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3

Der Vertreter der Firma Didriksen & Hybrecht kam auch am nächsten Tag noch nicht. Kornelius mußte noch drei Tage lang auf dem Flaggenhügel stehen, wo er während dieser drei Tage bis zur Unkenntlichkeit fror, bis endlich der große Gast eintraf. Aber dann kam er auch, und es wurde sowohl auf dem Flaggenhügel als daheim auf dem Laden geflaggt, und der alte Per lag auf seinem Lager und konnte nicht ergründen, was für ein neuer Spektakel gerade über seinem Kopfe vor sich ging. Das ist wohl die erbärmliche Elster, aber sie soll es nur versuchen, gerade da oben ihr Nest zu bauen!

Theodor war an Bord und schloß vom Morgen bis zum Abend Geschäfte ab. Man sah ihn eigentlich nur, wenn er einmal nach dem Laden ging, und da trug er ganze Bände von Schlußnoten im Arm. Der kleine Dampfer erweckte auch allgemeine Aufmerksamkeit, den ganzen Tag wurde die Maschine geheizt, und sie trieb dicke Rauchwolken zum Schornstein hinaus; viele von den ansässigen Leuten gingen an Bord und wurden umhergeführt, nicht weil sich das Schiff mit den kolossalen Korndampfern, die zu Herrn Holmengraa aus der großen Welt gefahren kamen, hätte messen können, o nein, weit entfernt, sondern weil es ein Personendampfer für einen einzigen großen Mann war.

Groß und unternehmend und jung war der Mann, ein Schwerenöter, der ab und zu in Pelz und hohen Gummischuhen auf Deck zu sehen war. Er nickte den jungen Mädchen am Landungsplatz zu, warf Kupfermünzen zwischen die Kinder, ein flotter Bursche, der seine erste Nordlandreise machte. Der Lagermeister ging zu ihm an Bord, und der Redakteur und Setzer der Segelfosser Zeitung kam auch zu ihm an Bord, und dieser schrieb dann etwas mit seinen mageren Typographenfingern. Allen wurde ein Glas angeboten. Auch der alte Lars Manuelsen ging an Bord und fragte, ob er nicht etwas an Land tragen solle? Nein. Er sagte dann, wer er sei, der Vater von L. Lassen, und fragte, ob er nicht in irgend etwas behilflich sein könne? Herr Didriksen betrachtete die Augen des Mannes und dessen Gebaren, dann erwiderte er: Zum Kuckuk, kommen Sie und trinken Sie ein Glas mit mir, ich habe die größte Lust, Ihre Bekanntschaft zu machen. Sie gingen zusammen abseits und lernten einander einigermaßen kennen, denn sie redeten recht lange miteinander.

Obgleich nun das Schiff Dampf genug hatte, wollte Herr Didriksen doch nicht am Abend abfahren, wie er zuerst beabsichtigt hatte, nein, er wollte eine Gesellschaft geben. Um die Wahrheit zu sagen, hatte er sich in Segelfoß nur ein paar Stunden aufhalten und dann weiterfahren wollen; aber Theodors Bestellungen waren größer, als er erwartet hatte, und so wollte Herr Didriksen nun nach abgeschlossenem Handel einen kleinen Herrenabend geben. Er beriet sich mit Theodor, und Theodor war gern bereit. Theodor sagte, Herrn Holmengraa einzuladen, daran sei natürlich nicht zu denken, aber wenn Herr Didriksen sofort einen Besuch mache, könne er vielleicht noch den Rechtsanwalt Rasch bekommen. Das wollte Herr Didriksen nicht   doch sind junge Damen im Hause? fragte er. Nein. Da wollte er nicht. Dann sei noch der Bezirksarzt Muus da, sagte Theodor, der zwar zu weit entfernt wohne, aber der wäre besonders gut und fein gewesen. Aber Baardsen, der müsse dabei sein; der Telegraphist trinke zwar zu viel, aber er spiele Cello. Nun wer dann noch?

Die beiden überlegten und dachten nach, und indessen tranken sie ein Glas ums andere und genossen den Schmaus zum voraus. Als das eine Weile so fortgegangen war, konnte Herr Didriksen nicht mehr verstehen, daß nur Herren dabei sein sollten. Ja, warum denn? Warum nicht drei Herren mit ihren Damen, das heißt, für jeden eine Dame? Und was für ein Mensch ist denn der alte Ehrenmann, der eine Perücke trägt und der Vater von Pastor Lassen ist? fragte Didriksen plötzlich, und zum Schluß erklärte er, daß er keine vornehmen langweiligen Leute haben wolle. Diese können wir entbehren, wir sind zu dritt, Sie und der Maschinenmeister und ich, und wenn dann ein paar Mädel an Bord kommen und wir tanzen wollen, fahren wir mit ihnen ein Stück auf den Fjord hinaus, das Schiff ist ja unter Dampf.

Aber da zeigte es sich, daß der Bursche Theodor nicht von der Art war, das heißt, er sei zu allem bereit, sagte er, aber er sei halb und halb verlobt. Ha, das sei großartig, und sie stießen darauf miteinander an. Aber, meinte Didriksen, ob er denn nicht einfach die Dame einladen könne? Nein, erwiderte Theodor mit einem wehmütigen Lächeln, nein, davon könne keine Rede sein, sie sei zu vornehm dazu, und er werde sie überdies auch niemals bekommen.

Na, das letzte Glas hatte Theodor wohl weich gestimmt, er war kein Trinker, und es wurde ihm bald ein wenig wirbelig im Kopfe, dann kam die Elegie. In seinem werktäglichen Herzen fand sich ein kleiner Winkel, wo kein Handel und Wandel getrieben wurde, das war ein tiefverborgener Hain mit Träumen, Kniefällen und Geschenken.

Aber der andere, der Herr Didriksen, hatte keinen Hain, zum Kuckuck, vor so etwas laufe er davon, prahlte er. Er tat, als ärgere er sich über Theodor, und fürchtete, er würde ihm den ganzen Abend umschmeißen. Wimmelte es nicht am Landungsplatz von jungen Mädchen? Er fing an, den jungen Burschen zu trösten, wie er mit Kunden zu sprechen pflegte, denen er Mut machen wollte: Was sagen Sie, Sie werden sie nie bekommen? Ein Mann wie Sie, ein großer Kaufmann! Auf der ganzen Reise habe ich an keinen so viel verkauft, wie an Sie. Sie wird es sich schon noch überlegen!

