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11

Die beiden Freunde blieben allein zurück.

Du hast es dir nicht sehr angelegen sein lassen, ihn die Haupttreppe hinunterzuführen, sagte Anton Coldevin lächelnd.

Es war der hiesige Kaufmann, er soll ein tüchtiger Mensch sein, erwiderte Willatz. Er hat mir soeben einen kleinen Bauplatz abgekauft.

Und da seid ihr über die Art der Bezahlung uneins geworden?

Nein, ich hatte ihm schon Bescheid gesagt.

Willatz war wohl mit sich selbst unzufrieden, deshalb sagte er nichts weiter. Was war das auch für ein Einfall gewesen, einen solchen Lumpen wie den Konrad gegen die eigene bessere Überzeugung zu unterstützen! Aber natürlich mußte er seinen einmal gegebenen Befehl aufrechterhalten, und wenn es auch ein Narrenstreich war.

Was hatte Willatz eigentlich getan? Konrad trieb sich so herum, er war augenscheinlich in der Klemme. Willatz hatte ihn zuerst abends mit dem Eßnapf in der Hand von den Klippfischbergen herabkommen sehen, später sah er ihn nicht mehr. Die Fische waren getrocknet, Konrad war arbeitslos. Willatz dachte wohl ganz richtig: Was geht mich der Mann an? Er hatte einen Kameraden, Aslak mit Namen, mit dem hatte Willatz abgerechnet, Konrad dagegen hatte nichts abbekommen. Nun gut, er hatte auch nichts verdient. Aber dann tauchte der Mann wieder auf dem Wege auf, Willatz begegnete ihm; das geschah ein paarmal zufällig, und der Mann grüßte jedesmal. Konrad zieht die Mütze und grüßt. Willatz sah ihn mit seinen grauen Augen an, und dann tat er an dem Armen, was ihm eben einfiel,   dasselbe, was übrigens sein Vater und sein Großvater auch getan hätten: ein paar Hundert Kronen für den Armen, zehnkronenweise.

Aber nun konnte am Ende der Lump noch obendrein zu ihm kommen, die Hand ausstrecken und danken wollen   das konnte ihm einfallen!

Einen Bauplatz? sagte Anton. Wie wär's, wenn ich dir auch einen Bauplatz abkaufte und mich hier niederließe?

Dann könntest du ja nicht Konsul werden wie dein Vater, sagte Willatz etwas spöttisch.

Anton Coldevin gehörte nicht zu denen, die eine Antwort schuldig blieben.

Wer kann werden wie sein Vater? Leidest du vielleicht in der Beziehung an Einbildungen? fragte er.

Was für ein Ton! Freunde können sehr nahe Freunde sein, sie können scherzen, können einander unter Lachen die Augen auskratzen. Diese beiden standen jedenfalls im Verhältnis von Hausherr und Gast zueinander. Schon vom ersten Tage an war der Ton so geworden und wurde immer freier, das ging weiter und weiter, und es war allmählich zu einer erstaunlichen und großartigen freundschaftlichen Grobheit gekommen; der Gast war's, der stets den Hausherrn mit sich zog.

Pauline kommt mit dem Kaffee. Es ist nicht schwer zu sehen, wohin Paulinens Blicke schweifen, und dem fremden jungen Herrn gibt sie nicht einmal Antwort, obgleich er sie aufmunternd anredet.

Jetzt bin ich schon eine Woche hier, und es ist Zeit, daß du mir auch einmal einen Blick schenkst, Pauline, sagt er. Und als Pauline hinausgegangen ist, schwatzt er weiter: Was hat das Mädchen für wunderbare Augen!

Alles in allem, Anton Coldevin war ein lustiger Herr, frisch und frei und von einer etwas unfeinen Dreistigkeit; er war in Saint-Cyr kaufmännisch erzogen worden und verstand seine Sache, dann war er in seines Vaters Geschäft eingetreten und zeigte sich sehr tüchtig, der Vater konnte unbesorgt anfangen, seine Kräfte zu schonen und sich auf Ruhestand und Doppelkinn vorzubereiten.

Anton und Willatz hatten seit ihren Schultagen, wo sie hier auf Segelfoß in den Ferien zusammen gewesen waren, nicht viel voneinander gesehen. Der eine war damals aus Frankreich, der andere aus England gekommen, sie waren von gleichem Alter, von gleichem Stand, gleich gute Jungen, aber dennoch verschieden. Sie hatten die Freundschaft brieflich aufrechterhalten, und als jetzt im Frühjahr Willatz nach Hause reiste, hatte er seinen Freund zu sich eingeladen. Anton antwortete, er werde kommen   und versuchen, ihm den Goldfisch wegzunehmen.

Den Goldfisch?

Sein Ton hatte damals schon etwas zu nachlässig geklungen, und Willatz hatte über sich selbst die Stirne gerunzelt, weil er seinen Freund eingeladen hatte. »Goldfisch« war der Name von der neuen eisernen Barke der Firma Coldevin, das konnte wohl dort passen, aber nicht hier; als Erwachsener hatte ja Anton Fräulein Holmengraa nur ein paarmal flüchtig in Christiania getroffen. Und sollte er so geschäftsmäßig an ihr Geld denken?

Man nimmt sie nicht, man bekommt sie, hatte Willatz geantwortet.

Ich weiß keine, die man nicht nehmen könnte, hatte Anton zurückgegeben.

Es zeigte sich, daß die beiden Freunde weit auseinander gewachsen waren, bald gab es in aller Freundschaft Reibereien zwischen ihnen, und es war gut, daß Anton höchstens vierzehn Tage vom Geschäft wegbleiben konnte. Aber während der kurzen Zeit, die ihnen blieb, sagten die Freunde einander viele Grobheiten.

Zu Anfang war Anton in Herrn Holmengraas Haus still und gesetzt, ja so zurückhaltend, daß Fräulein Holmengraa meinte, sie müsse ihm zu Hilfe kommen und ihn daran erinnern, daß sie alte Freunde seien. Das wirkte sofort.

Sie betrachten meine Ringe, was fällt Ihnen daran auf? fragte sie munter.

Er überlegt wahrscheinlich, was sie gekostet haben, sagte Willatz zu sich selbst.

Ich betrachtete Ihre Hand, sagte Anton.

Was wollen Sie denn daran sehen? Ob ich verlobt bin?

Hoho, Sie meinen wohl, wie oft?

Nein, pfui!

Ja, so ist er, sagte Willatz. Da habe ich dir einen feinen Herrn ins Haus geladen!

Dann lachten alle zusammen, Anton etwas gezwungen.

Ich reiße mir kein Bein aus, um fein zu sein, sagte er. Oder um ein Geborener zu sein, sagte er. Oder um englisch zu sein, ich bin Franzose, ich bin natürlich.

Ich bin Norwegerin, sagte Mariane.

Darum lieben wir Sie, gnädiges Fräulein.

Ursprünglich hatte wohl Willatz mit seinen Worten Antons gar zu unbefangenes Wesen etwas auszugleichen versucht, er kannte Anton nun und wußte, wessen er sich von ihm zu versehen hatte. Aber Willatz gab das Aufpassen bald auf, es war Antons eigene Sache, wenn er zu weit ging.

Ihr beide seid ja jetzt so nett miteinander im Zug, daß ich gehen kann, sagte er.

Darüber wurde wieder gelacht, aber Mariane äußerte mißvergnügt: Die Partitur, diese ewige Partitur!

Willatz ist ein Wunderkind, erklärte Anton. Er ist in der Christnacht geboren und hat fast sofort Klavier gespielt. Aber es geht wohl mit ihm, wie mit andern Wunderkindern: Wenn das Kind erwachsen ist, ist das Wunder weg. Nicht wahr, Willatz?

