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45. Sklavenhandel

Herr Sträuber hatte unterdessen im vorderen Zimmer einige Korrespondenzen besorgt, deren Inhalt ihm Meister Schwemmer oft nur mit wenigen Worten, manchmal aber sehr ausführlich vorgesagt. Der Letztere zog bei diesem Geschäfte häufig einige vergilbte Papiere zu Rath, die auf seinen Knieen und dem rothkarrirten Sacktuch ausgebreitet lagen. Diese Schreiben waren meistens an Angehörige und Bevollmächtigte, welche der Madame Schwemmer für Rechnung Anderer Kostkinder anvertraut hatten, gerichtet, und sehr verschiedener Art, der Zweck sämmtlicher aber, für den Unterhalt der armen Geschöpfe so viel Geld, als nur immer möglich, herauszupressen. Bald mußte eine neue nahrhafte Kost angewendet werden, bald sogar eine eigene Amme oder Wärterin; und da man genau wußte, was die Empfänger der Schreiben am liebsten hörten, so hieß es darnach auch: »Die Gesundheit des Kindes bessert sich mit jedem Tage,« oder: »Es siecht langsam dahin, und scheint uns trotz der sorgfältigsten und kostbarsten Pflege rettungslos verloren.« – Es ist traurig, das sagen zu müssen: aber die meisten Schreiben waren in letzterem Sinne abgefaßt.

Während diese Korrespondenz geführt wurde, stand jener Mann, der vorhin im Kinderzimmer Ruhe gestiftet, mit gespreizten Beinen an einer Seite des Ofens und pfiff zuweilen eine Melodie leise vor sich hin, horchte auch wohl hie und da, wenn Herr Sträuber las, ohne aber bei dieser Veranlassung dem Leser selbst einen Blick zu schenken. Dies war Mathias, den man, wie sich der geneigte Leser erinnern wird, vorhin erwartet.

»Jetzt kommt das wichtigste Schreiben,« sagte Meister Schwemmer, »und es ist am besten, wenn ich das Wort für Wort in die Feder diktire. Es betrifft das Mädchen, welches, wie mir heute Morgen meine Frau sagte, recht schlecht sein soll.«

»O, der ist in diesem Augenblick gewiß sehr wohl,« meinte Mathias.

»Wieso?«

»Weil sie wahrscheinlich jetzt ausgelitten hat. – Schade, da entgeht Euch ein gutes Kostgeld.«

Meister Schwemmer machte eine Bewegung der Ungeduld und schaute den Anderen von der Seite an, als wenn er sagen wollte: was bekümmerst du dich darum? Dann entgegnete er mit mürrischem Tone: »Glaubt das nur nicht, die kleine Kreatur ist seit einem halben Jahre so; alle Augenblicke glaubt man, sie werde sterben, und auf einmal ist sie wieder fidel wie ein Wiesel, hat sie doch schon einmal vierzehn Tage wie todt gelegen.«

Mathias zuckte stillschweigend die Achseln und pfiff einige Takte des »Jungfernkranzes«.

»Die hat uns Alle zum Besten,« fuhr Meister Schwemmer fort, »das kann ich Euch versichern; gebt Acht, die reißt sich noch durch.«

»Oder Ihr sorgt dafür, daß Ihre Stelle bald besetzt wird.«

»Pfui, Mathias!« versetzte Meister Schwemmer, indem er lachte, und dann in einen mächtigen Husten gerieth. – »Geschäfts-Geheimnisse! Wer wird darüber sprechen; über die schweigt man.«

»Nur Eins begreife ich nicht,« fuhr Mathias fort, ohne auf diese Bemerkung zu achten, »wie es Euch immer so gelingt, andere Kinder unterzuschieben. – Wie macht Ihr das eigentlich? – Na, geht mit der Sprache heraus!«

Meister Schwemmer rückte auf seinem Stuhle ungeduldig hin und her, dann sagte er: »Das ist Sache der Weiber; was geht das mich an!«

»Nun, mich geht's im Grunde auch nichts an,« erwiderte Mathias; »es war nur so eine Frage.«

»So gebt denn Achtung, Sträuber,« unterbrach Meister Schwemmer hastig diese unangenehmen Erörterungen. – »Schreibt also: Verehrtester Herr Doktor! – Das Geld für den letzten Monat habe ich richtig empfangen und danke Ihnen noch besonders für die Zulage, – im Namen des armen Kindes –«

»Im Namen des armen Kindes,« wiederholte Herr Sträuber, indem er sein linkes Auge zukniff.