Aber da wurde Theodor noch elegischer. Sie sei zu vornehm. Und dann sei sie ungeheuer reich. Nein, sie werde nie die Seine werden.

Aber dann solle er sie doch einfach aufgeben!

Ja, es bleibt mir nichts anderes übrig, erwiderte Theodor.

Gut, dann steht ja nichts im Wege, daß zwei Mädel zu uns an Bord kommen.

Nein, nein, das wollte Theodor nicht. Das hieße sich selbst lästern. Er war eigensinnig und blieb fest. Diesen jungen Mann konnte niemand um den Finger wickeln. Es war wohl noch gerade genug junge Verehrung in ihm, er hatte noch zwei Herzen in der Brust. Bravo!

Dann bringen Sie den Telegraphisten mit, sagte Herr Didriksen. Darauf klingelte er seinem Koch und gab Anweisung für ein großes Abendessen.

Ja, wie sich der junge Didriksen als Mann zeigen wollte! Es war, als könne er nicht ohne Saus und Braus und ohne Weiber leben, so erfahren zeigte er sich. Er zog seine Brieftasche heraus und zeigte Bilder von Variétédamen, auf einem stand der Name und eine Widmung. Aber er hatte sie vielleicht selbst darauf geschrieben; worauf verfällt nicht die liebe Jugend! Dem ländlichen Theodor im Laden aber machte er damit Eindruck, sie waren beide jung.

Gegen Abend strömten noch mehr Leute dem Landungsplatz zu, Leute, die ihr Tagewerk beendet hatten, Arbeiter vom Mühlwerk und aus den Hütten. Dort drüben steht ein Mann allein und raucht; Theodor winkt ihm, er solle an Bord kommen, aber der Mann raucht nur weiter und kümmert sich nicht um Theodors Winken. Es ist der Telegraphist Baardsen, sagt Theodor, er ist vielleicht schon betrunken.   Bringen Sie ihn an Bord, sagt Herr Didriksen.   Theodor winkt aufs neue, aber nein, Baardsen kümmert sich um nichts. Plötzlich läuft Herr Didriksen an Land, zieht den Hut, nennt seinen Namen und ladet den Stationsvorsteher ein. Und dann kommen beide zusammen an Bord.

Baardsen ist ein großer Mensch in einem verschossenen blauen Anzug, und beim Gehen wiegt er seine breiten Schultern. Er kann in den Vierzigern sein. Er ist sauber und rasiert, aber schäbig angezogen und ohne Überzieher, ja, er geht sogar mit offener Jacke, und zeigt eine Weste, an der ein Knopf fehlt. Seine Nase ist rot angelaufen; das kommt gewiß nicht nur von der Kälte auf dem Landungsplatz, nein, Baardsen sieht ordentlich vertrunken aus.

Ich liege bis morgen hier am Landungsplatz und wollte Sie bitten, den heutigen Abend mit uns an Bord zu verbringen, wenn Sie nichts Besseres vorhaben, sagte Didriksen zuvorkommend.

Ich danke, antwortete Baardsen.

Nun, die Herren kennen einander. Was darf ich Ihnen einstweilen anbieten?

Baardsen fühlte sich ein wenig unsicher, denn er war von draußen, wo es noch hell war, in den kleinen dunklen Salon unter Deck gekommen. Er sah zwar Flaschen und Gläser auf dem Tisch, antwortete aber:

Ein wenig Licht.

Herr Didriksen klingelte und sagte lachend:

Licht, da haben Sie recht, ha ha, sehr treffend bemerkt! Licht! schrie er dem Koch zu, der unter der Tür erschien. Ja, der Gastgeber war recht gut und liebenswürdig gegen den schäbig gekleideten Gast.

Sie setzten sich und begannen den Abend. Baardsen schien sich durchaus behaglich zu fühlen; war er auch im Anfang etwas einsilbig, so wurde das später besser, und er hörte die Unterhaltung des jungen Geschäftsreisenden wohlwollend an. Dem Theodor dagegen hörte er nicht wohlwollend zu; was auch immer der Grund sein mochte, er sieht ihn fast nicht, er hört ihn fast nicht. Und Theodor seinerseits meinte wohl, er könne den Telegraphisten mit einer gewissen Unverfrorenheit behandeln; er hatte ihm ja schon soviel von seinem erbärmlichen Wein verkauft und kannte seine Schwäche. Aber hier kam der junge Theodor an den Unrechten, es zeigte sich, daß er sich in acht nehmen mußte.

Können Sie nicht geschwind nach Hause gehen und Ihr Cello holen, Baardsen? sagte Theodor geradezu.

Doch, wenn Sie gegangen sind, antwortete Baardsen.

Ach so! erwiderte Theodor lachend. Aber nach einer kleinen Weile begriff er wohl die Grobheit und setzte hinzu: Werden Sie morgen wohl auch noch so groß sein?

Da fällt mir ein, es gibt ja ein Hotel hier, sagt Herr Didriksen rasch, ein Hotel und einen Hoteldiener   einen alten Manuelsen, Larsen oder dergleichen. Er ist der Vater des bekannten Pastor Lassen.

Das stimmte.

Ich konnte ihm leider nichts anweisen, was er für mich hätte besorgen können, fährt Didriksen lächelnd fort. Aber ich habe ihm versprochen, ich werde das nächstemal zu ihm ins Hotel kommen.

Herrn Didriksens Rausch fing an, sich zu verziehen, er überwand ihn, überlegte, was er sagte, und zeigte sich wirklich liebenswürdig. Er war jung und elastisch und wollte dem Telegraphisten sehr viel Achtung erweisen, gerade weil er dessen vertrunkene Nase und seinen fehlenden Westenknopf sah.

Es ist sehr hübsch hier in Segelfoß, außer Lars Manuelsen, erklärte der Telegraphenamtsvorsteher. Wir haben einen König hier, Herrn Holmengraa, er ist Witwer und hat eine Prinzessin.

