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Die Soirée, von der wir im vorhergehenden Kapitel dem geneigten Leser Einiges mitgetheilt, machte nun alle Stadien durch, wie überhaupt sämmtliche Feste dieser Art. Man tanzte, man spielte, man plauderte, man soupirte, die Lichter brannten herab, die Pflanzen bedeckten sich mit feinem Staube, die Carcelllampen auf den Kronleuchtern und in den Gruppen fingen an trübe zu brennen und zu glucksen, die Konversation wurde matter, Eins ertappte das Andere auf einem unterdrückten Gähnen, und endlich hörte man auf der Treppe Bedienten rufen, drunten Wagen rasseln; eine Menge Gäste drängte sich an den Ausgang des Tanzsaales und in die Vorzimmer, um, noch ehe sich der allerhöchste Hof fort begab, einen freundlichen Blick zu erhaschen. Man sah ganze Gruppen sich verneigen, ganze Reihen tief knixen; zum letzten Mal wurde noch mit möglichster Anstrengung gelacht, geflüstert, dann klirrte und rauschte es die Treppen hinab; die Wagen fuhren davon, von dunkelrothem Licht umgeben, – dem Schein der Fackeln in den Händen der Vorreiter und Lakaien, der an den Fenstern der Häuser vorbeizitterte und manchem erschreckten Schläfer, den das Wagengerassel erweckte, seltsam und unheimlich an den Augen vorbeistrich.
Jetzt nahm die Gesellschaft droben in den Sälen einen ganz anderen Charakter an; verschwunden schien alle Ruhe und Behaglichkeit, und das Ganze hatte das Aussehen eines Ameisenhaufens, den ein muthwilliger Knabe aufgestört. So rannte Alles durch einander, aus den hinteren Zimmern in die vorderen, aus dem Wintergarten in den Tanzsaal, hier einen Händedruck wechselnd, dort einem Bekannten noch einen freundlichen Gruß zurufend, rechts und links Abschied nehmend und sich darauf beeilend, dem Wirthe ein Kompliment zu machen, dann in die Mäntel und Shawls zu schlüpfen, um so schnell als möglich Treppen und Wagen zu erreichen.
Kurze Zeit nachher lag das ganze weite Apartement öde und leer. Seine Excellenz stiegen ziemlich fatiguirt die Treppen zu Ihrer Wohnung hinauf, worauf der Haushofmeister mit sämmtlichen Bedienten erschien, um sorgfältig alle Lichter auslöschen und das Silberzeug wegräumen zu lassen, auch Fenster und Thüren zu schließen und darauf die Zimmer im halbverblichenen Glanz sich selbst und ihren Träumereien zu überlassen.
Doch hatten um diese Stunde noch nicht sämmtliche Gäste das Haus verlassen; der junge Graf sah es gern, wenn sich nach beendigter derartiger großer Soirée noch einige Bekannte en petit comité in seiner Wohnung versammelten, um sich von den gehabten Fatiguen bei einem Glase heißen Punsches und einer guten Cigarre zu restauriren.
Da der große Salon, wie wir schon wissen, mit zum Feste gedient hatte und jetzt ebenfalls ziemlich derangirt und trostlos aussah, so hatte der Graf sein kleineres Arbeitskabinet neben dem Schlafzimmer für seine Gäste öffnen lassen, und der Kammerdiener hatte es so behaglich als möglich eingerichtet.
Eine halbe Stunde nach Beendigung des Balles fand sich denn auch hier fast die gleiche Gesellschaft zusammen, die wir schon einmal in diesen Räumen und zwar zu Anfang unserer Geschichte hier beisammen gefunden. Das einzige fremdartige Element, welches man unmöglich ausschließen konnte, war der Herzog Alfred, der es sich nun einmal nicht nehmen ließ, ein Glas der Versöhnung, wie er es auf jenen Wortwechsel im Schlosse anspielend nannte, mit dem Grafen zu trinken, welcher sich für diese höchste Gnade außerordentlich dankbar zeigen mußte.
Wenn auch die Anwesenheit des Herzogs nicht das Wünschenswertheste war, was der Gesellschaft dieser jungen Männer begegnen konnte, so hatte sie doch ein Gutes, daß sie wenigstens vor dem Dableiben des Herrn von Dankwart schützte, der sich Seiner Durchlaucht zu wiederholten Malen so unterthänig und vertraulich als nur irgend möglich mit der Versicherung genähert hatte, er für seine Person kenne nichts Angenehmeres, als nach einer großen Soirée noch eine Stunde ruhig eine Cigarre beisammen rauchen zu können. Er hoffte, der Herzog werde ihn zum Dableiben nöthigen; doch schien dieser etwas an Schwerhörigkeit zu leiden, denn er versicherte den Herrn von Dankwart, er fände es vollkommen begreiflich, daß er, ein kleiner, schwacher Mann, sich bei seiner Lebhaftigkeit von einer solchen Soirée höchst angegriffen fühle, und er nehme es ihm durchaus nicht übel, wenn er sich augenblicklich zurückziehe.
So mußte er denn das Zimmer verlassen und sich zu seinem Wagen begeben. Umsonst versuchte er es, mit dem Hausherrn ein interessantes Pferdegespräch anzuknüpfen: der Graf achtete nicht darauf; umsonst streckte er seine Hände rechts und links aus: es war Niemand da, der Lust hatte, sie zu drücken; und so schlich er sich denn hinaus, ließ sich den Mantel umgeben, wobei er dachte, es sei doch für einen feinfühlenden Mann sehr unangenehm, in eine Gesellschaft zu gerathen, die im Punkte der guten Lebensart so sehr weit zurück sei.
Im kleinen Arbeitskabinet etablirten sich unterdessen die Herren auf eine bequeme und angenehme Art. Um das lodernde Kaminfeuer hatte der Kammerdiener alle möglichen Fauteuils gestellt, auch kleine Divans, und darauf machte es sich Jeder so bequem, wie nur irgend möglich. Dem Herzog hatte man die rechte Ecke eingeräumt, und er lag lang ausgestreckt in einer Chaiselongue, mit großer Behaglichkeit ein Glas Punsch schlürfend und den Dampf aus seiner Cigarre ziehend. Hinter ihm lehnte aufrecht in der Ecke Baron von Brand, dessen Anzug noch so korrekt und untadelhaft war, als habe er soeben erst das Ankleidezimmer verlassen, was man von den übrigen Herren nicht sagen konnte; hier bemerkte man eine gelockerte Halsbinde, dort einen über die Weste schief zugeknöpften Frack; ja, der Herzog hatte sein großes Ordensband über die Schulter geworfen und es hing solchergestalt über die Lehne herab. Der Major von S. saß in der anderen Ecke ebenso bequem, wie Seine Durchlaucht in dieser; der neue Rath, Eduard von B., hatte tausendmal um Entschuldigung gebeten, daß er eine Stellung annehmen müsse, die sich eigentlich nicht mit der Etikette vereinbaren lasse, aber es sei ihm unmöglich, den rechten Fuß mit einem etwas zu engen Stiefel auf den Boden niederhängen zu lassen. Arthur saß gerade vor dem Kamine auf einem niedrigen Sessel und betrachtete aufmerksam die Züge des Herzogs, die er vor ein paar Tagen auf die Leinwand zu skizziren angefangen.
So saß die Gesellschaft rauchend und trinkend und unterhielt sich von der vergangenen Soirée, wobei mancherlei sehr Pikantes vorkam; namentlich waren die Erzählungen des Herzogs mit den sonderbarsten Einfällen und Bemerkungen gewürzt.
»Ich habe mich übermäßig angestrengt,« sagte er unter Anderem, »und mit einer wahren Aufopferung getanzt. –Steh' mir Einer in Gnaden bei! – aber es ist wahrhaftig keine Kleinigkeit, all' Das aushalten zu müssen. – Sie, Baron Brand,« wandte er sich an diesen, »habe ich recht vermißt. – Wo zum Teufel staken Sie denn fast den ganzen Abend? – Schau mir Einer seine Toilette an und sage mir, ob der Mann nur einen einzigen Schritt getanzt haben kann?«
»Da sind Euer Durchlaucht sehr im Irrthum,« erwiderte der Angeredete und warf einen wohlgefälligen Blick in den Spiegel. »Im Gegentheil: ich habe sehr tüchtig getanzt; aber man hat seine Bewegungen in der Gewalt; man echauffirt sich nie; man behält immer noch etwas übrig und gibt sich nie ganz aus.«
»Das ist ein schönes Kompliment für uns!« lachte der Herzog. – »Also wir haben uns vollkommen ausgegeben, sind fertig – ganz hallale? – Aber Scherz bei Seite, Baron, ich habe mehrmals scharf nach Ihnen ausgeschaut und hätte gern von Ihnen profitiren mögen; ein paarmal wäre mir Ihr coeur de rose recht erwünscht gekommen. Aber wenn man Sie braucht, sind Sie nicht da.«
»Er war anderweitig sehr beschäftigt,« sagte wichtig der Rath.