»Der Gesundheitszustand desselben,« fuhr Meister Schwemmer fort, »ist immer noch derselbe: das Kind ist ein kränkliches und sehr schwaches Wesen, dessen Dasein nur gefristet werden kann durch die sorgfältigste Pflege und Behandlung.«

»Durch die sorgfältigste Pflege und Behandlung,« sagte Herr Sträuber.

»Sie können sich gar nicht denken, welche Mühe und Sorgfalt meine brave Frau darauf verwendet. – Aber trotz allem Dem muß ich Ihnen mit schwerem Herzen gestehen, daß dem Kinde ein langes Leben unmöglich prophezeit werden kann; es sei zu schwächlich auf die Welt gekommen, behauptet unser Arzt, der mehrere Mal in der Woche kommt.«

»Der mehrere Mal in der Woche kommt, – Punkt,« sprach lachend Herr Sträuber.

»Ganz richtig: Punkt,« fuhr der Andere fort. »Wir wissen ja, hochverehrtester Herr Doktor, daß Ihnen Alles daran gelegen ist, dem Kinde eine gute Existenz zu verschaffen, und daß hiezu nach Ihren öfteren Schreiben keine Kosten gespart werden sollen. Deßhalb sah sich denn meine Frau veranlaßt, dem Kinde ein eigenes Zimmer zu geben –«

»Ein eigenes Zimmer.«

»Und eine Wärterin,« fuhr Meister Schwemmer ärgerlich fort, denn er bemerkte, wie sonderbar Mathias lächelte.

»Und eine Wärterin,« wiederholte Herr Sträuber.

Mathias lachte laut auf und wandte sich nach dem Mann um, der neben ihm saß, wobei er demselben auf eine recht unverschämte Art in's Gesicht sah.

»Zu allem Dem nun,« diktirte Meister Schwemmer weiter, »reicht das gewöhnliche Kostgeld lange nicht hin, und müßten wir schon ganz gehorsamst bitten, uns die Zulage, die wir schon seit zwei Monaten erhalten, auch fernerhin zukommen zu lassen. Sich damit ganz ergebenst und gehorsamst zu empfehlen.«

»Ganz ergebenst und gehorsamst zu empfehlen,« sagte Herr Sträuber, indem er mit einem großen Schnörkel schloß und sich alsdann weit in seinen Stuhl zurücklehnte, um die Wirkung der ganzen Schrift aus der Entfernung beurtheilen zu können. Darauf reichte er den Brief ohne aufzustehen nach dem Ofen hinüber, und da ihn der Mann auf seinem Stuhle nicht gut erreichen konnte, so machte Mathias die Mittelsperson, indem er ihn dem Herrn Sträuber abnahm und dem Anderen einhändigte.

»Aber Eins erklärt mir doch,« sprach er kopfschüttelnd. »Es muß doch hie und da vorkommen, daß irgend Einer, dem Ihr solche Wische schreibt, nun auf einmal absichtlich herkommt, um zu sehen, wie so ein Kind gehalten ist. Wie redet Ihr Euch nun da heraus? – Schaut mich nur nicht so mißtrauisch an, Ihr kennt mich ja und ich Euch; wir verrathen uns nicht, wollen auch nichts voneinander erpressen, und noch viel weniger wird es mir je in den Sinn kommen, selbst ein Kosthaus für kleine Kinder anzulegen. Ich habe an dem Transport meiner halbgewachsenen vollauf genug, obgleich das Volk bei mir lustig und guter Dinge ist, denn sie bekommen zu fressen, was in sie hinein geht. – Aber wie gesagt, laßt mich hören, wie bringt Ihr das hinaus?«

