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16. Der malaiische Reineke Fuchs

1. Der Tigerkönig ist krank

Der Großkönig der Tiger war krank. Da verneigte sich der Tigerthronfolger vor ihm und sagte: »Geruhen Ew. Majestät vom Fleische jeglichen Tieres zu speisen, dann dürften Ew. Majestät wohl wieder genesen.« So befahl der Großkönig dem Thronfolger, alle Tiere zu ihm zu entbieten, und allemal aß der König eins von ihnen. Nur der Zwerghirsch, dem auch eine Aufforderung zuging, weigerte sich zu kommen. Der Großkönig ergrimmte über den Zwerghirsch, doch war er zu schwach, um ihm etwas anhaben zu können. Als er denn endlich doch kam, fragte der König ihn aus: »Weshalb kamst du nicht sogleich, als alle Tiere zu mir entboten wurden?« Der Zwerghirsch antwortete: »Ew. Majestät, Ew. geringster Diener konnte nicht erscheinen, denn ihm träumte von einer Medizin, die Ew. Majestät wieder gesund machen würde.« Der König fragte: »Von welcher Medizin hast du geträumt?« »Ew. allergeringsten Diener träumte, daß die alleinhelfende Medizin gegen Ew. Majestät Krankheit die ist, daß Ew. Majestät das greift und schlingt, was Ew. Majestät am nächsten ist.«

Kaum hatte der König dies vernommen, da stürzte er sich auf den Thronfolger und verschlang ihn. Und sogleich war der König gesund, und der Zwerghirsch wurde nun Kronprinz.

 

2. Wie der Zwerghirsch Schiffbruch erlitt

Komm,« sagte der Zwerghirsch zum Reiher, »komm und segele mit mir nach Java.« So segelten sie los; Freund Zwerghirsch saß am Steuer, Freund Reiher paßte auf's Segel. Der Wind wehte von Norden. Freund Zwerghirsch wurde bald schläfrig, und das Boot fiel vom Winde ab. Sprach Freund Reiher: »Weshalb fällt das Boot ab? Was macht das Steuer, Freund Zwerghirsch?« »Ich habe ein kleines Schläfchen gemacht,« antwortete er. »Bring das Boot wieder in den Wind,« sagte der Reiher. Der Zwerghirsch erwiderte: »Jawohl, schon gut! Ich stehe meinen Mann.« Dann döste er wieder ein, und der Reiher rief: »Hör mal, das ist ja unerträglich; schau, du mußt sterben, und dann ist es mit dir vorbei. Ich werde jetzt ein Loch in den Boden picken, und du kannst alsdann mit dem Boote den Meeresgrund besichtigen.«

Der Zwerghirsch sagte: »Mein Lieber, bitte, tue das nicht. Ich bin ein furchtbar ungeschickter und schlechter Schwimmer.« Sie segelten weiter. Der Zwerghirsch schlief zum dritten Male ein. Da vermochte der Reiher nicht an sich zu halten und sagte: »Zum Donnerwetter, Freund Zwerghirsch, mit deinem verdammten Schlafen am Steuer!« Er geriet ganz aus dem Häuschen und pickte ein Loch ins Boot. Das Wasser drang ins Boot und Freund Zwerghirsch strampelte mit den Beinen im Wasser herum und schwamm mutterseelenallein auf dem Meere.

Da kam ein junger Hai des Wegs geschwommen und rief: »Jetzt werde ich dich ohne weitere Umstände auffressen.« Zwerghirsch antwortete: »Aber Freund Hai, mich willst du fressen? Weshalb denn? Ich bin doch nur ein einziger Bissen für dich. Aber wenn du mich schön ans Land bringst, dann werde ich dich einen wundervollen Zauber lehren, der ist so wunderbar, daß du danach niemals wieder auf die Jagd zu gehen brauchst.« Da entgegnete der Hai: »Gut, einverstanden. Wenn du mir deinen wundervollen Zauber zeigst, will ich dich ans Land tragen.« Zwerghirsch stieg auf den Rücken von Freund Hai und wurde ans Land gebracht. Als sie da ankamen, sagte der Zwerghirsch: »Warte ein Weilchen, ich hole bloß die Zauberkräuter.« Damit lief er in den Busch, hob etliche Notang auf, nahm sie mit und rief: »Nun werde ich dir die Zauberkräuter geben, von denen ich sprach.« Damit band er die Notangseile an den Schwanz von Freund Hai. Der Hai fragte: »Sag mal, weshalb hast du das Seil an meinen Schwanz gebunden?« Zwerghirsch erwiderte: »Sei nur ganz still, ich muß es gehörig festmachen, und dann bekommst du die Zauberkräuter.« So zog er den Hai aufs Trockene und machte aus ihm Hackfleisch. Plötzlich sprang ein Tiger aus dem Busch und rief: »Hier gibt's ja was feines zu futtern, dann man los!« Zwerghirsch meinte jedoch: »Warum willst du mich denn fressen, schau, ich habe hier eine Unmenge Hackfleisch und noch etliches davon übrig.« »Gut, ich will es mit dir teilen,« sagte der Tiger. Zwerghirsch erwiderte: »Gewiß, unbedingt wollen wir miteinander teilen, aber du mußt auch gehen und Wasser holen, damit wir kochen können.« Der Tiger trollte sich davon und kam mit dem Wasser zurück. »Mußt das Fleisch waschen, ehe wir es kochen,« meinte Zwerghirsch. Der Tiger wusch das Fleisch im Wasser. »So, und nun hol' Feuer und brate es,« sagte der Zwerghirsch. Der Tiger holte Feuer und rüstete das Mahl. Als das Fleisch gar war, sprach der Zwerghirsch: »So, und nun besorge noch Trinkwasser, dann werden wir unsern Schmaus halten.« Wiederum ging der Tiger fort, um das Trinkwasser zu holen. Indessen stahl sich der Zwerghirsch mit dem Fleisch davon und kletterte auf eine Eiche. Und als der Tiger zurückkam, waren Zwerghirsch und Fleisch weg. Da rief er: »So, Herr Zwerg-Hirsch, einmal habt Ihr mich angeführt; wenn wir uns nicht wiedersehen, soll es mir nichts ausmachen, aber treffe ich Euch einmal, dann habt Ihr den Tod davon.« Damit hat die Geschichte ein Ende.

 

3. Wer mordete die Kinder der Fischotter?

Die Otter sprach zum Zwerghirsch: »Freund Zwerghirsch, sei so lieb und paß auf meine Kinderchen, bis ich wieder heimkomme. Ich will am Flusse Fische fangen und nach meiner Rückkehr will ich den Fang mit dir teilen.« Der Zwerghirsch antwortete: »Gewiß, sehr gern! Geh nur los, ich werde inzwischen auf deine Brut passen.« Und die Otter ging an den Fluß, um Fische zu fangen.

Nun war der Zwerghirsch Vortänzer bei den Kriegsreigen; als die Gongs erdröhnten, tanzte er und trat dabei auf den kleinen Fischottern herum, daß sie ganz zu Brei wurden. Bald kam die Ottermutter heim; sie hatte eine Menge Fische bei sich; und als sie ihr Haus betrat, sah sie nun, daß alle ihre Kinder tot waren. Sie rief: »Freund Zwerghirsch, sage doch, wer hat denn meine Kinderchen getötet?« Der Zwerghirsch entgegnete: »Der Specht hat die Kriegsgongs erdröhnen lassen, da mußte ich als Vortänzer tanzen; ich dachte dabei gar nicht an deine Kinderchen, ich trat auf ihnen herum und habe sie totgetreten.«

