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38. Goldene Fesseln

Den von seinem Freunde erhaltenen Instruktionen gemäß, das heutige Wetter betreffend, nahm nun der neue Adjutant, nachdem er das Vorzimmer zur Wohnung Seiner Majestät betreten, seiner Stellung als Barometer gemäß, eine sehr ernste und würdevolle Haltung an. Der Säbel hing korrekt eingehakt an der Kuppel, die Uniform war fast hermetisch verschlossen, der Federhut wurde mit beiden Händen auf dem Rücken gehalten und darauf ging der Adjutant mit gemessenen Schritten auf und ab, hie und da den Kammerdiener betrachtend, der sich zwischen der Thüre und einer großen Standuhr befand, die er beide zugleich im Auge behielt.

Bald nachher hörte man draußen Equipagen vorfahren, die Tritte fielen herab, die Schläge wieder zu, dann schlürften leise Schritte auf den Steinplatten des Korridors, die Thüren öffneten sich und die obersten Staatsbeamten traten ein.

Graf Fohrbach ging ihnen entgegen und empfing Jeden ernst, würdevoll, aber Alle auf verschiedene Art. Die Minister erhielten ein sehr tiefes Kompliment, begleitet von einem vollkommen gleichgiltigen Gesichte; nur bei dem des Königlichen Hauses – er war ein genauerer Bekannter des Grafen – zog dieser auf einen fragenden Blick die Augenbrauen etwas in die Höhe und zuckte leicht mit den Achseln.

Die Excellenz nahm den Adjutanten beim Arm und zog ihn in eine Fenstervertiefung, wohin bald nachher noch einige der Vertrauten, nachdem sie den Größen des Staats einige verbindliche Worte gesagt, folgten.

Diese, die Minister, gingen zu Zwei und Zwei auf der anderen Seite des Zimmers mit leisen Schritten und fast unhörbarem Geflüster auf und nieder oder blieben auch an dem Marmorkamine stehen, Hut und Papier in der Hand, mit langen Gesichtern, ernsten Blicken und dem allerwürdevollsten Aussehen. Sie führten eigentlich keine zusammenhängende Konversation; sie sprachen nur Vermuthungen aus und räusperten sich häufig mit vorgehaltener Hand, nickten zuweilen taktmäßig mit dem Kopfe und warfen jede Sekunde die sehnsüchtigsten Blicke nach der gewissen Thüre, nach dem Kammerdiener und nach der Uhr.

Die Gruppe an der Fensternische war schon etwas lebendiger und gesprächiger; man handelte das innere und äußere Wetter ab und brachte Beides miteinander in Verbindung.

»Wird Seine Majestät heute ausreiten?« fragte der Minister des Hauses den Oberststallmeister, welcher diese Frage mit einem bedeutsamen Achselzucken beantwortete, und darauf versetzte:

»Ich weiß nicht, ob es räthlich ist.«

»Es ist auf drei Uhr ein Pferd bestellt,« flüsterte der Kammerdiener aus seiner Ecke in der demüthigsten Haltung und mit einem ganz unterthänigen Spitzen des Mundes, begab sich aber hierauf augenblicklich an die andere Seite der Thüre, nachdem ihm der Hofmarschall für diese Einmischung einen sehr strengen Blick zugeworfen.

»Man kann Seine Majestät bei diesem Wetter unmöglich ausreiten lassen,« sagte der Minister des Innern. »Der König ist ohnedies etwas erkältet, und das Wetter ist, wie mich der Leibarzt versichert, seiner Konstitution durchaus nicht zuträglich.«

»Aber wenn Seine Majestät befohlen hat,« bemerkte schüchtern der Hofmarschall, »so sind Allerhöchstdieselben nicht wohl anders zu bestimmen.«

Der Minister des Hauses warf dem Oberststallmeister einen bedeutsamen Blick zu, worauf sich der Letztere durch sein spärliches Haar fuhr und, nachdem er diesen Blick zurückgegeben, ruhig sagte: »Seine Majestät kann unmöglich bei diesem Wetter ausreiten, Seine Majestät wissen nicht, welch' kalter Wind draußen geht.«

»O ja,« warf der Hofmarschall ein, »Sie machten vor dem Frühstück einen kleinen Spaziergang.«

Die Excellenzen wandten sich hierauf gleichmäßig dem Fenster zu, und die beiden Anderen verstanden diese Bewegung und zogen sich diskreterweise zurück.

