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Tief in seinen Erörterungen mußte das junge Paar schon vorgerückt sein und doch staunte Terschka, eine scheinbar so ruhige Conversation zu vernehmen. Nein, nein, sagte Armgart mit so leiser Stimme, daß folgen zu können auch nur Sein feines Gehör geschickt war – nein, nein, wissen Sie wol, lieber Freund, damals in Lindenwerth, als Sie uns zum ersten male besucht hatten? Ein Frühlingstag war es! Die Syringen blühten, die Nachtigall sang! Das Pensionat wanderte in die Sieben Berge. Sie, Asselyn, gingen mit uns. Als wir in eine Schlucht kamen, die sich so wunderschön öffnete – ganz grün war sie und sie verlor sich dann in Felder mit goldenen Repssaaten – da hieß es, dies Thal wäre die Aue – und da sagten Sie: Hartmann von der Aue! Wer ist das? fragte ich. Ein Minnesänger! sagten Sie und setzten hinzu: Kennen Sie das Gedicht vom armen Heinrich nicht –?
Eine Pause trat ein. Benno schien sich zu besinnen. Vom armen Benno! sagt' ich wol – warf er leise und bedeutungsvoll ein.
Nein, nein, erwiderte Armgart, diesem Tone ausweichend, vom armen Heinrich, dem zu Liebe einst eine fromme Jungfrau sich geopfert hätte. Sie wollten's mir erzählen und die dummen Mädchen kamen dazwischen mit ihren Eseln – wissen Sie noch, sie wollten sämmtlich Esel reiten und die Steigbügel waren zu lang –?
151 Werden Sie denn morgen wirklich mit bei der Jagd sein? unterbrach Benno, der noch nicht zu ahnen schien, was Armgart mit ihm Ernstes vorhatte.
Ich weiß es nicht! antwortete sie. Die Tante sieht soviel Gefahren! Paula ist auch heute wieder aufgeregter denn je –
Benno schien nur zuzuhören.
Die Tante hat den Münnichs versprochen, den Püttmeyer'schen Bildern beizuwohnen. Zu diesen wenigstens könnte ich mitgehen trotz der Trauer. Aber ich weiß es noch nicht. Erzählen Sie mir von Hartmann von der Aue und vom armen Heinrich.
Liebe Armgart, begann Benno, dieser arme Heinrich war ein schwäbischer Ritter, der in den heiligen Krieg zog und das Unglück hatte, statt mit großer Beute nur mit einer schweren Krankheit heimzukehren, die kein Doctor heilen konnte. Man nannte die Krankheit die Mifelsucht. Ritter Heinrich war nicht einmal jung, vielleicht sogar nicht besonders liebenswürdig, aber er war ein guter Guts- und Grundherr. Einem seiner Vasallen, seinem Meyer, wie unser altdeutsches Gedicht sagt, blühte ein Töchterlein, den Namen hab' ich vergessen – Wollen wir sie – Armgart nennen?
Gewiß! antwortete Armgart und gab diese Zustimmung aus schwerem Herzen und voll Ernst.
Nun gut! Des Meyers Töchterlein, Armgart, hört von dem Leid des guten Ritters, der nach Salerno gereist war, wohin man damals reiste seiner in medicinischen Angelegenheiten berühmtesten Universität wegen. Salerno liegt in Italien –
Ich weiß! sagte Armgart auf Benno's nicht ganz harmlose Erklärung. Aber ihr: Ich weiß! war ohne jede Empfindlichkeit. Clärchen im »Egmont« konnte, mit dem Leben abschließend, ihr elegisches: »Weißt du, wo meine Heimat ist?« nicht ergebener sprechen.