Das war doch fast zu nahe getreten. Mariane sah tief in ihren Schoß hinunter, und Willatz antwortete:

Hoho, es kann sehr gut sein, daß du recht hast. Nun, lebt wohl einstweilen! Seid recht artige Kinder!

Aber es währte nicht lange, da merkte Anton, daß er mit Willatz hätte gehen sollen. Mariane schaute diesem durchs Fenster nach, und ihre Munterkeit war weg. Es half nicht viel, daß Anton auf seine Weise sehr liebenswürdig war, viele nette Dinge sagte und behauptete, er sei ausschließlich deshalb gekommen, um sie wiederzusehen. Mariane antwortete: Nicht möglich! Sind Sie wirklich deshalb gekommen? Allerdings, ich habe ja schon vor zehn, zwölf Jahren versucht, einen unauslöschlichen Eindruck auf Sie zu machen.

Anton besuchte Herrn Holmengraas Haus täglich und brachte seine frische Jugend und Unverfrorenheit mit. Er merkte bald, daß Willatz ihm immer im Wege stand, dieser Mensch mit nichts weiter als einem Gut und seinem musikalischen Talent. Er selbst dagegen hatte das Geschäft. Das war ja alles Blödsinn, es wurde doch nichts aus Willatz, weshalb wurde er ihm trotzdem vorgezogen? Stand das irgendwo geschrieben, daß es so sein müsse? Einmal nahm Mariane eine Faser von seiner Schulter, während sie sich unterhielten, und es war, als hätte die Faser auf ihrer eigenen Schulter gelegen, so selbstverständlich nahm sie sie weg.

Wir vergeben dem, der über uns steht, jawohl, dem vergeben wir. Aber wir vergeben dem nicht, der unseresgleichen ist, wenn er uns vorgezogen wird. Anton war gewohnt, überall durchzukommen   hier stand er vor einem Schlagbaum. Nichts wollte ihm nützen. Er hatte doch allerlei Berührungspunkte mit dem Hausherrn, mit Herrn Holmengraa; sie unterhielten sich angeregt über den Krieg im Osten, die Schiffahrt nach Süd- und Mittelamerika, das Tonnengeld, und da saß Willatz praktisch gesprochen als ein Nichts dabei und hörte zu. Daß er eine Null war, hätte ihm doch schaden, hätte seine Aussichten verringern müssen   keine Rede davon! Unbegreiflich! Und Herr Holmengraa sagte doch sehr anerkennend, nachdem sie sich so unterhalten hatten: Sie disponieren gewiß vollständig richtig in Südamerika, Herr Coldevin   wenn Sie Glück haben!   Anton erwiderte: Das Schiff wird schon Glück haben, es heißt »der Goldfisch«.

So verging die erste Woche.

Nun sitzen die beiden Freunde da, und die Freundschaft ist etwas kühl geworden. Anton wiederholt, daß Pauline wunderbare Augen habe, aber er fügt hinzu, das sei auch so ziemlich alles, was sie habe.

Denkst du an ihre Mitgift? fragte Willatz spitzig.

Versteht sie die Hauswirtschaft? entgegnete Anton. Wir treiben daheim auch etwas Landwirtschaft, wir haben Kühe und einen Separator. Es ist die größte Komödie: Abends, wenn das Mädchen Zeit hat, separiert sie so langsam, daß sie darüber einschläft, aber morgens, wo es eilt, dreht sie wie verrückt, um fertig zu werden. Ich möchte wissen, ob Pauline es ungefähr ebenso treibt.

Nein, sagte Willatz.

Anton sah ihn an und lächelte.

Entschuldige, daß ich über dich lächle, weil du gewisse Dinge ebenso abmachst, wie es dein Vater getan hätte. Du äffst ihn nach.

Willatz machte sich zum Gehen fertig. Anton verwunderte sich, wie ein Wirt gegen einen hochgeehrten Gast so rücksichtslos sein und ihm davonlaufen könne. Was der Gast denn dann tun solle?

Wenn du zum Beispiel wieder zu Herrn Holmengraa gingest, sagte Willatz, dann würdest du mir ersparen, hier sitzen und deine Grobheiten anhören zu müssen.

Es ist wohl wieder die Partitur?

Ja, es ist die Partitur.

Diese ewige Partitur; wie Fräulein Mariane gesagt hat. Nein, ich gehe nicht in erster Linie zu Herrn Holmengraa. Du gibst mir so bereitwillig eine Anweisung auf Herrn Holmengraas Haus, warum das? Weil ich ganz unschädlich bin?

Ganz unschädlich bist du nicht. Du schadest dir selbst.

Das hoffst du ja. Weißt du was, diesen letzten Tropfen Likör trinke ich nicht mit dir zusammen aus, ich trinke ihn allein.

Schäm dich! Ich bin doch dein Gastgeber.

Nein, ich gehe heute nicht in erster Linie zu Herrn Holmengraa, sagte Anton. Das tue ich später, aber vorher gehe ich anderswo hin. Wie hieß der junge Herr, der hier gewesen ist?

Meinst du den Theodor? Theodor Jensen, den Ladentheodor?

Gut. Ich habe mir die Sache überlegt und fühle mich jetzt gekränkt darüber, daß du ihn so obenhin und so von oben herunter behandelt hast. Was hat er dir getan?

Nichts.

Dieser junge Mann ist Kaufmann, Geschäftsmann, auf seine Weise, eine Art Kollege von mir, natürlich in kleinerem und beschränkterem Maßstab. Ich fühle mich in seinem Namen beleidigt, du hast ihn nicht hinausbegleitet.

Nein.

Weshalb nicht?

Weil ich ihn nicht hier haben will.

Du hast ihn ja selbst einen tüchtigen Mann genannt. Er ist natürlich viel mehr wert als du. Ein Mann, der zugreift. Du bist gar nichts.

Mein Mangel an kaufmännischer Erziehung macht es mir schwer, dir zu antworten, sagte Willatz. Nichts! Was ist das für ein Unsinn! Es klingt sonderbar, aber selbst der Geringste ist etwas. Nimm zum Beispiel den Geschäftsmann, den Zwischenhändler! Er kauft, aber nicht, um die Sachen zu verbrauchen, sondern um sie mit Nutzen weiter zu verkaufen. Laß alle Menschen nur das kaufen, was sie selbst brauchen, und der Zwischenhändler existiert nicht mehr. So leicht ist er auszulöschen. Du und Theodor Jensen, ihr habt aufgehört zu existieren. Ihr seid das Nichts, das du genannt hast. Aber immerhin seid ihr doch ein klein bißchen etwas, ihr habt zum Beispiel die Gabe, den einen innerhalb und den andern außerhalb eurer Stube zu halten.

Ich will hingehen und ihm einen Besuch machen, sagte Anton. Entschuldige, daß ich kein Wort von deiner philosophischen Auseinandersetzung gehört habe. Sagtest du, du habest die Gabe, den aus deiner Stube fern zu halten, den du nicht drin haben wollest? Gilt das ganz allgemein?

Geschwätz!

Gilt das meinem Kollegen Jensen, so gilt das auch mir.

Willst du mir Gelegenheit zu einer Übereilung geben? Ist das deine Absicht? fragte Willatz mit einem seltsamen Unterton.

Mir ist's ganz einerlei, was du tust, gab Anton zurück. Komm mit, dann gehen wir ein Stück zusammen. Ich gehe zu meinem Kollegen Jensen. Bilde dir nur nicht ein, daß ich das aufgebe.

Und Anton Coldevin ging wirklich in den Laden; er kaufte sich Tabak und hatte ein langes Gespräch mit Theodor. Es wurde ihm mitgeteilt, daß das Geschäft in Erbteilung stehe, daß zwei Schwestern und ein Rechtsanwalt hier Handel treiben wollten, während Theodor selbst nebenan ein Geschäft eröffnen wolle. Es sei Wahnwitz und Selbstmord, aber nicht zu ändern. Anton war sehr freundlich gegen Theodor, und Theodor war seinerseits bis zum Platzen geschwollen vor Wichtigtuerei über den fremden Besuch.

