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Zehntes Capitel.

Die grüne Brille.

Die aalglatt entschlüpfte Maske hatte inzwischen den Tunnel verlassen.

Sie bewegte sich, dann und wann von einem eigenthümlichen asthmatischen Husten unterbrochen, mit großer Behendigkeit, aber auch in jener unsteten Emsigkeit, die gewissen langen Würmern eigen ist, welche auf einer ebenen Fläche bald hier- bald dorthin schießen und sich umwenden, man weiß nicht warum, und sich alle Augenblicke zu erschrecken scheinen, man weiß nicht wovor.

Die Behauptung, daß diese grüne Brille deshalb, weil sie zwei französische Worte: Pardon! und Merci! gesprochen, auch sogleich ein Franzose und Monsieur Louis Armand war, kann uns nur übereilt bedünken.

Noch weniger aber schien das von den Polizeidienern verlesene Signalement zu passen.

Unter der großen Brille, der Nase und dem gewaltigen Schnurrbarte steckte zwar ein glattes Antlitz, aber dem Haare unter dem feinen Kastorhute ging alle natürliche Frische ab. Es war jedenfalls eine sehr kunstvolle Perücke.

Wir, die wir Louis Armand kennen, und bedauern müssen, daß der junge Franzose, der eben mit so liebevoller Aufopferung an dem Krankenbette seines Freundes und Gönners, des Fürsten Egon von Hohenberg, wachte, schon den Sicherheitsbehörden wahrscheinlich als ein communistischer pariser Agent erschien, wir würden für Louis Armand gutsagen, daß es ihm unmöglich wäre, wie diese grüne Brille so unter den Schatten der Bäume herumzuschießen, jede weibliche Erscheinung mit einer Lorgnette zu fixiren und dem zwecklosesten Flaniren sich in einer Weise zu ergeben, die uns über Zweck und Ziel dieser Persönlichkeit völlig im Unklaren läßt.

Besonders schienen es zwei weibliche Gestalten, denen die grüne Brille eben eine sehr aufmerksame Verfolgung zugedacht hatte.

Es waren schlanke, gefällige Wesen, die eine sehr sorgfältige Toilette gemacht hatten und deren Auftreten zwar von ziemlich kecken Manieren, aber auch einer gewissen Wohlhabenheit zeugte.

Der zudringliche Ton der lustig und zweideutig hier herumflatternden Wesen war ihnen nicht eigen, doch forderten auch sie heraus. An Verfolgern fehlte es umsoweniger, als ihre Art, sich aneinander zu hängen und ohne zu verweilen bald da, bald dort zu erscheinen, auffallend genug war.

Zum Tanze schienen sie sich erst später entschließen zu wollen.

Die grüne Brille hatte die Gewohnheit, jedesmal, wenn sie an diesen, durch weiße zierliche Halbmasken noch unkenntlichen Damen vorbeischoß, ein Compliment hinzuwerfen, das immer mit einem gewissen Kichern aufgenommen wurde; ja als eins seiner rasch hinfallenden französischen Worte sogar einmal durch ein: Bon soir, Monsieur! erwidert wurde, wäre er ohne Zweifel in ein näheres Gespräch verwickelt gewesen, wenn nicht zwei elegante Herren unablässig bemüht gewesen wären, ihn von den beiden Weißmasken zu entfernen.

Auch diese durch große Schnurrbärte und Nasen unkenntlich gemachten eleganten Herren hielten sich unter den Armen aneinander fest. Sie waren fein gekleidet, in schwarzen Fracks mit weißen Piquéewesten, weißen Handschuhen, weißen Halsbinden. Man mußte sie für gewandte Erscheinungen der Salonwelt halten, hätte ihre Sprechart nicht auf einen geringeren Ursprung hingewiesen.

Wie sich die grüne Brille einige mal durch diese beiden Herren gewaltsam von den beiden Weißmasken abgedrückt fühlte, schlich er diesen vorsichtig nach und hörte auf einem Seitenwege an den Hecken hin, daß die eleganten Männer folgende Worte in gemeinstem Dialekt wechselten:

Sie sind's!

Glaubst du?

Die mit der Rose im Haar ist die ältere –

Doch nicht die älteste –

Bewahre! Die mittlere! Sieh! Sie sehen sich um –

Wenn sie uns erkennen, werden sie nicht mit uns tanzen.

Glaubst du, daß sie so stolz sind?

Um uns zu heirathen, nicht. Aber so für einen Ball sind wir ihnen zu gering.

Man kennt uns nicht. Wir haben die feinste Garderobe...

