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In sein Zimmer wieder zurückgekehrt, ging der dienstthuende Adjutant mit leichten, gefälligen Schritten eine Zeitlang auf und ab, von einer Thüre zur anderen, bei dem großen Spiegel vorbei, in welchen hie und da einen nicht ganz unzufriedenen Blick zu werfen er sich nicht enthalten konnte. Er träumte von dem Abend, der vor ihm lag, und sein Herz schlug sehr vergnügt; nur zuweilen blieb er an einem der Fenster stehen, schaute nachdenkend hinaus und zog die Augenbrauen düster zusammen. In solchen Momenten dachte er an die Nebenbuhlerschaft des Herzogs und an alle möglichen Folgen derselben; er wußte ganz genau, was bei vielen Frauenherzen die Durchlaucht vor einem Namen zu sagen hat. Und dann war auch der Herzog in anderer Richtung ein nicht zu verachtender Gegner. Hübsch war er allerdings nicht, weder am Körper noch am Gesichte, aber er tanzte gut und unermüdlich, und was seine Zunge anbelangte, so war sie glatt und behende wie ein Aal. Wenn Graf Fohrbach das Alles überlegte, namentlich aber die Leichtigkeit in Betracht zog, mit der der Herzog fast zu jeder Stunde des Tages die in den Gemächern seiner Mutter oder Ihrer Majestät befindlichen Damen sprechen konnte, so überlief es ihn fröstelnd, er faßte krampfhaft den Griff seines Säbels und bohrte die Scheide so heftig in das Parkett ein, daß ihn der Hofmarschall, wenn er es gesehen hätte, unfehlbar wegen freventlichen Verderbens des königlichen Eigenthums verklagt haben würde.
Im anderen Augenblicke dachte er dagegen an die Stunden, die er schon mit Eugenien zugebracht, sei es bei den Hoffesten, sei es im Hause seines Freundes, und wenn er sich diese in's Gedächtniß zurückrief, so baute er sich aus Blicken, aus Worten, besonders aber aus einem leisen Drucke ihrer Hand auf seinen Arm, den er einstens zu fühlen geglaubt, die wunderbarsten Luftschlösser und richtete daran seine Hoffnungen wieder empor. – »Heute Abend,« sprach er zu sich selber, »ist in der That ein günstiger Moment, wir sind ganz allein, ich bin überzeugt, Eugen wird diskret sein, und dann will ich doch versuchen, ihr irgend ein Wort zuzuflüstern, was mich weiter bringen soll. – Auf jeden Fall weiter, vielleicht zu einer Entscheidung, sei es nun zu meinem Glücke oder zu meinem Unglücke.«
Damit nahm er seinen Säbel wieder in die Hand und begann seinen Spaziergang durch das Zimmer auf's Neue, hatte aber dasselbe noch nicht einmal durchschritten, als sich die Thüre des Vorsaals öffnete und der Hofmarschall hereintrat, jetzt schon – es war noch nicht vier Uhr, also noch zwei Stunden bis zur Tafel – in großer Uniform, den Hut unter dem Arm, das Gesicht wie gewöhnlich mit äußerster Wichtigkeit hoch empor haltend.
Die beiden Herren begrüßten sich, indem der Graf seine ganze Hand hinhielt, in welche Seine Excellenz, wie er es in der Regel zu machen pflegte, nur zwei Finger legte, die aber von dem Adjutanten freundlichst und kräftigst geschüttelt wurden.