»Seine Majestät soll heute nicht reiten,« sagte der Minister; »ich werde mir auf drei Uhr eine Audienz erbitten, ich habe da etwas Wichtiges vorzutragen und will ihn schon eine halbe Stunde beschäftigen.«

Mittlerweile waren die Minister einzeln in das Königliche Kabinet getreten und kamen wieder zurück: einer an der Thür noch mit einem ziemlich verdrießlichen Gesicht, das er aber gewaltsam aufzuklären bemüht war, sobald er in's Vorzimmer zurückkam, um dem Kollegen eine Niederlage, die er erlitten, nicht anmerken zu lassen; ein Anderer aber kehrte äußerst strahlend wieder und befolgte das umgekehrte Manöver, weil ihm Alles daran gelegen war, daß die Übrigen nicht erfahren sollten, es sei ihm ein wichtiger Vorschlag durchgegangen.

Zu denen am Fenster war noch der Intendant des Hoftheaters getreten, der ein sehr verdrießliches und unbehagliches Gesicht machte. »Ich bin da in großer Verlegenheit,« sagte er. »Seine Majestät haben auf heute Abend den ›Schwarzen Domino‹ zu befehlen geruht und das wirft mir mein ganzes Repertoir durcheinander.«

»Wie so, bester Baron?« meinte der Oberststallmeister. »Das sind Kleinigkeiten! Es kann Ihnen ja gleichviel sein, was Sie heute Abend geben. – Und dann verlangt Seine Majestät durchaus nichts Unmögliches: der ›Schwarze Domino‹ ist vollkommen montirt, war in den letzten Wochen glaube ich fünfmal und macht deßhalb durchaus keine Schwierigkeiten.«

»Excellenz halten mir zu Gnaden, das ist in Wahrheit schwieriger, als es sich ansieht. Allerdings war diese Oper fünfmal in den letzten Wochen; aber gerade das ist mein Kummer: ich wollte sie für den nächsten Sonntag aufheben.«

»Um eine bessere Einnahme zu machen?« fragte lachend der Minister des Hauses.

»Nicht so ganz, Excellenz; vielmehr um der ersten Sängerin ihren Willen zu thun.«

»Wie so?« –

»Wie Sie wissen, Excellenz, war die Oper fünfmal an Wochentagen bei mäßig besetztem Hause, also natürlicherweise auch ohne viel Spektakel, ohne großen Applaus, weßhalb Frau Wiesengrün-Spitzkopfin, meine Koloratursängerin, erklärte, sie werde den Schwarzen Domino das nächste Mal nur an einem Sonntage singen.«

»Wer hat denn beim Theater eigentlich zu befehlen?«

»Dem Namen nach ich, Excellenz, in Wirklichkeit dagegen sämmtliche Künstler und Künstlerinnen, die Regisseure, der Inspicient, die Maschinisten, die Schneider und dann die Zimmerleute.«

»Ja, ja, es ist ein eigentümliches Verhältnis,« meinte der Oberststallmeister, indem er still vor sich hin lächelte. »Wir kennen das; namentlich die ersten Damen der singenden und der tanzenden Kunst haben mir vor der Zeit graue Haare gemacht.«

»Das ist ja die umgekehrte Welt,« sagte der Minister des Hauses; »da wären Sie ja der Sklave ihrer Untergebenen.«