Der junge Theodor sah zu Boden.

Wir haben auch ein verlassenes Schloß, fuhr der Telegraphist fort. Ein Edelmann Willatz Holmsen hat dort gewohnt, aber er ist tot. Jung-Willatz, sein Sohn, ist im Ausland, er kommt in diesem Frühjahr heim.

Wie, kommt er im Frühjahr heim? fragt Theodor.

Jawohl, aber deshalb braucht für Sie noch nicht alle Hoffnung aus zu sein.

Alle Hoffnung   wieso?

Es war mir, als sähen Sie so aus.

Nun, da gibt es ja viel Merkwürdiges hier, warf Herr Didriksen rasch ein. Und was wir dort im Land drinnen sehen, ist wohl das Schloß?

Ja, das ist das Schloß.

Übrigens ein prachtvolles Gebäude, ich habe es heute von Deck aus gesehen. Wenn man so ein Schloß hätte, könnte man wohl auch die Prinzessin bekommen.

Haben Sie das gehört? fragte Baardsen und sah Theodor gerade ins Gesicht. Das Schloß müßte man jedenfalls haben.

Allerdings, gab Theodor zurück; er errötete, verlor aber seine Geistesgegenwart nicht. Das geht mich nichts an, ich habe einen Laden. Ich weiß gar nicht, auf was Sie den ganzen Abend anspielen wollen, fügte er hinzu.

Baardsen fährt fort:

Dann haben wir ein altes Ziegelwerk droben an der Flußmündung. Es werden keine Backsteine mehr dort gemacht, es ist tot und hat jetzt zwei neue Stuben. Aber wenn der älteste Pfosten dort seine Erinnerungen herausgeben könnte!

Didriksen sagte:

Ja, Segelfoß ist ja ein großer, alter Ort, in Stenvinkels Landgüterchronik kann man über ihn nachschlagen. Und er scheint in der letzten Zeit nicht kleiner geworden zu sein, ich habe jedenfalls hier so gute Geschäfte gemacht, wie in keinem der südlicheren Orte. Herr Jensen, auf Ihr Wohl!

Ich schließe mich an! sagte der Telegraphist. Um der vielen guten Eigenschaften der Jugend willen!

Stoßen Sie mit mir an? fragte Theodor.

Jawohl mit Ihnen, macht Sie das mißtrauisch?

Ja.

Der Telegraphist lächelte vor sich hin, dann sagte er:

Um Ihrer vielen guten Eigenschaften willen.

Ich trinke nicht, sagte Theodor und stellte sein Glas nieder.

Wieder griff der Gastgeber ein und schlug vor:

Wollen die Herren nicht eine Weile auf Deck gehen? Mein Hofkoch möchte gewiß jetzt den Tisch decken. Sie sind ohne Überzieher von zu Hause weggegangen, Herr Baardsen, bitte, nehmen Sie hier meinen Mantel!

Sie zogen sich an und gingen nach oben. Auf Deck standen der Maschinist und der Lotse im Gespräch; jeder hatte ein Glas Grog vor sich, und nach einem langen Spaziergang ins Land hinein rauchten sie jetzt noch eine Zigarre.

Der Abend war hell und windstill, aber noch ziemlich kühl, vom Fluß her drang weiches, unaufhörliches Rauschen herüber. Drüben vor dem Walde lag das große Segelfosser Gutsgebäude mit weißen Säulen und zwei hohen Freitreppen, ein Herrensitz, ein Schloß. Das Mühlwerk stand still, der Tag war zu Ende.

Weit draußen auf dem Wasser tauchte ein Fischkutter auf, der von drei Männern in einem Heckboot hereinbugsiert wurde, ein anderer Mann stand allein am Steuer.

Da kommt meine Jacht, sagte Theodor. Sie hat keinen Wind.

Ist das Ihre Jacht? Wo will sie denn anlegen? fragte Herr Didriksen. Wir wollen ihr entgegenfahren. Meister! rief er dem Maschinisten zu. Wir wollen das Schiff dort hereinbugsieren, es ist Herrn Jensens Jacht!

Es war das Werk einer halben, vielleicht alles in allem einer ganzen Stunde. Sie zogen die Jacht bis zum Bootsschuppen hin, wo die Fische herausgenommen und auf den flachen Felsenhängen zu Klippfisch getrocknet werden sollten; dann fuhr das Dampfboot nach der Landungsstelle zurück. Der Tisch war gedeckt, die Herren gingen in den Salon hinunter.

Haben Sie im Heckboot einen Mann mit einem flatternden gelbseidenen Halstuch bemerkt? fragte Baardsen.

Das war der Nils von Välta, sagte Theodor. Er hatte sich so geputzt für den Besuch bei seiner Liebsten heute abend. Was ist mit ihm?

Sehen Sie, Herr Didriksen, antwortete Baardsen indem er sich an den Gastgeber wandte. Wir zappeln alle miteinander, Sie und er und ich. Und nichts ist uns wichtiger, als gerade unser eigenes Gezappel. Der eine erwirbt sich eine Eiderdauneninsel, am Abend geht er zu Bett und reibt sich die Hände über den guten Handel; ein anderer reist zwölf Wochen lang auf Verdienst aus, und wenn er wiederkommt, leidet seine Liebste schon seit drei Wochen an Zahnweh und Erbrechen.

Theodor und der Gastgeber begriffen, daß Baardsen damit auf etwas Besonderes anspielte. Es mußte etwas dahinter stecken: sie überlegten und zählten: zwölf Wochen, drei Wochen. Aber war es nicht am Ende nur das Gefasel eines Betrunkenen? Übrigens wurde Theodor ärgerlich und sagte:

Haben Sie auf meine Eiderdauneninsel anspielen wollen?

