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Erstes Capitel.

Zwei unverstandene Seelen.

Nicht hundert Schritte von der bescheidenen ländlichen Wohnung der Fürstin Adele Wäsämskoi entfernt lag die uns schon bekannte reizende Villa der Geheimräthin Pauline von Harder zu Harderstein.

Gegen die stille, gemüthliche Abendunterhaltung, der Siegbert Wildungen wie durch die seltsamste Überraschung des Zufalls in jenem von Rudhard etwas despotisch beherrschten Kreise beigewohnt hatte, bildete den auffallendsten Gegensatz die Vorbereitung der glänzenden Soirée, die Pauline von Harder in aller Eile noch für den Abend »improvisirt« hatte...

Die Geheimräthin verfügte über einen gewissen Kreis, den sie zu jeder Stunde des Tages, wie es in ihrer raschen Sprache hieß, »zusammentrommeln« konnte.

Ein Besuch wie der der d'Azimont, eine Bekanntschaft wie die der gefeierten allgemein bewunderten Schönheit Melanie Schlurck, mußte ihre nothwendige »Staffage« haben und soviel sie auch veranlaßt war, beide Frauen nur allein zu genießen, die kleinen »Etablissements« fehlten in ihren Sälen nicht, um mitten im rauschenden Gewühle sich ungestört allein zu fühlen und sich »auszusprechen«.

Der Eifer, mit dem die Geheimräthin, unterstützt von der Gesellschaftliebenden und für ihr Alter sehr zerstreuungssüchtigen alten Charlotte Ludmer, diesen Abend in aller Eile »arrangirt« hatte, wurde noch angespornt durch ein Billet des Justizrathes...

Franz Schlurck schrieb nicht nur, daß seine Tochter sich hochgeehrt fühlen müsse, in die Nähe einer so vornehmen Dame dringen zu dürfen, sondern fügte noch hinzu, daß er im Stande sein würde ihr recht angenehme Dinge mitzutheilen und sie sich darauf verlassen könnte, schon am morgenden Tage im Besitz des verlorenen Bildes zu sein, dessen Spuren er entdeckt und auch gefunden hätte, daß es mit diesem Bilde eine geheimnißvolle Bewandtniß haben müsse. Er fühle, daß es Zeit zum »Handeln« würde...

Dieses Billet kam freilich gerade mitten in eine sehr verdrießliche häusliche Scene hereingebrochen, die sie und die Ludmer mit der Excellenz aufführten...

Die »junge Excellenz« hatte sich in der That erst gegen Mittagszeit eingefunden und verrieth so sehr alle Kennzeichen eines bösen Gewissens, daß die beiden Frauen (denn auch die Ludmer nahm sich von selbst die Freiheiten heraus, die Pauline durch ihre Stellung behaupten durfte) in einen grimmen Zorn geriethen und ihm »kindische Streiche« vorwarfen, über die er beichten sollte.

Der Geheimrath machte eine sehr verblüffte Miene. Er legte sich aufs Leugnen und blieb bei den Versicherungen seines Diensteifers und der in dem Möbelwagen deshalb absichtlich zugebrachten Nacht mit aller Hartnäckigkeit eines Schulknaben, der den alten Satz der Jesuiten: Si fecisti, nega! mit einer solchen Sicherheit durchführt, daß die Lehrer selber an ihm irre werden und von seiner Unschuld aufs vollkommenste überzeugt sein müssen.

Excellenz gestanden den Verlust des Bildes ein, bekannten sich aber für völlig »unschuldig« und drohten mit einer Untersuchung, die sie schon auf's Nachdrücklichste gegen den Hohenberg'schen Justizdirector von Zeisel hätten einleiten lassen. Kurt Henning Detlev Harder zu Harderstein vertröstete die Frauen damit, daß sie ohne Zweifel bald sehr klar sehen würden... Wie gesagt, da die Geheimräthin den Brief von Schlurck empfing, so ließ sie die »Bétisen« ihres Gatten so »hingehen« und schenkte ihm nach dem scharfen Verhör, in dessen Klemme er mit Zittern gesteckt hatte, mit dem Bedeuten, er sollte die nähere Unterhandlung mit Herrn von Zeisel ihr nur allein überlassen – Pauline war diese Weisung, die ihrem Gemahl genug auffiel, der Fürbitte schuldig, die Schlurck für seinen Freund von Zeisel am Morgen erhoben hatte – endlich die Freiheit.

Bei Tische wurde wenig gesprochen. Pauline hatte der Gedanken zu viele zu verarbeiten und Alles, was Herr von Harder etwa Neues brachte, z. B. das allgemeine Aufsehen, das die Erkrankung des Prinzen Egon machte, die Ankunft der d'Azimont, die Aussicht auf ihre Beziehungen zur Fürstin Wäsämskoi, die Schwankungen des Ministeriums, die Wahlen, der Reubund, die drohenden Zerwürfnisse zwischen der Stadt und der Regierung und das schlimme Beispiel, das daraus für die Provinzen entstehen würde, alle diese Anspielungen, in denen sich Excellenz, die sonst nur von ihren Schlössern und Gartenanlagen, den Dienstvergehen der Castellane und Inspectoren, den Angebereien der Subalternen und ihren Ersparnissen in der Verwaltung ihres »Ressorts« sprachen, heute wahrhaft erschöpften, um seine Gemahlin heiter zu stimmen und zu versöhnen, diente nur dazu, in ihr Gemüth Stacheln und Dornen zu drücken. Sie sah da ja, daß so Vieles sich ereignete, was ohne sie Bestand hatte, ohne sie sich angelegt hatte und historisch entwickelte!