»Und welcher Sklave!« versetzte wehmüthig der Intendant, der nachdenkend zum Fenster hinausblickte. »Von welchen Launen bin ich abhängig, von welchen Kleinigkeiten! Ich will nicht sprechen von großen Ereignissen, die überall vorkommen können, von einem Unwohlsein, das ohne alle Verschuldung eintritt, von der Krankheit, welche sich eine Sängerin geholt, weil sie die Laune hatte, am ersten feuchten, kalten Frühlingstage den Kaffee im Freien trinken zu wollen. Ich klage nicht über Störungen, die oftmals beim Theater entstehen, wenn sich ein zartes Verhältnis knüpft oder löst, oder über eine heftige Migräne, die gewöhnlich eintritt, weil eine Kollegin besser gefallen oder mehr applaudirt wurde. Gott der Gerechte! davon will ich nicht sprechen; nein! nein! aber ich werde auf dem Bureau in meinem Hause, zu jeder Tagesstunde geärgert, geplagt, geschunden wegen einer nichtswürdigen Grille, einer Laune, wegen einem neuen Kleide oder einem Besatz auf ein altes, wegen einer Schleife, wegen eines Wortes, das der Regisseur oder der Kapellmeister einer dieser Prinzessinnen zu viel sagte, wegen eines Zeitungsartikels und Gott weiß wegen was Allem sonst noch.«

»Sie sind wirklich ein beklagenswerther Mann,« antwortete lächelnd der Oberststallmeister. »Aber, mein lieber Baron, keine Rose ohne Dornen – und das müssen Sie schon zugeben: Rosen wachsen genug in Ihrem Garten.«

»Euer Excellenz haben gut reden,« entgegnete der Intendant des Hoftheaters, indem er sich verbeugte; »aber ich versichere Sie nochmals, die Sklaverei, in der ich lebe, ist oft unerträglich. Ich sitze zitternd an meinem Kaffee – es klingelt. Der Theaterdiener. – Das Stück kann heute Abend nicht sein, Herr H. ist unwohl und kann nicht spielen; das heißt in Wahrheit, er hat sich ein paar neue himmelblaue Tricots von Paris verschrieben und die sind noch nicht angenommen, oder seine Frau hat ihm gesagt, er plage sich in der letzten Zeit übermäßig und solle nun auch einmal einen Andern für sich arbeiten lassen. – Bei meinem Mittagessen dieselbe Geschichte: mein Ohr hört oft nicht auf das, was meine Frau spricht, nicht auf das Geplauder der Kinder, es erwartet nur den fatalen Ton der Klingel. Das quält mich so fort den ganzen Tag, beunruhigt Nachts meine Träume; ja, da erscheint mir der Theaterdiener mit der Meldung, das ganze Personal sei plötzlich davongelaufen oder gestorben und ich müsse heute Abend Robert den Teufel ganz allein spielen.«

»Das mag allerdings hart sein, mein bester Baron,« sagte die Excellenz vom Stalle. »Aber glauben Sie mir, auch ich muß Meldungen der unangenehmsten Art anhören.«

»O, Excellenz können Ihr Departement nicht mit dem meinigen vergleichen!« entgegnete eifrig der Intendant. »Sie haben es mit ruhigen, sanften, ja man kann sagen mit vernünftigen Thieren zu thun. – Ich aber –«

»Stille! stille!« bat der Minister des Hauses. »Lieber Baron, wenn das ihre Primadonna hörte, wir hätten wahrhaftig in dem nächsten halben Jahr keine Oper. – Aber um wieder auf besagten Schwarzen Domino zurückzukommen –«

»Euer Excellenz scheinen sich gern mit dem Schwarzen Domino zu befassen?«

»O lieber Freund,« lächelte einigermaßen geschmeichelt der Minister, »ein ältlicher Mann wie ich!« wobei er aber doch einen verstohlenen Blick in den Spiegel warf und dort bemerkte, daß die neue sanft melirte Perücke eine vortreffliche Wirkung hervorbringe. – »Was ich also bemerken wollte,« fuhr er fort, »so hat der Herr für heute Abend ausdrücklich den Schwarzen Domino befohlen. Sie wissen, er war die letzten drei Mal verhindert, die Oper zu besuchen.«

