sein wollte. Ja, da kam sie wahrhaftig und Anton Coldevin mit ihr, sie hatte ohne weiteres nachgegeben und war mit ihm gegangen.
Ohne weiteres? O, keineswegs! Anton war am Abend angekommen, hatte sich ins Hotel verfügt und war dann sofort zu ihr gegangen. Ob sie morgen mit ihm zu dem Eiderdaunenfest gehen wolle?
Nein, lieber Gott, sind Sie denn verrückt? sagte sie.
Darauf antwortete er:
Es scheint mir, als stünden mein Vergehen und Ihr ungeheueres Erstaunen darüber in keinem Verhältnis zueinander.
Sie meinen, ich hätte so etwas von Ihnen erwarten können?
Jawohl, wir wollen einmal so sagen. Ich bin nur zurückgekehrt, wie ich damals gesagt habe.
Und im Grunde mußte sie doch Bewunderung fühlen für die Entschlossenheit und Tatkraft dieses Mannes. Er vertat nicht sein Leben mit Überlegungen; wenn er etwas sagte, dann meinte er es auch. Hier stand er nun wieder, nach einer dreitägigen Reise.
Ich werde Ihnen morgen Antwort geben, sagte sie.
Danke, sagte er. Und versprechen Sie mir, meiner Sache heute nacht bei Ihnen keinen Abbruch zu tun! Seht, dieser Mann Coldevin war ja nicht auf den Mund gefallen, durchaus nicht!
Aber am nächsten Morgen wurden sie einig, und hier kam nun das Paar. Theodor im Laden ging ihnen entgegen und grüßte schon von weitem. Ach, Theodor zitterte vor Freude und Erregung, und natürlich würde er sich zu einem Allüberall machen! Seht, jetzt meint er, es gehe an, halb scherzhaft zu reden, und als Mariane guten Tag sagt, antwortet Theodor: Guten Tag, guten Tag und herzlich willkommen! Aber er war dann auch äußerst höflich und sprach von Dankbarkeit, ja von Erhebung.
Als die Boote abstießen, hatte Theodor eine Überraschung für Stadt und Land: er ließ eine Salve abgeben! Ja, und das waren nicht gewöhnliche Schüsse aus Hasenflinten, er hatte an verschiedenen Orten auf den Felsen Minenlöcher mit Dynamit laden lassen, und dies ließ er jetzt abfeuern. Die Erde bebte. Die Leute riefen Hurra! Es ist gerade, als ob der König auf Reisen wäre, sagte Mariane. Ja, die Königin! erwiderte Anton und verbeugte sich vor ihr. Ich habe noch zehn andere Schüsse in Bereitschaft, wenn wir zurückkommen, erklärte Theodor und griff an seinen Hut. Aber seht nur an, jetzt nimmt er die Decke vom Grammophon, und aus der Trompete braust es God save the King the Queen! sagte Anton und verbeugte sich. Und Theodor griff an seinen Hut.
Armer kleiner Theodor, er war ja schließlich auch noch da! Arm? Ho, er war Goldes wert. Er lief hin und her und hatte affektierte Einfälle; jetzt meinte er in seiner Verwirrung, er müsse munter und weltgewandt sein, und da zeigten sich höchst sonderbare Auswüchse. Aber der Junge hatte sein Gewicht an anderen Stellen, dort wog er ein Dutzend auf. Solche Schüsse und solche Musik und solch ein Fest! dachte er. Und daß ganz Segelfoß dasaß und vor Neid verging, daran zweifelte er nicht einen Augenblick. Da hatte er ein ganzes Boot nur mit Eß- und Trinkwaren befrachtet; das Boot wurde von dem Hotelwirt Julius, dem Bäcker und dem Schuhmacher Nils geführt, diese drei sollten die Aufwartung besorgen.
Es kommt uns noch ein Boot nach, bemerkte Fräulein Mariane.
Das ist unsere Verpflegung, erklärte Theodor und griff an den Hut.