Als die Otter dies vernommen hatte, begab sie sich zum König Salomo, warf sich vor ihm nieder und klagte: »Ew. Majestät allerniedrigste Dienerin liegt hier im Staube vor Euch und bittet um Verzeihung, wenn sie es wagt, Ew. Majestät allergnädigstes Gehör zu erflehen, denn der Zwerghirsch mordete die Kinder Eurer Dienerin, und Eure Dienerin möchte nun wissen, ob er nach den Gesetzen des Landes schuldig zu sprechen ist oder nicht.« König Salomo erwiderte: »Hat der Zwerghirsch es mit Vorsatz und wissentlich getan, dann ist er des Todes schuldig.« Und er befahl den Zwerghirsch vor sich. Der Zwerghirsch erschien vor'm Könige; der König fragte die Otter: »Wessen klagst du ihn an?« Die Otter sagte: »Eure Dienerin beschuldigt ihn des Mordes an den Kindern Eurer Dienerin; Eure Dienerin möchte dazu das Gesetz des Landes hören.« Nun fragte der König den Zwerghirsch: »Sag, weshalb hast du die Kinder der Otter getötet?« Der Zwerghirsch erwiderte: »Ja, ich tat es und bitte um Eure Verzeihung.« »Weshalb hast du sie denn umgebracht?« »Nun, Euer geringster Diener tötete sie, als der Specht die Kriegsgongs erdröhnen ließ. Ew. Majestät weiß ja, daß Euer geringster Diener Vortänzer im Kriegsreigen ist; er mußte daher tanzen, und weil er darüber die Kinderchen der Otter vergaß, trat er auf ihnen herum und trampelte sie zu Brei.« Jetzt ließ der König den Specht kommen. Der Specht erschien. »Specht,« fragte der König, »hast du die Kriegsgongs erschallen lassen?« »Ja,« antwortete der Specht, »denn ich sah, wie die große Eidechse ihr Schwert umgürtete.« Der König äußerte: »Ist das der Fall, dann hat der Specht keine Schuld, denn er ist ja zum Schlagen der Gongs an erster Stelle verpflichtet.« Der König ließ nun die große Eidechse vor sich kommen und fragte sie: »Hast du das Schwert getragen?« »Ja, Ew. Majestät, ich tat es.« »Weshalb trugst du ein Schwert?« Die große Eidechse erwiderte: »Euer Diener griff zum Schwerte, weil die Schildkröte ihren Panzer angelegt hatte.« Nun wurde die Schildkröte vorgeladen. »Weshalb hast du deinen Panzer angezogen?« Die Schildkröte sagte: »Euer Diener tat sich nach dem Panzer um, als er sah, wie der Molukkenkrebs mit seinem dreikantigen Speer herumzog.« Der Molukkenkrebs mußte erscheinen. »Warum zogst du mit deinem Speer herum?« »Euer Diener sah, wie der Hummer seine Lanze auf die Schulter genommen hatte.« Der Hummer wurde vorgeladen. »Hummer, hast du eine Lanze auf die Schulter genommen?« Der Hummer antwortete: »Jawohl, Ew. Majestät!« »Und weshalb tatst du dies?« »Euer ärmster Diener sah, wie die Otter herbeikam, um die Kinderchen Eures ärmsten Dieners zu verschlingen.« »Oho,« sagte König Salomo, »liegt der Fall so, dann hast du, Otter, allein Schuld. Deine Klage gegen den Zwerghirsch kann nicht aufrecht erhalten bleiben, sie unterliegt nicht den Gesetzen des Landes.«

 

4. Der Tiger bekommt seinen Lohn

Ein Tiger hatte sich in einer Falle gefangen. Ein Mann kam vorbei. Der Tiger bat, ihn herauszulassen. Der Mann sprach zum Tiger: »Wenn ich dich nun befreie, willst du mir vorher versprechen, mich nicht anzufallen?« »Gewiß!« antwortete der Tiger. Der Mann ließ den Tiger heraus; kaum war er frei, da fiel er auch schon über den Mann her. Der Mann bat den Tiger, von ihm abzulassen und sich erst einmal zu erkundigen, wie das Gesetz sich zu ihrem Vertrage stelle; der Tiger willigte ein. Und Mann und Tiger gingen zusammen weiter. Sie kamen an eine Straße. Der Mann sprach: »Straße, liebe Straße, sag an, entspricht es dem Gesetz, Gutes mit Bösem zu vergelten, oder darf Gutes nur mit Gutem vergolten werden?« Antwortete der Weg: »Ich erweise der Menschheit nur Gutes, aber sie belohnen mich mit Bösem, denn sie trampeln auf meinem Rücken, wenn sie gehen.« Darauf kamen sie an einen Baum; der Mann stellte dieselbe Frage. Der Baum antwortete: »Ich tue der Menschheit Gutes, aber sie vergelten es mit Bösem, denn sie schlagen mir die Äste ab und hauen mich um.« Schließlich gelangten sie zum Zwerghirsch. Der Mann stellte dieselbe Frage. Der Zwerghirsch erwiderte: »Der Frage muß ich wirklich auf den Grund gehen; kommt, wir wollen uns wieder zur Falle begeben.« Als sie da ankamen, forderte er den Tiger auf, hineinzugehen; der Tiger gehorchte. Als er die Falle betreten hatte, ließ der Zwerghirsch die Falle zuschnappen und rief: »Elender Bursche, du wolltest Gutes mit Bösem vergelten, nun sollst du sterben!« Dann holte er die Leute herbei, und die machten ihm den Garaus.

 

5. Der Tiger und der Schatten

In den Dschungeln befand sich eine Salzlecke, zu welcher sonst alle Tiere des Waldes sich gern begeben hatten. Aber nun fürchteten sie sich, denn seit einiger Zeit hauste dort ein alter Tiger, der täglich eins von ihnen tötete. Eines Tages sagte P'lando, der Zwerghirsch, zum Tiger: »Vetter, warum erlaubst du mir nicht, dir täglich einen Braten zu bringen, dann brauchtest du ja gar nicht auf die Jagd zu gehen?« Dem Tiger gefiel der Vorschlag, und so begab sich P'lando zu den Tieren, um mit ihnen zu beratschlagen. Doch gelang es ihm nicht, eins von ihnen zu überreden, mitzukommen; nach drei Tagen zog er wieder ab, und in seiner Begleitung befand sich nur Kuwis, ein kleines Flugeichhörnchen. Als sie beim Tiger waren, sagte P'lando: »Ich konnte dir kein anderes Tier mitbringen, denn der Weg wird von einem alten, dicken, fetten Tiger versperrt, auf dessen Kopf ein kleines Flugeichhörnchen sitzt.« Als der Tiger das hörte, rief er: »Auf! Den wollen wir suchen und forttreiben.« Die drei machten sich auf die Beine; das Flugeichhörnchen setzte sich auf den Kopf des Tigers, und der Zwerghirsch stieg ihm auf den Rücken. Als sie an einen Fluß kamen, zeigte der Zwerghirsch dem Tiger sein Ebenbild im Wasser und rief: »Schau hin! Da ist der alte, dicke, fette Tiger, von dem ich dir erzählte.« Als der Tiger das hörte, sprang er ins Wasser, um sein eigenes Spiegelbild anzugreifen, und ertrank auf der Stelle.

 

6. Klugheit siegt

Der Zwerghirsch P'lando besuchte den ›wilden Bullen von der Lichtung‹ und sagte zu ihm: »Der Bulle aus dem neuen Gehölz ist außerordentlich schlecht auf dich zu sprechen, und wenn er von dir redet, gebraucht er höchst unsaubere und gemeine Ausdrücke.« Dann begab er sich zum Bullen aus dem neuen Gehölz und erzählte dem: »Der wilde Bulle von der Lichtung spricht in sehr beleidigenden Ausdrücken von dir.« Er wollte sie gar zu gern zu einer Prügelei verhetzen.

Am nächsten Tage machten die beiden sich auf und trafen sich an der Grenze der Lichtung und des neuen Gehölzes. Und als sie aufeinander losgingen, wurde der Bulle aus dem neuen Gehölz von dem Bullen der Lichtung erschlagen; der Zwerghirsch hatte sich indessen auf einen Ameisenhügel gesetzt, um dem Kampfe zuzuschauen und die Gegner gegeneinander zu hetzen.

Während des Kampfes bohrten die weißen Ameisen Gänge und Löcher in den Rücken des Zwerghirsches, der auf dem Hügel saß und nun nicht wieder aufstehen konnte. Er bat deshalb den Überlebenden: »Freund Bulle, du bist ja so stark, tu mir die Liebe und zertrample diesen Ameisenhügel.« Der Bulle der Lichtung zerschmetterte den Hügel mit den Hörnern und trabte dann eilends davon, um den Ameisen zu entgehen. Der Zwerghirsch war befreit und durchschnitt jetzt dem Bullen des neuen Gehölzes die Kehle, so wie Muhamed es will, und zog dem Leichnam die Haut ab.

Da erschien Rimau, der Tiger, und sprach: »Wollen wir das Fleisch teilen?« Der Zwerghirsch antwortete: »Natürlich, sehr gern!« Als sie mit dem Abziehen der Haut fertig waren, begann es zu regnen; der Zwerghirsch bat den Tiger, ihm etliche kräftige Zweige zu schneiden, um einen Schutz gegen den Regen zu haben. Der Tiger tat es und nahm sie auf die Schulter, um sie fortzutragen; da das Flußufer aber schlüpfrig und seine Schulter über und über mit Blut beschmiert war, hatte er große Mühe, hochzukommen.

In dem Augenblicke wurde er des Zwerghirsches ansichtig; er fragte ihn: »Aber um Himmelswillen, Freund Zwerghirsch, warum schüttelst du dich so?« Der Zwerghirsch antwortete barsch und grob: »Ich bebe vor Erwartung!« Da meinte der Tiger, der Zwerghirsch habe es auf ihn selbst abgesehen, er wurde so kleinmütig, daß er schleunigst in den Fluß sprang und das Fleisch dem Zwerghirsch überließ.