Und die Menschen, die vor einigen Jahren oder im vorigen Jahr oder erst kürzlich gestorben sind, das sind die, die früher hier gezappelt haben, fuhr Baardsen fort. Sie kauften und verkauften und waren am Abend beglückt, wenn sie ein gutes Geschäft gemacht hatten. Jawohl. Aber dann starben sie. Wäre es da nicht ganz gleichgültig gewesen, ob sie ein gutes Geschäft gemacht hatten oder nicht? Drüben auf unserem kleinen Kirchhof hab ich die Inschrift auf dem Grabstein von Andor Nielsen Välta gelesen. Es war der Vater des Mannes mit dem gelbseidenen Halstuch in dem Heckboot. Dieser Vater ist vor ungefähr zwanzig Jahren gestorben, und niemand denkt mehr an ihn, nicht einmal mehr der Sohn; aber er hatte fleißig gezappelt, hatte ein neues Rasendach auf sein Haus gelegt; als er am Abend zu Bett ging, war er beglückt über das Dach. Dann starb er und mußte alles zurück lassen. Jetzt zappelt sein Sohn.

Ja, ja! sagte der Gastgeber und wollte einigermaßen ausgleichen, damit es nicht zu einer Reiberei kommen sollte. So ist das Leben. Denn anders ist es doch wohl nicht?

Aber hält man nur einen Augenblick inne und lauscht, dann merkt man, wie unerhört frech und unverschämt es ist, wenn man nur von seinem eigenen Handel und Wandel und seinem Gezappel hingenommen ist. Könnte denn das nicht gleichgültig sein?

Damit schaute der Telegraphist Baardsen in sein Glas hinein, in dieses wohltuende Glas, und schien in tiefe Gedanken verloren.

O, dieser Telegraphist Baardsen, dieser Schurke, dieser Himmelhund! Er gebrauchte wohl den gewöhnlichen Kniff der Trunkenbolde, nämlich: Grübeleien und Erlebnisse und Enttäuschungen hinter seiner Trunkenheit ahnen zu lassen. Oder wie, würde er nicht das nächstemal zu den Sternen aufschauen und schwer atmen, ohne Worte zu finden? Seine jungen Zuhörer waren doch wohl von dem, was sie hörten, erschüttert?

Aber Theodor erholte sich jedenfalls bald wieder, vielleicht hatte er den Auftritt schon einmal erlebt, er sagte   sogar mit vollem Mund sagte er:

Ist es nun nicht recht gut, Baardsen, daß wir hier an Bord sind und so eine feine Aufwartung bekommen? Ich habe Ihnen zuerst gewinkt, aber Sie taten, als sähen Sie es nicht.

Aber der junge Theodor war wohl schon wieder zu keck gewesen.

Der Telegraphist hob seine Augen wie aus einem Abgrund empor, wie aus weiter Ferne, und richtete sie langsam auf Theodor.

Ja, Sie haben gewinkt, sagte er. Aber dann haben Sie wohl von unserem jungen Gastgeber hier gelernt, wie so etwas gemacht werden muß.

Na, auf diese Weise also! erwiderte Theodor und lachte; aber er war doch recht verlegen. Ich dachte, ich kennte Sie gut genug, daß ich es so machen dürfte.

So, Sie haben Stenvinkel gelesen, Herr Didriksen? fragte Baardsen unvermittelt.

Ja, um mich etwas darauf vorzubereiten, was ich auf der Reise hierher zu sehen bekäme.

Das war recht, denn dann kann man die ungeheuren Veränderungen, die sich seit jener Zeit hier vollzogen haben, beurteilen. Wir erleben nichts im Vergleich zu dem, was damals war. Handel und Wandel? Lappalien, gelbseidene Halstücher in Mengen. Unser Leben ist aus dem Geleise gewichen, die Pferde sind ohne Lenker, und da die Pferde wissen, daß das Ziehen abwärts leichter geht als aufwärts, ziehen sie abwärts! Hinab mit uns, hinab! Das Leben wird lächerlich, was wir handeln und wandeln geschieht alles für Kleider und Essen, wir tun bloß, als ob wir lebten. In den alten Tagen war der große Unterschied da, Schloß und Wüste waren da, jetzt ist alles gleich; in den alten Tagen war es das Schicksal, jetzt ist es der Tagelohn. Größe, was ist das? Die Pferde haben sie abwärts gezogen; gib auch mir ein Kilo Größe, wieviel kostet es? Wir kaufen Gebisse in unseren Mund, und wir züchten eine neue Darmflora in unserem Bauch, alle in gleicher Weise, alle gleich auf der ganzen Linie; wir verteilen das Leben unter uns, verdünnen einander die Luft und hinterlassen mit jeder Generation eine verwirrtere, mißhandeltere Welt. Die Prinzessin? Sie fährt Rad wie die Arbeiter ihres Vaters, des Königs, sie weichen nur noch halbwegs vor ihr aus, sie grüßen oder grüßen auch nicht  

Es wurde spät, und die Mahlzeit war zu Ende, aber der Telegraphist schwatzte und trank weiter. Der Gastgeber war noch immer höflich und hörte zu; aber Theodor verbarg seine Ungeduld nicht, er verstand keine Spur von der Unterhaltung und hielt es für nichts als Betrunkenheit; war man da verpflichtet, sich darein zu finden? Theodor sah auf die Uhr, schlug sich aufs Knie und gähnte laut, faltete die Hände hinter dem Nacken und ruhte auf diesen aus, er legte alle nur möglichen Unbefangenheiten und schlechte Sitten an den Tag! Er mußte doch jedenfalls wissen, daß sein Rock unter den Achseln verfärbt war, obgleich der Rock sonst neu aussah; jetzt riskierte er, daß Baardsen ihm eine Waschprozedur anbefahl, eine Körperwäsche. Warum so tapfer? Als er eine neue Zigarre nahm und nach den Zündhölzern griff, warf er vor lauter Keckheit sein Glas um.

Aber der Telegraphist sah ihn nicht streng an, er sah ihn überhaupt nicht an, sondern war wohl nur in mitteilsamer Stimmung und redete weiter:

Sie grüßen die Prinzessin oder sie grüßen sie auch nicht, und sie läßt es gleichmütig zu, denn die Prinzessin selbst ist auch abwärts gezogen worden. Das hätte in den alten Tagen vorkommen sollen! Ihre Mägde würden den Weg gesäubert haben, ihre Lakaien hätten rote Teppiche darauf gebreitet. Was würden die Arbeiter ihres Vaters, des Königs, gesagt haben? Da würden sie sich gefreut und sich mit der gnädigen Strafe gebrüstet haben, ein Erlebnis, eine Schicksalsstunde wäre es gewesen; jetzt fahren sie weiter auf ihrem Rad und tun sich auf ihre Unhöflichkeit etwas zugut, sind aber darum noch ebenso unzufrieden wie vorher. Lächeln Sie, Herr Theodor? fragte plötzlich Baardsen; er bemerkte jetzt gleichsam zum erstenmal die Gegenwart des jungen Mannes.

