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Dreizehntes Kapitel.

 

Verleumdungen. Das offene Kriegstheater.

 

Am Morgen einer Schlacht – wer würde da noch so seine Rücksichten genommen haben! Konnte doch Schlachtenmaler ihn wieder schließen – er war freilich mit einer Abendmahlsoblate versiegelt – und ihn (den Brief) immer noch an Blaustrumpf abgehen lassen! Es war auch gewissenlos – wir können die Handlung gar nicht in Schutz nehmen; aber Schlachtenmaler that's, erst an der Seite lauschend, dann auf Namen stoßend, die ihm theuer waren, endlich fest entschlossen und überzeugt, daß ihn das Schicksal in eine Intrigue wollte blicken lassen, die seinem Herzen galt. – Der Brief war erbrochen, und, da noch alles schlief, noch kein Aufbruch der Armee, kein Generalissimus im Anzuge war, wurde er, wie ein Becher voll brausenden Sodawassers, wo man das Versiegen des Schaumes fürchtet, hinunter gestürzt. Er lautete:

»Hochwürdiger Herr und Gönner!

»Die letzten Nachrichten, die ich aus Klein-Bethlehem bekommen habe, versprechen dem dortigen pädagogischen Messias eine bald bevorstehende moralische Auflösung. Es ist nur zu gewiß, daß Blasedow, von seinem Hochmuth und seinen fragmentarischen Kenntnissen hingerissen, sich dem Bedlam näher befindet, als der gesunden Vernunft, und daß er längst den Rasenden zuzurechnen wäre, wenn die Nüchternheit seines Lebenswandels ihn nicht noch vor physischen und diätetischen Ausschweifungen schützte. Seiner Gemeinde wird er bei diesem trocknen, vorsätzlichen Irrsinn fast noch unheimlicher, als wenn er, wie wir leider an Collegen das Beispiel haben, nur in Folge momentaner Ueberladungen mit Speis' und Trank den Verstand verlöre. Wir haben genug solcher Collegen, die dann wenigstens im Zustande der Nüchternheit sich den Ruf guter Kanzelredner zu erhalten wissen, die sehr erbaulich predigen und auf das weibliche Geschlecht nicht ohne beseligenden Einfluß bleiben. Es gibt neologische Geistliche, welche nichts glauben, aber vortreffliche Reden halten, andere, die Weltleute genug sind, zu erklären: Ich predige nicht, was ich glaube, sondern, was die Schrift lehrt! Allein bei Blasedow mischen sich Neologie und Mysticismus ineinander, Sucht nach Originalität und wirkliche Abnahme der Geisteskräfte. Indem er nur seine Ueberzeugungen vortragen will, macht er die Kanzel zu einem schattigen Spaziergange in einer Denkerallee und trägt in die einfachsten Episteltexte Philosopheme hinein, die ihn selbst wohl ergreifen mögen, während sie von seiner Gemeinde nicht verstanden werden. Das neuliche Erntefest, wo in allen Kirchen Gott für seinen Segen gepriesen wird, benutzte er zu einem Gebet um Mißwachs, Hungersnoth und alle sieben egyptische Plagen, weil er behauptete, Gott würde in Trübsal besser erkannt, als in Glück, und die echte Religion würde nur aus dem Schmerze geboren. Dem Orthodoxen gegenüber ist er Ketzer, dem Ketzer gegenüber ein Frömmler. Er sagte neulich zu mehreren Collegen, es wäre ein Privilegium, Ketzer zu seyn: der Atheismus dürfe auch deßhalb niemals eine Religion werden, weil die Massen nur flach, tief nur Einzelne seyn könnten. Die geistlichen Verrichtungen werden von ihm so mechanisch vollzogen, daß er bei den Kindtaufen Knaben und Mädchen verwechselt und manchen Jungen schon Maria getauft hat, als wären wir katholisch. Bei Aufgeboten zerreißt er den Bräuten ihren Jungfernkranz, indem er sie schlichtweg Anna Maria nennt, als wenn sie keine Jungfrauen mehr wären. Stellt man ihn zur Rede, so bekömmt man nichts Anderes zur Antwort, als: Sprachgebrauch, Sprachgebrauch! Bei Leichen spricht er nie zum Herzen der Zurückbleibenden, nie von dem Unglück der elternlosen Waisen; sondern er lächelt dem Himmel zu, dankt ihm für seine neue Liebesoffenbarung und fordert die Umstehenden auf, sich im Herrn recht zu freuen. Ueberhaupt benutzt er die Bibel zu einem ganz eigenthümlichen Christenthum, wie es nie gelehrt worden ist. Er kehrt die Jahrtausende lang bestandene Bedeutung der Verse um und legt einen Sinn in die Vorschriften des Heilands, den dieser mit ihnen nie verknüpft hat. Wär' es nach mir und dem hiesigen Journalcirkelbesitzer gegangen, er gehörte längst nicht mehr zu den Interessenten desselben. Aber, wie ein Narr immer hundert macht, so fanden sich einige wunderliche Käuze