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– – – Eine der heitersten Erinnerungen aus meiner diplomatischen Laufbahn ist der Amalienbader Congreß, wenn man Congreß eine Entrevue Diese französirende und überhaupt auch mehr weltmännische Sprache, die auffallend genug gegen unsre bisherige Darstellung abstechen wird, muß man dem Freiherrn von Hundt zu gute halten. Er hat sich in der Schule von Woltmann und Varnhagen gebildet. zweier Diplomaten nennen kann, die den Auftrag hatten, zwei kleine Staaten um jeden Preis zu versöhnen. Das Lächerliche dieser Erinnerung liegt hauptsächlich in dem Widerspruch dieses so einfachen Zweckes, mit den von den beiden Abgesandten aufgebotenen Mitteln. Man hätte, wenn man diese Schwierigkeiten sah, die sich die beiden Männer machten, glauben sollen, es handelte sich um die Wiedereinfugung höchst gefährlich ausgerenkter Glieder des europäischen Staatskörpers, während einige streitige Punkte über Erbschaftssachen, Enclaven und einige wenige administrative Berührungen, die allerdings für zwei dicht an einander grenzende Länder Lebensfragen sind, den Gegenstand der Verhandlungen abgaben. Wenn es einige Dornen an jenen Rosen gab, die wir auf höhere Anweisung ohne Widerrede pflücken mußten, so waren es die Verstimmungen, die zwischen beiden zu vermittelnden Höfen seit einer gemeinschaftlichen Kriegsübung eingetreten waren, wo eine Partei von der andern mit willkürlicher und gegen alle genommene Abrede verstoßender Rücksichtslosigkeit behandelt worden zu seyn vorgab. Ich wenigstens hatte das Interesse jenes Hofes zu vertreten, dem man von der andern Seite das Meiste an diesem Verschulden aufgebürdet und aus Aerger darüber alle jene freundnachbarlichen Bezüge aufgekündigt hatte, welche durch die Amalienbader Unterredung wieder in das alte Geleis der Freundschaft sollten zurückgeführt werden.
Ich hatte dabei mit einem Gegner zu thun, der die wunderliche Grille besaß, aus der Diplomatie einen Selbstzweck machen zu wollen. Graf L....... war ein Original-Ueberbleibsel aus einem Jahrhundert, welches die Würde des Menschen in der peinlichsten Beobachtung von Förmlichkeiten erblickte. Jünger einer Politik, die keine Ahnung von den Veränderungen des Zeitgeistes hatte, sondern in der Geschichte nur die Namen und Personen, nicht die Begriffe und Voraussetzungen sich ändern sah, hatte Graf L. überdies eine so hohe Vorstellung von der Unfehlbarkeit seines Verstandes und der Feinheit seiner klügelnden Berechnungen, daß man die Berührungen mit ihm allerdings zunächst als eine Quelle vielen Aergers, aber zuletzt doch, wenn man sich beruhigt hatte, auch einer nicht oft gebotenen Unterhaltung betrachten mußte. Im Augenblicke, wo man ihm gegenüberstand und die kleinen Fechterkünste seiner eingebildeten Schlauheit pariren mußte, konnte man es nicht ohne das Gefühl einer unerträglichen Belästigung und einer alles Verständniß hindernden Verzögerung thun; doch, wer sich durch seine Umtriebe nicht irre machen ließ, wird mir bezeugen müssen, daß der Rückblick auf eine mit dem Grafen L. einmal gepflogene Verhandlung ein kostbares Cabinetstück diplomatischer Erinnerungen ist. Ich muß sogar gestehen, daß ich etwas vermissen würde, wenn meine Welterlebnisse nicht auch auf einen Mann gestoßen wären, der aus der am meisten durch vorliegende Facten und durch die Umstände bestimmten Wissenschaft eine Sache für sich, eine absolute Theorie machen wollte. Es schien in der That, als wollte Graf L. die Originalität selbst zur Evidenz eines Rechenexempels erheben.