Ernst und Franz hätten ihr nach Tisch beinahe auch einen unerwarteten Ärger bereitet. Denn eben wollte sie sich vor ihrer Toilette noch im grünen Boudoir ein wenig durch leichten Schlummer stärken, als diese beide an sie herantraten und um die Erlaubniß baten, heute Nacht den großen Fortunaball mitmachen zu dürfen. Sie schmähte sehr gegen diese Vergnügungssucht ihrer Leute, tadelte den Ort, wo man Bediente ihrer Stellung nicht antreffen sollte und konnte sich erst für halb und halb einverstanden erklären, als Franz mit schlauer Miene sagte:

Excellenz, es wird ein großer Ball. Tausend Billets sind verkauft. Man macht Bekanntschaften. Die Wandstabler's kommen auch...

Schon oft hatten die Leute der Geheimräthin von diesen drei Geschwistern Wandstablers erzählt, die sich auf den Volksbällen für die Zurückhaltung schadlos hielten, die sie bei aller Freiheit doch im Hotel des Fürsten von Hohenberg beobachten mußten.

Auf diese Erinnerung hin, sagte Pauline von Harder, wolle sie den Abend noch einmal auf die Sache zurückkommen...

Damit legte sie sich ein wenig zur Ruhe, ohne indessen wahre Stärkung in einem kurzen Schlafe zu finden. Sie träumte zu lebhaft. Nadasdi, der Held ihres unglücklichen Romans, erschien ihr in dem verhängnißvollen Schlafrock, in dem dieser weichherzige Magyar soviel Thränen vergossen haben sollte! Jedesmal, wenn ein großes Ereigniß sie beschäftigte, erschien ihr Nadasdi in seinem Schlafrock... Sie nahm ein kleines homöopathisches Streukügelchen zur Beruhigung und war froh, daß sie auch für den Abend Herrn Sanitätsrath Drommeldey geladen hatte... Sie bedurfte, wenn Schlurck nicht etwas sehr Entscheidendes brachte, wirklich der ärztlichen Berathung.

Gegen sechs Uhr begann dann die Toilette und heute gewählter, als seit lange... Während die Ludmer die oberen Salons hatte öffnen, mit frischen Blumen garniren lassen, die Kerzen auf den Kronleuchtern untersuchen, vervollständigen, die Wandlampen schon am hellen Tage zur Probe anbrennen ließ, nebenbei den Thee, das Eis und die Confitüren nach der Ordnung des Servirens angab, die ihr für heute die zweckmäßigere schien, schmückte sich die Geheimräthin mit den frischesten Farben. Sie wählte heute einen leichten Seidenstoff, weiß und roth gestreift. Ihrem stolzen Semiramishaupte gab sie etwas von ihrer eigenen und Heinrichson's Erfindung, eine Art biblischen Turbans, wie man sich etwa Rebecka denken mochte bei Eliezer's Gruße am Brunnen. Dies weiße Kashemirgewinde, stolz und frei getragen, stand ihr gar stattlich. Das eine Ende des Bundes, mit goldenen Fransen, hing schwer über die rechte Schulter herab, die natürlich, wie die ganze Büste, sehr stark weiß geschminkt wurde, um durch eine große umständliche »Florgeschichte«, die wiederum ganz patriarchalisch, jedoch mehr im Stile der Hagar, als sie mit Ismael in die Wüste zog, um Nacken und Hals geschlungen wurde, blendend hindurchzuschimmern. Die magern Arme hatten sich derselben Prozedur des Puderns zu unterwerfen. Sie waren, ein seltenes Wagniß, heute ganz frei und wurden mit den schwersten Armbändern behängt. Wenn sie mit einer leichten, wellenförmig gerundeten Bewegung des rechten Oberarmes ganz wie in Gedanken einmal an das hängende Ende ihres Turbans fuhr und die goldenen Troddeln, schwerer wiegend, hin- und herschwankten, so gab das einen ganz hübschen Effect, den der elegante Maler Heinrichson oft bewundert und erklärt hatte, ihn sich für ein Bild zu merken, das er noch einst von dem Antonius und der Cleopatra malen wollte.

In dieser Tracht, die ihr wirklich viele »Frais« verursachte, nämlich die Mühe der Überlegung und die moralische Mühe einer ihr gar nicht mehr »geläufigen« Eitelkeit, stieg denn gegen sieben Uhr Frau von Harder in ihre oberen Zimmer...

Sie durchmusterte sie und fand sie noch nicht gelüftet genug. Es war ihr heiß in dem sommerlichen Abend geworden. Der Maraboutfächer mußte die Glut ihrer Stirn kühlen, die leider zu roth, zu roth, ach zu roth war... Sie haßte eigentlich diese oberen Appartements, der Überzahl ihrer Spiegel wegen. Welche Verschwendung, sagte sie oft, an dieser verleumderischen indiscreten Composition! Und noch an jedem Spiegel waren zwei Wandleuchter und jeder Wandleuchter mit mindestens drei Kerzen angebohrt! Aber sie mußte diese Zimmer und nicht den Gartensalon wählen; denn hier nur gab es Nischen zu traulichem Zwiegespräch, zeltartig drapirte Alkoven mit Tapetenthüren zu kleinen Cabineten mit Divans, die unter Blumen versteckt waren. In einem dieser Zelte, das später von einer herabhängenden Ampel matt erleuchtet werden konnte, prüfte sie, wie wol ihr Anzug gegen den Hintergrund abstechen würde... Pauline war geschmackvoll von Natur und nur durch ihre üppige Phantasie manchmal etwas zu überladen. Aber darin zeigte sie sich als Virtuosin, daß sie niemals in großer Gesellschaft erschien, ohne nicht ihre Toilette nach dem Farbenton der Zimmer einzurichten, in welchen sie erscheinen sollte. Sie besann sich regelmäßig, wenn sie eingeladen war, in welchem Zimmer die Gesellschaft sie begrüßen würde und wählte darnach die Farbe ihrer Kleider. Es war ihr schon geschehen, daß sie bei der Trompetta, die einmal nach Vollendung eines Albums, das sie für arme Überschwemmte herausgegeben hatte, alle Dichter einlud, deren Beiträge das Album füllten, ein neues wunderschönes grünes Kleid nur unter der Bedingung anzog, daß sie der Trompetta erst ein Sopha mit ceriserothem Sammet überzogen schicken durfte. Die Trompetta hatte nämlich nur dunkle Möbel und sträubte sich sehr, besonders vor einigen frommen Lyrikern, sich auch auf ceriserothen Sammetmöbeln betreffen zu lassen. Die Geheimräthin kam aber nur unter dieser Bedingung, daß sie ihr grünes Kleid auf rothem Sammet zeigen durfte. Si non e vero... man erzählte es wenigstens.

