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Siebentes Kapitel.

 

Der Congreß.

 

Seit einiger Zeit hatte das Regenwetter den Kurfreuden so vielen Abbruch gethan, daß mehrere von den minder Kranken beschlossen, ihre Abreise zu beschleunigen. Dem Grafen kam diese Nachricht sehr erwünscht: denn seit acht Tagen war ihm der Raum in Haus und Hof, in Flur und Wald zu enge; er wurde, je finsterer das Wetter, desto heiterer in seiner Stimmung. Die beiden Flügel des Schlosses waren in einer so freudigen Bewegung vor Arbeiten und Zurichtungen, daß es schien, als sollte das Bad einen noch höhern Aufschwung nehmen, durch Besuche nämlich, deren Wichtigkeit der Graf schon mit geheimnißvoller Miene ahnen ließ. Keinem aber wär' es eingefallen, das europäische Gleichgewicht und die Continentalpolitik mit diesem stillen Jubel des Grafen und der Amalienquelle in Verbindung zu bringen; und doch war in jüngster Nacht ein Courier angekommen, und hatte den Grafen aus dem tiefsten Schlafe geweckt und ihm Mittheilungen gemacht, die wie hinter dem Vorhange eines zur Vorstellung sich rüstenden Theaters wegliefen und nicht errathen wurden. Es wurde den Kurgästen erst mit Hülfe der Zeitungen dies Geheimniß etwas lichter: denn war es nicht möglich, daß das Gerücht von einem demnächst abzuhaltenden Congresse sich in Amalienbad bestätigen konnte? Der Graf wollte diese Vermuthung nicht Wort haben, meinte aber doch, daß ein Badeort sich nie zu irgend einer Höhe aufschwingen würde, wenn er nicht durch einen politischen Congreß auch in den Annalen der Geschichte verzeichnet wäre. Der Karlsbadsprudel wäre erst in Aufnahme gekommen, seitdem die dortigen »Beschlüsse« den jungen deutschen Preßfreiheitssprudel von 1819 in Abnahme gebracht hätten; wenigstens müßte einmal eine fürstliche Heirath an einer Quelle geschlossen seyn, ehe sie fashionable würde. Es kam den Grafen schwer an, die Wahrheit zu verschweigen, weil sich so mancher Besuch durch die Möglichkeit, einer wichtigen Staatsaktion beiwohnen zu können, doch zum längern Bleiben würde entschlossen haben. Indessen beklagte er die leer werdenden Zimmer nicht, da er deren für die Dinge, die da kommen sollten, kaum genug zu haben schien.