»Ich kann Seiner Majestät diesmal wahrhaftig nicht helfen,« sprach achselzuckend der Intendant. »Gott der Gerechte! ich habe es ja bei Madame Wiesengrün-Spitzkopfin auf's allerdringlichste versucht, aber schon bei der leisen Andeutung fuhr sie mit der Hand über die Stirne und versicherte mich, es werde ihr jetzt schon ganz dunkel vor den Augen.«

Während dieses Gesprächs war der Hofmarschall ebenfalls leise wieder näher getreten, wurde aber in seiner Aufmerksamkeit durch einen der Oberhoffouriere gestört, der ihm ein Blatt Papier überreichte und ihm ein paar Worte zuflüsterte.

»Das ist ja ganz unmöglich!« rief der Hofmarschall, während Jener sich wieder entfernte. – »Vollkommen unmöglich! – gar nicht zu machen?«

»Was haben Sie, bester Freund?«

»Seine Majestät ließ mir soeben sagen,« antwortete er, »Sie wünschen Ihr Diner im kleinen blauen Saale zu halten. Ich bitte Sie, meine Herren, bei der jetzigen Jahreszeit!«

»O, das wird ganz gut gehen,« bemerkte der Minister des Hauses.

»Im kleinen blauen Saale?« fragte mit einem wahren Schrecken der Hofmarschall. »Ich versichere Sie – ganz unmöglich.«

»Aber wenn der Herr befiehlt,« sagte lachend der Oberststallmeister, indem er sich der Worte des Andern von vorhin bediente.

»Der blaue Saal ist zu klein und zu groß,« versetzte wichtig der Hofmarschall. »Lasse ich einheizen, so haben wir dort gleich eine unerträgliche Hitze; lasse ich nicht einheizen, so klappern die Zähne vor Kälte. Das ist ein Lokal für den Sommer, man muß die Hausordnung nicht so unterbrechen wollen.«

Der Minister des Hauses war unterdessen in das innere Zimmer getreten, kehrte aber bald still lächelnd wieder zurück und sagte dann: »Ich habe um drei Uhr meine Audienz.«

Ihm folgte der Oberststallmeister zum Rapport. Doch blieben seine Excellenz auch nicht lange im kleinen Kabinet, und als er zurückkam, sagte er zu dem Minister, indem er sanft die Augen zufallen ließ und dabei schmatzte, als genösse er etwas sehr Angenehmes: »Seine Majestät werden nicht ausreiten, Sie haben nach drei Uhr einen ihrer kleinen Wagen befohlen und dabei ausdrücklich gewünscht, die neuen Rappen zu probiren.«

»Ist das möglich?« fragte die andere Excellenz.

»Es wird sich thun lassen,« entgegnete der Oberststallmeister; »natürlicherweise hänge ich auch von meinen Untergebenen ab, namentlich von meinem ersten Stallmeister, denn er muß mir die Versicherung geben, daß die beiden Rappen vollkommen eingefahren sind, und das wird er auch schon thun, wenn er bei guter Laune ist.

Jetzt kehrte auch der Intendant von dem Rapport zurück und stellte sich wieder achselzuckend zu der Gruppe am Fenster.

»Der Schwarze Domino!« seufzte er kläglich. »Ich weiß in der That nicht, weßhalb Seine Majestät auf diese an sich langweilige Musik so versessen ist.«

»Sie werden aber doch den allerhöchsten Befehl befolgen müssen?«

»Ich befinde mich da zwischen zwei Feuern; hier befiehlt Seine Majestät, dort will die erste Sängerin nicht.«

»Ich fürchte, wir haben den Schwarzen Domino nicht,« sagte der Oberststallmeister, »denn Madame Wiesengrün-Spitzkopfin wird sich nicht erweichen lassen.«

»Ich glaube es auch nicht,« meinte der Intendant des Hoftheaters.