Er wolle ein Herbstfest geben, sagte er, einen Ausflug mit Musik und Erfrischungen nach seiner Dauneninsel.

Haben Sie auch eine Dauneninsel?

Ach ja, man hat so allerlei, die Schiffsladung Klippfische, den Daunenplatz, die Generalagentur für »Gosen«-Butter, Theater  

Sieh mal an! Daunenplatz! Mit Eidervögeln, Eiderdaunen?

Theodor nickt. Feinfein, prima Ware. Eine Hütte auf der Insel. Und ob er sich Hoffnung machen dürfe, daß ein Mann wie Herr Coldevin auch mit auf das Fest kommen würde.

Danke, ja, das sei gar nicht unmöglich. Ein Fest auf einer Dauneninsel, das sei ja gewissermaßen wie Diamanten ins Essen gemahlen. Wann das Fest vor sich gehen solle?

In einiger Zeit. Es könne ja nicht früher vor sich gehen, als im Herbst, wenn die Vögel von der Insel fortgezogen seien.

Ich will hören, ob Fräulein Holmengraa an dem Feste teilnimmt, sagte Anton.

Übrigens hatte Anton diesen Besuch nicht einzig und allein um des Kollegen Theodor willen gemacht, sondern auch um dessen Schwester willen, die Stubenjungfer bei Konsul Coldevins auf Westland war. Anton mußte doch aus reiner Höflichkeit ihre Angehörigen begrüßen, aber er machte nicht viel daraus. Ich kann Sie von Ihrer Schwester grüßen, sagte er.   Danke, antwortete Theodor. Sie kommt bald her, denn sie gehört ja auch zu denen, die mich hier hinauswerfen wollen.

Danach ging Anton in Herrn Holmengraas Haus und traf Willatz dort an. Willatz war also hierher gegangen, anstatt auf sein Ziegelwerk und an seine Partitur! So ein Schleicher, pfui Teufel! Anton wollte nicht mehr mit ihm rechten, sondern vor der Zeit abreisen. Willatz hätte die Sache durch eine kleine Erklärung wieder einrenken können, aber nein, er gab keinerlei Erklärung ab. Er hätte sagen können, was vollständig wahr gewesen wäre, daß er versucht habe, zu arbeiten, aber nicht vom Fleck gekommen sei, er sitze heute wieder einmal fest wie so oft, und um sich zu erfrischen, habe er Menschen aufgesucht. Er sagte kein Wort. Dieses Schweigen war auch so ein englisches Getue. Anton verachtete alles englische Getue.

Ich habe dem Kaufmann Jensen einen Besuch gemacht, sagte er. Er hat mich zu einem Herbstfest auf seine Dauneninsel eingeladen. Das wird gewiß unterhaltend, ich habe die Einladung angenommen. Ich komme dann wieder, um dabei zu sein.

Gut, dann kommst du wieder zu uns, hätte Willatz sagen können. Nehmen Sie mich mit auf das Fest, hätte Fräulein Holmengraa sagen können; aber keines von beiden sagte etwas.

Der Rechtsanwalt will auch ein Herbstfest geben, sagte Fräulein Holmengraa schließlich. Wirst du mit dabei sein, Willatz?

Werde ich eingeladen?

Schweigen.

Es sähe dir gleich, dich einladen zu lassen, nur um absagen zu können, sagte Mariane plötzlich.

Anton sah die beiden verwundert an, sie waren also heute nicht gut Freund, sie stritten. Anton gönnte allen beiden, was sie abbekamen, aber er wollte nicht noch mehr hören.

Entschuldigen Sie, Fräulein Mariane, ich hatte eigentlich Ihren Herrn Vater sprechen wollen, sagte er. Meinen Sie, er werde einige Augenblicke Zeit für mich übrig haben?

Warte doch noch ein wenig, er kommt gewiß bald, sagte Willatz und machte sich zum Gehen fertig.

Mein Vater ist droben in der Mühle, sagte Mariane. Ich weiß nicht, wann er nach Hause kommt. Könnten wir nicht alle zusammen hingehen, vielleicht treffen wir ihn unterwegs?

Das taten sie; Willatz etwas widerwillig und erst, nachdem er auf die Uhr gesehen hatte.

Sie kamen über die große Fahrstraße, die die Mühle und den Landungsplatz verband, und da stand ein Mann und wartete. Es war Konrad. Er grüßte und trat vor wie zu einer Anrede. Anton war der einzige, der stehen blieb, die beiden andern gingen weiter.

Warum hast du das gesagt? fragte Willatz lachend. Er mußte ja den Eindruck bekommen, daß wir uns gestritten haben.

Marianes Augen wurden lang und schmal, verschwanden beinahe.

Und wenn er auch diesen Eindruck bekommen hat, das macht doch nichts, sagte sie. Dann ging sie zu etwas anderem über: Es gibt wieder Unannehmlichkeiten mit den Arbeitern.

Schon wieder?

Ich weiß den Grund nicht recht, es gehört ja nicht viel dazu. So weit ich verstehe, ist es ein Schein, über den sie sich geärgert haben, ein Papierschein für den Laden. Sie haben dort Waren entnommen und den Betrag für das Mühlwerk aufschreiben lassen. Jetzt hat Papa eingeführt, daß keine Waren für das Mühlwerk abgegeben werden dürfen, außer gegen einen Schein vom Mühlenmeister oder vom Vorarbeiter. Diesen Schein wollen die Arbeiter wieder abgeschafft haben; es sei eine Schmach, sagen sie, es sei gerade, als ob ihnen ein Kennzeichen angeheftet wäre, sagen sie.

Ja, sie sind sehr feinfühlig geworden, entgegnete Willatz.

Aber sie wurden dann trotzdem wieder ruhig, und das hatte seinen guten Grund. Es stellte sich nämlich heraus, daß Ole Johan gar nicht schreiben kann, so schrieben die Arbeiter selbst die Scheine statt seiner und setzten darauf, was sie wollten. Hahaha, ich muß lachen! Niemand holte Scheine bei Bertel von Sagvika, denn der kann schreiben, alle gingen zu Ole Johan. Und schließlich gingen sie überhaupt zu niemand mehr, sondern schrieben selbst, was sie wollten, bis Theodor Verdacht schöpfte und die Sache untersucht wurde. Heute nachmittag kamen nun zwei Mann zu Papa und sagten: Lassen Sie die Schuldigen die Waren bezahlen, die sie entnommen haben!   Ich werde sie entlassen, erwiderte Papa. Nein, das wollten die beiden nicht haben. Papa mußte mit ihnen hinauf in die Mühle, um zu verhandeln.

Ist er mit ihnen gegangen, um zu verhandeln? fragte Willatz.

Was sollte er denn machen?

Ich verstehe nicht, daß dein Vater das Mühlwerk noch länger in Gang halten will.

Er hat wohl seine Gründe, ich weiß nicht. Jedermann hat seine Gründe. Ich müßte ja eigentlich für einen Schwiegersohn sorgen, der ihm helfen könnte, aber ich tue es nicht, sagte Mariane.

Das solltest du nur versuchen, rief Willatz scherzend.

Ich sollte ihm überhaupt einen Schwiegersohn verschaffen, wiederholte Mariane, aber ich bringe das gewiß nicht fertig.

Willatz lachte laut und selbstsicher wie ein Eigentümer. Warte nur noch ein wenig, vielleicht einen Monat oder so, vielleicht nicht einmal so lang. Es geht ja nicht jeden Tag schlecht bei mir voran.

Wir warten auf eine Partitur. Jawohl, darauf warten wir.