im Vierhufen'schen, welche seine Randglossen nicht missen wollten, und erklärten, sie wären nicht auf die Journale, sondern auf Blasedows Commentare dazu abonnirt. So müssen wir ihm noch ordentlich zureden, daß er seine Bleistiftpolemik fortsetzt und jede Nummer der Röhr'schen, Bretschneider'schen und anderer Zeitschriften mit seinen Frage- und Ausrufungszeichen besäet. So oft ein Autor schreibt: immer, z. B. »Es wird sich immer wiederholen,« so unterstreicht er immer und macht Fragezeichen dazu. Ebenso bei nie, zuweilen, manchmal und ähnlichen Assertionen, die man einem Autor doch ruhig zugestehen könnte. Die pietistischen Blätter verfolgt er mit Rationalismen, die rationalen mit mystischen Hieroglyphen. Sie wissen, hochwürdiger Gönner, was wir Beide vom Teufel halten; allein selbst wir, die wir nicht an ihn glauben, müssen doch erschrecken, wenn Blasedow neulich von einem Kupferstiche Veranlassung nahm, ganz wilde, titanisch vermessene Sätze aufzustellen. Einem Journale lag die Copie einer Zeichnung bei, die mich ungemein gerührt, die Alle, welche sie sahen, entzückt hat. Der Teufel spielt nämlich mit einem Jüngling um dessen Seele Schach. Der Knabe spielt mit englischen Figuren, der Teufel mit geilen Fratzenbildern. Der Teufel hat schon die meisten von den Unschuldsfiguren gewonnen; nachsinnend übersieht der Jüngling den kleinen Rest, der ihm noch geblieben; Ist ja eine Zeichnung von Retzsch, bemerkte Schlachtenmaler. Blasedow schrieb unter das Bild: Tugendprahlerei! und hinten auf die Rückseite wörtlich Folgendes: Das Ganze, guter Maler, ist eine Allegorie, und in die Allegorie muß keine andre, die kleiner, winziger ist, hineinspielen; ich meine deine Schachfigürchen, deine Engelchen, deine Böckchen und indischen Phalluspriesterchen. Ferner, guter Maler, wenn du den Teufel kennst, er spielt nie Schach, sondern immer nur Würfel, und, was das Beste an seiner Bosheit ist, er spielt falsch. Es ist seine Natur, falsch zu spielen, aber nicht die Natur des Schachs. Im Schach, du dummer Teufel, läßt sich gar nicht falsch spielen. Der junge Mensch sollte die trockne Moral des Malers nicht durchschauen, und die Schachfigürchen, diese handgreiflichen Symbole, durchschauen? Du dummer Teufel, wenn der Junge verliert, so verliert er freilich seine Unschuld, seine rothen Wangen, seinen Himmel; aber gewinnt er dafür gleich deine Hölle? Deine Hölle bleibt dir ja stehen, Teufel, sonst würdest du nicht gewinnen! Man kann, Gott sey Lob und Dank, seine Unschuld verlieren, ohne darum des Teufels zu werden. Es gibt einen Zustand der negativen Tugend, der, das ist mein Abweichen von der Christuslehre, darum noch nicht das Laster ist. Man kann gegen den Teufel verspielen, ohne darum nöthig zu haben, gleich die Hölle zu gewinnen. Aber zurück auf den moralischen Maler! Wenn der Jüngling gewinnt, wenn er alle die Teufelsfratzen schlägt, eincassirt und nun Wunder denkt, was er hat – sieh', Satan, auch dann hat weder Blasedow, noch einer seiner Söhne nöthig, dir ihre Seligkeit zu lassen: denn im Schach handelt sich's weit weniger um den Gewinn, als um's Spiel. Das Eigne des Schachs ist nicht, was man erspielt, sondern, daß man spielt. Hat der Junge die Fratzen gewonnen, dann hat er die Hölle auch überwunden, sie schadet ihm nichts. Wer nur denkt, und dächt' er selbst nicht an Gott, des Teufels wird er nicht sogleich. Darum ist Goethe's Faust, zweiter Theil, so häßlich, weil dort Faust durch die Gnade in den Himmel kömmt. Faust hat diese Gnade des Herrn von Goethe nicht nöthig; Faust kömmt vielleicht nicht in den Himmel, aber auch nicht in die Hölle. Faust betrügt den Teufel immer, wenn er nur tüchtig philosophirt und Schach spielt. Denken – denken – wer denkt, mit dem hat's gute Wege. Glaubst du, dummer Maler, daß der Teufel mit uns philosophirt, wie man mit einander Schach spielt? Trunken macht er uns, würfeln thut er, und hier noch würfelt er falsch – anders, als durch die Sinnlichkeit, kömmt er uns gar nicht bei, nie durch Gedanken, durch Schachspielen. O, wie kindisch ist da auf dem Bilde die kleine Schachfigur, welche die Tugend vorstellen soll und sich vor Rührung die Augen mit der Schürze wischt! Nein, Malerchen, um den schmucken Jungen hab' ich keine Bange. Gewinnt – oder verliert er: der Teufel kriegt ihn nicht. Sela.«

