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61. Die Soirée des Kriegsministers

Wenn bei Seiner Excellenz dem Kriegsminister große Soiréen stattfanden, was im Laufe des Winters mehrmals vorkam, so wurden hiezu die unteren Apartements des palastähnlichen Hauses, die sonst immer verschlossen waren, geöffnet. Sie bestanden aus einem großen Tanzsaal mit Nebenzimmern zu allen möglichen Zwecken; hier konnten die Tänzer ausruhen, dort konnten Mütter und andere Anverwandte sich einer angenehmen Konversation hingeben und doch mit einem einzigen Blick den Ballsaal und somit ihre Töchter und Schutzbefohlenen übersehen. Etwas entfernter von der rauschenden Musik waren Konversations- und Spielzimmer, sowie auch ein Gemach, dessen schwere eichene Tische mit Albums aller Art und illustrirten Werken überladen waren.

Wie wir bereits wissen, verband der kleine Wintergarten das Haupthaus mit dem Hintergebäude, wo der junge Graf Fohrbach wohnte. An solchen Abenden aber wie der heutige war nicht blos der Blumengarten geöffnet, beleuchtet und zum Eingang von Gästen eingerichtet, sondern das Apartement des jungen Grafen mit Ausnahme des Schlafzimmers in die ganze Reihe hineingezogen, und es wurde hier gewöhnlich soupirt.

Wenn man nun vor Beginn der Soirée durch die ganze Zimmerreihe dahin schritt, wo die hohen Wachskerzen soeben angezündet waren und der Glanz ihrer Lichter noch durch keinen Staub getrübt wurde, wo die Blumen in den Ecken und auf den Tischen noch in ihrer ganzen Frische prangten, wo sich die Möbel der verschiedenen Zimmer und Salons noch in jener gut berechneten Unordnung befanden, die dem Auge so wohl thut, wenn die reine Atmosphäre noch versüßt war durch den Duft der Blumen und Gesträuche aus dem geöffneten Wintergarten, – so mußte man sich gestehen, daß dies Apartement, wenn auch wohl in der Größe und Ausdehnung manchem andern nachstehend, doch an zierlicher Eleganz, Geschmack und Lieblichkeit gewiß weit und breit seines Gleichen vergeblich suchte. Namentlich machte es dem jungen Grafen vieles Vergnügen, seinen ersten großen Salon, der an das Gewächshaus stieß, immer wieder auf eine neue Art zu dekoriren und einzurichten.

Heute nun schien er eine Fortsetzung des Wintergartens zu sein, und wenn man hineintrat, so glaubte man in ein großes Gewächshaus zu kommen. Alle Ecken waren mit dichten Gebüschpartien besetzt, von welchen sich nach verschiedenen Seiten hin Blumen und Sträucher in das Zimmer hinein zogen, so daß sie dasselbe in eine ganze Menge kleiner Pflanzenkabinete abtheilten. Diese nun waren auf das Mannigfaltigste möblirt; hier bot eins Platz für zehn und zwölf Personen, dort vielleicht für fünf und sechs, weiterhin aber sah man recht lauschige Plätzchen, wo nur ein einsamer Sopha oder zwei Fauteuils standen, wie geschaffen zu einem heimlichen Zwiegespräch. Einen Kronleuchter hatte der Salon nicht; er würde auch die ganze Wirkung dieses künstlichen Gartens zerstört haben. Zwischen den Blumenpartien, namentlich aber am Ende derselben, standen kleine Postamente und auf diesen Lampen, welche über die Pflanzen emporragten oder zwischen ihnen durchschimmerten. Die Kugeln dieser Lampen waren mit künstlichen, gemachten und transparenten Blumen umgeben, die nun aus dem dunklen Grün magisch hervorleuchteten, hier ein Bouquet riesenhafter, glühender Rosen darstellend, dort einen Strauß anderer sanft schimmernder Blüthen, oder weiterhin eine Partie weißer, glänzender Lilien.

Auch zu Anfang des Balles, wo sich Alles in den vorderen Zimmern befand, war hier ein recht heimlicher, anmuthiger Aufenthalt. Da hörte man aus weiter Entfernung das Murmeln der Stimmen, die Akkorde der Tanzmusik, oder, wenn diese einen Augenblick schwieg, das sanfte Plätschern der Springbrunnen in dem anstoßenden Wintergarten. Doch ließen sich wenige Gäste hier nieder; man spazierte nur hindurch, um die schönen Arrangements zu bewundern und zog sich hierauf wieder nach dem vorderen Theile des Apartements zurück, weil dort Tanz und Spiel zu finden war, und weil, wie Jedes wußte, der zierliche Salon des jungen Grafen für die allerhöchsten Herrschaften so zu sagen reservirt war, wohin sich diese auch häufig mit einzelnen auserwählten Vertrauten zurückzogen.

Wenige Minuten nach acht Uhr hatte übrigens das ganze Apartement am heutigen Abend den Reiz der Einsamkeit und auch schon theilweise der Frische verloren und diente nur noch zu dem Aufenthalt eines wahrhaft fabelhaften Glanzes, der sich in seinen Räumen ausbreitete.

Vor dem Tanzsaale empfing der Kriegsminister die hohen Herrschaften, wobei der alte Herr mehrere tiefe Verbeugungen machte, die bald mit vertraulichem Gruß und einigen freundlichen Worten erwidert wurden, bald auch nur mit einem steifen und sehr vornehmen Nicken des Kopfes, je nachdem man damit eine größere oder kleinere Gnade andeuten wollte.

