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50. Verschämte Hausarme

Hier wurde der Weihnachtsabend nicht wie bei den übrigen Mitchristen gefeiert; Madame Wandel, die verschämte Hausarmen-Wittwe, fand es begreiflicherweise unpassend, am heutigen Abend mit irgend Etwas Gepränge zu machen. Ihre beiden Töchter waren erwachsen, weßhalb ihnen ein Christbaum auch weiter keine Freude gemacht hätte; sich gegenseitig zu beschenken, wäre ebenfalls unnöthig gewesen, daher sie denn das Fest still unter sich und unter andächtigen Betrachtungen feierten. Das klingt für uns, die wir den Charakter von Mutter und Töchtern kennen, zwar unglaublich, aber es verhielt sich wirklich so. – Im Ofen brannte ein spärliches Feuer, so daß das Zimmer nur sehr mäßig erwärmt war; der Tisch war mit einem groben Tuche bedeckt und auf demselben befand sich eine Schüssel mit Kartoffeln in der Schale neben einem Salzfasse, einem Stücke schwarzen Brodes und einer Flasche voll klaren Wassers.

Madame Wundel saß an diesem Tische, ihr gegenüber die älteste Tochter Emilie, und Beide hatten Gebetbücher vor sich, in welchen sie eifrig zu lesen schienen.

Wir sagen: zu lesen schienen; denn wenn man aufmerksam hinsah, so bemerkte man wohl, daß die würdige Wittfrau die Nägel ihrer Finger besah, auch zuweilen an die Decke blickte, und daß Emilie den Kopf auf die Seite hielt, offenbar um auf den Gang und die Treppe zu lauschen, zu welchem Zwecke auch die Stubenthüre halb geöffnet war.

»Jetzt kann er wohl drunten sein,« sprach die Mutter nach einer längeren Pause.

»Ja, mir scheint, er schleiche auf der untersten Treppe,« erwiderte die Tochter. – »Richtig! da höre ich ihn auch husten. – Wenn der nur bald ausgehustet hätte!«

»Ein langweiliger, miserabler Kerl!« meinte die Wittwe.

»Und schleicht wie ein Gespenst in den Häusern umher,« entgegnete Emilie. »Bin ich doch wirklich erschrocken, als er vorhin fast unhörbar in's Zimmer trat und sein: Gott sei mit euch, ihr Frauen! krächzte, – der alte Heuchler!«

»Ich bin gar nicht erschrocken,« lachte Madame Wundel; »ich wußte wohl aus alter Praxis, daß er diesmal am Weihnachtsabend kommen würde. Vergangenes Jahr kam er am Christfest selbst; er wechselt immer so ab. – Das kann euch wieder ein Beispiel sein,« fuhr sie nach einer Pause fort, während welcher sie die Hand in die Tasche gesteckt und dort mit Geld geklappert hatte, »daß ihr eurer Mutter unbedingt folgen sollt. Du hattest wieder Lust, zu sieden und zu braten, und wenn ich deinem Kopfe gefolgt wäre, so hätte uns der Armenpfleger überrascht, und – eine milde Gabe gereicht für Holz und Brod,« – diese Worte sprach sie mit demselben nachäffenden Tone wie ihre Tochter – »während ein schöner Kuchen auf dem Tische stand und eine Flasche Wein daneben.«

»Leider ist es eine schlechte Welt,« erwiderte Emilie achselzuckend, »und für die paar miserablen Gulden, die sie uns an den Kopf werfen, leben wir doch in einer wahren Sklaverei. Gehe ich durch die Straßen, bei gewissen Häusern vorbei, da muß ich die Augen niederschlagen und darf höchstens nach einem kleinen Kinde sehen, das zufällig auf's Gesicht gefallen ist, um es aufzuheben und ihm aus christlichem Mitgefühl die rotzige Nase abzuwischen – wenn das nämlich Jemand sieht. – Pfui Teufel! Ihr hättet eigentlich ein anderes Geschäft ergreifen können, als das einer verschämten Hausarmen. Uns ist dadurch jede Carrière abgeschnitten; man kann sich nicht einmal mit einem anständigen Liebhaber einlassen, denn das wäre ja die größte Versündigung, wenn sie es erführen.«

»Aber man lebt gut,« sagte die Wittwe mit einem breiten behaglichen Lächeln. »Sei nicht undankbar, Emilie; du weißt noch nicht, wie hart es ist, das Brod durch seine Händearbeit verdienen zu müssen.«

»Aber dann bin ich frei und kann thun, was ich will.«

»Geht mir mit eurer Freiheit! Man ist da abhängig von den Launen seiner Herren oder Herrinnen und erst ein rechter Sklave.«

»Neulich ging ich in einen Laden,« fuhr Emilie ärgerlich fort, »und wollte mir zu meinem karrirtseidenen Kleide ein paar Ellen kaufen. Da sehe ich glücklicherweise noch früh genug den Armenpfleger, der mich lauernd betrachtete. Vor mir lag ein ganzer Stoß Seidenzeug, und da fragte er auf seine widerliche Manier: Sie kaufen doch gewiß nicht von diesen eitlen Geweben? – Was wollte ich machen? – Ich mußte meine Augen niederschlagen und mit einer halben Elle grauem Futternessel abziehen.«

»Was übrigens sehr klug von dir war,« erwiderte vergnügt Madame Wundel. »Glücklicherweise scheuen sich diese Spione, des Abends auszugehen; und an gewisse Orte, wo wir uns sehr gut amüsiren, kommen sie nie hin.«

»Ja, wenn auch das nicht wäre, sollte es der Henker aushalten!« sagte Emilie. – »Nun, hat er auch was Rechtes gebracht?«