Indessen ist unsere Zeit in nichts so indiscret, als in der Politik. Da unser politisches Leben einem lecken Fasse gleicht, so quillt das Geheimniß durch alle Ritzen und Fugen durch und bleibt kaum länger, als es Sache eines Einzelnen, verschwiegen. Ein großer Diplomat, den wir bald die Ehre haben werden kennen zu lernen, sagte oft: »In alten Zeiten mußte man sich viel Mühe geben, um eine Neuigkeit unter die Leute zu bringen; jetzt aber ist der politische Verstand so weit gediehen, daß kein Diplomat mehr vor seinem Kammerdiener sicher ist. Die Menge der unbesoldeten und eigenmächtigen Staatsmänner, d. h. der Zeitungsschreiber, ist zu groß, die Verrätherei der Ueberläufer und Zuträger, die es gern zu gleicher Zeit mit den Fürsten und den Völkern halten wollen, zu eingerissen, als daß man sich noch auf den geregelten Gang, wie bisher in der Diplomatie die Geheimnisse mitgetheilt wurden, verlassen dürfte. Es käme fast darauf an, in der Politik ganz unsinnige und gewaltsame Unternehmungen zu beginnen, um nur das Geheimniß zu retten: denn gerade dadurch, daß wir Staatsmänner nur das Vernünftige und Wahrscheinliche thun, wird es der so sehr ausgebildeten Combination der Publicisten und Kannengießer möglich, jedem Courier durch das Felleisen seine Depeschen zu lesen.« Es ist dies derselbe Staatsmann, der, um nur Herr seiner Geheimnisse zu seyn, einen uns bereits bekannten Staat, das Fürstenthum Vierhufen, an den Rand des Verderbens gebracht hatte. Graf Leibrock erhob die Diplomatie zu einer Wissenschaft an sich; er machte sie zur Herrin der Politik. Er ließ eine Festung mitten im Frieden schleifen, um nur die Genugthuung zu haben, das Geheimniß davon drei Wochen in seinem Bureau bewahren zu können. Er verletzte die freundschaftlichsten Beziehungen seines Hofes zu auswärtigen Höfen, rein, um die Freude zu haben, etwas gegen alles Erwarten unternehmen und eine Weile geheim halten zu können. Er hätte sich entschließen können, ein Biron, ein Patkul zu werden, wenn sich die Zeitungsgerüchte etwa herausgenommen hätten, ihn einen Pombal zu nennen, womit es aber gar keine Noth hatte. Und dennoch brachten die Zeitungen die Nachricht, daß in dem neuen Amalienbad ein Congreß zwischen den bevollmächtigten Ministern Sayn-Sayns und Vierhufens würde abgehalten werden zur Schlichtung gewisser Differenzen, die auf dem Punkte standen, in Feindseligkeiten auszuarten. Wohl dem Manne, der die Geschichte kennt! Wir wissen es, woher der Hader kam; wir sahen die dunkeln Gewitterwolken heraufsteigen, für welche auf dringendes Ansuchen der größern Mächte, um den Weltfrieden zu erhalten, ein Congreß der Blitzableiter werden sollte. Da sich beide Fürstenthümer vertragen mußten, so kann man die Schwierigkeiten ermessen, welche es auf diesem Congresse zu lösen gab. Gerade, weil es sich hier um etwas Nothwendiges und Unumgängliches handeln sollte, suchten die beiden Parteien ihm den Schein einer Unmöglichkeit zu geben. Sie mußten den höhern Schutzpatronen gehorchen, wollten es diese aber auch dafür recht empfinden lassen, welch ein Opfer sie dem allgemeinen Weltfrieden brächten.

