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Seine Majestät der Königstiger – »Menschenfresser« – Ist der Tiger gefährlich? – Die Dortiger und ihre verhältnismäßige Harmlosigkeit – Schandtaten eines Menschenfressers – Tigertreibjagd mit Elefanten – Gefährlicher Zwischenfall – Tigerjagd von der Baumkanzel – Mit Netzen und Speeren – Mit Gift und Fallen – Unvermutetes Zusammentreffen mit einem Tiger und seine Erlegung
Indien ist ein Jägerparadies. Auf die allerverschiedenste Art kann hier der Waidmann seiner Passion nachgehen, denn die Tierwelt des riesigen Landes ist von den Schneegipfeln des Himalaya bis hinunter zum Kap Komorin überaus zahl- und artenreich. Im Waldgelände des unteren Himalaya, in Assam, Coorg, Mysore und Travancore haust der wilde Elefant, in den Wäldern an der burmanischen Grenze ein anderer Dickhäuter, das Nashorn. Von den großen Katzen kommt der ehemals hier häufige Löwe heute nur noch in kleinen Distrikten vor, während das gefürchtetste aller Raubtiere, der Königstiger, über die Wildnisse des ganzen Landes verbreitet ist, ebenso der Panther, der Leopard und deren Verwandter, der Gepard oder Tschita, der gezähmt zur Jagd benützt wird. In den Urwäldern Mysores und des Dekkhan tummeln sich als jagdbare Vertreter der Rindviehrasse der gewaltige Gaur und der wilde Büffel. Im höheren Himalaya finden sich Yaks, Antilopen, wilde Schafe, Ziegen, Bären. Überall in ganz Indien gibt es Wölfe, Hyänen und Schakale, sehr häufig sind auch die Affen, besonders der Hanuman, der heilige Affe des indischen Volksepos, dessen Bild sich in zahllosen Tempelskulpturen verewigt findet. Ungemein reich ist auch die Vogelwelt vertreten, es wimmelt von Land- und Wasservögeln, darunter vielen Raubvögeln. In den Flüssen und Teichen lebt das spitzschnauzige Krokodil, der Gavial, in großen Mengen, und unter den Giftschlangen nimmt die Kobra oder Brillenschlange den ersten Rang ein. Damit sind nur die wichtigeren Tiere genannt, die den Jäger interessieren, denn man müßte schon den halben Brehm abschreiben, wenn man der ganzen Tierwelt Indiens einigermaßen gerecht werden wollte.
Im ersten Bande dieses Werkes, dem Ceylonbuche, habe ich den Elefanten das königliche Tier Ceylons genannt. Gewiß darf er auch auf dem indischen Festland diese Auszeichnung für sich in Anspruch nehmen. Aber da er in dem ungeheuren Rahmen des Festlandes doch nicht jene auffällige und beherrschende Rolle spielt, die ihm auf dem verhältnismäßig kleinen Gebiete Ceylons zukommt, möchte ich unter den Tieren Indiens die Königswürde einem anderen Großwild zuerkennen, das ja ohnehin schon einen majestätischen Namen führt: dem Königstiger. Er vereinigt in seiner eindrucksvollen, muskulösen, geschmeidigen Gestalt alles, was eine Kreatur adelt und sie respekteinflößend macht: Kraft, Wildheit, Mut in Verbindung mit prachtvollen Formen, Farben und Bewegungen. Von den drei Arten des asiatischen Tigers, dem sibirischen, dem bengalischen und dem Javatiger, ist der über ganz Indien verbreitete bengalische Tiger, der Königstiger, der größte und schönste. Das Männchen erreicht eine Gesamtlänge (mit Einschluß des 80 cm langen Schweifes) von fast drei Meter. In dem prächtig gezeichneten Fell herrscht die rostgelbe Farbe vor, mit unregelmäßigen schwarzen Querstreifen, Unterseite und Innenseiten der Gliedmaßen sind weiß. Er bewohnt Dschungel, Rohrdickichte und Steppen mit Gesträuch, kommt auch nahe an Dörfer und Städte heran. In ausdauernden Wanderungen leistet der Tiger Hervorragendes, er legt in einer Nacht oft 40 Kilometer zurück, schwimmt über weite Strecken, auch in reißenden Gewässern, und klettert gewandt an Bäumen empor. Seine Kraft ist so außerordentlich, daß nur die stärksten Säugetiere, wie Elefant, Nashorn und wilder Büffel, einigermaßen sicher vor ihm sind. Er schlägt die lautlos beschlichene Beute, auf' die er sich rasch mit gewaltigem Satze stürzt, mit seinen furchtbaren Pranken nieder und schleppt im Rachen einen Menschen, auch ein kleineres Pferd oder ein anderes Tier von ähnlicher Größe und Schwere weit davon. Der Inder steht ihm, wie allen gefährlichen Tieren, mit abergläubischer Furcht gegenüber, er steht im Tiger eine Art von strafendem Gott und nimmt lieber alles Ungemach, das ihm die Bestie durch Raub seines Viehs oder gar Menschenfresserei zufügt, mit fatalistischer Ergebenheit hin, als daß er sich zu tatkräftiger Gegenwehr aufrafft.
» Man-eater «, Menschenfresser, nennt man in Indien die größten Exemplare des Königstigers. Ist er es wirklich oder wird auch da, wie in allem, was die Gefährlichkeit wilder Tiere betrifft, stark übertrieben? Selbst unter Jägern gehen die Meinungen über die Mordlust des Tigers weit auseinander. Manche nehmen ihn gegen seine »Verleumder« in Schutz und behaupten, daß der Tiger in der Regel überhaupt nicht Menschen angreife oder gar auffresse, es sei denn, daß er zuerst angegriffen und schwer gereizt wird. In diesem Fall wehre er sich natürlich seiner Haut, verwunde oder töte auch den Menschen, fresse ihn aber niemals auf. Selbst der stärkste Tiger ziehe es bei der Begegnung mit Menschen vor, sich seitwärts in die Büsche zu schlagen … Diese »Ehrenrettung« des Tigers geht entschieden zu weit. Richtig ist es schon, daß über die Gefährlichkeit der großen Katzen maßlose Übertreibungen im Umlauf sind und daß der Tiger, wie überhaupt jedes Großwild, keinen übermäßig hohen Wert auf ein Duell mit dem Menschen legt, wenigstens nicht mit dem gut ausgerüsteten Europäer, den er vom halbnackten schutzlosen Eingeborenen gut zu unterscheiden weiß. Richtig ist ferner, daß er in der Regel nicht auf Menschenjagd ausgeht, überhaupt Menschen ohne dringende Ursache nicht anfällt. Es ist aber doch eine nicht wegzudisputierende Tatsache, daß manche Tiger die größte Begierde nach Menschenfleisch haben und in einer Nacht oft meilenweite Wege zurücklegen, nur um ein Gehöft zu überfallen und sich ein Mahl zu verschaffen, das ihrem Gaumen offenbar besonders zusagt. Nach der amtlichen Statistik konnten im Jahre 1903 einer einzigen Tigerin vierzig Menschenopfer nachgewiesen werden! In den Dschungeldistrikten der Madraseisenbahn hat es sich als notwendig erwiesen, Tigersichere Bahnwärterhäuschen zu errichten, da es schon zu häufig vorgekommen ist, daß die an entlegenen Stellen postierten Bahnwärter von Tigern überfallen und zerfleischt wurden. Diese tigersicheren Häuschen bestehen aus Beton mit einer vergitterten Tür und gewähren den Streckenwärtern und Weichenstellern bei Gefahr vollkommenen Schuh. Geradezu grotesk ist die Behauptung, daß der Tiger zwar allenfalls einen Menschen töte, aber niemals fresse. Das müßte ein höchst abnorm veranlagter »man-eater« sein, der sich erst' die Mühe gibt, einen Menschen aufzuspüren, anzufallen, zu verschleppen und zu zerreißen, um dann zu guterletzt – vielleicht aus plötzlich auftauchenden ethischen Bedenken? – den guten Braten liegen zu lassen. Nein, es sind doch zuviel handgreifliche Beweise dafür vorhanden, daß der » man-eater« Menschen lediglich zu dem Zweck überfällt, um sich an ihnen gütlich zu tun, und mit welcher hartnäckigen Energie er sein mörderisches Ziel verfolgt, davon soll später ein Beispiel berichtet werden. »Großmütige« Regungen, wie sie komischerweise dem Löwen und dem Tiger angedichtet werden, liegen den großen Katzen natürlich fern. Tiger, Panther und Leoparden sind im Gegenteil besonders heimtückisch und grausam und überfallen ihre Beute, selbst kleine und schwache Tiere, fast ausschließlich aus dem Hinterhalt, um sie dann in ganz sachgemäßer Weise ohne jede Sentimentalität zu zerfleischen.