 

7. Der Elefant wettet mit dem Tiger

In längst vergangenen Tagen waren Gajah, der Elefant, und Rimau, der Tiger, die besten Freunde. Eines Tages kamen sie auf eine Lichtung und trafen dort Lotong, den langgeschwänzten Brillenaffen. Als der Elefant den Affen erblickte, sagte er: »Herr Lotong lärmt einmal wieder ganz ungebührlich; wir wollen ihn vom Baum jagen; fällt er auf meinen Anruf, dann darf ich dich fressen; fällt er bei deinem, dann darfst du mich fressen nun, wollen wir wetten?« Der Tiger fragte: »Einverstanden?« Der Elefant antwortete: »Einverstanden!« »Schön,« sagte der Tiger, »dann probier du es zuerst und drohe ihm.« Da bedrohte der Elefant den Affen. »Au! Au! Au!« trompetete er, und allemal, wenn er trompetete, bekam der Affe es mit der Angst. Kopf voraus sprang er von einem Ast zum andern, doch fiel er kein einziges Mal zu Boden.

Schließlich fragte der Tiger den Elefanten: »Nun, Vetter Elefant, willst du dein Glück nochmals versuchen?« Doch der Elefant erwiderte: »Nein, danke schön. Du kannst es einmal versuchen; und wenn er herunterfällt, sollst du mich fressen vorausgesetzt, daß er wirklich herunterfällt!« Nun ging der Tiger los, er brüllte so laut er nur konnte, duckte sich zu Boden, setzte zum Sprung an und bedrohte so den Affen dreimal. Und der Affe ließ los; er fiel dem Tiger vor die Füße, denn Arme und Beine waren ihm dermaßen vor Schrecken gelähmt, daß er keinen Zweig mehr festhalten konnte. Da sagte der Tiger: »Nun, Freund Elefant, ich glaube, ich darf dich jetzt fressen.« Der Elefant erwiderte: »Ja, die Wette hast du gewonnen; doch bitte ich dich, mir sieben Tage Aufschub zu gewähren, ich möchte meine Frau und meine Kinder noch einmal sehen und auch mein Testament machen.« Der Tiger gewährte die Bitte; brummend und bei jedem Schritte seufzend trabte der Elefant nach Hause.

Als die Frau des Elefanten das Schnaufen ihres Mannes vernahm, sagte sie zu den Kindern: »Was mag denn dem Vater zugestoßen sein, er seufzt ja entsetzlich!« Die Kinder spitzten die Ohren und meinten: »Ja, das ist Vaters Stimme, er seufzt, es kann niemand anders sein.« Vater Elefant kam herein, und Mutter Elefant fragte: »Vater, weshalb seufzst du denn so? Was hast du dir getan?« Vater Elefant antwortete: »Ich habe mit Freund Tiger eine dumme Wette gemacht, wer nämlich von uns beiden einen Affen vom Baum herunterschütteln könnte; Freund Tiger hat gewonnen; ich drohte dem Affen, doch fiel er nicht herunter; wenn er herabgefallen wäre, hätte ich den Tiger fressen dürfen, aber wenn der Tiger ihn herunterkriegte, durfte er mich fressen. Ich habe verloren, und Freund Tiger will mich nun fressen. Aber ich bat ihn, daß er mich noch einmal nach Hause entließ, um von euch Abschied zu nehmen, und so habe ich sieben Tage Aufschub bekommen.« Sieben Tage lang seufzte Vater Elefant in einem fort, er aß nicht, er schlief nicht. Freund Zwerghirsch hörte von der Geschichte. »Was mag nur mit Freund Elefant los sein, der schnaubt und trompetet in einem fort, er schläft auch nicht, und macht so die Nacht zum Tage und den Tag zur Nacht. Was mag ihm nur zugestoßen sein? Ich werde ihn einmal aufsuchen,« sagte der Zwerghirsch. Darauf zog der Zwerghirsch los, um nach dem Rechten zu sehen; und er fragte: »Freund Elefant, was fehlt dir nur? Jeden Tag und jede Nacht hört man dich trompeten, gerade als ob die Welt untergehen sollte. Weshalb machst du solchen Lärm?«

Der Elefant erwiderte: »Freund Zwerghirsch, ich habe alle Ursache dazu, ich bin in eine fürchterliche Klemme geraten.« »In welche Klemme?« fragte der Zwerghirsch. »Ich wettete mit dem Tiger, wer von uns beiden einen Affen vom Baum schütteln könnte, und er hat gewonnen.« »Um was habt ihr gewettet?« fragte der Zwerghirsch weiter. »Wir wetteten, wenn Freund Tiger den Affen vom Baum bekäme, dann dürfte er mich fressen, und falls ich ihn herabjagte, sollte ich Freund Tiger fressen. Freund Tiger kriegte ihn herunter, und nun will er mich fressen. Deshalb mag ich nicht essen, kann nicht schlafen und habe nur noch diese sieben Tage Frist, um meine Frau und Kinder zu besuchen und mein Testament zu machen.« Da sprach der Zwerghirsch: »Wenn Freund Tiger dich gefressen hätte, wäre ich sehr betrübt, wäre ich ganz außerordentlich bekümmert gewesen; aber wie die Dinge nun liegen, bin ich weder eins noch das andere.« »Willst du mir beistehen, will ich dein Diener sein und meine Nachkommen sollen deine Diener sein.« »Schön, dann will ich dir helfen,« sagte der Zwerghirsch: »Geh' und schau dich nach einem Krug Palmsyrup um.« Freund Elefant versprach es und trottete zum Hause eines Palmweinmachers. Der lief eilends fort, als er den Elefanten kommen sah; so kam der Elefant in den Besitz eines Kruges Palmsyrups und brachte ihn dem Zwerghirsch.

Freund Zwerghirsch sagte: »Wann läuft die Galgenfrist ab?« Freund Elefant antwortete: »Morgen.« Als sie am nächsten Morgen losgingen, sprach der Zwerghirsch: »Gieß' dir den Syrup über den Rücken und laß ihn über die Flanken und Beine herablaufen.« Freund Elefant gehorchte. Freund Zwerghirsch unterwies nun den Elefanten: »Wenn ich den Syrup auflecke, dann trompete so laut du kannst, damit die Leute denken, ich hätte dich furchtbar verletzt, auch winde und wende dich hin und her.«

Freund Zwerghirsch begann darauf tüchtig zu lecken; Freund Elefant wand und wendete sich hin und her, so daß alle glaubten, man täte ihm furchtbar weh, und dabei trompetete er ganz fürchterlich. So zogen sie weiter; Freund Zwerghirsch stieg auf und setzte sich auf's Hinterteil des Elefanten. Und der Elefant trompetete und trompetete, bis sie endlich dem Tiger begegneten. Da rief der Zwerghirsch: »Ach, mit so einem Elefanten wird man schnell fertig; wenn ich bloß diesen dicken, fetten, alten Tiger zu fassen kriegen könnte, dann würde ich eben, eben noch satt.«

Als Freund Tiger diese Worte vernahm, dachte er bei sich: »Ich glaube, wenn der mich fängt, frißt er mich obendrein auch noch auf.« Freund Tiger blieb daher keinen Augenblick mehr stehen, sondern sprang in großen Sprüngen davon, um sich in Sicherheit zu bringen.

Er traf den schwarzen Affen. Freund Affe fragte: »Freund Tiger, weshalb rennst du denn so? Warum all' dieser Lärm? Stürzt der Himmel ein? Weshalb diese großen Sprünge?« Freund Tiger antwortete: »Was heißt all' dieser Lärm? Was für ein Kerl hockt da auf dem Rücken von Freund Elefant, hat Freund Elefant gefangen und schlingt große Stücke von ihm hinein, so daß der arme Kerl sich vor Schmerzen nicht zu lassen weiß und das Blut in Strömen von ihm herabrinnt? Außerdem sagt der Kerl, der da auf dem Rücken von Freund Elefant sitzt ich habe es selbst gehört, daß er mit einem einzelnen Elefanten schnell fertig würde, er möchte sich noch gern einen dicken, fetten, alten Tiger fangen, dann wäre sein Hunger knapp gestillt.« Freund Affe sagte: »Freund Tiger, was für ein Kerl war es denn?« »Das weiß ich nicht,« antwortete der Tiger. »Aha,« schmunzelte der Affe, »es soll mich gar nicht weiter wundern, wenn es nicht Freund Zwerghirsch gewesen ist!« »Nein, ganz gewiß nicht!« sagte der Tiger, »um alles in der Welt wäre es doch nicht möglich, daß Freund Zwerghirsch mich verschlingen könnte. Außerdem frißt er ja gar kein Fleisch. Komm, wir wollen zurückgehen.« Nun suchten sie den Elefant. Zuerst ging der Affe voran, darauf der Tiger, und zum Schlusse war der Affe wieder voraus. Als der Zwerghirsch, der noch immer auf dem Rücken des Elefanten saß, die beiden kommen sah, rief er: »Halloh, Vetter Affe, du bist mir ein netter Kunde; erst versprichst du mir, zwei Tiger zu bringen, und nun kommst du bloß mit einem? Den nehme ich nicht, Vetter Affe.«

Als Freund Tiger dies hörte, lief er so schnell wie er konnte davon; dann verlangsamte er seine Schritte und sagte: »Freund Affe, das war gemein von dir, mich in eine solche Falle zu locken, nur damit du deine Versprechungen einlösen kannst. Schäme dich, Vetter Affe! Es ist ja noch ein Glück für mich, daß er mich nicht haben will; hätte er mich genommen, wäre ich tot und alles mit mir vorbei. Aber warte nur, kommst du mir noch einmal in den Weg, dann sollst du sterben, weil du mich in den Hinterhalt locken wolltest.« So entstand die Feindschaft zwischen Tiger und Affen, die bis auf den heutigen Tag andauert, denn der Tiger kann es dem Affen nicht vergessen, daß er ihn überlisten wollte. Und damit ist die Geschichte aus.