Nachdem so der allgemeine Empfang vorüber war, zu welchem sich Alles, was auf das Recht bemerkt zu werden Anspruch machen konnte, in den Vorzimmern und dem Eingang des Tanzsaales zusammengedrängt hatte, lösten sich die Anwesenden in einzelne Gruppen auf, die hohen Personen hielten in den verschiedenen Zimmern ihre kleinen oder großen Cercles, die jungen Herren und Damen folgten der rauschenden Tanzmusik, die alten Excellenzen und sonstigen Würdenträger zogen sich in die Spielzimmer zurück, und jene Eingeladenen, deren schwarze Fräcke schon mehreren Moden siegreich widerstanden, deren weiße Westen etwas zu kurz, die Handschuhe dagegen etwas zu lang waren, tapezierten die Wände, standen, in der Absicht, auffallend bescheiden und schüchtern zu sein, Jedermann im Wege, traten sich gegenseitig auf die Füße, machten vor jedem Stern einen tiefen Bückling, wobei sie nicht selten von hinten mit einer alten Dame sehr unangenehm karambolirten, und schwammen im Allgemeinen für sich und Andere sehr unerquicklich auf der Woge dieses glänzenden Lebens dahin, bis sie endlich von der gewaltigen Fluth in ein entferntes Nebenzimmer geschleudert wurden, um hier in irgend einer Ecke ruhig zu warten, bis sie mit Anstand verschwinden konnten; oder um ein paar Stunden lang mit großer Geduld und Ausdauer verschiedene Albums zu durchblättern, wobei sie sehnsüchtige Blicke auf die Uhr warfen und schmerzliche auf ihre Füße, deren Hühneraugen unter den engen Schuhen von Glanzleder entsetzlich brannten und schmerzten.

Im Uebrigen war jetzt der Ball vollkommen en train; man tanzte, man lachte, man spielte, man unterhielt sich, und dabei rauschten Kleider und Bänder, glänzten Diamanten, Perlen und Sterne, glühten frische Wangen und funkelten schöne Augen.

Der geneigte Leser wird in dem Gewühle hier und in allen Theilen des Apartements viele seiner Bekannten wieder finden: in dem Spielzimmer die Excellenzen, denen er im königlichen Vorzimmer begegnete, hier aber ihrer würdevollen Mienen sowie der Uniform entkleidet, und dagegen angethan mit dem schwarzen Frack, der weißen Weste, über welcher das breite, farbige Ordensband glänzt; – sowie auch den Herrn von Dankwart, der sich bemüht in alle Karten zu schauen, über das Spiel im Allgemeinen zu sprechen, oder hie und da gute Rathschläge im Einzelnen zu ertheilen, die ihm aber höchstens einen erstaunten Blick eintragen.

Im Tanzsaale finden wir den Major von S., der, obgleich über die Jahre des Tanzens schon fast hinüber, sich doch neulich auf heute Abend zu einem Walzer verpflichtete, ein Leichtsinn, den er nun im Schweiße seines Angesichts abbüßen muß; den nunmehrigen Regierungsrath Eduard von B., der es an der Zeit findet, sich gründlich unter den Töchtern des Landes umzuschauen; – sowie auch abermals den Herrn von Dankwart, der, ohne selbst zu tanzen, über diese Kunst im Allgemeinen sehr gründlich abspricht und einzelnen jungen Damen Rathschläge ertheilt, die aber bei den Schönen und Gesuchten ein vornehmes Achselzucken, bei den Bescheidenern und minder Hervorragenden ein leichtes mitleidiges Lächeln hervorbringen.

In den entfernteren Zimmern, an den Tischen mit den Albums sehen wir jene Herren mit den altmodischen Fräcken, Beamte des kriegsministeriellen Departements, junge, noch schüchterne Offiziere und Künstler; – sowie auch wieder den Herrn von Dankwart, der hier als Protektor und Kritiker auftritt, sich so hoch streckt, als es seine kleinen Beine erlauben, die Nase gewaltig erhebt und mit großer Bescheidenheit versichert, wenn auch seine Anwesenheit in hiesiger Stadt im Allgemeinen noch von keinen großen Folgen gewesen sei, so müsse er sich doch selbst zugestehen, daß sein Urtheil, sein Lob und Tadel auf dem Gebiete der Kunst schon außerordentliche Früchte getragen. – »Man fürchtet sich vor mir,« sagte er, »man weiß, wie ich nur das Gute schätze, aber dem Mittelmäßigen streng entgegentrete; man muß es anerkennen, daß ich die Aufmerksamkeit der Frau Herzogin auf manches bisher unbekannte Talent gelenkt, und daß ich so zu sagen Künstler erzogen habe, die es noch zu etwas Großem bringen werden, wenn sie wie bisher meinen Winken und Rathschlägen Folge leisten.«

Im Wintergarten finden wir einige Hofdamen, die plaudernd auf- und abgehen, bald vor dieser Blumengruppe, bald vor jener bewundernd stehen bleiben, während sie häufig ausrufen: »Charmant! – köstlich! – deliciös!« – die dabei ihre weißseidenen Roben sehr in Acht nehmen, damit sie nicht an irgend ein nasses Blatt streifen, und die Alle mit dem Fächer wedeln, sobald Eine die Bemerkung macht, in dem Saale sei es unerträglich heiß; – sowie auch den unvermeidlichen Herrn von Dankwart, der über Blumenzucht im Allgemeinen spricht, auch recht anerkennend über den Gärtner des Kriegsministers urtheilt, im Einzelnen aber die bündige Erklärung abgibt, daß, obgleich hier viel für Blumenzucht geschähe, die hiesigen Gewächshäuser doch keinen Vergleich aushalten könnten mit denen, die er zu Haus verlassen, und daß, ohne ungerecht zu sein, was Pflanzen und Blumen anbetreffe, hier sich gegen dort wie Sibirien zu Italien verhalte.

Im Salon des jungen Grafen ist dieser selbst und nimmt freundlich und bescheiden die ausschweifenden Lobsprüche einiger alten Hofdamen in Empfang, die ihn versichern, so etwas Magnifikes und wirklich Graziöses noch nie gesehen zu haben; – sowie auch der Herr von Dankwart, der lächelnd hinzutritt und dem Grafen vertraulich auf die Schulter klopfen will. Es bleibt jedoch bei dem Versuche, denn Graf Fohrbach macht eine entschieden rückgängige Bewegung, von einem sonderbaren Blicke begleitet, was aber den Herrn von Dankwart durchaus nicht abzuschrecken scheint; denn er nähert sich abermals, reibt seine Hände, und sagt, indem er sich auf den Fußspitzen wiegt: »Bei Gott! dieser gute Graf hat etwas gelernt. Gestehen Sie, Ihnen hat der Salon der Fürstin X. bei uns vorgeschwebt und Sie haben den hiesigen darnach gebildet, aber wirklich mit vielem Geschmack und Eleganz. Wahrhaftig, Graf Fohrbach, Ihr Geist ist ein dankbares Feld für Bemerkungen, die man Ihnen gelegentlich macht; Sie haben da meine Idee mit den transparenten Blumen vortrefflich benützt, – in der That, vortrefflich benützt. Nur wissen Sie, was ich hie und da noch besser gemacht hätte? – Zwischen dem Grün hindurch ein Bouquet Wachskerzen. Ich versichere Sie, der Glanz der Lichter zwischen den Blättern macht eine fabelhafte Wirkung. So war es auch bei der Fürstin X., das allein haben Sie vergessen.«