Nachdem ich schon so viel von diesem Talleyrand leerer Formen gehört hatte, war meine Neugier nicht wenig gespannt, als wir uns in einem eigens für unsere Besprechungen bestimmten Saale auf dem Schlosse in Amalienbad zum ersten Male begegneten. Es ist immer ein eigenes Gefühl, dessen ich gestehen muß nie recht Meister geworden zu seyn, wenn sich zwei Diplomaten, die bestimmt sind, gegen einander zu operiren, gegenüber treten. Man kann diesen ersten, scheu prüfenden und kaum das Auge des Andern aushaltenden Blick einen Triumph, aber auch eine Demüthigung unserer Civilisation nennen. Ich muß sagen, daß es mir immer schien, als würde in dieser peinlichen Stellung die Menschenwürde recht mit Füßen getreten. Hier bricht nirgends ein Strahl jener göttlichen Liebe, die der Himmel in unsere Seelen pflanzte, durch das ängstlich und mit allen Kunstmitteln eines eigentlich im Gemüth gar nicht vorhandenen Hasses ausgerüstete Benehmen hindurch. Ich wüßte keine andere Situation im Leben, die dieser vergleichbar wäre, als die auf der akademischen Mensur. Wer sich aus seinen Studentenjahren jener kaltblütigen Maliçe erinnert, mit welcher sich die Duellanten gegenüber zu treten pflegen, dem wird diese lieblose und scheinbar ganz apathisch aussehende höchste Nervenspannung deutlich werden, wenn sich, etwa in einer Gesellschaft, wo über ganz gleichgültige Dinge verhandelt wird, die Thür öffnet, und derjenige hereintritt, dem man beauftragt ist auf den Dienst zu passen, und der seinerseits gegen uns selbst die gleiche verrätherische Wachsamkeit üben muß. Dies zufällige Begegnen ist mir noch peinlicher, als das Stirn gegen Stirn gerichtete Unterhandeln, wo ich wenigstens immer die Sitte jener Diplomaten vermieden habe, welche auch hier nicht unterlassen können, Versteckens zu spielen und über ihr Auge zu wachen, da ich es meistens vorzog, dem Andern offen die Karten zu zeigen, welche ich auswerfen konnte, und rund zu erklären, was ich fordern mußte, um bei meinen oft sehr unredlichen Instructionen zwar ein gebundener, aber doch ehrlicher Mann zu erscheinen. Wenn ich diesmal befangener als Jener, so trug die Schuld davon des Grafen L. wunderlicher Ruf und der allerdings auch nicht abzuleugnende Umstand, daß man, wie es Menschen gibt, die erst im Angesicht des Feindes tapfer werden, auch in der diplomatischen Verhandlung gereizt, angreifend, bissig wird, wenn man einer entschieden feindseligen Herausforderung gegenübersteht.
Ich war zunächst derjenige, welcher die Unterhandlung zu eröffnen hatte, denn auf Veranlassung meines Hofes war sie eingeleitet; wir waren diejenigen, welche sich von der Gegenpartie beeinträchtigt glaubten. Ich sehe noch die Miene, welche der äußerst sorgfältig frisirte und gepuderte Graf L., eine beleibte und fast behagliche Figur, annahm, als ich meinen Vortrag geendet hatte. Während ich doch wußte, daß er keine Erlaubniß hatte, mir irgend einen der wichtigeren meiner Anträge abzuschlagen, stellte er sich, als thäten ihm die Ohren weh, eine Reihefolge so unnützer vergeblicher Forderungen anzuhören, und es brachte mich wirklich in Verwirrung, als er mit der künstlich ersonnenen Befremdung sagte: Aber, Herr Obersthofmeister, was wollen wir uns die schöne Zeit verderben, auf diese unzähligen, höchst unmöglichen Punkte einzugehen? Darauf begann er vom Bade, von der diesjährigen Saison, von der fashionablen Welt, und bemerkte, als ich wieder auf den eigentlichen Gegenstand einlenkte, indem er mit dem Stuhle rückte: Sie scherzen nur, Herr Obersthofmeister, Ihr Memoire scheint mir mehr eine im rhetorischen Styl verfaßte, übertreibende Ausarbeitung eines kleinen Stoffes, als die Grundlage unsrer Verhandlungen zu seyn. Dabei zog er seinerseits eine Schrift hervor, die er mir vorlas, und worin mit Redensarten, die immer dasselbe sagten, die geschichtliche Entwickelung der politischen Relationen der beiden Fürstenhäuser seit hundert Jahren bis zu dem verunglückten Manoeuvre erzählt wurde. Als er geendet, brach ich den Eindruck, den er aus diesem Aufsatze sich versprach, kurz mit den Worten ab: Was soll das? Der Bruch ist da; aber wir sollen ein Band dafür entdecken. Lieber wär' es mir, Sie zeigten mir an jeder einzelnen Forderung, die ich mache, die historisch statistischen Gründe, welche Sie zwingen, sie mir abzuschlagen! Und so stand ich auf, da mir das Sitzen im aufgeregten Zustande unmöglich ist, und fing mit der Regulirung der Erbschaftsansprüche an, welche des Grafen Hof an den meinigen machte.
Ich muß es mit Erröthen gestehen, daß alles das Lächerliche, welches man vom Amalienbader Congresse erzählt hat, allerdings begründet ist. Es handelte sich um einen Erbschaftsunterschleif, den der Fürst von Vierhufen den Vorfahren meines Souverains vorwarf, um zwanzig an der Verlassenschaft eines beiden Höfen angehörigen Verwandten fehlende Schweizeruhren, um zweiundfünfzig dreieckige Hüte, einen silbernen Bettwärmer von ausgelegter Arbeit, um drei goldene Nachttöpfe und eine Menge chinesischer Figuren, welchen am Todestage des Urahns die diamantenen Augen wären ausgestochen gewesen. Der Graf verbat sich den leichtfertigen Ton, mit dem ich über diese Gegenstände sprach, worauf ich ihm einwandte: Ja, dann lassen Sie uns abbrechen; dann müssen wir an den Bundestag gehen und ein austrägalgerichtliches Verfahren einleiten. Ich hätte, fuhr ich fort, die strengste Weisung, daß, wenn dieser Gegenstand nicht in Güte fallen gelassen würde, ich ihn unverzüglich als nur durch gerichtliches Erkenntniß zu lösen anzeigen sollte; worauf Graf L. sehr unwillig erklärte, bis zu solchen extremen Maßregeln und Bundestagseinmischungen wär' er, dreier Nachttöpfe wegen, nicht gesonnen zu gehen, und damit war ich denn in dieser Rücksicht im Reinen und am Ziele.
