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Terschka zählte schon sechsundzwanzig Jahre, als er Profeß der drei Gelübde wurde, der Armuth, der Keuschheit, des Gehorsams. Nach Verlauf von drei Jahren wurde er ein Priester von allen Weihen. Zwei Jahre später, kurz vor der Julirevolution, legte er das vierte Gelübde ab, Gehorsam dem Heiligen Vater, unbedingtes Sichverwendenlassen für jeden ihm auferlegten Zweck. So stand er auf dem Gipfel seiner Wünsche.
Und auch keineswegs war er unbefriedigt. Der Autodidakt liebt mehr als ein Studirter sein Wissen, das er sich mühsam erworben hat. Er liebt es mit mehr Begeisterung als ein von früher Jugend an Geschulter. Und welche Bewährungen gab es nicht! Dienen mußte er unausgesetzt, knechtisch dienen, aber zugleich konnte er nach andern Richtungen hin oft auch schon souverän befehlen. Jede Stufe der Unterwerfung mehr auf der einen Leiter gab zugleich auch auf einer andern eine Stufe der Erhöhung. Er besuchte die Hörsäle der wenige Schritte vom Collegium entfernt liegenden Universität. Hier, wo Hebräisch und – Physik nicht nur in demselben Auditorium, sondern oft auch von demselben Lehrer vorgetragen wird, legte er den Grund zu einer Fülle von Thatsachen, die sein Inneres mächtig hoben. Und diese Erweckung, diese stete Gegenständlichkeit und Bewußtheit des Denkens! Schon die Anleitung zu den »Vorspielen« 115 des Geistes oder zur »Erleuchtung« –! Bonaventura kannte sie, diese Künste der »geistigen Lesung« und der »Vorspiele« –!
Eine Betrachtung z. B. über das Verjagen der Wechsler aus dem Tempel mußte nach Jesuitenhomiletik in folgender Art angestellt und geordnet sein: Erst ist der einfache Stoff zu lesen; dann schlägt im Collegium plötzlich eine Glocke – mit dem ersten Schlag derselben stellt man sich rasch einige Schritte vom Betpult entfernt, denkt sich Gott und die Heiligen unmittelbar gegenwärtig, fällt auf die Kniee, küßt die Erde und beginnt die lebendigste Phantasievorspiegelung eines Tempels, eines erhabenen Baues mit Säulen, mit einer, wie beim Pantheon, halb eingebauten, halb in der Vorhalle aufgeschlagenen Reihe von Buden. Das Geld klimpert, die Wechsler, ganz wie sie nur auf der Via Condotti oder auf dem Corso stehen mit ihren Napoleonsd'ors und Papierscheinen, dieselben Wucherer mit Habichtnasen, wie sie unter den Tuchhallen am Eingang des Ghetto zum Kauf einladen, ihre Waaren anbieten müssen, übervortheilen, schreien – schreien in die Messe der Santa-Maria Monticelli hinein, in die Klingel des Ministranten. Nun erscheint der Heiland, das Haar von Lichtglanz umflossen, die Farbe des Rocks ist roth, der Ueberwurf blau, die Jünger stehen neben ihm. Niemand von den Schreiern weicht aus, niemand achtet die Andacht derer, die der heiligsten Procession sich schon verneigen. Da ergreift Christus – vielleicht einem Tempelvogt (Ausmalung seiner Tracht) – die Geißel, wirft die Tische um, das Geld rollt weit auf die Straße hinaus, das Volk wagt nicht es aufzuraffen, denn der heilige Zorn ist wie Donnerrollen, sein Auge wie Feuerlohe. »Mein Haus ist ein Bethaus und ihr macht es zur Mördergrube!« Das schallt dann in die Welt hinaus – Nutzanwendung – endlich Gebet! So muß nach Jesuitenanleitung jeder Vorfall der heiligen Geschichte unmittelbar und mit 116 Farben der Gegenwart erfaßt, so umschrieben, so in seine kleinsten Bestandtheile zerlegt werden und dabei die Gedankenordnung nur innerhalb der Ruhestationen des sinnlichen Vorgangs gewählt werden. Die Wechsler: das ist die Sünde! Der Augenblick der Reinigung: das ist die Buße. Der Zustand nachher im Tempel: das ist die Erlösung. Endlich die Vergleichung mit unserer Gegenwart und die Nutzanwendung auf das innerste Herz – bis das Ganze dann im »Colloquium mit Gott«, mit Gebet, schließt. In dieser Weise wollte Müllenhoff versuchen, auch die Exercitien auf dem Schloß der Frau von Sicking einzurichten. Etwas zu spanisch und italienisch für uns! hatte ihm Bonaventura gleich erwidert.