Eben noch prüfte Pauline den Effect ihres hellen biblischen Costüms gegen das dunkelblau mit Gold drapirte Zeltgemach und erfreute sich des wirkungsvollsten Abhubes ihrer Figur von der dunklen Umgebung, als ein Wagen vorfuhr und durch das offenstehende Portal gleich in das Haus einlenkte. Daß eine Dame leicht und behend vom schnell herabgelassenen Tritte herunter und auf die Strohdecken sprang, die unter dem Unterbau des Hauses vor der Eingangspforte ausgelegt waren, sah Pauline nicht; sie sah nur das Einlenken des Wagens in die geöffnete Gartenthür, ahnte aber wer es war, ließ sich nicht erst anmelden, wer kam, sondern ging der Kommenden entgegen. Sie war vollkommen darauf vorbereitet, daß sich ihr die Gräfin d'Azimont mit einem Strom von Thränen an die Brust warf...

Welch ein Gegensatz zwischen zwei Geschwisterpaaren! Drüben die ruhige, fast phlegmatische Adele Wäsämskoi im Kreise ihrer Kinder, geregelt und bevormundet von einem einfachen, strengen, mathematisch geordneten, praktisch bürgerlichen deutschen Verstandesmenschen; hier diese wilde leidenschaftliche Halbpariserin, die schon auf der Treppe so laut schluchzte, daß die Ludmer die erstaunten Bedienten entfernen mußte!... Drüben die weiche, sanftmüthige Anna von Harder, die ihren Lebensberuf in der Pflege eines wunderlichen Greises, in milden Werken der Liebe und der prunklosen Ausübung der Musik fand und noch in diesem Augenblicke die bescheidene Sorgfalt ihres Herzens gegen ihr fast ganz fremde Menschen walten ließ; hier ihre Schwester, im blendendsten Schmuck, ebenso leidenschaftlich, nur äußerlich kälter, wie ihr Besuch, den sie nicht am kleinen Theetisch, am dampfenden Comfort, unter einem Akazienbaum, an einer Wand beschattet von wildem Weine empfing, sondern in das blau- und golddrapirte Zelt führte, auf einen Divan, hinter Camelien und rankenden Gewächsen, die sich um die schweren bronzenen Stäbe des Zeltes und die herabhängenden goldenen Quasten ringelten.

Helene d'Azimont war klein und zart. Woher sie schöner war, als ihre ältere Schwester, konnte man kaum begreifen, wenn man fast denselben Schnitt des Gesichtes entdeckte. Es war dieselbe Bildung der Formen und doch von unendlich verschiedener Wirkung. Das Ensemble an der Gräfin war reizend, die Linien unendlich harmonischer, ihre Verbindung belebt und voll Anmuth. Sie ließ sich, obgleich der Fürstin ganz ähnlich, doch mit dieser kaum vergleichen. Jede Bewegung der Helene d'Azimont war Leben. Die langen Augenwimpern zitterten, der schöne kirschrothe Mund bebte, die wie Emaille glänzenden Zähne zeigten sich unwillkürlich, wenn die Lippen wie vom Schmerze offen standen. Die Form des Halses, des Nackens, die Wölbung der Hüften, Alles war zwar klein, zwar zierlich, aber doch schlank und von regelmäßiger Harmonie und voll und fleischig, trotz des Kummers, der doch an ihr nagte. Das Auge blau und im Nu so groß geöffnet, daß es unter den schwarzen Wimpern wie eine leuchtende Krystallkugel aufzugehen schien. Die ganze Schwärmerei einer italienischen Sternennacht lag in diesem Auge, wenn es sich öffnend starr den Blick festhielt und den Gegenstand, auf den es fiel, fast in sich aufsaugend verzehrte. Das schwarze Haar lag im einfachen Scheitel dicht und glänzend über der kleinen Stirn. Wäre diese Stirn ein wenig größer gewesen, man hätte das Bild einer religiösen Denkerin, einer entzückten Schwärmerin gehabt. Da sie aber klein, von dem Scheitel beschattet war, so versinnlichte sie nur das Gemüth, die Leidenschaft, die gleichsam völlige Abwesenheit alles Nachdenkens. Die Liebe schien der Glaube dieser Frau zu sein; die Zärtlichkeit das einzige Bekenntniß ihres Herzens.

Wir wissen, daß Helene d'Azimont dreißig Jahre zählt. Eine gewisse schwellende Rundung ihrer Formen war die einzige Bestätigung dieses Alters. Sonst glaubte man ein Kind vor sich zu haben, eine zum ersten Male ins Leben tretende Jungfrau, voll Vertrauen, Dreistigkeit, angeborener Sicherheit. Wie dies Auge rollte! Wie diese Brust wallte! Pauline konnte sie ohne Hemmniß an die Flordraperie ihres Halses drücken, denn Helene war so einfach gekleidet! Sie war schwarz vom Kopf bis zur Sohle. Man sah, daß es nicht ihre Absicht war, heute bis zur Gesellschaft zu bleiben. Und doch blendete die Weiße ihrer Haut unter den schwarzen Flören wie der schönste Schmuck! Sie trug an dem runden, vollen Arme lange schwarze Florethandschuhe. Um den Hals funkelte wol ein Collier von Brillanten, aber dies schwarze Florchiffü über dem Flechtenneste und halb dem Scheitel der Haare, dieser Kopfputz mit den einfach in den Nacken herabhängenden Spitzenzipfeln war so wenig auf gesellschaftlichen Reiz berechnet, daß man an die Ächtheit der Thränen glauben mußte, unter denen sie ausrief:

Da haben Sie mich denn, Pauline! So komm' ich von Paris, so sehen Sie in mir die Verzweifelnde, die Sterbende um einen Sterbenden!