»Ja, Baron,« meinte der Major, »wenn man aus der Schule schwätzen wollte!« –
»Allons, meine Herren! keine Geheimnisse!« rief der Herzog. »Wir sind ja ganz unter uns. – Welchem Ehemann ist er gefährlich geworden?«
»Ich sah ihn mit der Baronin von W. eifrig konversiren,« versetzte der Rath.
»Und ich kann schwören, daß er der Obersthofmeisterin bedeutend die Cour machte.«
Der Baron lächelte wohlgefällig und drückte so kokett als möglich sein duftendes Battisttuch an die Lippen. »Nur zu, meine Herren,« sagte er, »nur zu, ich halte stille. Ah! ich sehe, dort unser Maler will auch über mich herfallen, und ich muß gestehen, der hat mich wenigstens nicht hinterlistig belauscht, sondern trat mir offen entgegen, als ich in einer sehr angenehmen und eifrigen Konversation begriffen war. – Aber – Stillschweigen,« setzte er mit einem sehr süßen Lächeln hinzu, indem er den Finger auf den Mund legte.
»Und an mich denken Sie nicht?« fragte Graf Fohrbach. »Nehmen Sie sich zusammen! Ich könnte Ihrer Sünden schlimmste aufdecken.«
»Sie? Da wär' ich begierig.«
Der Graf wandte den Kopf herum und blickte den Baron einige Sekunden fest an; dann nahm er die Cigarre, aus welcher er sehr bedächtig einen langen Zug gethan, leicht in die Hand und sagte: »Baron, denken Sie an die Polizei.« – Er hoffte bei diesen Worten irgend eine Aenderung auf dem offenen und freundlich lächelnden Gesichte des Herrn von Brand zu entdecken, hatte sich aber vollkommen geirrt, da zuckte keine Miene, da verrieth nicht der mindeste Schatten eine Ueberraschung oder Bewegung.
»An die Polizei soll ich denken? – Wie so?« fragte er ganz ruhig. » Coeur de rose! was hat die mit schönen Mädchen zu thun?«
»O Sie Undankbarer!« erwiderte der Hausherr. »Soll ich wirklich Ihre Sünden offenbaren? Habe ich denn nicht gesehen, wie Sie der schönen Auguste im Wintergarten eifrig die Hand geküßt!«
»Hätte ich das wirklich gethan?« fragte Herr von Brand, sich affektirt besinnend. – »Ja es ist möglich. Gott! in dem Gewühl passirt Einem so Manches!«
»Er ist ein Don Juan,« sagte entschieden der Herzog. »Aber er mag sich stellen wie er will, mit der Tochter des Polizei-Präsidenten hat es noch einen anderen Haken; ich habe allerlei darüber munkeln gehört.«
»Die alte Geschichte!« entgegnete achselzuckend der Baron. »Weiß Gott im Himmel, ich werde noch ein Einsiedler werden müssen, um allem Gerede zu entgehen.«
In diesem Augenblicke erhob sich im Vorzimmer ein so lautes und anhaltendes Lachen, daß sämmtliche Herren erstaunt aufhorchten. Es war das ein so lustiges Gelächter, daß es unmöglich von einem der Bedienten herkommen konnte. – Es mußte ein Fremder und doch Bekannter sein.
Gleich darauf vernahm man auch die Stimme des Kammerdieners, der mit Entrüstung sagte: »Aber mein Herr, es ist keine Zeit, dem Herrn Grafen einen Besuch zu machen; überhaupt dringt man unangemeldet nicht da hinein.« – »Lassen Sie mich nur,« erwiderte die Stimme; »Sie werden sich einen Dank verdienen, wenn Sie mir helfen, den Grafen zu überraschen.«
Dabei wurde die Thür geöffnet und es trat leicht und gewandt ein junger Mann in das Zimmer, der aber in seinem sonderbaren Anzuge durchaus nicht zu den schwarzen Fräcken, den weißen Hals- und Ordensbändern hier paßte.
Es mochte das ein Mann von vielleicht dreißig Jahren sein, hoch und schlank gewachsen, aber dabei breitschulterig und von energischem, kräftigem Wesen. Man sah das an der Art, wie er in das Zimmer schritt, wie er seinen Kopf trug und an der abweisenden und gebieterischen Handbewegung, die er gegen die Bedienten machte, welche ihm folgen zu wollen schienen. Er trug einen kurzen und dicken Reiserock, hatte um den Hals einen Shawl gewickelt und an den Füßen Pelzstiefel, die ihm bis zum Knie reichten; eine Mütze hielt er in der Hand, doch war diese Hand klein und zierlich und mit feinen lederfarbenen Glacéhandschuhen bedeckt.
Der junge Mann schritt lächelnd auf den erstaunten Kreis der Herren zu, die am Kamine saßen, und wußte dabei so zu manövriren, daß man sein Gesicht nicht eher deutlich sah, bis er sich mitten in der Gruppe befand, und es von dem Feuer und den Wachskerzen hell beschienen wurde.
Ein Ausruf der Ueberraschung und der Freude entfuhr nun aber dem Munde fast aller Anwesenden.
»Ist denn das ein Gespenst!« schrie der Herzog. – »Hol' Sie der Teufel! Wo kommen Sie her?«
»Bist du es wirklich, Hugo?« rief Graf Fohrbach, der aufgesprungen war und dem Angekommenen herzlich die Hand schüttelte. – »Wo kommst du her?«
»Daß ich kein Gespenst bin, gnädiger Herr,« entgegnete der im Reiseanzug lachend, »können Sie erfahren, wenn Sie die Gnade haben wollen, mir Ihre Hand zu reichen. – So! – Daß ich direkt von einer Reise komme, werdet ihr übrigens meinem Aeußern anmerken.«
»Er ist immer noch der Alte,« versetzte der Herzog, während er seine Finger rieb, die ihm Jener etwas heftig gedrückt hatte. – »Aber jetzt lassen Sie sich nieder, unsteter Mensch, und berichten Sie ordentlich, in welchem Welttheil Sie zuletzt waren!«
Ehe der Angekommene diesem Befehle Folge leistete, blickte er sich rings im Kreise um, reichte dem Rath freundlich die Hand und machte eine stumme Verbeugung gegen Arthur und den Baron Brand, die er beide noch nicht kannte. Der Letztere stand ihm aufrecht gegenüber, und als sich diese beiden Männer nun plötzlich anblickten, wichen sie, obgleich kaum bemerkbar, vor einander zurück. – Der Baron faßte sich übrigens augenblicklich wieder und lächelte so unbefangen wie vorher. Der Andere fuhr mit der Hand über das Gesicht bis zum vollen blonden Barte hinab und verbeugte sich leicht, als Graf Fohrbach sagte: »Baron von Brand – Hugo von Steinfeld – Arthur Erichsen – Beide gute Bekannte und Freunde.«
»Ehe ich mich niedersetzen kann,« sprach Herr von Steinfeld, »muß ich Sie vorher um Erlaubniß bitten, gnädiger Herr, eine kleine Toilette machen zu dürfen. – Du gibst mir wohl einen leichten Rock,« wandte er sich an den Grafen, »und erlaubst, daß ich mir in deinem Schlafzimmer die schweren Stiefel ausziehen lasse. – Apropos! deine Dienerschaft hätte mich bald zur Thüre hinaus geworfen.«
»Sie hätten Ihren Namen sagen sollen!« lachte der Herzog. »Durch das viele Bartwerk in Ihrem Gesicht sind Sie sogar für Ihre besten Freunde unkenntlich geworden.«
»Dazu rechnen Euer Durchlaucht doch wohl nicht die Bedienten?«
»Du bleibst heute Nacht bei mir?« fragte Graf Fohrbach.
»Ja, heute Nacht, und wenn du erlaubst, noch ein paar Tage, bis ich mir eine passende Wohnung gesucht. – Aber nun komm' in dein Schlafzimmer; es ist mir in meinem Anzuge viel zu warm; ich muß ein bischen andere Toilette machen.«
Diese war bald beendigt, und wenige Minuten nachher saß der eben Angekommene mit in der Reihe am Kaminfeuer, während Graf Fohrbach seinem Kammerdiener einige Befehle ertheilte in Betreff eines Zimmers, das eingerichtet werden mußte, sowie auch des Reisewagens des Fremden, den man in einer der Remisen unterbrachte.