Meister Schwemmer kannte seinen Mann und wußte wohl, daß da keine Ausreden helfen und er mit der Sprache heraus müsse. Deßhalb sagte er: »Nun ja, was wird da zu machen sein! Solche Nachforschungen finden wohl zuweilen statt, aber meistens gehen sie in die dritte und vierte Hand, und da hilft man sich so durch.« – Er machte die Bewegung des Geldzählens. – »Kommt aber irgend Jemand, der Einem geradezu auf den Leib geht, so hat man seine Leute in der Nachbarschaft, die für ein Billiges recht gern erlauben, ein anständiges Zimmer und ein gut aussehendes kleines Kind zu zeigen. – Ja, ich versichere Euch, die kommen oft mit Vorurtheilen zu uns, denn sie haben allerhand munkeln gehört von schlechter Behandlung unserer Kostkinder, und führt man sie dann in ein solides Haus, da sind sie gleich vor den Kopf geschlagen.«

»Diese Kniffe sind nicht schlecht,« entgegnete der Andere. – »Aber wenn zufälligerweise eine Mutter kommt, um sich nach ihrem Kinde umzusehen? Der werdet Ihr doch in aller Ewigkeit nicht ein fremdes Kind für ihr eigenes unterschieben wollen.«

»O mein lieber Mathias,« erwiderte der Mann am Ofen, nachdem er sich mit dem Sacktuch langsam den Mund abgewischt, »das kommt bei den Kindern selten oder nie vor, daß sich die Mutter nach ihnen erkundigt. Entweder ist die schon längst gestorben, ist in schlechten Verhältnissen, wo unsere Behandlungsweise vollkommen genug für das geringe Kostgeld ist, oder sie befindet sich in einem glänzenden Leben, und da ist sie froh, wenn sie von der Vergangenheit nichts zu hören und zu sehen bekommt.«

Mathias hatte nachdenkend die Hände auf den Rücken gelegt und wiegte seinen Oberkörper hin und her.

»Ei, sagt mir doch,« begann er nach einer längeren Pause, während welcher Herr Sträuber den Brief zusammengefaltet und Meister Schwemmer die Adresse geschrieben hatte, »da war ich vorhin hinten in Eurer – Kinderstube und sah da ein recht flottes Bürschlein – einen netten trotzigen Kerl; er hatte gerade Euer Weib in die Finger gebissen, weil sie ihn mit dem Peitschenstiel über den Kopf gehauen. Und das Blut schien ihn gar nicht zu geniren –«

»Es floß Blut?« unterbrach ihn erschrocken Herr Sträuber.

»Blut genug, mein Schatz,« entgegnete der Andere trocken. – »Aber trotz seines unbändigen Betragens gefiel mir das Kerlchen. – Hat's mit dem eine eigene Bewandtniß, oder ist er auch da wie die anderen, zum Fortschicken? – Das Letztere sollte mich freuen, und da käme es mir auf ein paar Thaler nicht an.«

Meister Schwemmer zuckte die Achseln und versetzte: »Den gäbe ich Euch gern umsonst, das ist ein unbändiges Geschöpf. Ich fürchte immer, er zündet uns noch einmal das Haus über dem Kopfe an. – Aber ich darf nicht, ich muß ihn behalten!«

»Wieso?« fragte Mathias. »Was hat's da für einen Haken?«

»Das läßt sich nicht gut sagen, und ist das eine ganz eigenthümliche Geschichte, über die ich selbst noch nicht recht im Klaren bin. Der Bube da hinten hat, so viel ich merke, eine sehr vornehme Mutter; Ihr könnt das auch wohl dem ganzen Gestell des Kindes ansehen; sein kleiner geschmeidiger Körper ist allerliebst, gewachsen, sein Gesicht hat eine schöne Form und seine Hände und Füße sind zart und klein.«

»Das ist wahr,« sagte Mathias nachdenkend. »Und dabei hat die Kröte schon eine erstaunliche Kraft; ich habe das vorhin gemerkt.«

»Wißt Ihr, Unsereins,« fuhr Meister Schwemmer fort, »dem so viel dergleichen Bälge durch die Hand gehen, merkt gleich am Ganzen, ob etwas dahinter ist oder nicht. Man sieht's an der Figur, am Gesicht, ja an der Art des Schreiens. Das Meiste nun, was zu uns kommt, ist Halbblut, wißt Ihr: vornehmer Vater oder vornehme Mutter. Der Bube aber ist Vollblut, darauf könnt Ihr schwören.«