Er griff beständig an den Hut und hielt die Hand daran wie ein Soldat, der seine Ehrenbezeigung macht. Plötzlich und ganz von selbst war er darauf verfallen, und das war ein verflucht netter Einfall! Später am Abend verfiel er noch auf etwas anderes: wenn er den Aufwärtern mit lauter Stimme einen Befehl gab, so schloß er mit seinem Namen, als ob er unterschriebe! Theodor Jensen! sagte er in aller Munterkeit und Artigkeit. Er hatte sich in einen neuen gestreiften Anzug geworfen und war unwiderstehlich. Auch hatte er ein Paar Stiefel an weiß Gott, ob er sie aus China oder aus Wien hatte kommen lassen. Aus Wien, sagte Theodor. Und die Stiefel waren sehr spitz und ganz durchsteppt, und über den Knöcheln waren sie aus gelbem Samt, sie waren sehr ausgesucht, und es fehlten nur noch silberne Glöckchen dran.
So ging es denn dahin unter allerlei Lustigkeit und Liedern und Sonnenschein. Bei den Mädchen zeigte sich heute etwas Merkwürdiges: Fast keine von ihnen trug ihren Aufsteckkamm. Aber deshalb waren sie doch alle ebenso vergnügt, ja es war, als seien Aufsteckkämme im Diesseits vollständig aus der Mode gekommen. Und so war die Stimmung durchweg. Die See lag ganz still da wie eine riesige Zinnplatte, auf die die Sonne schien. Aus der Umgegend stießen noch mehrere Boote zu ihnen, und alle waren willkommen. Wir haben heftig schießen hören, sagten sie. O ja, sagte Theodor. Es gab ein wahres Gewimmel von Menschen, und es war sehr gut, daß ein ganzes Boot mit Mundvorrat dabei war.
Aber nun kam ihnen ein neues Fischerboot entgegen; das kam von Utvär, und da es blank und geölt war und die Sonne darauf schien, sah es aus wie ein kleines Schiff mit vergoldeter Brust. Das waren die Damen von Henriksen auf Utvär. Wir haben ein gewaltiges Donnern und Schießen gehört, sagten sie. Ausgezeichnet! sagte Theodor und griff an den Hut. Wir feiern ein Fest, bitte, kehren Sie um und kommen Sie mit uns, ehrerbietigst Theodor Jensen!
Sie kamen mit, alle kamen mit, der Gastgeber war unwiderstehlich.
Willatz hätte benachrichtigt werden sollen, sagte Mariane zu Anton. Vielleicht wäre er auch mitgekommen.
Ich wage mich diesmal bei Willatz überhaupt nicht zu melden. Ich habe ihn schon das letztemal so sehr bei seiner Arbeit gestört, erwiderte Anton. Diesmal halte ich mich inkognito hier auf.
Warum haben Sie Ihre Schwestern nicht mitgenommen, Theodor? fragte Mariane.
Theodor vergaß an den Hut zu greifen: Meine Schwestern? Nein, Fräulein Holmengraa, meine Schwestern versuchen, mich aus dem Haus zu werfen, sie sind verrückt, sie ruinieren nur sich selbst, aber nicht mich. Ich habe jetzt bald meine eigene Firma. Darauf erklärte Theodor alles eingehend, und er spielte sich nicht weiter auf, hier war er auf sicherem Grund. Zuletzt erklärte er, daß er nicht einmal mehr seine Mahlzeiten zu Hause einnehme, sondern im Hotel, alles nur seiner Schwestern wegen.
Die Sonne sinkt rasch, und es ist ein überwältigender Sonnenuntergang; diese Röte ist mehr als nur Gold und Blut, sie sinkt wie ein lautloses Dröhnen ins Meer. Auf einer Schäre sitzen zwei große Möwen, die Brust der Abendröte zugewendet, sie sind wie aus Rohseide. Sie drehen die Köpfe und die Augen nach den Booten, stiegen aber nicht auf. Mariane zeigt sich im ganzen etwas gedankenvoll, sie sagt: Was die Möwen doch für geheimnisvolle Wesen sind! Sie leben in ihrer Welt und sind darin vielleicht angesehene Vögel. Und wenn sie sterben, werden sie vielleicht in der Möwenwelt sehr vermißt!
Merkwürdige Worte, die Theodor wohltaten und ihm außerordentlich freundlich vorkamen. Er hatte ein kleines Geschenk für Fräulein Mariane mitgenommen, weil sie so reizend gewesen war, heute mitzugehen. Ach, nur ein einziges kleines Taschentuch für fünfunddreißig Kronen, und der Geschäftsreisende hatte gesagt, das könne er gut einer Prinzessin verehren. Aber nun mußte er es so einrichten, daß Fräulein Mariane ihr eigenes Taschentuch im Laufe des Abends verlor.