So plauderte Herr von Dankwart unermüdlich fort und eilte dabei mit außerordentlicher Beweglichkeit, ohne auf seine Reden irgend eine Entgegnung abzuwarten, zu den verschiedenen Gruppen, wo er Wachslichter angebracht zu haben wünschte, und als er sich endlich wieder zu der Gesellschaft umdrehte, bemerkte er, daß Alle das Zimmer verlassen hatten bis auf eine alte Gräfin, die ihm mit wahrer Bewunderung zuzulauschen schien, denn sie war von der Frau Herzogin sehr abhängig und erhielt durch die Hand des Herrn von Dankwart vertraulicher Weise manche Unterstützung.

Im Vorzimmer, um bis an das Ende des Apartements zu gehen, sah man die Dienerschaft des Hauses die Erfrischungen herrichten, und die Limonaden sowie das Gefrorene vorher heimlicher Weise versuchen, ob es auch wohl würdig sei, den Gästen präsentirt zu werden; – sowie auch den Herrn von Dankwart, der eigentlich hieher gehörte, und der einem Kammerdiener anempfahl, es ihm ja augenblicklich zu melden, sobald der Wagen der Frau Herzogin vorgefahren sei.

Einen unserer Bekannten suchten wir bis jetzt überall vergebens, den Herrn von Brand nämlich, der aber eingeladen und auch erschienen war. Doch fanden wir ihn nicht, weil er, wie der Herr von Dankwart, bald hier bald dort war, übrigens eine ganz andere Rolle spielend; denn während Dieser sich vordrängte, viel sprach und also leicht bemerkbar war, zog Jener sich zurück, knüpfte fast gar keine Unterhaltungen an und schien nur aus der Ferne dies und das zu beobachten.

Jetzt näherte er sich dem Spielzimmer, trat aber dort sogleich in eine Fensternische und ließ sich auf einem kleinen Fauteuil nieder, der ihn durch den daneben herabhängenden Vorhang fast ganz verbarg.

Es waren in diesem Zimmer drei Spieltische aufgestellt, und man arbeitete fast überall mit dem Strohmann; doch war der Stuhl desselben fast nirgendwo unbesetzt, und wenn sich ein Zuschauer von demselben erhob, so nahm gleich ein anderer darauf Platz.

An dem Tische, der dem Baron zunächst stand, saß Seine Excellenz der Oberststallmeister, der Hofmarschall, sowie ein kleiner alter, vertrockneter Herr, dessen Bekanntschaft wir noch nicht gemacht. Er hatte ein spitziges Gesicht von unangenehmem Ausdruck, tief liegende, trübe Augen, wenig Zähne und auf dem Kopfe eine Perücke, deren Farbe offenbar zu dunkel abstach gegen seine fahle, verlebte Gesichtsfarbe. Der alte Herr saß mit ziemlich gekrümmtem Rücken da und bückte sich bei jeder Karte, die ein Anderer ausspielte, noch tiefer hinab, wobei er die Augen blinzelnd zusammen kniff. Zuweilen bediente er sich auch einer Lorgnette, die neben ihm lag, um einen etwas entfernten Stich betrachten zu können. Seine Finger waren unendlich mager und zitterten oftmals so heftig, daß er mit der rechten Hand nachhelfen mußte, um die in Unordnung gerathenen Karten wieder aufzurichten.

Wenn wir dem geneigten Leser sagen, daß er von seinen Mitspielenden mit »Excellenz« angeredet wurde, daß er über der weißen Atlasweste ein breites Band trug, sowie auf dem schwarzen modischen Frack einen blitzenden Stern, so wird derselbe versichert sein, daß wir ihn soeben mit einer sehr vornehmen Person bekannt gemacht haben.

Es war dies Seine Excellenz, der in dieser Geschichte schon einige Mal erwähnte pensionirte General-Adjutant Baron von W., in seiner Jugend ein gewaltiger Eroberer in mancherlei Beziehungen, jetzt nur noch eine alte, verdrießliche Ruine, die nur in solchen Augenblicken etwas freundlicher aussah, wenn sie von der Sonne allerhöchster Huld und Gnade beschienen wurde.

Neben ihm, auf dem Platze des Strohmanns, saß seine Frau, die Baronin W., und man konnte sich keinen größern Kontrast denken, als dieses Ehepaar darstellte. Sie war eine schöne Frau in den Zwanzigen, hatte volle, schwellende Formen, einen unbeschreiblich weißen, aber sehr blassen Teint und die schönsten hellblonden Haare, die man sehen konnte. Die Baronin war einfach in hellblaue Seide gekleidet; ihr Schmuck war unbedeutend und bestand nur in Perlen, die sie am Armband und in den Ohrringen trug. Sie war, wie gesagt, heute noch eine der reizendsten Erscheinungen, mußte aber vor Jahren wunderbar schön gewesen sein, als sich die Frische der Jugend noch in den Formen ihrer Gestalt ausdrückte und als ihr jetzt etwas umflortes Auge noch im vollen Glanze strahlte. Sie war etwas stark geworden und ihre Augenlider hatten eine eigentümliche Färbung, dunkler als die Stirne lag über ihnen ein Schimmer von Rosa und Braun, welches aber das Gesicht durchaus nicht entstellte, ja es womöglich noch anziehender und interessanter machte. Wie schon gesagt, saß sie an der Stelle des Strohmannes und hatte den vollen weißen Arm so auf die Ecke des Tisches gelegt, daß der Fächer, der am Handgelenke befestigt war, frei herab hing und hin- und herschwebte, welches Spiel sie angelegentlich zu betrachten schien. Zuweilen aber, wenn Seine Excellenz einen Ton des Mißfallens oder der Freude hören ließ, hob sie die müden Augenlider empor und schaute über die Karten hin, wobei ein leichtes Lächeln um ihren Mund spielte, wenn sie den Blicken des Gemahls begegnete.

Der Herr von Brand saß so in seiner Ecke, daß ihm Seine Excellenz der General-Adjutant den Rücken zudrehte, er dagegen der Baronin in's Gesicht sehen konnte.

