Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Drittes Capitel.

Meisterin und Schülerin.

Melanie Schlurck hatte sich heute ganz weiß gekleidet und glich Aphroditen, wie sie dem Meeresschaume entstieg. Man konnte ihre Toilette einfach nennen, wenn nicht hinter der gänzlichen Entfernung jedes Prunkes und jedes auffallenden Behanges die Absicht durchschimmerte, sich nur ganz allein, ganz selbst zu geben. Die Taille hielten die einfachsten langen weißseidenen Bänder zusammen. Der Nacken war unverhüllt. Das Haar in griechischer Einfachheit, ohne den geringsten andern Schmuck, als den natürlichen der in den Nacken zusammengewundenen starken Flechten, die von einigen Locken durchzogen waren. Ein Fächer war das Einzige, was wie ein besonderer tändelnder Schmuck erscheinen konnte.

Franz Schlurck trug einen neuen grünen Frack mit goldenen Knöpfen. Er liebte das todtengräberische, leichenbittende Schwarz nicht und hatte sich von den Gesetzen der Etikette hinlänglich freigemacht, um in solchen Dingen seinen eigenen Eingebungen zu folgen. Er war wieder ganz frisch, ganz aufgeregt. Die niederdrückenden Erfahrungen des Vormittags waren von dem leichtsinnigen Manne vergessen und die unmittelbare Nähe seines geliebten Kindes elektrisirte ihn immer.

Pauline empfing Melanie mit großer Auszeichnung.

Machte Melanie schon durch sich selbst den siegreichsten Eindruck, so mußte sie der Mittelpunkt des Abends umsomehr werden, als ihr die Geheimräthin entgegenkam, sie mit unbeschreiblicher Holdseligkeit auf die Stirne küßte und sie auf das Hauptsopha des Salons zu sich niederzog, sie mit Liebkosungen und steter Bewunderung ihrer Schönheit fast überschüttend.

Dieser Moment des Triumphes wurde nur leider zu früh dadurch abgebrochen, daß die Trompetta in ihrer Wanderung von Person zu Person und der Flottwitz wegen Melanie vermeidend eben ins blaue Zelt gerathen war und dort hinter den Camelien die Gräfin d'Azimont entdeckt hatte. Dieser Moment! Dieses laute Geräusch des Staunens! Dieses – was konnte man von der Trompetta anders erwarten – exaltirte, förmliche Geschrei! Helene mußte vortreten und ein Gemurmel der Begrüßung ging durch den ganzen Saal.

Helene lächelte und sagte, während sie näher kam:

Liebe Frau von Trompetta! Ich sehe, Sie sind wohl! Ich begrüße Sie von Herzen. Aber Begrüßung und Abschied in demselben Augenblick! In einem Besuche bei meiner lieben Pauline überrascht mich diese glänzende Gesellschaft, für die ich nicht vorbereitet bin.

Damit kam sie voll Grazie auf Paulinen zu, um von ihr für heute Abschied zu nehmen.

Pauline, die in der linken Hand fast noch den zarten weißen Handschuh der rechten Hand von Melanie fühlte, gab ihr ihre Rechte und zog sie zu sich nieder und wollte von der frühen Trennung nichts wissen. Sie hatte ja jetzt ihre bestimmten Absichten mit den beiden Frauen, die sie umgaben. Zwar war sie durch den Eindruck, den Melanie machte – für so schön hatte sie dies vielbesprochene Mädchen nicht gehalten! – in der Meinung, durch die d'Azimont sie zu »eklipsiren«, ganz irr geworden. Doch sah sie eben, daß auch Helene ihren Reiz hatte. Ein so zartes sanftes Auge, wie Helene in schüchternen Momenten aufschlagen konnte, besaß Melanie nicht, bei der das Auge im Grunde doch nur schelmisch irrend und fast nichtssagend war. Helene erschien geistig, seelenvoll, Melanie vielleicht nur schön, vielleicht fast kalt, nur eitel. Trotzdem, daß Schlurck Paulinen die Versicherung gegeben hatte, die Gefahr, in die sie durch Egon's Kenntnißnahme von Enthüllungen seiner Mutter in der Gesellschaft auf den Rest ihres Lebens gerathen könne, ließe sich noch abwenden, fühlte sie doch die Nothwendigkeit, sich auf alle Fälle mit Egon auf einen sichern Fuß zu stellen und noch glaubte sie mit begründetem Rechte, daß auf jener Rückreise Melanie die siegende Rivalin Helenens geworden war. Sie träumte von Vertraulichkeiten zwischen den beiden Reisegefährten von Hohenberg, von Complotten und allen möglichen bösen Dingen, die Melanie durch Bekanntschaft mit dem Inhalte des Bildes schon über sie könnte in Erfahrung gebracht oder befördert haben.

Das befremdete Erstaunen des jungen Mädchens über die Gräfin d'Azimont entging ihr nicht. Sie konnte nicht ahnen, wie es in ihr rief: Das ist nun die schöne Frau von Paris, mit der du einen Mann im Schloßgarten von Hohenberg geneckt hast, der dich täuschte!

Helene nahm an Melanie, die ihr flüchtig vorgestellt wurde, wenig Interesse. Sie war ohne Neid. Sie duldete jeden andern Vorzug. Sie konnte sich freuen, wenn Andere schön und glücklich waren. Diese im Grunde gute Natur gab Helenen etwas außerordentlich Sicheres und einen gewaltigen Vorsprung vor einem Wesen wie Melanie, das von einer fortwährenden Unruhe und allen nagenden Bedrängnissen der Gefallsucht gepeinigt wurde. Helene war aus einer völlig andern Form weiblicher Schönheit geprägt. Sie zählte zehn Jahre mehr als Melanie, aber da sie klein, zart gebaut, von rundlichen Formen war, so that ihr die Zeit nicht so viel Abbruch, wie sie größeren, schlankeren, spitzeren Formen zu thun pflegt. In Helenen lag der Zauber des rein Weiblichen, den Melanie nicht besaß. Diese konnte sinnlich blenden, aber kaum so das Bedürfniß der höheren Liebe reizen, wie die weichen Formen der d'Azimont.

Melanie ihrerseits fühlte das mit gewaltigem Eindruck. Sie hatte doch irgend eine geheimnißvolle Beziehung zum Fürsten Egon, das wußte sie, wenn sie auch schmerzlich darunter litt, daß der männliche, herausfordernde, kecke Dankmar der Fürst nicht gewesen war. Wie hatte sie diesen mit der d'Azimont geneckt! Purpurglut der Scham und jede Wallung des Zornes überkam sie, wenn sie daran dachte, daß Dankmar ihr ja immer die reinste Wahrheit gesagt und nur ihre eigene tolle Verblendung, ihre eigene dem Höchsten nachstrebende Verkehrtheit diese Wahrheit nicht hatte hören wollen. Das war nun die d'Azimont, mit der sie den vermeintlichen Prinzen »aufgezogen« hatte! Das jene schöne elegante Pariserin, auf die sie einem Schattenbilde, einer Täuschung zu Liebe, Eifersucht gefühlt hatte! Pauline bemerkte wohl, welchen forschenden Blick sie auf Helenen richtete. Das ist der Blick einer Rivalin! sagte sie sich und beobachtete und verglich Beide von ihrem Standpunkte.