»Ich hätte schon vor zwei Stunden hier sein können,« sagte Herr von Steinfeld, »doch erfuhr ich zufällig auf der letzten Station von einer großen Soirée. Da ich nun begreiflicherweise keine Lust hatte, mich heute Abend noch anzuziehen, so wartete ich und komme nun gerade rechtzeitig zur angenehmen Nachlese. – Darf ich mich jetzt wohl unterstehen,« wandte er sich gegen den Herzog, »Euer Durchlaucht die feierliche Versicherung zu geben, wie außerordentlich glücklich ich bin, Hochdieselben alsogleich begrüßen zu können? – Doch hatte ich nicht geglaubt, Sie im schwarzen Frack wiederzusehen.«
»O schweigen wir davon!« erwiderte der Herzog mit einer Handbewegung. »Man glaubt höheren Orts, ich könnte dem Staate besser mit Geist und Feder als mit Faust und Schwert dienen.«
»Woran man höheren Orts wohl nicht Unrecht hat,« meinte sich verbeugend der Andere, »denn Euer Durchlaucht großer Verstand wurde mir von allen schönen Frauen gerühmt, mit denen ich das Glück hatte über Sie sprechen zu dürfen.«
»Gehen Sie zum Henker mit Ihrem Verstand! Es ist traurig, wenn die schönen Frauen nichts Anderes an mir zu rühmen wußten. – Doch wo kommen Sie eigentlich her? Nur eine hübsche Erzählung Ihrer Fahrten und Abenteuer kann Sie wieder einigermaßen in meiner Gunst herstellen.«
»Ich stehe gleich zu Befehl. Aber Sie werden mir erlauben, gnädiger Herr, daß ich mich vorher nach dem Befinden meines lieben Freundes hier erkundige. – Von dir,« wandte er sich an den Grafen, »hatte ich die letzten Nachrichten, als du in die Reihe der Adjutanten aufgenommen wurdest. –¦ Und du bist auch avancirt,« sagte er zum Major v. S. »Ich sehe das natürlicherweise an deinen Epauletten und gratulire bestens. – Wie steht's aber mit unserm theuren Assessor?«
»Vortragender Rath, wenn ich bitten darf!« erwiderte Eduard v. B. mit großer Wichtigkeit.
»Alle Teufel!« versetzte der Andere laut lachend. »Ihr könnt euch nicht beklagen; ihr seid von der Sonne königlicher Gnade ausgebrütet worden, während ich zurückkomme als taubes Ei Gott weiß welchen Departements.«
»Und ganz nach Verdienst,« schaltete der Herzog ein. »Weiß der Himmel, lieber Steinfeld, daß Sie des Herumschwärmens niemals satt werden. Soll auch diesmal Ihr Aufenthalt wie gewöhnlich nur einige Wochen dauern, oder gedenken Sie uns auf längere Zeit zu beglücken?«
Der Andere zuckte die Achseln und entgegnete: »Das hängt von vielerlei Umständen ab; vorderhand habe ich hier Anker geworfen und will abwarten, ob ich liegen bleiben muß auf stürmischer Rhede oder ob ich hinein bugsirt werde in den sicheren Hasen.«
»Und jetzt kommen Sie von Rußland?«
»Ja, gnädigster Herr. – Oder auch nein; denn ich war zuletzt im Kaukasus.«
» Horreur!« rief der Herzog. »Doch nicht am Ende gar bei den Tscherkessen?«
»Eigentlich focht ich gegen sie,« erwiderte Herr von Steinfeld. »Doch unter uns gesagt, ließ ich mich eines Tags gefangen nehmen und verbrachte darauf bei den wilden Söhnen des Gebirges ein angenehmes Jahr.«
»Davon mußt du erzählen,« sagte der Hausherr.
»Halt!« rief der Herzog. »Ich habe auf seine Mittheilungen ein näheres Recht; er ist mir in W. desertirt, und das in Folge einer räthselhaften Geschichte; – ja, meine Herren, in Folge einer Begebenheit, bei der, vielleicht zum ersten Male, sein Herz mächtig ergriffen war.«
»Ist das möglich?« sprach erstaunt der Major. »Du Umherschweifender, Wankelmüthiger, hättest dir wirklich Fesseln anlegen lassen? – Unglaublich! – Ja, wenn das erzählbar ist, so stimme ich auch dafür, denn das ist gewiß noch interessanter als deine Tscherkessenabenteuer.«
»Laßt mich lieber von den letzteren erzählen,« bat Herr von Steinfeld mit ernsterer Stimme, nachdem er einen Augenblick träumend in das Kaminfeuer geschaut. »Der Herzog übertreibt: die Sache ist nicht so interessant; ihr Alle habt dergleichen schon erlebt.«
»Lieber Freund, dein Weigern ist uns verdächtig,« bemerkte Graf Fohrbach. »Jetzt trete ich auf Seite der Anderen und verlange die Geschichte aus W.«
»Eine Geschichte, meine Herren,« fuhr der Herzog fort, »über die ich Einiges habe munkeln hören, und in die auch ich halb verwickelt sein soll. Ich wollte sie damals schon erfahren, doch wich er mir anfänglich aus, und wenige Tage nachher war er verschwunden. – Das sind jetzt sechs Jahre; urtheilen Sie selbst, ob ich lange genug gewartet habe. Sehen Sie, lieber Steinfeld, hätten Sie damals mir allein gebeichtet, so wäre Ihnen das heute vor einer größeren Versammlung erspart geblieben.«
»Es hätte mich damals keine Macht der Erde bewegen können, eine Silbe über diese Geschichte zu sprechen,« entgegnete der Andere sehr ernst. – Doch jetzt ist ja Alles vorüber!« setzte er mit einem leisen Seufzer hinzu.
»Also die Begebenheit!« rief munter Graf Fohrbach. – »Wir sind ja unter lauter guten Freunden,« fuhr er fort und betrachtete die vor dem Kamine Sitzenden der Reihe nach. – Den Baron Brand hatte er in diesem Augenblicke vergessen, denn dieser entging seinen Blicken, da er sich wenige Sekunden vorher auf einen ganz niedrigen Sessel hinter den Herzog gesetzt hatte, und so durch Seine Durchlaucht vollkommen gedeckt wurde.
»Es mögen also jetzt sechs Jahre sein, da waren wir zusammen in W., Seine Durchlaucht der Herr Herzog in Begleitung anderer höchster Personen, und ich wiederum in Begleitung des Herrn Herzogs.«
»Aber ohne offiziellen Charakter,« sagte dieser lachend.
»Ganz richtig,« fuhr der Erzähler fort. »Ich hatte das unschätzbare Glück, Seine Durchlaucht unterhalten zu dürfen, wenn Niemand Besseres da war, mit Ihr dejeuniren und diniren zu müssen, Sie auf Spaziergängen, Fahrten und Ritten zu begleiten, wobei es mir aber nie erlaubt war, meine wunderbare Dragoner-Uniform anzuziehen.«
»Pfui, Steinfeld!« rief der Herzog. »Wie sind Sie bei den Tscherkessen verwildert!«
»Aber damals war ich es noch nicht, gnädiger Herr, das müssen Sie mir zugestehen; denn wenn Sie mir auch nicht gern etwas Erfreuliches nachsagen, so können Sie doch nicht leugnen, daß ich überall gut gelitten war.«
»Er war damals ein vollkommener Beau; aber sonst nichts.«
»Und deßhalb paßten wir trefflich zu einander: Euer Durchlaucht hatten den Verstand, das innere Departement, und ich beschäftigte mich stark mit dem äußeren. – Darf ich nun fortfahren? –
»Eines Tages nun wurde auf den Wunsch hoher Personen,« erzählte Herr von Steinfeld weiter, »in einem der Theater ein längst vergessenes Lustspiel wieder aufgeführt, in welchem eins der Hauptmitglieder von jeher excellirt hatte. Seine Durchlaucht nahmen wie gewöhnlich eine Loge und ich hatte die Ehre, Sie begleiten zu dürfen. – Doch damit ich bei der Wahrheit bleibe, so muß ich sagen, daß der Herr Herzog an dem Tage bei Hof speiste und wir uns also in der Loge treffen sollten. Natürlicherweise war mein Diner bälder beendigt als das seinige, und obgleich ich sehr langsam zu Fuß dem Schauspielhause zuschlenderte – es war im heißen Sommer – so kam ich doch wohl eine halbe Stunde vor Beginn der Vorstellung hin, fand aber das Haus schon dicht besetzt; nur die Logen des halben ersten Ranges waren noch leer, denn außer der des Herrn Herzogs waren die anderen ebenfalls für hohe Personen reservirt worden.