»Wenn aber beide Eltern vornehm und reich wären, warum nehmen sie sich des Kindes nicht an und wollen es hier bei Euch elend verkümmern lassen? – Nehmt mir nicht übel, aber das ist doch das Ende von all' den armen Teufeln hier.«

»Die Mutter dieses Kindes,« versetzte Meister Schwemmer, »war, wie Ihr Euch wohl denken könnt, noch ein Mädchen, als es auf die Welt kam. Der Vater konnte sie vielleicht nicht heirathen, – was weiß ich? – genug, sie beschlossen auch, den Buben sehr gut und anständig erziehen zu lassen, setzten ihm, glaube ich, ein kleines Vermögen aus, endlich aber heirathete die Mutter dieses Knaben einen anderen, aber sehr vornehmen Herrn.«

»Aha!« machte Mathias.

»Das sind aber schon einige Jahre her, und anfänglich ging Alles gut. Weiß aber der Teufel, zuletzt muß der Gemahl dieser Dame etwas über die Geschichte erfahren haben, legte sich auf Nachforschungen, ließ wahrscheinlich viel Geld springen und kam der Sache so ziemlich auf die Spur. Das erfuhr die Mutter, sie that ihrerseits ebenfalls Schritte, nahm den Buben aus dem Hause weg, wo er bisher verwahrt war, und da wurde er nun, um mich meines früheren Ausdrucks zu bedienen, durch die dritte und vierte Hand hieher zu uns gebracht.«

»Aber man zahlt doch ordentlich für ihn?«

»O ja, recht ordentlich; aber man knüpfte daran die Bedingung, ihn fest verwahrt zu halten und –« schloß Meister Schwemmer hustend und lachend – »das thun wir redlich, wie Ihr gesehen habt.«

»Hol' Euch der Teufel!« erwiderte der Andere, »das thut Ihr freilich. Aber wie schon gesagt: nehmt Euch mit dem Knaben in Acht! Der bricht Euch einmal aus, rennt in die Stadt und plaudert die ganze Wirtschaft aus.«

»Seid unbesorgt,« meinte der Hausherr, »wir wollen ihn schon mit Hunger und Schlägen mürb machen, und wenn es nicht anders geht, so lege ich ihn an die Kette wie einen tollen Hund. Oh! solchen Burschen sind wir noch gewachsen!«

Herr Sträuber hatte während dieser Unterredung anscheinend theilnahmslos zum Fenster hinaus geschaut, doch war ihm nicht ein Wort entgangen. – »Eine reiche und vornehme Frau,« dachte er, »die den Buben zu verbergen trachtet, und ein ebenfalls vornehmer und reicher Mann, der ihn finden möchte, – das sind ein Paar Kunden, die für eine thätige Hilfe gewiß tüchtig bezahlen werden. Da wäre nur noch zu überlegen, wer am meisten springen läßt; – und dann thäte man ein dabei gutes Werk,« tröstete er sich selber, »denn es ist doch unverantwortlich, ein Kind, das bisher gut erzogen wurde, bei solchem Schandvolke zu lassen. – Pfui Teufel!«

In diesem Augenblick öffnete sich die Thüre und die Frau Bilz trat herein. Sie sah blaß und niedergeschlagen aus, und ein aufmerksamer Beobachter hätte auf ihrem Gesichte Spuren von Thränen bemerken können und vielleicht darnach geforscht. Aber da hier Niemand war, der sich um solche Kleinigkeiten bekümmerte, so setzte sie sich stillschweigend auf ihren alten Platz an das Fenster hin, blickte gedankenvoll in die Stube und legte die Hände in den Schooß.