Seine Excellenz bekam vortreffliche Karten und nahm häufig ihre Lorgnette, um die Stiche zu betrachten. Auch lachte sie zuweilen laut hinaus, was zwar durchaus nicht angenehm klang, aber die Freude ihres Herzens bekundete.

Die Baronin schien an dieser Freude offenbar Antheil zu nehmen, denn sie ließ ihr Fächerspiel bleiben, stützte den Kopf auf ihren Arm und begleitete das triumphirende: »enfin – petit Schlemm!« Seiner Excellenz mit einem freundlichen Kopfnicken.

Als sie in diesem Momente das Gesicht erhob, und, gewiß zufälliger Weise, ihre Blicke durch das Zimmer schweifen ließ, begegneten sie denen des Herrn von Brand, der sie aufmerksam und fest ansah. Es mußte für sie etwas Seltsames in diesem Anschauen liegen, denn ihre Gesichtszüge änderten sich vielleicht während einer Sekunde, was sie fühlte, denn sie blickte fast erschrocken auf ihren Gemahl, der aber in seine Karten sah und durchaus nichts bemerkt hatte.

Hierauf drehte sich die Baronin nach und nach an dem Tische so, daß sie nach der Fensternische schauen konnte, während die rechte Hand den Spielenden ihr Gesicht verdeckte. Wir müssen nun eingestehen, daß sie jetzt häufig ihre Blicke dem Baron zuwandte, daß dieser ebenfalls scharf herübersah, ja daß er kurze Zeit nachher ein für uns unverständliches Zeichen machte, welches die schöne Frau dadurch beantwortete, daß sie langsam ihre Augenlider senkte, was offenbar Ja bedeutete; denn nun erhob sich der Baron aus seiner Fensternische und schlich, von den Spielenden ungesehen, zum Zimmer hinaus.

Die Baronin blieb noch eine Zeit lang; dann legte sie ihre volle weiche Hand auf den schlotternden Aermel ihres Gemahls und sagte mit ihrer sanften Stimme: »Ich wünsche dir alles Glück wie bisher,« – worauf der Oberststallmeister galant erwiderte: »Das wird von ihm verschwinden, sobald Sie, gnädige Frau, ihn verlassen.«

»Was übrigens auch nicht mehr als recht und billig ist,« meinte einigermaßen verdrießlich der Hofmarschall. »Denn Seine Excellenz gehen in der That zu grausam mit uns um.«

»Mais où allez-vous?« fragte mürrisch der Gemahl, indem er der Baronin einen unfreundlichen Blick zuwarf. »Man sollte wahrhaftig glauben, es thue dir leid, mich einmal gewinnen zu sehen – contre la règle

»Contre la règle,« lachte laut der Hofmarschall. »Nein, gnädige Frau, geniren Sie sich durchaus nicht; verlassen Sie ihn nur, und wenn ihn damit sein Glück verläßt, so hat er es verdient.«

Diese Worte schienen ohne alle andere Deutung gesprochen worden zu sein, doch riefen sie auf dem Gesichte des Oberststallmeisters ein leichtes Lächeln hervor, und die andere Excellenz biß sich auf ihre dünnen Lippen, zuckte die mageren Achseln und sagte mit ihrer schnarrenden Stimme: »Ah! je ne pense pas de vous retenier. – Beim Spiel,« setzte er mit scharfer Betonung hinzu, »nennt ihr oft rasendes Glück, was eigentlich doch nur gutes Spiel ist. – Mais dites moi, où allez-vous?«

»Ich will einen Gang durch die Apartements machen,« erwiderte die Baronin mit leiser Stimme. »Graf Fohrbach wollte mich schon vorhin durch den Wintergarten führen; ich muß doch diese Artigkeit vergelten, indem ich ihn aufsuche.«

»Eh bien donc!« sprach verdrießlich der General-Adjutant, » va-t'en, va-t'en. Du störst ohnehin meine Aufmerksamkeit. – Den Stich,« rief er dem Hofmarschall zu, »haben Sie allein dieser Unterredung zu danken. – Diable! quelle distraction.«

Die blasse Frau legte nochmals ihre Hand auf seinen Arm, was übrigens keinen weiteren Erfolg hatte, als ein unmuthiges Zucken. Dann schwebte sie leicht und anmuthig zum Zimmer hinaus.

Im Tanzsaal erblickte sie der Kriegsminister, der sich ihr augenblicklich näherte und artig seine Begleitung durch die Zimmer antrug. Doch sagte sie mit einem freundlichen Lächeln: »Ich sehe wohl, wie Euer Excellenz hier noch von aller Welt umringt sind; auch kommt soeben die Frau Herzogin, der Sie nicht aus dem Wege gehen dürfen. Ich will unterdessen schon voraus in den Wintergarten, und wenn Sie später einen Augenblick Zeit haben, so werde ich sehr dankbar für Ihren freundlichen Unterricht sein.«

»Sie haben wirklich Recht,« erwiderte der Kriegsminister, indem er sich umwandte. »Aber man kann mit Ihnen, schöne Frau, nicht zwei Worte reden, ohne daß man Ihnen zu Dank verpflichtet sein muß. Wahrhaftig, die Frau Herzogin würde in ihrer guten Laune gegen mich geglaubt haben, ich suche sie absichtlich zu vermeiden. – Doch folge ich Ihnen sogleich.«

Sie grüßte anmuthig und schritt durch den Tanzsaal und die übrigen Zimmer in den Wintergarten hinab, wo sich augenblicklich sehr wenige Gäste befanden. Entfernt von diesen und anscheinend eine prachtvolle Camelie betrachtend, stand der Baron von Brand in der Nähe des Einganges zu den Zimmern des jungen Grafen Fohrbach.

Die Baronin näherte sich, und als sie so dicht bei ihm war, daß sie seine Worte verstehen konnte, sagte er: »In den hintern Zimmern ist Niemand; da es aber auffallen könnte, wenn man uns dort allein träfe, so will ich hier stehen bleiben, wo ich den ganzen Wintergarten und die Zimmer bis in den Tanzsaal übersehen kann. Tritt etwas näher zu mir und setze dich hier auf den kleinen Fauteuil, wo du unbefangen auf Jemand warten kannst, während es mir sehr leicht möglich ist, dort hinaus zu verschwinden.«

Die schöne Frau that, wie ihr der Baron gesagt, und als sie sich auf den kleinen Stuhl niedergelassen hatte, beugte er sich zu ihr hinab und sprach: »Ich habe dir viel zu sagen.«

»Ich dir ebenfalls,« entgegnete sie. »Ich habe heute einen fürchterlichen Tag verlebt.«

Er nickte mit dem Kopfe.