Es würde mich zu weit führen, den ganzen Verlauf dieser ersten Sitzung hier wiederzugeben. Ich lernte in der That einen Staatsmann kennen, der beim westphälischen Frieden nur gefehlt hätte, um ihn noch mehr in die Länge zu ziehen. Kaum hatte er mir eine Forderung eingeräumt, so stellte er sich im nächsten Augenblick so vergeßlich, daß ich ihn daran wieder, als wär' es ihm wildfremd geworden, erinnern mußte. Die einzige Ursache, warum ich nicht diesem Gewirr gegenüber Alles verloren gab und an die Abreise dachte, war die Gewißheit, daß des Grafen Instructionen mit den meinigen gleich lauteten, und demnach das Verständniß zuletzt gar nicht ausbleiben konnte. Dem Grafen gegenüber stehend, konnte ich hieran nur wie an etwas Unglaubliches denken: denn gerade das Zunächstliegende rückte er in die weiteste Ferne, das Deutlichste gab er für unklar aus, und das wirklich Schwierige umging er, wie etwas, das sich des Aufwandes vieler Mühe nicht verlohne und sich schon zuletzt als Zugabe von selbst ergeben würde. Kam ich wirklich auf Punkte, wo ich begierig war, sein Gebot oder Gegengebot zu hören, so verfiel er, wenn er durchaus nicht mit der Sprache herausrücken wollte, auf ein Husten und Räuspern, ein Niesen und Schnupftuchziehen, daß ich die Hoffnung aufgeben mußte, aus diesen Manoeuvres eine sichere Meinung herauszuhören. Er fing einen Satz an, nahm dann eine Prise, wollte ihn fortsetzen und stand nun mit aufgerichteten offnen Nasenflügeln in der Erwartung da, zu niesen. Endlich entlud er sich mit heftigem Geräusch, sprach dazwischen immer fort Dinge, die ich verstehen konnte, fing nun an zu schnauben und zu räuspern, hatte scheinbar etwas in die unrechte Kehle bekommen und schloß dann, nachdem sich der aufgeregte Sturm seiner Nasen-, Kehl- und Gurgelorgane beschwichtigt hatte, mit der Erklärung: Dies ist meine Meinung!
Wenn man in diesem Maße Jemanden, an dessen gesunden Sinnen man zu zweifeln gerade keine ausdrückliche Veranlassung hat, Komödie spielen sieht, so ist es wohl zu verzeihen, wenn man öfters in der That nicht mehr weiß, ob man eine Täuschung vor sich sieht oder am Ende doch wohl etwas, das einen Schein von Wahrheit für sich hat. Man geräth in eine Verwirrung, deren nächste Folge die ist, daß man sich aus ihr durch ein Aufnehmen der dargebotenen Fäden, durch ein Eingehen auf den vorgeschlagenen künstlichen Kampf zu retten sucht. Ich will nicht verschweigen, daß mich die Umtriebe des Grafen allmählich zwangen, auf sie einzugehen. Wie wir mit einander auf- und abgingen in dem geräumigen Saale, bemerkte ich, daß er mit einem Zettelchen wie in der größten Zerstreuung spielte. Ein Diplomat kann eine solche Entdeckung nie ohne eine Aufregung und den Wunsch der Bemächtigung machen. Ich hefte meine Blicke geistig fest auf das Papier, es entfällt, wie zufällig, den Händen des Grafen, der plötzlich die Uhr zieht und für heute die Verhandlung abgebrochen wünscht. Ich sehe den Zettel auf der Erde liegen, lasse, wie zufällig, mein Taschentuch darauf fallen und steck' es unerschrocken ein. Wir empfehlen uns Beide schnell, und kaum bin ich auf dem Wege zu meinen Zimmern, so entfalt' ich das Blättchen. Nachdem ich den Inhalt desselben gelesen hatte, gestehe ich, daß ich mich schämen mußte. Es enthielt einige Notizen, welche gerade Alles das, was mir der Graf eingestanden hatte, am meisten in Abrede stellten. Er hatte beabsichtigt, mir diesen Zettel in die Hände zu spielen und dadurch meine Ungewißheit über den Stand der zu verhandelnden Fragen in völlige Verwirrung zu bringen. Ich durchschaute die Absicht und ließ mich nicht täuschen. Ich wußte ja, daß die Diplomaten öfters Briefe, ohne Chiffern und leicht zu öffnen, expediren, gerade, damit sie aufgefangen, erbrochen und gelesen werden. Als die Russen im Jahre 1811 erwarteten, Oestreich würde sich ihnen zum Kriege gegen Napoleon zuwenden, wie mancher Brief ist damals von den Franzosen aufgefangen worden, dem Metternich gerade von Seiten mancher Hofdamen oder anderer scheinbar indifferenter Personen die größte erkünstelte Sorglosigkeit, die man nur im Angesicht des Feindes haben kann, hatte einflößen lassen. Man kann daher wohl in der Diplomatie annehmen, daß, wenn man durch irgend eine Unterlassungssünde des Gegners in den Besitz wichtiger Nachrichten gekommen ist, diese in hundert Fällen neunzig Male gerade die Bestimmung haben, uns irre zu führen; wodurch ich denn auch hinreichend genöthigt war, mich von meiner bisherigen Beurtheilung der zwischen mir und dem Grafen schwebenden Sachlage durch diese scheinbar gelungene Diversion desselben nicht abbringen zu lassen.