Ich möchte gerne etwas mehr sein und bedeuten, ehe du mich nimmst. Mißverstehe diesen edlen Zug bei deinem gehorsamen Diener nicht.

Mariane war wohl nicht ganz imstand, in diesen scherzenden Ton einzufallen, vielleicht machte sie sich auch nichts daraus. Sie hätte verstehen müssen, daß Willatz' Munterkeit erzwungen war und daß seine leichten Worte unecht klangen. Sah sie nicht das Zittern seiner Augenbrauen? Das wurde schlimmer, je rückhaltloser sie sprach. Ihn stießen sicherlich diese unverhüllt ausgesprochenen Absichten ab,   sie war ja durchaus nicht so ratlos wegen ihrer Versorgung. Ach, diese hingeworfenen Ausdrücke, wenn sie nur die lassen wollte! Er wußte gut, daß ihre innerste Natur nicht unzart war, auch heute noch war sie anschmiegend und reizend wie ein Kind, wenn sie ihn bat, sie »eine lange Weile« zu küssen. Aber er wußte auch, daß ihre Reisen und Bekanntschaften manches in ihren Vorstellungen geändert hatten, sie war zuzeiten dreist, dreist wie ihre norwegischen Zeitgenossen, sie hatte einen fremden Einschuß erhalten. Der Beifall, den sie für eine frische und ungebundene Äußerung manchmal in Gesellschaft gefunden hatte, war ihm immer eine wahre Pein gewesen, dies hatte sie jedesmal voneinander entfernt und hatte mit Eifersucht und Auseinandersetzungen geendet.

Aber Mariane   ach, sie war ja schlau wie ihre indianische Urgroßmutter und wußte genau, was sie tat. Biegen oder Brechen, mochte sie denken.

Mariane sagte: Da kommt Anton wieder. Nein, es ist nun einmal so, wenn du dir etwas in den Kopf gesetzt hast, dann steht es unerschütterlich fest, fuhr sie fort.

Ja, ich bin langweilig, räumte er ein.

Da ließ sie sich folgendes entschlüpfen:

Ich glaube, wir sind all die Jahre her ein bißchen zu viel füreinander bestimmt gewesen.

Dies mußte eine unwiderstehliche Tatsache sein, denn er nickte und nickte wieder.

Anton kam in großen Sprüngen hinterhergelaufen. Verzeiht, daß ich zurückgeblieben bin! sagte er. Willatz, ich soll dir einen Dank überbringen.

Willatz runzelte die Stirne. Er hatte zweifellos gemerkt, was Konrad wollte, und war ihm absichtlich ausgewichen.

Ich soll dir also einen Dank übermitteln, fuhr Anton unentwegt fort. Aber ohne Quittung gebe ich ihn nicht her. Du siehst mich nur an?

Ja, ich sehe dich sozusagen an.

Du magst tun und lassen, was du willst, versetzte Anton, aber daheim in unserer Gegend könntest du dir dieses Betragen nicht leisten. Hier kommt ein Mann und möchte dir für etwas danken, und du hörst ihn nicht, siehst ihn nicht.

Willatz antwortete:

Aber du hast Gelegenheit zu einer Unterhaltung gehabt. Du bist ein Mann des Volkes.

Herrgott! Sich mitten im Leben so zu haben wie du! rief Anton aufrichtig. Ich begreife nicht, daß du das magst! Dein Vater konnte das tun, weil er es in sich hatte, aber du   du verwaltest nur deines Vaters hinterlassene Größe.

Hier fiel Mariane mit lautem Lachen ein und riß auch Willatz mit.

Ist das ein Ton für einen Freund und Gast! rief er. Er steht wie auf Nadeln, vor Angst, er könnte nicht grob genug sein.

Ein Mann des Volkes ahmte Anton nach. Ja, was soll man tun? Ich mißgönne dir deine Verdunklung nicht, sie verbirgt dir das Leben mit allerlei Narretei und Feinheiten. Sieh her, das ist das Leben! sagte er und deutete den Weg hinab.

Ein paar Lastwagen kamen ihnen entgegen; deren Führer hatten mit Mehl zu tun gehabt, und ihre Gesichter trugen einen lächerlich leichenartigen Ausdruck. Hüh! riefen sie ihren Pferden zu. Die Wagen knarrten unter der schweren Last, die Männer gingen nebenher, einen Tag wie den andern, immer nebenher. Wenn sie an die Landungsstelle kamen, luden sie das Mehl ab und luden Roggen auf, fuhren den Roggen in die Mühle und von da wieder Mehl an die Lände. Einen Tag wie den andern.

Ich sehe im Geist dich an diesem Leben teilnehmen! sagte Willatz.

Ich nehme teil daran auf meine Weise, erklärte Anton. Gerade deshalb suche ich jetzt den Herrn Mühlenbesitzer auf, nur einer kleinen Aufklärung, eines Winkes wegen. Auch ich treibe Handel und Wandel, wenn auch nicht mit Mehl. Geh du nach Hause, Willatz, und heirate Synnöve Solbakken!

Und wieder lachte Mariane, aber diesmal allein.

Nein, er lacht nicht, sagte sie. Lachst du nicht, Willatz?

Nur wenn du befiehlst, daß es lustig war, antwortete er.

Herr Holmengraa kam ihnen freundlich grüßend entgegen, gelassen wie ein glücklicher Vater von allem und allen, ein Meisterwerk inneren Gleichgewichts. Mariane fragte, ob er den Sündern ihren Abschied gegeben habe; aber der Vater lächelte nur und erwiderte, es seien der Sünder zu viele gewesen.

Nun, du mit deinem Leben, hier ist etwas für dich, sagte Willatz zu Anton.

Alle drei gaben ihm ihren Beitrag zum Verständnis der Sache, und Anton sagte schließlich:

Da hat es also an der Kontrolle gefehlt.

Hier lachte Willatz. Richtig! sagte er. Die Schuld liegt auf beiden Seiten, so wird in allen Blättern stehen. Und wenn die Sache vor Gericht käme, würden alle Richter dasselbe sagen. Ich gebe dem Arbeiter Arbeit und Lohn, bestiehlt er mich, so tragen wir beide die Schuld, ich hätte Arbeit und Lohn andern geben sollen, die den Arbeitnehmer überwachen, und wieder Arbeit und Lohn denen, die die Überwacher überwachen. Zugleich verlangt der Arbeiter Lohnerhöhung für gut ausgeführte Arbeit, sonst tritt er in Ausstand.

Was würdest du mit ihnen gemacht haben?

Wenn Mangel an Gesindel auf der Welt wäre, würde ich sie leben und sich vermehren lassen.

Ich würde an Ihrer Stelle ein Schiedsgericht für das richtige halten, sagte Anton zu Herrn Holmengraa.

Da lachte Willatz wieder mit zurückgeworfenem Kopf ausgelassener, als es seine Art war. Vollkommen richtig! sagte er. O, Anton Fredrik Coldevin   so heißt du doch?   du bist unbezahlbar, du verstehst die Zeit wie kein anderer.

Ich meinte natürlich nicht Schiedsgericht über das Vergehen, das Verbrechen selbst, sagte Anton beleidigt. Aber wenn man die Angelegenheit auf die Spitze treibt, werden alle Arbeiter gemeinsame Sache machen und das Mühlwerk steht still. Ich denke, der Herr Mühlenbesitzer ist sich darüber vollständig klar. Die Arbeiter sollen selber Justiz unter sich üben, das werden sie nicht ablehnen. Das Schiedsgericht würde ich nur wegen der Scheine anrufen, wegen des angehefteten Kennzeichens: Beibehalten oder Abschaffen dieser Scheine.

Du Papa, sind es viele Sünder gewesen? fragte Mariane, die der Verhandlung überdrüssig war.