Immer mehr Bewährungen gab es für Wenzel von Terschka. Sogar seine ritterlichen Künste boten Gelegenheit dazu; sie wurden sogar absichtlich und ausdrücklich von den Vätern befördert. Die jungen Geistlichen bestiegen zwar nicht das Roß, aber sie turnten und voltigirten; Reck und Barren fehlten in den Uebungssälen nicht. Da und dort beaufsichtigten sie auch die Erziehungsanstalten. Hier besonders bewunderte man den »Pater Stanislaus«! Denn »Stanislaus« nannte sich Terschka nach dem heiligen Stanislaus von Kostka, jenem jungen Polen. dessen erster Lebensschmerz damit begonnen hatte, daß er 1564 von seinem Hofmeister und seinem älteren Bruder gezwungen wurde, zu Wien im Hause eines Lutheraners – zu wohnen! Dieser junge Heilige wurde vom Beten und Nachtwachen, wie der heilige Aloysius, unsers Thiebold Beichtvorbild, ganz elend, kam von allen Kräften, näherte sich dem Tode. Da entbehrte er die heilige Wegzehrung, die der lutherische Wiener nicht in sein Haus gebracht sehen wollte. Nun erschien dem Knaben die heilige Barbara, zur Seite mit zwei Engeln, und brachte ihm die ersehnte Speise. Doch er sollte nicht sterben. Maria kam in jeder Nacht und setzte auf die Decke 117 seines Bettes das Jesuskind und sagte ihm jedesmal, nachdem er mit ihm gespielt hatte: Stanislaus, tritt in die Gesellschaft Jesu! Stanislaus von Kostka fand nirgends für seinen Wunsch in Wien ein Gehör. Der Provinzial der Jesuiten verlangte erst eine väterliche Bescheinigung. Sein Vater, ein Senator der Krone Polens, schrieb von seinem Schlosse Rostkau in Posenschen, daß er nimmermehr diesen Beruf seines Sohnes wünschen könnte. Stanislaus flehte den apostolischen Nuntius an. Vergebens. Er mochte klopfen an welche Thür er wollte, niemand erwies ihm – damals in Wien – die Gnade, ihn Jesuit werden zu lassen. Da rieth ihm der Provinzial: Wandere gen Rom zu Franz Borgia, unserm General selbst! Also that er. Er entsprang seinem Hofmeister und seinem Bruder, zog Bettlerkleider an und ging über Augsburg zunächst nach Dillingen. Hier im Jesuitenkloster mußte er bei Tisch bedienen und die Stuben kehren. Canisius, der berühmte Morallehrer der Jesuiten, entließ einen seinem Vater entsprungenen Sohn völlig einverstanden gen Rom. Franz Borgia empfing ihn dort voll Güte und schützte ihn vor dem Zorn des polnischen Senators, der die Diplomatie zu Hülfe rief, um sein Vaterrecht zu behaupten. Stanislaus wurde Priester. Er war ein Muster jener »süßen Andacht«, die ein Antlitz wie mit Rosen verklären kann. Ihm mußte befohlen werden, nicht zu lange zu beten. Das Verbot wiederholte sich und wurde sein Todesstoß. An den Folgen der Wehmuth, daß man seine Andachtsglut so oft unterbrach, starb der Jüngling, achtzehn Jahre alt. Man sprach »den Märtyrer des verweigerten Betens« heilig. Als es bei Terschka's Priesterweihe gerade drei Bewerber um den Namen Stanislaus gab, hatte Wenzel von Terschka als Slawe das Vorrecht. Dafür mußte er zu der Kapelle San-Andrea, dicht in der Nähe der schönen Gärten des Quirinals, drei Nächte an dem Bilde 118 seines Heiligen wachen, an jener Statue, die den sterbenden Jüngling Stanislaus von Kostka darstellt – der Körper von weißem, die Kleider von schwarzem, das Bett von gelbem Marmor.
Eines Tags wurde Terschka zum General der Jesuiten, einem Holländer, gerufen und erfuhr von ihm in holländischer Sprache folgende, ihn mächtig ergreifende Anrede: Pater Stanislaus! Die Stunde ist gekommen, wo Sie durch Bewährung im Dienste Ihres Ordens Ihre Schuld der Dankbarkeit abtragen können!
Der Pater verneigte sich. Er ahnte einen schon seit lange mit ihm bezweckten Plan.
Es sind Ihnen große Indulgenzen zu Theil geworden! fuhr der General fort. Sie haben Wohlthaten von der Kirche erfahren, die zu den seltensten Fällen gehören! Der Empfehlung Ihrer Gönner werden Sie zeitlebens verpflichtet sein.
Terschka verneigte sich tiefübereinstimmend. In den letzten Jahren war eine besondere Protection des Cardinals Ceccone nicht mehr ersichtlich gewesen, er bedurfte sie auch nicht; seine Anschlägigkeit fing an sich alle Wege zu bahnen, und er selbst war mit seiner Lage zufrieden.
Ich ließ einen Rath über Sie halten! begann der General aufs neue. Man sprach für Sie und auch, wie es das Gesetz will, gegen Sie! Eine Stimme gab den Ausschlag, die, daß Sie vermöge Ihres ganzen Naturells dem Orden am besten dadurch dienen würden, wenn Sie – in die Welt zurückkehren! Ein Redner – das würden Sie nicht; zur Gelehrsamkeit und zum Unterricht fehlte Ihnen die Ruhe; Ihr praktischer Sinn wäre es, in welchem sich alle Ihre Vorzüge und – Ihre Fehler zu einer möglichst guten Nutzanwendung vereinigten!