»Ich kann nicht darüber klagen,« schmunzelte vergnügt die Mutter. – »Am Weihnachtsabend da kommt so Allerlei zusammen, da wollen die verschiedenen Vereine zur heiligen Zeit noch einen rechten Stein in's Brett bekommen und deßhalb fließen da die Unterstützungen ordentlich. – Ach, daß doch so viel Heuchelei in der Welt ist! Die machen sich selbst was weis und bilden sich ein, es sei ihnen ein Bedürfniß des Herzens, den Armen mitzutheilen, und bei den Meisten ist's Eitelkeit: sie wollen Alle im Jahresberichte und im Wochenblättchen stehen. – Nun also, da habe ich sechs Gulden vom Vereine für verschämte Hausarme, vier Gulden aus der Unterstützungskasse für hilfsbedürftige Wittwen aus dem Honoratiorenstand. – Und dazu können wir uns ja rechnen, seit dein Vater gestorben ist, denn meine Familie stand ehedem stolz da in der Stadt; daß der Mann so traurige Geschichten gemacht hat, ist ein Unglück. Doch will ich seiner nicht im Bösen gedenken, denn hier ist ja auch ein Gulden und dreißig Kreuzer aus der Wittwenkasse für in öffentlichen Anstalten des Staats Verbliebene.« – Sie wollte nämlich nicht sagen: »Für die im Zuchthaus Gestorbenen,« wie es dem seligen Herrn Wundel leider geschehen war, da er Pflegschaftsgelder auf eine für ihn zu vortheilhafte Weise angelegt hatte.

»Das sind ja elf Gulden dreißig Kreuzer,« sprach Emilie mit zufriedener Miene; »das reicht schon über die Feiertage.«

»O ganz bequem,« entgegnete die Mutter. »Und dazu kommt noch der zweite Weihnachtstag, wo ich mich im schwarzen Anzug bei dem Prediger des neuen Bundes präsentire und darauf hin einige Anweisungen erhalte für christliche Häuser, wo man anständige Wittwen zu behandeln versteht.«

»O ja, das geht,« sprach die Tochter nach einigem Nachdenken. »Dann kommt Neujahr, und dabei werden wir wohl so viel herausschlagen, daß man sich am Karneval ein kleines Vergnügen machen kann.«

Die Mutter packte ihr Geld zusammen und steckte es sorgfältig wieder in die Tasche ihres Kleides – sie hatte es dort hervorgeholt, um ihre Tochter mit dem Glanz des Silbers zu erfreuen. – »Da ist noch eine ganz famose Kasse hier in der Stadt,« sagte sie nach einer Pause, »an der wir vielleicht auch nächstens einmal theilnehmen können. – Weißt du, man muß sich nicht geniren, und wenn du wolltest, so könnte ich dorthin bald einmal eine Eingabe versuchen.«

»Was ist das für eine Kasse?« fragte Emilie.

»Obendrein ist noch ein Freund von dir dort beschäftigt: der Herr Aktuar Schwarz ist der Sekretär.«

»Ah! Mutter,« versetzte Emilie etwas spitzig, »das muß ich mir allen Ernstes ausbitten!«

»Wie, daß der Herr Aktuar Schwarz dein Bekannter ist?« fragte Mama mit einer außerordentlichen Unbefangenheit.

»Nein, das nicht,« erwiderte entrüstet Emilie, »sondern daß du mir vorschlagen willst, ich soll mich an den Unterstützungsverein für alte Jungfern wenden.«

»Ist denn das so was Schlimmes?«

»Es ist schlimm genug, wenn man in Verhältnissen lebt, die es Einem erschweren, eine anständige Verbindung einzugehen.«

»Und wenn uns dieser Freund unterstützt,« erwiderte Madame Wundel, indem sie ihre Haube zurecht zog, »bist du deßhalb eine alte Jungfer? – Sieh doch mich an, ich erhalte auch vom Verein für verschämte Hausarme; sind wir denn deßhalb verschämte Hausarme? – Ich wollte Niemand rathen, das uns in's Gesicht zu sagen. – Ah! da bitte ich recht schön! Ihr Mädchen habt eigene Begriffe, wenn man nur einmal ein Wort von einer alten Jungfer fallen läßt, so seid ihr beleidigt. Das ist aber an sich ein ganz respektabler Stand, und wenn die Zeit da ist, daß man eine werden soll, so wird man in Gottes Namen eine. Daran wirst du nichts ändern wollen. – Jetzt bist du Achtundzwanzig, und wenn dich auch gute Leute für ein paar Jahre jünger ansehen, so rückst du doch nach und nach in die Dreißig und mußt da hinein, so sehr du dich auch sperren wirst. Gegen den Strom kann man nicht schwimmen, und einen heißen Ofen nicht kalt blasen. – Larifari!«

»Aber ich thu's nun einmal nicht,« sagte die Tochter entschlossen. »Ich will mich zu allen Vereinen melden, mögen sie einen Namen haben, welchen sie wollen; und ich habe das schon bewiesen, denn als der Verein für unglückliche, treulos Verlassene gegründet wurde, da –«

»Schweigen wir davon,« entgegnete die Mutter, indem sie die Augenbrauen zusammenzog, »das ärgert mich, wenn du davon sprichst. Damals hast du freilich keinen Anstand genommen, dich für eine treulos Verlassene auszugeben, obgleich du dazu gar kein Recht hattest, denn um verlassen zu werden, muß man doch Jemand haben, der Einen verläßt. Und das war bei dir nur so ein kleines Techtelmechtel, wonach kein Hahn gekräht hat.«

Emilie seufzte tief auf, wahrscheinlich in der Erinnerung an dieses Verhältniß.

»Ja wärst du damals klug gewesen und hättest den jungen Menschen festgehalten; damit wäre was zu machen gewesen. Aber ihr seid nicht pfiffig genug, nicht gescheidt, nur hochmüthig. Das habe ich vorhin wieder so klar und deutlich gesehen. – Ja, ja, für eine treulos Verlassene möchtest du alle Tage gelten, aber nicht für eine alte Jungfer. O Welt! o Welt!«

Madame Wundel hatte sich so in den Eifer hineingesprochen, daß sie unmöglich auf ihrem Stuhle ruhig sitzen bleiben konnte. Sie stand deßhalb auf, machte ein paar Gänge durch's Zimmer und sagte dann, als ob sie froh wäre, etwas zu finden, woran sie ihren Unmuth auslassen könnte: »Werft mir die dummen Kartoffeln vom Tisch und das fade Wasser! Da hast du den Schlüssel, hol' den Kuchen heraus, der im Schranke steht, und ein paar Gläser.«

»Und keinen Wein dazu?« fragte mürrisch die Tochter, indem sie sich zum Abgehen anschickte.