152 Nun kommt eine Botschaft aus Italien! fuhr Benno fort. Der Ritter könnte genesen, hieß es, wenn eine Jungfrau rein sich fände, die für ihn in den Tod ginge. Ich kann im Augenblick nicht sagen, liebe Freundin – Sie müssen den Domherrn fragen, der in diesen Gedichten heimischer ist, als ich – ob der Ritter das Blut der Jungfrau trinken oder in seine geöffneten Adern aufnehmen sollte . . . Letzteres ist vorgekommen auf der Universität Göttingen neulich, das heißt umgekehrt: ein junger Student hat sich hergegeben, sein Blut durch Transfusion in die blutleeren Adern einer jungen hinsiechenden Frau hinüberleiten zu lassen. Die junge kranke Frau wurde neubelebt durch Studentenblut. Wird sie ihn nicht ewig lieben müssen?
Scherzen Sie nicht, Asselyn!
Sie glauben nicht daran? Dann glauben Sie auch wol nicht, wie zwei Freunde es machen müssen, die scheiden und sich in die Ferne treue Kunde geben wollen? – Gesetzt, wir beide! Ich reise nächster Tage ganz aus Ihrer Nähe – und wer weiß, auf wie lange!
Asselyn –! unterbrach Armgart mit einem sanften Tone, setzte aber, sich sogleich beherrschend, hinzu: Wie machen es zwei Freunde, wenn sie sich trennen und sich von einander Kunde geben wollen?
Sie ritzen sich gegenseitig eine Wunde, füllen das tröpfelnde Blut einer dem andern in die seinige und lassen so die Wunde heilen! Reist nun der eine gen Amerika und der andere gen Asien, so können sie sich ohne alles Briefporto, ohne alle Telegraphie im Nu verständigen. Der eine will dem andern sagen: Ich grüße dich von ganzer Seele! – da nimmt er eine Stecknadel und sticht auf die geheilte Wunde. Im Nu fühlt der andere den Stich an derselben Stelle. Jetzt gibt er Obacht; dieser erste Stich war nur ein: Hab' Acht! Nun nimmt er ein Blatt 153 Papier, einen Bleistift und zählt die fernern Stiche, die er fühlt. Ein einzelner Stich bedeutet den Buchstaben A, unmittelbar hintereinander zwei Stiche B, drei Stiche C u. s. w. So kommen bestimmte Wörter zusammen und zwei auf diese Art blutsverbundene Freunde können über tausend Meilen weit sich im Nu sagen: Es geht mir wohl! Ich liebe dich immer und ewig! Ich sterbe und dergleichen Späße –
Benno –!
Es dauerte eine Weile, bis Terschka Weiteres hörte. Sein Herz schlug so laut, daß es ihm selbst hörbar wurde. Endlich schien Benno sich gefunden zu haben . . . Wenigstens hörte Terschka von ihm die Worte: Zwanzig Meilen nach dem Westen, da gibt es ja noch Postverbindung! Oder wollen Sie etwa weiter noch – nach dem Osten?
Vielleicht –
Wohin?
Nach Wien.
Terschka horchte auf . . .
Mit Ihrer Mutter? fragte Benno gelassen.
Armgart schwieg.
Mit wem? fragte er dringender.
Erzählen Sie mir von der Tochter des Meyers! war Armgart's ausweichende Antwort.
Mit wem? drängte Benno.
Wie ließ sie ihr Leben für den kranken Ritter?
Mit wem? wiederholte Benno und rief so laut diesmal, daß ihn Armgart um aller Heiligen willen um Ruhe bat.
Was that die Jungfrau? sagte sie dann.
Fragen Sie den Domherrn! antwortete Benno mit hörbarer Erregung und voll Bitterkeit. Ich glaube, sie sollte sich auf den Secirtisch der Anatomie legen und sich von den Professoren 154 zerschneiden lassen. Das Mädchen, ein zweites Käthchen von Heilbronn, reiste nach Salerno, bietet sich auf der Anatomie zu jedem Experiment an – Die Professoren erstaunen und, wie beim Opfer Abraham's schon der Wille für die That gewirkt hatte, so wird auch hier der Ritter gesund und heirathet die Tochter seines Meyers.
Das ist dumm! wallte Armgart auf.
Wie so? Wegen der Mesalliance? Oder erwarteten Sie den Opfertod?