Terschka's schon gründlich jesuitisch gewordenes Naturell grübelte, wer wol sein Ankläger gewesen sein mochte. Dergleichen war schwer zu erforschen – seiner schmiegsamen Natur gelang 119 es vielleicht; er wußte jedoch, diese Contras mußten bei einem Bericht stattfinden, Fehler mußten – mit Gewalt aufgesucht werden, nur um dem Princip der Gerechtigkeit nichts zu vergeben. Täglich wurde man so geübt im Beurtheilen der andern. Gingen zwei Jesuiten spazieren, so mußte einer vom andern berichten, was sie unterwegs gesprochen hatten. Der General, der die in Terschka's Innern sich entwickelnden Gedankenreihen übersah, fuhr auch fort: Fassen Sie keinen Groll gegen irgendjemand. Scheiden Sie von uns allen wie von Ihren Freunden! Auch nicht einer ist, der Ihnen nicht Gerechtigkeit widerfahren ließe; nur sind die Gaben mannichfach vertheilt und je mehr Ihnen der eine vom Einen nahm, desto mehr mußte er Ihnen vom Andern lassen! Vorzugsweise besitzen Sie Ein Talent – das Talent, sich beliebt zu machen! Viele versuchen sich darin. Nie aber sah ich so glückliche Erfolge, wie bei Ihnen! Sie werden in Wahrheit von uns allen vermißt werden.
Pater Stanislaus lächelte bescheiden und harrte voll Spannung.
Der Auftrag, der Ihnen ertheilt wird, hängt mit unsern Missionen zusammen –
Mit unsern Missionen! Terschka erwartete ein Reiseziel – jenseit der Meere –! Seine Wünsche waren indifferent, doch schien die Aussicht, große Gefahren bestehen zu müssen, nicht eben lockend für ihn. Dennoch beherrschte er sich.
Jetzt sogar lächelte der General. Er mußte Pater Stanislaus bewundern, der nicht eine Miene verzog oder sonstwie seinen Verdruß zu äußern wagte. Ich meine die innere Mission, setzte der General hinzu, die Verherrlichung unsers Ordens in der Sphäre der Lüge und des Abfalls! Richten Sie Ihre Aufmerksamkeit auf den Norden, von dem Sie herkamen! Zunächst auf den großen deutschen Kaiserstaat! Erinnern Sie sich, daß Oesterreich kurz nach dem Schisma, das die Kirche dem abgefallenen 120 Augustinermönch verdankt, zu sieben Achttheilen – zu sieben Achttheilen! – von Rom abgefallen war. In Wien konnte ein Lutheraner sagen: In mein Haus lass' ich die heilige Wegzehrung nicht bringen! Durch uns ist das Kaiserreich in den Schoos der Kirche zurückgeführt worden. Die Mittel und Wege dazu waren mannichfach. Sei Ihnen vorläufig diese Mittheilung über Ihre künftige Verwendung – als Anlaß zur – Prolusio hiermit empfohlen.
Damit war Pater Stanislaus für heute entlassen. Zur »Prolusio« –! Zum Vorspiel der Phantasie –! Ja wie nahm auch jetzt das Wort des Generals den ganzen Menschen gefangen! Terschka war Mönch, Jesuit, Priester geworden, um sich aus einem Leben aufzuschwingen, das seinem Ehrgeiz nicht entsprach. Adeliger Geburt – und dennoch hatte er dienen müssen, dienen in einer Stellung, die ihm keine weitere Erhöhung für die Zukunft versprach. Er ergriff den geistlichen Beruf als einzige Rettung und er war nicht undankbar. Nichts hatte er gewußt als einige lebende Sprachen, er wurde durch den Orden ein Mann höherer Bildung. Daß es andere Bildungsformen in der Welt gab, als die ihm gerade hier zu Theil wurden, ahnte er, aber er mußte die vorziehen, die das aus ihm machten, was er anders für jetzt nicht hätte werden können. In der That besaß er keine Rednergabe. Selbst in der Schule bewährte er sich nicht. Nur in der Erziehungsanstalt, die durch das Collegium geleitet wurde, gab es vielerlei von ihm glücklich beaufsichtigte Unterrichtsgegenstände; Reiten, Tanzen, Fechten wurde gelehrt. Das ja hat die Erziehung durch Jesuiten so begehrt gemacht. Eitle Schaustellung und Unterhaltung der Phantasie war von je und ist die Grundlage der Erziehungsanstalten, welche Jesuiten lenken.
Terschka hatte die wunderbare Moral des Probabilismus kennen gelernt, die ihn wahrhaft blendete. Was nur im Menschen über den 121 schwierigen Unterschied zwischen »Gut« und »Böse« schlummert, hier fand er Aussprüche dafür voll Kühnheit und blendenden Schimmers. Der Wille wurde in dem Grade von der That getrennt, daß beide in eins zusammenfallen konnten und dennoch unterschieden wurden. Der Wille konnte rein und schuldlos bleiben; er konnte die That unmittelbar hervorgerufen haben und dennoch war letztere nicht sein, sondern nur ein Ergebniß – der Natur. So haben nicht die Materialisten unserer Tage die Willensfreiheit geleugnet, wie die Moral der Jesuiten schon lange die That zum Ergebniß der Umstände macht. In den mislichsten Situationen deckt sie immer noch dem Willen den Rücken. Listig und verschlagen, wie Terschka's Sinn von Natur war – wenn nicht so sehr aus Wohlgefallen am Bösen, doch aus Bedürfniß, seine Kraft zu üben und um der Voraussetzung willen, daß eben Bildung, diese ersehnte Bildung, zur Wehr und Waffe des Geistes werden müßte und es mit sich brächte, überall Widerstand zu leisten – lernte er, Bildung wäre die Kunst, sich spielend und ohne den mindesten Schein einer Gewaltthätigkeit das Leben dienstbar zu machen.