»Jetzt können wir auch an unser Geschäft gehen,« sprach Mathias. »Ich habe nur warten wollen, bis die Frau kam, denn sie muß mich diesmal eine Strecke Wegs begleiten.«

»Richtig! richtig!« versetzte Meister Schwemmer; »wir haben Mädchen bei dem Transport, so ein Stück vier. – Also laßt hören, Mathias, was braucht Ihr noch?«

»Der von C. schrieb mir vor einigen Tagen, es sei eine passende Gelegenheit da, eine größere Anzahl hinüber zu bringen, auch könnte er sehr gut im Ganzen ein Stück zwanzig placiren, natürlicherweise über die Hälfte Buben; sechs, höchstens acht Mädchen dürfen darunter sein.«

»Doch nur Mädchen unter zehn Jahren,« sagte Herr Sträuber, der unterdessen ein Papier aus der Tasche gezogen hatte.

»Versteht sich,« entgegnete der Hausherr, »die über sechzehn gehören in ein ganz anderes Register und können viel vortheilhafter in der Nähe untergebracht werden.«

»Davon nachher!« versetzte Mathias. – – »Um nun den Transport vollzählig zu machen, fehlen mir noch ungefähr zehn Buben, aber es müssen ansehnliche Kerle sein. – Was habt Ihr nun für mich im Auge, und welche Preise wollt Ihr machen? Seid aber billig, denn wir leiden doch alles Risiko: wenn wir abgefaßt werden, ist nicht nur alles Geld hin, sondern es könnte uns auch leicht an den Kragen gehen.«

Meister Schwemmer nahm ruhig eine Prise, dann nickte er mit dem Kopf und sagte pfiffig lächelnd: »Ja, ja, die Gefahr ist groß, aber nicht so sehr für Euch, wie für mich. Ihr seid gedungen worden, mit den Kindern zu reisen, – was wißt Ihr mehr von der Sache? Ihr thatet nur was man Euch befohlen, aber an Unsereinem bleibt's hängen. Ihr, Mathias, seid ein rüstiger Mann, ohne Anhang: Ihr schlagt Euch im Nothfalle durch ein halbes Dutzend Polizeidiener durch, gewinnt das Freie, haltet Euch ein halbes Jahr versteckt und seid ein Mann bei der Stadt wie vorher. – Aber seht mich an: Ich bin ein armer kranker Kerl, der sich kaum vom Stuhle rühren kann, habe auch noch eine große Wirtschaft am Hals, eine Wirthschaft, bei der es mir sehr unangenehm wäre, wenn die da droben einmal ihre Spürnase hinein steckten.«

»Wozu das Gefasel!« erwiderte Mathias ärgerlich. »Sagt, was Ihr habt und Eure Preise, ich brauch' es ja nicht zu nehmen, wenn es mir nicht ansteht. Und daß Ihr mich schindet, wo Ihr könnt, weiß ich ohne Eure Vorrede. Also heraus mit der Sprache! Könnt Ihr mir ein Stück zehn Buben verschaffen?«

»Seid nur nicht immer so stürmisch!« sagte der Andere. Und dabei zog er unter seinem Sitze ein Papier hervor. »Man meint immer, wir wollen uns am Halse fassen, und scheiden doch meistens als die besten Freunde. – Hier ist eine artige Liste,« fuhr er nach einer kleinen Pause fort, während welcher er in das Papier geblickt, »aber da nicht viele Kinder dabei sind, die keine Eltern mehr haben, so kommt die Sache etwas höher zu stehen.«

»Gebt her,« sprach rasch Mathias, indem er das Papier in die Hand nahm und durchflog. – »Die vier Ohren hier kosten nicht viel, aber für die andern sechs finde ich den Preis unverschämt gestellt. – Da Einer mit vierzig Thalern.«

»Dessen Stiefmutter ein tüchtiges Geschenk verlangt hat.«

»Da Einer sogar mit sechzig Thalern.«

»Ist schon zehn Jahre alt und hat eine Schwester, die an ihm den Narren gefressen hat. Kostet mich an zwanzig Thaler für Briefe und Zeugnisse, um zu beweisen, daß der Bube in eine gute Lehre kommt.«

»Wird sich wundern,« brummte Mathias, während er an den Fingern rechnete. Dann ließ er die Hand mit dem Papiere sinken und sagte: »Aber daß sie Alle gerade gewachsen sind, dafür steht Ihr mir natürlich ein.«

»Versteht sich von selbst,« erwiderte Meister Schwemmer. »Ihr zahlt überhaupt nicht eher, als bis der ganze Transport bei einander ist und Ihr Alles durchgemustert habt. – Na, macht kein so finsteres Gesicht; es ist und bleibt doch ein gutes Geschäftchen.«

Mathias hatte die Hände auf den Rücken gelegt und blickte gedankenvoll durch das Fenster in den kleinen Hof.