»Ah! wie Recht hattest du,« rief sie mit gefalteten Händen, »als du mir damals schon anbotest, die Angelegenheit des Kleinen in deine Hände zu nehmen.«

»Es wäre in der That besser gewesen.«

»Aber ich fürchtete mich. Du hättest das freilich Alles vorsichtiger behandelt; aber man muß sich doch irgend Jemand anvertrauen, und das Schlimmste, was für uns Beide geschehen könnte, würde doch wohl sein, wenn man auf einmal ein Einverständniß zwischen uns ahnete.«

»Natürlich wäre das jetzt unbegreiflich für die Welt und müßte zu den tollsten Vermuthungen Anlaß geben,« versetzte er mit trübem Blicke. »Und damals ging es nicht an; du wußtest ja nichts von mir, wußtest nicht, welche Stellung in der Gesellschaft ich einnehme, ob es mir wohl ergehe oder ob ich nicht vielleicht langsam in Jammer und Elend verkomme. Wir sind nicht schuld daran, meine arme Lucie: das Schicksal, welches uns so früh aus einander riß, hat es nicht anders gewollt. – Doch schweigen wir über die Vergangenheit, schweigen wir darüber, wie man dies oder das hätte anders machen können; die Zeit ist ja hinter uns gerollt, und mit allen Schätzen der Welt, wenn wir sie hätten, würden wir doch nicht im Stande sein, eine Sekunde zurück zu erkaufen, geschweige denn einen Tag, einen Monat, ein Jahr. – Also zur Sache!«

»Ja, zur Sache!« wiederholte die schöne Frau und legte sich weit in den Fauteuil zurück, nachdem sie zuerst einen forschenden Blick durch den Pflanzengarten geworfen.

»Es kommt Niemand,« sagte er und bückte sich so tief hinter den Camelienbusch hinab, daß er das leiseste Flüstern ihres Mundes verstehen konnte.

»Du weißt,« sprach sie, »daß ich das Kind vor einem Jahre hieher kommen ließ.«

»Leider!«

»Ich konnte es nicht ertragen, daß es so weit entfernt von mir war: ich mußte es zuweilen an mein Herz drücken, zuweilen seine lieben Augen küssen. – Du kennst ja mein freudeloses Leben und wirst mir im Ernst nicht darüber zürnen, daß ich mir unter die vielen Dornen meiner Tage diese einzige Rose flocht. – Ah! es waren glückselige Stunden, wenn ich das Kind sah.«

»Arme Schwester! – Ich kann mir denken, daß dies Glück von kurzer Dauer war. – Aber weiter! – weiter!«

»Ich hatte Alles auf's Beste eingerichtet; der Kleine war bei einer sehr braven und verschwiegenen Frau, deren Wohnung in dem Hause einer Freundin lag, die ich ohne alles Aufsehen häufig besuchen konnte; und wie ich dir schon sagte, genoß ich auch die Seligkeit, mein Kind hie und da zu sehen, fast ein ganzes Jahr. – Eines Tages theilte mir aber die Wärterin mit, sie sei verschiedenen ihr unerklärlichen Nachforschungen ausgesetzt, bei Spaziergängen mit dem Kinde dränge sich oft ein Mann an sie, knüpfe eine Unterredung über gleichgiltige Dinge an, frage auch nach dem Knaben und dessen Eltern, kurz, benehme sich auffallend und ungeschickt.«

»Und diese Wärterin ist eine alte Frau?«

»Versteht sich,« erwiderte die Baronin. – »Das Interesse, welches jener Mann an ihr zu nehmen schien, galt also nur dem Knaben. Schon mehrere Male wünschte er unter verschiedenen Vorwänden, sie nach Hause zu begleiten; sie verbat es sich begreiflicherweise, doch mußte er ihr neulich gefolgt sein, obgleich sie auf großen Umwegen und in einem Wagen heimkehrte. – Genug, er fand ihre Wohnung, erklärte ihr das selbst lachend und ging eines Tages so weit, daß er ihr geradezu sagte, hinter dem Knaben stecke ein Geheimniß, das er wohl ergründen möchte. Er bot ihr eine bedeutende Summe, wenn sie ihm einige Mittheilungen machen wollte.«

»Das war ein recht dummer Teufel!« sagte höhnisch der Baron.

»So standen die Sachen. Da bemerkte ich auf einmal mit dem größten Schrecken, daß das Benehmen meines Mannes zu Haus gegen mich härter und tyrannischer wurde als je. Zuweilen ließ er sich, anscheinend ohne alle Absicht, von mir etwas von meinem früheren Leben erzählen, und konnte dabei oft eine laute, häßliche Lache aufschlagen, oder er verließ mich scheinbar ruhig, aber mit zitternden Händen und funkelnden Augen.«

»Ja, ja, ich kann mir wohl denken, daß diese Nachforschungen von ihm ausgingen.«

»Ich weiß es gewiß; und da ich seinen heftigen, gewaltthätigen Charakter kenne und überzeugt war, er werde das Kind mit List oder durch Gewalt in seine Hände zu bekommen suchen, um gegen mich einen Anknüpfungspunkt zu erhalten, so war es nothwendig, daß ich es verschwinden ließ. – Hatte ich nicht Recht?«

»Doch; ich will das nicht leugnen. Aber in dem Moment hättest du dich an mich wenden sollen.«

»Nein,« entgegnete sie eifrig, »da gerade konnte ich das nicht thun; ich wußte genau, daß ich von Spähern umgeben war, daß er von allen meinen Schritten Kenntniß hatte, ja, daß die Briefe, die ich schrieb, in seine Hände gelangten. Ich konnte nur noch mit jener alten Frau verkehren, die mir unbedingt ergeben ist.«

»Mit der Frau Fischer,« sagte er, wie in tiefen Gedanken.

»Du kennst sie?« fragte erstaunt die Baronin.