Welche Vorstellungen weckte jetzt die »Prolusio«! Eine Mission nach Oesterreich! Der Abfall von der Kirche! Die verschiedenen Mittel und Wege, die einst eingeschlagen wurden, um sieben Achttheile einer großen Bevölkerung wieder in den alleinseligmachenden Schoos der Kirche zurückzuführen! Seine eigene Herkunft war vielleicht eine hussitische! Welche Studien weckte diese Anregung aus dem Gebiet der Geschichte, welche aus dem Gebiet der menschlichen Seele! Pater Stanislaus brannte auf die Enthüllungen, die ihm würden zu Theil werden. Ja er dachte sich einen tief angelegten Plan entweder auf Böhmen oder auf Ungarn, wo noch genug Protestanten lebten. Verstand mußte zu seiner Aufgabe gehören; denn das durfte er sich sagen: 122 von seinem Namensheiligen hatte er durchaus nichts, nichts, was auch seinem Antlitz einen rosigen Verklärungsschimmer gegeben hätte. Wenn er betete – ihm war der Befehl, nicht zu lange zu beten, nie gegeben worden.
Erst nach vierzehn Tagen machte der General der Ungewißheit des jungen Professen ein Ende. Ihre Vorfahren, sagte er, eine Ahnung Terschka's bestätigend, als beide wieder allein auf der einfachen, allen andern Wohnungen gleichen Zelle des Generals waren, Ihre Vorfahren waren Hussiten! Abtrünnige waren sie schon vor Luther! Wir haben deren in Italien noch frühere, die Waldenser! Sie leben noch jetzt mit immer wieder nachwuchernder, unzerstörbarer Kraft im Piemont! Eine Gräfin von Salem-Camphausen, die hinterlassene Witwe eines österreichischen hohen Militärs, Protestantin, beschützt sie von einem ihr angehörenden Schlosse Castellungo aus! Es liegt zwischen Cuneo und Robillante, in dem blühenden Thal, das sich vom Alpenpaß des Col de Tende abwärts senkt! Die Umtriebe dieser Frau überschreiten alles Maß! Sie hat die Könige von Preußen, England, Schweden und Holland aufgerufen, um den Waldensern größere Freiheiten zu gewinnen, als sie unter einer rechtgläubigen Bevölkerung in Anspruch nehmen dürfen! Gelang es schon in alten Tagen, das schöne Salzburg zu entvölkern und seiner reichsten Unterthanen zu berauben, die man zuerst mit dem Gift der kaum überwundenen Ketzerei verdarb und dann mit Geld und Gut in die protestantischen Lande lockte; gelang es erst in unsern Tagen, sogar aus dem altgläubigen, gottgetreuen Tirol Colonieen nach dem uns gleichfalls ganz zurückzuerobernden Schlesien zu entführen: wie soll es werden, wenn mit Hülfe Englands immer weiter auch in das Herz Italiens hinein rechthaberisches Bibellesen und streitsüchtiges Dogma sich verbreitet? Dem Frevel dieser deutschen Gräfin ist ein Ziel zu 123 setzen! Für ihre Dreistigkeit gebührt ihr ebenso eine Züchtigung, wie ein Vorbau den Erfolgen, die sie erringt oder erringen könnte.
Die Aufregung des Generals war so groß, daß er aus der italienischen Sprache wieder in sein heimatliches Idiom verfiel. Terschka konnte ihm da, wie er wußte, mit völligem Verständniß folgen.
Diese gefährliche Frau, fuhr der General fort, hat einen Sohn, der in diesem Augenblick noch bei einem kaiserlichen Reiterregiment als Lieutenant steht. Er wird aufsteigen. Sein Glaubensbekenntniß ist das seiner Mutter. Sein Name ist ein hochgefeierter, wenn auch seine Mittel gemessen sind. Binnen kurzem dürften ihm bedeutende Reichthümer zufallen; denn eine zweite, rechtgläubige Linie seines Geschlechts, im Innern Deutschlands, ist im Begriff auszusterben. Zwar existirt, soll existiren eine alte Urkunde, der zufolge die Bedingung, unter welcher die wiener Linie diese großen Besitzungen der andern Linie anzutreten berechtigt ist, die Religion der aussterbenden sein muß. Diese Urkunde findet sich leider nicht. Sie wird seit Jahren gesucht.
Terschka horchte nur immer. Ein eignes Urtheil zu fällen wurde er nicht aufgefordert und fällte keines. Er wartete auf die genauere Angabe des Gegenstandes, auf den er zu achten hatte. Vom weisen Rathschluß der Väter seines Ordens war er vollkommen überzeugt.