Frau Bilz, welche gerade vor ihm saß, schaute aufmerksam in seine düsteren Züge, und ihre Hände, die bis jetzt übereinander lagen, falteten sich langsam zusammen.

»Ich muß überhaupt schon gestehen,« sagte Mathias nach einer Pause, »daß mir dieses Geschäft vollkommen entleidet ist; es ist doch das Niederträchtigste, was ich kenne, – ein förmlicher Sklavenhandel, und ein Sklavenhandel, weit schlimmer wie der, den sie drüben in Amerika betreiben. Dort wechselt so ein armer Teufel von Schwarzem, oder so ein Kind nur seinen Herrn; der Eine ist ein bischen besser, der Andere ein bischen schlimmer, aber ihr Leben bleibt sich im Allgemeinen gleich; sie müssen freilich arbeiten, sie bekommen auch wohl ihre Schläge, doch an Leib und Seele werden sie darum nicht schlechter, und wenn sie auch durch ein Dutzend der verschiedenartigsten Hände gegangen wären. Aber bei dem Sklavenhandel, den wir betreiben, ist es ganz, ganz anders.«

»Ja, ja,« sprach die Frau beistimmend.

»Was wird aus den Geschöpfen, die wir in ein fremdes Land hinüber führen? Bekommen sie vielleicht einen Herrn, der für sie sorgt, der sie zur Arbeit anhält, der sie lehrt und im Nothfalle auch nährt? – Nein! nein! gewiß nicht! Die Buben werden nach und nach Bettler von Profession, Halunken, Spitzbuben, Räuber und Mörder, und die Mädchen – na! denen geht's noch viel schlimmer. – Das versichere ich Euch, Meister Schwemmer, alle Thaten unseres Lebens, die wir im Dunkeln verübt, alle die zusammen genommen werden einmal nicht so schwer wiegen, wie der Jammer eines einzigen dieser unglücklichen Geschöpfe, wenn es am Ende eines elenden, sündhaften Lebens verkommen und jammervoll hinter irgend einer Hecke zum Teufel fährt.«

Die Frau nickte stumm mit dem Kopfe, und Herr Sträuber, der, so lange Mathias in der Nähe war, außerordentlich wenig sprach, schien ihn trösten zu wollen, indem er sagte: »Man muß das nicht so genau nehmen bei dem Mathias; er hat seine schwachen Augenblicke, nachher hat er doch wieder Alles vergessen.« Für diese Worte warf ihm Mathias einen nichts weniger als freundschaftlichen Blick zu, dann steckte er die Hand auf die Brust unter seinen Rock und erwiderte: »Leider ist es wahr, daß mir solche Gedanken nur auf Augenblicke kommen, aber auch das ist schon was werth, und ich bin mir gerade recht, wie ich bin. Wenn ich auch zuweilen im Schmutz wate, tief bis an die Kniee, so ist es mir doch auch wieder einmal behaglich, trockenen Fußes über einen hohen Berg zu marschiren und ein bischen schöne Aussicht nach vorwärts zu genießen. Das nennt Ihr freilich hie und da solche Gedanken haben, aber es ist doch, beim Teufel! besser, auch nur bisweilen solche Gedanken zu haben, als immer und ewig im feuchten Dreck daher zu schlampen, der Euch freilich nie recht beschmutzt, aber auch nie nur eine Sekunde lang reinlich erscheinen läßt. – Doch was werfe ich Perlen vor die Säue, wie es in dem Sprichwort heißt!« – Damit schlug er das Papier zusammen, griff nach seinem Hute und ging, ohne ein Wort weiter zu verlieren, zum Zimmer und zum Hause hinaus.