Jawohl, viele. Wie es scheint alle, außer Bertel von Sagvika und Ole Johan.

Also nur die Kontrolleure ausgenommen. Aber welcher Art Waren haben sie sich geben lassen?

Herr Holmengraa lächelte. Von allen Sorten, bis zum Segeltuch, bis zum Petroleum.

Nun habe ich doch niemals  

Dem kleinen Theodor im Laden haben sie weisgemacht, unser eigenes Erdölfaß sei leer, haben sich dann eines geben lassen und den Inhalt unter sich verteilt. Das Segeltuch, haben sie behauptet, sei zum Seihen. Die Margarine sei zu Butterbrot, wenn sie Überstunden hätten, da bekämen sie die Kost, haben sie behauptet. Hahaha! Ja, sie sind unvergleichlich. So haben sie es schon lange getrieben.

Anton schüttelte den Kopf, und er hatte wohl noch nie einen so triftigen Grund dazu gehabt. Dieser Mangel an Überwachung war doch gar zu arg.

Was willst du jetzt tun, Papa?

Man kann nichts tun. Es müßten zu viele getroffen werden, und das Schwert ist zweischneidig.

Hätte denn nicht Ihr Buchhalter das sofort sehen müssen? fragte Anton beinahe zitternd vor Geschäftssinn und Geschäftsverstand. Er vergaß, daß der Mühlenbesitzer vielleicht nicht so viel Wert auf seine Teilnahme an der Sache legte. Wurde denn keine ins einzelne gehende Rechnung von dem Geschäft ausgestellt? fragte er.

Nein! antwortete Herr Holmengraa kurz.

Ja, aber   fing Anton an, hielt aber inne, als er Mariane über seinen Eifer lächeln sah.

Ich merke, daß ich alle Karten auf den Tisch legen muß, sagte Herr Holmengraa ebenfalls lächelnd. Ich habe seinerzeit zu Theodor gesagt, eine ins einzelne gehende Rechnung sei nicht nötig, denn es könnten ja gar nicht viele Posten sein. Er habe Theodor das Vertrauen beweisen wollen, das er seiner Meinung nach verdiente. Und der junge Mann selbst habe auch gar keine Unterschleife getrieben. Dieser Theodor sei übrigens sehr, sehr weitläufig mit ihm verwandt, seine Mutter sei etwas wie eine Drittekindsbase von ihm. Herr Holmengraa habe der Familie hier in Segelfoß von Anfang an auf die Beine geholfen.

Ach so! sagte Anton. Aber er mußte doch finden, daß dies eine eigene Art des Geschäftsbetriebs sei. Das könne sich doch nur ein steinreicher Mann erlauben.

Nun standen sie an der Wegkreuzung, wo Willatz zu seinen Ziegelwerkstuben und seiner Partitur ab biegen mußte. Er griff bereits nach dem Hut.

Da fällt mir ein, Herr Holmengraa, wissen Sie mir nicht einen tüchtigen sachverständigen Mann, der die schlagbaren Stämme in meinem Wald anzeichnen könnte?

Zum Anzeichnen? fragte der Mühlenbesitzer und kehrte aus seiner eigenen Gedankenwelt zurück. Doch, dazu kann schon Rat werden. Ich habe mir Ihren Wald nach bestem Wissen angesehen, und ich meine, es ist manches davon brauchbar.

Danke! sagte Willatz und ging.

So wenig berührt schien Herr Holmengraa von der Unannehmlichkeit auf seinem Mühlwerk, daß er sogar höflichen und vollständigen Bescheid über etwas anderes geben konnte. Aber ein unendlich haarfeiner Unterton von Mißvergnügen in seiner Antwort war Marianes Aufmerksamkeit doch nicht entgangen.   Was hatte der zu bedeuten? Sie wußte nichts davon, daß auch ihr Vater in eigener Angelegenheit zu fragen gehabt hätte. Das Berggelände, das er kaufen oder pachten wollte, die Weide für die tausend Weideschafe, was sollte damit werden? Er erwähnte kein Wort davon. Mariane dachte: Er ärgert sich wohl, daß Willatz das Holzschlagen nicht selbst in Gang bringen kann, zu allem braucht er Hilfe.

Sie schob ihren Arm in den ihres Vaters und sagte, ohne ihn anzusehen, fast als ob sie überhaupt nicht spräche:

Als deine Kinder muß ich Einspruch dagegen erheben, daß du über Willatz wütend wirst.

Ach, du kleine Indianerin! antwortete er lächelnd.

Nein, er war nicht wütend über irgend jemand. Als sie nach Hause kamen, nahm er Anton mit in sein Arbeitszimmer und hatte eine halbstündige Unterredung mit ihm über südamerikanische Verhältnisse und gab klare Auskunft. Für Anton war es eine wahre Lust, so viel Sachkenntnis zu hören. Ja, nach allen Anzeichen zu schließen, hätte Anton den »Goldfisch« richtig beordert, meinte Herr Holmengraa, aber etwas Glück müsse er doch mit in Rechnung ziehen. Antons Spekulationen schienen den alten Märchenkönig Tobias sehr zu interessieren. Schicken Sie mir später ein paar Worte, wie es ausgefallen ist, sagte er.

Er blieb im Arbeitszimmer zurück, als Anton ins Wohnzimmer ging.

Mariane hatte wohl plötzlich gefunden, daß sie zu sehr mit Schmuck beladen sei. Sie hatte während dieser halben Stunde die großen goldenen Halbmonde aus den Ohren genommen und dafür Perlen hineingetan. Anton merkte das sofort und dachte, sie sehe jetzt besser aus. Diese baumelnden Halbmonde, die an wunderfeinen Kettchen hingen, waren wohl ein indianischer, oder sollte er sagen musikalischer Schmuck, die Perlen machten sie mehr europäisch. Sie gestattete ihm auch, ihr das zu sagen, und antwortete darauf: Finden Sie? Das freut mich.

Machen Sie sich was daraus, wenn ich etwas hübsch finde?

Gewiß.

So, aber das kann ich nicht verstehen, sagte Anton rasch.

Er sprach davon, daß er in diesen Tagen abreisen wolle,   wann fährt denn das nächste Schiff in südlicher Richtung? Freitag? Ja, da wolle er reisen. Aber wenn der Eidervogel abgezogen sei, komme er wieder.

Wen er damit meine? Wer sei denn der Eidervogel?

Ach, du lieber Gott! rief Anton. Was trauen Sie mir zu? Der Eidervogel? Das heißt, wenn die Eidervögel von ihren Brutplätzen fortgezogen sind, ihre Nester verlassen haben, die Eidervögel auf Kaufmann Jensens Dauneninsel.

Richtig, das hatte ich vergessen. Sie kommen ja zu dem Fest auf der Dauneninsel wieder.

Besonders wenn ich und das Fest hoffen dürften, daß Sie dabei erscheinen.

Ich? Entschuldigen Sie!

Eine gute Weile darauf hatte sich Anton das überlegt und war wieder beleidigt: Jawohl, er habe im Sinn, das Fest seines Kollegen, Kaufmann Jensen, mitzumachen. Ein rühriger Mann, ein Mann der Neuzeit, dieser sogenannte Theodor im Laden. Sehen Sie nur, wie unternehmend er ist, wie er immer weitere und weitere Kreise zieht! Das ist der Mann der Zukunft! Manche Menschen scheinen nur in der Vergangenheit zu leben. Sie sind stockblind, aber sie gehen mit starren Augen, die dennoch einen Ausdruck von Weisheit haben, weil sie so starr sind. Aber sie sind stockblind. Solche Menschen sollten auf ihrer eigenen Insel im Meere sitzen, sie wissen nicht, daß das Leben soviel wie Tageslicht und Handel und Artillerie ist.   Was täte es Ihnen, Fräulein Mariane, wenn Sie ein freies Fest besuchten, bei dem alle Teilnehmer sich über Sie freuen würden?