Es war eines Abends kurz vor Sonnenuntergang. Die Regenwolken hatten sich verzogen, und mit aufgeklärtem, heiterm Himmel wollte der Tag von der Erde Abschied nehmen. Der grüne Tisch wurde leerer, die Gesellschaft versammelte sich, um die schönen Augenblicke zu genießen, im Parke, und mit Erwartung sprach man von den großen Ereignissen, die dem Bade so nahe bevorstanden. Da stieg in einiger Entfernung vom Schlosse eine Rakete auf, und auf der andern Seite eine zweite. Der Graf, der schon den ganzen Tag über am Fenster gestanden hatte und durch ein Perspectiv die Gegend ausforschte, war Augenblicks im Hofe; aber zu seinem Schrecken hatte sich gleich vorn am Thore ein Knoten von so gordischer Verwirrung zusammengenestelt, daß er, der sonst so Geistesgegenwärtige, nicht wußte, wie hier zu helfen sey. Er schickte Schlachtenmalern ab. Die Schwierigkeit lag nicht in den fünf bis sechs Reisewagen, die zu gleicher Zeit an dem Thore standen, sondern in dem wunderlichen Zufall, daß gerade die beiden paciscirenden Theile zu gleicher Zeit ankommen mußten, und sich nun eine Rangstreitigkeit, der Einfahrt wegen, erhob, die gleich zu den empfindlichsten Reibungen und wohl gar zu einem präliminarischen Notenwechsel führen konnte. Wenn ein kleiner Vorsprung, den allerdings in seinem vierspännigen Wagen der Freiherr von Hundt, Oberhofmeister und außerordentlicher Bevollmächtigter des Fürsten Sayn-Sayn, voraus hatte, ihm das Recht zur frühern Einfahrt zu gestatten schien, so war doch Freiherr von Hundt Diplomat genug, einzusehen, wie wichtig oft eine zur rechten Zeit angebrachte Höflichkeit ist, und wie großartig immer derjenige erscheine, der bei gleichen Verhältnissen und wohl gar in glänzenderen gegen den Andern die Rolle der Höflichkeit übernehme. Graf Leibrock wollte gerade deßwegen auch nicht der Erste seyn, weil er Kenner genug war, diese Hundt'sche Finesse zu durchschauen, unangesehen, daß er ihn empfindlich würde verletzt haben, wenn er am Ende doch wohl gar hätte der Zweite seyn müssen. Nun würd' es allerdings gegen alle Courtoisie verstoßen haben, wenn sich die beiden bevollmächtigten Botschafter mit ihren Gefühlen verrathen hätten; sie mußten vielmehr für ihre Zögerung, einzufahren, eine scheinbare äußere Veranlassung suchen. Der Freiherr von Hundt behauptete, um den Schein zu retten, er hätte einen verloren, nämlich den Postschein, da er mit eigenen Pferden fuhr. Graf Leibrock verwünschte seinen Kutscher, der die Pferde schlecht aufgezäumt hätte, und der Kutscher war diplomatisch eingefahren genug, abzusteigen und sich an den Pferden etwas zu schaffen zu machen. Schlachtenmaler, der die Lage der Dinge übersah, dachte an den gordischen Knoten, zog heimlich sein Taschenmesser und schnitt ihn durch, nämlich den Schnallenriemen, an welchem eines der hintern Pferde des Grafen befestigt war. Nun gerieth allerdings der Kutscher in Verlegenheit und begann eine so weitläufige Annestelung, daß der Graf Leibrock zornig aus dem Wagen stieg (er war ein Mann starken Umfangs) und um so gegründetere Ursache zur Erbitterung hatte, als er jetzt nicht einmal dem Freiherrn von Hundt hätte vorfahren können, selbst, wenn dieser gegen ihn, als den Aelteren, zurückgestanden wäre. Freiherr von Hundt fuhr also mit seinen schnaubenden Rossen an ihm vorbei und nahm zuerst von dem Schlosse Besitz, zwei Wagen hinter ihm, die das Gesandtschaftspersonal und einige Damen enthielten. Graf Leibrock entschloß sich nun, zu Fuß zu gehen und seinen Wagen langsam nachfolgen zu lassen. Zwei Gesandtschaftssecretaire mußten ihn führen, so schrecklich griff ihn eine hier vielleicht vorgefallene Verletzung des Völkerrechts an.

Zunächst mußte das Aufsehen, das des Grafen Ankunft im Schloßhof erregte, ihn für die vermeintliche Zurücksetzung entschädigen. Der Graf von der Neige stürzte auf den Erblandesmarschall zu und bat wegen der am Schloßthore vorgefallenen Verwirrung um Entschuldigung. »Was läßt sich da machen?« sagte der außerordentliche Gesandte, sich den Schweiß und den Zorn von der Stirne wischend; »Sie konnten doch unmöglich, selbst, wenn Sie das gleichzeitige Eintreffen geahnt hätten, zwei Thore in dem Vorgitter des Hofes ausbrechen lassen!« Darauf fuhr er fort, indem ihn der Graf in die für ihn bereiteten Zimmer die Treppe hinauf führte: »Es ist schon dies ein Grund, warum die Hierarchie nie beseitigt werden darf. Die Päbste genießen seit undenklichen Zeiten bei allen diplomatischen Verhandlungen für ihre Nuntien den Vorrang; die päbstlichen Nuntien eröffnen den Zug. Sie sind um so eher dazu berechtigt, sich in Rangstreitigkeiten vermittelnd einzulegen, als sie keine Frauen und demnach keine häusliche Aufhetzerinnen haben. Ein Congreß ohne päbstlichen Nuntius ist ein politischer Reichstag, wo Jeder der Erste seyn will – ein Grund, warum ich nimmermehr wünschen möchte, daß das Pabstthum oder der Katholicismus einmal aufhöre. Ich muß sagen, daß mir der katholische Glaube ehr- und ewiger Dauer würdig erscheint, weil seine Stellvertreter auf den Congressen ein allerdings eingebildetes und unmächtiges Primat besitzen. Hätte Napoleon den Pabst gestürzt, er würde auch die Diplomatie über den Haufen geworfen haben.«