Sind wir noch nicht bald da? fragte Anton.
Doch dort, wo Sie die Flagge sehen.
Haben Sie hier auch geflaggt?
Das ist nicht das einzige. Sobald es dunkel wird, zünden wir Fackeln und Papierlaternen an.
Es zeigte sich, daß Theodor Leute vorausgeschickt hatte, von denen alle Vorbereitungen getroffen worden waren. Sie steigen an Land und gehen zur Hütte hinauf. Sofort erschienen Kuchen und Wein und Gläser zu einer kleinen Herzstärkung. Und während nun Köche und Mundschenke Feuer anzünden und zu decken anfangen, führt Theodor seine Gäste auf der Eiderdauneninsel umher. Er ist der Stammgast hier und kennt alles. Das war einstmals unsere Dauneninsel, denken die Damen von Utvär. Und das war ganz richtig. Aber eines Tags war Henriksen in Utvär in große und schwere Schulden geraten, und da ging die Dauneninsel in die Hand des Ladentheodors über. Alles geht von Hand zu Hand.
Die Insel ist jetzt unbewohnt, die Vögel sind fortgezogen, ihre Nester stehen leer, die Daunen sind zum letztenmal eingeerntet, nur die kleinen Dächlein über den Nestern standen noch da und warteten auf die Wiederkehr der Vögel im nächsten Jahr. Ein verspäteter Austernfischer lief auf seinen langen roten Beinen davon und piepste, und die Möwen wiegten sich um die Insel her auf dem Wasser.
Alles war überall das gleiche und bald untersucht, der Abend fing an zu dämmern, in der Hütte wurden bereits Fackeln und Laternen angesteckt. Seht, die drei Mann beim Mundvorrat hatten ihre bestimmten Anweisungen, und sie machten ihre Sache gut. Der Bäcker hatte ja seine eigene Bäckerei an des alten Ladenpers Weinschank vertrunken, darum waren ihm heute abend nur Brot und Backwaren anvertraut. Aber der Hotelwirt Julius hatte für das Getränke einzustehen. Da hatte er nun Wein und feine Gläser für die in der Hütte drin, und für die draußen an den langen Tischen Brauselimonade mit Sprit. Echten Traubensprit! sagte Theodor und ließ die Leute die Aufschrift lesen. Ja, der Theodor, der ist keck, murmelte die Jugend unter sich. Und als der Mundvorrat zum Vorschein kam welche Herrlichkeiten hatte das Hotel Larsen da geliefert! Und die Leute tranken Brauselimonade mit Sprit darin und aßen Butterbrot mit Räucherlachs und Schweinsrouladen und eingemachte Himbeeren dazu, und sie hatten ja so viel von diesen Leckereien gehört, daß ihnen jetzt vor Lachen die Tränen über die Backen hinunterliefen. Wenn wir dafür nur nicht eins auf die Perücke bekommen! sagten sie und waren sehr zart in ihren Andeutungen. Aber nachdem sie noch mehr getrunken hatten, wurden sie dreister und sagten: Wenn wir nur nicht dafür ins Loch kommen! Julius war drinnen in der Hütte beschäftigt, so daß keiner der boshaften Scherze an seine Ohren drang; er tischte den Herrschaften auf, so viele da drin Platz fanden, wartete ihnen mit Theodors feinsten Konserven auf und dazu mit kaltem Geflügel und Marmeladen und auf dreierlei Art zubereiteten Eiern und Zwieback nebst eingemachten Multebeeren. Und er bot Bier und Rotwein als Getränk und zum Geflügel brachte er einen Korb voll Champagner. Julius hatte sich das herrlich aus dem Kochbuch herausstudiert und sich auch bei den Geschäftsreisenden erkundigt.
Ach, welch ein Fest! Und wenn die Leute an das Fest von Rechtsanwalt Rasch dachten, so waren sie nur etwas zu schüchtern, um darüber zu schimpfen.