Das half alles nichts, er sprach nur in die Luft, und Mariane sagte, daß sie nichts mehr davon hören wolle.

Nein, nein, sagte er. Aber ich komme im Herbst wieder. Da wohne ich dann im Hotel   wie heißt es doch gleich? Im Hotel Larsen.

Als Anton gegangen war, holte Mariane eine Handarbeit aus alten Tagen hervor, schaute sie an und legte sie wieder nieder. Sie nahm ein Buch und las einige Zeilen, sie ergriff ein Spiel Karten und fing an, sie zu mischen. Mit einem Male machte sie die Tür zum Arbeitszimmer ihres Vaters auf und sagte, sie wolle noch einen kleinen Spaziergang machen.

Ja, tu das nur! sagte ihr Vater freundlich wie immer.

Er blieb zurück, ganz allein in diesem Teil des Hauses. Etwas war mit ihm vorgegangen, seit dem Augenblick, da Anton das Zimmer verlassen hatte. Konnte ein Mensch so plötzlich altern? Oder waren es schwere Gedanken, die ihn gebeugt und unköniglich gemacht hatten? Er hatte keine Papiere vor sich und arbeitete nicht an einer bestimmten Rechnung, er saß nur da und schaute mit schwimmenden Augen seine Hände an: Nein, der Freimaurerring hatte ihn nicht mehr gerettet, nichts hatte ihn gerettet, nicht einmal das, daß er geheimnisvoll zur Seite geschielt und Gesichter gemacht hatte, als ob er mit einem Unsichtbaren in Verbindung stehe   die Arbeiter hatten ihn gemeistert. Sie hatten ohne weiteres wieder angefangen, ihn zu duzen und Tobias zu nennen. Das war ihm wie ein Rippenstoß gewesen. Alle Achtung hatten sie vor ihm verloren, sie hatten ihn wieder bei Nacht auf der Mädchenjagd gesehen, ja, er hatte getan, als ob er auf der Waldbeschau für Willatz Holmsen wäre, da war er gegen Abend bis an die Berghöfe hinaufgegangen und hatte um ein Nachtlager gebeten. Ho, du bist ein feiner Kunde, Tobias, ein Freimaurer, du bist gerade wie einer von uns und kein bißchen anders! Und jetzt hast du mit dem Mehl aufgeschlagen. Du hast uns noch nicht vollständig ausgesaugt, wir haben noch einen winzigen Tropfen Blut in uns. Schämst du dich nicht vor dir selbst? Und wenn wir uns einen kleinen Schein schreiben und damit in den Laden gehen, um uns zu holen, was wir zum Leben brauchen, so kommst du über uns wie ein Sklavenvogt und rechnest uns jeden Öre nach. Pfui über dich!

Einige von den Arbeitern waren ruhiger gewesen und hatten Rechtssinn gezeigt. Sie hatten zuvorkommend genickt und dem Mühlenbesitzer in einer Kleinigkeit recht gegeben. Das war gar nicht so dumm, sagten sie. Er ist auch gar nicht ganz verrückt, sagten sie. Und das war beinahe schlimmer als alles andere. Aslak war zwar nicht mehr in der Mühle, aber Aslaks Geist war da geblieben.

Nein, das war nicht auszuhalten. Er war ja wahrhaftig nicht zum Herrn geboren, sondern dazu, zu kommen und zu gehen wie in einem Märchen. Die Leute hatten sich Gott weiß was über seinen Reichtum in den Kopf gesetzt! Er spekulierte, er verdiente Geld, er verlor Geld, vielleicht hatte er keine Million mehr zu verlieren. Das war das Entscheidende für die Leute. Weshalb hatte er wieder mit dem Mehl aufgeschlagen? Lieber Himmel, wenn er das aus Drang und Not tat, war er ja nicht mehr als jeder andere in Segelfoß, und warum sollten sie ihn dann noch besonders achten? Pfui über ihn!

Was denkt er, worüber grübelt er nach und warum schaut er seine Hände so an? Ist es ihm heute aufgedämmert, daß die neue Mode, die er in den letzten Wochen getrieben hat, ein Fehlschlag war? Was sollte er nun versuchen? Er ist der geborene Bauer heute wie gestern, seine Phantasie verdrehte ihm die Wahrheit nicht ganz, er blieb auf der Erde, auch wenn er flog. Als er in der vorigen Woche die Mehlpreise wieder erhöht hatte, da war es nach richtiger Berechnung geschehen. Noch konnte er die andern Müller unterbieten mit einem Betrag, der ungefähr der Fracht entsprach,   sollte er es da nicht tun! Die Leute? Es zeigte sich ja, wie die Leute ihn beurteilten: war er nicht reich, so war er gar nichts! Sie irrten sich so unmenschlich. Der Lebenslauf gewöhnlicher Leute mit dem seinen verglichen war wie ein Alltag gegen das Schicksal! Sein Reichtum? Was wollte man denn durchaus davon wissen? Vielleicht war er den Leuten vor der Nase reich, vielleicht war er es auch nicht. Er besaß vielleicht nicht einmal so viel, wie ein Goldgräber an einem einzigen Tag findet   was weiter? Er besaß vielleicht mehr, niemand wußte es. Und zuweilen wollte Mariane, die listig und klug war, wissen, was in den verschiedenen Briefen und Telegrammen stand, die ihr Vater erhielt. Sag mir, Papa, konnte sie scherzend fragen, weshalb hast du deinen Sohn schon als Kind wieder nach Mexiko zurückgeschickt und ihn dort in der Verwaltung von Gütern und dem Führen eines Schiffes unterrichten lassen?   Damit es in deinen Augen aussehen soll, als ob ich in Mexiko Güter und Schiffe hätte, antwortete er geheimnisvoll.

Aber wenn Herr Holmengraa aus irgendeiner Laune nach Segelfoß gekommen war, so war sein langer Aufenthalt hier unter Arbeiterunruhen und ständig sinkendem persönlichen Ansehen der reine Unsinn. Konnte er nicht überall auf der ganzen Welt sein, warum war er denn gerade hier? Niemand und nichts sollte glauben, er ließe sich festhalten, weder Frau Irgens noch das von ihr gekochte Essen, auch nicht die Arbeiter oder das Mühlwerk, die Wege, der Fluß oder die Einfahrt   nichts. Oder war es vielleicht sein Sehnen, in seiner Heimat zu leben und zu atmen, dieser Naturtrieb, eine Übermacht, ein Kreuz? In diesem Fall, liebe Leute, würde er ja über euch hinwegschreiten, würde er ja seinen Weg gehen und euch niedertreten wie Stroh zu seinen Füßen, ohne weiteres.

Er trat niemand nieder, dazu fehlte ihm die Gabe, ein Herrscher war er nicht. Herrscher? Er konnte nicht einmal seinen Reichtum festhalten und konnte nicht jederzeit dem Hohn eines Arbeiters mit Haltung entgegentreten. Sitzt er jetzt nicht in seinem Zimmer und brütet über die Bosheit der Welt nach? Es ging gut, solange er König und ein Fabelwesen war, da ging es herrlich. Die Geschöpfe beugten sich vor ihm; nachher ging es verkehrt. Er war vom Holm, er hatte sich einen Schritt vom Bauern entfernt, er war nur das erste Glied des Nicht-mehr-Bauern   was war weiter von ihm zu erwarten? Und trotzdem   er war das Märchen von Segelfoß, er war der Stern über der gemeinen Lumpenbande.