»Euer Excellenz sind früh bei der Hand,« sagte er hierauf. »Wir haben ja noch zwei volle Stunden bis zur Tafel. Nein, das mache ich mir bequemer; höchstens eine halbe Stunde vorher wird sich angezogen, eine Viertelstunde darauf steige ich in den Wagen und komme an mit Glockenschlag.«
»Dafür sind Sie auch ein freier Mann, mein lieber Graf,« erwiderte seufzend die Excellenz, »haben hie und da, wie heute zum Beispiel, eine kleine Funktion, die aber nach einigen Stunden endet, und an die Sie nicht mehr zu denken brauchen, sobald Sie den Säbel abgeschnallt und den Federhut weggelegt haben. – Aber ich! – Dienst! – Dienst! – Dienst! von Morgens früh, wenn ich meine Augen öffne, bis Nachts, wenn ich sie wieder schließe; und auch dann noch oft keine Ruhe, denn ich träume davon. – Eine wahre Sklaverei!«
»Aber Euer Excellenz nehmen alle Dinge zu schwer; ich glaube, ich würde es mir viel bequemer machen.«
»Das glaube ich selbst,« erwiderte der Hofmarschall mit einem wichtigen Lächeln, »aber nehmen Sie mir nicht Übel, da würde auch Manches drunter und drüber gehen.«
»Das ist möglich: Was nicht zu halten wäre, ließ ich eben fallen.«
»O ihr jungen Leute habt gut sprechen! Man muß den ganzen Tag mit Anstrengung aller seiner Kräfte die Zügel halten, denn wie man ein bischen nachläßt, so gibt's rechts und links Konfusionen.«
»Aber heute zum Beispiel könnte es sich Euer Excellenz doch bequemer machen. Da gibt's doch bis zur Tafel nichts mehr zu thun; die Einladungen sind gemacht, das Diner ist seiner Vollendung nahe und die Säle in der besten Ordnung.«
Der Hofmarschall war mit einer wehmüthigen Miene an's Fenster getreten und blickte jetzt achselzuckend nach dem Adjutanten um, der hinter ihm stand. – »Ich will Ihnen einen Beweis geben, wie kurzsichtig ihr jungen Leute seid, mein lieber Graf,« bemerkte er nach einer Pause. »Sie sagen, die Einladungen seien gemacht. Allerdings sind sie gemacht, auch angenommen; aber ist es meine Schuld, daß sich zwei, drei Personen heute Nachmittag unwohl fühlen und mir absagen lassen? – Zwei, drei Personen, sage ich Ihnen, und eine darunter, die Seine Majestät sogleich vermissen werden. – Was nun thun?«
»Nun,« entgegnete der Adjutant, »die Tafel um so viel kleiner machen.«
»Eine Tafel von hundertundzwanzig Couverts nur so im Handumdrehen kleiner machen!« lachte krampfhaft der Hofmarschall. »O, Graf Fohrbach! Sie sind ein vortrefflicher Reiteroffizier und Adjutant, aber – nun, man kann das nicht anders von Ihnen verlangen.«
»So machen Sie ein paar andere Einladungen!«
»Als wenn Hofeinladungen zu einem Neujahrsdiner nur so leicht gemacht wären! Die heutige Gesellschaft wurde gebeten auf den speziellen Befehl Seiner Majestät. Alles, was ich noch dazu thue, geschieht auf eigene Verantwortung, und für drei, die ich selbständig einlade, bekomme ich dreißig Feinde über den Hals, die Alle glauben, an ihnen wäre viel eher die Reihe gewesen. – Ah! ich habe ein hartes Brod.«
»Da würde ich es machen wie beim Militär, und mir immer eine Reserve halten.«
»Das habe ich auch,« erwiderte wichtig die Excellenz. »Aber wenn uns die Reserve ebenfalls im Stich läßt! Sehen Sie« – damit erhob er den Arm und zeigte auf eine Fensterreihe im großen Hofe – »da hinten wohnt, wie Sie wissen, der alte pensionirte General-Adjutant, der, wie sich von selbst versteht, ein- für allemal zur Hoftafel eingeladen ist, aber sich fast jedesmal hartnäckig entschuldigen läßt. Bei dem war ich nun vor einer halben Stunde in Person, um ihn zu bitten, diesmal doch zu kommen. – Keine Rede davon! Ich vernahm auch schon im Vorzimmer, daß ich vergeblich komme, denn er brüllte wieder einmal so laut, daß man es durch drei Zimmer hören konnte.«
»Hat er Schmerzen?« fragte anscheinend ganz unbefangen der Adjutant.
Der Hofmarschall wandte den Kopf rückwärts und sah ihn mit einem sonderbaren Blicke an. »Ah! was Schmerzen!« versetzte er, »Sie kennen den doch lange genug, um zu wissen, daß der keine Schmerzen hat.«
»Also vielleicht wieder eine Familienscene?«
»Natürlich; das hört da niemals auf.«
»Die arme kleine Frau!«
»Na, na!« sagte die Excellenz, indem sie leicht mit der Hand an dem gestickten Uniformskragen herum griff, »das nimmt Alles freilich Partei für die hübsche Baronin, aber –«
»Euer Excellenz sagten: Aber –« versetzte der Adjutant nach einer längeren Pause.