Herr Sträuber blickte ihm nach, bis er über den Hof verschwunden war, dann gewann er mit einem Male seine ganze Redseligkeit wieder. – »Es ist hart,« sagte er, während er seinen Hemdkragen hervor zog, »mit solchen Menschen umgehen zu müssen, für einen Mann von Erziehung wie ich, mit einem Kerl wie dieser Mathias. Würde sich vielleicht kein Gewissen daraus machen, Jemand für ein paar Gulden niederzustechen, und nimmt sich da heraus, vor uns von besseren Gefühlen zu reden. – Das käme mir vielleicht zu, wenn ich an meine Jugend und früheren Tagen denke.«

»Er spricht nicht nur zuweilen etwas Gutes,« sagte die Frau, »sondern er thut es auch.«

»Da wäre ich neugierig,« meinte Herr Sträuber.

»Draußen in der Vorstadt, wo wir wohnen, wurde vorgestern ein armer Weber mit sechs lebendigen Kindern und wenigem armseligen Hausrath bei dem scheußlichsten Wetter auf die Straße gesetzt. Ihr könnt Euch den Jammer gar nicht denken.« »Ja, ich weiß es,« bemerkte lächelnd Meister Schwemmer.

»Das Weib,« fuhr Frau Bilz fort, »hatte ein kleines Kind an der Brust, und Beide waren blau vor Kälte. Da kam Mathias und verschaffte ihnen in einem Hinterhause ein ganz ordentliches Unterkommen.«

»Aber er stellte Bedingungen dabei?« fragte besorgt der Hausherr.

»Nein,« entgegnete die Frau, »davon weiß ich nichts. – Im Gegentheil: er rieth dem Manne, Bedingungen, die ihm ein Anderer gestellt haben mußte, um keinen Preis einzugehen.«

»Soll ihn der Teufel holen!« rief Meister Schwemmer.

»Und was waren das für Bedingungen?« fragte Herr Sträuber.

»Wieder ein Menschenhandel,« sagte achselzuckend die Frau.

»Und also der Mathias rieth ihm wirklich davon ab?« fragte der Mann am Ofen, der sein Taschentuch zusammenknitterte und es dann schnell an seinen Mund drückte, um einem Hustenanfall zuvor zu kommen, den augenscheinlich der Zorn bei ihm erregt. – »Ja, – ja,« sagte er nach einer Weile, als er wieder etwas in Athem kam, – »soll – ihn – lothweis – der Teufel – holen! – Verdirbt einem – den saubersten – Handel.«

»Seht Ihr wohl,« sprach Herr Stäuber, »ist das kameradschaftlich? Das nenne ich unter Freunden Verrath. Und paßt nur einmal auf, wir können uns noch Alle vor dem Kerl in Acht nehmen; auf einmal wird man unsere Schliche kennen, wir sind gefaßt und er spaziert hohnlachend umher.«

»Davon ist kein Gedanke,« versetzte Meister Schwemmer, »Mathias ist treu und redlich wie Gold. – Sträuber, wie könnt Ihr so Etwas denken!«

»Nehmt Euch ja in Acht,« sagte ruhig die Frau, indem sie ihm einen verächtlichen Blick zuwarf, »daß Eure Gedanken nicht außer diesem Hause laut werden und ihm zufällig zu Ohren kommen. Das wäre eine scharfe Ecke für Euch; an der könntet Ihr Euch blutig stoßen.«

»Und Blut ist nicht seine Leidenschaft,« sprach achselzuckend Meister Schwemmer. – »Doch gehen wir an unser weiteres Geschäft. – Was wir sprechen, bleibt ja unter uns,« fuhr er lächelnd fort, als er sah, daß sich das Gesicht des Herrn Sträuber bedeutend verlängerte. »Da habe ich zwei Aufträge von unserer Freundin, der Madame Becker.«

»Aha! die in der alten Kaserne!« sagte Frau Bilz.