Alles schickte sich gut für Theodor; das Wetter war für den vielen Traubensprit gerade ein wenig kühl, es war die Jahreszeit, wo die Büsche ihre Blätter fallen lassen; die Mädchen waren sehr nett, sie loderten für diesen Herbst zum letztenmal auf, und die Burschen löschten die Fackeln allemal wieder aus, so oft Schuhmacher Nils sie auch wieder anzündete, denn es war so hübsch dämmrig ohne Licht. Dann ging ein Paar nach dem andern seines Wegs, und da es etwas kühl war, mußten sie sich niederlassen und Wurzel schlagen und sich eng auf der Erde zusammendrängen, um nicht zu frieren. Am Himmel strahlte ein Stern nach dem andern auf, und da und dort auf der Insel glühte eine Zigarette auf.
Schuhmacher Nils war wieder ganz dünn und elend geworden; er hatte wohl seit der Theateraufführung im Frühjahr bis jetzt, wo er Fackelanzünder und Aufwärter auf der Insel war, nichts mehr verdient. Und nun hinderten ihn die verrückten Menschen daran, seine Arbeit gewissenhaft auszuführen. Er geht in die Hütte hinein und verklagt sie: Sie löschen mir die Fackeln immer wieder aus, ich zünde an und zünde an, und sie löschen sie aus. Um ihn zum Schweigen zu bringen, geht Theodor mit ihm hinaus und untersucht die Sache. Hier ist ja fast gar niemand, sagt Theodor. Aber zünde nur wieder an. Jetzt kommt auch Julius aus der Hütte heraus, er tritt sofort zu Theodor und flüstert: Ich habe ihr Taschentuch! Alles geht nach Wunsch, Theodor zieht das Grammophon wieder auf und läßt eine Masurka ertönen, um die Herumtreiber zu einem Tanz auf der Wiese zurückzurufen. Ja, er kommt nicht einmal aus dem Häuschen über den Bäcker, der die Gelegenheit wahrgenommen und eine Spritflasche am Schopf ergriffen hat und bereits prachtvoll betrunken ist.
Dann kehren die Pärchen allmählich aus der Umgegend zurück, und nachdem sie eine neue Herzstärkung zu sich genommen haben, fangen sie an zu tanzen. Es war unglaublich lustig; sie lachen, sie kreischen, sie rauchen Zigaretten, ah, welch ein Fest! Ja, dieser Theodor! Sogar die Damen von Utvär treten aus der Hütte und drehen sich einmal mit dem Burschen im Kreis herum und kümmern sich um nichts.
Aber als nun alle die Hütte verlassen haben, da sitzt nur noch die feine Herrschaft an dem abgegessenen Tisch, nur noch Fräulein Mariane und Anton Coldevin. Mariane hat sich halb auf eine Bank an der Wand gelegt, und Anton sagt zu ihr:
Endlich allein!
Darauf gab Mariane keine Antwort, sie warf ihm aber einen raschen Blick zu. Da sagt er wieder:
So einen Blick ja, den können nur Sie ordentlich ausführen.
Soso.
Glauben Sie, daß ich Ihren Herrn Vater diesmal zu Hause treffe? fragt er.
Haben Sie wirklich im Sinn, uns aufzusuchen?
Gewiß. Aber wollen Sie gelegentlich Ihrem Herrn Vater mitteilen, daß ich mit dem »Goldfisch« Glück gehabt habe? Sagen Sie, ich hätte richtig disponiert und hätte Glück gehabt.
Mariane nickte. Anton rückte näher zu ihr hin und sagte:
Ich hatte mir gewünscht, daß Sie und ich zusammen einen Weg gingen, und daß dann ein Regen käme, damit wir unter einem Regenschirm miteinander weitergehen müßten.
Soso, sagte sie. Und Sie haben also Glück gehabt. Sie haben viel Geld verdient?
Oh ja!
Könnten Sie dann nicht einem Manne hier ein wenig aushelfen?
Anton fühlte sich überrumpelt. Einem Mann? Wer ist es? Kenne ich ihn?
Das weiß ich nicht. Aber er braucht sicher Geld, ich weiß nicht, tausend Kronen vielleicht.
Hm. Ja aber es gibt doch gewiß Leute hier, die der Sache näher stehen als ich, der nicht einmal von hier ist. Aber selbstverständlich. Hat er ein verpfändbares Eigentum?