Gewiß! Das Schicksal ist auch wol so gnädig. wie ihr Poeten? Wo etwas Nothwendiges von den Umständen vorgeschrieben wird, da geschieht es auch! Das steht in den Sternen.
Armgart! Sie wollen so eigensinnig sein, wie manchmal denn doch – die Liebe Gottes nicht ist? Welchen Opfertod suchen Sie nur?
Armgart schwieg.
Sprechen Sie, Armgart –! Was wollen Sie zu Wien –? Ich beschwöre Sie!
Benno errieth nicht, welche Gedankengänge in Armgart schlummerten, welchen Opfertod sie meinte. Daß aber Wien mit Terschka zusammenhing, das mußte ihm gewiß sein. Terschka hörte, daß er eine Rede abbrach, die aus seiner mächtigsten Aufwallung zu kommen schien. Wie mit mühsam sich beherrschender Stimme sprach er: Ich denke, Sie leben nur der Vereinigung Ihrer Aeltern?
Das thu' ich auch! In wenigen Tagen werden sie verbunden sein!
Wer sagt Ihnen das?
Meine Ahnung!
Was der Mensch getrennt hat, kann kein Gott wieder zusammenfügen! Selbst – Sie nicht, Armgart!
155 Sie sind ein Atheist!
Können Sie wissen, was sich Ihre Aeltern vorzuwerfen haben?
Nichts haben sie sich vorzuwerfen! Und wenn – Die Kirche scheidet nicht! Sagten Sie nicht oft, Vater und Mutter – beide sind Menschen voll Hochherzigkeit und Edelmuth? Und sie sollten sich nicht angehören? Nicht ewig?
Liebe erzwingt sich nicht! Das – – das seh' ich ja.
Die Liebe ist ein Wahn!
Armgart!
Nur Gott ist die Liebe. Gott sagt, wen und was die Liebe wählen soll! Ha, Sie sprechen von Glück, Benno? Thorheit, Thorheit menschlicher Schwäche, die nur in der Befriedigung ihrer eiteln Wünsche Beruhigung findet! Wohl! Schön muß es sein und herrlich zu leben, das geb' ich zu, erreicht das Herz, wonach es verlangt. Aber auch stückweise dies hinzugeben, begehrt es die höhere Pflicht, die Prüfung unserer Größe – darin kann dieselbe Freude liegen – oder glauben Sie nicht, daß Hedwig von Polen glücklich war, als sie dem Manne entsagte, den sie liebte, Ferdinand von Oesterreich – und den Heiden Jagello zum Manne nahm, der ihr seine Taufe, die Taufe eines ganzen Volkes zur Morgengabe brachte? Als sie ihren Brautschleier der Mutter Gottes von Krakau schenkte, da muß ihr anfangs das Leben wie unter einem schwarzen Gewitterhimmel dahingezogen sein! Dann aber umsäumte sich ihr Leben rosig und gewiß, gewiß – sie wurde glücklich!
Armgart –! rief Benno jetzt außer sich und voll Erstaunen. Und alles wurde still. Im Geist sah Terschka seinen Schutzheiligen, den achtzehnjährigen Polen Stanislaus von Kostka, dem beim Gebet sein Antlitz von Verklärungsschimmer überleuchtet wurde. Ebenso auch hörte er Monika, deren Methode zu 156 fühlen und zu denken ganz dieselbe war, wie bei ihrer Tochter, kam ihr Fühlen und ihr Denken auch andern Ergebnissen zugute. Sein Herz verstand, was er gehört hatte. Dämonen raunten ihm zu: Willst du mitleidig sein mit diesem jungen Mann, der seinen Abschied auf ewig – doch wol nur um deinetwillen erhält? Willst du thöricht sein und um einer solchen von Göttern zu beneidenden Hingebung willen gestehen, daß ihr Selbstopfer – ihre Absicht, ihn – von ihrer Mutter zu trennen, auf einem Irrthum beruht?