In den Zimmern mußte sich aber gleich wieder etwas finden, das dem Erblandesmarschall mißfiel und ihm die ersten Augenblicke des Amalienbader Aufenthaltes schon recht verbitterte. Es ist dies nicht so sehr die Bosheit Schlachtenmalers, der wie zufällig hier auf einem Tische hatte eine französische ultrarevolutionäre Zeitschrift liegen lassen, die der Gesandte mit bedenklichem Kopfschütteln und mit einer strengen Miene des Vorwurfs gegen den Grafen im Vorübergehen in die Hand genommen hatte, sondern es war die Lage des Zimmers selbst. »Sie glauben Wunder, welchen Gefallen Sie mir thun, daß Sie fast alle meine Zimmer nach vorn verlegt haben,« bemerkte sehr mißgestimmt der Erblandesmarschall; »allein nennen Sie mir irgend ein auswärtiges Amt, ein Botschaftshotel, das nach vorn hin ein besonderes Leben verriethe! Die Arbeitszimmer einer Gesandtschaft sind alle nach hinten hinaus. Der Freiherr von Hundt wohnt mir gerade gegenüber. Sieht er des Nachts um zwölf Uhr Licht an meinem Fenster, so wird er ahnen, daß mir die Entwickelung unserer Angelegenheiten schwer wird, oder daß wir einen ihm unerwarteten Coup beabsichtigen, Depeschen bekommen haben oder mit einem Courier noch in der Nacht welche absenden wollen. Ich muß Sie bitten, mir alle diese Zimmer nach hinten zu verlegen.« Der Graf gerieth über diese Zumuthung in sichtliche Verlegenheit, so daß Schlachtenmaler, der die französische Zeitung an sich genommen hatte, sich zu fragen erlaubte: »Könnten nicht Eure Excellenz des Nachts wie die Diebe mit Hülfe einer Blendlaterne arbeiten?« Dieser Vorschlag, da er den Reiz des Geheimnisses in der Diplomatie vermehrte, gefiel dem Grafen Leibrock; er musterte den Bad-Inspector von unten auf und fragte ihn, ohne jedoch, nach vornehmer Leute Art, eine Antwort abzuwarten: »Treiben Sie auch Politik?« Natürlich antwortete Schlachtenmaler nicht darauf.

Während sich der Gesandte und der Graf in die hintern Zimmer und in Auseinandersetzungen und Gegenreden über Lage, Oertlichkeit und Bedienung des Bades verloren, ging Schlachtenmaler hinunter und hatte seine Freude an dem Auspacken der Wagen hüben und drüben. Zwei Gegenstände waren es besonders, die ihm diesseits auffielen. Im Gefolge des Grafen Leibrock befand sich zuvörderst ein Pferd, das einen wahrhaft kümmerlichen Anblick darbot. Ob es gleich vom Kopf bis zum Schwanz gesattelt war, so saß doch kein Reiter darauf. Es mußte in diesem Aufzuge während der ganzen Reise hinter einem der Wagen hergetrabt seyn. Als er sich nach der Bestimmung dieser Aufzäumung erkundigte, sagte ihm einer von den Leuten des Grafen: »Der arme Klepper zählt jetzt dreizehn Jahr, und seit acht Jahren ist er in dem Zustande, wie Sie ihn da sehen. Niemals ist seitdem der Sattel von seinem Rücken gekommen. Es ist ein ewig gesatteltes Courierpferd, das nothwendig zur Bestallung eines diplomatischen Pferdestalles mit gehört. Man kann ja nicht wissen, was plötzlich vorfällt. Da soll Einer in der Nacht aufsitzen und einen Brief fortbringen; Eile thut Noth, nun erst das Pferd satteln! Bei dem Aufenthalt könnte schon was verloren seyn, und so ist seit acht Jahren von dem Thier der Sattel nicht herunter gekommen.«