Er läuft einmal hinaus ins Eßzimmer und kommt wieder zurück, er hat verstohlen an den Türen gelauscht und setzt sich nun wieder, als ob er gerettet wäre; der Herr des Hauses hat sich gerettet. Und nun scheint sich sein Gemüt mehr und mehr aufzuhellen, er lächelt. Worüber in aller Welt hatte er auch nachzugrübeln? Bei Licht besehen hätte er ja allerdings nicht mehr so verrückt, nicht mehr so jung sein sollen. Die Mädchen können über das, was der Herr Mühlenbesitzer tut, nie den Mund halten, sie fragen einander: Ist dir das auch geschehen? Wo? Wie oft? Ach, dieser Sindbad der Seefahrer, dieser verrückte Kerl, dieser graue Knabe! Hatte nicht Frau Irgens jetzt viele Jahre lang Mühe gehabt, Dienstmädchen ins Haus zu bekommen? Es gab weit von hier Länder und Küsten, wo der Kaffeebaum blühte, Bananen und Zuckerrohr Wohlgerüche aushauchten und wo die Nächte   die Nächte den Seefahrern und den Verrückten gehörten. Es gab Inseln mit gelben, schwarzen und weißen Mädchen. Richtig betrachtet, hätte er Willatz Holmsens Wald nicht so genau abzuschreiten brauchen, keineswegs, die Berghöfe hatten im Grunde nicht viel Anziehendes, ausgenommen, daß das Mädchen Marcilie eine junge Schwester dort hatte. Ihr Vater führte ihn im Wagen ein Stück von den Bergen heim, ihr Vater will ihn immer fahren.

Wenn die Arbeiter des Mühlwerks ihn zu ihresgleichen machten, so irrten sie. Er war alles andere. Er hatte Ideen und bedeutende Pläne im Kopf. Bergweiden für Tausende von Weideschafen waren nichts als ein Stück einer langen Gedankenreihe, die mit einer Konservenfabrik und der Verschiffung ihrer Produkte endete. Er konnte elektrisches Licht anlegen und eine mechanische Werkstatt errichten. Er konnte mit Dampf pflügen. Aber er konnte sich auch dafür einsetzen, eine Apotheke und einen Buchhändler nach Segelfoß zu bringen, oder selbst einen Kramladen auftun und dreitausend im Jahr verdienen und es gut haben. Hehe, alles konnte er   konnte sich Klein-Theodors Narretei zunutze machen und plötzlich als Konkurrent dastehen! Ging es nicht auf die eine neue Weise, so konnte er es mit einer anderen noch neueren versuchen, alles konnte er. Aber sei ruhig, kleiner Theodor, wir kommen wohl nicht so weit, dich und deinen Kramladen zu stören, wohne du beruhigt auf deiner Scholle und sei der ganze Stolz deiner Mutter! Wir haben einige andere Plänchen, und eines davon verwirklichten wir gestern, im Stillen Ozean, hier ist das Telegramm! Der Krieg begehrt unser kleines Boot, unser brillantes kleines Boot, die Eule, das sich bei Tag nicht sehen ließ, nein, es segelte bei Nacht, es segelte in tausendundeiner Nacht, beladen mit Diamanten. Schick es zu uns herüber! sagte der Krieg.   Bitte, zweihundertundzwanzigtausend! Lieber Theodor, uns hat das Schiff sechzigtausend gekostet. Aber der Verkauf reut uns heute ein wenig, es war ein gutes Boot und fuhr mit Diamanten. Ein Jüngling führte es, Sennor Felix; er führt heute ein anderes Schiff, Sennor Felix ist ein prächtiger Märchenheld.

Herr Holmengraa läuft noch einmal ins Eßzimmer hinaus und kommt mit vollgestopfter Brusttasche wieder zurück. Matrosen haben zuweilen derartig vollgestopfte Brusttaschen, wenn sie an Land dürfen. Der Abend ist angebrochen, Herr Holmengraa schaut auf seine Uhr und geht aus. Auf der Treppe begegnet er seiner Tochter und er sagt scherzhaft: Freut mich, dich zu sehen!   Ebenfalls! antwortet sie lachend. Allzeit sind sie gute Freunde und Kameraden. Und weder fragte er sie, wo sie herkomme, noch fragte sie ihn, wo er hinwolle.

Er vertrieb sich die Zeit auf seinem Kontor im Lagerhaus, er beschäftigte sich mit dem und jenem, er stellte auch den Gehilfen des Lagermeisters an eine notwendige Arbeit, die viele Stunden in Anspruch nehmen mußte. Und dann wurde die Nacht so dunkel, wie sie in dieser hellen Jahreszeit überhaupt werden konnte. Die Winkel und Gäßchen zwischen den Häusern von Segelfoß waren deutlich zu erkennen.

Der Stationsvorstand Baardsen kommt aus dem Telegraphenbureau und geht sachte seine breiten Schultern wiegend zum Landungsplatz hinunter. Ein jeder hat bei diesem unregelmäßigen Mann das eine als Regel gesehen: er wandert nachts umher. Er denkt, er philosophiert, er lächelt über irgendeine Beobachtung, die er macht, er runzelt die Stirne über irgendeinen Lärm, den er hört. Schön, daß es Sommer ist, da braucht er keinen Überzieher und er hat wohl wichtige Dinge im Kopf, weil er sich im ganzen genommen gar so wenig um das Aussehen seiner Kleider kümmert. Seine Hosen gleiten ihm beim Gehen immer ein wenig herunter, der Stoff ist eingeschrumpelt, es ist ein schlechter Stoff, und die Hosen sind unten herum ausgefranst. Allein der Telegraphenamtsvorsteher Baardsen kümmert sich nicht um seine Hosen, das Gute hat er, und wenn er die Fransen ansieht, so sagt er, er sei offenbar kleiner geworden. Alles in allem sagt er viele muntere und viele tiefsinnige Worte, und gelegentlich tut er manchen herrlichen Ausspruch.

Er treibt sich eine Weile am Landungsplatz herum und kennt jede Kiste und jede Tonne, die dasteht, bis auf den letzten Nagel. Dann hört er ein Geräusch, runzelt die Stirne und geht dem Geräusch nach. Die Nacht ist still, es wird in einem Hause gesprochen, in dem, wo der Gehilfe des Lagermeisters wohnt; es ist des Gehilfen eigene Stimme, er schilt, er ist über irgend etwas sehr erregt und treibt einen Mann vor sich her. Seht, der Gehilfe ist der erste Baß im Gesangverein des Lagermeisters, er hätte also eine viel lautere Stimme entwickeln können; aber jetzt flüstert er, das heißt, er zischt: Also darum habt Ihr mir die Nachtarbeit gegeben, Ihr seid doch ein verfluchtes Schwein! Was habt Ihr hier verloren? Ich glaube wahrhaftig, Ihr treibt Euch hier ums Haus herum! Aber glücklicherweise ist Daverdana keine von der Art, sie macht nicht auf. Darauf könnt Ihr Euch verlassen.   Er treibt den Mann vor sich her und zischt weiter: Was   zum Satan! Habt Ihr schon so einen Hund gesehen! Was habt Ihr zu grinsen? Eigentlich sollte ich Euch einen Prügel um die Ohren schlagen!

Herr und Knecht! denkt Baardsen wohl, während er weiter geht. Er schaut vorsichtig über die Schulter zurück und sieht, daß sich der Herr allmählich aus dem Spiel zu ziehen sucht und kläglich lächelt. Was könnte er auch viel anders tun, als kläglich lächeln und verlegen aussehen. Baardsen philosophiert gewaltig: er hätte den Herrn vor dem Knecht gerettet, wenn es möglich gewesen wäre; er könnte eigentlich jetzt hineinschlüpfen zu Daverdana und sie wegen des Lärms vor ihren Fenstern mitten in der Nacht beruhigen   und hier lächelt Baardsen wahrhaftig, als habe er ausgezeichnet philosophiert. Allein jetzt hat der verjagte Herr seinen Entschluß gefaßt: plötzlich, als hätte er sich den Ort ausgesucht und wollte nun keine Begleitung mehr haben, wich er blitzschnell auf die Seite, beugte den Kopf vor und lief und war im nächsten Augenblick verschwunden. Der Gehilfe folgte langsam und schweigend nach, er begab sich wohl wieder an seine Arbeit im Lagerhaus.