»Dieselbe. – Das ist ein verfluchtes Weibsbild und verdient Geld wie Heu; sie hat, wie sie mir sagte, in D. und F., vier Stunden von hier, zwei junge Mädchen aufgespürt, zwischen sechzehn und achtzehn Jahren, frische, schöne, saftige Landpomeranzen, die gern einen Dienst in einer großen Stadt haben möchten. Hier ist es nun zu nah; deßhalb will ich sie an einen Geschäftsfreund nach B. senden, wo eine starke Nachfrage nach solch' unberührter Waare ist. Die Becker hat den beiden Mädchen vorgeschwindelt, sie kämen dort in ein ganz anständiges Haus, erhielten einen bedeutenden Lohn und brauchten sich nur mit seiner Arbeit zu beschäftigen. – Und das ist ja Alles wahr,« fuhr der alte Sünder kichernd fort, indem er sich die Hände rieb. – »Sie fürchtet aber nun, wenn die beiden Mädchen auf der Eisenbahn hieher fahren, so könnten sie am Ende zu Leuten zu sitzen kommen, die ihnen die ganze Geschichte verdächtigen und ihnen – es könnten ja sogar welche von B. sein – geradezu sagen würden, die Adressen seien falsch und die Häuser existiren dort gar nicht. – Versteht Ihr mich?«

»Vollkommen,« entgegnete Herr Sträuber.

Und die Frau nickte stillschweigend mit dem Kopfe.

»So, nun paßt auf!« fuhr der Hausherr fort. »In circa acht Tagen werden die beiden Mädchen von D. und F. abreisen. Man wird Euch Alles das noch genau mittheilen; dann fahrt Tags vorher Ihr, Frau Bilz, nach D. und der Sträuber nach F. Ihr, Frau, bekommt ein genaues Signalement des einen Mädchens, setzt Euch zu ihr hin und plaudert mit ihr; in F. nun kommt zugleich mit dem andern Mädchen dort Euer Bruder auf die Bahn.« »Welcher Bruder?« fragte mißtrauisch Herr Sträuber.

»Nun, Ihr stellt den Bruder vor. O ich weiß schon, was Ihr sagen wollt, Frau Bilz zieht sich ein bischen städtisch an, darauf könnt Ihr euch verlassen. – Also Ihr steigt mit dem andern Mädchen in F. ein, habt womöglich schon im Wartsaal ein paar Worte mit ihr gewechselt, findet Eure Schwester, und setzt Euch nun, wenn es geht, alle vier zusammen. – Verstanden?«

»Natürlicherweise,« entgegnete Herr Sträuber. »Wir lassen uns dann von den beiden Mädchen erzählen, wohin sie wollen.«

»Richtig, richtig! Ihr erfahrt, daß sie nach B. gehen, ihr Beide seid auch daher, und könnt ihnen nun über die Häuser, wohin sie adressirt, die allerbeste Auskunft geben. – Sobald ihr mit den Beiden hier ankommt, so seid ihr ihnen augenblicklich behilflich, daß sie Plätze nach B. nehmen. Ihr, Sträuber, habt nun hier Geschäfte und bleibt da, die Frau aber begleitet die Mädchen und bringt sie in B. nach einem gewissen Hause, das man ihr bezeichnen wird. – So, das wäre im Reinen. Ihr habt doch keinen Zweifel mehr?«

Frau Bilz zuckte mit den Achseln und sagte: »Ich wußte schon um die Geschichte; ich war gestern bei der Becker, die mit mir davon sprach.«

»Nun, da werdet Ihr auch gehört haben, daß ich Euch sogleich vorschlug,« erwiderte der Hausherr, nachdem er eine starke Prise genommen. »Ja, Ihr seht, Frau Bilz, daß ich immer an Euch denke, wo es Etwas zu verdienen gibt.«

Die Frau gab hierauf keine Antwort, sondern ließ den Kopf auf die Brust sinken und spielte mit den Bändern ihrer Schürze.

Herr Sträuber erhob sich von seinem Stuhle, strich sein Haar zurück, setzte den Hut auf und zog seine baumwollenen Handschuhe an.

»Und werden wir Geld zu dieser Fahrt von Euch bekommen?« fragte er, während er die Briefe, die er vorhin geschrieben, in die Tasche steckte.

»Allerdings,« antwortete vergnügt der Hausherr, der heute gute Geschäfte gemacht hatte, »kommt nur am Samstag, da sollt Ihr Alles haben: Geld, Adresse und die genaue Beschreibung von einem Paar sehr hübscher Mädchen.«

 


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