»Ich glaube, du sprachst mit mir einmal darüber,« versetzte er ruhig und gefaßt. »Ja, es muß so sein. – Aber erzähle weiter!«

»Die Frau aber sagte mir von einer Bekannten, durch deren Vermittlung mein armes Kind für eine Zeitlang bei guten, braven Leuten untergebracht werden könne.«

»Hahaha!« lachte der Baron.

»Worüber lachst du? Ich bitte dich, sei ernsthaft.«

»O das bin ich auch im höchsten Grade. Dies Lachen ist eine Art Krampf, der mich zuweilen befällt.«

»Ich willigte also ein, daß sie das Kind zu jenen Leuten brachte.«

»That sie das selbst?« forschte er emsig.

»Nein, das wäre zu gefährlich gewesen. Sie brachte es zu ihrer Bekannten, von der ich dir sprach, und diese übergab es einer dritten Hand, welche es zu jenen Leuten that. – O mein Gott, wer hätte ahnen können, daß er trotz dieser Vorsichtsmaßregeln auf des Kindes Spur komme!« – Die Baronin sprach das mit dem Tone höchsten Schmerzes und drückte ihre Hände einen Augenblick vor das Gesicht. Darauf faßte sie sich wieder mit gewaltiger Kraft, preßte eine Sekunde ihre Lippen fest auf einander, und fuhr fort: »Ich erhielt häufig Nachrichten von dem Kinde, gute und befriedigende.«

»Immer durch die dritte Hand?«

Sie nickte mit dem Kopfe und entgegnete: »Vorgestern die letzte; denn heute morgen berichtete mir die alte Frau das Entsetzliche, mein Kind sei geraubt, mit Gewalt jenen guten Leuten entführt worden, bei denen es sich befand. – O Henry,« sprach sie nach einer Pause mit gefalteten Händen, während Thränen in ihren Augen glänzten, »ist das möglich? – Kann so etwas geschehen? – O mein Gott! ich martere meinen Kopf den ganzen Tag auf's Fürchterlichste ab, ich komme von einer Vermuthung auf die andere. – Hat mich nicht am Ende jene Frau verrathen? – Ist es denn wahrscheinlich, daß das Kind geraubt werden konnte?«

»O ja, das ist wahrscheinlich und möglich.«

»Jetzt bin ich am Ende,« fuhr sie mit leiser und klagender Stimme fort, indem ihre Hände auseinander zuckten und sich ihre Finger krampfhaft schlossen. »Jetzt kann ich weiter nichts thun als klagen und verzweifeln, und auch das ja nur, wenn ich allein bin. – O Henry! er beobachtet jede meiner Mienen. Wenn du wüßtest, welch' unaussprechliche Qualen ich leide, da ich heiter und zufrieden aussehen soll, während mein Herz zerrissen ist.«

Der Baron hatte bei diesen Worten, die sie heftig und leidenschaftlich herausgestoßen, sanft ihre Hand erfaßt und drückte sie leise. – »Beruhige dich,« sagte er, »Fassung! Fassung! Schwester. – Denke daran, wo wir uns befinden! Wie würden von Hunderten, wenn sie dich hier sehen würden, Thränenspuren in deinen Augen oder auf deinen Wangen gedeutet werden! – Ja, fasse dich und – lächle!«

»Ich lächeln?« erwiderte sie mit einem trostlosen Blick.

»Ah! bei eurem Leben solltest du daran gewöhnt sein,« sprach er in bitterem Tone. – »Aber,« setzte er mit weicher Stimme hinzu, »ich, dein Bruder, verlange nichts so Entsetzliches von dir: du sollst lächeln, weil ich dir eine angenehmere Fortsetzung deiner Geschichte erzählen will.«

»Du?« rief sie fast laut hinaus und erhob sich rasch von ihrem Stuhle. – »O Henry, spotte meiner nicht!«

»Ich spotte nie,« sagte er ruhig. »Aber fasse dich und lächle; dort sehe ich einige Personen kommen, unter Anderem Seine Excellenz den Kriegsminister, der dich wahrscheinlich aufsucht. – Lächle also!«

»Ich kann das nicht ohne ein Wort des Trostes. O sage mir: was weißt du von der fürchterlichen Geschichte?«

»Daß dein Kind wieder gefunden ist,« versetzte er leise – »das Wie und Wo kann ich dir hier nicht erzählen – aber daß es nicht von ihm geraubt wurde, sondern daß es in meinen Händen ist.«

»Ah!« seufzte sie aus tiefer Brust und preßte ihre linke Hand auf das Herz. – »Ah, Gott, dir danke ich! Jetzt will ich lächeln, möchte aber lieber laut hinaus rufen und jubeln.«

Der Baron war verschwunden, und Seine Excellenz der Kriegsminister bot der schönen Frau, die er hier so ganz allein fand, seinen Arm und führte sie durch den Wintergarten, wobei er ihr all die vielen seltsamen Pflanzen und Blumen zeigte. Sie freute sich außerordentlich darüber, lachte in einem fort und schien über die Erklärungen Seiner Excellenz so glücklich und zufrieden, daß der alte Herr sie hocherfreut bis in das Spielzimmer zurückführte und dort dem Generaladjutanten sagte: »Bester Baron, es ist eine wahre Freude, Ihrer Frau etwas zu zeigen: sie scheint eine große Liebe für Blumen zu haben, und ich fand noch nie eine liebenswürdigere und gelehrigere Schülerin.« –

Der Pflanzengarten wurde übrigens an diesem Abend häufig zu den verschiedenartigsten Unterredungen benützt. Kaum hatte ihn der alte Graf Fohrbach mit der Baronin am Arm verlassen, als ihn der junge Graf betrat.

Dieser hatte sich längere Zeit spähend in einer Ecke des Tanzsaales aufgehalten, und obgleich dort viele Françaisen getanzt wurden, so schien er doch nur für die Tanzenden einer einzigen derselben Sinn zu haben. Das Finale war zu Ende, die Gruppen lösten sich auf, und mehrere Damen, vom Tanzen erhitzt, stiegen zu den Blumen hinab, um dort die frische, kühlere Luft einzuathmen. Auf diesen Moment hatte der Graf gewartet, denn er, der bis jetzt ganz unbeweglich in seiner Ecke gestanden, schoß plötzlich mit großer Lebhaftigkeit an den Gruppen vorbei, die sich im Saale gebildet hatten, und eilte ebenfalls in den Wintergarten. Vor ihm schritt Eugenie von S. am Arm einer Freundin, welche sie mit ihrer hohen Figur aber überragte, wie die stolze Lilie das bescheidene Veilchen; und diese beiden Damen lachten und plauderten mit einander, blieben hier vor einer prächtigen Blume, dort vor einem murmelnden Springbrunnen stehen.