Einer der bedeutendsten englischen Großwildjäger, der die indischen Tiger ein Menschenalter hindurch studiert hat, unterscheidet nach ihren Lebensgewohnheiten drei Typen: solche, die gewohnheitsmäßig nur Vieh überfallen, solche, die sich vom Wilde nähren, und schließlich – in verschwindender Minderheit – solche, deren Gelüst sich hauptsächlich auf Menschen richtet.
Der viehschlagende Tiger haust in Wäldern in nächster Nähe von Dörfern und erbeutet am Tage irgendein werdendes oder nachts ein verirrtes Stück Vieh. Wird der Tiger in Ruhe gelassen und nicht gejagt, so bleibt er »seinem« Dorfe treu und es entwickelt sich zwischen ihm und den Dorfbewohnern gewissermaßen ein stillschweigendes Vertragsverhältnis: man überläßt ihm den Fleischtribut, und da er immer genug zu fressen hat, tut er den Menschen nichts zuleide. Unter diesen viehschlagenden Tigern befinden sich die größten Exemplare der Gattung. Sie holen sich etwa aller fünf Tage ein Stück Rindvieh, so daß man also auf den Kopf des Tigers jährlich 70 Kühe oder Ochsen rechnet – eine enorme Fleischmenge! Natürlich ist den Bauern der Verlust sehr schmerzlich, aber sie ziehen dieses Vertragsverhältnis, wenn man es so nennen darf, dem Abschieben des Tigers schon deshalb vor, weil ihnen der Tiger auch Nutzen bringt, indem er durch seine Nähe ihre Acker vor übergroßem Wildschaden schützt. Schon aus diesem Grunde wäre es eine unverantwortliche Torheit, wenn man die Tiger, soweit sie als unschädlich für den Menschen bekannt sind, systematisch ausrotten wollte, wie es häufig vorgeschlagen wird.
Der wildjagende Tiger haust in dichten, möglichst hügeligen Wäldern und ist bei seinem großen Fleischbedarf oft zu weiten Wanderungen genötigt. Er meidet die Dörfer und ist für den Menschen ebenfalls ziemlich ungefährlich.
Wie sehr sich indische Landbewohner an »ihren« Tiger gewöhnen können und auf welchem fast vertraulichen Fuße sie mit ihm stehen, dafür hier nur ein Beispiel. In einem ländlichen Distrikt von Mysore hauste in einem Dschungel, das in der Nähe mehrerer Dörfer lag, bereits seit zwanzig Jahren ein Tiger von ungewöhnlicher Größe. Alle Bauern in der Umgegend kannten ihn und hatten ihm den Namen »Donneh« verliehen, ein Dialektausdruck, der ungefähr unserem vulgären deutschen Begriff »Rauhbein« entspricht, also einen etwas rüpelhaften, aber nicht gerade bösartigen Burschen bezeichnet. Donneh war in der Tat allen menschlichen Wesen gegenüber von größter Harmlosigkeit und Gutmütigkeit, niemals hatte er auch dem kleinsten Hütejungen etwas zuleide getan, obwohl er auf seinen Requisitionsstreifzügen die Weiden regelmäßig besuchte und dabei dicht an die Dörfer kam. Die Bauern hatten ihn geradezu lieb und gönnten ihm seinen Fleischanteil, der freilich nicht gering war; denn Donneh zeichnete sich, wie alle Tiger, nicht nur durch ungeheure Gefräßigkeit aus, sondern war auch ein Feinschmecker, der größten Wert auf ein saftiges Beefsteak legte und die alten, zähfleischigen Kühe, die man ihm geradezu in den Weg trieb, um ihn von dem wertvollen jungen Rindvieh fernzuhalten, mit Verachtung abziehen ließ. Nein, er ließ sich nichts vormachen, der alte gewiegte Herr Donneh! Aber schließlich war die Reihe von Dörfern, die sein Dschungel umgaben, auch so groß, daß das einzelne Dorf durch den Fleischtribut nicht zu arg bedrückt wurde. Das freundnachbarliche Verhältnis, das zwischen dem Tiger und den Landbewohnern seit langen Jahren bestand, erlitt nur ein einziges Mal eine vorübergehende Trübung, und zwar lediglich durch ein fatales Mißverständnis. Es fand da nämlich im Dschungel einmal eine Jagd mit Netzen statt, die aber ganz anderen Tieren galt, beileibe nicht dem hochgeachteten, allgemein beliebten Herrn Donneh, und bei dieser Gelegenheit geriet der Tiger, den man anderswo wähnte, unversehens mit in das Netz. Er verstand den Zweck der ganzen Übung offenbar nicht recht, hielt die Geschichte vielleicht für einen höchst unpassenden Spaß, zerriß das Netz und begnügte sich damit, dem nächststehenden Treiber eine herunterzuhauen, daß der vier Wochen lang wie im Traum herumging. Dann bemühten sich alle Beteiligten, diesen ärgerlichen Zwischenfall zu vergessen, und Donneh hat den Bauern die Sache auch nicht weiter nachgetragen.
Leider wurde diese Tigeridylle eines Tages brutal zerstört. Ein englischer Sportsmann hörte von dem großen Tier und setzte es sich in den Kopf, es zu erlegen. Was ihm nach vieltägigen Bemühungen denn auch gelang. Es ist bezeichnend und gut zu verstehen, daß ihm die Landbewohner für diese Tat nicht im geringsten dankbar waren. Sie hatten, wie gesagt, ihren Tiger liebgewonnen und hätten den biederen alten Donneh gern bis ans natürliche Ende seiner Tage verpflegt.