Ein Pfand? Nein, ich hatte an ein Geschenk gedacht, an ein anonymes Geschenk.
Da lächelte Anton. Das wird so völlig ungeschäftsmäßig, daß ich mich nicht darauf verstehe. Nein, das wird mir zu künstlich.
Na, sagte sie.
Ich ahne Artisterei und vergangene Jahrhunderte.
Ich kenne jedenfalls einen, der nicht nach einem Pfand gefragt hätte, sagte Mariane.
Richtig! erwiderte Anton und wurde hitzig. Den kenne ich auch. Aber er ist kein Geschäftsmann, er ist gar nichts.
Er ist Goldes wert! sagte Mariane. Sie warf rasch die Beine herunter und saß nun auf der Bank.
Gold! Keineswegs, nicht einmal Silber. Er muß seinen Wald schlagen lassen, um auszukommen.
Da lächelte Mariane; aber Anton merkte nichts, er fuhr fort:
Gold? Nein, er hat Musikinstrumente und Scheren und Bürsten und viele Paar Handschuhe und allerlei Gegenstände aus Malachit und Onyx, aber Gold, Wertsachen
Irgendein Pfand? schlug Mariane vor, und ihre länglichen Augen wurden schmal wie Messerklingen.
Ja, irgendein Pfand, hat er das? Irgendwelches unverpfändetes Eigentum? fragte Anton.
Aber sind Sie denn nicht Freunde? fragte sie verwundert.
Doch, aber glauben Sie nicht, ich hätte ihm einst schon so ziemlich die Wahrheit ins Gesicht gesagt? O, viel mehr? Er stammt aus dem vorigen Jahrhundert, er faselt von Kunst und Natur und von Staatswesen und vom ethischen Leben. Das tu' ich nicht. Ich gehöre dieser Welt an, treibe Handel und Wandel, verdiene Geld und gebe es aus. Tausend Kronen für einen Mann? Selbstverständlich, wenn Sie befehlen. Ich meinte nur, der Gedankengang selbst sei veraltet und töricht. Aber selbstverständlich, tausend Kronen, wenn Sie es wollen. Ich werde morgen früh sofort danach telegraphieren. Bin ich nun nicht nett? fragte er und rückte noch näher zu ihrer Bank hin.
Gut, also tausend Kronen, sagte sie; und sie war äußerst listig und verstellte sich. Nein, rücken Sie etwas weiter weg, dorthin ja, so ist's recht. Sehen Sie, ich wollte mich nicht gerne an meinen Vater oder an Willatz wenden.
Willatz! rief Anton. Er hat nicht einmal tausend Kronen!
Nicht?
Nein, wahrhaftig nicht. Das können Sie ihm von mir ausrichten!
O, dieser Willatz hat mehr als Sie glauben.
Der Willatz? Wirklich! So, er hat mehr? Gut für ihn, wenn es so ist. Übrigens muß ich Ihnen sagen, ich verstehe Ihre ganze Willatzerei nicht. Es könnte höchstens sein, daß er Ihnen leid tut, daß Sie seine Ungefährlichkeit zu schätzen wissen. Sehen Sie denn nicht ein, daß er Sie an der Nase herumführt? Hören Sie auf einen guten Rat, Mariane! Jawohl, ich bin hergekommen, um es Ihnen zu sagen, ich bin nicht des Festes wegen gekommen, Ihretwegen bin ich hergekommen, und da bin ich. Jawohl, ich rücke näher zu Ihnen hin, denn ich will mich Ihnen zu Füßen werfen, sehen Sie! Wie, das geht nicht an? Meiner Meinung nach geht es sehr gut an, Sie dürfen mich wohl anhören. Ich wollte mich nicht früher hervorwagen; aber nun habe ich mit dem »Goldfisch« ein so gutes Geschäft gemacht. Es liegt mir nicht, mich in Reden über Liebe und schlaflose Nächte und dergleichen mehr zu ergehen; aber ich bin seit meinem ersten Ferienaufenthalt auf Segelfoß in Sie verliebt gewesen, und jetzt müssen Sie mich anhören, Mariane! Ich will nicht behaupten, daß ich viele Verdienste hätte, gewiß nicht, aber etwas kann ich Ihnen immerhin bieten. Willatz kommt für mich überhaupt nicht in Betracht. Die Entscheidung liegt zwischen Ihnen und mir allein.