Die Ludmer hat's gleich bemerkt, daß wir auf fremde Unkosten hergingen... Sie wollte uns nachsehen, gut, daß wir ausrissen...

Mein Frack ist mir doch zu eng...

Bewahre! Nach der Mode muß er eng sein...

Nun dann trifft sich's gut, daß der Alte so hager wie eine Spinne ist...

Wenn er uns hier begegnete!

Es wäre das erste mal nicht, daß ich ihn in seinen eigenen Kleidern foppte! Aber er ist zu müd von seinen Strapazen.

Vom Möbelwagen!

Den hat die schöne Hexe, die Melanie, recht bei der Nase herumgeführt. Wie mag der Satan Das angefangen haben, den alten langen Storch in das Nest zu locken?

Wo Weiber Sprenkel legen, bleiben wir Alle sitzen.

Weißt du, was ich vorhin für eine Idee hatte?

Wegen Punsch?

Richtig! Das lust'ge Ding – die Jeannette –

Von Schlurck's?

Die ist hier –

Wo? Wo?

Dann sollt' es amüsant werden – Wir suchen sie –

Wo sahst du sie –?

Wenn sie's ist – ich glaube aber mit Neumann –

Neumann ist ihr Bräutigam –

Dem plumpen Tolpatsch wird sie hier nicht die Vorderhand geben – die Jeannette stieß und stumpfte ihn zurecht, daß er einen ordentlichen Chapeau machen sollte –

Wenn sie's nur war –

Ich möchte darauf schwören! Nur ein Bischen fuchswild schien sie –

Das kann sie sein.

Wahrhaftig! Das ist sie wieder –

Hier schienen die beiden jungen Stutzer, deren Incognito wir sehr leicht erkennen, da wir wissen, daß wir die vortrefflichen Bedienten Franz und Ernst aus dem Hause der Geheimräthin von Harder in der Garderobe der Excellenz vor uns haben, zu bemerken, daß die grüne, von ihrem asthmatischen Husten geplagte Brille sie belauscht hatte. Sie verschwanden in einer Gruppe von Neuankommenden und drängten dem Saale zu, wo auch die beiden Weißmasken hin verschwunden waren.

Die grüne Brille war scharfsinnig genug, zu errathen, daß sie sich hier unter dienendem Personale bewegte und schnitt unter ihrer Nase und dem Schnurrbarte einige sardonische Gesichter.

Dennoch mußte sie gestehen, daß die Weißmasken etwas Graziöses hatten und eine gewisse herausfordernde Leichtfertigkeit, die ihr zu pikant erschien, um die Verfolgung aufzugeben.

Indem sie sich anschickte, gleichfalls dem Saale zuzuschreiten, der eigentlich von der grünen Brille vermieden wurde, hörte sie neben sich die Worte flüstern:

Komm! Komm! Die Weißmasken sind die Wandstablers – die Lore und die Flore! Laß uns fort.

Die grüne Brille wandte sich auf den Namen der Wandstablers um.

Ihr schien dieser Name bekannt zu sein.

Die Wandstablers? verhauchte es auf den fahlen Lippen der schleichenden Person, als sie sich umgewandt hatte zu hören, wer ihr diese angenehme Aufklärung gegeben hatte.

Wie erstaunte der hustende Schleicher, als er geradezu das Eleganteste entdeckte, was er bisher auf dem Fortunaball angetroffen hatte!

Zwei leichte, sylphidenartige Gestalten schlüpften behend, wie Elfen im Mondschein, vor ihm her. Sie hatten die Tracht der sogenannten Fledermäuse, aber angewandt vom winterlichen Carneval auf die laue, liebliche Sommernacht.

Die eine größere weibliche Gestalt war ganz von einem leichten Rosastoff umwallt und hatte eine weiße Kapuze auf. Die andere, ebenfalls mit einer weißen Kapuze, trug die kostbarste Umhüllung von demselben leichten Stoffe in Himmelblau.

Die Kapuzen entstanden aus weißen Überwürfen, die frei und lose bis über den Kopf gezogen waren und nichts von ihm sehen ließen als die maskirte Vorderseite, deren die grüne Brille, so sehr sie sich mühte, nicht ansichtig werden konnte.

Denn die beiden Damen eilten wie auf geflügelten Sohlen und schnitten dadurch jeden Versuch der Männerwelt, ihnen zu folgen, ab.

Die grüne Brille hatte das Wort: Es sind die Wandstablers! nicht vergebens gehört. Sie mußte ein zu lebhaftes Interesse an diesem Namen haben und folgte bis in die Dunkelheit, wo ihr die Blaue und die Rothe nicht mehr sichtbar waren.