Der General verweilte nicht bei der Urkunde, sprach nicht vom Talent jenes deutschen Convertiten, des Pfälzers Kaspar Scioppius, der sein ganzes Leben an die Verherrlichung der Kirche gesetzt hatte und einer der berüchtigtsten Falsarien war. Unter der Autorität von Kaisern und Königen und mit dem Titel eines Grafen von Clara-Valle fälschte er im 17. Jahrhundert Stammbäume und Urkunden, veranlaßte dadurch Processe und entschied 124 sie. Vierzehn Jahre lebte Scioppius in Padua bei verschlossenen Thüren, aus Furcht, von seinen Gegnern, die zufällig leider – Jesuiten waren, ermordet zu werden. Er haßte sie und sie haßten ihn, nicht ihrer Moral wegen, nicht seiner Falsa wegen, sondern – weil sie ihm sein Latein corrigirt hatten und er ihnen im Gegentheil vorwarf, daß sie keins schreiben könnten.
Terschka lauschte mit athemloser Spannung; aber auch heute noch blieb die ihm gestellte große Aufgabe wiederholt nur im Stadium der – »Prolusio«. Der General sagte: Findet sich die Urkunde, so ist ein Familienabkommen getroffen, daß sich die letzte Erbin der Dorste-Camphausen mit dem letzten Erben der Salem-Camphausen vermählt – eine Rechtgläubige mit einem Ketzer! Findet sie sich nicht, und alle Zeichen sprechen dafür, so fallen an eine ketzerische Familie unermeßliche Reichthümer, in eine rechtgläubige Provinz kommt ein ketzerisches Element, das Scandalum jener Vorgänge im Piemont findet reichere Nahrung, und alles das von einer Seite her, wo sich die Kirche einer solchen Störung am wenigsten versehen sollte, aus einer Gegend, wo die Wohlthaten der Rechtgläubigkeit ein Gemeingut sind, sodaß Maria Theresia sich bis auf den letzten Augenblick sträubte, jene gottlose Vernichtungsbulle unsers Ordens, die That eines unglücklich Verblendeten, der glücklicherweise nur im Auftrag der uns schützenden und glorreicher wiederherstellenden Vorsehung handelte, auch in ihren Staaten zu vollziehen –!
Mit dieser Anregung der Phantasie wurde Terschka aufs neue entlassen. Ueber die Anwendung jenes Widerstandes der Kaiserin Maria Theresia gegen die Bulle »Dominus ac redemptor« kam Pater Stanislaus bald hinweg. Maria Theresia gab der Aufhebung der Jesuiten dann erst ihr Placet, als man ihr, um sie von der Gefährlichkeit, Wortbrüchigkeit, Ungeistlichkeit der Jesuiten zu überzeugen, von ihrer letzten, einem Jesuiten gesprochenen 125 Beichte – aus Madrid eine Abschrift schickte –! Terschka wußte, daß der Orden diesen Verrath auf eine Intrigue der über seinen Fall frohlockenden Dominicaner schob. Aber welche Fülle der Beziehungen doch in dem vom General ihm Mitgetheilten! Welche Aussichten zur Bewährung! Was sollte geschehen, was von ihm gefördert und unterstützt werden? Welche Hülfsmittel, welche Verbindungen gab es für ihn? Wohin hatte er die Reise zu richten? Zu jener so muthvollen, herausfordernden protestantischen Gräfin? Zu jener jüngern katholischen? Sollte die Urkunde gesucht werden? Sollte die gemischte Ehe gehindert oder, wie so oft, »dirigirt« werden in dem Sinne, daß der junge Offizier seine Confession änderte? Allmählich trat in seine Combinationen immer mehr das Bild dieses jungen Kriegers ein. Er malte sich ihn aus in allen seinen Lebensbezügen. Es überkam ihn eine Ahnung, daß man ihn vielleicht in dessen Nähe würde senden.
Diese Ahnung betrog ihn nicht. Der General eröffnete ihm nach einiger Zeit, daß er zur Direction des Grafen Hugo von Salem-Camphausen abgeschickt werden sollte. Mitwirkungen und Erleichterungen würden ihm genannt werden. Seine Aufgabe leitete sein Souverän in folgender Weise ein: Wir wünschen, daß Graf Hugo katholisch wird! Die Rücksichten auf seine Mutter und auf ihre Umtriebe, auf jene Provinz und auf die Erbschaft, im eventuellen Fall auf jene Mischehe, sind die nächsten und dringendsten Aufforderungen, drohenden Gefahren zu begegnen. Zuletzt ist auch das Werk schon an sich ein wohlthätiges. Doch ist es nicht leicht. Wir haben über den jungen Krieger Nachrichten, die für eine große Verehrung seiner Mutter sprechen. Solange sie lebt, würde er ihre Irrthümer schonen und ihr schwerlich die Strafe zufügen. die sie schon wegen ihrer Umtriebe gegen den Bischof von Cuneo und das Kapitel von Robillante verdient! Auch denkt der Orden nicht an ein plötzliches 126 und schnell errungenes Resultat. Wir arbeiten in allem nicht für die Minute, sondern für das Jahr; ein Jahrhundert bedarf es, um durch Tropfen einen Stein auszuhöhlen – Sehen Sie die Statue des St.-Peter auf dem Vatican! Wer möchte glauben, daß man einen Fußzehen von uralter felsenfester Bronze so allmählich – hinwegküssen kann. Es gehört dazu eben ein Jahrtausend. Ihre Aufgabe geht in eine weite Fernsicht. Sie dürfen sich Zeit dazu nehmen. Sie dürfen Ihr ganzes Leben daran setzen und müssen es, um die Absicht nicht zu verrathen, die Sie mit Ihrer Handlungsweise verbinden – Sie legen Ihr geistliches Kleid ab. Der Orden dispensirt Sie von jeder Rücksicht auf Ihren Stand. Sie bleiben, was Sie sind – nie verweht der Duft des heiligen Oels, das Sie salbte! Aber selbst das Zeichen der Demuth auf Ihrem Haupte müssen Sie schwinden lassen – Sie erhalten ein Patent als ein auf unbestimmte Zeit beurlaubter »Rittmeister in päpstlichen Diensten«! Denn gerade darin, daß Sie diesem Anschein, ein Krieger zu sein, wirklich auch zu entsprechen verstehen, lag – liegt der Grund, warum gerade Sie zu dieser Aufgabe gewählt wurden.