»Ich stieg, durchaus an nichts Arges denkend, langsam die Treppen hinauf, trat in unsere Loge und ging an die Brüstung vor, um mich im Hause umzuschauen. Hier aber – Gott weiß, für wen man mich gehalten – ward ich augenblicklich das Ziel der Aufmerksamkeit des sämmtlichen Publikums. Alle Augen richteten sich zu mir empor; ja ich kann wohl sagen, alle Theatergläser und Lorgnetten nahmen die Richtung nach meiner Loge; von unten im Parterre vernahm man – ich kann es nicht leugnen – ein höchst beifälliges Gemurmel, und wenn ich mich nicht schleunigst zurückgezogen hätte, so würde ich einem allgemeinen Vivat nicht entgangen sein.«
»Da ward es ihm bange in seiner Löwenhaut und er warf sie ab,« sagte einigermaßen hämisch der Herzog.
»Natürlicherweise,« fuhr ruhig der Erzähler fort, »denn ich wußte, daß Sie, gnädiger Herr, dieselbe später mit viel größerem Anstande tragen würden. – Im nächsten Augenblick füllten sich denn auch die Logen; die Akklamation des Publikums ward einem Würdigeren zu Theil; endlich kam auch der Herzog. Der Vorhang flog auf und das Stück begann.«
»Gleich da bemerkte ich schon, wie unaufhörlich und hartnäckig Sie in das Parterre hinab kokettirten, konnte aber nicht entdecken, wem es galt, denn für mich waren drunten lauter alltägliche Gesichter.«
»Ich leugne es nicht, daß ich häufig hinabsah, doch anfänglich nur aus einem reinen Gefühle der Dankbarkeit, denn von all' den tausend Gesichtern, die mich vorhin so neugierig angestarrt, blieb mir nur ein einziges insofern treu, als es mir hie und da noch einen Blick schenkte, während sich alle anderen den aufgegangenen glänzenden Sonnen neben mir zuwandten. – Aber die beiden Augen, die mich zuweilen ansahen, wogen tausend andere auf; sie gehörten einem Mädchen, das drunten in einem Sperrsitz neben einer älteren Frau saß, einem Mädchen von so unbegreiflicher und wunderbarer Schönheit, daß ich mir mit Erstaunen gestand, lange, ja noch nie so etwas gesehen zu haben. Eine Beschreibung ist eigentlich überflüssig; ich kann nur sagen, daß es ein blasses, aber sehr edles Gesicht war, von sanftem würdevollem Ausdruck, mit glänzenden blauen Augen und dem üppigsten blonden Haar, welches ich in meinem ganzen Leben gesehen. – Ich muß Euer Durchlaucht hiebei zum Zeugen anrufen, denn Sie werden sich erinnern, daß Sie später diesem Mädchen einmal durch Zufall begegneten. – Habe ich übertrieben oder sprach ich die Wahrheit?«
»Ja, ja,« erwiderte der Herzog nachdenkend; »es war das eine auffallend reizende Erscheinung.«
»Ah himmlisch! unvergeßlich!« fuhr der Andere enthusiastisch fort. »Doch bleiben wir ruhig bei unserer Erzählung. – In meiner übergroßen Bescheidenheit dachte ich anfänglich, die Blicke, die sie zuweilen herauf sandte, können mir unmöglich gelten; ich wollte deßhalb eine Probe machen, verließ die Loge und stellte mich im Parterre so auf, daß jenes Mädchen, wenn sie nach rechts schaute, mich sehen konnte. Hier gerieth ich aber in eine Gruppe junger Leute meiner Bekanntschaft, Kavaliere der reichsten Häuser, Offiziere, die sich alle mit mir in der gleichen Absicht da versammelt hatten. – ›Daß Sie daher kommen,‹ rief mir Einer zu, ›finde ich vollkommen begreiflich; Ihrem Blick entgeht dergleichen nicht.‹ – ›Sie meinen jene Dame mit dem schwarzen Haar in der Parterreloge? fragte ich.‹ – ›Ah! gehen Sie weg, Sie Heuchler!‹ lachte ein Anderer, »wer wird nach schwarzem Haar sehen, wenn man ein so wundervolles Blond vor sich hat?‹ – ›Kennen Sie das Mädchen?‹ – ›Ich nicht.‹ ›Und Sie?‹ – ›Keiner von uns Allen kennt sie; und das will viel sagen,‹ so sprach ein Dritter. ›Sie kann noch nicht lange hier sein.‹ – ›Und das ist wohl ihre Mutter, die neben ihr sitzt?‹ – ›Es scheint so.‹ – ›Aber haben Sie je etwas Schöneres gesehen als das Mädchen?‹ – ›Nein, nein,‹ sagten die Anderen. Und so ging es eine Weile fort.
»Hatte das Mädchen nun bemerkt, daß sie der Gegenstand dieser Aufmerksamkeit war, genug, sie blickte längere Zeit nur auf die Bühne oder sprach mit ihrer Nachbarin. Endlich aber erhob sie ihre Augen wieder und sah nach unserer Loge hinauf. Ich muß gestehen, mir schlug das Herz, denn wahrhaftig, es kam mir vor, als suche sie dort Etwas. – Ich hatte mich in die vordere Reihe meiner Bekannten gedrängt und schaute mit der gespanntesten Aufmerksamkeit nach ihr hin. – Richtig! sie senkte jetzt langsam den Blick; ihre Augen fanden die meinigen, und daß sie gerade mich gesucht und gefunden, das sagte mir ein süßes Gefühl in meinem Herzen.«
»Glückseliger Hugo!« sprach zerstreut Graf Fohrbach.
»Daß ich an meinem Platze stehen blieb, könnt ihr euch denken.«
»Und mich ließ er allein in der Loge, der Undankbare! – Aber nur weiter; ich bin überzeugt, wir werden in dem Punkte noch schrecklichere Dinge zu hören bekommen.«
»Von dem Stücke sah ich begreiflicherweise gar nichts,« fuhr Herr von Steinfeld fort; »auch war es wahrhaftig zu rasch für mich zu Ende. Während des letzten Aktes aber ging ich hinaus und suchte unsern vortrefflichen Lohnbedienten. Der kannte sämmtliche gewisse junge Damen der ganzen Stadt; doch es wäre mir schrecklich gewesen, wenn er auch diese gekannt hätte. Aber ohne seine Hilfe konnte ich nichts unternehmen, konnte ich nicht erfahren, wer die Damen seien oder wo sie wohnten. Auch war ich überzeugt, daß sich meine sämmtlichen Bekannten in ihren Weg drängen und den Versuch machen würden, ein Wort anzubringen. Und das wollte ich für meine Person gerade vermeiden. Ich begab mich deßhalb mit Baptist an die Ausgangsthüre, um zu warten, bis sie heraus käme. Dabei geschah nun, was ich vorhin andeutete: alle die jungen Leute, die sie während der Vorstellung angestaunt, schwärmten um sie herum; ja die Kecksten wagten es, die ältere Dame oder sogar sie selbst anzusprechen. Doch hatten Beide ihre Schleier herabgelassen und würdigten keine Frage einer Antwort; sie schritten so rasch durch die Menge dahin, daß Baptist kaum Zeit hatte, sie in Augenschein zu nehmen; doch genügte ihm ein einziger Blick, um mich versichern zu können, daß das Mädchen sowie die ältere Frau ihm gänzlich unbekannt seien. – ›Aber ich muß um jeden Preis erfahren,‹ entgegnete ich ihm, ›Wenigstens wo sie wohnen. Baptist, Ihre Belohnung für diese Nachricht soll glänzend sein.‹
»Er nickte mit dem Kopfe und folgte den Damen so schnell, als es das Gewühl erlaubte. Diese hatten das Haus bereits verlassen und schritten über die Straße, einem Fiaker zu, der auf sie zu warten schien. Ohne sich aufzuhalten, stiegen sie in den Wagen, zogen den Schlag hinter sich zu, und der Kutscher fuhr davon – aber nicht ohne den vortrefflichen Baptist. Dieser hatte sich hinten aufgeschwungen, und während er sich auf dem Trittbrette als Lakai einrichtete und die Quasten des Wagens ergriff, nickte er mir zu, als wollte er sagen: seien Sie vollkommen ruhig; die Sache ist bestens eingefädelt.«
»Und so verlor ich für den Abend meinen Begleiter und meinen Lohnlakaien,« sagte der Herzog. »Ich mußte eine Viertelstunde warten, ehe es unserem vortrefflichen Freunde hier einfiel, nach mir und meinem Wagen zu sehen.«
»Bedenken Sie aber das Gedränge, gnädigster Herr,« entgegnete lachend der Erzähler, »diese Foule von Menschen und Wagen; Sie hätten ja doch nicht nach Hause gekonnt. – Wahrhaftig, auf mich brauchten Sie keine Sekunde zu warten.«
»Aber auf den Lohnbedienten wartete ich den ganzen Abend vergebens.«
»Das kann ich Eurer Durchlaucht nicht leugnen. Er ließ sich erst am andern Morgen wieder im Hotel sehen, um – mir Bericht zu erstatten.«
»Als Bedienter hinten auf dem Wagen war er vom Schauspielhause weg durch einige Straßen glücklich mitgefahren, dann aber mußten ihn die Damen entdeckt haben; genug, sie ließen den Wagen halten und die Alte rief dem Kutscher zu, er solle nachsehen, wer hinten aufstände, sie hätten keinen Bedienten und brauchten auch keinen, und er solle sie augenblicklich verlassen. – Was war zu machen? Baptist kletterte hinab und mußte sich bequemen, hinter dem Wagen, der im scharfen Trabe fuhr, zu laufen. So ging es durch die ganze Stadt, zum entgegengesetzten Thore hinaus und nach einer der entlegensten Vorstädte. Baptist aber blieb ausdauernd bei dem Wagen, bis dieser endlich vor einem Hause hielt, und dort hatte er obendrein die Kühnheit, den Schlag zu öffnen, um den Damen beim Aussteigen behilflich zu sein. Doch stieß die jüngere verächtlich seine Hand zurück, und die ältere hielt ihm eine Strafpredigt und sagte, sie hätte wohl nicht übel Lust, die Polizei herbeirufen zu lassen, damit sie geschützt sei vor Unberufenen und Spionen. Baptist entschuldigte sich mit dem Befehl seines Herrn, der ihn beauftragt habe, um jeden Preis zu erfahren, wo die beiden Damen wohnen, worauf dieser Herr auch nicht ohne einige kräftige Bemerkungen davon kam. Dann gingen sie in's Haus, riegelten hinter sich zu und ließen Baptist einigermaßen verdutzt auf der Straße stehen. Doch merkte er sich genau die Hausnummer, und da es für Nachforschungen zu spät war, so stellte er sie den anderen Morgen in aller Frühe an und erfuhr, die ältere Dame sei eine Wittwe, Frau v. Z., das Mädchen ihre Tochter Elise, und Beide erst seit ungefähr einem halben Jahre in der Stadt. Woher sie gekommen, konnte man ihm nicht sagen.«
»Das war eigentlich eine kräftige Abweisung,« sagte der Rath. – »Ich hätte mich darnach um keinen Preis mehr in der Straße sehen lassen. – Und die Sache war aus?« fragte er.