Ach was wollen Sie? Hören Sie doch auf!
Rücken Sie nicht weg! Ich schließe, indem ich Ihnen den Antrag eines vernünftigen Mannes mache: Nehmen Sie meine Hand, ich habe sie noch niemals einer anderen angeboten.
Nein! sagte Mariane. Und nun wollen wir nicht mehr davon reden.
Ich habe diese weite Reise gemacht, einzig und allein, um Sie zu bekommen, um Sie zu gewinnen.
Sie sind wohl verrückt!
Sprechen Sie ernsthaft, Mariane. Ich biete Ihnen meine Hand, dabei ist doch nichts Verrücktes; wir kennen einander von Kindheit an, ich habe seither auf Sie gewartet und wollte mich nur nicht vordrängen. Willatz kommt für mich dabei überhaupt nicht in Betracht.
Aber für mich!
Unsinn! Sie wissen ganz gut, daß das unmöglich ist. Wenn es noch dieser Kaufmann wäre vielleicht ist es der Kaufmann?
Nein, es ist Willatz, sagte sie und stand auf. Kommen Sie, wir wollen hinausgehen!
So hören Sie doch! rief er und stand ebenfalls auf. Der Lampenschein fiel ihm in die Augen und tat ihm weh. Hören Sie doch diese Klavierspieler ohne Zukunft ich will ja gar nichts über den einzelnen sagen, weil er nicht hier anwesend ist, sondern etwas im allgemeinen. Wenn die Damen für sie schwärmen, so ist das das Lächerlichste, was man sehen kann. Es ist wirklich schmählich. Einer Frau ist mit einem Musiker weniger gedient als mit einem Konfirmanden. Sie können nichts als spielen, es sind gar keine Männer.
Aber sind Sie ein Flegel!
Er schlug nach der Lampe an der Decke, und sie standen im Dunkeln. Was sollte das heißen? Sie war nicht für ihn zu haben, sie knurrte. Gewalt nützte ihm nichts, und auch keine Zudringlichkeit, das nützte ihm weniger als alles andere. Der nächste Augenblick war die reinste Enttäuschung; er machte sie wehrlos, indem er sich über sie warf und ihr den Mund mit Küssen schloß, sie fest in seine Arme faßte da fühlte er plötzlich einen Stich, einen Schmerz im Schenkel und ließ sie los. Hatte sie ihren silbernen Pfeil gebraucht? Sie hatte keinen silbernen Pfeil mehr, sie hatte mit einem Messer gestochen. Sie war in seinen Armen, aber sie wollte ihm wohl nicht in die Hände fallen, war es das? Doch sie hatte geknurrt, ehe sie zustach.
Theodor stand unter der Tür. Ich hörte ist die Lampe zersprungen?
Ich habe sie zerschlagen, erklärte Anton.
Ich bringe sofort eine andere.
Mariane ging vor die Hütte, und Anton folgte ihr ins Freie. Die Erregung legte sich, sie ordneten beide an ihren Kleidern, Anton fühlte nach seiner Wunde und atmete noch immer schwer. Aber Mariane atmete nicht schwer und war auch nicht weiter angegriffen.
Haben Sie mein Taschentuch? fragte sie und streckte die Hand nach rückwärts, ohne ihn anzusehen.
Was? Ihr Taschentuch? Nein, aber ich will danach suchen.
Sie sprach mit ihm, sie haßte ihn also nicht, verabscheute ihn nicht, der Teufel verstehe dieses Mädchen, dieses Mestizenmädchen! Aber nun war er dankbar für ihre Ruhe und fühlte sich von ihrer Überlegenheit geschlagen. Sie hatte nicht geschrien, sie hatte nur geknurrt, ehe sie stach, und nun fragte sie nach ihrem Taschentuch! Ihre Schönheit war keine offenkundige und alltägliche, nein, sie war gelb und von indianischem Gesichtsschnitt, schlecht in der Zeichnung und schlecht in der Farbe, unklassisch. Aber als er sie in den Armen hielt, hatte er gefühlt, daß sie schön war, er hatte empfunden, daß eine große Süße in ihrem Leib und in ihren Bewegungen war. Er wollte in ihren Ton einstimmen und sagte nur:
Bitte, vergessen Sie es!