Wenzel von Terschka stand betäubt. Darum hatte man keinen Anstoß an seiner Vergangenheit genommen! Darum gleich anfangs keine Erinnerung an seine vergangene Laufbahn! Die Aussicht, mit der Erhebung, mit der Bildung, die er jetzt empfangen, aufs neue ein weltliches Leben, wenn auch nur zum Schein, beginnen zu können, machte ihn schwindeln. Der Stand, eine weit höhere gesellschaftliche Stellung, als die sein Vater bekleidete – alles wieder aufs neue, wenn auch in anderer Art, anerkannt –! Gehoben und gehalten von unsichtbaren, mächtigen Händen – – Kaum vermochte er sich zu sammeln und dem in aller Würde, mit feierlichem Ernst, ja mit Fanatismus ihm geschilderten Plane in seinen Einzelheiten zu folgen.
127 Es ist unwahr, wenn man behauptet, Ignaz von Loyola oder seine Schüler hätten gesagt: Der Zweck heiligt die Mittel. Dies Wort findet sich nirgends in ihren Constitutionen. Aber einst schon sagte der Dechant von St.-Zeno, Franz von Asselyn, zu Bonaventura, als dieser über ein Pamphlet eiferte, das die »Geheimen Verordnungen« der Jesuiten neu wieder abdrucken ließ: »Du hast Recht. mein Sohn, diese Schrift ist eine Lüge, die seit zweihundert Jahren entlarvt ist. Ich weiß es, ein polnischer Jesuit schrieb diese ›Monita secreta‹, um sich an dem Orden, der ihn ausstieß, zu rächen; Hieronymus Zaorowski war zügellos und unsittlich und verdiente die Strafe seiner Obern. Nein, nie haben diese Anleitungen zur Erbschleicherei, zur Verführung jugendlicher Gemüther, zur Bereicherung des Ordens, zur Verhetzung der Ehen, zur Verhetzung des Staatsfriedens, so niedergeschrieben, in den Gesetzen der Gesellschaft gestanden, aber – die Monita secreta sind ein Codex ex post! Sie sind die Praxis des Ordens! Sie sind die Tradition neben dem Grundtext. Der Talmud, wie mein alter Freund Leo Perl gesagt haben würde, die Mischna und Gemara neben der Thora! Als scheinbar verlangte Vorschrift stellte jener rachsüchtige Pole alles dar, was sich infolge der Verderbniß des Ordens gleichsam als etwas Selbstverständliches in demselben festgesetzt hatte. Ich nehme einige glänzende Erscheinungen des Ordens aus! Darum aber ist seine Gefährlichkeit dieselbe; sie liegt schon in seinem eigenen Wesen, liegt sogar in einer an sich geistvollen und denkwürdigen Eigenthümlichkeit desselben! Ja, die Jesuiten können ein großes Verdienst für sich in Anspruch nehmen. Sie können sagen: Ihr habt alle bisher nur den Christen im Auge gehabt; wir waren die ersten Priester, die im Christen auch dem natürlichen Menschen ihre Aufmerksamkeit schenkten! Die Seele ist es, die ein Lieblingsstudium des Ordens wurde. Zu allen Zeiten von einem brennenden 128 Ehrgeiz getrieben, wagten die Jesuiten einen Wettkampf mit der Philosophie einzugehen. Sie wollten dem Christenthum die größten Glorien erwerben, selbst die, einen Cartesius überflüssig zu machen – Da mußten sie denn wol in die Arena des Denkens steigen! Nun aber dachten sie den Menschen. Sie dachten ihn zu der ganzen Schwäche, die uns Priestern durch den Beichtstuhl so geläufig wird. Sie dachten ihn mit jener unsäglichen Geduld und Liebe. die wir gerade nach dieser Seite hin für die Ausübung unsers Amtes stündlich empfinden müssen. Sie dachten ihn in jenen Momenten der Reue, der Halbheit, der innern Wehmuth, die entsteht, wenn man Großes will und in der Ausführung doch der Natur unterliegt. So entstand ihr berüchtigtes System der Erwägung, der Rücksicht. der Entschuldigung, der halben und der Viertel-Sünde, kurz jener Molinismus, der sich zuletzt noch durch den Einfluß einer von Paris und Versailles ausgegangenen galanten Courtoisie und sentimentalen Veredelung früherer Roheit und Brutalität der Hofsitten in eine Moral der ewig lächelnden und achselzuckenden Duldung verwandelte und in die Absicht, in die Intention, in den Rückhaltsgedanken die moralische Verantwortlichkeit setzte, gänzlich die höhere und wahre Sittlichkeit preisgebend!« Für Wenzel von Terschka gab es kein anderes Denken, als eines in den Formen dieses Molinismus. Daß die Absicht des Ordens, den Grafen Hugo von Salem-Camphausen katholisch zu machen, eine höchst löbliche war, bezweifelte er nicht im mindesten. Er harrte der Anleitung, wie gerade er, als päpstlicher Rittmeister en retraite, ein solches Ziel fördern sollte.