»Nein, mein Lieber,« erwiderte Herr von Steinfeld; »sie fing hierauf erst recht an. Ich hatte nun begreiflicherweise nichts Eiligeres zu thun, als mich hinzusetzen und ungefähr folgenden Brief zu schreiben: Gnädige Frau! – Ich bin in Verzweiflung. Durch die ungeschickte Zudringlichkeit meines Bedienten ist Ihnen gestern Abend, wie ich soeben zu meinem größten Schrecken erfuhr, ein unangenehmer Moment bereitet worden, was mir um so schmerzlicher ist, da mein Bedienter, wie ich vernommen, einen Auftrag von mir vorschützte, der ihn veranlaßte, Sie auf so rücksichtslose Weise vom Theater bis in Ihre Wohnung zu verfolgen. – Leider muß ich bekennen, daß ich nicht ganz ohne Schuld bin; doch als ich, ich gestehe es, überrascht von dem Anblick Ihrer Fräulein Tochter, mich erkundigte, welcher Familie sie angehöre, geschah dies gewiß nicht in der Absicht, Ihnen durch Nachforschungen irgend welcher Art lästig zu fallen, wie in der That geschehen. Da ich es nun aber für eine dringende Pflicht halte, Sie, gnädige Frau, wegen der Ungeschicklichkeit meines Dieners um Verzeihung zu bitten, würde ich es als die größte Gunst ansehen, wenn Sie mir eine Stunde bestimmen wollten, in welcher es mir vergönnt wäre, Ihnen zu sagen, wie unendlich ich den gestrigen Vorfall bedauere etc.« »Brrr!« machte der Major. »Damit zogst du eigentlich ärger an der Klingel als dein Bedienter.«
»Nein, nein!« lachte der Herzog. »Er sprach durch die Blume per Besenstiel.«
»Es war allerdings ein gewagter Schritt,« fuhr der Erzähler fort, »so mit der Thüre in's Haus zu fallen. Aber was konnte daraus erfolgen? – Gab sie mir keine Antwort, so mußte ich einen andern Weg einschlagen oder von der ganzen Geschichte abstehen. An das Mädchen hätte ich auf diese Weise nicht geschrieben, aber der pfiffige Baptist, der in der ganzen Stadt seine Verbindungen hatte, versicherte mich, Mutter und Tochter seien zwei ganz verschiedene Naturen. Mit der Alten sei es, wie man ihm gesagt, nicht ganz richtig, aber das Mädchen sei in jeder Hinsicht ein wahrer Engel. – Genug, ich schrieb; schickte aber den Brief durch meinen eigenen Bedienten, und erhielt am andern Tage die Antwort, Frau von Z. sei geneigt, meine Entschuldigung anzunehmen. – Daß ich mich zur bezeichneten Stunde hin begab, brauche ich wohl nicht zu erwähnen.«
»Aber ich muß beifügen, daß dies in meinem Wagen geschah,« sagte der Herzog. »Gütiger Himmel! wozu habe ich damals nicht dienen müssen.«
»Ich gestehe, gnädiger Herr, daß ich allerdings Ihren Wagen nahm, muß aber dabei bemerken, daß er mir von der Mutter sogleich bei meiner Ankunft die Bemerkung eintrug, es sei durchaus nicht artig von mir, die erhaltene Erlaubniß zu mißbrauchen, indem ich in ihrer kleinen bescheidenen Straße mit der glänzenden Equipage ein solches Aussehen hervorrufe. Ich nahm auch geduldig diese Zurechtweisung hin und bat demüthig für meine beiden Vergehen um Verzeihung. Madame empfing mich allein in ihrem Zimmer; es war das eine Wohnung, bescheiden aber anständig möblirt. Ich zog mich aus der Geschichte des gestrigen Abends so gut, als es eben gehen wollte, indem ich versicherte, der Anblick ihrer Tochter habe auf mein Herz einen unauslöschlichen Eindruck gemacht.«
»Und das hörte sie geduldig an?« fragte der Major.
»Sie lächelte dazu,« fuhr Steinfeld fort, »und ich sah, daß Baptist in dem einen Theile seines Berichtes vollkommen Recht hatte. Doch wurde mir nicht blos dies Lächeln zu Theil, sondern sie verzog gleich darauf ihr Gesicht wieder in ernste Falten, als sie mich versicherte, sie müsse mir offenherzig gestehen, daß sie nur mein dringendes Schreiben veranlaßt habe, mir die Erlaubniß zu diesem Besuche zu ertheilen. Sie sei eine Wittwe mit wenigem Vermögen, fuhr sie fort, der Alles daran gelegen sein müsse, sich ohne Aufsehen, namentlich aber ohne irgend welche schlimme Nachreden durch die Welt zu schlagen, weil sie nur so im Stande sei, für das Glück ihrer einzigen geliebten Tochter dauernd sorgen zu können.«
»Und diese einzige und geliebte Tochter sahen Sie nicht alsogleich?« fragte der Herzog.