»Ich muß auf die Nachsicht Seiner Majestät bauen; um mit Schiller zu sprechen: – der See kann sich, der Landvogt nicht erbarmen.«

»Aber diesmal wird es schwer halten,« versetzte der Hofmarschall.

»Seine Majestät sagten mir, Sie freuen sich auf die heutige Vorstellung außerordentlich.«

»Und zu mir sprach der Herr,« entgegnete einigermaßen pikirt der Intendant, »es speise sich im blauen Salon vortrefflich, und er liebe es ebenfalls außerordentlich, da zu diniren.«

»Jeder so gut er kann!« antwortete der Hofmarschall.

»Was geschehen kann, geschieht ja gerne. Aber Seine Majestät haben sicherlich nicht an die Beschaffenheit des blauen Saales gedacht.«

»Es thut freilich Jeder, was ihm möglich ist,« meinte wichtig der Oberststallmeister; »es ist ja unsere Pflicht, für das Wohl und die Gesundheit des Herrn zu sorgen. Aber bei solchem Wetter ausreiten, ist gewiß unthunlich.«

Damit entfernten sich die beiden Excellenzen Arm in Arm, nachdem sie den Grafen Fohrbach freundlichst gegrüßt. Der Intendant ging ebenfalls seufzend seiner Wege.

Der Hofmarschall gab, ehe er sich entfernte, einem der Hoffouriere noch einige geheime Befehle, und da wir auf die Diskretion des geneigten Lesers bauen, so wollen wir demselben in's Ohr flüstern, daß der Hofmarschall anordnete, in dem blauen Salon die Vorhänge und Portièren behufs notwendiger Ausbesserung herunter zu nehmen, auch die Kette des großen Kronleuchters zu untersuchen, die so schadhaft sein müsse, daß es dringend nothwendig sei, sie noch heute durch eine neue zu ersetzen.

Das Vorzimmer blieb einen Augenblick leer und der Adjutant ging nachdenkend auf und ab, hie und da lustig in sich hinein lachend über Alles, was er während des Rapports vernommen. Es dauerte indessen nicht lange, so fuhr draußen abermals ein Wagen an; es näherten sich Schritte, doch waren sie nicht leise wie die der Minister und Hofbeamten, sondern man vernahm Sporengeklirr und hie und da ein leichtes Aufstoßen eines Kavalleriesäbels; auch hörte man, wie die Wachen ihr Gewehr präsentirten, worauf der Kammerdiener beide Thüren aufriß, um Seine Excellenz den Herrn Kriegsminister einzulassen, der nun in das Zimmer trat im eifrigen Gespräch mit dem Generalstabsarzte der Armee, welcher zugleich als zweiter Leibarzt fungirte.

Der Adjutant nahm seine schönste Haltung an, um den hohen Chef und Vater bestens zu begrüßen.

Der Kriegsminister war ein großer, stattlicher Mann mit stark ergrautem Haar und Bart, ein schöner alter Herr, der in der Generalsuniform vortrefflich aussah und dessen zahlreiche Orden ebensoviele Gefechte und Schlachten zu bedeuten hatten.

Der Generalstabsarzt dagegen war klein, wohlbeleibt, von beweglichem Wesen. Wenn er eifrig sprach, so fuhren seine Augen lebhaft hin und her und sein Arm arbeitete wie ein Telegraph.

Seine Excellenz begrüßte den Sohn freundlich mit der Hand, wobei sie ihm zurief: »Bon jour, mon garçon!« Dann wandte sie sich wieder zu dem Arzte, der sein Gespräch einen Augenblick unterbrochen hatte und nun zu dem Adjutanten hinlief, mit seiner Rechten dessen Hand freundlich schüttelte und zu gleicher Zeit die Linke auf die breite gewölbte Brust des jungen Offiziers legte. Dann wandte er den Kopf pfiffig lächelnd gegen den Kriegsminister, indem er sagte: »Sehen Euer Excellenz, hier in Ihrem Sohne kann ich meine Behauptung ad oculos demonstriren; das ist eine Kavallerie-, überhaupt eine Militärgestalt, das kann was im Sattel aushalten. Bemerken Sie wohl die gut geformte Taille, die aufschwellende Brust und die breiten Schultern?«

Der alte General sah zufrieden lächelnd auf seinen Sohn und schien dem Arzte Recht zu geben.