»Allerdings könnte man da auch ein Aber vermuthen,« fuhr der Hofmarschall fort. »Ich versichere Sie, lieber Graf, Unsereins, das so lange hier aus und ein geht, wirft zuweilen einen scharfen Blick hinter die Koulissen.«
»Dafür ist Euer Excellenz bekannt,« antwortete der Graf im Tone der größten Ueberzeugung. – »Aber die Baronin nimmt sich so in Acht, sie vermeidet völlig ein Gespräch mit jungen Leuten; sie tanzt auf den Bällen nur mit alten Generälen und obersten Hofchargen, die dem Gemahl doch unmöglich Argwohn einflößen können.«
»Wie? Weil sie nur mit obersten Hofchargen tanzt?« fragte Seine Excellenz leicht pikirt. Doch fuhr sie gleich darauf in anderem Tone fort: »Ja, das ist Alles wahr; man spricht auch nicht von der Gegenwart, sondern« – hier hustete der Hofmarschall wieder bedeutend, als habe er schon zu viel gesagt.
»Allerdings von der Vergangenheit,« nahm der Adjutant leichthin das Wort. – »Wissen Sie, Excellenz, die böse Welt macht sich kein Gewissen daraus, einer schönen Frau was Uebles nachzusagen. – Und am Ende, was spricht man von der Baronin?«
»Ich nichts; Gott soll mich bewahren!«
»Ja, ich auch nichts. Aber ihre Herkunft ist doch wohl sattsam bekannt.«
Der Hofmarschall schüttelte leicht mit dem Kopfe.
»Nicht? – Ich habe wenigstens geglaubt, sie sei aus einer bekannten alten schottischen Familie.«
» On dit,« erwiderte der Hofmarschall, nachdem er einige Augenblicke vor sich niedergesehen.
»Nun, dem mag sein, wie ihm wolle!« fuhr lebhaft Graf Fohrbach fort. »Jetzt führt sie einmal einen guten Namen, und ich setze wirklich den Fall, es sei etwas in ihrem früheren Leben nicht ganz korrekt, so hat sie das jetzt in ihrer freudlosen Ehe tausendmal abgebüßt. Nehmen Sie mir nicht übel, es ist keine Kleinigkeit, mit dem alten General auszukommen. Er hält sie wie seine Sklavin, aber nicht wie seine Frau.«
Die letzten Worte hatte der junge Mann etwas lauter gesprochen, weßhalb sich der Hofmarschall sorgfältig im Zimmer umschaute, ob sie sonst Niemand gehört. Dann, als scheine ihm dies Gesprächsthema für den Ort, wo sie sich befanden, zu gefährlich, änderte er es offenbar absichtlich, indem er einen tiefen Seufzer ausstieß und hierauf sagte: »Ich hatte geglaubt, Seine Majestät sei schon zurück; so muß ich mir denn selbst zu helfen suchen.«
»Soll ich Ihnen ein paar Einladungen vorschlagen?« fragte der Adjutant lächelnd, nachdem er Seiner Excellenz bis zur Thüre des Vorsaals gefolgt war.
»Natürlich einige von euch jungen Leuten,« entgegnete der Hofmarschall mit emporgezogenen Augenbrauen.