»Auf mein dringendes Bitten wurde mir später die Erlaubniß zu Theil, auch deren Verzeihung für meinen unüberlegten Schritt erbitten zu dürfen. – Und auch in Betreff dieses Mädchens hatte Baptist vollkommen Recht,« fuhr der Erzähler mit einem Seufzer fort. »Wir wollen darüber nicht viele Worte machen, es würde das lächerlich vorkommen; aber sie war wirklich in jeder Beziehung ein Engel, ein vollkommenes Geschöpf: schön, unschuldig, rein. – Ja, unschuldig und rein,« wiederholte er, als er die spöttische Miene des Herzogs bemerkte. »Ich versichere Sie, gnädigster Herr, die Seele dieses Mädchens hatte noch kein Hauch irgend einer Leidenschaft, irgend eines Lasters getrübt; es war das ein fleckenloser, glänzender Spiegel, der ungetrübt alle äußeren Eindrücke heiter und lustig empfing und sie ebenso zurückstrahlte.«
»Das muß etwas Außerordentliches gewesen sein!« sagte spöttisch der Herzog. »Bedenken Sie doch, meine Herren, noch nach sechs Jahren diese feurige Schilderung!«
»Und die würde ich mit demselben Feuer ebenso noch nach sechzig machen, wenn das möglich wäre,« versetzte sehr ernst Herr von Steinfeld. »Doch wenn das Innere dieses Mädchens außerordentlich war, so war es ihr Aeußeres nicht minder; ich habe nie mehr eine so vollkommen schön gewachsene Gestalt gesehen, so kleine Hände und Füße, solche elastische und edle Bewegungen. Mir war übrigens die ganze Erscheinung von Anfang an ein Räthsel; wenn Frau von Z. ihre Mutter war, so mußte der Vater etwas Vorzügliches gewesen sein; denn von der Mutter konnte sie weder die Schönheit, weder die Frische des Geistes, noch diese Erziehung haben. Elise sprach Französisch mit sehr gutem Accent, und Englisch wie eine geborene Engländerin, überhaupt hatte sie in ihrem Gesichte viel von dem Typus dieser Nation, namentlich ihren klaren, durchsichtigen weißen Teint, das schöne blonde Haar und die frischen Zähne und Lippen.«
In diesem Augenblick wandte sich der Herzog heftig auf die Seite, blickte hinter seinen Stuhl und sagte: »Ah! Sie sind's, Baron Brand? Zum Teufel! ich hatte Sie ganz vergessen, und als ich da auf einmal Ihren tiefen Seufzer hörte, so war mir das ganz unheimlich. – Fehlt Ihnen etwas?«
Der Baron Brand hatte wirklich vorhin aus tiefster Brust geseufzt; doch als er jetzt gefragt wurde, nahm er sich zusammen und entgegnete mit etwas erzwungenem Lächeln: »Euer Durchtaucht wissen, daß ich ein gefühlvolles Herz habe, und da Herr von Steinfeld so außerordentlich lebendig und schön erzählt, so hat mich seine Schilderung in der That etwas angegriffen.«
»Sie sehen wirklich blaß aus,« nahm Graf Fohrbach, der sich jetzt erst zu erinnern schien, daß Herr von Brand ebenfalls in der Gesellschaft sei, erstaunt das Wort. Er hätte gern seinem Freund ein Zeichen gegeben, die Erzählung zu unterbrechen, doch war dies, ohne Aufsehen zu erregen, nicht möglich.
»Schon die erste Unterredung, die ich an jenem Tage mit dem Mädchen hatte,« fuhr Herr von Steinfeld fort, »entschied über mich und ich fühlte, daß ich eine wirkliche Liebe für sie zu fassen im Begriffe sei. Es war das mehr denn eine vorübergehende Leidenschaft; und als ich sie nach einer höchst angenehmen Stunde verlassen und zu Hause angekommen war, ging ich lange mit mir zu Rath, ob es nicht besser sei, jenes Haus nie mehr zu betreten, ja Elisen weder dort noch anderswo in ihre schönen, gefährlichen Augen zu schauen. Mein Verstand pflichtete diesem Entschlusse bei, aber mein Herz überredete mich leicht, von der Erlaubniß der Frau von Z., zuweilen ihr Haus besuchen zu dürfen, den umfassendsten Gebrauch zu machen.
»Ich ging also häufig hin, blieb so lange wie nur möglich, und Elise wurde mir mit jedem Tage theurer. Ohne mir zu schmeicheln, kann ich auch wohl sagen, daß sie mich gerne kommen sah, ja, daß ich ihr nicht gleichgiltig war. Wenn man wirklich liebt, so merkt man das ja so leicht an einem Worte, einem Blicke, einer scheinbar vollkommen bedeutungslosen Berührung der Hand und dergleichen. Es sind das nur Kleinigkeiten, aber mit ihnen durchlebt man die süßesten Stunden. Ich genoß das Alles wie im Traume; oft sah ich sie in Gesellschaft ihrer Mutter, öfter allein. Frau von Z. schien uns vollkommene Freiheit lassen zu wollen. Und wir benutzten diese Freiheit auf's Beste, denn schon nach vierzehn Tagen wußte ich, daß mich Elise eben so innig liebe wie ich sie.«
»Und weiter – wie Oktavio in Don Juan sagt!« lachte der Herzog.
»Weiter nichts, gnädiger Herr,« sprach Herr von Steinfeld sehr ernst. »Ich versichere Sie wiederholt: es war das ein so edles und reines Geschöpf, dabei so unschuldig und wohlerzogen, daß ich es für ein großes Glück ansah, wenn ich nur ihre Hand ergreifen und sie leise küssen durfte. – Aber,« fuhr er nach einer Pause fort, »solche Liebesgeschichten sind für Dritte höchst langweilig; ich mußte jedoch der Thatsache erwähnen. Doch gehen wir darüber hinweg, und bitte ich Sie nur noch, meinem Worte Glauben schenken zu wollen, wenn ich Ihnen sage, daß ich es mit einem vollkommen unverdorbenen Wesen zu thun hatte. –
»In all' der Zeit hatte mich die Mutter nie mit irgend einer Frage belästigt, welche mein Herkommen, meinen Stand, mein Vermögen oder dergleichen betraf, Elise noch viel weniger; ja sie wich jedem Gespräch aus, das auf dieses Thema führen konnte, und pflegte mir oft, nicht ohne Anflug von Schmerz, zu sagen, wenn ich über Vergangenheit oder Zukunft sprechen wollte: Lassen Sie das; mir ist das Alles wie ein schöner Traum – träumen wir ihn fort bis zum Erwachen; Gott allein mag wissen, ob dies Erwachen für mich schön oder traurig sein wird.« –
»Nun, deine Reden über die Zukunft,« unterbrach ihn Graf Fohrbach, »werden doch für das arme Mädchen nicht gerade sehr angenehm gewesen sein, denn du dachtest doch gewiß nie an eine Heirath.«
»Offenherzig gestanden, es gab Momente, wo ich wohl daran dachte, bis mir alsdann wieder die immer etwas räthselhafte Mutter vor Augen trat. Das kann ich euch versichern: hätte ich dieses Mädchen in irgend einer noch so bescheidenen, aber anständigen und geachteten Bürgerfamilie gefunden, ich würde Alles daran gesetzt haben, sie zu meiner Frau zu machen; und ich bin überzeugt, daß ich mit ihr vollkommen glücklich geworden wäre. – Aber die Verhältnisse hier waren anders.«
Bei diesen Worten fuhr er sich mit der Hand über das Gesicht und blickte ein paar Sekunden in das lodernde Kaminfeuer, zog seine Augenbrauen dichter zusammen und fuhr dann fort:
»Eines Tages ging ich wie gewöhnlich nach ihrem Hause und fand Frau von Z. allein; ihre Tochter sei ausgegangen, sagte sie. Das war nun schon öfter vorgekommen, befremdete mich auch deßwegen nicht, und ich setzte mich in eine Ecke des Sopha's, um sie zu erwarten. Auf meine Frage aber, ob Elise bald kommen werde, erwiderte sie: ›Nein; ich habe sie zu einer Bekannten geschickt, um mit Ihnen einige Worte sprechen zu können. – Sie kommen jetzt,‹ sagte Frau von Z. ›einige Wochen in mein Haus, Sie erweisen meiner Tochter alle möglichen Aufmerksamkeiten, ja Sie werden mir nicht leugnen können, daß Sie mit derselben bereits ein kleines Verhältniß angeknüpft haben.‹ – Ich zuckte beistimmend die Achseln. – ›Alles Ding in dieser Welt aber,‹ fuhr sie fort, ›muß doch am Ende ein Ziel haben, und ich möchte Sie nun fragen, welches Sie sich in dieser Angelegenheit eigentlich vorgesteckt haben.‹ – Darauf war nun schwer zu antworten; ich gab ihr allerdings zu, daß mich Elise außerordentlich interessire, daß ich gern in ihrer Gesellschaft sei, ja, daß ich eine Neigung für sie habe. – ›Doch werden Sie unmöglich an eine Heirath denken können,‹ entgegnete sie lächelnd. ›Ich kenne Ihre Verhältnisse ganz genau, obgleich wir, wie Sie selbst wissen, nie darüber sprachen. Sie sind der und der; Sie haben kein bedeutendes Vermögen, und begleiten in diesem Augenblicke Seine Durchlaucht, den Herrn Herzog Alfred von D., dessen Vertrauter und Freund Sie sind‹.«