Am folgenden Morgen ertappte ich den Grafen wieder auf einer neuen Spiegelfechterei. Kaum hatte ich mich nämlich zur Fortsetzung der begonnenen Verhandlungen gerüstet, so hieß es, der Graf wäre – abgereist. Im ersten Augenblick setzte mich dies Verfahren allerdings in Erstaunen und flößte mir Besorgnisse ein. Aber gerade die Verlegenheit, in der ich mich befand, half mir, für die Veranlassung desselben Aufklärung zu finden. Eine kleine Calesche war allerdings in aller Frühe fortgefahren; ob sie aber den Grafen wirklich enthielt, bezweifl' ich. Es fiel mir ein, daß es eine alte Lehre der verschmitzten Diplomatenpraktik ist, nicht immer auf demselben Platze zu bleiben und gleichsam vor den sichtlichen Augen seiner Gegner nicht alt und grau und wenigstens gewöhnlich und alltäglich zu werden. Ein Gesandter gewinnt viel, wenn er mitunter kleine Reisen und sich dadurch zum Gegenstand eines bei jeder Rückreise immer wieder frischen Interesses macht. Russische Gesandte in Paris und London sollten nie länger auf diesen Stationen seyn, als ein halbes Jahr; österreichische, z. B. am Bundestage, sind es auch bekanntlich nicht. Herr von Münch-Bellinghausen versteht es vortrefflich, durch seine längere Abwesenheit vom Bundestage sich bei jeder Rückkunft von Wien immer wieder ein neues und imponirendes Interesse zu geben. Die Zeitungen berichten mit Sorgfalt den Tag der Abreise und der Wiederkunft, der Geschäftsgang am Bundestage richtet sich nach diesem Kommen und Gehen, und Oesterreich hat davon den Vortheil, Preußens bequem und behaglich in Frankfurt ausdauernde Repräsentation in den Hintergrund zu stellen. Nicht anders mochte Graf L. verfahren. Da es ihm im Großen nicht möglich war, die Launen einer mächtigen Diplomatie nachzuahmen, so versuchte er es im Kleinen. Im Verlauf des Congresses verschwand er nicht weniger als viermal vom Schauplatze der Begebenheiten. Die Calesche fuhr ab, wohin, wußte Niemand. Sie blieb einen, mehrere Tage aus, und, da sie Nachts zurückkam, so ließ sich nicht entscheiden, ob sie wirklich den Grafen zurückbrachte, oder ob dieser sich inzwischen freiwilligen Stubenarrest auferlegt hatte. Später hört' ich einmal, daß er seinen Leuten die Bewahrung dieses Geheimnisses nicht mehr anzuvertrauen wagte, und daß man ihn, den alten Mann, einmal in dem Keller seines Hauses versteckt betroffen habe, während in den Zeitungen stand, daß er auf einer Reise begriffen wäre. Und, wenn sich diese Reisen nicht ausführen ließen, so suchte der Graf wenigstens dadurch sein Princip geltend zu machen, daß er sogar bei mündlichen Verhandlungen öfters um Entschuldigung bat und sich auf Augenblicke aus dem Zimmer entfernte. Den Ruf, daß er ein Mann wäre, der das Wasser nicht halten könne, scheute er weit weniger, als den Verlust jener kleinen Vortheile, die er durch sein auffallendes und für die Gegenpart allerdings lästiges Benehmen davonzutragen glaubte.
Es wurden im Verlaufe der Unterhandlungen von dem Besitzer des Amalienbades und verschiedenen vornehmeren Mitgliedern der sehr gemischten Kurgesellschaft einige kleine Feste veranstaltet, denen die harmlose und nur im Allgemeinen ausgesprochene Absicht, die anwesenden Diplomaten zu ehren, zum Grunde lag. Hier spielte der Graf L. die wunderlichsten Rollen. In einem Cirkel beim Grafen von d. N. erdrückte er mich fast mit Höflichkeiten, die ich nicht erwidern konnte, da sie, zumal nach einer sehr heftigen Begegnung, die wir an demselben Vormittage gehabt hatten, kaum am passenden Orte zu seyn schienen. Die glatten, fast zärtlichen Manieren des Grafen L. zwangen mich, auf meiner Hut zu seyn und sie durch ein ähnliches Betragen weniger zu erwidern, als zurückzuweisen. Ich sah mich genöthigt, auf die Farce des Grafen einzugehen und vor der Gesellschaft ein Schauspiel durchzuführen, welches Einige der Anwesenden sicher gescheit genug waren zu durchschauen. Wir behandelten uns mit einer Auszeichnung, als hätten wir eben unsere ersten Gegenvisiten gemacht. Er schien nur auf den Wink meines Auges zu warten, um jedes kleine Bedürfniß, das ich etwa äußern dürfte, gleich wahrzunehmen und, wo möglich, zu befriedigen. Diese Sorgfalt erstreckte sich sogar so weit, daß er, als die Sonne so in's Fenster schien, daß ich von ihrem Schein getroffen wurde, lief und heftig an den Rouleaux zerrte, bis oben ein Nagel wich und sie hinunterstürzten. Mich zwang nun wieder der gleiche Trieb, ihm gefällig zu seyn, den er künstlich in mir aufgeregt hatte, den gebröckelten Kalk von seinen Kleidern wischen zu helfen und mich als die Ursache einer Verwirrung anzuklagen, die sich der ganzen Gesellschaft bemächtigte. Es kam ferner, der gemischten Gesellschaft wegen, zu Geistesspielen, in welchen er alle Spitzen seines nicht gewöhnlichen Verstandes auf mich richtete, sie aber durch darauf befestigte Blumengewinde zu eben so vielen Huldigungen machte. Es ist mir nie so viel Erfreuliches gesagt worden, und nie hab' ich mich in dem Grade bemüht, auf Jemanden wohlthätig zu wirken, als an jenem Tage.