»Nun, wenigstens welche, von denen man weiß, daß sie kommen, die in der Nähe zu finden sind.«
»Zum Beispiel?«
»Da ist Eduard von B., unser bisheriger Assessor, der gestern Regierungsrath geworden ist; er könnte bei dieser Gelegenheit seinen zierlichen Dank anbringen. – Ich weiß, wo er ist.«
»Das kann ich ohne Befehl nicht thun.«
»Oder den Baron von Brand. – Ich bin gewiß, Sie finden die Beiden auf dem Kavalier-Kasino bei einer Partie Piquet.«
»Den Baron von Brand?« sagte die Excellenz und machte dazu ein Gesicht, als habe sie plötzlich auf ein Sandkorn gebissen. »Nein, nein, nehmen Sie mir nicht übel, das ist nicht meine Leidenschaft; es thut mir jedesmal leid – aber im tiefsten Vertrauen gesagt – wenn ich den Herrn auf unserem Silber speisen sehe. Ich meine immer, es komme ihm das ungewohnt vor.« »Ah! Excellenz haben einen zu scharfen Witz!« erwiderte lachend der Adjutant. »Und jetzt fällt mir ein, daß ich taktlos war. Richtig, Sie mögen den Baron Brand nicht leiden.«
»Das leugne ich auch gar nicht, und ich behaupte – natürlich Freunden gegenüber – er gehört nicht an den Hof, nicht einmal in die Gesellschaft.«
»Da thun Sie ihm wahrhaft Unrecht; der Baron ist ein vollkommener Kavalier und benimmt sich gewiß als solcher.«
»Aeußerlich! äußerlich!« entgegnete der Andere mit einigermaßen gereiztem Tone. »Sie werden das auch noch erfahren.«
»Aber er geht mit den anständigsten Leuten um! Sie können zum Beispiel nicht leugnen, daß er mit dem Herrn Herzog sehr liirt ist.«
»Leider! leider! Ich wollte, dem wäre nicht so, denn was der Eine nicht weiß, das lernt er vom Andern. – Unter uns gesagt, ist Seine Durchlaucht seit seiner genauen Bekanntschaft mit dem Herrn Baron nicht solider geworden, das können Sie mir glauben.«
»Meinen Sie wirklich?« fragte der Graf mit dem größten Interesse, das er aber zu verbergen suchte. – »Sind da Geschichten vorgefallen? – O Euer Excellenz weiß doch Alles!« Diese letzteren Worte rief er im Tone der größten Verwunderung.
»Saubere Geschichten,« erwiderte wichtig der Hofmarschall; »Sie erinnern sich doch noch des Refüs, das der Herzog erhielt, als es ihm neulich plötzlich einfiel, zum Militär überzugehen, und als Offizier in das Garde-Dragoner-Regiment einzutreten?«
»Gewiß – ganz genau; ich hatte damals zufällig den Dienst. Doch glaube ich, fand man ihn höheren Orts nicht stark genug zum Kavalleriedienst.«
»Ah bah!« machte der Hofmarschall und sah den Anderen mit einem eigentümlichen Blick von der Seite an. – »Geschichten, lieber Freund! – Geschichten, die einigen Eklat gemacht. – Was weiß ich, oder was will ich davon! Es war da begreiflicherweise ein junges Weibchen im Spiel, aber von einer anständigen Bürgerfamilie; die Sache muß einen sehr unangenehmen Haken gehabt haben, und man fürchtete wohl nicht mit Unrecht, irgend einer der alten Offiziere des Regiments, die überhaupt diesen Einschiebungen sehr unhold sind, möchte dadurch Veranlassung finden, diese fatale Angelegenheit zur Sprache zu bringen. Verstehen Sie mich?«
»Wie kann man denn überhaupt Euer Excellenz mißverstehen!« sagte Graf Fohrbach mit einer tiefen Verbeugung. »Ja, wenn die Geschichten nicht wären!«
»Meinetwegen mögen sie außerhalb des Schlosses treiben, was sie wollen,« sprach würdevoll der Hofmarschall; »aber so lange ich den Stab führe, soll mir der Burgfriede gehalten werden in jeder Richtung. Diese jungen Herren denken aber nicht anders, als Alles, was Schönes und Reizendes bei Hof erscheint, sei nur zu ihrem Vergnügen da. Aber das kann ich Sie versichern, Graf Fohrbach: Ich bin auch da. Ordnung muß sein, sogar in diesen Dingen bei Hof, und es gibt eine Stelle, wo ich als Obersthofmeister Seiner Majestät ebenso kitzlich bin, wie der hochselige König von Spanien. – Es heißt doch kitzlich?«
»Sterblich bin,« verbesserte der Adjutant.