»Nein, du brauchst keinen Wein zu bringen; aber schüre das Feuer, damit wir ein behagliches Zimmer bekommen. Ich habe jetzt dem unangenehmen Kerl zulieb genug gefroren. Dann kannst du auch Wasser zum Kochen aufsetzen; die Madame Becker wird nachher auf einen Augenblick kommen und Extrakt mitbringen, da wollen wir uns einen ordentlichen Punsch machen.«

»So – die kommt?« fragte Emilie mit einem eigenthümlichen Gesichtsausdruck. – »Und wollt ihr allein sein? – Ist man vielleicht im Wege oder kann man dableiben?«

»Wie du so einfältig fragen kannst!« sagte die Mutter; »du kannst freilich dableiben, aber es wäre mir nicht lieb, wenn unterdessen Louise – damit meinte sie die jüngere Tochter – nach Hause käme.«

»Da kannst du unbesorgt sein, die kommt heute nicht vor elf Uhr nach Hause; die weiß doch noch irgendwo hinzugehen, wo sie sich amüsiren kann.« – Damit schritt sie zur Thüre hinaus.

Man hörte sie mit ihren Schlüsseln draußen rasseln, auch Gläser klirren, dann schürte sie das Feuer im Ofen, der kurze Zeit darauf eine behagliche Wärme ausströmte.

Madame Wundel hatte unterdessen höchst eigenhändig die Kartoffeln in die Küche hinausgeworfen, das Wasser entfernt und statt des groben Tischtuchs ein feineres ausgebreitet, kurz dem ganzen Zimmer in weniger Zeit ein behagliches Ansehen gegeben.

Als nun vollends Emilie wieder hereinkam, einen großen mürben Kuchen auf den Tisch stellte, etwas getrocknete Früchte und einige Gläser, da sah das Ganze recht festlich aus, würdig des Besuchs, der erwartet wurde und den man auch bald nachher die Treppen herauf kommen hörte.

Madame Becker – sie war es – ging ziemlich langsam, denn das Treppensteigen wurde ihr bei vorgerücktem Alter und ankommender Körperfülle etwas sauer. Sie hustete schon auf dem zweiten Absatz der Treppe, auf dem dritten hustete sie gewaltig, und als sie endlich vor der Wohnung der Madame Wundel ankam, brachte sie nur mühsam einen »guten Abend« hervor und ließ sich sogleich auf einen Stuhl nieder, den man ihr hinstellte.

»Aber Ihr wohnt recht hoch, Wundel,« sprach sie nach tiefem Athemholen und nachdem sie sich eine Zeit lang umgeschaut. »Recht hoch, aber anständig – saubere Zimmer.«

»So, so,« entgegnete die Wittwe. »Man kann nicht Alles miteinander verbinden; will man in unseren Verhältnissen im zweiten oder dritten Stock wohnen, so muß man sich mit ein paar kleinen finsteren Löchern ohne Aussicht und Luft begnügen, und da ist's mir hier oben lieber.«

»Das finde ich begreiflich,« erwiderte Madame Becker. »Ihr habt kein Geschäft, es laufen nicht viele Leute zu Euch; aber ich muß nun leider einmal im ersten Stock wohnen; wißt Ihr, man kann Manchem nicht zumuthen, daß er viele Treppen hinaufsteigt.«

»Ah! das ist natürlich,« sagte Madame Wundel mit wichtiger Miene; »bei Eurer ausgebreiteten Bekanntschaft. – Aber kommt, legt Euer Umschlagtuch ab; es muß Euch ja zu warm werden –«

»Ich habe nur einen Augenblick ausschnaufen wollen,« entgegnete Madame Becker, während sie eine dicke Nadel aus ihrem Halstuch herauszog und dasselbe nun der Fräulein Emilie Wundel überließ, die es sorgfältig auf einen Stuhl legte. Nachdem diese Hülle gefallen war, erblickte man das freundliche Glänzen einer Bouteille, welche die Frau in der Hand trug. Unter dem Arm hatte sie ein kleines Paketchen, das sie behielt, wogegen sie die Flasche der Wittwe mit einem angenehmen Lächeln überreichte. »Er ist gut,« sagte sie, »echter Düsseldorfer; laßt uns nur nicht zu viel Wasser dazu nehmen, ich liebe einen starken Punsch.«

Mit diesen Worten hatte sie sich so breit und behaglich wie möglich an den Tisch gesetzt; sie stützte den Kopf in die Hände und sah der Madame Wundel, die sich ihr gegenüber niederließ, freundlich lächelnd in die Augen. Ihr Paketchen hatte sie vor sich niedergelegt.

»Wir haben uns lange nicht mehr gesehen,« fuhr sie nach einer Pause fort, »und ich hatte mir schon oft vorgenommen, Euch einmal heimzusuchen, konnte aber nie dazu kommen, und so dachte ich denn heute: es ist dies ein stiller und ruhiger Abend und recht geschickt, sich nach einer guten Freundin umzusehen.«

»Wofür ich Euch sehr dankbar bin,« erwiderte Madame Wundel. »So ein Weihnachtsabend ist sehr langweilig und man weiß nicht, wie man ihn herumbringen soll.«

Emilie hatte das warme Wasser gebracht, goß es in die Gläser auf den Punsch-Extrakt, worauf sich ein angenehmer Geruch in dem Zimmer verbreitete, dann schnitt sie den Kuchen auf, reichte ihn herum und alle Drei aßen, tranken und waren fröhlich und guter Dinge.