Helene, ist die Gefahr so groß? fragte Pauline halb wie zitternd.

Egon stirbt! Egon wird dieser Erde nicht mehr angehören!

Ich bitte Sie, Freundin! Ein junger, kräftiger Mann! Wir haben keine Epidemieen. Ärzte umstehen sein Lager. Sie selbst –

Ich, Pauline? Ich?... Ihr wißt es ja Alle! Wo ich hinblicke, hat ja die Welt kein Mitleid für mich, nur lachende boshafte Augen! Die Menschen, die Bäume, die Vögel in der Luft lachen! Verstoßene, verlorene Helene, ruft mir ja jedes Atom, jedes Stäubchen zu, über das ich ohnmächtig hinschwebe! Zwei Jahre des seligsten Glückes sind ja vernichtet, geschändet – o was sag' ich geschändet! Egon! Was du thust ist wohlgethan. Tritt mich mit deinen Füßen, verstoße mich, morde mein Herz! Nur stirb mir nicht! Lebe! Lebe! Lebe!

Helene lag schluchzend auf dem Sopha...

Pauline mußte sich, selbst wenn sie der kältesten Fassung fähig war, von einem solchen Ausbruch wildester Verzweiflung erschüttert fühlen. Sie hatte seit einiger Zeit in einer Welt gelebt, die sich um sie her immer mehr erstarrte; sie hatte früher in dieser Weise selbst geliebt, selbst empfunden. Aber jetzt nach so vielen Verknöcherungen und Versteinerungen ihrer nächsten Lebensbedingungen war ihr diese Scene fast wie Traum aus ihrer frühesten Jugendzeit. Die fünfundzwanzig Jahre, die sie mindestens vor der jungen verzweifelnden Frau voraus hatte, fühlte sie einen Augenblick nicht; sie konnte das Zittern ihrer Hand nicht unterdrücken, konnte nicht von ihren Lippen wegwischen, daß sie einen Augenblick bebten. Sie dachte an Heinrich Rodewald und ihre Jugend...

Helene, sagte sie nach einer Pause allmäliger Sammlung, Helene, Sie sehen mich voll gerührtester Theilnahme, aber auch voll Überraschung. Ich weiß so wenig von Dem, was Sie betrifft. Ich hoffte dieser Tage durch einen Besuch bei Ihrer Schwester –

Schweigen Sie von dieser Schwester! rief Helene, und in die zarte Erscheinung fuhr plötzlich eine so elastische Beweglichkeit, eine so aufschnellende zornige Erregung, daß man die in Liebe zerflossene Weiblichkeit kaum wiedererkannte. Der Mund und das Kinn traten entschlossen hervor und die Augen blitzten von einem wilden, trotzigen Feuer.

Schweigen Sie, rief sie, von dieser Heuchlerin, dieser lieblosen Moralistin! Für die glühendsten Schilderungen meines Glückes, die ich ihr nach Odessa schrieb, hat sie mir im Tone einer Predigt geantwortet. Wenn sie mich tadelte, daß ich für Belcotti schwärmte, mit Addington tändelte, die Leiden des polnischen Volkes mit dem jungen lithauischen Flüchtling Bardansky verwechselte, o, alle diese Vorwürfe waren gerecht und ich nahm sie mit schwesterlicher Liebe hin. Aber endlich schrieb ich ihr, ich trenne mich von d'Azimont, ich liebe, ich liebe zum ersten male, ich liebe, wie ein Weib lieben soll, ein Weib, das fühlt, ein Weib, das da ahnt, in ihr ruhe das Geheimniß der Schöpfung. Als ich ihr schrieb: Der, den ich liebe, ist ein Gott und seinen Namen nennen die Irdischen Egon Prinz von Hohenberg, und als sie mir auch darauf Moral, ewig Moral und immer Moral predigte, sehen Sie Pauline, ich habe geschworen, wer mir das Kleinod meines Lebens beschmutzt, mir die Sonne verdunkeln will, die ich anbete und mögen alle Priester der Erde sagen, die Anbetung der Sonne wäre Heidenthum... ich könnte den Dolch erheben und jeden Lästerer meiner Religion durchbohren, sei's ein Bruder, sei's eine Schwester und diese Schwester existirt nicht mehr für mich.

Pauline gedachte der Zeiten, wo sie auch mit Dolchen spielte! Wäre sie eine Philosophin geworden, so hätte sie gelächelt; aber sie lächelte nicht. So wild war zwar nicht ihr Haß gegen Anna, wie Helenens Haß gegen die Fürstin Wäsämskoi, aber sie erwärmte sich daran, doch wieder einmal auf dem Bereiche der Herzensgeltendmachungen etwas Kraftvolles, etwas Titanisches zu erleben. Sie jubelte, jene halb wahnwitzige Sittenlogik anerkannt zu sehen, in der sie früher selbst gedacht, dann geschrieben hatte und in deren ohnmächtigen letzten Trümmern sie sich absterbend verzehrte. O sie stand auf! Sie hielt diese Sprache der Liebe nicht aus, ohne dafür mehr zu haben als bloße einfache Zustimmung! Sie wurde jung, indem sie auf- und abschritt und Helene, selig über Paulinens Erschütterung, umschlang sie und zog sie zu sich unter die Camelien und fuhr, ihre Hand festhaltend, fort:

Nichts von Adelen, Pauline! Sie wohnt hier in der Nähe, ich weiß es. Ich kenne sie nicht. Ich schrieb es soeben schon an d'Azimont nach Paris. Er wird meine Meinung billigen; er ist sehr gut und was an ihm das Beste ist, er liebt, wie ich, den Charakter!