Auf die Ströme von Fragen, in denen die Trompetta auf Helenen sich ergoß, antwortete diese lächelnd mit einer ihr sehr angenehm stehenden schmerzlichen Resignation.

Wäre sie mager, flüsterte Heinrichson Reichmeyern in's Ohr, ich würde etwas von der Madonna des Murillo in ihr finden. Der Blick ist vollkommen der des Spaniers.

Eine Spanierin, ja! sagte Reichmeyer. Aber es ist noch mehr die heilige Therese, die leidenschaftliche Äbtissin der unbeschuhten Karmeliterinnen. Ich glaube, daß sie alle Mysterien der irdischen Liebe kennt, wie die heilige Therese die der himmlischen.

Helene hielt solchen Kritiken und Vergleichungen nicht zu lange Stand. Sie foderte die Trompetta auf, ihr die Stunde zu sagen, wo man sie sprechen könne. Diese antwortete, sie wäre zu viel in Bewegung, um eine feste Zeit einhalten zu können, aber schon morgen käme sie selbst zu ihr.

Helene nickte graziös und erhob sich dann wirklich, um zu gehen.

Pauline begleitete sie. Wie die Kleine in ihrer einfachen schwarzen Tracht neben der phantastisch aufgeputzten jugendlichen Matrone über das Parkett schritt, hatte sie den ganzen Zauber reinster und natürlichster Menschlichkeit für sich. Sie war von Dem, was sie heute Alles erlebt hatte, erschöpft. Man sah ihr die Abspannung an. In dem Vorzimmer umarmte Pauline sie noch einmal und sagte:

Helene, Sie sind groß! Sie haben sich wie eine Heldin bewährt! Sie beherrschten sich. Es wird Aufsehen machen.

Als die Gräfin statt aller Antwort die Augen gen Himmel aufschlug, in denen eine Thräne glänzte, drückte sie die Geheimräthin noch einmal an's Herz.

Morgen seh' ich Sie, sagte Pauline, und ich hoffe, Helene, ich bringe Trost und finde Fassung.

Bringen Sie Mitleid! sagte Helene mit leiser Stimme, drückte Paulinen die Hand und ging ruhig über die glänzend erleuchtete, blumenbesetzte, unter den Teppichen knarrende Stiege hinab.

Ihr Bedienter folgte mit einem Shawl, den sie umschlug, als sie in den Wagen stieg...

Natürlich wurde im Salon jetzt über nichts, als über die Gräfin d'Azimont, über Egon und über die Fürstin Wäsämskoi gesprochen... Ein Körnchen Wahrheit, breitgeschlagen, wie unter der Hand des Goldschlägers, der aus einem Körnchen Metall endlosen Goldschaum fertigt. Da wir die Verhältnisse genauer kennen, überlassen wir die Erfindung den Uneingeweihten und beobachten nur Paulinen, die sich frei genug fühlte, jetzt ganz ihren nächsten Unternehmungen zu leben. Auf einen Blick sah sie sogleich, daß zwischen Melanie und ihrem Manne eine Neckerei stattfand. Melanie hatte ihm einen zu komischen Gruß gegeben und er ihn zu verblüfft, fast schmollend erwidert. Melanie erschien ihr sogleich wie die verdächtigste Kokette. Ruhig den linken Arm in die Ecke des Sophas stützend und sich in die Rückenkissen überlehnend, in der rechten Hand mit dem Fächer spielend, sah Melanie den Gruppen zu, die sich im Salon gebildet hatten und gab Jedem Gehör, der sich ihr näherte und sie in ein Gespräch zu intriguiren suchte.

Die Trompetta brannte vor Verlangen, Melanie über ihre Reise auszuforschen; aber seit der letzten Störung in der Singakademie zu Tempelheide mußte sie der Flottwitz zu Liebe Farbe halten. Die Flottwitz ignorirte nämlich Melanie mit consequenter Verachtung und sprach unausgesetzt und auf das lebhafteste mit dem Grafen Brenzler über eine neue Art beweglicher Barrikaden, mit welchen die Truppen bei künftigen Revolutionen gegen etwaige Empörer besser zu operiren lernen möchten; sie sprach so laut, daß sie Melanien sogar etwas von der ihr allgemein gewidmeten Aufmerksamkeit entzog.

Se. Excellenz der Intendant benutzte diese Pause, trat an die Sophalehne und flüsterte zu Melanie halblaut:

Guter Gedanke von meiner Frau, Sie bei uns einzuführen, Fräulein...

Bitte Excellenz, beschämen Sie mich nicht. Es ist doch nur Ihr Gedanke gewesen...

Doch nicht! Bin Ihnen ja bös – recht bös – Das wissen Sie doch schon... Sie...

Excellenz! Bös? Mir? Warum?

Sind recht listig, recht gefährlich – Ja, ja, ich schmolle...

Wie so? Sie? Welche Ursache hätten Sie?

Werden es schon wissen – Sie kleine Abscheuliche!

Sie haben einen Katarrh, Excellenz! War es kalt im Möbelwagen?

O Pfui! Pfui! Sie spotten – Recht lieblos! In der That! Recht lieblos!

Ich ohne Liebe? Ich, die deshalb im Heidekrug verzweifelte, weil dort so viel Katzen herumstreichen, die ich nicht leiden kann?

Und bestohlen bin ich auch geworden! Habe einen schönen Auftritt gehabt mit meiner Frau! Fräulein...

Ich seh' es Excellenz! Die kleinen Ohren glühen... Das bedeutet Blutandrang... Kummer...

O über Sie! O! o, Sie sind nicht gekommen! En vérité! Sie haben mich gefoppt. Sie sind nicht gekommen!

Excellenz! Welch ein Wort! Gefoppt! Ich versichere Sie! Die Katzen sind ganz allein Schuld – Sie schliefen doch recht sanft in der kleinen transportablen Hütte? Die Götter der Liebe wachten doch über Sie? O Sie machen mich recht unglücklich, daß Sie sagen können, ich hätte Sie gefoppt, Excellenz!

Ah! Bah! Bah! Ich trau' Ihnen nicht mehr. Sie sind schlimm! Recht schlimm!

Und die Menschen nennen mich alle so gut. Nur vor Katzen fürcht' ich mich, Excellenz. Und es war so finster und so naß und die Gensdarmen fluchten so laut und Ihre Bedienten tranken so viel – aber Sie hatten doch Ihr gesticktes Nachtmützchen auf, Excellenz, als Sie in das Hüttchen schlichen? Was? Ihr Schlafrock steht Ihnen auch gar zu schön! O Hohenberg, Hohenberg! Unvergeßliche Stunden, die wir dort erlebten und ich gefoltert wurde von meinem vis à vis, das mich anfangs nicht verstand, nicht verstehen wollte... denn nur im Mützchen und im seidenen Schlafrock erschienen Sie anfangs am Fenster!