Der menschenfressende Tiger, einst sehr häufig, tritt in Indien seit ein paar Jahrzehnten immer seltener auf. Wo er einmal erscheint und ein Opfer zur Strecke bringt, verseht er die Gegend in furchtbare Angst. Der Eingeborene fühlt sich ihm gegenüber völlig machtlos und wagt sich kaum aufs Feld hinaus, es sei denn in großen Gruppen, vor denen auch der wildeste Tiger immer Scheu hat. Natürlich werden beim Auftreten eines vierbeinigen Menschenfressers sogleich die ärgsten Geschichten von ihm erzählt, und ist ihm auch nur ein einziger Mord nachzuweisen, so werden daraus im Handumdrehen gleich zwanzig gemacht. Der »man-eater« ist meistens ein schon bejahrtes Tier, häufiger ein Weibchen als ein Männchen, und nur dem unbewaffneten Eingeborenen gegenüber furchtlos, während er dem bewaffneten Jäger ausweicht. Übrigens hat auch der stärkste Tiger Angst vor einem viel kleineren Tier: dem Dschangli, dem indischen wilden Hunde, der einem mittelgroßen Windhunde gleicht und, ohne zu bellen, in Meuten jagt. Dank ihrer Ausdauer holen die Dschangli jedes gejagte Wild ein, und es klingt sehr glaubhaft, daß selbst der Tiger gegen eine Meute dieser bissigen und unerschrockenen Tiere nichts ausrichten kann.
Das nachfolgend erzählte, völlig verbürgte Beispiel mag eine Vorstellung davon geben, welches Unheil ein bösartiger »man-eater« anzurichten vermag.
Eine ländliche Gegend in der Nähe von Bangalore in Südindien wurde durch das Auftauchen einer menschenfressenden Tigerin in größte Erregung verseht. Im Verlauf weniger Monate rechnete man ihr fünf oder sechs Personen nach, die ihr zum Opfer gefallen waren, darunter drei jugendliche Ziegenhirten. Bald darauf wurde wiederum ein Mann, der eine Rindviehherde ins Dorf trieb, von der Bestie überfallen und verschleppt, und drei Wochen später erreichte einen anderen Eingeborenen dasselbe Schicksal. Es konnte kein Zweifel darüber bestehen, daß man es hier mit einem der echten, Gott sei Dank, wie gesagt, höchst selten vorkommenden » man-eaters« zu tun hatte, denn obwohl sich die Tigerin ebensogut an das Vieh hätte halten können, gab sie offenbar dem Menschenfleisch den Vorzug. Jetzt machte sich der sehr bekannte, hervorragende Großwildjäger G. P. Sanderson, der zufällig in jener Gegend weilte, zur systematischen Verfolgung des Tieres bereit, die aber dadurch erschwert wurde, daß der Unternehmungskreis der Tigerin einen ungewöhnlich großen Umfang hatte und sie in unregelmäßigen Zwischenräumen bald hier, bald dort erschien.
Sanderson saß eines Abends in seinem Zelt beim Essen, als draußen Lärm ertönte und er Leute mit brennenden Fackeln sich hastig dem Zelte nähern sah. Schon von weitem drangen die Wörter » naie« (Hund) und » nurri« (Schakal) an sein Ohr. Die Dschungelbewohner belegen einen bösartigen Tiger gern mit diesen Namen, teils aus erheuchelter Geringschätzung, teils aus abergläubischer Furcht. Das Wort » huli« (Tiger) wird nicht oft von ihnen gebraucht, wie sie denn überhaupt die Aussprache von Wörtern, die mit unangenehmen Vorstellungen verknüpft sind, vermeiden und zum Beispiel die Cholera nur »Krankheit« nennen. Die Leute stammten aus einem anderthalb Meilen entfernten Dorf und erzählten in großer Bestürzung, daß ihr Vieh abends in panikartigem Galopp ins Dorf heimgekehrt wäre, aber ohne den Hirten. Zweifellos hatte sich die Bestie in dem Mann ein neues Opfer erkoren.
Am nächsten Morgen machte sich Sanderson mit einigen Trackers (Aufspürern) und gegen hundert Treibern auf die Suche. Schon nach kurzer Zeit wurden die Überreste des Unglücklichen entdeckt, außer dem Kopf und einigen Knochen war nicht viel von ihm übrig geblieben. Die Tigerin hatte ihn an Ort und Stelle des Unfalls zerfleischt und gefressen. Die Spur der Bestie wurde sogleich ausgenommen und verfolgt, aber leider verlor sie sich bald im Dschungel und alle Mühe war wiederum umsonst.
Eine Woche später wollte sich der Priester eines Dorfes, das zehn Meilen vom Schauplatz des soeben berichteten blutigen Ereignisses entfernt lag und schon seit vielen Jahren nicht von Tigern heimgesucht war, nach seinem kleinen Tempel begeben. Er ritt auf einem Ochsen. Plötzlich verlegte ihm eine Tigerin mit einem schon ziemlich großen Jungen den Weg. Der erschrockene Ochse warf seinen Reiter ab und sprengte schnurstracks zum Dorf zurück, während die Tigerin den unglücklichen Priester packte und in eine in der Nähe befindliche Schlucht verschleppte. Anfangs war man der Meinung, daß die Täterin diesmal eine andere Tigerin sein müßte, weil die berüchtigte Menschenfresserin bisher niemals mit einem Jungen gesehen worden war. Aber es stellte sich bald heraus, daß auch diese neue Freveltat auf das Konto der alten Sünderin kam.
Ihre nächste Attacke hatte besonders furchtbare Folgen. Ein paar Bauern aus einem anderen Dorfe trieben ihr Vieh auf die Weide, als plötzlich die Menschenfresserin wieder erschien, sich auf einen der Leute stürzte, der ein Stück abseits von den anderen stand, ihn an Schulter und Gurgel packte und mit ungeheurer Kraft auf ein in der Nähe befindliches Schlingpflanzengebüsch schleuderte, so daß der arme Mann mehrere Fuß über dem Boden auf das dornige Gebüsch zu liegen kam. Aus irgendeinem Grunde, vielleicht weil diese unbeabsichtigte Folge ihres Wurfes ihr nicht gefiel, ließ die Bestie ihr Opfer im Stich und zog sich in den nahen Wald zurück. Die anderen Bauern nebst dem Vieh waren schon beim Auftauchen des Tieres Hals über Kopf davongerannt, und da es schon dunkelte, kamen sie erst am nächsten Morgen mit Verstärkung zurück, um nach dem Überfallenen auszuschauen. Sie fanden den halbzerfleischten Unglücklichen noch am Leben, ächzend und stöhnend lag er auf dem dornigen Busch, den Kopf nach unten, und erst nach einer Weile, nachdem man ihn aus dem Schlingpflanzengewirr herausgelöst und auf den Boden gelegt hatte, befreite ihn der Tod von seinen gräßlichen Leiden.
Sogar dem Lager Sandersons stattete die mörderische Bestie einen Besuch ab, allerdings ohne ein Opfer zu heischen. Als Sanderson eines Morgens sein Zelt verließ, entdeckte er auf dem feuchten Boden die nun schon hinlänglich bekannten Fußspuren der Tigerin. Die Spur wurde den ganzen Tag über verfolgt – wiederum ohne Resultat. Mehrere Wochen lang sah und hörte man nun von dem Untier nichts, bis eines Tages eine neue Schreckenskunde die ganze Gegend durchflog. Die Tigerin hatte nach Anbruch der Nacht das von Reisfeldern umgebene kleine Dorf Bussavanpoor überfallen, eine alte Frau in dem Augenblick gepackt, als sie aus ihrem Haus auf die Dorfstraße trat, und in üblicher Weise verschleppt. Schon nach kurzer Zeit langte Sanderson mit einem Elefanten und einer Schar Trackers an der Stätte der neuen Missetat an, und diesmal, endlich, führte die Verfolgung der Spur zum Ziel: nach vielen Stunden gelang es, die Tigerin auf einem Hügel so zu umzingeln, daß sie nicht mehr entweichen konnte. Sanderson erlegte sie mit einem einzigen Schuß in die Schulter. Das Heimbringen der so heiß ersehnten Beute gestaltete sich zu einem wahren Triumphzug, denn aus allen in der Nähe befindlichen Dörfern strömten die Landbewohner, Männer, Frauen, Kinder, herbei, um die glücklich zur Strecke gebrachte Massenmörderin zu sehen und – zu beschimpfen. Das war das Ende eines der bösartigsten »man-eaters«, die jemals Indien heimgesucht haben.