»Alle Teufel!« machte der Herzog. »Die Geschichte fängt an, mich zu interessiren.«
»Das Alles konnte ich nicht leugnen,« erzählte Herr von Steinfeld weiter. – »›Seien Sie offenherzig,‹ fuhr Frau von Z. fort; ›glauben Sie mir, ich kenne die Welt und also auch die jungen Kavaliere. – Sie machen meiner Tochter den Hof, Sie bringen ihr Blumen, Sie küssen ihr die Hand, aber dabei werden Sie nicht stehen bleiben wollen.‹ – »Ich muß gestehen, daß mich diese Worte auf's Höchste überraschten, denn sie sagte das ohne alle Erregung in einem unheimlich kalten Geschäftstone; und obgleich mich ihre Reden eigentlich empörten, so konnte ich es doch nicht unterlassen, ihr auf ihre wiederholte Frage ganz in der gleichen Art zu antworten. – ›Nun gut,‹ sagte ich, ›da Sie also die Welt und die jungen Kavaliere so genau kennen, so will ich Ihnen recht gern eingestehen, daß ich wie diese denke und fühle, und in der That einem schönen jungen Mädchen nicht den Hof mache, um bei einem Handkuß stehen zu bleiben.‹ – ›Schön,‹ versetzte sie, ›Ihre Offenherzigkeit gefällt mir. Wir werden uns leicht vereinigen. – Ich nehme an,‹ fuhr sie nach einer Pause fort, ›daß Sie eigentlich im Auftrage des Herrn Herzogs zu uns kommen.‹ – Ihr könnt euch denken, daß ich bei diesen Worten entrüstet in die Höhe sprang und schon im Begriffe war, ihr eine heftige Erwiderung zu geben; doch dachte ich: Du hast sie falsch verstanden, und bat sie in einem strengen Tone um eine Erklärung ihrer Worte. Sie sah mich verwundert an und entgegnete mir mit der größten Ruhe: ›Sie müssen mich nicht mißverstehen; allerdings weiß ich, daß Sie Elisen, wenn ich mich so ausdrücken darf, für eigene Rechnung den Hof machen, aber ebenso weiß ich, daß sich der Herzog für meine Tochter interessirt, daß er Alles daran wenden wird, ihre Bekanntschaft zu machen. Und Beides,‹ setzte sie mit einem leichten Lächeln hinzu, ›läßt sich ja ganz gut vereinigen.‹«
»Alle Wetter! Steinfeld,« rief der Herzog, »mir scheint, Sie haben auf meinen Namen gesündigt. Das muß ich mir wahrhaftig ausbitten; habe ich doch das Mädchen nur ein einziges Mal und ganz zufällig gesehen.«
»Ich stand erstarrt da,« fuhr der Erzähler fort, ohne erst auf diese Einwendung des Herzogs etwas zu erwidern. »Was ich ihr für harte Worte sagte, bin ich nicht im Stande euch anzugeben; es ist auch ganz gleichgiltig. Nur muß ich leider gestehen, daß nichts vermochte, die freche Stirn dieser Frau erröthen zu machen. Sie setzte mir mit klaren Worten auseinander, die sorgfältige Erziehung ihrer Tochter habe ihr kleines Vermögen verschlungen, sie befinde sich dem Nichts gegenüber, wenn es ihr nicht gelinge, einen derartigen glänzenden Port für Elisen zu finden.«
»Steinfeld ist ein Verräther!« rief der Herzog halb im Ernste, halb im Scherze. »Gesteht, meine Herren, wenn er als Freund handeln wollte, so mußte er mir augenblicklich sagen: Das habe ich erlebt, das bietet man Ihnen; was denken Sie davon?«
Der Erzähler warf einen eigentümlichen Blick auf Seine Durchlaucht und entgegnete mit kaltem, ironischem Tone: »Abgesehen davon, gnädiger Herr, daß sich in diesem Falle Frau von Z. wirklich nicht in mir geirrt hätte, und ich in dieser – delikaten Angelegenheit fähig gewesen wäre, einen Unterhändler abzugeben, so wollte ich hauptsächlich Ihre Kasse schonen, welcher es gerade in dem Augenblicke sehr wehe gethan hätte, so zehntausend Gulden wegzuwerfen.«
»Zehntausend Gulden!« sagte nachdenkend der Major. »Das ist allerdings eine schöne Summe.«
»Welche mir die Mutter mit der größten Ruhe als Kaufpreis für ihre Tochter vorschlug.«
»Das ist ja völliger Sklavenhandel,« mischte sich der Rath kopfschüttelnd in das Gespräch.
»Aber ein sehr erlaubter,« entgegnete Herr von Steinfeld mit bitterem Tone. »Um solche Kleinigkeiten bekümmern sich unsere Philanthropen nicht. – Doch bleiben wir bei unserer Geschichte. Ich nahm meinen Hut, verließ Zimmer und Haus auf eine etwas stürmische Art und irrte stundenlang in den Straßen umher, ehe es mir gelang, meiner tiefen und schmerzlichen Bewegung Herr zu werden. Als ich nach Hause zurückkehrte, fand ich einen Brief der Frau von Z., den ich begreiflicherweise sogleich vernichtete. Den anderen Tag kam ein zweiter, ein dritter, die ich alle nicht las, also auch nicht beantworten konnte, worauf denn am darauf folgenden Morgen sie selbst in mein Zimmer trat und mich beschwor, unsere Unterredung zu vergessen. Sie sei allerdings zu weit gegangen, sagte sie und bedaure das unendlich, bitte mich aber dringend, heute noch ihre Tochter zu besuchen, da Elise – das versicherte sie mich mit einem feierlichen Schwüre – nicht eine Silbe von allem Dem wisse und nicht begreifen könne, weßhalb ich mehrere Tage nicht gekommen sei. – Der Mensch ist schwach; ich ließ mich also erbitten und ging den anderen Tag wieder hin. Das Mädchen war allein, machte mir zärtliche Vorwürfe über mein Ausbleiben, war aber sonst unbefangen und natürlich wie immer. War ich ja doch schon vorher vollkommen überzeugt, daß sie nicht das Geringste wußte von dem Verkauf, den ihre eigene Mutter mit ihr beabsichtigte! Mich aber hatte diese Geschichte einigermaßen erkältet, nicht sowohl gegen Elise selbst, als gegen ein Verhältniß, das auf so trauriger Unterlage zu ruhen schien. Wie gesagt, ich war überzeugt, daß sie keine Ahnung von dem Vorhaben ihrer Mutter hatte; aber ich war nicht mehr im Stande, ihr frei und offen wie früher in die Augen zu sehen. Mir schien der Duft von ihrem Leben hinweggewischt und in meinen Träumereien sah ich immer eine fremde kalte Hand, die gewaltsam diese Blüte entblättern, dies gute, reine Herz zerstören werde. –
»Glücklicherweise hatte ich schon vor dieser Begebenheit von einer Reise gesprochen, die mich einige Zeit von W. fern halten werde. Ich sagte also in den nächsten Tagen, daß mich meine Geschäfte hinweg riefen, und reiste ab. Elise warf sich mir, ehe ich sie verließ, laut weinend in die Arme und drang so lange in mich, bis ich ihr feierlich versprach, sobald als möglich zurückzukehren. Nun hoffte ich aber, die Zerstreuung auf dieser Reise würde mich das Mädchen so weit vergessen machen, um, wenn ich je wieder nach W. käme, im Stande zu sein, dies Verhältniß nach und nach aufzulösen. – Aber dem war leider nicht so; je mehr Tage und Meilen mich von ihr trennten, desto frischer und lebendiger trat ihr Bild im Wachen und Träumen vor mich; nichts war im Stande, es zu verwischen, nicht die fremden Städte und Länder, die ich sah, nicht die Zerstreuungen, in welche ich mich gewaltsam stürmte, und ich eilte in einer wirklich fieberhaften Hast immer weiter und weiter, um mir selbst die Möglichkeit abzuschneiden, früher als ich gewollt nach W. zurückzukehren.«
»Ah! das waren die dringenden Geschäfte in England, von denen ich damals so viel hören mußte,« bemerkte der Herzog. »Nun, lange genug blieben Sie aus.«
»Mußte aber doch endlich zurückkehren,« fuhr der Erzähler achselzuckend fort, »und fand bei meinem Bankier unter einer Menge anderer Schreiben wenigstens ein halbes Dutzend Briefe der Frau von Z., worin sie mich dringend, ja flehentlich bat, sie doch gleich nach meiner Ankunft zu besuchen. – Ich ließ aber einige Tage vergehen, ehe ich zu ihr ging; und als ich darauf in die bekannte Straße kam, schnürte mir ein unerklärlicher Schmerz das Herz zusammen, und meine Hand zitterte, als ich die Stubenthüre öffnete.