Der General sprach: Sie erhalten eine Liste von Affiliirten in Wien! Geldmittel – nicht im Ueberfluß; es wird sogar nöthig sein, daß Sie Schulden machen. Sie sollen eben suchen, sich auf die natürlichste Art dem jungen Grafen zu nähern! 129 Sein Sinn ist offen und leicht. Das gemeinschaftliche Band könnte – Ihr altes Metier sein! Die gleiche Vorliebe für Rosse dürfte die Gelegenheit zur ersten Anknüpfung bieten. Stellen Sie sich ihm nach kurzer Zeit als in Ihren Mitteln gebunden vor. Wenn Sie das so thun, daß Sie nicht allzu entblößt dabei erscheinen, so wird Graf Hugo Vertrauen fassen! Sind Sie dann vollends dankbar, so haben Sie sein Gemüth gewonnen. Ihre Vergangenheit war abenteuerlich. Sind Sie auch darüber dem Grafen Hugo aufrichtig, so bindet ihn Ihre Offenheit. Natürlich darf von Ihrem Priesterstand nicht die Rede sein – sehr, sehr selten sogar von der Religion!
Alles das fand Terschka in der Ordnung. So wurde ein hochgestellter junger Mann, von dem man eine Rückkehr zur Kirche wünschte, am besten beobachtet. Als er noch zweifelnd aufhorchte, stutzend, wie gerade die Religion als Gesprächsstoff zwischen ihm und dem Grafen ausgeschlossen sein konnte – sagte der General: Man kann die Rückkehr zu unserm Glauben mit Gewalt fördern, man kann sie aber auch von selbst entstehen lassen aus einem sich meldenden Bedürfniß des Gemüths. Aus welchen Stimmungen wählt man nicht das Gewand des Mönches! Sie, Bruder Stanislaus, traten in den Orden – zunächst aus Ehrgeiz. Bei Gelehrten liegt der Anlaß oft im Ueberdruß an ihren unfruchtbaren Forschungen. Fürsten und Standespersonen wechselten den Glauben zuweilen infolge der Reue über ein vergangenes leichtsinniges Leben. Graf Hugo liebt das Vergnügen. Vielleicht kommen Stunden der Erschöpfung, die dem Heil seiner Seele günstig sind. Diese benutzen Sie vorläufig zu leichten und ganz nur wie zufälligen Erweckungen. Wir lassen Ihnen zu dieser Beobachtung Zeit, jahrelang Zeit! Leben Sie so harmlos mit ihm wie Sie wollen! Gehen Sie auf alle seine 130 Verhältnisse ein! Nur dann und wann geben Sie uns Bericht; das Uebrige wird sich finden, wenn auch erst nach Jahren.
Mit diesen dunkeln, nur von einem zuckenden Streiflicht der Ahnung erhellten Andeutungen verließ der Pater die Zelle des Generals, in drei Tagen das Collegium, in acht Tagen Rom. Seine Vorbereitung zur Rolle eines päpstlichen Rittmeisters machte er im Gasthof der Croce di Malta.
Gern hätte er sich noch vorher dem Cardinal Ceccone empfohlen. Er wagte deshalb beim General eine Anfrage, erhielt auch die Erlaubniß, bat im Vatican um eine Audienz und erhielt sie bewilligt. Er sollte im Palais der Herzogin von Amarillas erscheinen, wo der Cardinal, nach immer mehr auch in Rom um sich greifender englischer Sitte, jeden Abend den Thee trank.
Die stolze Römerin, ehemals eine Sängerin, die in Rollen wie Semiramis geglänzt hatte, vor Jahren in Paris einen spanischen Herzog heirathete, der jedoch bald starb, und als dessen Witwe in ihrer Vaterstadt anfangs mit gemessenen, später mit reicheren Mitteln ein Haus machte, empfing ihn allein und mit dem Stolz einer Frau, die allenfalls eine der Kaiserinnen, die sie ehemals spielte, auch hätte sein können. Es war der Kopf jener Herme aus den Gärten des Quirinals.