Hätt' ich ahnen können –

Daß diese kleinen Ohren mich entzücken würden! Excellenz Sie sind heute zu liebenswürdig! Gehen Sie! Gehen Sie! Oder ich komme heute doch noch in den Möbelwagen...

Pauline trat bei diesen boshaften Worten hinzu. Sie hatte die letzten Worte halb und halb verstanden und fragte, durch galante Herablassung ihr Erstaunen mildernd:

Wovon sprechen Sie? Sie flüstern mit meinem Gatten? Ei, ei, die schöne Melanie beunruhigt den Frieden meines Hauses! Henning ist von Hohenberg zurückgekehrt wie ein neugeschaffener Mensch!

Wir sprachen vom Heidekrug, gnädige Frau, sagte Melanie mit einem so zärtlichen Blicke auf Harder, daß Pauline lachen mußte. Es sind so viel Katzen dort, sagte Excellenz und ich gestehe, vor Katzen hab' ich allen Respekt. Nicht wahr, liebe Flottwitz? Sie wissen, was mich von unsern Maccabäern und dem Stamme Judä verscheucht hat!

Die Trompetta und die Flottwitz waren nämlich eben nur so lauschend vorübergegangen; Diese noch ganz erhitzt von den Auseinandersetzungen über die fliegenden Barrikaden und überall nur todte und verwundete Insurgenten erblickend, Jene auf eine Gelegenheit lauernd, doch mit der ihr ganz sympathischen Melanie anzubinden.

Ah! rief die Trompetta erlöst wie von einer großen Spannung. Nun schüttete sie ihre ganze Freude und Wonne des Wiedersehens und ihrer Überraschung aus, während Friederike Wilhelmine ernst und hoheitsvoll lächelte...

Das war ein Begrüßen, ein Fragen, ein Forschen! Aber Melanie kehrte sogleich auf die Worte zurück, mit denen sie, um den armen Henning von Harder von weiteren Inquisitionen zu erlösen, der Unterhaltung eine andere Wendung hatte geben wollen.

Es ist nur gut, süßes Kind, begann darauf erwidernd Frau von Trompetta mit künstlichem Schmollen, daß Sie Ihr Unrecht einsehen und von selbst auf diesen Gegenstand kommen. Sie haben diesen schönen Concerten für lange den Todesstoß gegeben, Sie böses Kind!

Wie so? fragte Melanie. Durch meine Antipathie gegen die Thiere oder meine geringen Gesangsmittel?

Pauline wünschte zu wissen, wovon die Rede war.

Frau von Trompetta ergriff, mit aller in diesem Falle wegen Anna's von Harder zu beobachtenden Discretion, das Wort und erzählte von den musikalischen Akademieen ihrer Schwester, den Zerwürfnissen der verschiedenen Singstimmen und dem Austritte des Fräuleins Schlurck...

Seitdem haben wir erlebt, schloß Frau von Trompetta, daß die Zahl der Tenöre und Bässe sich auffallend lichtete. Ein Assessor, zwei Referendare und drei Lieutenants sind gleich nach dem Fräulein fortgeblieben. Sie können sich denken, welche Lücke Das gibt! Die gute Anna ist in Verzweiflung und unsere Absicht, nun den Paulus von Mendelssohn-Bartholdy zu versuchen, müssen wir geradezu aufgeben.

Melanie stellte die Gefahren, die sie dem Paulus gebracht hätte, ganz in Abrede. Der Assessor wäre versetzt worden, die beiden Referendare wären in einem großen Prozesse beschäftigt, den die Regierung mit der Stadt führe und was die drei Lieutenants anlange, so hieße das gradezu für Fräulein von Flottwitz das Empfindlichste sagen, da es nur eines Wortes aus ihrem schönen Munde bedürfe, um sie wieder unter die rechtmäßige Fahne zurückzubringen.

Friederike Wilhelmine von Flottwitz entgegnete hierauf mit vieler Ruhe und der vollen Wucht ihres schönen klangvollen Organs:

Es ist besser, Fräulein, die Akademieen bleiben einige Zeit ausgesetzt, bis die Wahlen vorüber und die ersten Sitzungen der neuen Kammern so geordnet sind, daß man weiß, ob die gute Sache keine Gefahr zu befürchten hat. Es lebt ja Alles unter dem Druck der ungewissesten Zukunft. Die Demokraten wühlen mit unerhörter Dreistigkeit.

Der Kriegsrath Wisperling unterbrach die Sprecherin mit den unterthänigsten Worten:

Wie uns Fräulein von Flottwitz eben von ihrem Herrn Bruder erzählt hat... Schauderhaft!

Wer kann singen, wollte die Flottwitz fortfahren, wer kann singen, wenn...

Ihr Herr Bruder? fragte Kammerherr von Ried. Was ist denn Neues? Was ist denn schon wieder schauderhaft?

O es ist unerhört! meinte Wisperling und spannte noch mehr die Neugier des reichen Herrn von Ried, der wieder ein neues Attentat auf die besitzenden Klassen vermuthete.

Man wünschte Aufklärung, was mit dem Bruder des Fräuleins geschehen wäre.

Mein Bruder Wilhelm Friedrich, begann das Fräulein...

Der Lieutenant? unterbrach sie Melanie.

Nein der Cadett –

Der zweite Cadett?

Der dritte –

Ihr fünfter Bruder?

Der vierte –

Sie meinen doch Friedrich Heinrich Wilhelm –

Nein, Wilhelm Friedrich –

Ah, der, dem sich jetzt die Stimme setzt? Richtig! Nun?

Wilhelm Friedrich ging gestern über die rasende Rolandsbrücke. Da trat ein Demokrat geradezu auf ihn ein, schlug ihm vertraulich auf die Schulter und fragte: Nun Herr General! Wie viel kostet denn die Schachtel von Ihrer Sorte?

Ah! rief fast Alles mit höchster Entrüstung.

Man trat näher, man bat diesen Vorfall noch einmal zu erzählen, man war außer sich. Fräulein von Flottwitz erzählte ihn noch einmal mit erhöhterer Glut, als schon das erste und zweite Mal. Ihre zarte, durchsichtige Haut färbte sich, die hellblauen Augen schienen Funken zu sprühen, ihre blonden Locken strich sie mit einer raschen Handbewegung zurück und setzte, als sie geendet, hinzu:

Im weiblichen Reubund hat der Vorfall allgemeine Theilnahme gefunden! Welche Verwilderung, wenn die heiligsten Besitzthümer des Vaterlandes, die Bürgschaften unserer Kraft und Stärke vor dem innern und dem äußern Feinde, nicht mehr sicher sind! Mein Bruder Wilhelm ist von dem Vorfall krank geworden und liegt zu Bett...