Schlachtenmaler wurde von Mitleid über diesen traurigen Anblick ergriffen, mehr aber noch über den Mann, der ihm dies sagte und an Ohren- oder Zahnschmerzen zu leiden schien. »Warum tragen Sie denn das Tuch um den Kopf, guter Freund?« fragte Schlachtenmaler; der Andere aber lachte und sagte: »Gott sey Dank, daß ich mir wenigstens meine Ohren verbinden darf und nicht nöthig habe, taub oder gar taubstumm zu seyn. Ich bin Kammerdiener beim Erblandesmarschall und soll nun einmal von seinen politischen und Staatsgeheimnissen nichts abhören. Der Graf sagte mir, als er mich vor acht Jahren, gerade so lange, als das Pferd gesattelt ist, in seine Dienste nahm: Lieber Freund, daß Sie hören können, ist mir nicht lieb. Ich hätte es sehr gern, daß Sie, wenn auch nicht ganz taub, doch etwas harthörig wären der Ordnung wegen. Ich rechne darauf, daß Sie verschwiegen genug sind und nichts, was in meinen Cirkeln und Abendgesellschaften gesprochen wird, unter die Leute bringen, auch keinen Verwandten haben, der etwa in auswärtige politische Zeitungen Berichte schreibt; aber ich bin es theils meinem Rufe als großer Diplomat, theils der Discretion gegen die mich Besuchenden schuldig, daß Sie wenigstens den Schein der Taubheit annehmen und sich das Hören durch ein seidenes um den Kopf gebundenes Halstuch vergehen lassen. Ich rechne diese Betäubung Ihres Trommelfells zu der Livrée meines Hauses und werde Ihnen vierteljährlich dafür ein schwarzes Tuch, Lyoner Fabrik, selbst liefern! Seitdem, Herr Bad-Inspector, bin ich dem Grafen sehr nützlich gewesen. So manche Mittheilung, die man ihm in Gegenwart eines hörenden Kammerdieners beim Thee oder Whist nicht würde gemacht haben, hat er meiner Aufopferung zu danken. Die fremden Gesandten halten, wenn sie mein Leiden mit dem Ohrenreißen sehen, weit weniger zurück und lassen sich zur Freude des Grafen, der in seinem Fache der größte Schlaukopf von der Welt ist, noch einmal so vertraulich gehen.«