Etwas erschöpft von diesen Anstrengungen setzte sich die grüne Brille hustend auf eine zufällig unbesetzte Gartenbank, lüftete auch, da es überall dunkel war, einen Augenblick ihre Maskirung und sammelte wieder Kraft zur Fortsetzung ihrer Anstrengungen, die aus der Absicht, sich nur zu vergnügen, nicht ganz allein hervorzugehen schienen.

Ein leises Lüftchen, das über die Gärten und Wiesen herwehte, mußte dem Erschöpften wohl thun. Die rauschenden Klänge aus dem Tanzsaale tönten hierher nur noch matt und verhallend. Man befand sich hier am äußersten Gitter der ganzen Einfassung dieser neuen Anlage. Im Sternenlicht konnte man in nächster Nähe nur eine kleine Wiese, dann aber ein großes festungartiges Bauwesen erblicken. Die ungeheuren in die Höhe ragenden Schornsteine ließen dort eine große Fabrik vermuthen. Es war hier in der That ganz in der Nähe die große Willing'sche Maschinenfabrik, an welcher, um die Glut der Öfen nicht für das Tagewerk erkalten zu lassen, auch in der Nacht aus den langen Essen heller Schein und glühende Feuerfunken knisterten.

Wie die grüne Brille sich auf der kleinen Bank ruhte, mit der einen Hand ein seidenes ostindisches Taschentuch nach dem Gesicht führte, um sich den Schweiß zu trocknen, mit der andern an der weißen Farbe der frischgestrichenen Bank fühlte, ob sie nicht etwa noch abfärbte, dann aber eine Bonbonnière hervorzog und einige Pastillen in den Mund steckte, hörte sie hinter sich, wo sie Niemanden vermuthete und selbst durch die Wirkung der Pastillen und den aufhörenden Husten unsichtbar war, zwei Männer in einem ernsten, mit der heitern Regsamkeit des Abends in keinem Zusammenhang stehenden Tone sich unterhalten.

Die Männer nahmen mit ihm Rücken gegen Rücken auf einer jenseit des trennenden Gebüsches in einem andern Gange stehenden Bank Platz und ließen sich nur dann zuweilen unterbrechen, wenn von einem Vorübergehenden eine Störung stattfand.

Sie sind ein Thor, sagte der Eine ziemlich rauh und hart, daß Sie Ihr junges Leben so unnütz verzetteln und nicht endlich einmal Anstalt machen, für Ihre Zukunft einen dauernden Grund zu legen. Was soll aus Ihnen werden? Sie haben Talent, Kenntnisse, freilich keine geregelte Erziehung, aber dazu bedürfte es einer nur kurzen Zeit und Sie würden Vieles nachholen, was Ihnen noch fehlt. Nur müßten Sie dies Träumen und Lungern aufgeben und etwas Solides anfangen. Es ist die höchste Zeit oder Sie sind verloren!

Der Andere antwortete mit einer schwächeren, aber sanften und hochklingenden Stimme:

Ich bin krank. Mein Leben ist verpfuscht. Noch einige Jahre und ich breche mir einmal den Hals durch Zufall oder mit Absicht. Das wird das Ende sein...

Gehen Sie weg! Sie sind ein Thor! sagte der Andere. Freilich müssen Sie sich ruiniren, wenn Sie heute einmal im Felde schlafen, morgen eine ganze Nacht so durchrasen, wie ich Sie vorhin im Saale bemerkt habe. Sehen Sie! Wie erhitzt Sie sind! Wie Ihre Brust keucht! Wie Ihre Hände glühen! Sie sind auf dem besten Wege zur Schwindsucht!

Das ist der Tanz nicht, sagte der Andere. Das ist mein Glück, meine Freude, die an mir zehrt.

Haben Sie Glück, Sie Freude? Ein Mensch, der im dritten Hofe eines erbärmlichen Hauses wohnt, drei Treppen hoch, links und rechts von Armuth und Elend umgeben? Ich weiß, daß Sie nicht darben. Der Justizrath liebt Sie väterlich, liebt Sie wie einen Sohn. Und wissen Sie, manchmal kommt es mir vor –

Halt! Mir ist schon Vieles vorgekommen...

Als wäre der Justizrath selbst Ihr Vater.

Daß Sie der Teufel hole! Das wäre mir nicht lieb! antwortete der Andere rasch.

Warum nicht?

Mein Vater? Sagen Sie Das nicht wieder!