Die Trompetta fügte ergänzend hinzu:

Ja! Der empörende Vorfall hat Gelegenheit zu einer sinnigen Demonstration gegeben. Die Baronin von Astern und die Hoflieferantin Herold schlugen im Reubund wie aus einem Munde vor, dem Cadetten von Flottwitz eine Säbeltasche zu sticken, die wir ihm aufbewahren werden, wenn er einst zu den grünen Husaren abgeht.

O Das ist schön! O Das ist charmant! rief wiederum fast Alles einstimmig. Nur eine männliche Stimme, die bisher nicht vernommen war, legte zum allgemeinen Erstaunen folgenden Widerspruch ein:

Um dem kleinen erschrockenen Cadetten von Flottwitz III. thut mir's leid. Aber wir leben ja nun einmal im gegenseitigen Kriege. Unsere Offiziere verhöhnen jeden Bart, jeden grauen Hut; so verhöhnen die Bärte und grauen Hüte wieder unsre kleinen Spielereien. Wenn man die Cadettenhäuser aufhöbe, würde man jedenfalls den Foderungen unsrer Zeit am besten entsprechen. Alle Achtung für Ihren kleinen Bruder, (denn ich wünsche, daß er die unverdiente Säbeltasche bei den grünen Husaren einst mit Ehre trage), aber solche Conflikte sind nicht zu vermeiden, wenn der König diese kleinen Repräsentanten des alten soldatischen Kastengeistes noch so herumlaufen läßt. Die Zeit der Cadetten in dem alten Sinne ist vorüber.

Der Sprecher dieser mit lautlosem Befremden aufgenommenen, bittern Worte war selbst Militär. Eine hagere Figur, mehr groß, als mittel. Sein Haupthaar war in sonderbarem Widerspruch zu der Jugendlichkeit seiner Züge grau, ebenso der Bart; die starken Augenbrauen jedoch waren ganz schwarz und gaben dem scharfen, habichtartigen Blicke eine Kraft, die niederschmetternd wirkte. Beim Sprechen entdeckte man in dem schönen Munde die weißesten Zähne. Stirn und Schläfe waren edel und klar. Nur um den Mund lag eine gewisse Bitterkeit, die den Zügen des Antlitzes manchmal einen mephistophelischen Ausdruck gab, ohne ihn jedoch unheimlich oder beängstigend erscheinen zu lassen. Er trug eine Infanterieoffiziersuniform, die auf der Brust nach unten zu halb gelüftet war und ein Gilet von weißem Piquet sehen ließ, und Epaulettes.

Es war dies jener uns schon bekannte Major von Werdeck, ein Offizier, der früher nur seinem militärischen Berufe und mancherlei Studien gelebt hatte, seit dem neueren Umschwunge der Zeit aber vielfach in politischen Kreisen gesehen wurde und durch manche scharfe Äußerung, die man von einem Manne seiner Stellung nicht erwarten wollte, hier und da schon aufgefallen war. In neuester Zeit war auch er in den Reubund getreten, wie Viele versicherten mit der bestimmten Absicht, ihn zu sprengen. Dies unerhörte Attentat auf einen Verein, der es sich zur Aufgabe gestellt hatte, alle die von dem Throne gegebenen Concessionen zurückzugeben und gleichsam ihre Ertheilung zu bereuen, hatte ihn fast isolirt. Auffallend genug war es daher, daß er im Salon einer früher sehr eifrigen Reubündlerin, Pauline von Harder, erschien. Pauline hatte ihn aber ausdrücklich ersucht zu kommen; denn sie war jener Ultra-Partei müde und längst auf den Gedanken gerathen, eine gewisse Opposition gegen das Allgemeine gäbe ihr doch wol am Ende mehr Relief als das ewige Huldigen und Anerkennen.

Major von Werdeck kam ohne seine Gemahlin, die, eine geborne Kaminska, zu den lebhaftesten Opponentinnen der Gesellschaft gehörte. Man hatte schon vielfach an dieser Frau Anstoß genommen, ihr aber als einer Polin die extremen Äußerungen hingehen lassen. Dem Gemahl aber, von dem man anfangs erwartete, er würde ganz in seinem militärischen Bereiche verbleiben und diese häusliche »Wühlerei« nicht auf sich wirken lassen, galt im Geheimen schon die allgemeinste Entrüstung der Kreise, in denen diese beiden Gatten lebten. Es erregte eine offenbar beklemmende Stimmung, als Major von Werdeck hier so unbefangen eingetreten war und sich gleich als Opponent gegen die gemeinschaftliche Empfindung äußerte.

Als ihn Pauline begrüßte und ihm gedankt hatte für die Annahme ihrer Einladung, antwortete er, seine Frau entschuldigend, mit feinem Lächeln, er würde sich nicht haben entschließen können, heute Abend eine Vorlesung auf der Universität – Major von Werdeck schrieb sich dort alle Vorlesungen nach, die er hörte – zu versäumen, wenn er auf dem Zettel der Einladungen nicht auch Herrn Justizrath Schlurck bemerkt hätte – er grüßte diesen – er hätte ihn dringend zu sprechen...

Schlurck verbeugte sich überrascht...

Doch bitt' ich, sagte der Major, meine Privatangelegenheiten sollen die Erörterung wichtiger Dinge, z.B. die Cadettenfrage, nicht stören. Sie wollten etwas sagen, Fräulein?

Die Flottwitz bemerkte kühn und voll Verachtung vor diesem Offizier:

Längst, weiß man es, Herr Major, daß die Demokraten Sie zum künftigen Generalfeldmarschall auserkoren haben. Die neuesten Schwankungen des Reubundes sind Ihr Werk! Sie haben darauf angetragen, ich weiß nicht, ob im Ernst oder aus Ironie, daß Jeder von dem Bunde der Reue ausgeschlossen wird, der eine Tochter zu verheirathen hat!

Natürlich wurde über diese Bemerkung, trotz des Abscheus gegen Werdeck, gelächelt...

Major von Werdeck wählte sich eben aus einer Schüssel von Riz glacé aux confitures einige eingemachte Kirschen und erwiderte, ohne aufzublicken, ganz ruhig, aber sehr scharf:

Mein verehrtes, gnädiges Fräulein von Flottwitz! Sie sind bekannt für eine Schwärmerin! Sie glühen wirklich für den Thron, dem Ihre Väter so viele Orden verdanken! Die Andern sind aber leider nicht so uneigennützig. Die Andern denken größtentheils nur an ihr irdisches Wohl und würden auch den Kosacken Weihnachtsbäumchen anstecken, wenn ihnen die Kosacken stilles Familienglück, eine Pension und gute Schwiegersöhne garantiren. Es gibt Menschen, denen unbedingt verboten werden müßte, politische Meinungen zu haben oder wenigstens sie zu äußern. Ich rechne mehr Gattungen dazu, als ich in diesem Augenblick aufzählen darf; aber unbedingt sollten von allen politischen Demonstrationen diejenigen Väter ausgeschlossen werden, die mehr als drei Töchter zu verheirathen haben...

Diese Bemerkung schien auch gegen politisirende Frauen gerichtet und endete vorläufig den unerquicklichen Streit.