 

8. Der Zwerghirsch und der Tiger

Ehemals waren der Tiger und der Zwerghirsch gute Freunde gewesen. Dann entzweiten sie sich. Das geschah auf folgende Weise.

Das Wochenbett der Frau Zwerghirsch war zu Ende. Und so ließen sie ihr Kind zu Hause, als sie in den Busch liefen, um sich etwas zum Futtern zu suchen. Da erschien der Tiger und fraß das Kleine des Zwerghirsches auf. Und begab sich wieder in den Wald zurück.

Als der Zwerghirsch und seine Frau nach Hause kamen, fanden sie ihr Kind nicht mehr. Sie durchsuchten das ganze Haus, konnten es aber nirgendwo finden. Da weinten sie. Und der Zwerghirsch sagte zu seiner Frau: »Paß gut aufs Haus auf, ich werde einmal im Walde nachsehen, vielleicht spielt der Kleine dort.«

Darauf ging der Zwerghirsch fort.

Nach einiger Zeit kam der Tiger wieder. Er traf die Frau des Zwerghirsches schlafend. Erschöpft und ermüdet vom Suchen nach ihrem Kinde war sie in tiefen Schlaf versunken und hörte nichts. Der Tiger pißte sie ins linke Auge; darauf entfernte er sich wieder.

Als der Zwerghirsch nach Hause kam, rief er seine Frau; aber er bekam keine Antwort. Er ging an ihr Bett und sah dort das Wasser des Tigers. Er weckte seine Frau und sagte zu ihr: »Warum weinst du denn?« »Aber ich weine doch nicht!« »Weshalb ist denn dein Auge naß?« Frau Zwerghirsch erkannte und roch nun ebenfalls das Wasser des Tigers.

»Ist jemand hier bei dir gewesen?« »Ich weiß nicht; ich habe geschlafen, ich weiß von nichts.« Der Zwerghirsch sagte nun: »Unser Kind hat der Tiger aufgefressen. Wir wollen jetzt lieber keine Freunde mehr sein. Frau, ich gehe noch mal fort und will den Tiger suchen. Paß gut aufs Haus, und wenn er wiederkommt, dann sage ihm nur, daß ich ausgegangen bin, mehr nicht!« Und der Zwerghirsch ging fort.

 

9. Der Zwerghirsch, der Tiger und die Wespen

Eine Weile später begegnete der Zwerghirsch dem Tiger. Der redete sehr freundlich zu ihm: »Zwerghirsch, wohin willst du?« »Ich suche mir etwas zu futtern, sonst nichts.« »Dann gehe ich mit dir.« Der Zwerghirsch erwiderte: »Liebster, ich will voraus laufen; komm du nur hinterher; ich werde mich an die Seite des Wegs setzen und auf dich warten.«

Darauf suchte der Zwerghirsch sich ein Wespennest. Und an der Seite des Weges fand er denn auch eins, in dem viele Wespen saßen. Die Wespen hatten es, nach ihrer Gewohnheit, zu Füßen eines hohen Baums gebaut. Der Zwerghirsch setzte sich dabei hin.

Kaum saß er, da kam auch schon außer Atem der Tiger gerannt.

»Zwerghirsch, wie bin ich bloß zurückgeblieben, ich habe dich überall gesucht.«

»Ja, Tiger, und ich habe hier schon so lange gesessen und immer auf dich gewartet.«

Der Tiger antwortete: »Ich habe dich überall gesucht, aber ich konnte dich nirgendwo finden.«

»O,« erwiderte der Zwerghirsch, »wie klingt das schön!«

»Was meinst du?«

»Nun, diese Orgel, hör' mal diese schöne Weise.«

»Ich höre nichts.«

»Nun, du mußt ganz nahe herankommen.«

Als der Tiger ganz nahe war, hörte er von der Stelle her, wo der Zwerghirsch saß, ein liebliches Gesumm. Unwillkürlich rief er: »Zwerghirsch, was für schöne Töne! Wie aus einer Flöte.«

»Ja,« antwortete der Zwerghirsch, »ich sitze auf der Orgel meines Herrn und muß auf sie aufpassen.«

»Darf ich einmal darauf spielen?«

»O, was soll daraus werden?«

»Ach, nur einen Augenblick, bitte!«

»Einverstanden, aber dann mußt du mich erst ein Stückchen hiervon entfernt in den Busch werfen. Und wenn du die Orgel gut hören willst, vergiß nicht, gehörig hineinzublasen!«

»Vorzüglich,« erwiderte der Tiger, packte den Zwerghirsch und schleuderte ihn ein Ende weg.

Darauf begann der Tiger zu blasen. Es war noch keine Minute verstrichen, da kamen die Wespen wütend heraus und fielen über den Tiger her, den sie unbarmherzig stachen, so daß er in kürzester Zeit ganz unglückselig aussah.

»O,« rief er heulend, »wenn ich dich zu packen kriege! Kein Wort rede ich mehr mit dir, sondern fresse dich gleich auf.« Vom Zwerghirsch war nichts mehr zu hören und zu sehen. Er hatte sich sorgfältig versteckt und lachte sich eins über das Unglück des Tigers.

 

10. Der Zwerghirsch, der Tiger und die Schlange

Darauf entfernte sich der Zwerghirsch, lief fort und begegnete einer schlafenden Riesenschlange. Er setzte sich auf ihren Kopf.

Bald kam auch der Tiger.

»Worauf sitzt du denn? Was für ein schönes Ding ist das?«

»Das ist eine goldene Kiste, die muß ich für die Gemahlin des Königs bewachen.«

»Laß es mich für einen Augenblick tun!«

»Was fällt dir ein? Was willst du übrigens immer mit mir? Überall wo ich bin, dahin mußt du auch kommen. Nein, das geht nicht. Nur mir allein hat die Königin die Kiste anvertraut.«

Der Tiger blieb dabei: »Ach, nur einen Augenblick!«

»Das geht doch nicht! Ich bin klein, und du bist groß, das hält die Kiste ja nicht aus.«

»Nur zu!«

»Meinetwegen, einen kleinen Augenblick, aber erst wirf mich in den Busch. Und wenn ich dann rufe, dann setze dich darauf.«

Gesagt, getan. Auf den Ruf des Zwerghirsches hin setzte sich der Tiger. Doch die Schlange hatte ihr Maul auf, was der Tiger in seiner Freude gar nicht beachtet hatte. Mit einem Male stimmte der Tiger ein furchtbares Wehgeschrei an; sein Schamteil war in den Rachen der Schlange geraten, und sie hatte es zur Hälfte abgebissen.

Heulend und wehklagend schlich der Tiger fort – bis heute sind davon noch die Spuren zu sehen –, um den verfluchten Zwerghirsch aufzuspüren.

 

11. Der Zwerghirsch, der Tiger und der Brunnen

Der Zwerghirsch war weiter gelaufen, bis er an einen Brunnen kam, der gerade trocken war. Er sprang hinein und tat so, als ob er schliefe.

Es dauerte auch nicht lange, da kam der Tiger. Er fragte: »Zwerghirsch, was machst du dort unten? Bist du nicht bange, dort umzukommen?«

»Wie magst du nur so etwas fragen! Weißt du denn nicht, daß morgen das Jüngste Gericht abgehalten wird? Alles wird dabei von unterst zu oberst gekehrt. Wenn du heute in der Grube sitzst, kommst du morgen nach oben, und die oben sind, die kommen unter die Welt zu liegen.«

»Ist das wahr?«

»Ja, gewiß ist es wahr, und wenn du es nicht glauben willst, dann kannst du es morgen früh um acht Uhr selber sehen, wenn das Jüngste Gericht beginnt.«

Der Tiger glaubte es und ließ sich nach unten gleiten. Unten fragte er den Zwerghirsch, ob es ihm auch angenehm wäre, wenn er unten bliebe.

»Ja, mir ist's einerlei, wir haben hier genug Platz.«

Einen Augenblick später stieg der Zwerghirsch auf den Rücken des Tigers. Der begriff nicht, was der Zwerghirsch im Sinne hatte und ließ ihn gewähren. Der machte einen Satz nach oben und war aus dem Brunnen heraus. Da begann der Tiger zu rasen.

»Ja,« sagte der Zwerghirsch, »solch' großer Kerl wie du kann mich nicht überlisten, aber ein kleiner Wicht wie ich, der kann es.« Sprach's und verschwand.

Der Tiger machte vergebliche Anstrengungen, um herauszukommen, es gelang ihm nicht, und so mußte er elendiglich umkommen.