Natürlich, erwiderte sie.
Ich danke Ihnen. Aber das war, bei Gott, das Originellste, was mir je vorgekommen ist. Haben Sie ein Messer gebraucht?
Nein, eine Gabel, antwortete sie und zeigte, daß sie sie noch immer in der Hand hielt. Bitte, legen Sie sie wieder hinein auf den Tisch! sagte sie.
Er ergriff die Gabel und zählte die Zinken:
Eins, zwei ich habe also drei ich habe also vier Löcher in mir.
Aber nun mochte der Teufel sich auf dieses Mädchen verstehen, sie wendete sich ihm zu und sagte: Bitte, vergessen Sie es!
Theodor kam mit einer Lampe, und Anton ging ihm nach. Mariane stand vor der Hütte und sah dem Tanzen zu. Entschuldigte sie das Benehmen des verrückten Mannes, oder fand sie es vielleicht ein klein wenig begreiflich? Er war keiner von denen, die sich etwas erschleichen wollen, nein, keine von den Tausenden gewöhnlicher Nullen, die anders vorgegangen wären. Hatte am Ende seine ungeheure Deutlichkeit sie doch gewissermaßen angesprochen?
Ich kann Ihr Taschentuch nicht finden, berichtete Anton.
Da trat Theodor herzu, griff in die Brusttasche, schaute sich um, gab es auf gab etwas auf.
Nun kam Kaffee für alle nein, dieser Theodor! Nein, ich danke, wir trinken hier mit den andern, sagte Mariane. Wagen Sie nicht mehr, in die Hütte hineinzugehen? fragte Anton. Davor fürchte ich mich weniger, als Sie, erwiderte sie.
Kaffee mit Punsch wurde getrunken, und Mariane fragte, wie spät es sei. Sollten wir nicht ans Heimgehen denken? Aber nachdem die Jugend Kaffee und Kaffee mit Schnaps darin getrunken hatte, wurde der Tanz recht lebhaft; und wer nicht tanzte, saß an einem Tisch und trank noch mehr Kaffee mit Schnaps vermischt, und die gute Laune ließ sich durch nichts mehr weder vermehren noch vermindern, selbst Julius, mit seinem Traubensprit und den Eßwaren war vielleicht die Verpflegung durch das Hotel Larsen nicht gut gewesen? Julius gönnt uns allen eine Kostprobe von den guten Dingen aus dem Vorratshaus. Und von Theodor will ich gar nicht reden, denn er übertrifft alle! Kurz gesagt, sie wurden so aufgeräumt, daß sie die Fackeln wieder auszulöschen begehrten und paarweise fortschlendern wollten. Aber da kommandierte Theodor:
Alle Mann in die Boote! Punktum! Theodor Jensen!
Und das klang so frisch und luftig, daß sich die Leute darein fanden, zu den Booten hinunterzogen, wo sie Hurra riefen und: Wir danken für das schöne Fest und Hurra für Punktum Theodor! Der Bäcker und der Schuhmacher Nils blieben mit Julius zurück, um die Fackeln auszulöschen und alles miteinander einzupacken. Aber der Bäcker war zu nichts mehr nütze, er verschlief das Elend dieser Welt.
Die Heimfahrt vollzieht sich unter Grammophonmusik und allgemeiner Lustigkeit; kein Boot trennt sich von den andern, alle begleiten einander und fahren in einer Reihe. Auf Theodors Admiralboot hängen drei brennende Laternen, ein paar Sterne glitzern hoch droben an dem blauen Himmelsdom, so daß es nicht hell und nicht dunkel, sondern eitel Behagen ist. Ja, und Theodor hatte ritterlich auch die Damen von Utvär mit in sein Schiff genommen.
Als sie in der Bucht von Segelfoß ankamen, ließ Theodor eine Rakete steigen. Das war ein Signal: Zehn Dynamitschüsse ließen Land und Strand wieder erbeben, eine Salve ging über das Erdreich hin. Hoch lebe die Königin! sagte Anton mit mehr Gefühl als gewöhnlich und neigte sich vor Mariane. Theodor griff an seinen Hut.