Werdeck sah sich nach Schlurck um, der ihm freundlich entgegenkam und an ein Fenster tretend Rede stehen wollte...

In demselben Augenblick aber schlüpfte auch der Arm der Geheimräthin unter den des Justizrathes und Schlurck wurde in das türkische Zelt gezogen.

Es hat Zeit! sagte Werdeck und verbeugte sich sehr artig gegen die Wirthin. Er sprach inzwischen mit den Malern und erkundigte sich angelegentlich nach Leidenfrost, der ihm, wie wir wissen, Siegbert Wildungen zum Malen eines Porträts seiner Frau empfohlen hatte...

Schlurck führte indessen die Geheimräthin in das türkische Zelt und begann:

Meine theuerste Gönnerin! Endlich ein ruhiger Augenblick...

Ich brenne vor Ungeduld, daß Sie endlich sprechen, sagte Pauline. Welchen tröstenden Brief haben Sie mir geschrieben! Was gibt es Günstiges?

Ihr Scharfsinn hat manches Richtige geahnt;... sagte Schlurck und spielte mit seiner Dose. Meine Tochter beichtet aber nicht und da Sie das kleine Ding nun heute gesehen haben, was denken Sie selbst aus ihr ergründen zu können?

O dies wunderbare Mädchen hat einen Willen! Ich sehe, daß ich da auf Alles verzichten muß...

Dennoch erfuhr ich soviel, daß wirklich jenes Bild dem Prinzen von Werth ist und von einem jungen Mann, Dankmar Wildungen, der ihm befreundet scheint, ohne Zweifel in seinem Auftrage und durch Melanie's Vermittelung in einen Besitz genommen ist, den man ihm nicht bestreiten kann. Denn die Familienbilder bleiben den Hohenbergs.

Durch Melanie's Vermittelung? sagte Pauline überrascht. Gestand sie Ihnen Das? Dankmar Wildungen? Wer ist Das?

Ich durfte sie nicht examiniren, antwortete Schlurck, sich nach seiner Tochter umsehend. Sie ist aufgeregt! Ich konnte nur Aussagen Anderer zusammenstellen, die meiner Frau, die Beobachtungen Bartuschs: genug, wenn Sie noch an dem Bilde hangen –

Um Alles in der Welt!

Ihre Freundin, diese liebenswürdige d'Azimont, sichert Ihnen ja Amandens Sohn. Was fürchten Sie?

Glauben Sie Das? Sie irren sehr! Egon und Helene haben gebrochen...

Eine so schöne einnehmende Frau wird den Genesenden leicht versöhnen. Sie erhalten dann die Denkwürdigkeiten in aller Güte von ihm. Bis dahin verachten Sie die Welt um so mehr, als Sie ja Ihrer politischen Rolle eine neue Diversion geben und zur Opposition zu gehen scheinen! Ich sehe schon, wie die Trompetta und das loyale Wunderkind da diese Beziehung zu dem neuen Catilina, dem Major von Werdeck, verbreiten wird. Die Thür der »kleinen Cirkel« öffnet sich, wenn nicht aus Liebe zu Ihnen, doch nun aus Furcht...

Um so mehr muß die Vergangenheit beseitigt sein – antwortete Pauline, des Spottes gar nicht gewahr werdend.

Man möchte glauben, Sie hätten einen Mord begangen.

Wer weiß! sagte Pauline lächelnd.

Schlurck sah Paulinen groß an und zog die goldne Brille in die Höhe. Da er aber an Paulinens Auge abnahm, daß sie, wenn auch gewaltsam, doch scherzte, zog er die Brille wieder herab und langte auf's neue seine Dose aus der Tasche.

Was foltr' ich Sie? sagte er. Sie überhörten vorhin einen Namen: Dankmar Wildungen. Morgen früh stellt die Polizei in der Wohnung zweier Brüder Siegbert und Dankmar Wildungen eine Recherche an. Der Obercommissär Pax, der Schützling Ihrer guten Madame Ludmer, deren Empfänglichkeit für die neuen Fortschritte der Kochkunst ich immer geschätzt habe, mußte mit in unser Geheimniß gezogen werden.

Welches Geheimniß? Wer sind denn diese Wildungen?

Schlurck nahm Anstand, seiner Alliirten das Misverständniß auseinanderzusetzen, das er durch seinen Geldermann-Deutz zuerst im Heidekrug veranlaßt hatte. Er begnügte sich zu wiederholen:

Sie erinnern sich von heute früh, gnädige Frau, daß ich vom Prinzen Egon wunderliche Dinge über seinen Antheil an der Johannitererbschaft und Ähnliches sprach. Alle diese Voraussetzungen haben eine andre Wendung bekommen, seitdem sich herausgestellt hat, daß ein gewisser Dankmar Wildungen es gewesen ist, den man in Hohenberg für den Prinzen Egon nahm. Dankmar Wildungen ist ein Verbündeter des Prinzen. Ihm gelang es, – wie Melanie daran betheiligt ist, weiß ich nicht, – das Bild der Fürstin Amanda sich anzueignen. Er besitzt es... Wir aber entnehmen es von seinem Zimmer morgen in aller Frühe...

Pauline erschrak über diese Eröffnung, erschrak über den Schein der Gewaltthat.

Sie fürchten das Aufsehen? fragte Schlurck.

Ich glaube, Sie wollen mich verderben, meinte Pauline. In dieser Zeit! Bei solchen Wirren dergleichen extreme Schritte?

Ist Das mein Dank, daß Sie mich für beschränkt halten? antwortete Schlurck in seiner ganzen Behaglichkeit. Die Recherche hat einen völlig gesetzmäßigen Zweck. Dankmar Wildungen hat sich in der Stadt Angerode eine eigenmächtige Gewaltthat erlaubt, eine Aneignung öffentlicher Dokumente. Glücklicherweise sind sie in die Hände der Gerichte gefallen; allein, da anzunehmen steht, daß er sich mit Dem, was man wiederfand, nicht begnügte, so werden die Betheiligten Sorge tragen, um so mehr noch eine Haussuchung bei ihm vorzunehmen, als sich des kecken jungen Mannes Spur seit einigen Tagen verloren hat – Verstehen Sie nun?

Sehr gut! Man nimmt bei dieser Gelegenheit auch jenes Porträt, wenn es sich findet?

Es findet sich – Egon ist seiner Krankheit wegen unzugänglich. Was bei ihm abgegeben wird, geht durch die Hände der Wandstablers...

Ist jene Angelegenheit, die Grund zu der Recherche abgeben muß, bedeutend genug, um für sich allein eine so gewaltsame Handlung zu entschuldigen?

Es ist die Angelegenheit wegen der Johannitererbschaft.

Wie kommt aber jener verschmitzte junge Freund des Prinzen in so verwickelte Verhältnisse?

Das interessirt mich selbst. Vorläufig frag' ich: Mach' ich es recht?

Sie sind ein Zauberer! antwortete Pauline holdselig und ihre Brust athmete wie erlöst und neu belebt.