»Bis jetzt war es mir unmöglich,« sagte die Kleinere, »das ganz allerliebste Apartment zu besehen; Ihre Majestät hatten jeden Augenblick irgend einen Befehl oder eine Frage. Wenn es Ihnen recht ist, Eugenie, so machen wir eine kleine Entdeckungsreise und den Versuch, wie weit wir dort drüben in dieses unbekannte Zauberland eindringen können. Der Salon, der an den Wintergarten stößt, soll charmant sein. Nachher beim Souper hat man doch keine rechte Zeit, sich alles Das zu betrachten.«

Diese Worte hatte Graf Fohrbach, der den Damen folgte, gehört und sagte so verbindlich als möglich: »Ich würde mich außerordentlich glücklich schätzen, wenn es mir erlaubt wäre, den Führer in diese bescheidene Wohnung machen zu dürfen, welche Sie für ein Zauberland zu erklären so freundlich waren.«

»Wir könnten uns keinen bessern wünschen,« entgegnete lachend die kleine Dame.

Und auch Eugenie, die ein wenig, wenn auch kaum merklich, erröthete, nahm dies Anerbieten dankbar an.

Die Drei schritten mit einander durch den Wintergarten, und als sie drüben den Salon betraten, sagte der Graf: »Hier sind die Grenzen meines Reichs und ich heiße die Damen in meiner Behausung feierlichst willkommen.«

»So dürfen Sie uns diese Zimmer nicht vorstellen!« versetzte neckend die kleine Hofdame. »Gott steh' mir in Gnaden bei! wir sind durchaus nicht in Ihrer Behausung; wir befinden uns in einem der Salons Seiner Excellenz des Herrn Kriegsministers, und zwar in dem Salon, wo später die allerhöchsten Herrschaften soupiren werden, weßhalb ich eigentlich hinzufügen darf: ich bin hier in meinem Dienste, denn als getreuester Hofdame Ihrer Majestät kommt es mir zu, dies Terrain zu rekognosziren. – Nicht wahr, Eugenie?«

»Allerdings,« entgegnete diese, indem sie wie aus einem Traume zu erwachen schien; denn während die Andere sprach, hatte es Graf Fohrbach nicht unterlassen können, Eugenie immerfort und aufmerksam in die schönen Augen zu sehen, – Blicke, die sie, wenn auch nicht erwidert, doch gern geduldet hatte.

»Aber hier ist es in Wahrheit deliciös,« sagte die Kleine, »das ist ja ein wahres Blumenparadies! – Sagen Sie mir die Wahrheit: sind diese Zimmer immer so wunderbar dekorirt?«

»O nein,« entgegnete lächelnd der Graf. »Für mich selbst wäre dieser Flor unpassend; aber für solche Gäste, wie ich sie heute verehre,« setzte er mit einer Verbeugung hinzu, »kann die Umgebung nicht reizend genug sein.«

Die kleine Hofdame, die überhaupt eine lebendige Person war, durchschritt rasch den Salon und freute sich wie ein Kind über jedes neue Etablissement, das sie entdeckte. – »Es ist da für Alles gesorgt!« rief sie lustig, »eine der vortrefflichsten Einrichtungen, die ich je gesehen. Man kann hier causiren, deux à deux, dos à dos, oder zu Drei, zu Vier, Fünf, Sechs, wie man gerade will. – Auch,« setzte sie gravitätisch hinzu, »sind vortreffliche Schmollwinkel hier oder heimliche Plätzchen, wo man einen Monolog halten kann. Ich will Beides versuchen; aber stört mich nicht in meiner Andacht.«

Damit tauchte sie hinter die Blumengruppen und ließ sich auf einem der Sitze nieder, die sich dort befanden.

Der Graf war mit Eugenie allein. Sie machte eine Bewegung, der Freundin zu folgen, doch hielt sie ein bittender Blick zurück.

»Fräulein Eugenie,« sagte er, »ich bin Ihnen noch eine Erklärung schuldig über mein Ausbleiben neulich Abends bei dem Major von S. Ich kann es eigentlich keine Erklärung nennen, denn Sie werden es bereits erfahren haben, was mich zurückhielt.«

»Ich weiß es,« versetzte das schöne Mädchen mit einem offenen Blick; »Seine Durchlaucht, der Herr Herzog, welcher an Ihrer Stelle kam, erzählte es lachend dem Major.«

»Ah! er erzählte es lachend. Und der Major?«

»Er meinte, das sei eine außerordentliche Ehre und Sie würden nicht wenig darüber erfreut sein.«

»Aber das war doch nicht Ihre Meinung, Fräulein Eugenie? – Gewiß, das dachten Sie nicht.«

»Nein, ich dachte das nicht,« entgegnete sie offenherzig. »Sie hatten mir ja vorher im Schlosse gesagt, wie sehr Sie sich darauf freuten, mit mir – mit uns, wollt' ich sagen – den Abend bei Ihrem Freunde zuzubringen.«

»Sagen Sie, mit Ihnen, – gewiß nur mit Ihnen, Eugenie!« sagte Graf Fohrbach und erhob seine rechte Hand wie beschwörend gegen sie. – »Was kümmert mich die Gesellschaft, wenn Sie nicht da sind, ja die ganze Welt, wenn ich Sie nicht zu finden wüßte! – Aber,« fuhr er fort, als er sah, wie das Mädchen bei seinen heftigen Worten die Augen niederschlug, »ich war an jenem Abend recht unglücklich; die süßen Stunden in Ihrer Nähe, auf die ich gehofft, mußte ich mit jenem entsetzlich langweiligen Spiel vertauschen. Ich mußte den Stellvertreter des Herzogs machen, der nun statt meiner dorthin ging, wo Sie waren, Eugenie, – der Sie sehen, Sie sprechen durfte, während ich allein blieb mit meinen quälenden Gedanken. – Ja, gewiß, Eugenie, die Anwesenheit des Herzogs bei meinem Freunde war mir an jenem Abend sehr, sehr unangenehm.«

»Und warum das, Graf Fohrbach?« entgegnete sie mit einem reizenden Lächeln.