*
Was wäre das Leben des Indien-Europäers ohne Jagd und Sport! Er würde den Angriffen des heißen Klimas, der Eintönigkeit in seinem Beruf, den vielen geistigen Entbehrungen bald erliegen, würde bald völlig apathisch werden oder sich dem Trunk und anderen Lastern ergeben, wenn er nicht in der Ausübung von Jagd und Sport die Erfrischung der abgestumpften Sinne, die Wiederherstellung des körperlichen und seelischen Gleichgewichtes suchte und fände. Deshalb gibt es wohl kaum einen nur einigermaßen rüstigen Europäer in Indien, der sich nicht in Jagd und Sport, oder wenigstens in einem von beiden, betätigt und die reichen Möglichkeiten, die besonders die Jagd hierzulande bietet, nach Kräften ausnützt. Und wieviel wohlhabende Waid- und Sportsmänner aus aller Welt kommen nicht Jahr für Jahr nach Indien, um hier in Dschungeln und auf Steppen den Büffel, das Wildschwein, den Bären, den Leopard, am Ende gar den Elefanten und Tiger zu jagen! Wieviel harmlose Globetrotter träumen nicht davon, daß sie, in einer Howdah auf hohem Elefantenrücken thronend, an einer Tigerjagd teilnehmen, womöglich als Ehrengast eines Maharadschas, und das gefürchtetste Raubtier mit sicherem Schuß erlegen, um später zuhause ihr Arbeitszimmer mit der vielbeneideten Jagdtrophäe des Felles schmücken zu können. Aber in neunundneunzig von hundert Fällen bekommen sie einen Tiger in wildem Zustand, das heißt in Freiheit, wohl kaum zu Gesicht und müssen sich wie der berühmte Tartarin aus Tarascon damit begnügen, einen Menagerietiger furchtlos ins Heldenauge zu fassen.
Der Tiger wird auf mannigfache Weise gejagt. Die gewöhnlichste Art ist, ihn in größerer Jagdgesellschaft mit Elefanten zu treiben und vom Elefantenrücken aus, in der Howdah, dem baldachinähnlichen Aufbau, stehend, zu schießen. Diese Methode ist auf den bengalischen Steppen, wo das hohe Gras ein Vorwärtskommen zu Fuß fast unmöglich macht, die üblichste, wird aber auch in anderen Gegenden gern angewandt. Ich hatte zum erstenmal in Südindien, in Mysore, Gelegenheit, eine Tigerjagd mit Elefanten mitzumachen; bevor ich aber davon erzähle, möchte ich noch in Kürze berichten, aus welcher Veranlassung ich damals nach Mysore gekommen war und was sich daraus weiter entwickelte.
Es war zur Zeit des Boxeraufstandes, jener fremdenfeindlichen Bewegung in China, die, in ihren Anfängen mehrere Jahre zurückreichend, im Juni 1900 zur Ermordung des deutschen Gesandten in Peking und damit zum bewaffneten Eingreifen der Großmächte führte. Die dem Oberbefehl des Feldmarschalls Graf Waldersee unterstellte internationale Truppenmacht besetzte nach heftigen Kämpfen am 14. August Peking und drängte in den darauf folgenden Gefechten die regulären chinesischen Formationen sowie die Aufständigen immer weiter zurück. Zu jener bewegten Zeit war es, als ich in Colombo von der deutschen Regierung den Auftrag erhielt, so rasch wie möglich 1000 große indische Schlachtochsen zur Verproviantierung der in China kämpfenden deutschen Truppen nach Taku zu schicken. Da in Ceylon nur kleines Vieh erhältlich war, reiste ich sofort nach Südindien, nach dem Distrikt von Mysore. Die dortige Ochsenzucht ist berühmt, die Tiere liefern nicht nur vortreffliches Fleisch, sondern eignen sich wegen ihrer Ausdauer und Schnelligkeit auch besonders als Transporttiere. Man kann sie in Südindien gar nicht entbehren, und auch die englische Regierung gebraucht sie zu Militärtransporten. Es gelang mir in vier Wochen die beorderte Anzahl, tausend Stück bester Qualität, zusammenzubringen und über Tuticorin nach Colombo zu schaffen, wo der von mir gecharterte deutsche Dampfer »Cassius« bereit lag, um den großen Viehtransport weiter nach China zu befördern.
Auf dieser Einkaufsreise, die mich den Distrikt von Mysore kreuz und quer durchstreifen ließ, machte ich die mir sehr angenehme Entdeckung, daß der dortige Wald außerordentlich wildreich war und gute Ausbeute versprach. Ich kehrte deswegen bald wieder nach Mysore zurück und war dann in den nächsten Jahren zu wiederholten Malen dort, um Elefanten und andere Tiere einzukaufen sowie an Jagden teilzunehmen. Die Elefanten kaufte ich zum Teil von den Eingeborenen, zum Teil vom Maharadscha. Der Maharadscha von Mysore, einer der reichsten indischen Fürsten, besaß in seiner prachtvollen Residenz einen schönen Zoologischen Garten, und wir machten verschiedentlich Tauschgeschäfte miteinander, indem er mir entbehrliche Tiere seines Parkes gegen andere, die ich ihm besorgte, überließ, gier in Mysore also war es, wo ich zum erstenmal Gelegenheit hatte, an einer großen Tigerjagd mit Elefanten teilzunehmen.
Man bekommt oft die Meinung zu hören, die Tigerjagd auf Elefantenrücken könne den wahren Sportsmann nicht befriedigen, weil sie mit nicht dem geringsten Risiko verbunden sei, der Jäger befände sich in seiner hoch über dem Erdboden gelegenen Howdah so sicher wie in dem oft zitierten »Abrahams Schoß«. In dieser Verallgemeinerung stimmt das nun aber doch nicht. Selbstverständlich kann sich die Tigerjagd mit Elefanten, was Gefährlichkeit betrifft, nicht mit anderen Jagdmethoden vergleichen, die den Schützen nötigen, dem wilden Tier zu Fuß gegenüberzutreten. Es mag auch zugegeben sein, daß für manche »hohe Herren« und andere prominente Persönlichkeiten, die keine echten Waidmänner sind, aber gern einmal eine solche Jagd mitmachen wollen, oft Tigerjagden arrangiert werden, bei denen der Ehrengast in seiner Elefantenhowdah wie in einem Klubsessel sitzt und weiter gar nichts zu tun hat, als im geeigneten Augenblick, wenn ihm der neben ihm stehende Shikari das Zeichen gibt, auf den ihm zugetriebenen Tiger abzudrücken. Das ist eine so gemütliche und gefahrlose Schießerei wie auf dem Scheibenstand, höchstens daß der Ehrengast durch das Schaukeln der Howdah ein bißchen seekrank werden kann. Sollte er etwa, wie es oft genug vorkommt, den Tiger verfehlen, so bringt rasch ein anderer, besserer Schütze ihn zur Strecke, und aus Höflichkeit wird dann so getan, als ob der Ehrengast das Tier erlegt hätte (schließlich glaubt er auch selbst daran). Aber bei einer richtig betriebenen Tigerjagd mit Elefanten werden doch allerlei ernsthafte Ansprüche an die Jäger gestellt und es kommen dabei häufig genug – wie es auch bei meiner ersten Jagd geschehen sollte – überraschende Zwischenfälle vor, welche die Geistesgegenwart und Kaltblütigkeit der Schützen auf die Probe stellen. Schon die Vorbereitungen zur Treibjagd mit Elefanten erfordern ein gerüttelt volles Maß waidmännischer Erfahrungen. Der Jäger oder einer seiner Leute muß das Revier, auf dem gejagt werden soll, ganz genau kennen, ebenso wie ihm auch die Gewohnheiten des Tigers durchaus vertraut sein müssen; sehr wichtig ist ferner die gute Schulung der Treiber, die durch frühzeitiges Lärmen und unzweckmäßiges Vorgehen alles verderben können.