Da Schlachtenmaler merkte, daß dieser Kammerdiener sich für sein beeinträchtigtes Gehör am Sprechen entschädigte und weit mehr ein Schloß vor den Mund, als ein Tuch um das Ohr verdient hätte, so ging er auf die Vorzüge seines Herrn ein und vermochte den Mann, noch immer redseliger zu werden. Als es daher spät Abends geworden war, und der Graf mit seinem Secretair arbeitete, und der Kammerdiener im Vorzimmer mit Schlachtenmalern, in Folge der gemachten Bekanntschaft, zu Nacht aß, so fuhr dieser mit einer Gewandtheit, die seiner Bildung Ehre machte, fort: »Unser Fürst hat dem Grafen Land und Leute zu danken. Als Napoleon bei den deutschen Landesherren kein großes Aufhebens davon machte, daß er sie aufhob, da gelang es bloß der Geschicklichkeit des Grafen, in Paris unserm Fürsten einen Theil seiner Einkünfte, vorläufig seinen Titel, zu erhalten und den Urtheilsspruch über die fernere Existenz des Ländchens so lange aufzuschieben, bis bei Napoleons Abreise nach Sankt Helena alle von Gott eingesetzte Fürsten sich wieder sehen ließen, und auch wieder für uns Hoffnung wurde. Der Erblandesmarschall hat in Paris dem Talleyrand und in Wien dem Metternich viel zu schaffen gemacht. Der Pariser Friede und der Wiener Congreß wären beide leicht ohne Erfolg gewesen, wenn man nicht die drohende Stellung des Grafen Leibrock gefürchtet und ihn in die verhandelten Interessen als Theilhaber mit hineingezogen hätte. Es ist aber auch einzig, mit welcher Schlauheit dieser Staatsmann verfährt. Kommt er an einen Ort, wo es Stimmungen auszuforschen gibt, so sollten Sie sehen, wie er seine Maßregeln nimmt. Hier kann ich es schon sagen, weil wir nur mit dem Freiherrn von Hundt zu thun haben und, im Vertrauen gesagt, uns mit ihm vertragen müssen. Des Grafen erstes Unternehmen an jedem fremden Orte, wo es etwas durchzuführen gibt, ist, sich erst um alle einflußreiche Personen des Landes und der Stadt zu bekümmern. Der Secretair und ich selbst, wir müssen eine Liste aufsetzen von allen Adeligen und hohen Beamten der Residenz und dürfen dabei weder die Titel, noch die Orden übersehen. Besonders wichtig ist die Rubrik über die Wappen, die Livréen und die Stammbäume der Adeligen. Diese Liste übermalen wir an der Stelle, wo von den Livréen und Wappen die Rede ist, mit bunten Farben, so daß der Graf schnell eine Uebersicht der in der Stadt beliebten Heiducken-, Jäger- und Läufer-Uniformen bekommt: denn das soll mir Einer sagen, ob ein bevollmächtigter Gesandter ohne dergleichen Vorarbeiten auskömmt! Ohne solche Listen würden hundert Verstöße gemacht werden, und der Graf, der, wenn man ihm etwas zu Danke macht, gar gnädig ist, erklärte mir's auch deutlich genug. Denn, sagte er, was sind die Menschen überrascht, wenn man von ihnen Dinge weiß, die selbst, wenn sie auf Aeußerlichkeiten beruhen, doch eine gewissenhafte Nachforschung und Bekanntschaft mit ihren Interessen voraussetzen! Was kennt denn mancher Adelige mehr, als seinen Stammbaum, und mancher Banquier Größeres, als einen Riesen von Portier und dessen goldene Borduren? Die Wappenbilder benutzt der Graf oft zu sehr sinnreichen Zusammenstellungen, die ihm den Ruf eines der witzigsten Staatsmänner zugezogen haben. All die Katzen, Hunde, Hirsche, Ochsen- und Häringsköpfe, welche die deutschen Adeligen in ihren Wappen führen, weiß er sehr lustig nebeneinander zu stellen, wobei ich immer meinen Spaß habe: denn meist weiß ich, was der Graf an einem Abend alles für Witze vortragen wird, und muß schon immer früher lachen, als bis er so weit ist, sie springen zu lassen. Er hat mir's freilich verboten, weil es zu auffallend ist und die Wirkung stört.«

Indem klingelte es, und der Kammerdiener, der in der That eine Politur hatte, die Schlachtenmaler bewundern mußte, ging schnell zu seiner Herrschaft hinein. Als er wieder kam, sagte er geheimnißvoll zu dem Bad-Inspector: »Es ist was im Werke. Der Graf will dem Freiherrn von Hundt zeigen, wie wichtig ihm diese Verhandlungen wären, und schickt noch diese Nacht einen Courier ab.« Damit ging der Kammerdiener hinunter, um dem Reitknecht anzumelden, daß er sich bereit halte. Als er zurück kam, fragte ihn Schlachtenmaler, was es denn so Wichtiges zu berichten geben würde? »O, wahrscheinlich nichts,« antwortete der Kammerdiener; »es ist auch gleich damit verbunden, daß Graf Hans, der Sohn meiner Herrschaft, zum ordentlichen Staatsmann erzogen wird. Der Vater schickt ihm öfters des Nachts Couriere, um ihn theils überhaupt daran zu gewöhnen, theils auch, um ihn, der etwas Faullenzer ist, zum Dechiffriren zu zwingen. Auf die Chiffern hält der Graf was Erstaunliches; doch zieht er die Chablonen vor. Wir haben deren über hundert, eine confuser ausgeschnitten, als die andere. Legt man sie auf die übersandte Depesche, so werden die unnöthigen Worte verdeckt, und nur die treten hervor, welche den gewünschten Sinn bilden. Es ist keine Kleinigkeit, einen Brief zu schreiben, welcher ganz harmlos von einem Handwerksburschen zu kommen scheint, und der doch z. B. die wichtige Nachricht in seinen Zeilen enthalten muß: Kaiser Leopold ist vergiftet!«