»Frau von Z. war wie damals allein zu Hause und dankte mir, daß ich gekommen, obgleich sie sich über meine lange Abwesenheit beklagte, namentlich aber darüber, daß ich Elisen nicht ein einziges Mal geschrieben. Ich machte keinen Versuch, mich der Mutter gegenüber zu entschuldigen und fragte nach dem Mädchen. Sie sei ausgegangen, hieß es, werde aber in kurzer Zeit zurückkehren.«
Hier that Herr von Steinfeld einen tiefen Athemzug, heftete den Blick auf den Boden und sagte mit seltsam bewegter Stimme: »Sie sprach darauf zu mir; und was sie mir mittheilte, das hatte ich während der Zeit meiner Abwesenheit in schlaflosen Nächten oder in wilden Träumen schon vorhergesehen. – Es hatte sich ein Anderer gefunden, der sich bereit erklärt, die geforderte Summe zu bezahlen. Die Mutter hatte mit Elisen die fürchterlichsten Scenen gehabt, und erst nach langem verzweifeltem Kampf, und Gott weiß durch welche Mittel bezwungen, hatte das unglückliche Mädchen endlich eingewilligt, ihre Ehre zu verkaufen, um die Mutter vom Bettelstabe zu erretten. – Das Alles hörte ich wie im Traum, wie ein fernes Sausen, und ich weiß nur unbestimmt, daß ich mit den Zähnen knirschte und krampfhaft meine Hände zusammenballte. So viel allein ist mir genau erinnerlich, daß ich mich zu einem Lächeln zwang, um Madame zu ihrem guten Geschäfte zu gratuliren. – ›Wann ist diese schreckliche Geschichte vor sich gegangen?‹ fragte ich endlich mit tonloser Stimme. Und erst als sie darauf erwiderte: ›Die Sache ist nur projektirt und Elise stellte die einzige Bedingung, zuerst Ihre Ankunft abzuwarten,‹ – da erwachte ich aus meinem Hinbrüten, sprang in voller Wuth empor und schleuderte der Mutter Verwünschungen und Flüche entgegen. »Sie ließ mich ruhig austoben, indem sie die Hände in den Schoß legte, mich mit einer unbegreiflichen Ruhe ansah und nur zuweilen leicht die Achseln zuckte. Sie versuchte gar keine Widerrede, keine Entschuldigung; und erst, als ich wieder insoweit ruhig war, um mit zitternden Händen meinen Hut ergreifen zu können, faßte sie meinen Arm und sagte mit leicht bewegter Stimme: ›Hören Sie mich noch einen Augenblick an, ehe Sie wieder davon eilen wie neulich. Was ich Ihnen jetzt sage, sage ich im Auftrag meiner Tochter Elise; es sind ihre Gedanken, aber die Worte konnte das Mädchen nicht selbst gegen Sie aussprechen; es ist eine Bedingung, die sie mir gestellt, unter welcher allein sie sich meinem Wunsche fügen wird.‹–
– »Und dann sagte sie mir, Elise sei freilich zu jenem Schritt entschlossen, aber vorher wolle sie mir, den sie unaussprechlich und innig liebe, angehören – ganz angehören.« –
»Ah! die Alte war nicht ihre Mutter,« sagte kopfschüttelnd der Major. »Nicht wahr, Hugo, das war auch deine Meinung?«
Der Erzähler nickte mit dem Kopfe und entgegnete: »Ich bin davon überzeugt, obgleich ich nie darüber etwas Gewisses erfuhr. – Und hier ist eigentlich meine Geschichte zu Ende.«
»Aber Steinfeld!« bat der Herzog, »das wäre grausam und des guten Erzählers nicht würdig, wenn er so rücksichtslos im letzten Kapitel bei einem der interessantesten Momente abbrechen wollte.«
Herr von Steinfeld verbeugte sich leicht vor dem Herzog und sagte: »Wenn es Sie interessirt, gnädigster Herr, so kann ich Ihnen also noch die Versicherung geben, daß ich auf das Geständniß der sogenannten Frau von Z. ein paar fürchterliche Tage verlebte; ich wußte mir nicht zu rathen und nicht zu helfen. Wenn ich auch meine sämmtlichen für den Augenblick disponibeln Mittel zusammen nahm, so erreichten sie doch bei Weitem nicht die geforderte Summe. – Ja, ich war schon im Begriff, mich an Euer Durchlaucht zu wenden, aber« – hier unterbrach er seine Worte durch ein trübes Lächeln.
»Sie trauten mir nicht, Steinfeld.«
»Ich will das gerade nicht sagen; aber ich vergaß vorhin in meiner Erzählung, daß ich der Frau von Z. mein Ehrenwort geben mußte, über die Mittheilung, die sie mir zu machen hatte, vor Ablauf einiger Jahre nicht zu sprechen; also war ich gebunden und konnte selbst nicht einmal zu Ihnen sagen: Verschaffen Sie mir zehntausend Gulden zu dem und dem Zweck. – Und dann auch,« fuhr er nach einer Pause achselzuckend fort, »was konnte mich und Elisen ein solches Opfer nützen? Wie ich den Charakter ihrer angeblichen Mutter kannte, so war Elise doch nicht vor späterer Verfolgung geschützt. – Also –«
»Willigten Sie endlich in die Bedingung?« fragte der Herzog mit einem seltsamen Lächeln.
Und als hierauf Herr von Steinfeld einen Augenblick die Antwort schuldig blieb, bemerkte der Major: »Genire dich nicht, Hugo, und sage aus vollem Herzen Ja. Ich möchte von Einem unter uns wissen, der es anders gemacht hätte.«
– »Es war das eine schaurig süße Nacht,« sprach Herr von Steinfeld mit gesenktem Kopfe, wie in tiefem Traume. »Lest Goethe's Braut von Korinth und ihr habt zu meiner einfachen Geschichte einen hochpoetischen Vorgang. – So war es ihr und mir zu Muth. – Und auch gestorben war sie für mich am anderen Morgen, denn ich mußte mit einem feierlichen Eide geloben, sie in Zukunft nicht mehr zu kennen, möge sie mir begegnen, wo sie wolle und unter welchen Verhältnissen es auch sei.«
»Und Sie sahen sie nie wieder?« fragte der Herzog.
»Schon die bejahende Beantwortung dieser Frage, gnädiger Herr, wäre eine Verletzung meines Gelöbnisses, eine Indiskretion. Doch darf ich Ihnen sagen, daß ich Elisen seit jener Stunde nie wiedergesehen.«
»Eine seltsame Geschichte!« meinte der Major.
»Der man eigentlich hätte genauer nachspüren sollen,« bemerkte der Rath. »Denn daß Frau von Z. nicht die Mutter jenes Mädchens war, liegt wohl am Tage. Es wäre das ein Feld für mich gewesen, wer weiß, wohin uns die Fäden geführt hätten! Vielleicht zu einem Mädchenraube, vielleicht zum Schlüssel eines Geheimnisses, vornehme Häuser betreffend.«
»Das ist die Frage,« versetzte der Hausherr. »Dies Mädchen konnte auch eine arme, vater- und mutterlose Waise sein, bei der man gute Anlagen entdeckte und die man zu dem erzog, was sie später wurde.«
»Dem mag sein, wie ihm will,« nahm der Rath wieder das Wort, »es bleibt immer ein abscheulicher Menschenhandel.«
»Was meint denn unser Baron dazu?« fragte der Herzog und wandte den Kopf rückwärts. – »Sie halten sich da so stille hinter mir, daß wir in der That nicht wissen, ob Sie noch existiren.«
»Ich habe alles Das gehört,« erwiderte Herr von Brand mit einer stark vibrirenden Stimme. »Was soll ich darüber sagen? Ich kann nur mit Mephisto sprechen: Sie ist die Erste nicht.«
Bei diesen Worten hatte er sich hinter dem Fauteuil des Herzogs erhoben, und wenn er sich auch zu einem Lächeln zwang, so sah man es doch an seinen verstörten Zügen, an der auffallenden Blässe, die sein Gesicht bedeckte, und an seinen starren Augen, daß es ihm nicht aus dem Herzen komme.
»Baron, Sie sehen sehr angegriffen aus!« rief Graf Fohrbach, der ihn, wie auch die Uebrigen, erstaunt anschaute.
Herr von Brand fuhr sich mit seinem duftenden Taschentuche über das Gesicht und erwiderte: »Ich kann das nicht leugnen; ich fühlte mich schon zu Anfang des ganzen Abends nicht ganz wohl, mochte aber um keinen Preis eine Einladung zur Soirée Seiner Excellenz versäumen. – Doch ist es sehr spät,« fuhr er fort, nachdem er auf die Uhr gesehen, »und wenn die Herren noch bei ihrer Sitzung bleiben, so muß ich mich allein zurückziehen.«
»Nein, nein!« rief der Herzog, indem er von seinem Sessel aufsprang. »Alle Teufel, schon zwei Uhr! Ich gehe mit; mag bleiben, wer noch will.«
Doch erhoben sich auch die Anderen von ihren Sitzen, reichten dem Hausherrn die Hand und fuhren davon.
Nur der Baron Brand schickte seinen Wagen leer nach Hause.