Bei einer andern festlichen Gelegenheit schien dagegen der Graf L. diese Rolle gänzlich vergessen zu haben. Er hatte Ursache, mich weniger zu schonen, als neulich, wo wir auf dem Punkte standen, uns unverrichteter Sache zu trennen. Einige seiner Forderungen waren an meinem festen Willen, sie ihm zu verweigern, gescheitert, andere hatte er mir nach heftigen Debatten einräumen müssen. Weil er wohl wußte, daß ich nach einem solchen Vorgange an ihm keine üble Laune wahrnehmen durfte, und er doch nicht heiter genug gestimmt war, mir in Gegenwart so vieler Zeugen den Hof zu machen, so zog er diesmal andere Saiten auf. Er spielte den Zerstreuten, den Abwesenden, den alten schwachen Mann, der jede Minute etwas vergaß und sich nicht einmal auf das kaum Dagewesene besinnen konnte. Die künstlichen und bewußten Irrthümer spielen bekanntlich eine große Rolle in der diplomatischen Kunst. Man erzählt sich, daß Graf L. auf diese Art seinem Fürsten den Titel königliche Hoheit statt Durchlaucht verschafft hatte; er hatte sich in mehreren Depeschen an fremde Höfe dieses Titels bedient, gleichsam aus Versehen, und fast alle hatten blindlings, die Depeschen vor den Augen, den Titel in ihre Antwort rückübertragen, woraus eine formelle Anerkennung, die ein factisches Recht hatte, unbedingt hergeleitet wurde – eine Intrigue, die stark an jenen künstlichen Dechiffrirfehler erinnert, durch welchen die preußische Königswürde vom kaiserlichen Hof in Wien anerkannt wurde. Und doch war Graf L. an jenem Abende, trotz seiner Zerstreuung, gesammelt genug, mir einige Streiche zu spielen, die Diplomaten unbedingt nicht ertragen können. Er faßte nämlich zuweilen Jemanden von seinen oder meinen Attaché's beim Knopfloche und stellte sich mit ihnen, leise wispernd und mich starr fixirend, in eine Fensternische. Man kann so etwas nicht sehen, ohne von der Vorstellung gepeinigt zu werden, man wäre selber der Gegenstand jener geheimen Mittheilungen. Ich weiß sicher, daß der Graf diese Umtriebe nur anlegte, um mich in Verlegenheit zu setzen und mich gleichsam mit unsichtbaren und gar nicht vorhandenen Netzen zu umstricken. Bedauert hab' ich einen jungen Mann, der die Badesaison mitmachte, einen jungen Literaten Namens Schmeißer. Dieser hatte einige überschwängliche Worte, die sehr viel Geist und noch mehr Arroganz verriethen, fallen lassen. Der Graf, scheinbar geblendet von dem Glanz dieser Behauptungen, stand auf, winkte dem jungen Manne, faßte ihn vertraulich in's Knopfloch und stellte sich mit ihm an die Fensterbrüstung. Ich sah es, daß der Literatus hochroth wurde: denn Graf L. fing von diplomatischer Carrière, classischem Styl, geistreichen Wendungen, von Manifesten, Depeschen und officiellen Zeitungsartikeln an und eröffnete dem jungen Manne Perspectiven, für welche, ich erfuhr es später, der Graf am folgenden Tage, als ihm der Glückliche einen Besuch machen wollte, kein Gedächtniß mehr hatte. Ein grausamer Riegel wurde vor die Camera obscura geschoben, in die ihn der Graf nur meinetwegen hatte blicken lassen: denn auf mir ruhte während des ganzen Gesprächs in der Fensterbrüstung sein Auge; um mich in Schach zu halten, hatte er mit aller Welt zu flüstern und Geheimnisse zu verhandeln; und ich muß gestehen, die Stellung zweier diplomatischen Contremineurs ist so kitzlich, daß ich während solcher Umtriebe nie recht meiner selbst Meister seyn konnte, sondern immer in einer gereizten Spannung dasaß, die ich durch frühere Entfernung aus der Gesellschaft abzubrechen suchen mußte. Der Literat that mir leid; die Aussicht, eine Stelle, wie Herr von Gentz sie bekleidete, zu bekommen, war ihm nur zu einem ihm ganz unbekannten, intriganten Zwecke eröffnet worden. Er wußte nicht, daß er, indem seine Geistesgaben einen großen Triumph zu feiern schienen, lediglich nur eine Statistenrolle spielte.