»Nun ja, sterblich bin. Und sehr sterblich bin; das kann ich all' diesen jungen Herren versichern. Man weiß es aber auch.«
»Ja, man weiß es!« rief der Adjutant, indem er eine tiefe Rührung affektirte. »Und es ist ein wahres Glück, daß mit solchen Grundsätzen, wie sie Euer Excellenz aussprechen, die Verwaltung des Hofes geleitet wird.«
Er war innerlich hoch entzückt darüber, daß er an dem Hofmarschall gegen den Herzog einen so guten und wichtigen Bundesgenossen erhalten. Der Excellenz blieb selten etwas verborgen von dem, was im Schlosse vorging, und wenn er also gegen die angedeuteten Geschichten sei, so arbeite er nur für sein, des Grafen, Interesse. In der Freude seines Herzens schüttelte er die beiden, ihm abermals dargereichten Finger des Anderen mit außerordentlicher Feierlichkeit und konnte sich nicht enthalten, dem Hofmarschall bezüglich der Einladungen nachzurufen:
»Wissen Euer Excellenz wohl, womit Sie Seiner Majestät heute bei der Neujahrstafel ein ungemeines Vergnügen bereiten könnten? – Laden Sie doch den Herrn von Dankwart ein, der refüsirt nicht, darauf können Sie sich verlassen.«
»Oh! oh!« machte der Hofmarschall, »das könnte allenfalls am jüngsten Hoftage geschehen, wenn es sich darum handelte, mir eine ewige Allerhöchste Ungnade zuzuziehen.«
Der Adjutant wollte lachend in sein Zimmer zurücktreten, als er durch die geöffnete Thüre des Vorsaals bemerkte, daß auf dem Gange sein Jäger stehe und augenscheinlich nur auf das Weggehen des Hofmarschalls warte, um sich bei ihm melden zu lassen. Er winkte ihm hereinzukommen und fragte ihn dann, ob zu Hause etwas vorgefallen sei.
Franz zog einen Brief aus der Tasche und überreichte ihn seinem Herrn, wobei er sagte, er sei vom Kammerdiener geschickt worden.
Nachdem Graf Fohrbach das Couvert abgerissen hatte, fand er einen Zettel, in welchem ein zweiter kleinerer Brief lag und auf diesem Zettel von der Hand seines Kammerdieners die Worte: »Soeben wurde inliegender Brief für den Herrn Grafen gebracht und als sehr eilig bezeichnet. Ich erlaube mir deßhalb, ihn hiermit durch den Jäger zu übergeben; Franz soll warten, bis ihn Euer Erlaucht gelesen und Ihre weiteren Befehle gegeben haben.«
Graf Fohrbach trat an das Fenster und betrachtete sich das Aeußere des Schreibens, das er hin- und herwandte. Die Aufschrift, offenbar eine Frauenzimmerhand, war ihm gänzlich unbekannt, ebenso das Siegel des Briefes, zeugend von einem plumpen Petschaft, ein großes E und B in grobes Siegellack ausgedrückt – »Was brauche ich da lange zu überlegen?« sprach er zu sich selber; »der Brief ist an mich; sehen wir nach, von wem er ist und was er enthält.«
Er setzte sich in einen Stuhl, doch ehe er das Schreiben öffnete, warf er abermals einen Blick nach dem bewußten Fenster empor. Aber es ließ sich dort jetzt eben so wenig sehen wie früher. Er entfaltete seufzend den Brief und betrachtete die Unterschrift. – »Emilie Becker. – Was ist das? – Ah Teufel! ich erinnere mich.«
»Ew. Erlaucht!« lautete der Brief. »So große Mühe es mich auch gemacht hat, so ist das Geschäft, mit dem Sie die Gnade hatten, Ihre gehorsamste Dienerin zu beehren, um nach vieler Schwierigkeiten von Seite mir und außerordentliche Ausdauer glücklich zu Stande gebracht. Es hat mich übermäßig viele Zeit und Auslagen gekostet, doch davon sage ich nichts, nur von das Glück, das es mich gelungen, Ew. Erlaucht wahrscheinlich zufrieden gestellt habe sowie auch ihren hohen Freund.
»Da am heute Abend das Ballet im Achte aus ist, dagegen das Theater bis Zehne spielen wird, so ist von Seitens der Eltern gar keine Besorgniß zu erfahren, wo sie denn so lange bleiben könnte, bitte auch Ew. Erlaucht deßhalb, an der Ecke von die Prinzenstraße einen Wagen hinbesorgen zu wollen, aber genau im Achte, bitte auch gnädigst selbst zu wollen oder eine vertrauliche Person zu schicken, damit sie sich nicht erschrickt. »Auch halte ich mir bestens empfohlen und bitte ihrem hohen Freunde zu sagen, wie viel Mühe ich mir gegeben habe
als ihre ganz ergebenste Dienerin
Emilie Becker.«
Der Adjutant ließ den Brief auf den Tisch niederfallen und fuhr sich mit der Hand über die Augen, worauf er in tiefes Nachdenken versank.