Das sagen Sie dem schönen eleganten Herrn dort, der eifersüchtig zu uns herüberschielt...

Schlurck zeigte auf Heinrichson, der die Methode, ältere Damen zu verwirren, sehr wohl verstand und nur herübersah, um sich gleichsam eifersüchtig zu zeigen, was er nicht im mindesten war.

Mich aber entschuldigen Sie, liebe Freundin, daß ich mich nun heimlich nach einigen Worten mit dem höchst vernünftigen, aber unbesonnenen Major von Werdeck empfehle und Melanie allein zurücklasse. Der Wagen wartet auf sie. Sie bedarf meiner nicht.

Was haben Sie denn noch? Man servirt ja jetzt den Liebhabern erst gefrorenen Champagner. Sie Vortrefflichster aller Vortrefflichen! Wir bleiben nun erst recht beisammen, hören Sie doch! Die Flottwitz singt!

Lassen Sie mich mit der Flottwitz und mit dem Gesang! Um den Champagner thut es mir leid. Ich muß in die Loge. Propst Gelbsattel will heute einen Fremden einführen. Ich habe viel heute erlebt, viel Widerwärtiges, viel Störendes. Ich will den Tag fromm beschließen und recht andächtig heut Nacht zu Tisch gehen. Schade, daß man viel Französisch wird parliren müssen! Ich hätte Lust, heute nun nichts mehr anzustrengen als nur noch meine Zähne, was mir leider Mühe genug kostet, da es zwischen Zunge und Gaumen bei mir wie in Herkulanum und Pompeji aussieht. Adieu! In aller Stille! In aller Stille! Ich nehme jetzt schon französischen Abschied.

Französisch, sagen Sie? Wer ist denn der eingeführte Bruder?

Ein gewisser Sylvester Rafflard. Er reist um die Gefängnisse kennen zu lernen. Ein Menschenfreund. Wir werden viel Phrasen zu hören bekommen.

Rafflard? Rafflard?

Kennen Sie ihn?

Rafflard? Wissen Sie, wer Das ist? Ich warne Sie, Das ist ein Jesuit.

Ah!

Ich gebe Ihnen mein Wort. Rafflard? Richtig. Rafflard! Ja, lieber Schlurck, erwerben Sie sich ein Verdienst um die Loge und warnen Sie sie! Es ist ein Jesuit.

Ich danke Ihnen! Nicht wegen der Loge. Warnen? Warnen? Das gesteh' ich Ihnen aufrichtig, der Loge wünscht' ich, es käme einmal wirklich ein recht gescheuter Jesuit über sie! Jesuiten haben wir genug, aber nur offene, nur sichtbare! Das ist so schlimm. Diese Esel verrathen sich gleich. Aber ein geheimer Jesuit, einer, der da reist, um die Gefangenen und ihr Loos zu – o Das ist prächtig! Geheimräthin, der Mann macht mir Appetit, sogar auf seine Phrasen. Woher wissen Sie Das nur? Er wird also über die Menschenliebe sprechen und dabei wahrscheinlich ganz auf etwas Anderes zielen! Das reizt meinen Verstand! Das unterhält mich! Warum? Sie denken vielleicht, ich gönne nicht meinen Schurzfell-Collegen einmal ein Abenteuer, das sie belehrt? Fällt mir nicht ein. Es ist ja unterhaltend zu sehen, wie eine Spinne mit Honigfüßen die Fliegen fängt! Merci! Merci, Madame! Die Jesuiten sind die einzigen Menschen auf dieser Viehweide, welche man die Erde nennt, die den Namen Mensch verdienen. Woher haben Sie Das?

Ich weiß es.

Dafür küss' ich Ihnen die Hand und wünsche Ihnen ganz in der Stille einen guten Abend und für morgen früh einen heitern glücklichen Tag! Die Polizei besucht die Wildungens um vier Uhr Morgens, nimmt das Bild, Oberkommissär Pax bringt es Ihnen um fünf, sechs, wann Sie wollen und ich will wünschen, daß es den Inhalt, den Sie ahnen, noch verschlossen enthält...

Mit diesen Worten wollte sich Schlurck aus dem blauen Zelte zurückziehen, als ihm Werdeck artig entgegentrat und bei Seite zog.

Sie mußten flüstern.

Pauline deutete auf den Salon, wo die Flottwitz eben am Piano sang...

Das enthusiastische Mädchen sang sehr ausdrucksvoll mit einer sonoren, vollen Stimme ein neues Lied von der Majestät, das sich fünfzehn Componisten bemüht hatten in Musik zu setzen und deren Melodieen sie alle auswendig wußte. Sie wollte die Gesellschaft veranlassen, ihre Meinung über diejenige Melodie abzugeben, die ihr die gelungenste schien.

Die Geheimräthin hörte erst in ihrer glückseligen Beruhigung theilnehmend zu, unterbrach aber zuletzt doch die an sich so löbliche, aber wenig amüsante Absicht der Flottwitz, indem sie ein allgemeines Thema zur Unterhaltung angab und dafür Sorge trug, daß Melanie, Heinrichson und Reichmeyer, dem sie sehr artig war, am meisten in den Vordergrund traten. Es wurde viel erörtert, viel Kluges und noch mehr Beschränktes mit Redseligkeit vorgetragen. Pauline war über die Maßen angeregt. Sie hatte eine Fülle von Thatsachen, in denen sie sich plötzlich wieder bewegen konnte. An Melanie, die ihr etwas Gleichartiges zu haben schien, richtete sie die meisten ihrer Apropos und hielt diese dadurch mehr wach, als heute in ihrem Charakter zu liegen schien. Heinrichson und Reichmeyer waren Melanie vom Atelier nicht neu, die politische Debatte erschien ihr zu schroff, der kleine Roman mit dem Geheimrath ermüdete sie; es war unter den zwölf bis zwanzig, selbst jüngern Männern nicht Einer, der ihr den Gedanken an den männlichen, feurigen, thatbewußten Dankmar hätte verscheuchen können.

Sie lieben! flüsterte ihr Pauline, als sich wieder Gruppen gebildet hatten, flüchtig in's Ohr...

Melanie erröthete.

Sehen Sie! fuhr Pauline fort und Sie lieben erst seit kurzem.

Gnädige Frau, sagte Melanie schalkhaft und doch nicht ohne Ernst; ich möchte wol von Ihnen erfahren, wie ich es mit meinem Herzen halten soll. Wie ein Mann sein muß, um ihn zu lieben, weiß ich. Wie er aber sein muß, um ihn zu heirathen, Das bitt' ich, sagen Sie mir!

Pauline lächelte, sammelte sich einen Augenblick und entgegnete:

Nehmen Sie Den, der Sie entweder ganz zur Sklavin oder ganz zur Herrscherin macht!

Melanie überlegte sich diese Antwort und fuhr fort:

Sklavin könnt' ich einem Mann gegenüber nur dann sein, wenn ich ihn liebte oder das Gefühl einer unaussprechlichen, unverletzbaren Schuld in mir trüge. Schuld! Schuld!... Über Was setzt sich wol ein Liebender Alles hinweg?