»Hier kann man die Schultern zusammendrücken, wie man will, da zeigt sich keine Spur von Husten, und wenn man vornen hinklopft, da ist es gerade, als höre man ein entferntes Glockengeläute. Und das Untergestell – solches Zeug braucht man zum Dienst, wenn man es zu Etwas bringen will. – Aber gehen Sie mir nur mit Ihrem Herzog!« schloß er achselzuckend.

»Aber, lieber Freund,« entgegnete ruhig der Kriegsminister, »Sie verkennen offenbar den Standpunkt der Sache. Seine Majestät der König, vielleicht von Bitten bestürmt, haben einmal nachgegeben, haben erlaubt – nein, haben befohlen, daß der Herzog die Universität und mithin auch die Civilcarrière verlassen soll, um in das Gardedragonerregiment einzutreten.«

»In das Gardedragonerregiment!« rief der Arzt mit einem wahren Aufschrei, indem er beide Hände auf dem hervortretenden Bäuchlein zusammenlegte. »In das Gardedragonerregiment!« wiederholte er und blickte kopfschüttelnd in die Höhe.

»So ist es,« versetzte die Excellenz. »Sie wissen, wie sehr sich Ihre Majestät die Königin dafür interessirt, den Sohn Ihrer Schwester –«

»Statt im schwarzen Frack in der glänzenden Uniform zu sehen,« sagte der Arzt krampfhaft lachend.

»Meinetwegen soll es so sein; aber wie bemerkt, Ihre Majestät baten mich sogar darum, ersuchten mich auf's freundlichste, mich bei dem König für die Sache zu verwenden.«

»Und Seine Majestät?« entgegnete der Arzt mit einem pfiffigen Gesichtsausdruck.

»Seine Majestät verlangt natürlich Ihr Gutachten,« erwiderte der Kriegsminister.

»Weil Seine Majestät,« versetzte der Doktor mit erhobenem und wichtigem Tone der Stimme, indem er zu gleicher Zeit mit der rechten Hand zu jedem Wort den Takt in der Luft schlug, »ein Herr von der größten Ueberlegung sind, ein Herr, der selbst genau weiß, was zum Militär nöthig ist, wie man zu einem Gardedragoneroffizier aussehen muß, ein Herr, der mit einem Worte – selbst ein vollkommener Soldat ist.«

»Aber, lieber Doktor, sind Sie nicht kindisch!« sagte fast bittend der alte General. »Mir kann es ja am Ende gleichgiltig sein; aber ich versichere Sie, Ihre Majestät hat sich einmal auf dieses Projekt capricirt; es ist in der That ein Wunsch von ihr, und es würde sie schmerzen, wenn der Herzog nicht unter das Gardedragonerregiment käme.«

»So soll man ihn nehmen! – nehmen! – nehmen! – aber man soll mich nicht fragen. Dann können Sie ihn meinetwegen zum Dragoner, zum Artilleristen, ja zum Kürassier machen; – oder,« sprach der Arzt plötzlich in einem andern Tone, während er die Hände auf den Rücken legte, »sagen doch Euer Excellenz: der Generalstabsarzt hat diesmal total Unrecht; garantiren Sie für seine Gesundheit, Sie, ein langgedienter Kavalleriegeneral, und ich will Ihnen in keinem Titelchen widersprechen.«

Bei diesen Worten hustete der Kammerdiener an der Thüre bedeutungsvoll, öffnete dann die Flügelthüre, und die beiden Herren, welche wußten, was es zu bedeuten habe, beeilten sich, in das Kabinet zu treten.