 

12. Der Zwerghirsch und die Hochzeitsgäste

Der Zwerghirsch begab sich nach Hause und kam unterwegs an eine Hütte, in der man alles für die am nächsten Tage stattfindende Hochzeit bereit gemacht hatte. Die müden Leute waren gerade dabei, zu Bett zu gehen.

Er wartete, bis sie schliefen, kletterte dann aufs Dach und ließ sich durch den Rauchfang nach unten. Auf den Schüsseln standen vielerlei leckere Sachen. Er fraß alles auf und verrichtete auf den leeren Schüsseln seine Notdurft. Dann ging er in die Küche; hier kehrte er allen Hausrat von unterst zu oberst. Unten machte er sich seine Pfoten schwarz, indem er sie mit Nuß bestrich, darauf suchte er nach dem Schlafgemach der Braut und trat hinein. Mit seinen schmutzigen Pfoten beschmierte er das Antlitz der Braut, die fest schlief. Und so beschmutzte er alles, was im Hause war und begab sich in das anstoßende Gemach neben der Braut und wollte die Frau wecken. Er setzte sich vorsichtig auf ihre Nase und ließ einen Wind streichen. Darauf rannte er nach oben auf den Dachfirst und nahm ein kleines Kissen mit.

Der Gestank drang der Frau in die Nase. Sie wachte auf und ging in die Kammer der Braut, die pechschwarz aussah. Ganz verstört rief sie alle Hausgenossen zusammen. Die erschraken nicht wenig, als sie das schwarze Antlitz der Braut erblickten, das vor kurzem noch so strahlend hell gewesen war. Es entstand ein gewaltiger Lärm. Jeder dachte, daß die Braut zum Gespenst geworden war.

Als sie die leckeren Speisen nachsahen, fanden sie nur noch Kot. Sie entsetzten sich von neuem. Dann gingen sie in die Küche, da war alles von unterst zu oberst gekehrt. Doch bemerkten sie auch in der überall herumgestreuten Herdasche die Fußspuren des Zwerghirsches.

Nun suchten sie nach ihm. Der saß ungestört und ungesehen oben. Als man das ganze Haus vergeblich nach ihm abgesucht hatte, erblickte man ihn zuguterletzt auf dem Dachfirste. »Ha,« schrien sie wie aus einem Munde, »da ist der Dieb, der uns das Fleisch und die anderen schönen Sachen aufgefressen hat. Morgen soll die Hochzeit sein und kein Happen Fleisch ist mehr im Hause!« Und alle gingen zugleich auf ihn los.

Nun warf der Zwerghirsch das Kissen nach unten; sie hielten es für den Zwerghirsch, der heruntergefallen war. Alle machten sich darüber her und sahen dann, daß es nur ein Kissen war.

Der Zwerghirsch saß mittlerweile noch oben. Einige kletterten hinauf und kriegten ihn zu fassen. Wie sollte er nur fortkommen? Das ging nicht mehr; unten waren Leute und oben waren Leute.

Zur Strafe für seine Missetaten wollten sie ihn am nächsten Morgen schlachten.

Der Zwerghirsch wurde unter einen Hühnerkorb gesetzt und weinte die ganze Nacht.

Da kam zufällig ein Frosch in die Nähe des Hühnerkorbes; zu dem sagte der Zwerghirsch:

»Frosch, hilf du mir, ich weiß mir keinen Rat mehr.«

»Wie bist du denn da hineingeraten?« fragte der Frosch.

»Na, ich habe den Hochzeitskuchen aufgefressen, da haben sie mich erwischt, und morgen soll ich geschlachtet werden.«

Der Frosch riet ihm: »Morgen früh um sechs Uhr, wenn sie kommen und dich schlachten wollen, dann bleibe steif und langausgestreckt liegen. Und von jetzt ab laß deinen Speichel aus dem Munde laufen, so daß er morgen stinkt. Dann glauben die Menschen, du bist tot und werfen dich in den Busch.«

Am andern Tag kamen die Leute mit Messern und Seilen, um dem Zwerghirsch den Garaus zu machen. Als sie bei ihm waren, sagten sie:

»O seht! Der Zwerghirsch schläft: der Kopf liegt so, die Pfoten so! O, so schläft also ein Zwerghirsch; zum ersten Male sehe ich einen Zwerghirsch so schlafen.«

Sie faßten ihn an.

»Der ist tot; der ist schon steif.«

»Ach was, der ist nicht tot, der schläft nur.«

Darauf kehrten sie ihn um, beguckten, betasteten ihn: der Zwerghirsch blieb so steif wie ein Stück Holz.

»Also ist er doch tot! Wäre er nur lebendig, würde er sich krümmen und versuchen, zu entwischen. Auch ist er ganz steif und stinkt bereits.«

Zum Schlusse war jeder davon überzeugt, daß er tot war.

»Ja,« sagten sie, »wenn er nun einmal tot ist, nützt er uns nichts mehr. Es geht nicht gut, daß wir ihn schlachten und den Gästen Fleisch von einem toten Tier vorsetzen. Aufbewahren hat auch keinen Zweck. Es ist besser, wir werfen ihn, wo er nun schon tot ist, einfach in den Busch.«

Darauf hob man ihn hoch und warf ihn fort. Doch er sprang schnell auf die Beine, lachte alle laut aus und lief in den Busch.

Als die Leute dies sahen und hörten, stand ihnen der Verstand still. Wie war es nur möglich gewesen, daß der Zwerghirsch, der doch unbedingt tot gewesen war, plötzlich wieder lebendig geworden war. Sie gingen nach Hause und erzählten die ganze Geschichte den Zurückgebliebenen.

Inzwischen hatte der Bräutigam erfahren, daß seine Braut in der Nacht wie ein Gespenst ausgesehen hatte. Deshalb sagte er zu seinen Eltern:

»Laßt's gut sein. Ich heirate lieber nicht. Vielleicht wird sie später ein richtiges Gespenst. Die Unkosten haben wir uns umsonst gemacht.«

 

13. Der Zwerghirsch und der Riese Gergasi

Einst gab es sieben Tierarten: den Wasserbüffel, den Ochsen, den Hund, den Hirsch, den Zwerghirsch und das Reh. Diese Tiere wollten Fische fangen. Sie warfen ein Netz aus, holten es wieder ein und hatten viele Fische bekommen. Sie schütteten die Beute am Strande aus, und irgendwer sagte: »Wer will die Fische hüten, während wir einen neuen Fischzug tun? denn der Gergasi kann kommen.« Sprach der Wasserbüffel: »Ich will sie schon bewachen. Ich bin vor ihm nicht bange und werde ihn mit den Hörnern stoßen, wenn er kommt.«

Als die anderen Tiere fort waren, erschien der Gergasi und sagte: »Ha ha, ha! Was habt ihr für viele Fische gefangen! Die werde ich sogleich verspeisen, und eigentlich dich noch dazu!« Der Wasserbüffel entgegnete: »Schön! Komm nur 'ran, ich werde dich aufspießen!« »Das wird geschehen,« versetzte Gergasi, »wenn ich nicht eure Fische essen darf.« Als der Gergasi ganz nahe war, tat der Wasserbüffel so, als ob er ihn auf die Hörner nehmen wollte; da griff der Gergasi darnach und hielt sie so fest, daß der Büffel sich nicht rühren konnte, denn der Gergasi war sehr groß und stark. Darauf brüllte der Büffel: »Laß los! Du darfst auch die Fische essen.« Da ließ der Gergasi ihn frei, und der Wasserbüffel schwamm zu seinen Gefährten, die in der See Fische fingen.

Als er bei ihnen ankam, sagte er zu ihnen: »Der Gergasi hat die Fische aufgefressen; er hielt meine Hörner fest, und ich konnte nichts machen.« Da wurden die anderen Tiere auf den Büffel böse und sagten: »Wir können uns zu Tode fischen, und der Gergasi frißt alle unsere Fische.« Und das Pferd sagte: »Fisch' du nun mit den andern; ich will die Fische bewachen, und wenn es mir nicht gelingt, ihn zu beißen, will ich ihn doch mit den Hufen treten.« Darauf brachten die Tiere den Fang an denselben Platz, gaben ihn in die Obhut des Pferdes und zogen auf neue Beute aus.

Als sie ein Weilchen weg waren, kam der Gergasi wieder und sagte: »Ha, ha, ha! Wenn du nicht machst, daß du fortkommst, fresse ich dich samt den Fischen auf.« »Wohlan,« erwiderte das Pferd, »versuch's einmal, ich werde sie verteidigen, und wenn ich sterben müßte.« Als der Gergasi sich näherte, wollte das Pferd ihn beißen; der Gergasi hielt ihm aber den Kopf fest, und es war machtlos. Darauf bäumte sich das Pferd hoch empor; der Gergasi mußte den Kopf loslassen. Als es von ihm frei war, sprang es ihn mit den Hufen an. Gergasi hielt aber die Hinterhufe fest. Nun bat das Pferd, losgelassen zu werden. Der Gergasi tat es, und während das Pferd zu seinen Gefährten schwamm, fraß er die Fische auf.