Nach einiger Zeit lehnte sich Madame Becker behaglich in ihren Stuhl zurück und spielte, anscheinend absichtslos, mit dem Paketchen, das sie neben sich hingelegt hatte. Es war dies länglich, mit weißem Papier umwickelt und mit einer rothen Schnur zusammen geknüpft. Auf demselben stand eine Adresse mit einer festen, regelmäßigen Handschrift.

»Einkäufe?« fragte die Wittwe, deren Neugierde erregt war.

»O nein,« entgegnete die Andere, »es ist ein Geschenk für meine Nichte Marie, die Tänzerin. Die bekommen so was immer anonym zugeschickt. Auf der Straße brachte es mir ein Bedienter, und da er mich erkannte, nahm ich es ihm gleich ab.«

»Also die Marie hat's noch nicht gesehen?« meinte Emilie.

Madame Becker schüttelte gleichgiltig mit dem Kopfe. »Die sieht's morgen Früh noch bald genug,« sagte sie, »wenn sie es überhaupt zu sehen bekommt; und das hängt ganz von ihrer Aufführung ab.«

»Und was ist wohl darin?« fragte Madame Wundel.

Die Frau bog das Päckchen hin und her, und als sein Inhalt sich weich anfühlte und biegen ließ, antwortete sie: »Es werden Handschuhe sein. Doch können wir das ganz genau erfahren: wir machen es einfach auf und sehen nach.«

Damit löste sie die rothe Schnur, machte das Papier auseinander, und Emilie erblickte mit leuchtenden Augen wenigstens zwei Dutzend feine Pariser Handschuhe von den verschiedensten Farben.

»Ah! die sind schön!« sagte sie. »Die Marie ist doch ein glückliches Mädchen, daß sie solche Sachen bekommt. – Ja, so eine Tänzerin!«

»Sie sind wirklich hübsch,« meinte die Becker. »Gefallen sie Ihnen, Mamsell Emilie?«

»Wem sollen die nicht gefallen! – Und das ist gerade meine Größe; siehst du, Mutter, nicht ein Tüpfelchen länger und breiter könnte ich sie brauchen.«

»So will ich Ihnen was sagen, thun Sie mir den Gefallen und nehmen ein halbes Dutzend von diesen Handschuhen von mir zum Weihnachtsgeschenke an.«

»Ah! das wäre zu viel, Madame Becker!« rief Emilie. »Hast du gehört, Mutter, ich soll ein halbes Dutzend von diesen prächtigen Handschuhen haben. Wie mich das glücklich macht! – Aber nein, ich kann's nicht annehmen, gewiß, ich kann's nicht annehmen; ich müßte mich schämen.«

Madame Wundel, welche befürchtete, es könnte der noch nie dagewesene Fall wirklich eintreten, daß ihre Tochter Emilie sich einmal schämen würde, etwas anzunehmen, trat nun mit ihrer Autorität dazwischen und sprach mit Ruhe: »Wenn die gute Frau Becker dir ein halbes Dutzend Handschuhe zum Geschenk machen will, so wäre es von dir unschicklich, sie nicht dankbarlichst anzunehmen.«

»Aber das st zu viel, Mutter, – ein ganzes halbes Dutzend!«

»Possen!« versetzte Madame Becker, die, wie der geneigte Leser wohl weiß, ihre guten Gründe hatte, sich die Familie verbindlich zu machen. – »Possen! nicht der Rede werth! – Hier sind sechs von allen Farben, und hier ist auch die Emballage und die Schnur. – Mädchen bleiben immer kleine Kinder; man muß sie zu allem zwingen.« Damit wickelte sie lachend die sechs Handschuhe in das weiße Papier, band noch zum Ueberfluß die rothe Schnur darum und überreichte sie mit einer graziös sein sollenden Handbewegung, wobei sie sagte: »Der Fräulein Emilie zum Weihnachtsabend«.

»Prächtig! prächtig!« lachte Madame Wundel. »Wie das die Frau Becker alles zu machen versteht! – Ja, ja! man sieht gleich, daß Ihr vornehme Bekanntschaften habt und viel mit guter Gesellschaft umgeht.«

Die Andere schloß affektirt ihre Augen, zuckte gewaltig die Achseln und erwiderte mit einem tiefen Seufzer: »Ach ja, es ist wahr, ich sehe viel vornehme Herren und es thut Einem wohl, wenn man so von den respektablen reichen Leuten geachtet wird wie ich. Aber man hat viel mit ihnen durchzumachen, o erschrecklich viel!«

Emilie hatte sich entfernt, um ihre Handschuhe aufzuheben, und da sie vorderhand Punsch und Kuchen genug erhalten, so blieb sie im Nebenzimmer, vielleicht auch blos aus Taktgefühl, indem sie sich wohl denken mochte, daß die beiden Frauen etwas zusammen zu sprechen haben könnten, wobei ihre Gegenwart überflüssig sei.

Madame Becker hatte auch diesen Augenblick benutzt, um die eben gehörten Klagen loszulassen. – »Ja schrecklich viel!« wiederholte sie jetzt.

»S–o–o?« fragte Madame Wundel. »Aber Ihr seid doch die Frau dazu, allen Anforderungen zu entsprechen.«

»O nicht immer, nicht immer. Ich stehe so allein in der Welt und habe Niemand, dem ich mich so recht anvertrauen kann, was ich zuweilen thun würde.«

»Seht Ihr, wie unrecht es von Euch ist,« sagte die Wundel mit einem Anflug von Rührung, »daß Ihr so wenig zu mir kommt. Haben wir nicht immer vortrefflich zu einander gepaßt, und haben wir uns nicht manchen guten Rath gegenseitig gegeben?«