Was wäre da? Sie sind ein Waisen-, ein Findelkind! Sie führen den Namen Hackert von dem Pathen, den man Ihnen im Waisenhause gab. Es war ein Kaufmann, der dem Waisenhause gerade gegenüber wohnt und nichts dagegen hatte, Ihnen seinen Namen zu geben, weil er vom Waisenhause lebt. Durch welche Teufelei, wenn mich doch der Teufel holen soll, kamen Sie an den Justizrath?

Das weiß ich nicht – aber mein Vater! Nein, Das wäre eine weinerliche Komödie, wie ich sie einmal für zehn Silbergroschen im Theater sah. Gehen Sie weg, Herr Oberkommissär! Sie haben Muße Romane zu lesen. Pfui Teufel! Kommen Sie; Das könnte mich rasend machen! Lassen Sie mich tanzen! Hören Sie: Polkatöne! Komme doch! Komme doch, holde Schöne!

Aha! Ich merke, Sie können meine Vermuthung nicht ertragen, weil Sie nun merken, warum Schlurck –

Der Andre pfiff.

Sie aus dem Hause geworfen hat.

Lassen Sie mich los! Die Polka fängt an...

Sie tanzen nicht! Sie sollen vernünftig sein! Wissen wir nicht Alle, daß Sie mit dem schönen, kecken Mädchen, mit der Melanie...

Stille! Erst: Wir? Wer sind die Wir?

Die, die scharfe Augen und nebenbei mit Schlurck, Bartusch und andern Stützen der Gerechtigkeit mancherlei zu thun haben. Auch Dienstmädchen plaudern – Eben sprach ich Jeannetten –

Sie ist hier?

Die Schlurck's müssen toll sein. Sie werfen alle Leute zum Hause hinaus und bilden sich ein, wenn man auf den Mund fällt, wächst er Einem zu.

Was ist mit Jeannette –?

Der Kutscher Neumann brachte sie her. Sie wüthet. Ihr Fräulein hat ihr heute Abend vor zwei Stunden den Dienst gekündigt.

Sie tanzt aus Zorn – ich aus Freude! Ein andermal umgekehrt. Es werden mir noch manche folgen.

Reden Sie vernünftig! Diese Jeannette ist bös; und wenn Sie Melanie lieben –

Meine Schwester?

Wirklich? Glauben Sie's nun?

Nimmermehr!

Oder ob nicht – Sie schweigen doch wenigstens. Obgleich Sie viel verrückte Streiche machen, schweigen Sie doch. Ich schätze an Ihnen Ihre Diskretion und Ihre schöne Handschrift, Hackert. Jeannette wird aber nicht schweigen. Sie rast, sie droht... Das Fräulein wäre heute Abend von Harder's nach Hause gekommen, hätte getobt und gelärmt, geweint, geschrieen, die Hände gerungen, einen Brief geschrieben –

An Lasally...

Sie scheinen das Alles zu wissen?

Dann? Dann? Fahren Sie fort!

Dann wäre sie in's Schlafzimmer gegangen, hätte sich ausgezogen, das Licht eben auslöschen wollen und mit der Lichtputze in der Hand –

Kennen Sie keinen Geschwindmaler? Ich wünschte, man könnte das Leben stenographiren.

Mit der Lichtputze in der Hand ihr gesagt: Jeannette, deine Plauderei in Hohenberg, dein Zusammenstecken mit Hackert, deine gottlose Zunge mit den Knechten Lasally's, dein Punschtrinken mit den Bedienten der Geheimräthin, deine angeberischen Schändlichkeiten, daß ich den Prinzen Egon von Hohenberg in einem fremden Abenteurer vermuthet hätte, alles Das macht dein Maß voll. Morgen früh will ich dich nicht mehr sehen. Damit drängte sie Jeannetten zur Thür hinaus, riegelte zu, löschte das Licht aus...

Und schläft und träumt... von ihrem Bruder? Wo ist der Geschwindmaler?

Bester! Sie spotten doch nur! Aber Jeannette ist viel schlimmer als Sie... die sagt rein heraus...

Man schneidet ihr die Zunge aus.

Dann spricht sie in Zeichen, die so deutlich sind, daß...

Man sie würgt...

Sie, glaub' ich, könnten schneiden und würgen ohne Messer und Stricke, Sie haben den Verstand dazu – deshalb komm' ich auf meine Vorschläge zurück – wählen Sie sich einen Beruf, zu dem Sie Talent haben –

Die Jeannette! Die verläßt auch das Haus?

Die Zeit wird immer verwickelter. Sie braucht Köpfe –

Bläst das Licht aus und schläft...

Sie haben das wunderbare Talent einer Handschrift, in der Ihnen der erste Schreibmeister der Akademie nicht gleichkommt... Schmelzing ist ein Stümper gegen Sie...