Wenn er Sie wahrhaft liebt, über den Mangel an Schönheit. Wenn er Sie wahrhaft liebt, über den Mangel an Geist. Aber die Tugend, Melanie, ist wie der Dichter sagt, kein leerer Wahn. Über die setzen sich nur die Männer hinweg, denen Sie eine Herrscherin sind! Allen diesen Schlüssen zufolge dürfen Sie also entweder nur einen Bettler heirathen oder einen Fürsten. Ein Fürst würde Sie nämlich schon gar nicht nehmen, würde durch Ihre Heirath von der gewöhnlichen Ordnung des Herkommens gar nicht abweichen, wenn er Ihnen nicht eben auch Alles vergäbe...

Melanie verfiel in ein ernstes Sinnen. Es war ihr, als riefe in ihr eine teuflische hohnlachende Stimme:

Entweder also Hackert oder Egon! Dazwischen gibt es nichts...

Pauline sah auf das türkische Zelt, wo noch immer Werdeck und Schlurck flüsterten...

Der Sanitätsrath sprach gerade am lautesten. Er unterhielt die Gesellschaft durch manche Mittheilungen aus den höhern Kreisen, in denen er sich bewegte und die er ohne indiscret zu sein wiederholen konnte. Dem größeren Theile der Anwesenden hatte aber der Major Werdeck die Unbefangenheit genommen; man glaubte, in keinem reinen Wasser mehr zu sein. Hier stritt man nicht gern, sondern handelte. Die Enragirtesten scharten sich zur Trompetta und Flottwitz und sprachen oft so leise, daß der Geheimrath glaubte, es fehlte wol irgend an etwas und die Bedienten rief. Harder's Anblick war es dann, der Melanie's erschreckte Lebensgeister wieder schürte und ihr Gelegenheit gab, eine leidliche Unbefangenheit zu sammeln, um sich mit dem hinterlassenen Eindrucke, daß sie dem Rufe ihrer Liebenswürdigkeit vollkommen entspräche, vielleicht bald zu entfernen. Pauline, die diese Absicht merkte, hielt sie aber fest und schien sie veranlassen zu wollen, nach dem türkischen Zelte zu folgen.

Was hat der Justizrath nur mit dem Major? sagte sie lauschend.

Man hörte die abgerissenen Worte aus dem leisen Gespräche:

Kaminska... Sibirien... Kloster zum Herzen Jesu... Frankreich... Schwester Jagellona... Vermögensvertheilung... Certificate... Leidenfrost... Depositalgelder...

Geschäftssachen! sagte Melanie. Der arme Vater ist geplagt! Selbst hieher verfolgt ihn die stündliche Mühe und Sorge!

Pauline wußte aber nicht, daß sie nur das Wort Leidenfrost verscheuchte – weil sie durch diesen Namen an ein Bild erinnert wurde, das ihr die schmerzlichsten Empfindungen weckte...

Melanie ging im Saal auf und ab. Als sie zurückkehrte, war ihr Vater verschwunden, Werdeck im Gespräche mit Paulinen...

Sie mußte Heinrichson und Reichmeyern Rede stehen, die von ihrer Reise hören wollten, von ihren Plänen, die Malerei fortzusetzen, von ihren Aussichten für die Geselligkeit des Winters...

Sie antwortete zerstreut, nicht in gewohnter Laune. Es war ihr zu geräuschvoll geworden, sie war nicht mehr der Mittelpunkt des Cirkels, die Zudringlichkeit des Geheimraths verhinderte ihre Triumphe und sie fühlte plötzlich, daß eine ungeheure Last sie drückte. Es drängte sie mit tausend Stimmen, die innerlich riefen: Fort! Fort!

Sie ergriff die Hand der Geheimräthin.

Gute Nacht, Excellenz! sagte sie.

Keine Förmlichkeiten, meine Liebe! Aber Sie wollen wirklich gehen?

Pauline erklärte, sie hätte noch auf ein tête à tête am Schluß des Abends mit ihr gehofft...

Ich bin noch von der Reise ermüdet... sagte Melanie.

Ich rechnete auf eine vertrauliche Annäherung...

Sie sind zu gnädig... Erhalten Sie mir diese Gesinnung!

Nun denn, sagte Pauline und zog das ihr räthselhafte Mädchen noch einen Augenblick bei Seite; soviel ich Sie heute kennen gelernt habe, liebe Melanie, gehören Sie zu den Unruhigen und Strebenden! Sie haben ein Herz und fürchten, von ihm getäuscht zu werden. Die Philosophie Ihres geistreichen Vaters, den ich so hoch verehre und der mir täglich neue Beweise seiner Anhänglichkeit gibt, hat Ihnen zu früh schon den Blütenstaub vom Leben gestreift: überall fürchten Sie Illusionen! Fürchten Sie nicht zu lange, wagen Sie! Illusionen sind dazu da, daß man sie überwindet und sich in seinem Charakter stärkt. Es hilft nichts, Sie müssen schon einmal sich entschließen, einem Schmerze die Brust darzureichen, nicht ihm aus dem Wege zu gehen. Vertrauen Sie manchmal einem Freunde, einer Freundin! Wählen Sie mich dazu! Ich bin so eine alte Wetterfahne, die schon lange im Sturme des Lebens steht und andern Menschen zeigen kann, woher der Wind und die Lüfte kommen und die – nicht selbst mehr an ihren Sitz gelangt. Ich weiß, wie es in jungen Knospen wogt und stürmt und wie die holden Blätter, die zu schlummern scheinen, im Aufruhr sind! Mein Leben ist Erinnerung. Nutzen Sie manchmal diese stille Arbeit meines Kopfes und Herzens. Sie finden eine Mildthätige, die nicht für sich, auch für die Andern sammelte.

Diese ungemein weich und fast lieblich vorgetragenen Worte erschütterten Melanie. Dennoch konnte sie nicht umhin, während Pauline so sprach, einen lächelnden Seitenblick auf den jungen Adonis Heinrichson hinüberzuwerfen. Ach, auch Pauline verstand dies Lächeln und erwiderte es mit einem gewissen schwärmerisch gelassenen Blicke, als wollte sie sagen: Der Schatz der Liebe ist ja unergründlich!... Auch der Ludmer erwies Melanie, die ihre Stellung kannte, viel Artigkeit und Pauline konnte, als das junge Mädchen endlich verschwunden war, nicht läugnen daß Helene d'Azimont einen großen Kampf würde zu bestehen haben, wenn wirklich Melanie entweder unmittelbar mit Egon oder durch jenen räthselhaften Freund, Dankmar Wildungen, mit ihm in Verbindung stand.