Als das Pferd bei seinen Genossen anlangte, sagte es: »Ich habe mein Bestes versucht, aber der Gergasi hat die Fische doch gefressen. Erst wollte ich ihn beißen, da kriegte er meinen Kopf zu fassen. Dann bäumte ich mich hoch empor, schüttelte ihn ab, versuchte ihn zu treten, aber er hielt mir die Hufe fest, und ich mußte klein beigeben.« Darauf erwiderten seine Gefährten: »Was hat es nur für einen Zweck, Fische zu fangen! Wir werden bloß müde, und der Gergasi frißt sie doch. Das Beste ist, wir gehen nach Hause.« Und der Ochs, der Hirsch, der Hund und das Reh sagten: »Was sollen wir auch versuchen, wider den Gergasi zu streiten; die starken Tiere haben es versucht und nichts erreicht. Gehen wir also heim.«

Nur der Zwerghirsch schwieg; und als alle andern ihre Sprüchlein hergesagt hatten, meinte er: »Geht nur und fischt weiter; diesmal will ich aufpassen.« »Na, du kannst gerade was rechtes,« antwortete das Pferd, »du bist doch so klein. Wie willst du gegen den Gergasi aufkommen?« »Das laßt meine Sorge sein,« erwiderte der Zwerghirsch, »gewiß, ich kann nicht gegen ihn kämpfen oder ihn gar töten, aber ich werde die Fische bewachen.« Die andern Tiere wollten aber nach Hause; schließlich überredete sie der Zwerghirsch. Sie fingen wieder Fische und schütteten sie an derselben Stelle auf den Strand. Darauf sagte der Hirsch: »Wer will sie bewachen?« Der Büffel antwortete: »Nun, der Zwerghirsch sagte doch, er würde es tun.« »Jawohl,« erwiderte der Zwerghirsch, »ich will sie schon bewachen; aber vielleicht möchte jemand anders es lieber, ich bin ja so klein.« Es war jedoch niemand bereit. Und so sagte der Zwerghirsch: »Schön, dann werde ich also aufpassen. Schüttet die Fische nur auf einen Haufen und deckt den mit Blättern zu, daß niemand sie sehen kann.« Die Gefährten häuften die Fische darauf in einen Hümpel zusammen, deckten den mit Blättern zu, und als sie damit fertig waren, gingen sie wieder zum Fischen.

Als die andern fort waren, suchte sich der Zwerghirsch etlichen Rotang und schnitt ihn in Streifen, als ob er damit etwas binden oder flechten wollte. Kaum war er damit fertig, da erschien auch der Gergasi und sagte: »Ha, ha, ha! Paßt etwa der Zwerghirsch jetzt auf? Na? Büffel und Pferd haben mir die Fische überlassen müssen, Kleiner, was willst du denn machen? Gib die Fische man gleich heraus, oder ich fresse dich auch mit.« Der Zwerghirsch entgegnete: »Ich passe hier auf keine Fische auf, ich schneide Rotang.« Der Gergasi war inzwischen näher gekommen die Fische hatte er noch nicht bemerkt und fragte weiter: »Na, was machst du denn mit dem Rotang?« »Die binde ich mir um die Knie,« erwiderte der Zwerghirsch. »Warum tust du das?« erkundigte sich der Gergasi. »Schau dir mal den Himmel an,« versetzte der Zwerghirsch, »der sieht aus, als ob er jeden Augenblick herabfallen wollte, sieh doch, wie niedrig er schon hängt. Darum binde ich mir etwas um die Knie.« »Aber weshalb bindest du dir denn Rotang um die Knie, wenn du meinst, daß der Himmel herabfällt?« fragte der Gergasi. »Das tue ich, um mich nicht zu verletzen, wenn ich in den Brunnen steige; denn wenn der Himmel einfällt, mache ich, daß ich da hineinkomme, um nichts abzukriegen.«

Der Gergasi schaute zum Himmel empor. Der schien tatsächlich ziemlich niedrig zu hängen. »Binde erst einmal etwas um meine Knie,« sagte er, »dann können deine dran kommen.« »Gern,« erwiderte der Zwerghirsch, »du mußt dich nur über den Brunnen setzen.« Sie gingen beide nach dem Brunnen; der Zwerghirsch trug den Rotang. Nun sagte der Gergasi: »Na, kannst auch zuerst deine Knie umwickeln.« Doch der Zwerghirsch entgegnete: »Wenn ich mich zuerst einwickle, dann kann ich es hernach doch nicht mehr bei dir tun.« »Auch gut,« sagte der Gergasi, »dann binde den Rotang man erst mal um mich, aber du mußt zuerst in den Brunnen steigen.« »Na, hör mal,« sprach der Zwerghirsch, »wenn ich das tue, dann komme ich nicht um, wenn der Himmel einfallen sollte, sondern du bringst mich um, wenn du mir auf den Kopf steigst.« Der Gergasi war damit einverstanden, die Richtigkeit von dem, was der Zwerghirsch ihm sagte, leuchtete ihm ein. Der Zwerghirsch machte seine Sache gründlich; er band dem Gergasi die Hände an den Knien fest. »Weshalb hast du mich denn so furchtbar fest gebunden?« fragte der Gergasi; doch der Zwerghirsch gab ihm zur Antwort einen Stoß, und der Gergasi stürzte in den Brunnen. »Und nun kannst du da bleiben, bis du verreckst,« sagte der Zwerghirsch, »du hattest dich in meiner Klugheit getäuscht.« »Und so muß ich hier sterben?« sprach der Gergasi. »Ja,« erwiderte der Zwerghirsch, »du hast uns ja immer unsere Fische gestohlen.«

Nach einiger Zeit kamen die Gefährten des Zwerghirsches und schleppten neue Fische herbei. »Seht mal, wie klug ich war,« sagte der Zwerghirsch, »ich habe den Gergasi gefesselt! Ihr sagtet, er wäre so stark. Wie hätte ich ihn dann überwältigen können?« »Du lügst,« schrien Büffel und Pferd, »wie hast du ihn bloß binden können!« »Nun, wenn ihr mir nicht glaubt,« erwiderte der Zwerghirsch, »dann seht einmal selber nach. Im Brunnen ist er.« Da gingen alle Tiere nach dem Brunnen und sahen dort den Gergasi. Darauf sagten der Büffel und das Pferd: »Wie ist dir das nur gelungen?« »Ach, was fragt ihr lange,« versetzte der Zwerghirsch, »ihr versteht ja nichts von meinen Listen. Jedenfalls tut ihr gut, ihr nehmt jetzt einen Speer und macht ihm den Garaus, denn er hat euch so oft eure Fische gestohlen.« Darauf töteten sie den Gergasi mit einem Speer.

Als der Gergasi tot war, beschlossen sie, am Strande ihr Mahl zu halten. Und wie sie nun die Fische und den Reis kochen wollten, bemerkten sie, daß ihnen der Pfeffer fehlte. Da sie keine roten Pfefferschoten hatten, mußten sie sich ohne diese behelfen; infolgedessen mundete ihnen das Essen nur halb so gut. Während sie so saßen und aßen, sah der Zwerghirsch, daß das Ende des Zumptes vom Hunde rot war. »Na,« sagte er, »nun suchen wir nach rotem Pfeffer da ist ja welcher!« Und damit zeigte er auf den Zumpt des Hundes. Der Hund begriff nicht recht, und Hirsch und Reh fragten nochmals: »Wo ist der Pfeffer?« »Da!« erwiderte der Zwerghirsch und zeigte wieder auf den Hund. D'rauf wurde der Hund böse, denn er schämte sich sehr, und der Hirsch und das Reh lachten ihn aus. Doch bekamen die drei es mit der Angst; sie liefen fort, und der Hund immer hinter ihnen her.

Daher verfolgt sie der Hund noch bis auf den heutigen Tag, denn sie hatten sein Schamgefühl gar zu grob verletzt.

Der Hund war dem Zwerghirsch hart auf der Spur, als sie die Dschungeln erreichten. Es gelang dem Zwerghirsch aber, mittels seiner Zähne und Füße einen Baum zu erklimmen. Und als der Hund unterm Baum ankam, konnte er keine Fährte mehr vom Zwerghirsch entdecken, auch war von seinem Geruche nichts mehr zu spüren. Da gab der Hund die Verfolgung des Zwerghirsches auf und jagte hinter Hirsch und Reh her. Als er wieder an die Stätte kam, wo sie hatten essen wollen, waren alle fort, nur Reis und Fisch standen noch da. Er jagte weiter hinter Hirsch und Reh her, aber er konnte sie nicht kriegen. Schließlich sagte er: »Schön, wenn mir jemals ein Hirsch, Reh oder Zwerghirsch vors Gesicht kommt, werde ich sie töten, und meine Kinder und Kindeskinder sollen es ebenso machen.« Und so ist es bis heute geblieben.

Nach einer Weile traf der Hund wieder mit Pferd, Büffel und Ochse zusammen, und die vier Tiere teilten sich nun in das Essen, denn der Hund war ihnen nicht böse. Sie hatten ja nicht über ihn gelacht.