Bläst das Licht aus und schläft –...

Geben Sie mir die Hand! Schlagen Sie ein! Sie werden von Morgen an, im Einverständniß des Polizeipräsidenten, bei mir...

Hackert stand wie abwesend, gab die Hand und Pax wollte eben mit seinen Anträgen deutlicher hervortreten, als die grüne Brille die Worte rufen hörte:

Maske vor! Getanzt! Getanzt!

Dieser Ausruf kam nicht von dem Andern, überhaupt nicht von den beiden Sprechern, sondern aus einem dritten und weiblichen Munde.

Die grüne Brille hatte sich leise umgedreht und erblickte mit Erstaunen, daß zwischen die beiden Sprecher eben die blaue und die rothe Maske gefahren waren.

Die Rothe hatte den wenig Widerstrebenden, der auf die Vorschläge des Andern halb schon einging, leidenschaftlich in dem Moment des Handeinschlagens ergriffen und ihn mit den Worten: Getanzt! Getanzt! von der Bank auf- und fortgerissen.

Die kleine Blaue hüpfte nach. Mit einem Fluche war der Andere, der stattliche Herr Oberkommissär, aufgestanden, während die drei wie flatternde Vögel davonschwirrten...

Hackert, denn dieser war der so plötzlich aus den Schlingen des Oberkommissärs Pax Entführte, Hackert wußte nicht, wie ihm geschah...

Die rothe elegante Dame war ihm völlig unbekannt. Ebenso wenig wußte er, wer die an seiner linken Hand nachhüpfende Blaue war.

Rasch durchflog er die Reihe seiner Bekanntschaften. Er hatte deren hier unendlich viele. Denn wir sagten schon, daß er zu den leichtsinnigsten jungen Männern gehörte und so wenig ihn sein Äußeres, besonders aber das röthliche Haar empfahl, so unfähig er war, dauernde Verbindungen zu schließen, so konnte es wol ein Act alter Anhänglichkeit sein, daß ihn hier ein schwärmender Nachtvogel entdeckte und zur Erinnerung alter Stunden zum Tanze, in dem er ein kunstvoller Meister war, entführte.

Dennoch kam er von dieser Vermuthung bald zurück.

Der Anzug war so neu, so elegant, der Kopfputz so geschmackvoll und nach eigner Idee ausgeführt, die Ähnlichkeit der beiden Damen so auffallend und wie im Einverständniß angelegt, daß er hin- und herrieth, aber von seiner Begleiterin immer auf jeden Namen nur ein Kopfschütteln erhalten konnte...

Es war nicht möglich so rasch in den Saal zu dringen. Er hatte Zeit ein Gespräch anzuknüpfen. Er fragte rechts die Rothe, links die Blaue. Mit verstellten Stimmen wichen sie ihm aus und spannten seine Neugier nur immer mehr auf die Folter.

Endlich waren sie im Saale und die rothe Dame, die sich im blendenden Schein des Gaslichtes nur noch anziehender ausnahm und die größte Begier erregen mußte, ihre schwarze Maske gelüftet zu sehen, trat mit Hackert zum Tanze an. Aber die blaue, die nun allein stand, blieb jetzt auch nicht ohne Tänzer. Ohne lange Wahl war sie in die Reihen mit hineingerissen und tanzte mit einem ihr völlig unbekannten jungen Militair, der unter seiner Uniform eine feine elegante Piquéweste trug und an dem goldenen Streifen seiner Uniform zeigte, daß er schon einen höheren Grad erreicht hatte.

Das Gewühl war zu stark. Man konnte nur einmal herumtanzen und mußte dann eine Weile auf frische Lücken warten...

Hackert aber ließ sich nicht hindern, im Tanzen fortzufahren, es war ein gewandter, wilder, allgemein bewunderter Tänzer, – wobei er aber statt röther, nur immer blässer wurde...

Während die blaue Dame so neben dem jungen Militair stand und sich gefallen lassen mußte, daß sie trotz ihrer Eleganz hier von Denen zum Tanze aufgefordert wurde, die das Lokal einmal besuchten, hörte sie hinter sich die Worte flüstern:

Quelle aimable danseuse!

Die Wirkung dieser französischen Anrede auf die kleine blaue Dame war unglaublich.

Sie wandte sich um, sah, daß die grüne Brille unter dem Barte ihr zulächelte und gerieth darüber so in Verwirrung, daß sie sich von dem jungen, hübschen Soldaten losriß, um Entschuldigung bat und davonstürzte...