Armgart! Armgart! Ich beschwöre Sie, was geht in Ihnen vor? rief jetzt Benno.
Ich lebe – einem Gelübde!
Kann denn irgendeine That Gott wohlgefällig sein, die Ihr Herz Gefahren aussetzt, für welche keine, keine Himmelskrone Sie entschädigen wird?
Das ist Lästerung!
Wem wollen Sie Ihr Herz, Ihre Hand zum Opfer bringen? Terschka?!
Es erfolgte kein Aufschrei Armgart's. Alles blieb still. Lange, lange blieb es still. Terschka begriff nicht, warum beide so plötzlich schwiegen.
Allmählich begann Benno wieder zu sprechen. Er sprach jedoch so leise, daß Terschka nicht folgen konnte. Dem Schlüsselloch Ohr und Auge zuzuwenden wagte er nicht; er war ungewiß, ob nicht die nebenan herrschende Stille jede seiner Bewegungen verrathen könnte. Benno stand in diesem Augenblick vor Terschka's Phantasie, als müßte er Armgart an beiden Händen halten, ihr tief in die Augen blicken, mit ruhiger Ergebung ihr die ganze Wahrheit seines Herzens enthüllen und ihr sagen: So sollst du denn hinschwinden, schöner Traum meines Lebens, und – wer, wer konnte dich fesseln! Wer konnte dir werther sein, als ich! – –
157 Die Worte, die Terschka dann allmählich unterschied, lauteten: Armgart! Wenn irgendjemand die Stimmungen kennt, in denen man, wie wir so oft in den Gärten des Enneper Thals nach den schwellenden Früchten über uns nicht langten, ebenso auch sein Glück dahinziehen läßt unerstrebt, so bin ich es! Aber – bleiben Sie nur, Armgart! Ich wurde schon ruhiger, seit ich wußte, daß auch mein Freund Thiebold Sie liebt! Denn wie wollen Sie es nennen, wofür die Sprache nur Ein Wort hat! Sie erklärten vorhin meinem Freunde ohne Zweifel mit derselben Bestimmtheit, wie mir, daß Sie aus unserm Leben auszuscheiden wünschen und unsere Bewerbungen ferner nicht mehr dulden mögen. Nun denn! Ich nehme den Aschenbecher, wie Thiebold, der Fröhlichere – die Tasche für schnell verkohlende – Cigarren! Wer Ihr Herz besitzt, ich sagte es vorhin. Herr von Terschka wird eine große gesellschaftliche Stellung einnehmen, wird Sie in das schöne Wien entführen, dort werden Ihnen Glück und Reichthum lächeln! Fliegen Sie mit ihm dahin zu Roß in flatterndem Gewande! Aber nehmen Sie ein Wort von mir zum Abschied! Ich bin Ihnen nichts mehr und nun – nun bin ich mir noch weniger, als schon seit lange. Ihre Tante hat recht, mich wie einen Zigeunerknaben zu behandeln, den man nur aus Barmherzigkeit aufnimmt. Ich bin ein verflogener Vogel und passe für euere Käfige nicht . . . Doch ich werde Sie wiedersehen – das weiß ich. Wissen Sie, Armgart, daß ich auch Das sicher und fest weiß – daß ich Sie, trotz Ihrer von unserm Glauben gebotenen Himmelskrone – ich weiß nicht warum! – unglücklich finden werde? Und Sie bejahen es –? Gewiß! Ihr räthselhaftes Märtyrerthum wird Sie nicht befriedigen! Es gibt Naturen, die aus Erdenstoff gar nicht geschaffen scheinen und die dennoch den Gesetzen der Erdenschwere mehr unterliegen, als die gemeinen! Ihre Mutter schon rettete sich nur durch eine Flucht, 158 die sie ganz aus der Welt heraus verbannen sollte, vor Gefahren, in die nun auch Sie sich begeben wollen: Ihre Mutter wird von Tausenden verurtheilt, ohne daß sie es verdient; sie wird verurtheilt und – sie leidet darunter. Auch Sie, Sie, Armgart – werden den Beifall der Menschen suchen, dann, dann vergebens suchen, wenn Sie ihn nicht mehr finden können. Ich erschrecke vor Ihrer Zukunft!