Sie blieben nicht sehr lange darin, und als sie wieder heraustraten, sagte der Kriegsminister, indem er den Arzt scheinbar ärgerlich am Arme schüttelte: »Sie sind ein alter hartherziger Kerl; nächstens halte ich eine große Kavallerieparade und lasse Sie in der Suite mitreiten, bis sie schwarz werden.«

»O Excellenz,« entgegnete pfiffig lachend der Doktor, »warum desavouirten Sie mich nicht soeben? Der Herr schien das fast zu erwarten, aber Sie sind ein – Ihnen ist der Herzog auch lieber auf der Universität als unter dem Gardedragonerregiment. Sprechen Sie über mich bei Ihrer Majestät, was Sie wollen und mögen: ich halte still – denn Recht habe ich. – Sie, Graf Fohrbach,« wandte er sich an den Adjutanten, »müssen mir beistimmen, Sie kennen den Herzog. – Ist das ein Kavallerist? – Nie! nie! ebensowenig als ich selber, und wenn mir Einer das Gegentheil beweist, so will ich alles Praktiziren bleiben lassen und Bärte scheeren.«

»Was vielleicht ein großer Vortheil wäre für die leidende Menschheit,« sagte lachend der Kriegsminister, während er seinem Sohne vertraulich die Hand schüttelte und dann mit dem Arzte das Zimmer verließ.

Damit war der Rapport beendigt, und der geneigte Leser, den wir nun einmal in die Geheimnisse eingeführt, kann auch von uns verlangen, daß wir ihm ferner mittheilen, wie der heutige Tag bei Hofe zu Ende ging. Wir thun dies um so lieber, als wir ihm dadurch der Tendenz unserer wahrhaftigen Geschichten gemäß beweisen, daß kein Mensch auf dieser Welt der Sklaverei entgeht und im Stande ist, beständig seinen Willen durchzusetzen, nicht die Bettler, nicht die Höchsten dieser Erde.

Seine Majestät der König ritten nicht spazieren, wie Sie gewünscht. Dieselben fuhren auch nicht mit zwei Rappen, wie Sie befohlen, und das aus einem ganz eigenthümlichen Grunde. Der dienstthuende Stallmeister nämlich hatte sich herausgenommen, die Pferde vor dem kleinen bekannten Wagen zu verschiedenartigen telegraphischen Depeschen zu benützen, vermittelst deren er mit einer Dame zu korrespondiren pflegte. Fuhr Seine Majestät mit Braunen, so hieß das Ja, hatten dagegen Höchstdieselben Rappen vor dem Wagen, so bedeutete das Nein. Weil nun aber am heutigen Tage dieser dienstthuende Stallmeister aus den angegebenen Gründen für nothwendig hielt, zwei Braunen einspannen zu lassen, so waren die Rappen noch nicht vollkommen sicher und vertraut, weßhalb Seine Majestät auf den gewiß sehr billigen Wunsch, mit ihnen zu fahren, verzichten mußte.

Ferner war auch das Diner nicht in dem kleinen blauen Saale, sondern in dem großen rothen. Dasselbe ging auch ziemlich einsilbig und unerfreulich vorüber, denn Ihre Majestät die Königin hatte rothgeweinte Augen und ließ sich deßhalb entschuldigen. Sie speiste auf dem Zimmer mit ihrer Schwester, der Frau Herzogin, das heißt sie speisten vielmehr nicht, sondern ergingen sich in verschiedenen Klagen über verfehlte Wünsche im Einzelnen und über den Druck dieses Lebens im Allgemeinen.

Dafür endete aber auch dieser Tag, wie er angefangen, und als seine Majestät in's Theater trat, wurde gemeldet, daß Madame Wiesengrün-Spitzkopfin erkrankt sei und daß dafür Fräulein Topf die – – Norma singen werde, was an sich auch eine sehr schöne Gegend ist.

 


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