Es spricht für die leichte Lenkbarkeit des Elefanten, daß ein so friedliches und im Grunde auch ängstliches Tier zu einer so gefährlichen Arbeit, wie die Tigerjagd für den Dickhäuter es ist, erzogen werden kann und daß es sich dabei meistens glänzend bewährt. Weibliche Elefanten werden zu Tigerjagden häufiger verwendet, weil sie leichter zu beschaffen sind, der Sportsmann zieht jedoch einen gut trainierten männlichen Elefanten wegen seiner größeren Kraft und Courage bei weitem vor. Aber allzu mutig und draufgeherisch soll der Elefant auch wieder nicht sein, weil ihm sonst leicht die Lust ankommt, auf seine Art an der Jagd teilzunehmen und den Tiger, sobald er ihn erblickt, zu attackieren. Dadurch gerät der Jäger auf des Elefanten Rücken in eine peinliche Lage, da er durch die heftigen Bewegungen des Tieres leicht aus der Howdah oder dem Sattel geschleudert wird. Ich sollte bald Gelegenheit haben, das Opfer eines derartigen Unfalls zu sein.
Der Maharadscha von Mysore, der mir großes Wohlwollen entgegenbrachte, lud mich also zur Teilnahme an einer Tigerjagd ein. Es war eine Veranstaltung großen Stils mit all dem Gepränge und feierlichen Drum und Dran, das bei den Lustbarkeiten der indischen Nabobs üblich ist. Zu dieser Treibjagd wurden tausend Soldaten der fürstlichen Leibgarde aufgeboten, die unter der Leitung geschulter Shikaris eine große Kette durch ein tigerreiches Dschungelgebiet bildeten und mit Lärm und blinden Schüssen derartig vorgingen, daß sie die Tiere aus dem Wald auf die freie Ebene und hier den Jägern entgegentrieben. Die Jagdgesellschaft benützte zwanzig Reitelefanten, auf denen die Kavaliere teils in Howdahs, teils auf einfachen Jagdsätteln saßen. Der Maharadscha thronte auf seinem Lieblingselefanten, einem ungemein stattlichen Tier, in einer prächtig verzierten Howdah, neben ihm sein Leibshikari. Es war ein Anblick, der jedes Waidmannsherz höher schlagen ließ, diese glänzende Kavalkade von ausgesucht schönen Jagdelefanten mit ihren Kavalieren, Shikaris und Mahouts.
Der Treiberdienst klappte vorzüglich. Nicht lange dauerte es, und bald tauchte neben anderem, ebenfalls aufgescheuchtem Wild am Waldesrand bald hier, bald dort, geduckt und lauernd, ein Tiger auf, stutzte beim Anblick der Elefantenreihe und wollte sich wieder ins Dunkel des Dschungels schleichen, wurde dort aber von der lärmend vordringenden, dicht geschlossenen Treiberkette so eingeschüchtert, daß er es doch vorzog, auf die freie Ebene hinauszutreten, um zwischen den Elefanten einen Durchschlupf zu suchen. Einigen glückte das auch, sie entkamen, aber fünf Tiger wurden vom tödlichen Blei erreicht und blieben als Beute auf dem Felde zurück.
Schon glaubten wir, die Jagd wäre zu Ende, denn die Treiber tauchten bereits am Waldesrand auf, als noch ein Tiger aus dem Dickicht hervorsprang und zwar direkt auf den Elefanten zu, aus dem ich mich, in einigem Abstand von den übrigen Jagdgenossen, mir meinem Mahout befand. Ich ritt auf dem Rücken des Elefanten auf einem einfachen Jagdsattel, während der Mahout in üblicher Weise auf dem Nacken des Tieres saß. Wie sich später herausstellte, hatte dieser Tiger schon im Wald eine abgeirrte Kugel erhalten. Durch seine Verwundung in den Zustand rasender Wut verseht, stürzte er sich, was nur selten vorkommt, auf meinen Elefanten. Ich schoß, ohne ihn sogleich tödlich zu treffen, und der Tiger führte nun mit seiner Pranke einen kräftigen Hieb gegen das eine Vorderbein des Elefanten. Das war dem braven Dickhäuter, einem starken Männchen, doch »zu dumm«. Ein wuchtiger Hieb mit dem Rüssel – und am Kopf getroffen, flog der Tiger ein paar Meter weit davon. Der in Erregung geratene Elefant sprang ihm mit einer so jähen Seitenwendung nach, daß ich aus dem Sattel geschleudert wurde und fast unmittelbar neben den Tiger zu liegen kam. Im nächsten Augenblick stand auch schon der Elefant über mir und dem Tier und hob den einen Vorderfuß … Es wäre ein abgeschmacktes Posieren, wenn ich nicht zugeben wollte, daß mir in dieser Situation – in nächster Nähe meines Kopfes der erhobene Elefantenfuß – nicht sehr angenehm zumute war. Jedenfalls hatte ich in dieser Sekunde wieder einmal das Gefühl, daß nun alles aus und vorbei wäre … Der ungeheure Fuß ging wie eine Ramme nieder und zerstampfte, keine zwei Meter von meinem Kopf entfernt, den Kopf des Tigers, so daß sein heißes rotes Blut zu mir herüberspritzte. Dann trat der Elefant, sichtlich befriedigt von seinem Bravourstück, ein paar Schritte zurück, und ich konnte mich erheben.
Der aufregende Vorfall hatte von weitem noch schlimmer ausgesehen, als er es in Wirklichkeit war. Die Jagdgesellschaft war schon des Glaubens, ich wäre getreten und schwer verletzt, wenn nicht gar getötet. Um so lebhafter war die allgemeine Befriedigung, als man sah, daß ich ganz ohne Schaden davongekommen war und der Tiger mit zerstampftem Kopf tot am Boden lag. Der Maharadscha und seine Gäste sprachen mir ihre Glückwünsche aus, und die Jagd, die eine Strecke von sechs Tigern ergeben hatte, wurde nun abgebrochen.
Mein Erlebnis beweist, daß die Tigerjagd mit Elefanten doch nicht unter allen Umständen so ganz ungefährlich ist, wie häufig angenommen wird.