»Ja, das ist wahr, Wundel,« erwiderte die Andere, »und als ich heute so über Manches nachdachte, und zu mir selber sprach: mit wem könntest du wohl Dieses oder Jenes überlegen? da standet Ihr auf einmal vor mir, ja ich sah Euch leibhaftig und es rief ordentlich: du hast ja die Wundel, die alte treue Seele! – Die Wundel, die immer offen und brav gegen dich war und die du schon als Kind gekannt. – Wißt Ihr noch, wie wir damals zusammen getanzt? – Ach Gott! wenn ich an die Zeit denke, so wird es mir ganz traurig zu Muth. – Und darauf kamen wir so weit auseinander, Ihr heirathet den seligen Wundel und ich meinen seligen Becker, und Ihr wißt wohl, daß die Beiden sich nie leiden konnten. – Du lieber Gott! ich will es Euch nur gestehen, der Wundel machte mir einmal ein wenig die Cour und da wurde der gute Becker eifersüchtig. – Nun, so sind einmal die Mannsbilder! Aber es waren beide ein paar brave Narren, und Gott weiß, wie es mich immer noch betrübt, daß sie dahin sind.«

Auch Madame Wundel schien dies nachträglich noch sehr zu betrüben, denn als sie sah, daß die Becker sich die Wangen wischte, bemühte auch sie sich unter Beihilfe des starken Punsches, ein paar Thränen ihren trockenen Augen zu entpressen.

»Also an Euch dachte ich,« fuhr die Andere fort, nachdem sich die Rührung gelegt, »und sagte zu mir: noch heute gehst du dahin und fragst bei der rechtschaffenen Wundel an, ob sie auch noch was von der früheren Freundschaft gegen dich im Busen fühlt.«

»Gewiß, Beckere,« entgegnete die Wundel mit einem unverkennbaren Schluchzen.

»Wirklich, Wundel, nun das freut mich.«

»Ich habe so oft an Euch gedacht.«

»Und ich erst!«

»In alter Freundschaft.«

Dabei erhoben die Weiber ihre frisch aufgefüllten Gläser, stießen auf ein gegenseitiges Wohl an und tranken darauf den warmen Punsch mit solcher Standhaftigkeit, daß ihre Köpfe ganz roth davon wurden.

»Ja, ja,« sagte die Becker nach einigem Stillschweigen, »es kommen mir oft Sachen vor, bei denen ich den Rath einer verständigen Frau brauchen könnte.« »So laßt mich zum Beispiel hören,« sprach Madame Wundel mit vieler Bescheidenheit.

»Ich habe da gerade eine Sache im Kopfe, die Euch aber nicht interessiren kann, da Ihr die Personen nicht kennt; aber die Verhältnisse könnte ich Euch mittheilen.«

»So laßt hören.«

»Da ist ein gewisser Staiger, – ich glaube so eine Art von Literat. – Aber was macht Ihr für ein sonderbares Gesicht?«

»Ah! den kenne ich ja!«

»Den kennt Ihr?« rief Madame Becker mit einem erkünstelten, aber gut gemachten Erstaunen. – »Ihr kennt den Staiger? – Nun, dann hat die Sache doppeltes Interesse für Euch. – Na, seht, das freut mich!«

»Er wohnt ja mir gerade gegenüber auf demselben Boden.«

»Das trifft sich prächtig! – Ist die Möglichkeit! – Da kennt Ihr auch wohl seine Tochter?«

»Die Tänzerin? – Puh!«

»Wie so puh?«

»Ein Fratz, ein hochmüthiger Aff!«

»Was der Tausend! – Das müßt Ihr mir später näher erzählen. – Hat sie Liebschaften?«

»Bis vor Kurzem gar nichts dergleichen.«

»Und jetzt –?« fragte die Becker besorgt.

»Seit einiger Zeit,« erwiderte Madame Wundel, »zeigt sich hie und da so was im Haus, ein junger Mensch, recht gut aussehend – er hat freilich mit dem Alten Geschäfte, aber uns macht man nichts weiß; wir kennen das.«

»Ja, wir kennen das,« sagte die Andere nachdenkend. – »Und wer ist der junge Mensch?«

»Seinen Namen weiß ich nicht, aber auf alle Fälle was Reiches und Vornehmes.«

»Wohl ein Offizier?«

»Das glaube ich nicht; nein, nein! auf alle Fälle Civilist. Oft fährt er in einer Droschke an.«

»Und das Mädel?«

»Ich weiß nicht, wie weit sie etwas mit ihm hat. Wißt Ihr, ich komme mit den Leuten selten in Berührung; die Clara kommt wohl zuweilen herüber –«

»So, sie kommt zuweilen?« fragte die Becker aufmerksam.

»Freilich; aber ich spreche natürlicherweise nie mit ihr etwas dergleichen, bekümmere mich auch um die ganze Wirthschaft nicht, meine Emilie aber – für die Mädchen ist so etwas interessant – hat ein paarmal scharf aufgepaßt und sie an der Treppe gesehen, wie sie Abschied nahmen.«

»Nun?«

»Und dabei bemerkt, daß etwas im Spiele ist.«

»Und ging das Abschiednehmen recht innig vor sich?«

»Das nun gerade nicht; ein einziges Mal habe er sie auf die Stirne geküßt, und da habe sie sich losgerissen und sei hastig in's Zimmer zurückgeeilt. Gewöhnlich blieb es beim Küssen der Hände.«

»Ei, sie sind noch am Händeküssen,« sagte bedenklich Madame Becker. »Das ist mir nicht lieb, da hält sie ihn gewaltig in Respekt und hat tiefe Absichten.«

»Ja, die hat freilich Absichten. – Wie ich Euch schon sagte, ein hochmüthiger Fratz. Ich glaube, wenn der ein Prinz die Cour machte, so bildete sie sich ein, er würde sie heirathen.«

»Das thun die meisten,« versetzte lächelnd Madame Becker, »ich versichere Euch, die Hoffnung, mit der so ein Mädchen erfüllt ist, und die Leichtgläubigkeit, mit der sie in ihrer Einbildung die unüberwindlichsten Hindernisse wegräumt, das ist ganz erstaunlich. – Aber Ihr wißt nicht, wer dieser junge Mensch ist?«