 

14. Der Zwerghirsch und der Tiger

Als der Hund nach Hause gegangen war, wollte der Zwerghirsch den Tiger besuchen. Unterwegs traf er eine Reihe Schlangen, die aufgeringelt ganz nahe der Wohnung des Tigers lagen und sich sonnten. Der Zwerghirsch wartete eine Weile, aber die Schlangen rührten sich nicht.

Bald kam der Tiger; und Tiger und Zwerghirsch sahen sich im selben Augenblick. Der Tiger hatte aber die Schlangen nicht bemerkt; so sagte er zum Zwerghirsch: »Zwerghirsch, was machst du da?« »Ach,« antwortete der, »ich stehe hier schon eine ganze Zeit Wache, der Radja hat es befohlen.« »Was bewachst du denn?« fragte der Tiger. »Ich muß auf die Sachen des Radja passen, seine Prunkschärpen,« erwiderte der Zwerghirsch und wies auf die Schlangen hin. Der Tiger schaute hin, und wie er sie so schön in Kreisen geordnet sah, meinte er: »Wie wär's, wenn wir die beiseite schleppten. Ich möchte sie umbinden und sehen, wie die Schärpen mir stehen.« »Das darf ich nicht erlauben,« versetzte der Zwerghirsch, »der Radja hat mir befohlen, auf sie aufzupassen, aber ich kann ihn ja mal fragen.« Der Zwerghirsch hatte nämlich Angst vor dem Tiger bekommen und wollte sich nun recht unauffällig drücken. Er sagte: »Ich will vorangehen. Wenn ich dem Radja begegne, werde ich rufen.«

Der Zwerghirsch machte sich davon, und als er ein Stückchen entfernt war, rief er den Tiger und sagte: »Ich habe den Radja getroffen. Er sagt, du darfst seine Schärpen einmal probieren.«

Darauf faßte der Tiger nach den Schlangen und hob sie hoch; die erwachten, griffen ihn an, wanden sich um seinen Leib und bissen ihn. So starb der Tiger.

Der Zwerghirsch machte sich aus dem Staube und sagte: »Haha! Tiger! Du hieltest dich für so stark und furchtbar? Na, der listige Zwerghirsch wird im Handumdrehen mit dir fertig.«

 

15. Der Zwerghirsch und der Bär

Als der Tiger tot war, überlegte sich der Zwerghirsch, wie er wohl dem Bären einen Streich spielen könnte, denn er hatte gehört, daß der Bär ein sehr starkes Tier war. Eines Tages wanderte er umher und erspähte dabei in einem Baume ein Bienennest. Da setzte er sich hin und wartete. Und nach einiger Zeit kam auch richtig ein Bär des Wegs getrottet. »Was machst du denn hier?« fragte er. »Ich bewache hier die Trommel des Radja,« erwiderte der Zwerghirsch, »er hat sie in meine Obhut gegeben.« »Darf ich einmal versuchen, wie sie klingt?«. fragte der Bär, »ob ihr Ton schön oder schlecht ist?« Der Zwerghirsch antwortete wie vordem, er müßte erst den Radja fragen. Als er fort und ein Stückchen weg war, rief er: »Der Radja erlaubt dir den Gong zu schlagen.« Da schlug der Bär nach dem Bienennest. Die Bienen kamen wütend herausgeschwärmt und stachen ihn zu Tode.

 

16. Der Zwerghirsch und das Krokodil

Der Zwerghirsch ging eines Tages am Flusse spazieren und erblickte auf der andern Seite einen Baum, an dem eine Frucht hing. Er wollte gerade über das Wasser setzen, als er eines Krokodils ansichtig wurde. »Wer ist da?« fragte der Zwerghirsch, doch das Krokodil antwortete nicht. D'rauf sagte der Zwerghirsch: »Oho, ich weiß wohl, wer du bist. Du bist das Krokodil. In sieben Tagen will ich meine ganze Sippe hierherbringen, dann wollen wir mit dir kämpfen; bring deine Leute nur auch mit.«

Als der siebente Tag da war, begab sich der Zwerghirsch frühmorgens an den Fluß, bevor das Krokodil noch erschienen war. Er lief im Ufersande hin und her, so daß derselbe über und über mit seinen Fußspuren bedeckt war. Nach einer Weile kam das Krokodil mit seinen Gefährten. Der Zwerghirsch erwartete sie und sagte: »Ihr kommt ja sehr spät. Meine Genossen haben auf euch gewartet und gewartet, aber schließlich wurden sie müde, und nun sind sie nach Hause gegangen. Wollt ihr mir nicht glauben, dann seht euch einmal die Spuren im Sande an. Nun möchte ich dich und deine Gefährten zählen, damit ich weiß, wieviel ihr seid; seid also so gut und stellt euch einmal von einem Ufer des Flusses zum andern in einer Reihe auf.« Das taten die Krokodile, und der Zwerghirsch schritt über die Rücken hinweg und zählte: »Eins, zwei, drei,« plötzlich tat er einen Satz und sprang auf das andere Ufer. Dann rief er: »Aha, euch habe ich angeführt! Wie könnte denn ein Zwerghirsch mit Krokodilen kämpfen! Ich sah auf dieser Seite eine Frucht, aber ich fürchtete mich, hinüberzuschwimmen, denn ich wußte ja, daß ihr auf mich wartetet.« »Schön,« antwortete das Krokodil, »warte man, wenn du wieder zum Trinken an den Fluß kommst, dann werde ich dich fressen.«

Einige Tage später hatte der Zwerghirsch das Krokodil schon wieder vergessen. Er ging ans Wasser und wollte trinken. Da kriegte das Krokodil ihn beim Bein zu fassen. D'rauf griff der Zwerghirsch nach einem Stück Holz, schob es nach ihm hin und sagte dann: »Du hast ja gar nicht mein Bein zu fassen. Hier ist mein Bein,« und zeigte dabei auf das Stück Holz. Da ließ das Krokodil das Bein des Zwerghirschs los. Der Zwerghirsch sprang fort und rief: »So, jetzt habe ich dich wieder angeführt! Nein, Krokodil, du bist fürwahr auch gar zu dumm!« »Na ja!« entgegnete das Krokodil, »das nächste Mal kommst du nicht so glimpflich davon.«

 

17. Der Zwerghirsch im Loch

Eines Tages ging der Zwerghirsch in den Dschungeln spazieren und fiel dabei in ein tiefes Loch. Er konnte nicht wieder herauskommen.

Nach einer Weile kam der wilde Ochse nach dem Loche, und als er den Zwerghirsch erblickte, sagte er: »Na, Zwerghirsch, was machst du denn da?« »Oh,« antwortete der Zwerghirsch, »ich besuche hier nur meine Mutter, meinen Vater, meine Schwestern und Brüder.« »Warte einen Augenblick,« sagte der wilde Ochse, »ich komme hinunter, denn ich möchte meine Eltern und Geschwister auch sehen.« Doch der Zwerghirsch bat den Ochsen, nicht herunter zu kommen. Darauf erwiderte der wilde Ochse, wenn er das noch einmal sagen würde, ließ er sich von oben auf ihn fallen, und dann müßte der Zwerghirsch sterben. Da erlaubte der Zwerghirsch dem Ochsen, ins Loch hinabzusteigen, und der Ochse kam herunter. Als er unten war, fragte er den Zwerghirsch: »Sag', wo sind denn meine Eltern?« »Warte ein Weilchen,« versetzte der Zwerghirsch, »ich habe sie gerade im Augenblick aus dem Gesichte verloren.« Der Ochse wartete, und nach einiger Zeit erschien das Rhinozeros am Loche und erkundigte sich, was sie da machten. Der Zwerghirsch antwortete wie vorher, daß er sich freute, seine Eltern sehen zu können, außerdem wären auch eine Menge Schafe unten. Darauf begab sich auch das Rhinozeros nach unten. »Denn,« so sprach es, »mein Vater und meine Mutter sind tot, und ich würde sie gern sehen und mich bei ihnen erkundigen, ob sie wieder lebendig geworden sind.« Dann kam der Hirsch und fragte, was sie da machten. Und der Zwerghirsch erwiderte, daß er seine Eltern besuchte, und daß viele Leute sich da unten zu einer Reise rüsteten. Darauf sprang auch der Hirsch hinunter. Hernach kam das Reh, und als es vom Zwerghirsch dieselbe Antwort erhalten hatte, stieg es ebenfalls hinab.

Da nun die andern Tiere, eines auf dem Rücken des andern, standen, der wilde Ochse ganz unten, das Reh oben, vermochte der Zwerghirsch von des einen auf des andern Nacken zu hüpfen und so aus dem Loche herauszukommen. Als er draußen war, traf er einen Jäger mit seinem Hunde. Der Hund setzte sogleich hinter dem Zwerghirsch her. Der lief nach dem Loche, rannte dort ein-, zweimal herum und machte dann, daß er fortkam. Der Hund folgte dem Geruche des Zwerghirsches, kam nach dem Loch, und als er dort den wilden Ochsen und die übrigen Tiere sah, machte er Halt und bellte. D'rauf kam der Jäger und tötete sie allesamt. Nur der Zwerghirsch war entronnen.