Wie geht es denn Desiré? fragte Pauline.

Recht übel! bemerkte Helene.

Desiré d'Azimont war ihr kränkelnder Gatte.

Wie lange ist es her, daß wir zum letzten male hier waren? fuhr Helene fort.

Vor drei Jahren; sagte Pauline. Haben sich seine Übel verschlimmert?

Desiré ist recht krank. Man fürchtet für ihn. Seine Corpulenz wird beunruhigend. Die Mutter gibt ihn auf und Sie wissen, böse Augen sehen weiter, als die Augen guter Menschen.

Keine Veränderung in den alten Verhältnissen?

Nur noch gesteigerter! Die Mama ist förmlich eine Megäre und foltert mich. Desiré's himmlische Güte schützt mich allein. Sie will die Scheidung vor Desiré's Tode und Desiré, der Egon wahrhaft liebt –

In der That?

O Desiré bleibt sich gleich. Desiré ist ein Philosoph. Er gefällt sich darin, wie Seneca zu sterben. Ich weiß nicht, ob ich ihn für größer halten soll als...

Warum stocken Sie?

Darf ich denn unbefangen über Desiré sprechen?

Helene!

Sie liebten ihn, Pauline, und waren glücklich, als er mich wählte. Sie drückten mich vor elf Jahren an Ihr Herz und nannten mich Schwester!

Ich dächte, mein Kind nannt' ich Sie, Helene!

O Sie sind gut, Pauline! Sie blieben mir die treueste Freundin trotzdem, daß es Ihnen wehe that, das Band, das Sie an den guten Desiré fesselte, getrennt zu sehen. Aber wie bewundert man Sie auch Beide in Paris...

O Helene!

Ja, alle Cirkel sind noch jetzt von Ihnen voll. Balzac hat mir versprochen, über uns alle einen Roman zu schreiben. Ich verbot es ihm, weil ich nach dem Nadasdi nichts mehr von Ihnen angezeigt fand.

Deshalb? Warum Nadasdi –

Ich vermuthete, daß Sie selbst dieses Sujet behandeln würden. Sie haben so lange geschwiegen? Warum erscheint nichts von Ihnen?

O!... antwortete Pauline ablehnend.

Wie lieb' ich Alles, was Sie schreiben, fuhr die gute, kritiklose Helene fort, die gar nicht ahnte, welche wunde Stellen sie berührte und wie sie eigentlich hinter dem Gegenwärtigen zurück war. In Amarantha erkannt' ich Ihr Herz, in Nadasdi Ihre vorgeschrittene Kunst. Wäre ich nicht durch Egon um meine Besinnung gekommen, ich hätte ein Capitel von Nadasdi unter dem Titel: Moeurs hongrois... übersetzt. Welche Phantasie haben Sie! Hier dieses Zelt, Ihr Costüme, Pauline! Sie sollten in Paris leben. Man würde Sie aufsuchen wie eine Priesterin des Geschmackes, eine Velleda, eine Druidin der Inspiration. Wir haben es jetzt sehr mit den Velleden und Druidinnen! Ach, was bleibt uns auch nach dem Schmerze noch übrig als die Weissagung! Auf unsern Trümmern wird man uns entweder zerschmettert finden, oder wenn wir uns erheben können, so ist es nur in der Mission der Prophetie! O meine liebe Pauline, was erlebt' ich seitdem! Sähen Sie in Alles hinein bis auf den Grund, wie würden Sie, wenn Sie's beschreiben wollten, die Menschen rühren, während denen freilich, deren Herz Sie sicher vertheidigen würden, es bräche!

Pauline war über alle diese Bemerkungen überglücklich. Es waren ihr Das nicht die Phraseologieen der neuromantischen Schule, sondern wirkliche Ergüsse reinster Aufrichtigkeit und Hingebung, ohne die Idee einer Ironie! Das Lob, das sie so oft für ihre Feder empfangen hatte, war meist satirisch gemeint gewesen. Sie war weltklug und in einem gewissen Punkte nicht eitel genug, um auf diesem Bereiche Wahres und Falsches nicht sogleich zu unterscheiden. Aber diese Huldigungen der d'Azimont, das wußte sie, die waren ganz naiv und aufrichtig gemeint. Auch die förmlich auf den Kopf gestellte Moral der beiden Frauen war zwischen ihnen chose convenue.

Als ich von Odessa kam, sagte Helene, ich unerfahrenes dummes Ding, was wußt' ich von der Welt! Desiré gestand mir, daß Ihr Beide Euch geliebt hattet und ich fand Das edel und gut von Ihnen, denn Desiré verdient, daß man ihm wohl will. Sie drückten mich vor elf Jahren an Ihr Herz und die Thränen, die Sie weinten, als Sie die kleine Comtesse d'Azimont zum ersten male sahen, werd' ich Ihnen ewig gedenken. Wie oft fand ich diese Thränen in dem Nadasdi und der Amarantha wieder! Sie entsagten und förderten mein Glück. Ihre Liebe, Ihre Freundschaft hat mich erst die Welt kennen gelehrt; denn o Himmel, was war ich? Was wußt' ich? Sylvester Rafflard in Osteggen war ebenso ein Ignorant, wie er jetzt ein Bösewicht ist und aus Rache, daß wir ihn, einem deutschen Pedanten zu Liebe, verabschiedeten, mich noch jetzt verfolgt. Er ist der treueste Rathgeber meiner Schwiegermutter geworden, dieser bösen Frau, die trotz ihres Strebens, kanonisirt zu werden, mein Unglück will.

Rafflard? sagte Pauline. Ich fand den Namen kürzlich in den Blättern angezeigt. Ein Name dieses Klanges, scheint mir, ist... hier angekommen?

Der Himmel gebe, daß Sie sich irren! rief Helene entsetzt. Ich haß' ihn trotz seiner Freundlichkeit und alle Welt sagt, es ist ein Jesuit.