Nun zischte vom Flaggenhügel eine Rakete über den Himmel hin, auch von andern Hügeln stiegen Raketen auf, die Überraschung hatte angefangen, das Wunder geschah. Die in den Booten stützten die Arme auf die Ruder und sahen zu, sie hörten, wie die Leute im Ort in laute Rufe ausbrachen, die Raketen wechselten mit Feuergarben ab, mit römischen Lichtern, Schüssen, goldenen Kronen, feurigen Pfauen ach Gott! Ja, und es ging weiter, es nahm kein Ende, alles war großzügig und im Überfluß Theodor mußte in diesem Jahr mit seinen Klippfischen gewaltig verdient haben.
Das ist wirklich ganz großartig! sagte Mariane. Es ist unglaublich, was Sie alles zustande bringen, Theodor!
Das Feuerwerk? Ja, ich wollte, daß es hier wie in anderen Städten ist, sagte Theodor. Er griff in seine Brusttasche und zog ein Päckchen heraus. Jetzt oder nie! schien er zu denken. Er riß ein Seidenpapier auf und sagte: Fräulein Mariane, entschuldigen Sie, wenn Sie Ihr Taschentuch verloren haben, so habe ich hier eins. Ich bitte, ja, ich bitte schön.
Ach nein, ich danke, das ist nicht mehr nötig, ich bin ja gleich zu Hause.
Sehen Sie es sich an und behalten Sie es!
Mariane hielt es ans Licht und brachte vor Erstaunen kein Wort heraus. Spitzen! Du große Zeit! Aber nein, ich danke.
Warum wollen Sie es nicht nehmen? Wenn ich es Ihnen doch gerne geben möchte?
Es ist gar zu kostbar. Was soll ich damit? Nein, das will ich nicht.
Aber Theodor redete sich schlagfertig heraus: Ich habe es zufällig in der Tasche, es ist meiner Firma zugeschickt worden, es ist nur ein Muster.
Doch Mariane schüttelte nur den Kopf.
Nun erlosch das Feuerwerk, ja, mehr als das Feuerwerk erlosch, Theodor schwieg gedemütigt. Was sollte nur all diese Hartherzigkeit! Daß sie einmal einen Schal zurückgeschickt hatte nun ja, sie brauchte keinen Schal. Aber dies war ja nur ein kleines Taschentuch!
Da sagte er zu den Damen aus Utvär und der Jüngling Theodor lächelte bebend, weil er so tödlich gekränkt war:
Wollen Sie es nicht haben?
Ach nein, das ging doch wohl nicht an, nachdem Fräulein Holmengraa es ausgeschlagen hatte. Gewiß hätten sie das reizende Spitzenwerk, dieses Buchzeichen, gerne gehabt, aber Nein, danke, wir sind mit Taschentüchern versehen, sagten sie.
Es macht den Eindruck, als ob Sie es nicht loswerden könnten, sagte Anton Coldevin lachend.
Und Theodor lachte auch, aber das war nun einmal seine Art, sein Weh und seinen Schmerz zu verbergen, einen Augenblick war er sehr blaß. Danach las er die Seidenpapierstücke im Boot wieder auf und wickelte das Kleinod hinein, so gut es ging, und dabei sah er richtig armselig aus.
Dann stiegen sie an Land und gingen über die Landungsbrücke, und von der Begleitung, die nach Hause wollte, wurde ein Hurra auf Theodor ausgebracht; er selbst stand da, schwang seinen Hut und rief: Gute Nacht und vielen Dank! Mariane reichte ihm die Hand und bedankte sich mit herzlichen Worten. Dann ließ sie sich von Anton Coldevin nach Hause begleiten.
Jawohl, das Eiderdaunenfest war ganz einzig gewesen. Die Leute aus der Stadt standen am Ufer und betrachteten Theodor, den Sieger, und redeten von den Schüssen auf Erden und den Gesichten am Himmel. Der Gelatinemann hatte wirklich gewartet, und er bereute es nicht, denn so etwas wie das, was er an diesem Abend erlebt hatte ! Aber Lars Manuelsen schüttelte den Kopf und wollte an seinen Sohn L. Lassen schreiben und fragen, ob nicht diese feuerspeienden Zeichen und Menschenerfindungen am Himmel eine Gotteslästerung seien.