Indem klingelte es wieder. Der Kammerdiener ging und kam zurück, um in einem Koffer zu wühlen, der eine Menge wunderlicher Papiere enthielt. »Die Chablone N o 78 soll heute benutzt werden,« sagte der verschwiegene Mann und trug sie hinein. Als er wieder kam, erzählte er in seiner Redseligkeit weiter: »Graf Hans wird nie seinen Vater abgeben; ich habe auch den Erblandesmarschall öfters weinen sehen, daß sein Sohn keine Miene macht, um ihm nachzufolgen. Da ist nichts als Ehrlichkeit, Aufrichtigkeit, kein Geheimniß sicher vor ihm. Der Vater bietet Alles auf, um ihn für sein Fach zu erziehen, aber trichtr' es ihm 'mal Einer ein! Das Erste, was ein Staatsmann lernen soll, ist dies: schnell und unvermerkt sich etwas zu notiren, was man in einem diplomatischen Cirkel aus Unvorsichtigkeit fallen läßt. Der Graf kann es ihm nicht beibringen, mit Gewandtheit sich zu unterhalten oder am Spieltisch zu sitzen und zu gleicher Zeit sich hinten in der Rocktasche etwas zu notiren! Mein Alter kann das zum Verwundern schön: er unterhält sich mit Ihnen und scheint in der Brusttasche etwas zu suchen, während gerade seine Hand dort beschäftigt ist, auf einem immer bereit gehaltenen Pergament mit einem Bleistift, der wie ein Zahnstocher aussieht und auch einer ist, das Gesprochene zu notiren. War ja auch Herr von Hundt darüber einmal so boshaft und sagte meinem Herrn, als dieser sich so lange die Zähne stocherte: Notiren Sie sich etwas auf Ihren Zähnen? Die Bemerkung war um so bitterer, als der Erblandesmarschall, ein alter Mann, deren nicht mehr viel hat.« Es wurde wieder sehr stark geklingelt. Der Kammerdiener lief und brachte geheimnißvoll die Depesche zurück, die er einsiegeln mußte. Schlachtenmaler war in der That neugierig. Er hätte gern gewünscht, den Inhalt zu wissen, und gestand es auch. Der Kammerdiener zögerte erst künstlich; dann meinte er, da sie doch so schnell bekannt geworden wären, so wolle er ihm den Brief zu besehen geben. Schlachtenmaler warf einen Blick hinein und fand, daß er eher Alles, nur nicht diplomatische Gegenstände berührte. Es war ein Brief nicht ohne Sinn und Verstand: die Reise, die Ankunft wurde beschrieben; aber das eigentlich Geheimnißvolle wußte er nicht zu entdecken. Der Kammerdiener weidete sich an der Verlegenheit und dem vergeblichen Bemühen des Bad-Inspectors. Endlich nahm er lächelnd und mit hochwichtiger Miene, indem er sich nach allen Seiten umsah und ganz leise flüsterte, die Chablone N o 78, legte sie mit Behutsamkeit auf den Brief, sah sich nochmals um, ob sie auch durch nichts gestört würden, und, da Alles still war, so bückten sich Beide auf den Brief herab und fingen an zu buchstabiren. Folgendes brachten sie nun als den wesentlichen Inhalt der Depesche heraus: I-ch-b-i-t-t-e-u-m-s-e-c-h-s-P-a-a-r-w-o-l-l-e-n-e-N-a-c-h-t-m-ü-t-z-e-n! Indem knarrte nebenan eine Thüre; der Kammerdiener blies das Licht aus und drängte den Schlachtenmaler zur Thür hinaus. Dieser ging leise die Treppe hinunter und fand schon unten im Schloßhofe das ewig gesattelte Courierpferd, auf die wichtige Depesche wartend. Der Kammerdiener erschien, der Brief wurde am Sattelknopf in einer ledernen Tasche befestigt, der schleunigste Ritt wurde noch einmal anempfohlen, der Reitknecht stieg auf, und fort trabte der arme Gaul zur Verwunderung aller Badgäste, die die Fenster öffneten und sich neugierig frugen, was der Courier wohl Wichtiges in so später Nacht noch zu überbringen hätte. Man sah hier gleich des Grafen von Leibrock rastlose Thätigkeit und seinen politischen Verstand.

 


 


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