Fast ebenso häufig wie die Tigertreibjagd mit Elefanten ist die Methode, ihn aus dem Hochstand von einer verdeckten Baumkanzel herab zu erlegen. Diese Art der Tigerjagd stellt hohe Ansprüche an die Aufmerksamkeit, Geduld und Nervenfestigkeit des Waidmanns, den die große Katze mit ihrer außerordentlichen Vorsicht und ihrem Mißtrauen nur zu oft enttäuscht. Man verfährt dabei auf folgende Weise. Wenn die Shikaris einen Tiger aufgespürt und seine Lieblingsplätze ausgekundschaftet haben, wird an einem dieser Plätze, gewöhnlich einer Lichtung im Walde mit Wassertümpel, ein Locktier in Gestalt einer Ziege oder eines Zebukalbes festgemacht, und der Jäger postiert sich nahe dabei in einem dicht belaubten Baumwipfel, in welchem aus leichten Bambusstäben eine Art Kanzel errichtet wird. Stundenlang sitzt nun dort der Jäger in völliger Einsamkeit und erwartet den Abend in der Hoffnung, daß der Tiger erscheinen und sich dem Locktiere nähern wird – aber der Tiger hat häufig oder sogar in den meisten Fällen alle Ursache, ihm, dem Jäger, den kleinen Gefallen nicht zu tun. Vielleicht hat er schon die Vorbereitungen, die doch immerhin mit Geräusch und dem Zusammenlaufen mehrerer Menschen verbunden sind, gehört und beobachtet und ist dadurch vergrämt worden, oder er wittert beim Anschleichen den Jäger und läßt sich in seinem wach gewordenen Mißtrauen auch durch den lockendsten Braten nicht beirren. Vor allen Dingen muß die im Baumwipfel aufgeschlagene Kanzel so geräumig und gut konstruiert sein, daß sie dem Jäger eine gewisse Bewegungsfreiheit und auch etwas Bequemlichkeit gewährt, denn sonst ist er nach stundenlangem Warten abends in der kritischen Zeit schon so abgespannt, daß er sich nicht mehr genügend beherrschen und vollständig ruhig verhalten kann. Das Gestänge der Kanzel darf bei den notwendigen Bewegungen des Jägers nicht im geringsten knarren oder quietschen. Die Kanzel muß sich in einer Höhe von 13-20 Fuß über dem Boden befinden. Aber auch die sorgfältigsten Vorbereitungen und das stillste Verhalten nützen nichts, wenn der Tiger unglücklicherweise gerade von einer Seite kommt, wo ihm der Wind die Witterung des Jägers verschafft. Vor ungefähr halb neun Uhr abends ist der Tiger nicht zu erwarten, es muß also eine mondhelle Nacht sein.
Mehr eigenartig als schön ist die Tigerjagd mit Netzen und Speeren, wie sie hauptsächlich in Mysore von den Eingeborenen gern betrieben wird. Natürlich wäre es technisch unmöglich, ein umfangreiches Dschungelgebiet ringsum mit Netzen zu umgeben. Es handelt sich vielmehr um ein aus Bambusstäben und Netzwerk verfertigtes, leicht bewegliches Gatter, das von den eingeborenen Jägern dort aufgestellt wird, wo sie einen Ausbruchsversuch des durch Treiber einzukreisenden Tieres erwarten. Da die Leute sowohl das Gelände wie auch die Gewohnheiten der Tiere genau kennen, gehen sie beim Bestimmen der richtigen Stelle selten fehl. Je nach der Örtlichkeit ist das Gatter verschieden lang, gewöhnlich 40-50 Fuß. Seine Höhe muß mindestens 12 Fuß betragen, sonst spränge der Tiger oder Panther mit elegantem Satz darüber hinweg. An jedem Ende des Gatters werden noch einige Flankennetze ausgesteckt, damit das vor dem Netzwerk zurückschreckende Tier nicht sofort seitlich entweichen kann.
Die Jagd spielt sich nun folgendermaßen ab. Der Dschungeldistrikt, in dem ein Tiger (oder auch Panther) aufgespürt worden ist, wird von den Eingeborenen, die sich mit langen Speeren und allerlei Lärminstrumenten ausgerüstet haben, in weitem Umkreis umstellt, ungefähr ebenso, wie es beim Einkreisen wilder Elefanten geschieht. Unter Verübung von ungeheurem Lärm durch Schlagen auf metallene Becken, durch Trommeln, Trompeten und Schreien rücken nun die Treiber allmählich konzentrisch vor und suchen den aufgescheuchten Tiger nach jener Stelle zu drängen, wo sie vorher das Netzgatter aufgestellt haben. Bei Bedarf wird das Gatter rasch bald hierhin, bald dorthin versetzt, wo immer gerade der Tiger in eine Sackgasse zu geraten scheint. Zieht sich die Jagd, die oft sehr lange dauert, bis in die Nacht hinein, so kommen als Treibmittel auch lodernde Fackeln in Anwendung, vor denen der Tiger, wie alle großen Katzen, heillose Angst hat. Da er großen Menschenmassen gegenüber durchaus kein Held ist und sich besonders durch Lärm leicht verwirren läßt, macht er in den allermeisten Fällen gar nicht erst den Versuch eines Widerstandes, sondern weicht vor der andrängenden Jägerkette immer weiter zurück, bis er sich plötzlich dem Netzgatter gegenüber befindet, hinter welchem er zu seiner Bestürzung wiederum eine lange Reihe von Männern mit vorgestreckten Speeren erblickt. So in die Enge getrieben, versucht er nun meistens das Gatter zu überspringen oder das Netzwerk im Sprunge zu zerreißen. Aber gerade das ist es, was seine Verfolger erzielen wollten. Denn das scheinbar nur schwache Netz ist aus so zähem Material hergestellt, daß selbst der wuchtige Körper des Tigers es nicht zu zerreißen vermag. Er verwickelt sich in das über ihm zusammenfallende Netzwerk. Zum erstenmal in seinem Leben treffen die Tatzen auf einen Gegenstand, mit dem ihre Riesenkraft nicht fertig werden kann, denn je mehr das Tier an den Maschen zerrt, desto ärger verwickelt es sich in seiner Angst und rasenden Wut in das Netz, bis es schließlich vollständig darin verstrickt ist und weder ein noch aus weiß. Jetzt trauen sich die Jäger, die sich bis dahin in respektvollem Abstand hielten, näher heran und stoßen dem sich wie rasend gebärdenden, dennoch hilflosen, ungefährlich gewordenen Tiger die Speere in die Flanken – nicht zuviel, damit das wertvolle Fell nicht zu sehr durchlöchert wird, nur gerade genug, um das Tier zu töten.
Man kann nicht sagen, daß diese Fangmethode eine besonders edle Art von Sport ist. Aber danach frägt der Eingeborene nicht. Er hat nur den Erfolg im Auge, und mit welchen Mitteln er ihn erzielt, das verursacht ihm bei seiner lediglich praktischen Denkweise nicht die geringsten Kopfschmerzen.
Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, daß man gefährliche » man-eaters« auch durch Gift zu beseitigen sucht, wenn gerade keine Jagdliebhaber zur Hand sind. Den Tieren den vergifteten Köder beizubringen, ist nicht schwer; seltsamerweise hat man aber die Erfahrung gemacht, daß Tiger unglaubliche Mengen von Strychnin vertragen, ohne einen anderen Schaden als vorübergehende Beschwerden zu erleiden. Sie entledigen sich des verzehrten vergifteten Fleisches meistens sogleich durch Erbrechen. Immerhin hat man Tiger mit anderen starken Giften beseitigt, aber für den Naturfreund und Sportsmann ist es ein widerwärtiger Gedanke, edle Tiere, die sie trotz allen angestammten Raubgelüsten nun doch einmal sind, mit solchen unedlen Mitteln zu Tode zu bringen. Dieselbe Abneigung bringt der wahre Sportsmann den Fallen entgegen, mit denen, wenn auch nicht häufig, Panther und Tiger gefangen werden. Übrigens geht der Tiger bei seiner außerordentlichen Vorsicht und hoch entwickelten Intelligenz nur selten in eine Falle, auch wenn der leckerste Köder in Gestalt einer Ziege oder eines anderen Tieres lockt.