Nein, antwortete Theodor überrascht.

Nun sprach Baardsen nett mit ihm, gleichsam mit der Stimme eines Wohltäters:

Wenn Sie einmal ins Schloß hineinkommen  

Ich? Was sollte ich dort? unterbrach ihn Theodor.

Wenn Sie eingeladen werden, wenn Jung-Willatz heimkommt  

Ich werde nicht eingeladen, versetzte Theodor sehr barsch und steckte die Daumen in die Armlöcher. He, was ist das für ein Einfall?

Dann werden Sie da ein paar alte Bilder sehen, das sind die Ahnen. Zuerst gefallen sie einem nicht, sie sehen nur hochmütig und unvornehm aus. Der Herr in einer Art Rüstung sieht einem Affen ähnlich, das einzige Wertvolle an ihm ist sein Wille, der ist grundlegend. Und die Dame? Die Dame muß ihrem Schilderer und Konterfeier sitzen, sie rauscht durch die Tür herein wie eine Überschwemmung von Seidenstoff und Goldspangen und breitet sich auf einem Stuhl aus. Sie ist so zart, daß sie auf einem Stuhl sitzen und den Fuß auf einem Kissen ruhen lassen muß. Das Kissen hat drei Reihen Perlen, auf die sie tritt. Dann richtet sie den Kopf auf, ihr Gesicht hat keine Herrschermiene, aber ihr Hochmut ist grenzenlos. Sehen Sie, sie ist so neu in ihrer Hoheit, daß ihr ist, als wäre diese gar nicht da, wenn sie sie nicht unterstriche. Aber aus diesen zwei Eigenschaften, dem Willen und dem Hochmut, kann, wenn Geld da ist, wohl ein Oberklassengeschlecht hervorgehen.

Ja, das Geld, sagt Herr Didriksen, um nicht ganz stumm dazusitzen.

Das Geld. Aber es dürfen keine Groschen sein; Reichtum muß es sein. Groschen sind dazu da, das Geschlecht zu verweichlichen, es vor nassen Füßen zu schützen, Groschen, mit denen wird wertlose Eitelkeit herangezogen. Nein, Reichtum gehört her.

Ich glaube, es ist Zeit, aufzubrechen, sagt Theodor und sieht wieder auf seine Uhr.

Über des Telegraphisten Gesicht geht ein Zug des Mißvergnügens; aber er nimmt sich gleich zusammen und tut, als habe er nichts gehört. Es sieht aus, als wolle er weiter reden. Haha, über was alles könnte er sich noch aussprechen!

Es ist ja noch nicht spät, sagt der Gastgeber.

Aber wenn nun der ganze Schmaus dem Kaufmann Theodor zu Ehren gegeben wird, dann ist es doch gewissermaßen unhöflich von dem guten Telegraphisten, daß er sich den ganzen Abend in den Vordergrund stellt. Der Maschinenmeister kann auf der Ziehharmonika spielen, das wäre ein Ausweg! Herr Didriksen überlegt, er steckt die Zungenspitze ein wenig vor, erfaßt damit seinen kleinen Schnurrbart, hält ihn zwischen den Zähnen fest und schiebt ihn dann wieder mit der Zungenspitze hinaus. Nun ist er mit seiner Überlegung fertig; er läßt den Maschinisten kommen.

Ich hoffe, die Herren nehmen mit der Musik vorlieb, die das Haus zu bieten vermag, sagt er entschuldigend.

Und als der Maschinist mit seiner Ziehharmonika antritt, bekommt auch er zuerst sein gutes Glas, so willkommen ist er. Die Ziehharmonika sieht traurig aus vor Kohlenstaub und Ölflecken, aber sie klingt, sie tönt. Theodor wird wirklich wieder lebendiger, er kennt diese Musik vom Bootshaus her, nun trinkt er sein Glas bis auf die Neige aus und tritt einen Walzertakt dazu. Der Telegraphist sieht ihn an; Theodor gerät über seine Begeisterung etwas in Verlegenheit.

Warum haben sie auch Ihr Cello nicht geholt? sagt er.

Warum hätte ich es holen sollen? Jetzt bekommen Sie ja Ihre Musik, antwortet Baardsen.

Spielen Sie Cello? fragte der Maschinist und warf seine Harmonika aufs Sofa. Er fühlte sich in dem Salon daheim und schenkte sich ein neues Glas ein, trank und weigerte sich, weiterzuspielen. Wir wollen lieber ein Kartenspiel machen, sagte er.

Didriksen sah von einem zum andern.

Ja, ich bin dabei, sagte Theodor.

Ramsch. Begrenzter Einsatz, sagte der Maschinist und richtete die Karten. Auf den langen Reisen von Kaufmann zu Kaufmann die norwegische Küste entlang hatte er wohl mehr als ein Kartenspiel in diesem Salon bereit gelegt, er konnte es auswendig: Wie viele sind wir? Vier! sagte er und zog die Spielbretter aus.

Ich spiele nicht, sagte Baardsen.

Aber die andern drangen in ihn und sagten, sie wollten ihn das Spiel lehren, es könne nicht von weniger als vieren gespielt werden.

Sie tun uns einen Gefallen, sagte Didriksen höflich.

Aber, lieber Gott, ein Mensch, der kein Geld in der Tasche hat, kann doch nicht um Geld Karten spielen! versetzt Baardsen.

Sie dürfen mit dem größten Vergnügen dies bißchen Kleingeld hier für mich verspielen, sagte Didriksen, indem er Baardsen etwas Papiergeld hinreichte. Sie tun uns wirklich einen Gefallen, wenn Sie mittun, wir sind ja sonst nur zu dritt.