Armgart erwiderte leise und sprach lange. Terschka konnte nichts verstehen, als daß sie nur vom Beifall Gottes und von ewiger Trennung sprach. Endlich wurde alles still. Die Thür ging. Noch hörte Terschka nur ein plötzliches, heftiges, aus tiefster Seele kommendes Schluchzen. Armgart mußte allein sein. Ihr Weinen wurde zuletzt so heftig, daß davon sein Innerstes durchschnitten wurde.
Anfangs wollte er hinüberstürzen, sich ihr zu Füßen werfen, die Liebe, die nur ihm, ihm geweiht sein konnte, ablehnen, wollte die Wahrheit bekennen, daß er Priester wäre und ein gerade in ihren Augen todwürdiges Verbrechen schon dadurch begehen würde, an ihren Besitz nur zu denken – – Dann aber erschreckten ihn – gerade die Thränen Armgart's; er konnte ihr Weinen nicht mehr hören und verlor die Besinnung. Leise schlich er auf den Zehen durch die Zimmer zurück, kam zum großen Speisesaal, öffnete die Thür, die in den Corridor führte. Alles war still. Niemand schien ihn beobachtet zu haben. Er blickte durch ein Fenster in den Hof und entdeckte Benno und Thiebold, die beide schweigend und wie vernichtet und erstarrt zur Erde blickend zum Portal des Schlosses hinausgingen, wahrscheinlich um gemeinschaftlich nach Witoborn – und in ein neues Leben zurückzukehren.
Die Mittagsglocke, die im kleinern Speisezimmer alles vereinigte, läutete. Tischgenossen, die der Zufall brachte, gab es in dem 159 gastfreien Hause immer. Armgart trat schon hinter Terschka hervor. Ihre Augen waren zwar noch tiefverweint, doch hatte sie wenigstens scheinbar wieder ihre Unbefangenheit gewonnen. Herr von Terschka, sagte sie mit leiser Stimme, ich will Nachmittags nach Heiligenkreuz.
Der Wagen ist schon für die Damen bestellt! sagte er – Wie mußte er sich beherrschen, nicht ihre Hand zu ergreifen. Er konnte ihr nicht in die Augen sehen.
Es sind mir ihrer zu viel –
So bestell' ich zwei Wagen!
Ich will zu Fuß gehen.
Es wird Abend werden, ehe Sie fortkönnen.
Sie können – ja, Sie können mich ja – begleiten –
Damit stand Terschka allein. Auf dies Wort kämpften Himmel und Hölle in ihm. Hatte es doch geradezu gelautet wie eine Aufforderung zu einer vertraulichen Beziehung. Terschka begriff, was in Armgart vorging. Sie hatte ein Gelübde gethan, nicht einem ihrer Aeltern allein, sondern nur beiden und nur, wenn sie sich versöhnt hätten, anzugehören. Nun glaubte sie: Er liebte die Mutter und die Mutter ihn. Wie ein Glühstrom fiel es auf ihn: Deshalb reißt sie mich mit Gewalt von einer eingebildeten Liebe ihrer Mutter los und will lieber selbst mich gewinnen – – – Die Möglichkeit, daß ein solcher Gedanke in ihr entstehen, dies Ertödten ihrer Neigung zu Benno möglich sein konnte, übersah er vollkommen. War doch Armgart »katholisch«! Sollte er dies Wahngebild sich immer weiter ausbilden, immer verheerender im Herzen der lieblichen Jungfrau um sich greifen lassen? Um sich greifen lassen auf Grund einer Voraussetzung, die – das sah er ja mit Beschämung – in Betreff Monika's eine völlig unbegründete war und auf Verwickelungen hinausführte, die nie zu lösen schienen –?