Ich entsinne mich, Rafflard! Professor Rafflard reist, um die Gefängnisse zu studiren –

Das ist er! Rafflard ist hier?

In den Zeitungen las ich, daß er einer Gesellschaft angehört, die es sich zur Aufgabe macht, das Loos der Gefangenen zu mildern...

Lug und Trug! Es ist ein Jesuit, wie nur irgend einer in der Rue Jean Jaques Rousseau gebacken wird! Er verließ die reformirte Religion nach den schlimmsten Streichen, die er sich in Genf erlaubte und muß durch den boshaftesten Zufall von der Welt der Rathgeber meiner Schwiegermutter werden! Nach Egon's Abreise flog ich dem Geliebten nach und glauben Sie mir, nicht die Gefangenen sind es, die ihn herführen. Ich bin es! Ich, die er wie eine Schlange umringelt hält, um mich von Egon loszureißen...

Die Gräfin theilt nicht die Toleranz ihres Sohnes?

Sie betreibt eine Scheidung. Sie will das Vermögen, das nach Desiré's liebevoller Anordnung mir allein anheimfällt, sich, der Kirche, dem Beichtstuhl, den Jesuiten erhalten. Rafflard hier! Auch Das noch? O ich bin sehr, sehr unglücklich, Pauline.

Damit flossen Helenens Thränen, wie die eines Kindes, dem alle seine liebsten Hoffnungen von der unerbittlichen Strenge eines Lehrers oder einer weisen Mutter zerstört werden.

Pauline suchte Helenen zu trösten und versprach ihr Rath und Beistand. Nur sammeln Sie sich, sagte sie und vertrauen Sie mir! Wie kommen Sie denn nur zu dieser verzehrenden Flamme, zu dem Prinzen Egon?

Ach! Als wir uns vor drei Jahren wiedersahen, Pauline, begann Helene mit schwacher Stimme, da war ich im Begriff, aus Verzweiflung über dies Erdenleben irgend eine Thorheit zu begehen. Wär' ich katholisch, wer weiß, ob ich nicht die Mauern eines Klosters aufgesucht und in der Liebe zum Christ (Helene brauchte diese französische Wendung) in der Liebe zum Christ meine unverstandenen Schmerzen gesammelt hätte! O eine so dürstende Seele wie die meine und nichts als das schale Wasser des Alltäglichen zur Erquickung! Belcotti, Addington, Bardanski... ich schäme mich! Abscheulich! Es waren Flämmchen auf diesem Sumpfe gewesen, den ich Leben nannte. Ich hatte den Einen gern singen, den Andern gern wetten, den Dritten gern raisonniren hören und mit allen gern zu vier Händen die Capricen Chopins und Liszt's gespielt... Pauline! Das war Alles. Ich kann sagen, ich hatte in diesen Flammen nur die Flügel verbrannt. Sie wuchsen wieder, als ich diese Menschen verachtete. Ich wollte mich Desiré widmen. Desiré war gut, o gut! Er fühlte sich krank und sagte mir oft: Helene, werde etwas philosophischer! Wenn ich todt sein werde, kannst du ein neues Leben beginnen! Eine Witwe von dreißig Jahren im Besitz einer Million und mit einem Herzen voll Poesie und unerschöpfter Hingebung ist die Königin der Erde! Ich gelobte ihm, sage zu sein und ich war es, bis meine Stunde schlug. Wir ziehen aufs Land. Desiré hatte eine wunderschöne Villa am See von Enghien gekauft, sie ausbauen, sie verschönern lassen. Ich lebte nur dieser Villa, auf die mich die Eisenbahn von St.-Germain in zehn Minuten führte. O diese Villa ist so reizend, Pauline! Man sagt, Rousseau habe sie einst bewohnt und dort einige Capitel der neuen Heloise geschrieben. Ach, Sie wissen, wie ich die neue Heloise und Rousseau liebe. Ich war glücklich! An unserm Schlößchen plätschert der See von Enghien und die lieblichsten malerischen Partieen sind durch die Eisenbahn recht der Magnet derjenigen Pariser geworden, die idyllische Freuden lieben. Es war im Juni. Ich wohnte erst vier Wochen in meinem kleinen Paradiese, malte, zeichnete, componirte, wollte dichten, ich versuchte Alles, ich las, ich lachte, ich weinte. Desiré war glücklich, wenn ein Sterbender noch einige Zeit glücklich sein kann. Ich dachte sogar an Aussöhnung mit meiner Familie und schrieb bogenlange Briefe nach Odessa, die ich mit einem Kurier unserer Gesandtschaft über Constantinopel expedirte. Da ereignete es sich, daß eine muntere Gesellschaft, Handwerker wie es schien, auf dem See an meinem Garten eine Partie machte. Sie kamen vom jenseitigen Ufer und wollten die Runde fahren und die Besitzer der Gärten necken, die an den Ufern die Kühle des Gewässers athmeten. Da schlug das Boot der fröhlichen Gesellschaft um, während ich an einem Tische sitze und gedankenvoll auf die schäkernde, übermüthige, junge Welt hinausblicke. Ich schreie, springe auf und stürze die steinernen Stufen hinab, die am See bespült werden von den Wogen, in denen sich unsere angekettete Gondel schaukelt. Ich springe in die Gondel und wie meine Empfindung eine reine, eine natürliche war, so entfuhr mir auch das deutsche Wort: Hilfe!

Sie starke Seele! sagte Pauline bewundernd. Eine jede andere an Ihrer Stelle wäre in Ohnmacht gefallen und hätte nichts gethan.