»Weil – weil –« sagte er stockend, »weil ich weiß, Eugenie, daß Sie der Herzog mit Aufmerksamkeiten verfolgt.«

Sie nickte verschiedene Male mit dem Kopfe und betrachtete das Blumenbouquet, welches sie in der Hand trug. – »Ja, ja,« sagte sie alsdann mit leiser Stimme, »es ist so; er erzeigt mir Aufmerksamkeiten, was mir sehr – sehr peinlich ist. Und er läßt nicht davon ab, obgleich ich dieselben gewiß nicht beachte. – Gewiß nicht, Graf Fohrbach,« fuhr sie nach einer kleinen Pause fort, und schaute ihn dabei offen und ehrlich mit ihren hellen und glänzenden Augen an. – »Aber was kann ich thun? Wie will ich mich in der Stellung, in der ich mich befinde, ein- für allemal dieser Aufmerksamkeiten erwehren? – Die Frau Herzogin lächelt darüber und würde es sehr ungnädig aufnehmen, wollte man ihrem geliebten Sohne diese unschuldige Freude nehmen.«

»O, es ist das nicht Ihr Ernst, was Sie da sagen, Eugenie!« rief entrüstet der junge Mann.

»Ich fühle, daß es bitterer Ernst ist,« erwiderte traurig das Mädchen. – »Doch,« setzte sie heiterer hinzu, »brechen wir dies Gespräch ab, das für mich und auch vielleicht für Sie peinlich ist.«

»Für mich wäre dies Gespräch nur in dem Fall peinlich, aber dann auch fürchterlich und schrecklich, wenn es unbeendigt bliebe!« rief Graf Fohrbach entschlossen. »Deßhalb erlauben Sie mir, Eugenie, es noch einen Augenblick fortzusetzen. – Freilich könnte es auch wohl mit wenigen Worten beendet sein,« setzte er mit sanfter Stimme hinzu, und ergriff dabei leicht die Hand des jungen Mädchens, die er ehrfurchtsvoll an seine Lippen brachte; »und diese wenigen Worte würden mich zum Glücklichsten aller Sterblichen machen. Wollen Sie sie nicht gegen mich aussprechen, Eugenie?«

»Ich weiß sie nicht,« erwiderte sie erröthend.

»Aber Sie müssen sie ahnen, Eugenie,« fuhr er dringender fort. »Sie müssen sie in meinen Augen gelesen haben, müssen sie in dem Drucke meiner Hand fühlen, meiner Hand, die jetzt schon schwach und machtlos ist, die bebt und zittert, da sie die Ihrige berührt. – Ja,« setzte er mit leuchtenden Augen hinzu, »Sie brauchen nicht einmal selbständige Worte auszusprechen, Eugenie, Sie sollen mir nur eine Frage erlauben und mir auf diese Frage mit Ja oder Nein antworten. – Aber hören Sie mich an! die Beantwortung dieser Frage entscheidet über das ganze Glück meines Lebens, ja, sie ist so wichtig für meine Zukunft, daß ich Sie zuerst um Erlaubniß bitten muß, jene Frage stellen zu dürfen. – Darf ich, Eugenie?«

»So fragen Sie denn,« versetzte nach einer längeren Pause das Mädchen, nachdem es scheu und ängstlich um sich geschaut, »so fragen Sie denn in Gottes Namen!«

»Darf ich Sie lieben, Eugenie? – – O, ich will ja nicht mehr als mit einem kleinen Ja hierzu die süße Erlaubniß,« setzte er hinzu, als er bemerkte, wie das Mädchen ängstlich zusammen schauerte. – »Durch die Gewährung meiner Bitte ist ja noch nicht bedingt, daß Sie mich wieder lieben sollen; freilich hoffe ich auch auf dieses übergroße Glück, aber ich bin nicht so unbescheiden, so viel Seligkeiten auf einmal zu verlangen.« –

In diesem Augenblicke tauchte aus der Ecke des Zimmers die kleine Hofdame wieder hervor und rief lustig: »Jetzt habe ich geschmollt und monologisirt, gelebt, geliebt und genossen des irdischen Glückes so viel als möglich auf einer großen Soirée. – Und Sie, Eugenie, haben Sie auch den Salon betrachtet? – Wenn dem so ist, so wollen wir wieder zur Gesellschaft zurückkehren.«

Eugenie wandte den Kopf herum, wie es schien, um eines der transparenten Rosenbouquete zu betrachten, neben welchen sie stand, in Wirklichkeit aber, um ihr glühendes Gesicht zu verbergen.

Von den Worten, die sie mit dem Grafen gewechselt, konnte die Andere nichts verstanden haben: sie waren zu leise gesprochen worden, und diese war zu weit entfernt gewesen. Darauf baute denn auch der junge Mann, und während sich die kleine Hofdame näherte, wandte er sich nochmals an Eugenie und wiederholte dringend seine Frage.

Ehe diese antworten konnte, eilte die Andere aus ihrem Schmollwinkel herbei, sie hatte einen Blick in den Wintergarten geworfen, und rief mit komischer Angst: »Gerechter Gott! Eugenie, wir müssen verschwinden, dort kommt der allerhöchste Hof. Rückwärts können wir nicht hinaus, also rasch vorwärts, daß wir nicht von so vielen erstaunten Augen hier im innersten Heiligthum betroffen werden! – Kommen Sie!«

Damit sprang sie lebhaft die Treppen hinab, die in den Wintergarten führten, und Eugenie folgte ihr. Doch blieb diese oben auf der Treppe, gedeckt von dem uns schon bekannten Camelienstrauche, noch einen Augenblick stehen, wandte sich rasch um und bot dem jungen Manne, der hinter sie getreten war, ihre Hand, wobei sie mit leiser Stimme sagte: »Ja, Graf Fohrbach, ich sage Ja aus vollem Herzen.«

Er blieb oben stehen, sie aber schwebte die Treppen hinab, die schöne, schlanke, majestätische Gestalt, und als sie nun dem allerhöchsten Hofe, der wirklich durch den Wintergarten daher kam, begegnete und sich graziös vor den Herrschaften verneigte, konnte man nichts Reizenderes und Anmuthigeres sehen.

»Ah! welches Glück!« sprach der Graf tief aufathmend, und drückte seine Hände fest auf die Brust. »Das ist ein seliger Augenblick, wie ihn ein Glücklicher nur einmal in diesem Leben genießt.«

 


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