Der Maschinist hatte schon die Karten gegeben, und das Spiel begann. Alle kauften sich Spielmarken, um damit zu bezahlen. Baardsen gewann. Mit schläfriger Gleichgültigkeit gab er Didriksen sein Papiergeld zurück und spielte weiter, gewann wieder und verkaufte Spielmarken für bar Geld an die anderen, schon hatte er ein paar Scheine vor sich liegen. Alle tranken kräftig; der Maschinist war ein lustiger Geselle, der schlechte Witze riß, wenn er verlor; die beiden Kaufleute aber waren zu reich, um sich wegen eines kleinen Verlustes aufzuregen. Aber schließlich ärgerte sich Theodor doch über sein Mißgeschick. So etwas ist mir noch nie vorgekommen, sagte er.

Wieviel Uhr ist es? rief der Maschinist. Von jetzt an machen wir steigende Einsätze. Wir müssen den Gewinner ein wenig schröpfen. Ha, ha!

Herr Didriksen sah seine Gäste wieder der Reihe nach an, und Theodor sagte:

Doppelter Einsatz? Meinethalben gern.

Und was sagt der Gewinner dazu? fragt Herr Didriksen lächelnd.

Baardsen erwiderte: Der Gewinner? Der ist mit allem einverstanden. Hier sind einige Banknoten vor mir, nun, meine Herren, sehen Sie, ob Sie sie mir abknöpfen können.

Ist Ihnen das Geld so gleichgültig? fragte Theodor.

Aber jetzt wurde es ganz toll; Baardsen gewann wieder, und es war wie verhext, er gewann oft mit den lächerlichsten Karten. Natürlich verlor er dazwischen auch einmal, konnte dann aber seine Mitspieler mehrere Male hintereinander schwarz machen, und da der Einsatz stieg, schnellte die Summe schließlich ordentlich in die Höhe, obgleich Ramsch ein idiotisches Spiel ist und auch ein ärmliches Spiel.

Da können Sie sehen, Baardsen, es hat sich doch verlohnt, daß Sie heute abend hier an Bord gekommen sind, sagte Theodor.

Der Gastgeber konnte seinen höchst geehrten Kunden mit einer direkten Bemerkung nicht unterstützen, aber der Maschinist begütigte, indem er Baardsen zutrank und sagte: Ach, wenn wir Sie eine Woche lang hier an Bord hätten, dann würden wir uns ordentlich rächen! Und er lachte aus vollem Halse.

Baardsen hatte jetzt den größten Teil der Spielmarken und dazu einen Haufen Banknoten vor sich liegen. Als Theodor das nächste Mal Spielmarken kaufte, sagte er ohne weiteres:

Aber können nicht diese fünfundzwanzig Kronen an Ihrer Rechnung im Laden abgezogen werden?

Doch, antwortete Baardsen.

Es gab keinen Zwist darüber.

Vielleicht war es nicht gerade anständig von Theodor daß er sich auf diese Weise bezahlt machte, aber das Benehmen des Telegraphisten den ganzen Abend hindurch war noch merkwürdiger: Er war dem jungen Geschäftsmanne Geld schuldig, behandelte diesen aber mehr als von oben herab, behandelte ihn höhnisch, sah ihn gar nicht. Und der Gläubiger vergalt es ihm nicht, sondern fand sich in alles. Wieder hatte wohl dieser Teufelskerl Baardsen eine Absicht dabei, und er hätte wohl eine lange und tiefsinnige Erklärung abgeben können, aber niemand fragte ihn darum. Es wurde weitergespielt. Theodor kaufte wieder Spielmarken und sagte:

Wollen wir sagen, daß auch diese fünfundzwanzig abgezogen werden sollen?

Ja, antwortete Baardsen.

Ich erinnere mich übrigens nicht, wieviel Sie mir schuldig sind; aber wenn Sie zu viel bezahlt haben, bringen wir es morgen ins reine.

Ja, sagte Baardsen.

Da legte der Maschinist die Karten nieder und sagte:

Nein, heute abend kriegen wir den Gewinner nicht unter, jetzt hören wir auf. Wir wollen abrechnen.

Jeder löste seine Spielmarken ein, sie tranken dabei aus ihren Gläsern und schwatzten. Nur Baardsen saß da und drehte seine Banknoten zwischen den Fingern, schließlich steckte er sie in die Tasche, ohne sie zu zählen. Wollte er vor den anderen dick tun, und meinte er, das sei originell? Da hätte er sich auf etwas anderes besinnen sollen, alle Lumpen gehen achtlos mit dem Gelde um, deshalb sind sie ja Lumpen. Niemand ist so unsinnig flott wie der Landstreicher. Ein Schein lag auf dem Boden, der Maschinist hob ihn auf, warf ihn auf den Tisch und sagte:

Der gehört gewiß auch Ihnen?

Danke, sagte Baardsen und steckte ihn zu den anderen.

Jetzt ergriff der Maschinist unaufgefordert seine Ziehharmonika und begann mit dröhnendem Baß einen Marsch zu spielen. Jetzt gab es aus! Er zog den Balg mit aller Kraft, sein Gesicht verzerrte sich, und er schnaufte vor Anstrengung. Dann hörte er jäh auf, brach in lautes Gelächter aus und sagte: Das macht mir einmal nach! Die anderen baten ihn, doch weiterzuspielen, und so spielte er weiter.

Und wie es nun auch sein mochte, die Töne zogen hinüber an Land und wurden dort von den Abendspaziergängern vernommen; es stellten sich immer mehr Leute ein, und ein paar junge kamen an Bord des Dampfschiffes. Die Herren im Salon hörten, daß über ihnen hin und her getrippelt wurde. Auf Deck wurde getanzt.

Das gefiel allen Herren eine Weile ausgezeichnet; aber Theodor brach bald auf und ging heim. Das Trinken, die Töne und der Tanz hatten ihn wohl wieder elegisch gestimmt und ihn daran erinnert, daß er verliebt war.