Dieser glaubte, sie wäre krank und wollte ihr folgen.

Nein! Nein! antwortete sie und hielt ihn zurück.

Fast beschämt wurde der junge Krieger, als er glaubte, er hätte wol Unrecht gethan, eine so elegante Dame aufzufordern und traurig zog er sich an die Wand zurück, um denen Platz zu machen, die ihren Tänzern nicht nach der ersten Tour so spröde davongingen.

Die grüne Brille irrte sich durchaus nicht, wenn sie annahm, daß ihrer französischen Anrede wegen die Himmelblaue aus dem Saale eilte und ihren Tänzer stehen ließ.

Sie benutzte die Wahrnehmung und ging ihr hüstelnd nach.

Die kleine Dame sah sich ängstlich um und floh förmlich.

Mais, ma belle – rief die grüne Brille und wagte es den Arm der kleinen Dame zu ergreifen.

Dieser zitterte...

O lassen Sie mich! Ich schäme mich! waren die Worte, die an das Ohr der grünen Brille drangen und darauf hin versuchte der Asthmatische ein deutsches Gespräch anzuknüpfen, dessen gebrochene Töne auf die kleine Blaue nur noch erschreckender wirkten.

Sind Sie's denn? O Gott, was werden Sie von mir denken? rief sie, als sie Beide mehr in der entlegenen Partie des Gartens waren.

Daß Sie sind ein kleiner Engel – eine von den drei Grazien, die verstehen zu tanzen à merveille. Machen Sie doch auf Ihre Maske, kleiner Engel!

Die Blaue schien nach diesen Worten zu begreifen, daß sie sich doch wol geirrt haben mochte und viele Menschen in Frankreich wohnen, die gerade hier in Deutschland anwesend sein konnten, nicht blos der Eine Einzige, von dem sie sich zu ihrem Todesschrecken angeredet glaubte...

Dennoch vertraute sie noch nicht ganz ihrer Täuschung, sondern sagte mit großer Naivetät:

Es ist mir nicht im Traum eingefallen, auf diesen Ball zu gehen, aber meine Freundin hat mich überredet und ihren Bitten konnt' ich's nicht abschlagen –

Diese rothe Tänzerin, sagte die grüne Brille, hat sehr viel Geist zu Unternehmungen und hat mich entzückt durch ihre Hardiesse...

Hardiesse? fragte die Blaue. Ist Das...

Die grüne Brille lachte über die Verlegenheit des Kindes und sagte:

Sie kleiner Engel haben nicht so viel von Hardiesse...

Der blaue Domino glaubte, die grüne Brille spräche von einem Gegenstande der Garderobe und sagte in aller Unschuld, ob Das eine Mode wäre?

Ha! Ha! Hardiesse ist eine große Mode aller Damen, sagte der Franzose, für die, welche besuchen die Bälle der großen Oper. Ich bewundere Ihre Costümes! Es sind Costümes der Phantasie!

Von Flor, berichtigte die Kleine. Es sind Ballkleider, die nicht für uns gemacht wurden. Wie wir sie werden bezahlen können, mag Gott wissen!

Auf diese Äußerung hin mußte die grüne Brille laut lachen.

Die Naivetät dieser deutschen »Grisette« die sogleich eingestand, daß sie hier mit unbezahlten Kleidern auf dem Balle war, machte die grüne Brille soviel Vergnügen, daß sie überdreist, ja widerlich wurde und auf eine volle Börse deutete.

Mein kleines Herz, sagte der Fremde, komm! Wir werden uns amüsiren! Wir wollen eine kleine Loge nehmen und speisen zusammen zu Nacht. Und morgen früh werd' ich deine Kleider bezahlen...

Als die Blaue diese Zumuthung hörte und nun ihren vollen Irrthum erkannte, schien sie in eine Verzweiflung zu gerathen, die nicht künstlich war.

Die grüne Brille hielt sie aber für künstlich, schlang den Arm um die schlanke Hüfte der gewaltsam Widerstrebenden und zerrte sie in die dunkleren Bosketts, indem er sich beugte, um das halb weinende Mädchen zu küssen...

Lassen Sie mich! Ich rufe um Hilfe! stöhnte das kleine Mädchen unter den gewaltsamen Umarmungen des schleichenden Lüstlings.

In diesem Augenblicke aber fühlte er statt eines Kusses, den er auf der rechten Wange erwartete, auf der linken eine gewaltige Ohrfeige.

Der rosa-rothe Domino hatte ihn in dieser vertraulichen Form ihre weißen Handschuhe fühlen lassen.