In Ohnmacht gefallen? rief Helene mit flammender, guter, schöner Erregung. In Ohnmacht, wo Menschen ihren Tod in den Wellen finden? Ha! Retten konnt' ich nicht, aber ein junger Mann nahm mir die Verpflichtung ab, das Äußerste zu wagen. Es war ein schöner Jüngling, der zur Gesellschaft gehörte, sich in die Wogen stürzte und mit kräftigem Arme ein junges Mädchen emporhielt, das er in den Wellen ergriffen hatte. Er schwamm mit seiner glücklich Geretteten an unsern Garten. Ach! Sie können denken, Pauline, wie ich glücklich war, als man mir zurief, nur das junge Mädchen hätte das Übergewicht verloren und wäre, nach Wasserlinsen haschend, über den Rand des Nachens gestürzt, mit dem man scherzhafter Weise schaukelte. Meine Diener kommen. Wir tragen das junge Mädchen in's Haus, der junge Mann, der mein deutsches Wort: Hilfe! vernommen hatte, sprach deutsch mit mir. Wie erstaunt' ich über den gebildeten Fremdling! Er war groß und schlank, von schwärmerischem Auge und sprach so geistreich, daß ich auf der Hut sein mußte, ihm die richtigen Antworten zu geben. Das Mädchen, ein zartes, etwas verblühtes Kind, eine echte Französin, erholte sich bald. Ich gab ihr Kleider, ließ ihnen Thee vorsetzen; aber sei es, daß ihr Geliebter deutsch mit mir sprach oder was war es, sie wollte fort. Sie schien mir hektisch, krankhaft aufgeregt und beherrschte den jungen Mann mit einem einzigen Blicke. Gegen Abend fuhr der ganze Train nach Paris auf der Eisenbahn zurück. Am Tage darauf hatt' ich die Kleider wieder. Der junge Deutsche brachte sie selbst. Vergeben Sie mir, Pauline, wenn ich Ihnen gestehe, daß ich ihn schon liebte. Ich erfuhr, daß ein wunderliches Incognito ihn umspann, ich lüftete das mysteriöse Dunkel, in das er sich zu verbergen suchte, ich entdeckte, daß dies jener vielbesprochene, seiner Familie, seinem Stande abtrünnig gewordene Egon von Hohenberg ist. Ein Fürst! Solche Überraschung! Pauline, ich schildere Ihnen die Anstrengungen nicht, deren ich bedurfte, um Egon von seinen communistischen Thorheiten zu heilen. Die Begeisterung für all das Romantische, was ihn umgab, lieh mir die Kraft, ihn wieder zu uns zurückzuführen, denn weil ich seine Hingebung an die Sphäre des Volkes schön fand, weil ich ihm Beweise gab, daß ich ihn verstand, ihn begreifen konnte, widersprach er mir nicht, als ich ihn allmälig doch von seinen Kameraden, von armen Handwerkern und Grisetten trennte.

Vortrefflich! Vortrefflich! Wie psychologisch! Sie sind eine Weise geworden, unterbrach die Geheimräthin.

Helene d'Azimont fuhr fort:

Egon wurde mein! Ich durfte ihn mein nennen, denn ich hatte ihn mir erobert. Er kehrte zurück in die Welt, die für ihn bestimmt war und wie glänzte er in ihr! Pauline, welch ein Triumph, den Mann zu lieben, der Alle blendete! Wenn er in die Salons trat in seinem edlen Wuchs, mit dem fast lockigen Haar, dem sanften blauen Auge, dem lächelnden Mund, um den ein gewisser Schmerz die ganze Seele verkündete – o Pauline, ist es denn möglich, daß Das war! Daß ich ihn zwei ganzer, voller, wie eine göttliche Minute dahingerauschter Jahre mein nennen konnte. Mein, mein – und dann – dann -!

Sie regen sich auf Helene! Lassen Sie Das! Erzählen Sie nicht! Une rupture! Das sagt ja Alles! Ich kenn' es...

O, in dieser Form nicht! Pauline, in dieser Form nicht! sagte Helene dumpf. Das war ja nichts, was Menschen ertragen können! Das war ja nichts von dem Jammer aller Derer, die schon vor uns am gebrochenen Herzen starben – Pauline und wenn ein Messer vor meiner Brust zückte und Jemand sagte: Ich laß dich leben, aber du hast Das erlebt, so würde ich antworten: Laß mich sterben; nur nicht das erlebt! Da, da saß ich auf einem Sopha, es war dasselbe, auf dem einst jenes Mädchen sich erholt hatte... sein Arm war um meinen Nacken geschlungen, ich sog die Küsse der Liebe von seinen Lippen... da tritt ein Handwerker ein, den ich seit einiger Zeit angenommen hatte, um meine Villa schöner zu schmücken. Desiré war in Paris. Ich wohnte in Enghien... Egon in der Nähe. Meine Phantasie hatte ein Spiegelzimmer erfunden, mit dem ich ihn überraschen wollte. Ach! Egon bewunderte meine Phantasie im Erfinden! O, sagte er oft, Helene, du bist die Göttin des Erfindens! Du bist eine Schöpferin, eine Künstlerin des Lebens! Deine Phantasie ist orientalisch! Man sieht, daß du eine Nachbarin der Cirkassierinnen warst... O Pauline... der unglücklichste Zufall führte mich auf einen gewissen Louis Armand, den Bruder jenes Mädchens, in deren intriguantem Netze der arme Egon Jahre lang geschmachtet hatte. Louison hieß dies Mädchen. Schon von Lyon aus hatte sie den aus der Pension in Genf entflohenen halb unreifen Knaben zu all' den Thorheiten verleitet, die hier und in Paris das Gelächter der großen Welt machten. Egon wußte nichts von den geheimnißvollen Arbeiten dieses Armand, nichts von den Malereien eines deutschen Malers, Reichmeyer, der mir heute aufwarten wollte und den ich zu Ihnen beschied... Vergeben Sie mir – die Maler haben ja Zutritt bei Ihnen... ich sehe Niemanden – Niemanden – Sind Sie nicht bös?

Pauline schaltete ein: Bitte! Er soll mir willkommen sein! und freute sich zugleich über die Aussicht, daß die Gräfin trotz ihrer furchtbaren Aufregung für den Abend vielleicht nun bleiben würde...