160 Schon sah er sich im Geist mit Armgart allein dahinschreiten durch die Winterlandschaft . . .
Er sah im Geiste Armgart neben sich, wie sie im Pelz die Hände barg, wie er, von fernem Glück überwältigt, beim Eintritt in den dichtern Tannenforst eine derselben verwegen ergriff. Er hörte im Geist, was sein Uebermuth, sein Leichtsinn wagen würde ihr zu sagen: Wie hab' ich Sie schon einst in leiser Ahnung gesucht an jenem stürmischen Regentag, als die Jugend von Lindenwerth zur Villa in Drusenheim kam! Wie zog mich damals schon Ihre Flucht Ihnen nach! Den schnellsten Renner hätt' ich satteln lassen mögen vor Eifersucht, nur um der Dritte sein zu können unter denen, die in Ihrer Nähe weilen durften! Er sah Eulen auffliegen, die den Schnee von den Aesten verschütteten, auf denen sie gesessen. Hirsche, Rehe – Unthiere mit großen Köpfen sah er durch die Gebüsche brechen, aufgescheucht vom Vortreiben zur morgenden großen Jagd. Der Mond stieg am äußersten Rand des Horizontes auf. Ausmalen mußte er sich, wie er an der Allee, die nach Heiligenkreuz führt, würde Abschied nehmen und zurückkehren müssen, gerade wenn sein alter, gewohnter Lebensübermuth ihn übermannt hätte. Toll würde er in die Nacht hinauslachen müssen, bis – – vielleicht aus den Büschen am Seitenwege plötzlich ein Bote seines vergangenen Lebens träte – Jean Picard, sein Gespiele – Franz Bosbeck, sein Lebensretter – van Prinsteeren, der ihn zuerst auf ein Pferd gehoben – jener Schweizersoldat, der ihn mit in die Alpen nahm – Er hörte das Stampfen der Rosse in der Kaserne der Lanzenreiter zu Rom – sah die Benfratellen, die ihn in das Spital an der Tiber trugen – aber plötzlich hatten sie Todtenhemden an und Larven über dem Antlitz – es war die Bruderschaft della Morte –
So noch fiebernd, so noch in Jesuitenart schwankend, so im 161 zagenden Begriff zur Gesellschaft einzutreten, erschütterten ihn zwei Thatsachen, die zu gleicher Zeit auf ihn eindrangen. Um ihn her war es plötzlich seltsam lebendig geworden. Er sah, daß es die Anzeichen einer neuen Vision der Gräfin waren. Stimmen des Erstaunens gingen durcheinander. Er sah Bonaventura kommen, sah ihn von Tante Benigna, von Onkel Levinus in hastiger Aufregung begrüßt, sah, wie der Domherr erbleichte, als ihm die Mittheilung wurde, Paula läge im Hochschlaf und würde von den schmerzlichsten Anschauungen gefoltert.
Zu gleicher Zeit bemerkte er aber auch auf dem Corridor, der zu seinen Zimmern führte, im weitesten Hintergrund und von einem Sonnenstrahl grell beleuchtet – einen Mönch. Ein Lebender war es, der dort herkam, aber seine funkelnden Augen schienen zwei Flammen aus den Höhlen eines Todtenkopfs zu sein. Die Kiefern des Mundes bewegten sich. Sie lächelten Terschka von weitem so freundlich, daß die Grübchen auf den Wangen sich ausfüllten wie mit Blumen um Leichensteine. Ein langes, weites, braunes Gewand hing wie über einem Skelet, das lässig, aber absichtsvoll daherschritt.
Herr von Terschka? riefen Diener im Hintergrund. Ist dort! sagten andere und schossen an ihm vorüber. Ahnend stand Terschka an der Schwelle des Eintrittsaales am Weihebecken. Der Mönch näherte sich. Zugleich sprach voll Schrecken Bonaventura, der neben Terschka stand: Um Gott, was hat sie gesehen? Eine Feuersbrunst! riefen mehrere Stimmen vom grünen Zimmer her.