Lachend zog die Rosarothe die beängstete kleine Blaue aus des Erschrockenen Armen und verschwand mit ihr hinter den Hecken.

Die grüne Brille stand von dieser Störung sehr unangenehm überrascht da.

Es entging ihr nicht, daß diese Scene Zeugen gefunden hatte. Man umschlich ihn. Er glaubte sogar jenen Oberkommissär zu erkennen, der vorhin mit Hackert gesprochen hatte und der ihn mit sonderbarem Blinzeln betrachtete, während er die rechte Hand in die Brusttasche steckte.

Eine lustig daherkommende Gesellschaft, Arm in Arm verschränkt, befreite die grüne Brille zu ihrem Glück von einer unangenehmen ferneren Beaufsichtigung; denn sie mischte sich, wie zu ihnen gehörend, unter die jubelnden Sänger, die auch seinen erwachenden Husten deckten.

Hurrah! riefen diese, ihre Hüte schwenkend und zogen mit kleinen chinesischen Traglampen unter den Bäumen vorüber. Unter ihnen Mädchen, leicht und behend. Hinterher schwerer Tretende in Reitstiefeln, die entweder wirklich ihr übliches Costüme angelassen hatten oder dies nur trugen, um Das zu scheinen, was sie vielleicht nicht waren. Dabei wurden Flaschen, Gläser, Hüte geschwenkt und Lieder halb angestimmt, halb wieder mit rauhen Dissonanzen abgebrochen...

Oberkommissär Pax fragte eine neben ihm stehende gleichfalls sehr zugeknöpfte Person:

Ah! guten Abend. Herr Assessor Müller... Sehen Sie sich auch dies Treiben an? Wer sind diese?

Der Angeredete, der nicht blos zum Vergnügen anwesend war, antwortete:

Der sogenannte Jockeyklub!

Aus der Schloßstraße doch nicht?

Nein, nein, die wirklichen Jockeys, die sich wie ihre Herren auch zu einem Verein gebildet haben.

Die wüsten Bursche – Ich kannte Einige – von Lasally – nicht wahr?

Die mit den kleinen Reitgerten. Eingebildete Schlingel, die sich in ihren kurzen Jacken und Schnüren für schön halten! In Schnurjacken durften sie natürlich nicht kommen: aber Sporen und Reitgerten haben sie doch an den Füßen. Zu tanzen ist ihnen mit Sporen verboten worden. Deshalb lärmen sie hier herum.

Wer mögen nur die eleganten Herren sein, die mit den Wandstablers dort angebunden haben?

Kann ich nicht sagen. Sie sind schon lange mit ihnen im Gespräch...

Die koketten Mädchen wollen heirathen, deshalb tanzen sie nicht und binden lieber solide Verhältnisse an...

Müssen sie denn aus dem Hohenberg'schen Palais? fragte der Assessor Müller, der auf der Polizei die ersten Verhöre führte und von Hackert, wie wir uns entsinnen werden, auf der Landstraße in der Blouse des Prinzen Egon vermuthet wurde.

Wenn der Prinz wieder gesund wird, gewiß; sagte Pax. Jede neue Regierung stürzt die Creaturen der alten.

Ich habe die Wandstablers gefragt, der communistische Franzose ist wirklich nur des Prinzen wegen von Paris gekommen... Wenn der Prinz gesund wird, werden wir schöne Sachen erleben. Der Polizeipräsident schüttelte den Kopf über diese Verbindung...

Auf Bällen und bei den Arbeitern sieht man den Franzosen noch nicht – darin waren die pariser Berichte falsch.

Angekündigt ist Herr Armand im Maschinenbauverein, sagte der unterrichtete Assessor Müller. Ich glaubte, vorhin ihn sogar hier zu entdecken. Aber es ist ein Andrer. Wer mag nur hinter der grünen Brille stecken?

Es scheint ein Mädchenjäger zu sein. Politik treibt der nicht. Auch paßt das Signalement nicht.

Hat man von Nr. 2 noch nichts beobachtet, ein Signalement, das uns durch gesandtschaftliche Vermittelung über England so dringend anempfohlen wurde?

Von der schwarzen Binde? Noch nichts...

Sie kommt her, – behalten Sie ja das Signalement vor Augen – Kümmerlein und Mullrich auf der Sternwarte sollen alle Tänzer fixiren –

Sechs und fünfzig Jahre und noch tanzen, Herr Assessor?

Wer sich so mit Gewalt jung macht? So seine Züge versteckt? So sich an die Weiber hängt? Friseur Schmidt behauptet, er hätte einen kahlen Schädel...