 

18. Der Zwerghirsch und der Einsiedlerkrebs

Als der Zwerghirsch so die meisten Großtiere gefoppt und teilweise in den Tod gejagt hatte, da wollte er einmal sehen, ob er nicht mit einem Tiere eine Wette eingehen könnte, welches von ihnen beiden am schlauesten wäre. Er begab sich also auf die Suche und begegnete schließlich dem Einsiedlerkrebs. Der sagte zu ihm: »Zwerghirsch, mit deinen Listen hast du all den großen Tieren den Tod gebracht, wenn du aber einmal deinen Verstand mit meinem messen willst, ich bin bereit dazu.« »Gut,« antwortete der Zwerghirsch, »danach sehne ich mich ja auch; aber wie willst du denn mit mir einen Wettstreit eingehen?« »Ich möchte mit dir um die Wette laufen,« erwiderte der Einsiedlerkrebs, »und wenn du gewinnst, will ich dich als das klügste Tier anerkennen und ebenfalls deine Tüchtigkeit im Wettlauf.« »Was? du willst mit mir um die Wette laufen?« sagte der Zwerghirsch, »du kannst doch nur seitwärts im Sande gehen, und dann läufst du sogar nicht allein mit deinem Körper, sondern mußt noch dein Muschelhaus tragen.« Der Zwerghirsch schämte sich, daß der Einsiedlerkrebs ihn so zum Wettlauf herausforderte, aber er sagte zu ihm: »Wann wollen wir laufen?« »Morgen,« versetzte der Einsiedlerkrebs, »wir wollen uns in der Mitte des Strandes treffen und wettrennen. Lade alle deine Gefährten dazu ein, ich hole mir meine.« »Gut,« sagte der Zwerghirsch, »ich werde morgen kommen.« »Wir wollen ein Geviert im Sande abstecken,« sprach der Einsiedlerkrebs, »und dann an den Innenseiten des Gevierts von einer Ecke zur nächsten rennen.« Am andern Morgen kam der Zwerghirsch mit seinen Gefährten. Der Einsiedlerkrebs war ebenfalls mit seinen Freunden da. Es wurde entschieden, wer im Wettlauf Sieger bliebe, der sollte der Meister aller Tiere sein denn der Zwerghirsch hätte ja schon die stärksten besiegt. Als sie am Strande waren, machten sie ein Geviert und setzten an die Ecken Pfosten. Darauf versammelte der Zwerghirsch seine Gefährten an einem Platze, und der Einsiedlerkrebs machte es ebenso. Der Einsiedlerkrebs gebrauchte aber eine List. Er suchte sich drei Freunde heraus, die ihm an Größe und Aussehen glichen, und bat sie, sich an drei Pfeilern, vor denen die Läufer vorübermußten, im Sande zu vergraben; der Pfosten, an dem der Wettlauf begann, sollte frei bleiben. D'rauf sagte der Einsiedlerkrebs zum Zwerghirsch: »Wenn du an den ersten Pfosten kommst, dann rufe Omong (Einsiedlerkrebs), und wenn ich dann nicht antworte, dann weißt du, daß ich noch hinter dir bin und du den Wettlauf gewonnen hast.« Dann begaben sich die beiden nach der Ablaufstelle, und der Einsiedlerkrebs sagte: »Lauf!« Als der Zwerghirsch den Einsiedlerkrebs »Lauf!« rufen hörte, machte er einen großen Satz, und der Einsiedlerkrebs, der natürlich zurückblieb, grub sich schnell in den Sand ein; niemand hatte es gesehen, denn die Zuschauer standen weit entfernt, und der Einsiedlerkrebs war so klein.

Der Zwerghirsch rannte geradeaus, ohne sich umzusehen, und als er beim ersten Pfosten war, war der zweite Einsiedlerkrebs aus dem Sande herausgekommen und wartete auf ihn. Und als der Zwerghirsch rief: »Omong«, da antwortete der Einsiedlerkrebs: »Ja, hier bin ich!« Als der Zwerghirsch sah, daß es der Krebs war, mit dem er um die Wette lief, machte er einen neuen Satz und lief nach dem zweiten Pfosten. Dort ereignete sich dasselbe, und der Zwerghirsch dachte bei sich: »Wie ist es nur möglich, daß der Einsiedlerkrebs, der doch sonst so langsam ist, es mit mir aufnimmt?«

Beim dritten Pfosten antwortete wieder ein Einsiedlerkrebs, und der Zwerghirsch, der schon schwer und schnell atmete, weil er mit höchster Geschwindigkeit lief, holte nun das letzte aus sich heraus, um das Ziel, den Ablauf, doch nun als erster zu erreichen. Als er dort eintraf, wartete der Einsiedlerkrebs auf ihn; wieder rief der Zwerghirsch: »Omong!«, und er erhielt seine Antwort.

Da schämte sich der Zwerghirsch und wollte sterben. Er lief von einem Mal zum andern, von einem Pfosten zum nächsten Pfosten, bis ihm schließlich der Atem ausging. Und als er das Ziel erreichte, rief er wieder: »Omong«, und der Einsiedlerkrebs erwiderte: »Ja, hier bin ich!« Darauf fiel der Zwerghirsch, dem der Atem ausgegangen war, der Länge nach hin, streckte die Viere von sich und verschied. Die Einsiedlerkrebse riefen, ihr Mann wäre der Meister. Und die andern Zwerghirsche hüllten sich in Schweigen.

 

19. Der Zwerghirsch und die Schildkröte

Plandok, der Zwerghirsch, und Kelap, die Schildkröte, gingen eines Tages zusammen auf die Nahrungssuche. Dicht neben einem Hause fanden sie einen Baum, der voll reifer Früchte war. »Ich kann nicht auf den Baum klettern,« sagte Plandok, »aber ich will dir beistehen, damit du auf jenen Zweig steigen kannst.« Damit schob er Kelap auf den untersten Ast. Kelap warf alle Früchte herunter; aber dann wußte er nicht, wie er wieder nach unten gelangen sollte und bat Plandok um Hilfe. »Na! Komm herunter wie du willst,« sagte Plandok. »Aber ich kann weder rückwärts noch vorwärts.« »Dann laß dich fallen,« meinte Plandok; Kelap ließ sich also fallen und landete mit lautem Krach auf dem Boden. Die Leute im Hause hörten das Gepolter und sagten: »Ein Durian ist herabgefallen!« Nun begann Plandok die Früchte in zwei Haufen zu teilen. »Der ist für mich, und der für dich,« rief er; und jedesmal, wenn er auf Kelaps Haufen eine Frucht schob, rief er noch lauter als vorher: »Halloh,« sagten die Leute im Hause, »da wird etwas verteilt,« und sie rannten heraus, um zu sehen, was es gäbe. Plandok machte sich sogleich mit seiner Beute aus dem Staube; und Kelap versteckte sich, so gut es ging, unter den breiten Blättern einer Taropflanze. Die Leute merkten, daß der Baum seiner Früchte beraubt war, und die Spuren Kelaps führten bald zur Entdeckung seines Schlupfwinkels. »Hier ist der Dieb!« riefen die Leute, »wir wollen ihn ins Feuer stecken.« »Schön,« entgegnete Kelap, »steckt mich ins Feuer; das letzte Mal hat man es nur halb gemacht, und meine eine Seite ist vom Feuer unberührt geblieben.« »Nein, das ist keine Strafe,« sprachen die Leute, »wir wollen ihn in der Zuckerpresse quetschen.« »Ach ja, bitte, quetscht mich in der Zuckerpresse,« antwortete Kelap, »das letzte Mal, als man mich in die Presse kriegte, ist bloß meine eine Seite plattgedrückt worden.« »Das ist auch keine Strafe,« riefen sie, »wir wollen ihn in den Fluß werfen.« »O, bitte, werft mich nicht in den Fluß,« sagte Kelap und fing an zu weinen. Da warfen sie die Schildkröte ins Wasser. Kelap schwamm in die Mitte des Stroms, reckte den Kopf über das Wasser empor und rief: »Fein, so ist's recht, hier bin ich zuhause!« Als die Leute merkten, daß sie angeführt worden waren, wollten sie sich rächen und das Wasser mit Tuba-Wurzeln vergiften. Die Fledermaus hatte jedoch den Anschlag vernommen; sie flog sofort zu Kelap und riet ihm, den Fluß zu verlassen. »Nein, ich werde hierbleiben,« antwortete Kelap, »hier bin ich am sichersten.« Er ging weiter und machte zwischen den großen Steinen im flachen Wasser Halt, wo er sich mäuschenstill verhielt.

Inzwischen hatten die Leute angefangen, Tuba-Wurzeln auf den Steinen zu zerschlagen; und ein Mann, der Kelaps Rücken für einen Stein hielt, begann darauf seine Tuba-Wurzeln zu zerreiben. Da ließ sich Kelap ganz allmählich immer tiefer und tiefer sinken, so daß das Wasser ihn schließlich bedeckte. »Nanu!« meinte der Mann, »das Wasser steigt, dann kann man den Fluß nicht vergiften.« Und damit zogen alle heim.


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