Ich erfuhr es schon von meinen Leuten, daß der Graf L. eifrig bemüht war, sich nach meinen etwaigen kleinen Schwächen zu erkundigen. Ich mag deren sehr große haben; aber die kleinen Laster mit ihrem Gefolge von Blößen, die man der Welt gibt, von Lächerlichkeiten und oft merklichen Nachtheilen hab' ich von jeher gehaßt. Mein Wesen ist moralisch und körperlich zu nüchtern, als daß ich für die Ueberrumpelungen des Grafen L. eine Bresche hätte darbieten können. Ich besaß für den fernern Verlauf unsrer Verhandlungen einige Geheimnisse, von denen ich um so mehr wußte, daß der Graf um jeden Preis dahinter kommen wollte, als ich auch in der That einen Courier erhielt, der mir Nachrichten überbrachte, die meine Instruction zwar nicht wesentlich, aber doch in einigen Punkten veränderten. Der Graf bot Alles auf, um hinter den Inhalt dieser Depesche zu kommen; da sie aber nur mir bekannt war, so konnte sie auch nur aus mir selbst herausgelockt werden. Wenn Diplomaten alle Wege vergebens versucht haben, das wußt' ich wohl, so steigen sie zu den thierischen Leidenschaften herab und suchen auf diese zu wirken. Ich hörte an den Geständnissen meiner Leute, daß der Graf schon bis auf diese letzten Hülfstruppen gekommen war. Nun, dacht' ich, so erlaubst du dir zur Abwechslung einen Scherz mit ihm! Ich gab meinen Leuten Anweisung, bei nochmaliger Anfrage ungefähr so viel fallen zu lassen, als wär' ich etwas schwach im Trinken und übernähme mich darin leicht, falls man Geschick genug hätte, mich dabei etwas in Zug zu bringen. Diese Notiz zündete, und noch auf denselben Abend lud mich Graf L. zu einem kleinen vertrauten Abendessen bei sich ein. Der Speisen waren nicht viel, aber der Weine weit mehr; Graf L. sagte, die Küche könne er nicht so mit sich führen, wie den Keller. Er war ungemein heiter, sprach über Dinge, für die ich ihm kaum eine Empfänglichkeit zugetraut hätte, und würde mich in der That redselig und durstig gemacht haben, hätte ich mich nicht gerüstet. Aeußerlich jedoch that ich, als wär' ich einer jener militärischen Diplomaten, die jetzt so üblich sind, und denen man sich allerdings nicht besser nähern kann, als wenn man sich mit ihnen betrinkt. Da ich aber mein Trinken, das ich allerdings nicht ganz unterließ, an einen festen Vorsatz, nämlich an die Bedingung geknüpft hatte, daß es mir Graf L. darin, wenn nicht zuvor, doch gleich thun müsse, so stellte sich bald ein Erfolg heraus, der in der That ein Werk der Nemesis schien. Ich hatte einen festen, leitenden Gedanken, der mir Kraft gab, meine Besinnung vollkommen zu beherrschen; Graf L. dagegen, stürmisch nur an das scheinbare Gelingen seiner List denkend, hatte sein Bewußtseyn nicht so siegreich in der Gewalt; die Wellen der durch den Wein erregten Heiterkeit glitten über seine Besonnenheit hinweg und betäubten bald alle die Vorsätze, die er, seines Einflusses auf mich gewiß, für sich selber gar nicht gefaßt zu haben schien. Nun war das Verhältniß umgekehrt. Ich nüchtern, Graf L. trunken. Ich heiter und mittheilsam, Graf L. aber, um mich zum Aeußersten zu verlocken, schwatzhaft, rücksichtslos und zuletzt seiner selbst nicht mehr mächtig. Um ihn nicht mißtrauisch zu machen oder, was in diesem Zustande so leicht ist, zu erzürnen, befriedigte ich ihn mit ersonnenen und irrthümlichen Zugeständnissen und riß ihn damit selbst zu einer Beichte hin, die er mir freiwillig, jetzt ohne allen Rückhalt, mit drolligem Jubel gab. Wollt' ich alle die Intriguen, die er mir damals von sich erzählte, hier wiedergeben, sie würden sich wie die Geschichte eines diplomatischen Gilblas ausnehmen. Erst in tiefer Nacht schieden wir.