»Wie schnell sich die Zeiten ändern!« sagte er mit einem Blicke auf das bewußte Fenster. »Ja, ich hatte einmal diese Grille und hätte viel daran gesetzt. – Aber jetzt – nie! nie! Gott soll mich bewahren!« – Gleichsam als wollte er seine guten Vorsätze bestärken, öffnete er die Scheibe neben sich, ließ den kalten Luftstrom über sein Gesicht wehen und schaute alsdann wieder aufwärts zu den Blumen. – »Wie man sich ändern kann!« – fuhr er nach einer Pause in sich hinein lächelnd fort. – »Wie uns das Bild eines wirklich geliebten Mädchens so ganz auszufüllen vermag! – O meine Eugenie! – Schon diese beiden Gedanken zu gleicher Zeit ist eine Entweihung; aber gewiß, ich fühle es, du bist vom Himmel dazu bestimmt, ganz mein zu sein, mir ein freudenvolles Leben zu bereiten. – Weg mit allen Anderen! – Es ist aber so wahr: Man soll sich vom Teufel nicht bei einem Haar fassen lassen; jetzt habe ich diese Geschichte entrirt und kann sie doch unmöglich so mir nichts dir nichts fallen lassen. – So ein armes Mädchen! – Wenn auch – aber doch einiger Theilnahme werth, denn sie ist jung, schön und reizend. Hat ihr auch viele Mühe gemacht, wie die Person hier schreibt. – Nun, das kann auch eine Spekulation auf meine Kasse sein.« – Er überlas den Brief nochmals. – »Aber was soll denn das hier heißen,« fuhr er nach einer Pause in seinem Selbstgespräch fort, »daß sie da von einem hohen Freunde spricht? – Habe keine Idee, was sie damit meint.«
Währenddem stand der Jäger hoch aufgerichtet an der Thüre des Zimmers, und schien unausgesetzt das lebensgroße Bild Seiner Majestät zu betrachten, welches ihm gegenüber hing. Doch wenn man ihn schärfer beobachtet hätte, so würde man wohl bemerkt haben, daß er die blitzenden Augen von Zeit zu Zeit auf seinen Herrn richtete, und dann auf das abgerissene Couvert schaute, das unbeachtet auf dem Boden lag.
»Wann, sagst du, daß dieser Brief gekommen sei?« fragte nun der Graf den Jäger.
»Vor einer kleinen halben Stunde, Erlaucht. Der Kammerdiener nahm ihn selbst in Empfang, siegelte ihn ein und ich eilte augenblicklich damit hierher.«
Graf Fohrbach hatte das Billet leicht in die linke Hand genommen und schlug damit auf die rechte, während er nachdenkend bald an die Zimmerdecke schaute, bald vor sich auf den Fußboden. – »Wenn es eine ganz gewöhnliche Geschichte wäre,« dachte er, »so würde man einfach weder hingehen, noch Jemand hinschicken. Selbst hinzugehen ist mir auf alle Fälle unmöglich; wahrhaftig, es widerstrebt mir, mich in solche Geschichten zu mischen. – Und wen soll ich hinschicken? – Einen Bedienten? Vielleicht meinen Jäger dort, der mir nicht auf den Kopf gefallen zu sein scheint. – Nein, nein, das wäre undelikat. – Einen Bekannten also? – Aber wen finde ich gleich? Alle Welt macht jetzt Vorbereitungen zum Diner. – Wenn ich es bei der Hoftafel Jemand sagte! Ich habe so Manchem ähnliche Gefälligkeiten erwiesen; ich würde schon Jemand finden, der vielleicht meine ganze Rolle übernimmt. – Ah! es ist doch bei Gott ein leichtfertiges Geschlecht, diese Mädchen! Die da« – er schlug in diesem Augenblick mit der Hand auf das Papier – »galt als ein Ausbund von Tugend; und was vermochte hier nicht eine Handvoll Goldstücke! – Aber man sagte mir später, sie unterstütze einen alten Vater und kleine Geschwister; das habe ich damals nicht bedacht, und es fällt mir jetzt schwer auf's Herz. Ah! um so besser, daß die Sache so gekommen ist, denn es wäre doch am Ende ein schändlicher Kauf gewesen, den ich da gemacht. – Aber die Summe soll sie haben – voll, voll! – Ich danke dem Himmel, daß ich jetzt so denke.