Als der Telegraphist Baardsen nach Hause ging, hörte er in einem Winkel neben Herrn Holmengraas großem Kornspeicher die Stimmen eines streitenden Liebespaares: der Bursche beschuldigte das Mädchen heftig, er habe sehr viel über sie gehört, sie sei ein erbärmliches, untreues Ding, wenn er fort sei. Das Mädchen aber weinte und leugnete alles ab. Auch von Geld war die Rede, daß sie einige hundert Kronen besitze; aber der Bursche sagte, er pfeife darauf, er habe es nicht nötig, er habe drei Monate Heuer erspart. Dann tu, was du willst, sagte das Mädchen.   Mach nur, daß du heimkommst! erwiderte der Bursche und trat aus dem Winkel heraus. Es war Nils von Välta mit dem wehenden gelbseidenen Tuch um den Hals. Er drehte sich nicht mehr um, sondern ging seines Wegs. Dann trat das Mädchen auch vor: Florina war's, Rechtsanwalt Raschs Magd. Sie trug ein großes wollenes Tuch um Mund und Wangen, das sie zurückschlug, wenn sie redete, aber sogleich wieder vorschob, wenn sie fertig war. Sieh, da ging jetzt der Liebste und drehte sich nicht um! Nils! sagte sie. Er gab keine Antwort. Plötzlich rief sie: Jetzt geh ich geradeaus an Bord und tanze, du wirst es schon sehen!   Nur zu, wenn's dich freut! erwiderte er. Eine gute Weile noch sah sie dem Burschen nach; der Telegraphist ging an ihr vorüber, aber sie beachtete ihn nicht, nur zwei große Augen starrten aus dem wollenen Halstuch heraus. Dann ging sie über den Landungsplatz und an Bord des Dampfschiffes.

Es war ganz still auf den schmalen Gassen zwischen den Häusern, das kleine Städtchen war zur Ruhe gegangen, die wilden Schwäne ließen weit draußen ihr Lied ertönen. Baardsen ging landeinwärts. Nils von Välta ging vor ihm her. Ein entschlossener Bursche, dieser Liebste! Ein starker Kerl, er drehte sich nicht ein einziges Mal um. Stark? Jawohl; Anfang der Zwanziger, und die Heuer von drei Monaten in der Tasche! Aber als Baardsen wohl eine Viertelstunde lang in derselben Entfernung hinter ihm hergegangen war, dachte er plötzlich: Wie, wenn er nun die ganze Zeit meine Schritte hinter sich hört und meint, es sei seine Liebste?   Hm! sagte Baardsen laut. Geht der Bursche weiter? Er wendet sich überrumpelt um, macht des Scheins wegen nochmals ein paar Schritte, dann bleibt er stehen. Der starke Junge war plötzlich schwach geworden, wahrhaftig, er tastet an sich herum, sucht in seinen Taschen nach etwas   was sucht er denn? Ach, er tat nur so, als suche er eifrig etwas, was er verloren hatte, nur um einen Vorwand zu haben, sich umzudrehen. Dann geht er dem Telegraphisten entgegen, lächelt ängstlich, indem er an ihm vorübergeht, lächelt wie ein armer Junge: Ich hab vergessen   hat man schon so etwas gesehen? Dann läuft er eilig wieder nach dem Landungsplatz hinunter. Um den Schein aufrechtzuerhalten, sucht er dabei immer noch in seinen Taschen.

Doch siehe, da fährt das Dampfboot vom Ufer ab und dreht sich festlich dem Meere zu!

Nils von Välta hält jäh an und starrt wie vor den Kopf geschlagen geradeaus. Dann läuft er mit großen Sätzen nach dem Landungsplatz, als wollte er das fliehende Schiff einholen. Die Schwäne singen weit draußen wie zuvor.

Der Telegraphist Baardsen schlendert weiter; er geht tief ins Land hinein, an Schuhmacher Nils Hütte, an kleinen Höfen, an menschlichen Wohnstätten, an Rodland vorüber. Da und dort sind schon die Schafe draußen, obgleich das Land noch nicht schneefrei ist. Nun dreht er um und geht in die Hütte des Schuhmachers hinein.

Ich hab deinen Schornstein rauchen sehen, da dachte ich, du werdest noch auf sein, sagte er.

Nils wischt dem Gast einen Stuhl und einen Schemel ab und ist ordentlich verwirrt. Auf dem Tisch liegen in einem großen Papier ein Hering und einige Kartoffeln.

Ja, sagt Nils, ich koche Kaffee. Ich bin eben aus der Stadt heimgekommen und wollte Kaffee kochen, ja, ich hab jetzt einen ordentlichen Kaffeevorrat. Ach, Herr Baardsen, daß Sie in so eine Stube kommen, man kann ja nirgends sitzen!

Er räumt den Tisch ab, legt den Hering und die Kartoffeln aufs Bett hinüber und schwatzt verwirrt: Ja, der Schornstein raucht wohl. Ich wollte Kaffee kochen, ich habe eine Masse Kaffee. Wenn ich Sie jetzt nur zu einer Tasse Kaffee bitten dürfte   aber er ist eben nicht so gut  

Ja, gerne, sagte Baardsen.

Große Bestürzung! War es Ernst? Ja, lieber Gott, wenn er nur gut ist, aber ... Und ich hab nichts dazu; gerade jetzt hab ich auch keinen Zucker, ich hab ihn heute abend im Laden vergessen. Aber das schlimmste ist, daß auch der Kaffee dort liegen geblieben ist, die Kaffeetüte auf dem Ladentisch. Ach, ich bin so vergeßlich geworden! sagte der Schuhmacher Nils.

Was ist das für ein Porträt? fragt Baardsen, obgleich er es recht gut weiß. Es ist der Sohn, U. Nelson in Amerika, geputzt, satt und frisiert, der frühere Ulrich.

Und die Dame? fragt Baardsen.