»Nein, ich kann's nicht sagen; Emilie meint, es sei ein Künstler, wißt Ihr, kein so armer Schlucker, sondern was Ordentliches.«

»Das Mädchen ist schön?«

»Das kann man nicht leugnen.«

»Und nachsagen kann man ihr eigentlich auch nichts?«

»Bis jetzt nicht das Geringste.«

»Schlimm! schlimm!« seufzte Madame Becker und versank in tiefes Nachdenken, während sie, unhörbar für die Andere, zu sich selber sprach: »Die Kommission soll der Teufel holen. – Aber ich habe es mir gleich gedacht, bin ja schon ein paar Mal tüchtig bei dem Mädel angelaufen, und jetzt, wo sie eine kleine Liebschaft angefangen hat, eine Liebschaft, welche die schlaue Theaterprinzeß recht ausbeuten zu wollen scheint, da ist nichts zu machen. Schlimm! schlimm! – Würde mir auch wahrhaftig kein graues Haar darüber wachsen lassen, wenn nicht das verfluchte Siegel auf dem Briefe gestanden wäre: vor ihm muß ich mich in Acht nehmen. – Aber ich sehe da keine Möglichkeit.«

Während Madame Becker so gedankenvoll dasaß, hatte sich die Andere mit einem neuen Glase Punsch gestärkt und auch das ihres Gastes wieder angefüllt und diesem hingeschoben. – »Na, Beckere,« sagte sie dabei, »was hat Sie denn auf dem Herzen? – Warum so verschlossen? – bin denn ich nicht Eure gute Freundin? Wenn Euch was quält, sagt mir's doch; vielleicht weiß ich irgend eine Hilfe.«

Madame Becker schüttelte den Kopf und sprach, indem sie nach einem tiefen Seufzer das Punschglas ausschlürfte: »Sieht Sie, Wundel, das betrifft eine von meinen geheimnißvollen Geschichten, das ist was aus vornehmer Gesellschaft, eine der schwierigen Kommissionen, mit denen ich arme Frau immer geplagt bin. Und dazu gehört Verstand, sehr viel Verstand; und auch der hilft zuweilen nichts.«

»Ja, wenn der Verstand allein helfen würde,« sprach die Wittwe mit einer unterthänigen und ehrerbietigen Miene, »da würde es Euch niemals fehlen, davon bin ich überzeugt. Gewiß, ich bewundere Euch oft, wenn Ihr alle die Geschichten so allein ausmachen könnt.«

»Uebung,« erwiderte Madame Becker, augenscheinlich von diesem Lobe geschmeichelt – »Uebung und ein wenig Umsicht. Aber hier habe ich eine Geschichte, bei der hilft alles das nicht.« Sie seufzte abermals tief auf.

»Nun, so laßt mich's hören; eine unbedeutende Person, wie ich bin, weiß auch zuweilen Rath,« schmeichelte die Wundel, welche sehr neugierig auf die Geschichte war.

Da nun auch der Punsch die Zunge der anderen würdigen Frau sehr gelöst hatte, so erzählte sie denn, was der geneigte Leser bereits weiß, von einem Brief, den sie erhalten von Jemand, der die Bekanntschaft der Tänzerin machen wollte. Natürlicherweise nannte sie keinen Namen – »Man ist dergleichen thörichte Wünsche von den jungen Herren schon gewöhnt,« fuhr sie fort, »und wenn es nicht geht, so schüttelt man sein Ohr darnach. Aber hier ist ein besonderer Fall, ich habe meine dringenden Gründe, Allem aufzubieten, um jenem Herrn gefällig sein zu können. – Da habt Ihr die ganze Sache! Ihr kennt nun besser als ich die Jungfer Clara und könnt selbst beurtheilen, daß da nichts zu machen ist, und ich wohl Ursache habe, verdrießlich zu sein. – Schade! schade! es wäre ein so schönes Geschäft geworden.«

»Wirklich ein schönes Geschäft?« fuhr Madame Wundel fort, indem sie sich so weit als möglich über den Tisch hinüber zu ihrer Freundin beugte. »Also wäre was Tüchtiges dabei zu verdienen gewesen?«

Madame Becker schnalzte statt aller Antwort mit der Zunge und blickte nachdenkend an die Zimmerdecke.

»Ja, ja,« fuhr nun Madame Wundel eifrig fort, »zu überreden ist die da drüben nicht; ich bin überzeugt, wenn man nur ein Wort von so was spräche, sie käme außer sich.«

»Das weiß ich.«

»Und jetzt, wo sie die dumme Liebschaft angefangen hat, ist gar nichts zu machen; wenn man die beiden nur auseinander bringen könnte! Sollte man ihn nicht vielleicht eifersüchtig machen?«

Die Andere zuckte mit den Achseln. »Das erfordert viel Zeit,« sagte sie, »und nützt am Ende doch nichts. – Schade! schade! da wären für jeden Helfer ein paar Karolin herausgesprungen.«

»Für jeden Helfer?« fragte gierig Madame Wundel. »Aber könnte man mit List nichts anfangen?«

»Wie so mit List?«

»Nun, ich spekulirte zum Beispiel einmal aus, wenn drüben Alles fortgegangen und sie allein zu Hause ist, was zuweilen vorkommt.«

»Und dann?«

»Dann benachrichtigt man ihn davon, und er soll sein Glück versuchen. Am Ende kann man doch mit so einem Mädel fertig werden.«

»Geht nicht!« erwiderte die Becker kopfschüttelnd. »Dazu ist jener Herr zu anständig, wißt Ihr, auch zu vornehm. – Und dann, wie könnte man hier so was riskiren. – Ja, wenn ich sie in meiner Kaserne hätte,« fuhr sie lächelnd fort, »rechts und links, oben und unten leere Zimmer, und wo man schon gewöhnt ist, auf ein bischen Geschrei nicht zu achten, da ginge so was. – Aber hier; wo denkt Ihr hin?«

»Und zu Euch läßt sich die nicht hinlocken?«

»Eher zum Teufel! – Nein, ich gebe die ganze Sache dran; man kann sich da auch garstig die Finger verbrennen.«

»Aber der Gewinn!« sagte seufzend Madame Wundel.