Das Erwachen muß für Graf L. fürchterlich gewesen seyn. Da die Anker seines Gedächtnisses mit dem Rausche fortgespült gewesen waren, so hatte er selbst von den Erfindungen, mit denen ich ihn bediente, nichts behalten können. Aus der Leere seines Gedächtnisses mußte ihm am folgenden Morgen gleich erklärlich gewesen seyn, wie er sich den Abend vorher verrechnet hatte. Was er selbst nicht wußte, bestätigten ihm die Bedienten. Der Gedanke, daß er selber gewiß mehr geredet hätte, als sich mit seinem Systeme der Schweigsamkeit und Klugheit vertrug, peinigte ihn sicher entsetzlich. Ohnehin wird das Gefühl nach einem verschlafenen Rausche darum so bitter, weil man sich der vielen exaltirten Reden wegen, die man dabei geführt hat, und von denen ein wirres Echo Einem noch immer im Ohre nachklingt, recht abgeschmackt und dumm vorkommt. Er fühlte, daß er in dem gemeinschaftlich von uns angestellten Wettlaufe weit hinter mir zurück blieb, seitdem er sich in dem Grade vergessen und in eigenen Gruben fangen konnte, und mußte nun das Aeußerste aufbieten, um wieder mit mir in gleichen Schritt zu kommen. Ich gestehe, daß Graf L. sich hierbei wieder einer List bediente, die nicht klüger ersonnen seyn konnte. Er fing nämlich an, da er doch einmal wußte, wie viel oder wenig mir im Moralischen beizukommen wäre, meinen Abscheu gegen Lügen und Verstellungen auf eine sehr empfindliche Probe zu stellen. Um mich zu zwingen, die Verhältnisse einiger Fragen nach ihrer Wahrheit einzugestehen, kam er auf den glücklichen Einfall, sie mir durch Lügen zu entlocken. Er stellte die kecksten Behauptungen auf, auf welche er so entschiedene Schlußfolgerungen baute, daß ich in die peinlichste Ungewißheit gerieth, ob ich sie auf sich beruhen lassen oder widerlegen sollte. Er nahm z. B. irgend eine Verfahrungsweise meines Hofes als etwas an, das sich von selbst verstände und allgemein bekannt wäre, baute hierauf nun Folgen über Folgen, die sich bald in solche Annahmen verloren, daß ich, da sie sich wie Anklagen und gefährliche Irrthümer anhörten, sie allerdings nicht ohne Widerlegung lassen konnte. Man denke sich hierin meine schwierige Aufgabe! Ich wußte, daß mir Graf L. auf diese Art einige allerdings nicht unwesentliche Geheimnisse entlocken wollte; und war doch wieder zu gewissenhaft und zu sehr Feind der Lüge, als daß ich ihm seine irrthümlichen Voraussetzungen hätte lassen können; ich gestehe, daß mich dieser Mann durch sein Spiel in eine ungemein schwierige Lage brachte. Mit dem Zugeständniß der Schlußfolgerungen aus seinen Lügen war eben so viel Gefahr verbunden, wie mit Einräumung der letztern selbst. Hätte es sich hier um Dinge von größerem Werthe gehandelt, wer weiß, ob Graf L. hier nicht seinen Gegner zu dem traurigen Bewußtseyn getrieben hätte, daß er aus dem Fuchseisen jenes Mannes nicht gänzlich ohne einige Haare entkommen!
Von einigen kleineren Kunstgriffen will ich nicht weitläufig reden: z. B. von seiner Methode, manche Dinge, die er selbst nicht durchzuführen wagen durfte, einem Dritten in den Mund zu legen. Graf L. benutzte sie gerade zu den größten Grobheiten. Nichts war ihm geläufiger, als zu sagen: Ich erhielt einen Brief, in welchem man mir schreibt, daß Sie würden abberufen werden. Ein ander Mal behauptete er, in Zeitungen etwas Aehnliches gelesen zu haben; viele Keckheiten legte er Leuten aus der Gesellschaft in den Mund, die er mir, um Unheil zu ersparen, hartnäckig verschwieg. »Was würden Sie wohl thun,« sagte er am Vorabend unsrer Schlußverhandlungen zu mir, »wenn wir uns ohne Resultat trennten, und Sie an unsern Hof als Gesandter in dem Moment geschickt würden, wo alle Wahrzeichen auf einen Krieg deuten?« Noch heute bewundere ich die Aufrichtigkeit, mit der er mir damals (er konnte es ja, da kein Krieg in Aussicht war) einen förmlichen Cursus über die Maßregeln hielt, die er in einer solchen Lage ergreifen würde. Daß er mir hier einen wahren Schatz von durchtriebenen Maximen mittheilte, schien gleichsam aus dem Aerger hervorzugehen, wie nun der Congreß ein Ende, und ich vielleicht noch keine allzuvortheilhafte und ausreichende Beweise seiner außerordentlichen Leistungen hätte. Drollig war unter andern für den oben angegebenen Fall die Vorschrift, daß, wenn z. B. ein Gesandter Napoleons in dem Augenblick nach Kaputh geschickt worden wäre, wo ein möglicher Bruch zwischen Frankreich und Sayn-Sayn vorauszusehen war, jener sich besonders dadurch auf seinem schwierigen Posten insinuirt haben würde, daß er über die geringfügigsten Dinge, die den Hof von Sayn-Sayn nur interessiren konnten, in den französischen Blättern ein Aufsehen hätte machen lassen. Man würde sich in Kaputh gratulirt haben, daß z. B. kleine Feste des