Die Gesellschaft löste sich nun auf. Werdeck's Rückkehr aus dem türkischen Zelte brachte nur Zündstoff zu Hader und Streit. Seine kaustische, scharfe Art verwundete nach allen Seiten und die Flottwitz stritt mit einer Heftigkeit, daß die Grazien flohen. Drommeldey war längst schon zu Egon's Krankenbett ins Hohenberg'sche Palais gefahren, Graf Franken in die »kleinen Cirkel«. Graf Brenzler, Baron von Ried hielten nicht mehr Stand gegen die scharfe Logik des Majors. Endlich ging auch dieser, nachdem er Paulinen viel Artiges gesagt und die universale Geschäftsthätigkeit des Justizraths bewundert hatte, der ihm einen Kopf wie ein Repositorium mit tausend Fächern zu haben schien.

Was wollen Sie mit ihm? Doch kein Prozeß? fragte Pauline.

Angelegenheiten meiner Frau...

Wie geht es ihr?

Sie sollten uns besuchen! Sie sollten ihr Bild sehen. Sie läßt sich für eine alte Gönnerin ihrer Familie in einem polnischen Kloster malen.

Von Ihrem Protégé, dem bizarren Leidenfrost?

Von einem jungen talentvollen Maler, Namens Wildungen! Sehen Sie sich ja das Bild an! Es wird vortrefflich! Gute Nacht, liebe Geheimräthin!

Damit ging der Major und ließ Paulinen in Erstaunen zurück, hier wieder den Namen Wildungen zu hören...

Die Trompetta und die Flottwitz hätten jetzt gern das Feld allein behauptet und noch mit der Geheimräthin über Wahlen und mancherlei Demonstrationen, besonders über den »Bazar« zum Besten der verwundeten Krieger, ja schon über die große vorbereitete Weihnachtsbescherung in den Kasernen gesprochen...

Allein sie sagte ganz kurz und schroff:

Laßt mich heute mit Eurem dummen Zeug in Ruhe! Gute Nacht!

Die beiden Inseparables gingen verdrüßlich. Doch hatten sie im Wagen der Trompetta reichlichen Stoff zur Erörterung aller Vorkommnisse dieses Abends. Sie glossirten auch darüber, daß der einzige und letzte von Allen, der zurückblieb, wirklich der Maler Heinrichson war...

Heinrichson mußte jeden Abend bei solchen Gelegenheiten die Schlußsentenz, gleichsam die Moral des Abends, aussprechen...

Wie ist Ihnen, Pauline? fragte er auch heute.

Still und bewegt! antwortete sie mit Goethe und reichte dem Freunde die Hand zum Kusse und zum Abschied.

Melanie aber war unten von ihrem Bedienten empfangen und in den Wagen geleitet worden, auf dem Neumann inzwischen wohl geschlafen hatte...

Es mochte fast zehn Uhr sein.

Die Luft war, man fühlte es an den geöffneten Fenstern der Villa, linde und mild. Zitternd bebten in ihrem Glanz am dunkelblauen reinen Himmel die Sterne; nur da und dort zog über sie her ein Nebelschleier, der vielleicht nur der Widerschein von unzähligen unsichtbaren Sternen war.

Noch einen flüchtigen Blick warf Melanie durch den Vorgarten fliehend auf die hellerleuchteten Fenster des oberen Stockes, bewunderte die elegante Einrichtung des Vorbaus, die sorgsame Pflege der Beete...

Fliehend, sagten wir. Denn der jungen Excellenz, die ihr schon auf der Treppe nachgetrippelt kam und durchaus noch mit ihr sprechen wollte, mochte sie nicht Rede stehen.

Als sie im Wagen saß und dieser langsam durch die andern, die auf ihre Herrschaften warteten, sich durchwand, ergriff sie Mismuth und Schmerz.

Sie hatte die leidenschaftlichsten Eingebungen ihres Ehrgeizes niederzukämpfen und fühlte aus Gründen, die ihr selbst nicht klar waren, einen unaussprechlichen Neid gegen Helene d'Azimont, in der sie etwas entdeckt hatte, was sie selbst nicht besaß... Seelen-Poesie.

Sie mußte sich gestehen, daß es Menschen gibt, die um sich her, selbst wenn sie stumm und dem Allgemeinen abgewandt scheinen, einen Zauber verbreiten, mit dem die vergängliche und noch so blendende Wirkung der Schönheit keinen Vergleich aushält.

Melanie war besonnen genug, sich zu sagen, daß sie sich diesen geheimnißvollen Reiz nicht geben konnte. Sie wurde geliebt von Menschen, die sie nicht wieder lieben konnte. Selbst diese heutige Scene mit Siegbert Wildungen! Dies war nicht jener unternehmende, starke, sie bändigende, sie in Asche verwandelnde Geist! Dem gegenüber war sie nicht Sklavin und auch nicht Fürstin! Sklavin an sich nicht, aber auch eine Herrscherin nicht. Sie hätte ihren Sklaven geringschätzen müssen und Das konnte sie wiederum mit Siegbert nicht. Dankmar aber! Dankmar! Das war ein Sehnsuchtston, der durch ihr Inneres wehklagend rief. Wie gewann Dankmar wieder, wenn sie ihn verglich mit den Männern, die sie eben im Salon der Geheimräthin gesehen hatte! Dieser Reichmeyer, dieser Heinrichson! Wie verächtlich erschien ihr diese Gattung von Salonmenschen, die ihr Glück durch eine Lüge machen und die Petitmaitres vornehmer Launen sind! Selbst Lasally, der sie liebte und dabei offen gestand, daß er durch ihr Vermögen doch nur sich und seine Pferde retten wollte, selbst der war ihr bedeutender und erschien ihr liebenswürdiger... Lasally log doch nicht! Es war ein blasirter, desparater, mürrischer, junger Mann; aber er kam von allen Männern, die sich ihrem Herzen eingeprägt hatten, Dankmarn in der That am nächsten!

In diesem Augenblicke gedachte sie auch Hackert's...

Kaum hatte sie mit Grauen der Worte sich erinnert, die Pauline sprach, daß den Mangel an Tugend ihr nur ein Bettler verzeihen würde oder ein Fürst, als ihr etwas Entsetzliches geschah...

Sich allein im Wagen glaubend, rollte sie durch die sternenhelle Nacht, drückte die Augen zu, hüllte sich in ihren Shawl und glaubte sich nur von dem kühlenden Lufthauche belauscht, der durch die herabgelassenen Fenster des geschlossenen Wagens strömte...

Da fühlt sie sich plötzlich von einem kräftigen Männerarme umfangen und ein stürmischer Kuß brennt auf ihren Wangen...

Der Todesschreck hinderte ihren Aufschrei.

Sie fuhr in dem niedrigen Raume empor...

Der aber, der sie mit gewaltigem Arme niederdrückte und mit glühendem Tone das Wort: Melanie! Bist ruhig! flüsterte,... war Hackert.

Sie sah's! Sie fühlt' es!... Sie wollte schreien.

Aber halb ohnmächtig, willenlos, elend, zum blassen Tod entsetzt sank sie auf die Kissen des Wagens zurück, der funkenstiebend, donnernd in die Stadt rollte.


 << zurück weiter >>