»Ich hätte gern was für Euch herausgeschlagen, und da wäre es, wie schon gesagt, auf ein paar Karolin nicht angekommen.«

Madame Wundel versank in tiefes Nachsinnen, während sich die Andere ein Stück Kuchen herunterschnitt und langsam verzehrte. Dabei sahen die Züge der Hauswirthin nachdenkend und finster aus, und sie fuhr sich zuweilen mit der Hand über die Stirne, woraus man wohl entnehmen konnte, daß sie ihren Kopf abmarterte, um einen Weg zu den verheißenen Goldstücken zu finden.

Nachdem die Weiber so einige Minuten lang stumm einander gegenüber gesessen hatten, schienen die tiefen Betrachtungen der Wundel von einem Erfolge gekrönt zu werden; ihre Augenbrauen hoben sich in die Höhe, ihr Mund zog sich in die Breite, endlich patschte sie mit der Hand schwer auf den Tisch, so daß ihr Gegenüber erschrocken auffuhr, und sagte mit triumphirendem Tone: »Beckere, ich hab's! Seht Ihr, es war doch klug, daß Ihr Euch an mich gewendet habt.«

»Nun, was habt Ihr denn?« fragte erstaunt die Andere.

»Ich unternehme die Geschichte.«

»Wie so?«

»Ich unternehme sie ganz allein; ich liefere Euch das Mädel, wohin Ihr sie haben wollt.«

»Ah! geht mir weg, Wundel! Ich glaube, der Punsch war zu stark. – Macht doch keine Flausen.«

»Nichts von Flausen; wollt Ihr mir freie Hand lassen und – denn das versteht sich ganz von selbst, – etwas Ordentliches vom Profit versprechen?«

»Aber so sagt mir erst –«

»Sagen kann ich nichts,« entgegnete die Andere, indem sie sich die Hände rieb; »mir ist auf einmal ein Licht aufgegangen, und so kann es gehen. Wie gesagt, seid froh, daß Ihr zu mir gekommen. Mir ist der Weg, den wir einschlagen müssen, jetzt ganz klar. Wißt Ihr, wenn man so lange in einem Hause zusammen wohnt, wie ich und die Staigers, da lernt man sich genau kennen; und wenn es Einem auch nicht gleich einfällt, mit ein bischen Nachdenken kommt man doch schon an einen Haken, wo man anbandeln kann. – Aber,« fügte sie mit emporgezogenen Augenbrauen hinzu, »etwas Geld brauche ich. Ihr sollt zu Eurem Zweck kommen, müßt aber nicht knickerig sein.«

»Wenn ich zu meinem Zweck komme,« entgegnete Madame Becker nicht ohne einen Anflug von Mißtrauen, »so kommt es mir auf ein paar Thaler mehr oder weniger nicht an. Aber Ihr solltet mir doch sagen, wie Ihr das anstellen wollt; ich bin auch in der Praxis ziemlich bewandert, aber im vorliegenden Fall geht mir der Faden aus.«

»Ihr traut mir nicht recht,« bemerkte lächelnd Madame Wundel, die den forschenden Blick ihrer Freundin wohl verstanden. – »Aber was habt Ihr dabei zu riskiren? Höchstens ein paar lumpige Thaler, die ich zur Einleitung des Geschäfts brauche; die Hauptsache zahlt Ihr mir, wenn Alles vorüber ist.«

»Das läßt sich allenfalls hören.«

»Und wie viel bekomme ich alsdann später?«

»Nun, was meint Ihr zu zwei Karolin, wie ich vorhin sagte?«

»Und vorher ein paar Thaler, die ich nothwendig brauche.«

»Meinetwegen auch. – Und wie viel denn?«

»Nun, ich denke vier Thaler, die ich dann aber sogleich brauche, damit ich morgen an's Geschäft gehen kann.«

»Ihr seid ein merkwürdiges Weib,« sprach vergnügt lächelnd Madame Becker; »wenn Ihr haltet, was Ihr versprecht, so habe ich eine große Achtung vor Euch. – Aber seht Euch vor, daß Ihr in keine Ungelegenheit kommt; und etwas bitte ich mir aus: mein Name darf nicht genannt werden, denn wißt Ihr, wenn ich eine Sache nicht selbst in der Hand behalte, so kann ich auch nicht dafür einstehen.«

»Das versteht sich; seid unbesorgt. Unser Vertrag ist ganz einfach; ich bekomme heute die vier Thaler, ich lasse Euch in einigen Tagen sagen: Alles ist fertig, Ihr könnt um die und die Stunde den Wagen schicken, Ihr thut so, ich besorge sie hinein, und dann hat er nach Eurer Anweisung zu fahren, wohin er soll. Läuft Alles glücklich ab, so erhalte ich am andern Tage meine zwei Karolin. – Ist's so recht?«

»Dagegen kann ich nichts einwenden,« erwiderte Madame Becker. »Und damit Ihr seht, wie bereitwillig ich bin, den Kontrakt einzugehen, so habt Ihr hier die vier Thaler.«

Sie zog bei diesen Worten eine kleine Börse aus der Tasche und legte das Geld in vier Stücken hin, welche Madame Wundel vorher genau auf beiden Seiten besah, ehe sie dieselben still lächelnd in ihre Tasche steckte.