Landes, unbedeutende Bauten, fürstliche Liebhabereien von dem Werthe für Frankreich sein könnten, um sogar im Moniteur darüber Berichte zu lesen. Eine Entenpfütze vor Kaputh, als ein großer ein großer Ladoga- oder Gardasee im Moniteur hingestellt, würde den Hof von Sayn-Sayn für alle Forderungen Frankreichs empfänglich gemacht haben, wie es auch bekannt ist, daß die Berliner schon deßwegen vor der Schlacht bei Jena sehr gut auf Frankreich zu sprechen waren, weil Ihnen Napoleon durch Correspondenzen im Moniteur schmeichelte und mehrere Spalten dieses officiellen Organs zur Beschreibung des Stralower Fischzugs hergab. Die Berliner hätten ihm für diese Spalten, wenn nur nicht die Schlacht bei Jena gekommen wäre, gern aus eigenem Antriebe die Länderstriche geschenkt, welche Jerôme für die Arrondirung seines Königreichs Westphalen bekam. Kaum glaublich scheint es, daß Graf L. mit mir so heitre Gespräche führen konnte in einem Augenblicke, wo der Congreß beendet werden sollte, und noch nicht ein einziges seiner Resultate sicher war. Graf L. hatte mich sträflich hingehalten, alle meine Forderungen, die bewilligt werden mußten, schwebten noch unerledigt in der Luft, kein Punkt, keine Linie stand fest, und am 1. August unbedingt mußte der Congreß zu Ende seyn. Es war am 31. Juli, wo mir Graf L. das System der Umtriebe erzählte, die er an unserm Hofe, falls er dort Gesandter würde, spielen lassen würde; beim Scheiden lag mir auf der Zunge, ihn zu fragen, was morgen werden würde? Er sah mir's an und brach lächelnd und schnell ab. Unwillig ging ich auf meine Zimmer und setzte noch in der Nacht eine Note auf, die ihm am frühen Morgen schon überreicht wurde. Der erste August war da, und noch keine einzige Frage erledigt. Ich bemerkte sehr viel Unruhe im Schlosse, die Promenade am Brunnen war nicht sehr zahlreich besetzt. Es mußte etwas vorgefallen seyn. Graf L. expedirte vor meinen Augen einen Courier. Nicht lange darauf erhielt ich seine Gegennote. Sie schlug mir Seitens seines Hofes rundweg alle gemachte Bedingungen ab, und wünschte Wiedereinsetzung der Sachlage in den frühern mißlichen Stand. Wie ich schon am Schreibtische meinen heftigsten Ingrimm zu beherrschen suche, um einen Bericht an meinen Hof aufzusetzen, und einem meiner Leute zu satteln befohlen hatte, vermehrt sich die Aufregung im Schlosse. Man läuft Trepp' auf, Trepp' ab, ich trete an's offene Fenster und sehe Graf L. an dem seinigen. Freundlich winkt er mit der Hand, so daß ich vor Zorn über diesen Menschen das Fenster zuschlage und zurücktrete. Indem bringt mir der Kammerdiener nicht nur ein neues Schreiben von drüben, sondern ich sehe auch eben einen zweiten Courier, den er expedirt hatte, aus dem Schloßhofe reiten. Die erbrochene Note enthielt die Anzeige, daß in der Lösung unserer Verhandlungen eine Krisis eingetreten wäre, die den bevollmächtigten Gesandten Sr. Hoheit des Fürsten von Vierhufen allerdings bestimmen müsse, die vorletzte Note zu desavouiren und des bessern Vernehmens wegen nun, da die Veranlassung des Streites nicht mehr vorhanden wäre – da so eben der ehemalige Generalissimus, Baron Satan von Höllenstein, gestorben – auf die jenseitigen Forderungen ohne Weiteres einzugehen. Somit hatte Graf L. aus den Leiden eines Mannes, der allerdings die entfernte Ursache unsrer Verhandlungen war, Veranlassung genommen, seine Verfahrungsweise zu maskiren und Widerstand zu leisten bis auf den Augenblick, der für den armen Dulder, den seit dem unglücklichen Manoeuvre geisteskranken Baron von Höllenstein, der letzte war. Ob und wie dieser Sterbende mit unserer Frage zusammenhängen durfte, kümmerte Grafen L. nicht. Er stand vor seinem Hofe als ein Ausbund der Klugheit da. Er hatte so lange temporisirt, bis er sagen konnte: Wir würden euch nichts, gar nichts bewilligt haben; da aber der Mann da gestorben ist, so geschehe euch Alles, wie ihr's wollt! Man kann nicht leugnen, daß Graf L. durch diese Combination, wo die äußerste Nothwendigkeit noch als gnädigste Großmuth herauskam, sich wirklich als einen scharfsinnigen Kopf bewährt hatte, und er des Großkreuzes des Civilverdienst-Ordens wohl würdig war, das er von seinem Hofe für das Manoeuvre später bekommen hat.
Um diese Schilderung des Grafen L. vollständig abzurunden, muß ich noch hinzufügen, daß er sehr geizig war. Und in der That gestand einer seiner Bedienten, daß er das Ende des Congresses auch darum schon bis auf den Todestag des armen Barons verschoben hätte, um nicht nöthig zu haben, die völlige Aussöhnung mit dem benachbarten Hofe und den glücklichen Ausgang des Congresses durch ein kostspieliges diplomatisches Diner feiern zu müssen. Unvergeßlich wird mir das Andenken dieses exemplarischen Menschen bleiben.