Helene fuhr fort:

Einige Tage war Armand nicht gekommen. Unwillig hatt' ich ihm geschrieben und meinen Leuten gesagt, ich wollte ihn selbst sprechen, um ihn für seine Nachlässigkeit zu zanken. Da tritt er ein, schwarzgekleidet. Egon springt auf: Louis! ruft er. Ich ahne, daß er ihn kennt. Ohne auf Egon zu merken, antwortet der Handwerker: Madame la Comtesse,... Sie haben Recht, meine Verzögerung zu tadeln, aber Sie werden entschuldigen, daß ein Bruder am Sterbebette seiner Schwester... seine Pflichten als Arbeiter vergißt. Ich bin im Begriff, sie heute zu begraben und kam selbst nach Enghien, nur um mich auch für heute noch zu entschuldigen...

Das ist ja entsetzlich! rief Pauline. Das war Louison? Und Egon?

Egon, fuhr Helene in fieberhafter Aufregung fort, Egon hört diese dumpfen Worte meines Mörders, stößt mich zurück, mich Helene, die sich ermannen und den Störenfried entfernen wollte, ruft: Louison ist todt! und reißt sich von mir los und den Bruder mit sich fort. Meine Leute hielten mich, denn was lag denn mir daran, daß man mich für eine Rasende hielt! Ich sah, daß Egon nach Paris zurückwollte, ich ahnete, daß er sich von mir trennen konnte; denn furchtbar war, was er mir von der Macht dieses Armand über sich geschildert hatte. Ich sah Alles vor mir, hielt ihn krampfhaft mit den Armen, warf mich auf die Schwelle vor die Thür des Hauses und schrie: Tritt mich Egon, ehe du mich verlässest, mich die Lebende um die Todte! Mein Haar war aufgelöst, meine eiskalten Hände bebten, meine Zähne klapperten vor Fieberfrost... Und Egon – Egon schritt über mich hinweg... schritt über mich hinweg!

Ha, er flog an den Bahnhof – schon war zufällig das zweite Zeichen gegeben worden. Als ich aus meiner Betäubung erwachte, ein Pfiff, er war davon, ich allein. Er hatte mich zurückgestoßen, mich, die ihn liebte und ihn noch liebte, als er sie verließ! Ich fuhr nach Paris, ach! und konnte seine Spur nicht entdecken. Nur auf dem Kirchhofe des Boulevard Montmartre draußen bei den Batignolles wollte man einen jungen Mann bei dem Leichenbegängniß der Louison Armand gesehen haben, der dort die Öffnung des Sargdeckels verlangte und die Leiche mit seinen Küssen bedeckte. Man warf dann die Erde über den Sarg und der junge Mann, sagte man, soll bis in die Nacht auf dem Hügel geweint haben, einige Gräber weiter davon hätte der Bruder der Todten gesessen, stumm die Hand auf das Haupt gestützt. Dann wäre der Bruder zu jenem herangetreten und versöhnt wären sie Beide von dannen gegangen...

O, mein Kind! Das ist ja ein Roman! sagte Pauline erschüttert. Das ist ja furchtbar, entsetzlich! Ich sehe Das vor mir! Ein Bild, von dem man zu den Künstlern reden möchte...

Und Sie sind parteiisch, Pauline? Denken Sie nicht an mich?

Helene!

Ich erhielt einen Brief von Egon, worin er von mir Abschied nimmt und mir schreibt, er müsse mich fliehen und die Mission seiner höheren Pflichten beginnen. Er reise in die Heimat. Ha! Pauline... ich ihn ziehen lassen? Nein! Ich stürzte zu Desiré, der mein einziger Trost, mein einziger Freund war. Der Gute gab mir Geld und zeichnete mir selbst auf der Landkarte den kürzesten Weg vor, um den Geliebten einzuholen. Ich kam zu spät. Hier bewacht ihn jetzt der Tod und Armand – der fürchterliche Rächer seiner Schwester. Ich habe Egon nicht wieder gesehen und wenn er stirbt, sind meine Stunden gezählt.

Erschöpft von dieser aufregenden Erzählung sank Helene Gräfin d'Azimont in die Kissen des Divans zurück.

Pauline suchte sie zu trösten. Sie verwies ihr die übergroße Heftigkeit und den Sturm ihrer Empfindungen. Sie würde den Freund damit nur erkälten, sagte sie. Sie schilderte ihr, wie sie ihre Pläne mit Besonnenheit anlegen möchte. Sie pries das Glück, in solchen Dingen von einem guten Gatten nicht behindert zu sein, ja sie wies selbst auf die Möglichkeit hin, daß Rafflard hier zu einer Ausgleichung führen könne, da er den jungen Fürsten von Genf her kennen müsse. Sie bat sie ferner, diesen Schmerz ums Himmelswillen nicht zu sehr zur Schau zu tragen. Sie lebe nicht in Paris. Die Maximen der Gesellschaft hätten seit kurzem einen merkwürdigen Umschwung erlitten. Sie würde sich und alle ihre Freunde compromittiren, wenn sie diesen Roman hier so fortsetzte, wie sie ihn in Paris begonnen hätte. Der Hof wäre in solchen Dingen von einer unglaublichen Empfindlichkeit. Sie könnte sich den abscheulichsten Demüthigungen aussetzen...

Helene blickte auf und sagte stutzend:

Das Alles sind die Antworten einer Freundin? Einer Dichterin?

Pauline raffte den letzten Rest von Schwärmerei, der ihr zu Gebote stand, zusammen, warf das verlöschende Licht ihrer Augen noch einmal empor, daß das Weiße einen blitzenden Schimmer von sich gab, und sagte:

Helene! Ach, ich verstehe Sie ganz. Aber...

Helene schluchzte.

Pauline hielt sie tröstend, aber auch seufzend, an ihrem »mitfühlenden Herzen«.


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