Sie war in Deutschland bekannt und unterrichtete Terschka zu der Art, wie man die Deutschen behandeln müsse. Fest und bestimmt! sagte sie. Dies deutsche Volk ist voll List und Verschlagenheit! Es ist um so gefährlicher, als es sich die Miene der Ergebenheit und Treuherzigkeit gibt! Nie hab' ich eine falschere Nation gefunden, als diese – und ich bin viel gereist – Ohne Charakter ist sie in allem! Ich habe die schönsten und vornehmsten Frauen gesehen, die einem Menschen wie dem König Hieronymus den Hof machten und seine Gunst zu gewinnen 131 suchten. Und dabei rühmen sich diese Frauen, besonders in vornehmer Sphäre, wie überhaupt diese so gesinnungslosen, unpatriotischen Deutschen fortwährend ihrer Treue und Ehrlichkeit.
Terschka kannte Deutschland wenig und ließ sich durch diese sonderbare Charakteristik belehren. Die Herzogin gab ihm eine Reihe von Verhaltungsmaßregeln, ohne zu wissen, in welchen Aufträgen der ehemalige Protégé Olympia's nach Deutschland zu reisen hatte. Erst jetzt, in den gegenwärtigen Stimmungen Terschka's hier auf Schloß Westerhof, kam ihm die Erinnerung, daß damals sicher die Herzogin von Amarillas von einer Gegend gesprochen hatte, die mit der, in welcher er sich augenblicklich befand, identisch war. Sie hatte damals Namen genannt, die seinem Gedächtniß erloschen waren, und immer sinnender, immer vor sich hinbrütender hatte sie gesessen, das Haupt auf die vergoldete Lehne eines hohen Rococosessels gestützt, ja nicht einmal bemerkt, daß in einem seidenen Kleide Olympia durch die Zimmer rauschte, die »Nichte« des Cardinals, ihre Schutzbefohlene. Dem jungen, inzwischen herangewachsenen, wenn auch auffallend kleinen Mädchen, das ihr dunkelschwarzes lockiges Haar mit einem goldenen Reifen umschlungen hielt und einen fast gehässigen, medusenhaften Ausdruck des Kopfes bekommen hatte, war die Erinnerung an den Tag in der Reitschule gänzlich entschwunden. Die Herzogin erinnerte sie daran und erwähnte nicht ohne Herzlichkeit die Gedichte, die ihr Pater Stanislaus aus dem Collegium geschrieben. Olympia machte eine spöttische Miene und wandte sich kalt und gleichgültig ab. Inzwischen wurde der Cardinal gemeldet.
Wenn ein Cardinal die Ehre seines Besuchs einem römischen Privathause ertheilt, so muß ihm die Herrin desselben mit zwei Wachskerzen auf silbernem Leuchter entgegengehen und ihn wie einen Fürsten bereits an der Treppe empfangen. Tiburzio 132 Ceccone, ein immer noch jugendlicher, wenigstens lebensmuthiger Mann, der Lenker der Gerechtigkeit im Kirchenstaat, machte einen imponirenden Eindruck, da ihm die Tracht der Cardinäle, wenn sie außerhalb ihrer Functionen sind, schwarzes Habit habillé mit rothem Vorstoß, rothen Knöpfen, kurzen schwarzen Beinkleidern, langen rothen Strümpfen, rothem Sammetkäppchen, darüber ein langer schwarzer Krämpenhut, auf dem Rücken ein schwarzes Abbémäntelchen, gefällig stand. Er entsann sich vollkommen des Paters Stanislaus und erkundigte sich mit forschend zusammengedrücktem Auge nach dem Ziel seiner Reise. Wohl mochte er die Befangenheit Terschka's sehen, der ihm ausweichend antworten mußte. Seine Zärtlichkeit für Olympia machte den Cardinal so zerstreut, daß Terschka reden konnte, was er wollte – Ceccone würde nur zu allem wie abwesend genickt haben. Er war offenbar über Terschka's Mission im Unklaren. Er pries die Fortschritte der Gesellschaft Jesu, namentlich die, welche sie im Kaiserstaate gemacht hatte, und sprach von einer Stadt an einem großen Flusse, wo ihre Hauptniederlassung sein sollte. Auch die Herzogin glaubte eine solche Stadt mit einem Kranz von Bergen zu kennen, nannte aber den Fluß nur klein. Sie verständigten sich beide in der Geographie Deutschlands wie über ein Land, das im Grunde ein einziger großer wüster Wald wäre, bewohnt von einem Geschlecht von Menschen, die an Unbildung und an Verschmitztheit, wie wiederum die Herzogin hinzufügte, ihresgleichen suchten. Sie ihrerseits schien Witoborn an der Witobach, der Cardinal jedoch Linz an der Donau im Auge gehabt zu haben – Deutschland war ihnen beiden ein und dasselbe Sibirien.
In Gnaden entlassen, empfahl sich Terschka, reiste ab und nahm bereits in Venedig seine neue weltliche Tracht an. Ueberall producirte er den Paß, der ihn als einen beurlaubten 133 päpstlichen Rittmeister bezeichnete. Sein Talent, sich in seine neue Rolle zu finden, durfte ihn selbst überraschen. Hätte er nicht annehmen müssen, daß ihm, wie gewöhnlich, ein Wächter gestellt wäre, der seine Schritte beobachtete, er würde seine Freiheit in vollen Zügen genossen haben.
Bald fand sich die Gelegenheit, des Grafen Hugo Bekanntschaft zu machen.