Herr und Knecht, jawohl, die tausendjährige Geschichte, und auch heute konnte Baardsen kein Ende davon absehen. Er sah nur den Anfang eines einzelnen Falles: einen ergrauten Narren im Witwerstand, nein, im Witwerzustand. Einstmals hatte er sich sehr gut in der Zucht gehabt, aber jetzt hatte er sich nicht mehr in der Zucht. Horch nur auf diese nächtliche Grabesstille, sie siedet, sie rast, sie ist wie er! Eigentlich ist nichts Diebisches oder Hündisches dabei: wo ein Diener nicht anwesend sein darf, da muß er entfernt gehalten werden, alles ist dauerhaft und grob, es ist einfach Frechheit. Aber war der Herr auch sonst frech? Im Gegenteil, er war fein und freigebig und tief. Ach, es war gar nicht auszuphilosophieren. Baardsen wies sich selbst kurz und gut damit ab, daß es noch niemand hat ausphilosophieren können: Der Wind bläst auch nicht in Mustern, aber er ist da, man kann nicht von donnerfarbenen Strümpfen reden.

Baardsen hatte, bevor er sich in die Nacht hinausbegab, wohl eine Weile auf dem Telegraphenamt gesessen und sich gründlich erfrischt, denn er machte einen langen Spaziergang an Theodors Theater vorbei, ehe er umdrehte und denselben Weg zurückging. Er war gut aufgelegt und konnte vortrefflich nachdenken, aber als er an der Wohnung des Lagerhausgehilfen vorbeikam, wurde er einen Augenblick verwirrt, denn da stand der davongejagte Herr wieder! Er hat sich nicht mehr in der Gewalt, dachte wohl Baardsen, er hat niemand mehr in Segelfoß, um dessentwillen er sich in acht nehmen müßte! Das soll der Teufel verstehen; aber Baardsen hatte ja eigentlich in dieser Nacht auch nichts mehr vor dieser Wohnung zu suchen gehabt, jetzt mußte gehandelt werden, gerettet, was gerettet werden konnte, vor allen Dingen der Herr. Ohne Guten Tag zu sagen, ohne Einleitung geht er ohne weiteres hin zu dem Herrn und sagt:

Ich habe auf Ihrem Telegramm von vorgestern zu bemerken vergessen, daß die angegebene Stunde unsicher war.

Fuhr er nicht vor lauter Schreck jäh zusammen? Nein, der Herr nahm es gelassen hin.

So, sagte er.

Die für Ihr Ja oder Nein gesetzte Frist. Die Stunde kam mit einem Kreuz darunter. Es war ein wichtiges Telegramm, ich hätte ausdrücklich bemerken sollen, daß die Stunde von Puerto Rico her undeutlich übermittelt worden war.

Ich habe die Bedeutung des Kreuzes gut verstanden, sagte der Herr.

Baardsen sagte kurz und gut und fing zugleich an weiterzugehen:

Kommen Sie ein paar Schritte mit! Die unrichtig angegebene Stunde kann so viel ausmachen, daß Ihre gestrige Antwort zu spät ankommt. Es ist Krieg, jede Stunde ist wichtig.

Ich habe nichts dagegen, wenn meine Antwort zu spät kommt, sagte der Herr«

Es handelt sich doch um eine große Summe, um ein Vermögen?

Ja ja, sagte der Herr.

Miteinander redend gingen sie weiter. Der Lagerhausgehilfe kommt ihnen entgegen, er hatte wohl wieder Unrat gewittert, er läuft, was er kann, aber als er den beiden begegnet, geht er langsam vorbei und grüßt.

Bis dahin war der Herr zurückhaltend gewesen, nun aber fühlt er sich mit einem Male dem Telegraphisten gegenüber zu Dank verpflichtet und gibt dem auf die herzlichste Weise Ausdruck. Aber ich habe den Sinn des Kreuzes sehr gut verstanden, sagte er. Kommt der Handel zustande, so habe ich ein Schiff weniger. Es war ein tüchtiges Schiff, es fuhr mit Waren, die den Wert von Diamanten hatten. Kommt der Handel nicht zustande, so fährt es eben weiter mit Waren. So ist es. Aber der Handel ist wohl abgeschlossen, sonst hätte ich heute ein neues Telegramm erhalten.

Sie sprachen von anderen Dingen und gingen dabei immer weiter; jetzt konnten sie die Drachenköpfe an Rechtsanwalt Raschs Haus unterscheiden, und sie gingen an seinen Anpflanzungen vorbei. Der Herr wurde immer gesprächiger, Baardsen merkte wohl, daß er mehr sprach als gewöhnlich und seine Worte nicht abwog. Jetzt war Herrn Holmengraas Haus in Sicht.

Wir wollen uns ein wenig setzen, sagte der Herr.

Ja, gewiß, er war gesprächig, er redete von Inseln mit farbigen Mädchen darauf, er salbaderte, brauchte begeisterte Worte über alte und bekannte Dinge, wiederholte in Zwischenräumen einige selbstgemachte Redensarten, deren Sinn Baardsen viel besser auszudrücken vermocht hätte: Ist es nicht so, wie ich sage, die Liebe ist eine gelegentliche Krankheit. Man muß also hinaus und sich mit sich selbst abfinden, meinen Sie nicht auch?

Der Herr war kein Säufer und auch kein Liederjahn, seine Unregelmäßigkeiten hatten nichts mit Krankheit zu tun. Aber er war ein Typus im Übergang, zuweilen fiel er aus den Angeln, und eines schönen Abends wurde er zum Bajazzo. Baardsen empfand sein Geschwätz allmählich peinlich; aber dann zog der Herr plötzlich eine Flasche aus der Brusttasche und bot sie ihm an  

Der Matrose an Land bot an; Baardsen war zwar an allerlei gewöhnt, aber er sagte: Nein, ich danke. Er wurde blaß und stand auf. Vielleicht meinte er es gut mit dem Herrn, denn er sagte: Vielen Dank, aber ich habe noch zu arbeiten, wenn ich nach Hause komme, da darf ich wirklich nicht! Es ist eine ganz andere Sache, wenn Sie selbst ein Glas trinken, einen Kauftrunk auf das große Geschäft!

Ja, sagte der Herr und stand ebenfalls auf. Ja, ja, ganz richtig, ein Gläschen auf das Geschäft! Dies ist guter Wein, ich habe ihn mitgenommen, denn ich wollte irgendwo hin und mit jemand trinken.

Aber ich halte Sie auf, Sie sind müde und möchten gewiß gern schlafen gehen, sagte Baardsen.

Nein, ich bin nicht müde, erwiderte der Herr; darauf trank er einen Schluck aus der Flasche und steckte sie wieder in die Tasche.

Dann also gute Nacht! Baardsen grüßte tief und höflich mit dem Hut und ging.

Ein sonderbarer Mann! dachte wohl der Herr, als er allein war. Also gute Nacht, sagte er, obgleich ich nicht müde bin und nicht schlafen gehen will.

Aber Baardsen begibt sich wieder hinaus in die Nacht mit ihrer Grabesstille und ihrer Güte. Er philosophiert wohl noch eine geraume Zeit und überdenkt das ganze menschliche Dasein von Grund aus   mag's der Teufel verstehen!   und er schaut noch einmal nach der Wohnung des Lagerhausgehilfen   und wer steht dort? Der Herr. Der Herr zum drittenmal. Er hat den Hausschlüssel und schließt sich eben die Türe auf.


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