Begierig bin ich, für wen er beim Juwelier Israëli die vielen Ketten und Brochen gekauft hat!

Ein Engländer ist's nicht und wenn er zehnmal Murray heißt und amerikanische Piaster ausgibt.

Pst, Herr Assessor! treten Sie gefälligst zur Seite! Es kommt da Einer! Mit Dem hab' ich zu sprechen.

Hackert! sagte der Assessor Müller lachend. Angeln Sie immer noch nach ihm? Der Narr soll in Güte kommen, daß man ihn nicht einmal mit Gewalt holt!

Der Assessor entfernte sich und der Oberkommissär trat auf Hackert zu, der in großer Aufregung suchend, umsichblickend daherkam.

Nun, sagte Pax, wen suchen Sie denn? Ihre Rothe? Was ist denn Das für ein Paradiesvogel?

Das frag' ich Sie! So bin ich nie geneckt worden! sagte Hackert athemlos. Mitten im Tanz ist sie von mir fort: dem Soldaten, der mit der Blauen tanzte, ging's ebenso. Der sucht die Blaue, ich die Rothe – verdammte Fledermäuse!

Schonen Sie sich, Hackert! Sie lassen einmal recht wieder die Zügel schießen. Vor zwei Jahren waren Sie durch Ihre Tanzwuth der Schwindsucht nahe und noch geb' ich nichts auf Ihre Brust...

Und doch soll ich schreiben – immer schreiben – das niederträchtigste Metier, das nur für die alten Mönche einmal gepaßt hat, die ihren Bäuchen von Herzen die Schwindsucht wünschten!

Und manchmal schließen Sie sich doch ab, als wollten Sie in's Kloster. Die Welt ist Ihr Schauplatz, aber Sie hören nicht auf die Stimme Ihres wahren Berufes.

Ich höre schon, wenn Sie mir nur nicht wieder einen Vater geben, den ich nicht mag –

Und eine Schwester, die Sie heirathen wollen oder schon geheirathet –

Pax! Ich würge Sie... oder ich rufe nur Ihren Namen noch einmal und alle Observaten schlagen den Oberkommissär nach 12 Uhr selbst todt.

Die Rothe ist Melanie, Hackert... Das erste Mal wär' es nicht, daß Sie Fräulein Schlurck tiefmaskirt auf die Bälle führten. Nachts schlief Alles im Hause und Melanie schlüpfte mit Ihnen auf einen Tanzsaal, den das Mädchen nur sehen wollte, nur hören wollte. Das Abenteuerliche lockte sie... Nicht wahr?

Hackert schwieg. Der Oberkommissär wußte zuviel von seiner Jugend, als daß er hätte läugnen können.

Jeannette, sagte er bitter, Jeannette wird Ihrer Wißbegier viel erzählen müssen, Herr Pax...

Da wurd' es freilich schon anders, als die kam, fuhr Pax fort. Das Mädchen bekam Begriffe von Schicklichkeit und die Augen der Ältern setzten Brillen auf. Aus Liebe wurde ja wol sogar Haß? Nicht?... Aha! Sie schweigen! Werden Sie vernünftig! Geben Sie Das auf! Schlurck's haben Engelseelen, daß sie Ihnen noch heute wie ihrem Kinde gut sind. Aber Melanie geht hoch hinaus. Jeannette spricht von Fürsten. Warum nicht? Sie ist das schönste Mädchen in der Monarchie glaub' ich. Aber Sie sollten Ihre Träumereien in den Schornstein hängen oder vielleicht Etwas werden, was Sie hebt vor Schlurck's, Ihnen einen Charakter gibt. Verstehen Sie? Dann könnten Sie hintreten und sagen: Melanie, ich bin jetzt...

Was?

Das findet sich! Raffen Sie sich zusammen – kommen Sie morgen mit mir zum Polizeipräsidenten – er hat etwas für Sie – Wollen Sie? Schlagen Sie ein!

Eben wollte der Oberkommissär aussprechen, wodurch Hackert's Genie sich eine Bahn brechen könnte, eben reichte dieser mechanisch und träumerisch seine Hand hin, als sie wiederum von der jungen, rothen, eleganten Tänzerin ergriffen und dem drängenden Werber zu seinem größten eigenen Erstaunen entführt wurde...

Der blaue Domino hing schon halb widerstrebend am Arme des jungen hübschen Soldaten...

Der Oberkommissär, von der Keckheit jener Unterbrechungen jetzt selbst unangenehm berührt, folgte den zum Saale fliegenden beiden eleganten Tänzerinnen nun mit beschleunigten und, wie zu irgend etwas entschlossenen Schritten.


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