« – Er warf noch einen Blick zum Fenster hinaus nach der uns bekannten Richtung, dann erhob er sich und schritt langsam durch das Zimmer auf seinen Diener zu. Halbwegs blieb er aber wieder stehen, indem er zu sich selber sagte: »Ja, ich werde doch Jemand finden, der für mich hingeht. – Wenn ich nur wüßte, wen sie mit dem hohen Freunde gemeint hat! – Halt! da fällt mir was ein! – Richtig! Arthur versprach mir, den Brief auf die Post zu werfen oder selbst zu besorgen, er wird das Letztere gethan haben. Vornehm genug sieht er aus – ja, es muß so sein: Die Alte hat eine neue saubere Kundschaft gewittert. – Aber warum auch nicht? – Ja wahrhaftig, das wäre der beste Mensch, der für mich dort hingehen könnte. Und er thut's, ich habe ihm auch schon Gefälligkeiten genug erzeigt, und am Ende sieht er das eher für eine Annehmlichkeit an, als für eine Arbeit.«
Damit drehte sich der Graf rasch wieder um, ging zu dem Tische zurück, wo Schreibmaterialien lagen, steckte den Brief, den er soeben erhalten, in ein kleines Couvert, siegelte es zu und überschrieb es an Arthur. – »Diesen Brief,« sagte er alsdann zu seinem Jäger, »wirst du augenblicklich besorgen. Du kennst die Adresse? – Geh' sogleich in das Haus dieses Herrn, wenn er nicht da ist, frage, wo er sein könne und suche ihn mir auf. Es ist mir viel daran gelegen, daß er diesen Brief erhält. – Verstehst du?« Franz nickte mit dem Kopfe.
»Im Falle du ihn also findest, und ihm den Brief selbst in die Hand gibst – was unbedingt geschehen muß, denn auf Zwischenträgereien darfst du dich gar nicht einlassen – so wirst du fragen, ob du mir Ja oder Nein sagen sollst. Heißt es Ja, so kannst du ruhig nach Hause gehen, und die Sache ist für dich abgemacht; heißt es aber Nein, so läßt du den Brief wieder entsiegeln, stellst dich damit an den großen Saal, wo heute die Tafel ist, und läßt mir durch einen Lakaien sagen, du seiest da. – Hast du mich wohl verstanden?«
»Vollkommen, Erlaucht: Mit Ja ist Alles besorgt, mit Nein komme ich, mir neue Anweisungen zu holen.«
»Sehr gut,« sagte lächelnd der Graf; »ich sehe, Franz, du bist zu gebrauchen.«
»Wenn Euer Erlaucht das wirklich glauben,« erwiderte der Jäger mit einem seltsam leuchtenden Blick, »so soll mich das in der That glücklich machen. Aber dann bitte ich Euer Erlaucht, mir die Freiheit zu entschuldigen, wenn ich Sie auf das abgerissene Briefcouvert am Boden aufmerksam mache, welches man vielleicht völlig zerreißen oder wegwerfen könnte.«
»Da hast du Recht,« versetzte Graf Fohrbach; »man braucht dergleichen hier nicht zu finden. Du bist umsichtig, Franz, das gefällt mir. Ich hoffe, wir werden zusammen auskommen.«
»Das ist mein sehnlichster Wunsch, Erlaucht,« erwiderte der Jäger mit einer tiefen, etwas unsicheren Stimme, und es zuckte seine Hand, als wolle er die seines Herrn ergreifen, um sie zu küssen.
Doch blieb es bei diesem Gedanken, denn der Adjutant machte eine halbe Wendung gegen das Kamin, wo die Uhr stand, legte die Hand leicht auf den Säbelgriff und sagte: »Halb Sechs – es ist Zeit. Johann wird wohl mit meinem Anzuge draußen sein.«
»Zu befehlen, Euer Erlaucht, er kam mit mir.«
»Nun gut, ich gehe, mich umzukleiden. Besorge du jetzt deinen Auftrag, und nimm dir einen Wagen, damit du keine Zeit verlierst.«
Der Graf schritt gegen die Thüre zu, welche der Jäger ehrerbietigst öffnete, und dann verschwanden Beide aus dem königlichen Vorzimmer.