Unter Terschka wankte der Boden. Der Mönch kam näher und näher. Voll Schmerz und Verzweiflung liegt sie! erzählte man durcheinander. Sie sieht ein Haus in Flammen stehen! Sie fürchtet zu verbrennen! Kommen Sie! Helfen Sie, Herr Domherr –!
Aber auch der, welcher einst Terschka aus den Flammen eines 162 brennenden Hauses gerettet, kam näher und dennoch schien sich der Corridor weit, endlos zu erstrecken bis zu den Corridoren und Kerkern – des al Gesù in Rom. Der gespenstische Bruder hielt einen Brief empor, der nur an Terschka gerichtet sein konnte. Nur auf ihn, ihn allein, blickte unverwandt das freundliche Nicken des Todtenhaupts.
Es ist das Schloß, das brennt! berichteten neue Stimmen und riefen Bonaventura, dessen Hand Onkel Levinus ergriffen hatte, als sollte er Hülfe bringen und Paula beruhigen.
Das ist Hubertus –! sagte sich Terschka und auch an seinem Arm brannte das Mal in lichterlohem Feuer.
Bonaventura war aus dem Vorsaal in das grüne Zimmer getreten wie ein Hülfebringender, ein Rettender vor dem Tod in Feuersgluten, die er, seiner Ahnungen und Beichtbürden eingedenk, um sich her durch die Fenster hereinbrechen, rings das Gebälk ergreifen, eine Welt in Asche legen sah. Auch Terschka sollte folgen, erwartete Onkel Levinus und harrte.
Doch der Mönch, was will – der Mönch? Ah, Bruder Hubertus! sagte Onkel Levinus, ihn erkennend und nach obwaltenden Umständen begrüßend. Sie kommen eben recht, um jemand aus den Flammen zu retten! Die Gräfin hat die schwere Vision einer Feuersbrunst . . .
Bruder Hubertus trat näher, verbeugte sich, zuckte die Achseln, als wisse er gegen solche Offenbarungen der Gottheit keine Hülfe, und übergab an Terschka den Brief, den er ihm schon so lange entgegenhielt.
Terschka ergriff den Brief. Das Siegel war geistlich – – doch kam er nicht aus Rom. Pater Maurus, der Provinzial der Franciscaner zu Himmelpfort, schrieb ihm nur, unter dem großen Siegel seines Klosters. Terschka erbrach und las. Jetzt zog ihn aber der Onkel, um das ihm wichtiger Scheinende in den Zimmern 163 drinnen nicht länger zu versäumen. Ich werde kommen! hauchte Terschka – gelbbleich war er geworden, dem von der Wintersonne gefärbten Schnee auf den Feldern ähnlich.
Noch einmal wandte er sich zu dem an der Thürschwelle harrenden und mit glühenden Augen ihn durchbohrenden Boten und sagte: Ein Brief – für mich – schreibt Ihr Guardian, wäre im Kloster angekommen – Wissen Sie nicht – woher?
Mit einer Miene, die das selige Gefühl ausdrücken sollte: Bist du denn, Mann mit dem mir so theuren Namen, mit der ahnungsvollen seltsamen Gestalt, bist du denn nicht verwandt mit dem Kinde, das ich einst – oder bist du es nicht selbst –? sprach dieser ein Wort, das für Terschka's Ohr wie die Posaune des Weltgerichts erklang: Ja! Aus dem Kloster der Piaristen zu Maria-Treu in Wien!
Terschka verschwand jetzt. Nicht zusammenbrechend, nicht niedergeschmettert von einem Wort, das ihm lauten durfte: Deine Stunde ist abgelaufen! sondern wie mit einem Muth auf Tod und Leben. Er dachte an Armgart und wollte einen Entschluß fassen, der es auf einen Kampf mit Rom ankommen ließ.
Der Mönch stand immer noch und sagte nur zu den Dienern staunend: Wenzel von Terschka –?! Von den Vielbeschäftigten konnte ihm aber auf seine mehrfachen Fragen niemand Gehör geben.