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Einem Tiger als einzelner zu Fuß gegenüberzutreten, ist immer ein großes Wagnis und ganz besonders gefährlich, wenn man es mit einem bereits verwundeten Tiere zu tun hat. Einer größeren Anzahl von Menschen gegenüber ist der Tiger zaghaft und gern zum Entweichen bereit. Der schon erwähnte Großwildjäger G. P. Sanderson behauptet auf Grund seiner langjährigen Erfahrungen sogar, daß selbst eine ganz kleine Gruppe unbewaffneter Männer, wenn sie zusammenhält, vor jedem Tiger sicher sei. Während die unverwundete große Katze selbst vor dem einzelnen Jäger nicht immer eine Heldenrolle spielt, entwickelt sie, wenn sie angeschossen ist und keine Möglichkeit mehr zum Entkommen hat, eine außerordentliche Wildheit und Wut. Deshalb kommen Unfälle bei Tigerjagden fast ausschließlich beim Aufspüren verwundeter Tiere vor.
Selbstverständlich fühlt sich der passionierte Großwildjäger gerade durch ein gewisses Risiko angezogen, denn je höhere Ansprüche der Sport an den Mut und die Geistesgegenwart des Jägers stellt, desto größer ist seine Befriedigung. Fühlt er sich sicher genug und hat er seine Nerven in voller Gewalt, so legt er es mit Fleiß darauf an, dem Tiger von Angesicht zu Angesicht zu Fuß gegenüberzutreten. Mitunter aber sieht er sich dieser Situation auch ausgesetzt, ohne es gewollt oder geahnt zu haben. Er befindet sich vielleicht draußen in Feld und Busch plötzlich unvermutet einem Tiger gegenüber, so daß ihm keine andere Wahl bleibt, als sich entweder schleunigst und ruhmlos zurückzuziehen oder es aus einen Zweikampf mit dem Herrn des Dschungels ankommen zu lassen. Was den Nerven, und nicht bloß des Neulings, dabei am meisten zusetzt, ist das drohende, wahrhaft furchtbare Gebrüll des in nächster Nähe befindlichen, aber durch Gras oder Buschwerk gedeckten und deshalb noch nicht deutlich erkennbaren Tigers. Wie jede Gefahr stark verringert erscheint, wenn man das Gefährliche erst klar vor Augen hat, so pflegt sich die Erregung zu legen, sobald man dem Tiger von Angesicht zu Angesicht gegenübersteht. Hauptsache ist, ihn niemals in unübersichtlichem Gelände, also in hohem Gras oder in dichtem Gebüsch, zu stellen, da er seiner hinterlistigen Taktik entsprechend immer nur aus der Deckung heraus attackiert, während er im offenen Gelände zaghaft ist und sich nach Deckung umsieht.
In diese Situation, plötzlich unvermutet einem Tiger gegenüberzustehen, bin ich einmal im südlichsten Indien gekommen, und zwar in dem wundervollen Jagdrevier der Nilgiriberge, von denen noch später des Näheren die Rede sein soll. Ich befand mich damals, in Begleitung eines ebenfalls berittenen Eingeborenen, der mir als Tracker diente, zu Pferde. Die Pferde gehörten einem befreundeten Pflanzer, in dessen Bungalow ich für einige Tage gastliche Aufnahme gefunden hatte. Ich war ohne jede bestimmte Jagdabsicht nachmittags aufgebrochen, um einen längeren Spazierritt zu unternehmen, und wir hatten die Gewehre nur für den Fall mitgenommen, daß uns zufällig irgend etwas des Schießens Wertes in den Weg kommen sollte. So ritt ich über die weite, mit ziemlich hohem Gras bewachsene Steppe, die sich zwischen der Pflanzung meines Freundes und dem Steilabhang der Nilgiriberge dehnte, auf ein in der Ferne liegendes Dschungel zu, freute mich des schönen Blickes über die grüne Ebene auf die am Horizont bläulich verschwimmenden Umrisse des Gebirges nicht minder wie des edlen Pferdes unter mir, sowie der köstlich frischen, reinen Luft, und wäre am liebsten noch stundenlang geritten, wenn nicht der sinkende Sonnenball an die Notwendigkeit baldiger Umkehr erinnert hätte.
Ich wollte gerade mein Pferd wenden, als Bommay, der Tracker, der einige Schritt hinter mir ritt, mich anrief. Seine ausgestreckte Hand wies nach dem Dschungel hin. Ich wußte zuerst nicht, was er meinte und was seine scharfen Augen dort entdeckt hätten – dann sagte er aber: »Antilopen« und nun erkannte ich auch eine kleine Herde von Antilopen, die, nur mit dem obersten Teil ihres Körpers das hohe Gras überragend, wie von Panik befallen, mit wilden Sprüngen davonjagten. Da sie anfangs auf uns zuliefen und erst nach einer Weile seitlich ausbogen, konnten wir nicht die Ursache ihrer Flucht sein. Irgend etwas anderes, wahrscheinlich ein Raubtier, mußte sie aufgescheucht haben.
Da es auf eine kleine halbe Stunde schließlich nicht ankam, beschloß ich, unseren Ritt noch bis zum Rande des Dschungels auszudehnen, vielleicht bekamen wir dort den Veranlasser der Antilopenflucht zu Gesicht. Um uns der Stelle möglichst unbemerkt zu nähern, schlugen wir einen kleinen Umweg ein und lenkten die Pferde in eine jener hohlwegähnlichen Schluchten, die ihr Entstehen den Wasserfluten der Regenzeit verdanken und von denen sich eine in Krümmungen bis zum Walde hinzog. Wir befanden uns hier in Deckung gegen Sicht und hatten den Wind gegen uns.
Dicht vor dem Walde ging die Schlucht in eine flache Mulde über. Noch ehe wir auftauchten, hielt der Tracker, über den Rand der Schlucht durch das Gras lugend, Umschau. Plötzlich beugte er sich zu mir zurück und flüsterte, heiser vor unterdrückter Erregung: »Herr, ein Tiger! Er hat eine Antilope geschlagen.«
Das gab mir doch einen Ruck, denn auf einen Tiger hatte ich mich nun gerade nicht gefaßt gemacht, ich hatte an irgendein kleines Raubtier gedacht. Jetzt spähte auch ich über den Schluchtrand. Anfangs konnte ich nichts weiter bemerken, als die leise vom Wind bewegte Grasfläche und dahinter, etwa hundert Meter von uns entfernt, den Wald – dann aber, bei schärferem Hinsehen, erkannte ich unmittelbar am Rand des Dschungels, fast völlig im Grase versteckt, einen gelblichen Körper, der neben einem anderen, kleineren Tier zu liegen schien.
Jagdbegierde befiel mich und meinen Begleiter. Wenn wir den Burschen erlegen könnten! Aber aus so beträchtlicher Entfernung, durch das Gras hindurch, war es ein zu unsicheres Schießen; höchstwahrscheinlich hätten wir damit nichts anderes erreicht, als daß sich der Tiger schleunigst in den Wald zurückzog. Ritten wir dagegen auf ihn los, so mußten wir uns auf dieselbe unerwünschte Wirkung gefaßt machen, falls wir es nicht mit einem sehr unerschrockenen und angriffslustigen Tiere zu tun hatten. Und war letzteres der Fall, so gefährdete ich wieder die wertvollen Pferde, das Eigentum meines Freundes, ganz zu schweigen von der persönlichen Gefahr, der ich und Bommay bei dem Abenteuer ausgesetzt waren.