Hiermit nahm die Unterredung ein plötzliches Ende, denn erstens war die Sache abgemacht, und zweitens kam Emilie, vor welcher Madame Becker überhaupt nicht gerne mit der Sprache herausgegangen wäre, wieder aus dem Nebenzimmer zurück. Da es auch mittlerweile spät geworden war und sie ihren Zweck erreicht zu haben glaubte, so affektirte sie etwas Müdigkeit und stand nach einigem vergeblichen Nöthigen der Hauswirthin, doch noch dableiben zu wollen, mit einem unterdrückten Gähnen auf und versicherte, es sei endlich Zeit, daß sie nach ihrem Hauswesen sehe. – »Marie wird von einer Bekannten, bei der sie den Abend zugebracht, schon lange nach Hause zurückgekehrt sein und nicht wissen, wo ich eigentlich bleibe.« – – Da sie nun auf keine Weise zu bestimmen war, noch länger in der, wie sie sagte, so angenehmen Gesellschaft ihrer guten Freundin zu verharren, so wickelte sie die noch übrigen Handschuhe in ein Stück Druckpapier ein, das auf dem Tische lag; Emilie Wundel zündete ein Licht an und begleitete den Gast bis auf die untere Treppe, wo beide von einander einen recht freundlichen Abschied nahmen.

Madame Wundel hatte die vier Geldstücke wieder aus ihrer Tasche heraus genommen, sie vor sich hingelegt und mit einem triumphirenden Lächeln angesehen. Sie wollte augenscheinlich ihre Tochter damit überraschen, denn sie war eine gute Mutter, die mit ihren Kindern so weit als möglich Alles gemeinschaftlich genoß und namentlich vor ihrer Aeltesten keine Geheimnisse hatte. Deßhalb zeigte sie auch, als Emilie wieder in's Zimmer trat, freundlich lachend auf die vier Thalerstücke, indem sie sagte: »Nun, was meinst du dazu? – Verstehe ich es, Jemand was auszupressen? – He!«

»Und das hast du von der Becker?« fragte verwundert die Tochter. »Was der heute überfahren ist, begreife ich nicht; geht da her und schenkt mir ein halbes Dutzend neue Handschuhe. Ist dir je so was vorgekommen?«

»Und mir vier Thaler!«

»Auch geschenkt?«

»Eigentlich nicht: ich will sie redlich verdienen.«

Emilie sah ihre Mutter fragend an.

»Schließ' die Thüre,« fuhr diese fort, »und setze dich daher; ich will dir was mittheilen, aber natürlicherweise halte mir reinen Mund, das ist ein Geheimniß; sprich auch mit der Louise nicht darüber.«

»Mit der am allerwenigsten,« antwortete Emilie mit geringschätzender Miene. Damit schloß sie die Thüre und setzte sich zu ihrer Mutter hin, welche sich noch ein neues Glas Punsch gemacht hatte und als ökonomische Frau den, welchen Madame Becker hatte stehen lassen, in das Glas ihrer Tochter goß.

»Apropos!« sagte sie darauf, während sie ihre Hände behaglich übereinander legte, »du kennst doch von den Mädchen der Putzmacherin an der Ecke der Kastellstraße die hübsche schlanke mit dem dunkeln Haar? – Sie ist meistens im Laden. Weißt du?«

»Ach ja, ich erinnere mich.«

»Wenn du die siehst, fällt dir da nichts ein?«

»Was soll mir da einfallen?« erwiderte Emilie nachdenkend.

»Nun, ich meine, erinnert sie dich mit ihrer Figur und ihrem Gesicht nicht an Jemand? – Besinne dich, es ist mir das von großer Wichtigkeit.«

»O, da brauche ich mich nicht lange zu besinnen,« sagte die Tochter, die einigermaßen verwundert war über die seltsamen Fragen ihrer Mutter; »die gleicht der Clara Staiger, und das auf merkwürdige Art.«

»Nicht wahr?« rief Madame Wundel. »Sind die beiden nicht zum Verwechseln?«

»Gewiß, für Jemand, der sie nicht ganz genau kennt,« erwiderte Emilie. – »Aber was willst du damit?«

»Nun, ich will die beiden auch verwechseln,« entgegnete lachend die Mutter. Woraus sie ihrer Tochter mit kurzen Worten die Verlegenheit auseinandersetzte, in welcher sich ihre würdige Freundin, die Madame Becker, befand. »Daß nun,« sagte sie schließlich, »mit dem hochmüthigen Fratz da drüben nichts zu machen ist, das weißt du so gut wie ich. – Aber zwei Karolin sind auch kein Spaß, und obendrein setze ich mich bei der Becker in großen Respekt und kann noch öfters ein Geschäft mit ihr machen.«

»Vielleicht können wir noch öfters Geschäfte mit ihr machen,« versetzte nachdenkend die Tochter.

»Nun, siehst du also,« fuhr Madame Wundel fort, »die Putzmacherin kenne ich; die ist zu Allem bereit; ich theile ihr so viel mit, als sie zu wissen braucht, natürlicherweise nicht, daß sie für eine Andere gilt. Man läßt sie an dem bezeichneten Abend hierher kommen, und von unserer Hausthüre fährt sie weg. Wenn es möglich wäre, daß man unter irgend einem Vorwand von der Clara da drüben ihr Umschlagtuch für den Abend entlehnen könnte, so wäre es außerordentlich gut.«

»Das läßt sich wohl machen; wir müssen die Louise hinüberschicken, der thut sie schon was zu Gefallen.«

»Dann schärft man ihr ein, daß sie dicht verschleiert bleibt und ein ziemlich dunkles Zimmer verlangt, dann kann sie sich entschleiern, soll aber nicht viel sprechen.«

»Und du glaubst, daß das gelingen wird?«

»Gewiß! Er kennt sie wahrscheinlich nicht genau; und dann die Ueberraschung, die Freude, was weiß ich Alles? Ich glaube nicht, daß man was merkt. Und wenn er auch am andern Tage Verdacht schöpft und Nachforschungen hält, so helfen wir uns durch, so gut wir können und bleiben steif und fest dabei, es sei die Clara gewesen. Dann soll die Becker sehen, wie sie mit ihm zurecht kommt.«

»Und mich sollte es obendrein noch freuen,« sprach boshaft die Tochter, »wenn es der naseweise junge Mensch später erführe, und sie in ein recht schlechtes Licht bei ihm käme. Das geschähe ihr schon recht, dem hochmüthigen Affen, der aufgeblasenen Theaterprinzeß!« –

 


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