Ja, das ist noch ein großes Geheimnis, antwortet Nils; aber soviel ich verstehe, ist es die, die er heiraten will. Wer würde das gedacht haben,   der kleine Ulrich, der mit mir in die Häuser ging und Schuhe machte. Und seine Hände waren nur so groß, als er anfing. Aber jetzt! Ein stattlicher Mann ist er geworden. Ach ja, das versteht sich! Da tat Baardsen plötzlich betrunken und grob, setzte seinen Hut auf und sagte:

Nimm die elende Tasse weg, das ist ja kein Kaffee, so etwas trinke ich nicht. Was ich sagen wollte   da, nimm diese Banknoten und fahr nach Amerika. Still, laß mich ausreden! Die Scheine also; fahr damit nach Amerika, du auch, hörst du! Kannst du nicht schweigen, bis ich ausgeredet habe? Kauf dir eine Fahrkarte und reis' ab, die Scheine gehören dir. Ich will dein Geschwätz nicht länger mit anhören. Mach, daß du fortkommst, hörst du  

Baardsen hatte die Hütte verlassen, redete aber im selben Ton weiter. Nils kam mit den Geldscheinen hinter ihm drein und machte Einwendungen. Schließlich hörte der Telegraphist den hellen Wahnsinn: Sie haben wohl nichts, was ich einmal für Sie tragen könnte! Er, Baardsen, mit den wiegenden Riesenschultern, sich von dem alten ausgemergelten Schuhmacher etwas tragen lassen!

Auf dem Heimweg sieht Baardsen das kleine Dampfboot wieder landeinwärts daherfahren. Es hat einen Ausflug auf die See hinaus gemacht, hat mit einigen Eingeborenen eine kleine Lustfahrt unternommen, mit ein paar jungen Leuten, die in der kühlen Nacht auf Deck getanzt hatten.

Als Baardsen ins Telegraphenamt trat, saß der kleine Gottfred am Tisch und telegraphierte. Der kleine Gottfred Bertelsen, der Sohn von Bertel von Sagvika, telegraphierte eben den Schluß eines ungeheuren Telegramms an Didriksen & Hybrecht; der Vertreter der Firma, der junge Herr Didriksen, hatte dieses Telegrammes wegen das Telegraphenamt offen halten lassen; es betraf ein großes Geschäft, die ganze Bestellung von Theodor im Laden. O, dieser junge Didriksen, das Offenhalten des Telegraphenamts war eine große Reklame, und es kostete nicht viel; er gebrauchte diesen Kniff Kunden gegenüber, denen er schmeicheln und eine Ehre antun wollte.

Jetzt war Gottfred fertig, er drehte sich um und sagte:

Alles redet von Ihrem Bombenglück im Spiel heute nacht.

Baardsen gähnte.

Theodor war hier, als er heimging, er sagte, Sie hätten ungeheuer viel gewonnen.

O ja, sagte Baardsen, das ist ganz richtig. Es war wie verhext.

Das freut mich sehr, sagte Gottfred.

Aber ungeheuer, das will ich nun nicht sagen, wenn man die Ausgaben abzieht. Etwas Gewinn war's immerhin. Ja, es war wirklich wie verhext!

Wieviel ist es wohl?

Ach, gar nicht so sehr viel. Haben Sie den ganzen Abend zu tun gehabt, Sie Ärmster?

Ich freue mich so über den Gewinn, Ihretwegen, Herr Baardsen, denn der Inspektor kann jeden Tag eintreffen, und diesmal würde es Ihnen nicht gut gehen, das wissen Sie.

Aber zum Kuckuck, Sie müssen doch begreifen, daß nicht viel übrig bleibt, wenn die Ausgaben abgezogen werden! rief Baardsen ungeduldig.

Ausgaben? Was für Ausgaben?

Mußte man nicht abrechnen? Der eine oder andere Schein fällt auch auf den Boden, eine Spielmarke fliegt dahin und eine dorthin, alles muß in Ordnung gebracht werden. Sie können ja nicht Karten spielen.

Jung-Gottfred sah zu Boden und überlegte.

Ja, aber Sie werden doch jedenfalls die Kasse in Ordnung bringen können? sagte er.

Jawohl, jawohl, aber jetzt sind Sie müde. Im übrigen ist es meine Kasse und nicht die Ihre. Das schlimmste ist, daß Sie die halbe Nacht hier gesessen haben, während ich vergnügt gewesen bin.

Bange Ahnungen stiegen in des guten kleinen Gottfred Herzen auf; er kennt von früheren Gelegenheiten her Baardsens Sorglosigkeit in Geldsachen und kann die Bemerkung nicht unterdrücken:

Das schlimmste ist, wenn Sie nicht jetzt gleich die Kasse in Ordnung bringen können. Sie wissen, was dann Ihrer harrt.

Dann werden Sie Stationsvorstand an meiner Stelle, Gottfred. Und dann bekomme ich vielleicht Ihren Platz.

Scherzen Sie damit nicht! erwiderte Gottfred. Sehen Sie, hier ist die Abrechnung. Decken Sie nun Ihren Kassenmangel.

Baardsen trat an sein Cello in der Ecke und schwieg.

Wollen Sie nicht? fragte Gottfred.

Da rief Baardsen:

Wollen Sie nicht? Wollen Sie nicht? Ich sage Ihnen, ich kann nicht. Ist es nun gut? Was stehen Sie denn da und jammern?

Sie können nicht?

Nein. Ich habe nichts. Kommen Sie her und untersuchen Sie selbst. Sehen Sie, ich habe nichts, meine Taschen sind leer, es ist kein Geld drin.

Dann haben Sie das Geld jemand gegeben?

Ja, dann habe ich's natürlich jemand gegeben. Unsinn!

Gottfred schaute wieder zu Boden und überlegte, dann sagte er:

Sie Ärmster!

Doch da fühlte sich Baardsen beleidigt, und er sagte:

Ich verstehe Sie nicht   Sie meinen, Sie hätten sich das Recht verschafft, mich immer zu bedauern  

Wer hat das Geld bekommen?

Zum Kuckuck mit Ihnen, Mensch! schrie Baardsen. Das Geld bekommen? Der Schuhmacher Nils hat es entlehnt. Er will nach Amerika. Zu seinem Sohn. Der Schuhmacher Nils. Puh, ich glaube, Sie sind verrückt geworden!

Gottfred faßte einen raschen Entschluß; er schwur hoch und teuer, nun werde er hingehen und etwas von dem Geld wiederholen, setzte seinen Hut auf und verließ das Kontor. Baardsen sah ihm mit offenem Mund nach, machte ein paar Schritte, ihn zurückzurufen, sah, daß es zu spät war, und schwieg. Kurz nachher setzte er sich an sein Cello und spielte, betrunken und jedes Verantwortlichkeitsgefühles bar.


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