Das überlegte ich in Blitzesschnelle, um zu dem Resultat zu kommen, daß wir uns angesichts einer so lockenden Beute keinesfalls auf und davon machen durften. Dafür hätte mein Freund auch nicht das geringste Verständnis gehabt. Also drauf und los! Riß der Tiger aus, so hatten wir wenigstens das Mögliche getan; stellte er sich, dann desto besser.
Wir ritten also aus der Schlucht in die Mulde und weiter aufs ebene Feld, dann auf den Tiger zu. Sobald wir oben angelangt waren, hatten wir den Tiger deutlich vor uns: er lag, gierig in seine Mahlzeit vertieft, halb über der geschlagenen Antilope. Natürlich sah er auch uns und konnte über unsere Absichten nicht im Zweifel sein. Er sprang empor … und einen Augenblick schien es, als ob er kehrt machen und im Dschungel verschwinden wollte. Richtig, jetzt machte er wirklich kehrt – aber nur ein paar Schritte weit, dann blieb er wieder stehen, uns zugewandt.
Es lagen jetzt nur noch ungefähr fünfzig Meter zwischen uns und dem Tier. Schnell sprangen wir ab und ich gab Bommay den Befehl, die Pferde zu halten. Das Gewehr im Anschlag, schritt ich durch das Gras dem Tiger entgegen. Ich hätte schon jetzt feuern können, wollte aber, um meiner Sache recht sicher zu sein, möglichst dicht an das Tier herankommen. Das Benehmen des Tigers war sehr sonderbar. Er schien zwischen Trotz und Furcht zu schwanken, vielleicht tat es ihm auch um den schönen Braten leid, den er preisgeben sollte. Knurrend und fauchend, mich nicht aus den Augen lassend, retirierte er ein paar Meter, um dann sogleich wieder bis zur Antilope zu avancieren. Inzwischen war ich weit genug vorgerückt, um meines Schusses sicher zu sein. Noch einen Schritt, dann machte ich halt und duckte mich nieder, um in knieender Stellung zu schießen. Der Tiger stutzte und zauderte einen Augenblick – da krachte auch schon mein Schuß. Siehe das bunte Frontbild vor dem Titelblatt.
Bommay war mir, wie ich in meiner Erregung erst nachher bemerkte, mit den Pferden gefolgt, um mich nicht allein zu lassen. Aber ich brauchte keinen Beistand, denn der Schuß hatte gesessen. Der Tiger bäumte sich auf, drehte sich zwei- oder dreimal schnell um sich selbst und – verschwand dann plötzlich im Wald, eine Schweißspur hinterlassend.
Getroffen also, aber leider nicht sogleich tödlich getroffen! Das war ärgerlich. Denn es ist immer ein höchst riskantes Unternehmen, einem angeschossenen Tiger in den Wald nachzufolgen, doppelt gefährlich jetzt, wo die Sonne soeben unter dem Horizont verschwand und im Innern des Dschungels schon Halbdunkel herrschte. Ich beratschlagte mit dem Tracker, was wir tun sollten. Folgten wir dem Tier in den Busch und stießen darauf, so mußten wir auf eine wütende Attacke mit sehr zweifelhaftem Ausgang gefaßt sein; überließen wir es einstweilen seinem Schicksal, um es erst am nächsten Morgen aufzuspüren, so hatten – falls der Tiger wirklich schwer verwundet und inzwischen verendet war – wahrscheinlich schon Schakale den Kadaver so erfolgreich bearbeitet, daß es vom Fell nichts mehr zu retten gab.
Nach kurzem Schwanken entschloß ich mich, dem Tier versuchsweise wenigstens ein Stück weit in den Wald nachzugehen. Wir banden die Pferde an einem Baume fest. Bommay mit seinen scharfen Augen und seinem fein entwickelten Spürsinn schritt voran, ich folgte ihm auf dem Fuß. Trotz der rasch zunehmenden Dunkelheit und dem dichten Gestrüpp, das uns sehr hinderlich war, fiel es nicht allzu schwer, die durch Schweiß und niedergetretenes Unterholz ziemlich deutlich gekennzeichnete Spur zu verfolgen. Vorsichtig spähend und immer auf der Hut gegen einen plötzlichen Überfall, kamen wir so etwa dreißig Meter weit vorwärts und konnten jetzt kaum noch die Einzelheiten der nächsten Umgebung unterscheiden, so daß ich mich zur Umkehr entschloß. Wir durften uns auch nicht zu weit von den Pferden entfernen, denn möglicherweise schwärmte noch anderes Raubzeug umher. Da machte Bommay lauschend halt. Aus dem Dickicht vor uns war deutlich Schnaufen und Stöhnen zu hören und Rascheln und Knacken der Zweige, als ob sich ein schwerer Körper auf dem dicht bewachsenen Boden hin und her wälzte.
Kein Zweifel, der Tiger war's und offenbar in schwerem Todeskampf. Zu sehen war in der Dunkelheit nichts mehr. Ich schaltete den Strom meiner elektrischen Taschenlampe ein, die ich auf Ausflügen gewohnheitsmäßig immer bei mir führte, gab sie Bommay und ließ ihn den Lichtkegel geradeaus auf das ein paar Meter von uns entfernte Gebüsch richten, während ich knieend im Anschlag lag und mit der Mündung des Gewehrs dem tastenden Lichtschein folgte. Jetzt traf der Lichtkreis die Stelle, von der das Schnaufen und Stöhnen erklang – und richtig, dort schimmerte es zwischen den Blättern gelblich hervor. Ich gab Feuer, und wir sprangen darauf sofort ein paar Schritt in Deckung zurück für den Fall, daß der Tiger doch noch die Kraft und den Mut zu einer Attacke auf uns haben sollte … Aber nichts dergleichen geschah. Noch einmal raschelte und knackte es besonders laut, dann ward es still, auch das Klagen ertönte nicht mehr. Wir verhielten uns noch eine Weile abwartend und drangen dann zur Lagerstelle des Tigers vor.
Er war tot. Wie eine flüchtige Untersuchung ergab, hatte ihm eine Kugel, wohl die erste, die Schulter durchbohrt, die zweite, tödliche, war ihm in die Flanke gedrungen. Es war ein fast ausgewachsenes, stattliches Tier.
Wir gingen zu den Pferden zurück und ritten in der Dunkelheit, die bald vom emporsteigenden Mond erhellt wurde, nach Hause. Bommay hielt sich dort nicht lange auf, sondern begab sich mit ein paar Leuten, mit Laternen und dem nötigen Werkzeug nochmals zum Schauplatz unseres Jagdabenteuers hinaus, um dem Tiger das Fell abzuziehen. Als er nach Mitternacht mit der Trophäe zurückkam, berichtete er, daß inzwischen der Rest der Antilope bereits von Schakalen verzehrt oder verschleppt worden war und daß verschiedene vierfüßige Aasjäger sich schon am Kadaver des Tigers gütlich tun wollten. Alle tierischen Reste finden hierzulande unheimlich rasch ihre Liebhaber.
So schloß dieses unvorhergesehene Zusammentreffen mit einem der »Herren des Dschungels« zu meiner Zufriedenheit ab.
Damit einstweilen genug vom Tiger. Es wird sich später, in einem anderen Zusammenhang, noch Gelegenheit bieten, ein paar Tiger-Kuriosa nachzutragen.