»Nun frag' ich Sie, hochwürdiger Gönner, welch eine Sprache ist dies, was für Ideen, was für ein Mischmasch! Finden Sie in einem solchen Labyrinth von Worten Logik, geschweige Moral und Grundsätze? Es ist kein Wunder, daß.....«

Hier stockte Schlachtenmaler. Häusliche Verhältnisse, die er längst geahnt hatte, wurden berührt. Das Papier zitterte ihm in der Hand. Das Herz pochte. Nachdem er einige Augenblicke die Hand vor die Augen gehalten, fuhr er fort: »..... daß solche Maximen aus einem Hause kommen, welches vom Unfrieden umzäunt ist und die gelbe Fahne des Hasses aus dem Schornstein stecken hat. Tobianus beschränkter Verstand vermochte es, den überspannten eines Blasedow seit Jahren zu täuschen. Die Frau des Don Quixote steht im Begriff, ihn zu verlassen und es mit dem Andern zu halten, wozu, wenn die Formen beobachtet werden, der Segen der Kirche nicht länger ausbleiben darf. Blasedow, wie man sagt, an Tobianus verschuldet, wagt nicht, sie zur Rede zu stellen; die Frau macht kein Hehl davon, daß sie geboren sey, um einer häuslichen Wirthschaft, die ihren Zank, aber auch ihre Sonntagsküche und ihre Weihnachtsfreuden hätte, vorzustehen. Sie findet dies bei Blasedow um so weniger, als ihre vier Söhne in der Hauptstadt leben und, wie sich Blasedow einbildet, von keinerlei häuslicher Zumuthung in ihren großen Anläufen zur Unsterblichkeit gehindert werden dürfen. Das Herz der Kinder ist der Mutter durch Blasedows Narrheit entfremdet; so steht sie allein und sucht, was sie ja bei Tobianus finden kann. Ob nun alle diese Vorgänge geeignet sind, dem religiösen Leben in meiner nächsten Umgebung Vorschub zu leisten, ob es nicht höchste Zeit ist, Blasedow einstweilen seiner geistlichen Functionen zu entheben und mir, bis auf weitern Entscheid, seinen Sprengel als Filial zuzutheilen, das zu entscheiden, überlasse ich Ihrer Einsicht, hochwürdiger Gönner, und nenne mich, wie immer, Ihren in Leben und Tod dankbaren Verehrer und Schüler

Geigenspinner,
Pfarrer in Mispelheim.«

Dem heiligen Stephanus, der doch darum gesteinigt wurde, mochten die Lästerzungen der gegen ihn auftretenden falschen Zeugen nicht so peinlich gewesen seyn, als Schlachtenmalern diese gleißnerische Wolfshirtenpredigt eines Geistlichen. Daß er den Brief zerriß und, da er unfrankirt war, die Postverwaltung des Landes um einige Groschen, sich aber, wenn es entdeckt wurde, um einige Jahre Freiheit brachte, kümmerte ihn wenig. Der beginnende Lärm des Aufbruchs, die Trommeln und Querpfeifen, die Fanfaren des Stabstrompeters legten seinem Ingrimm die passenden Noten und Töne unter; er fühlte jetzt, wie grausam man im Lärm kriegerischer Instrumente werden kann, und wie gewisse Trompetenmärsche nur erfunden sind, um mit mehr als Muth, um fast mit Blutgier in den Feind zu stürzen. Celindens Morgengruß, der heute sich wie ein langer Klingelzug ausnahm, indem sie um tausend Hülfeleistungen in dem anbrechenden Gewühle schellte, kümmerte ihn so wenig, wie Sophiens zweideutiges Lächeln: er wußte recht gut, daß die Frauen nie charakterloser sind, als wenn sie Männerschutzes bedürfen, nie schmeichlerischer, als wenn sie Furcht haben. Sophiens lockendes Girren konnte er nur mit gleichem, aber höhnischem Lächeln erwidern. Obgleich heute geschossen wurde, und die beiden Lunten zu den Kanonen schon lustig im Dorfe brannten und einstweilen noch, bis zum Beginn der Feindseligkeiten, als Fidibus für holländische Thonpfeifen dienten, so dachte doch Schlachtenmaler nicht, sich in die bombenfeste Kutsche zurückzuziehen. Wäre der Feldzug nur ernstlich gemeint gewesen, er hätte sich als Freiwilliger gern einreihen lassen, um sich nur auf unschädliche Weise (unschädlich für seine Umgebung) seines Ingrimms zu entleeren! Der Verlust des Operationsplans ließ ihn hoffen, daß sich vielleicht doch noch eine Collision entspinnen dürfte, wo eine äußere Verwirrung die innere heilen könnte.

Indeß sah man ja den Generalissimus nicht! Das jenseitige Lager wurde lebendig, erst wie ein Schlaftrunkener, der sich noch einige Male im Bette dreht und wälzt, bis er aufsteht, dann wie ein Gähnender und in aller Eile seine Toilette macht, endlich, wie wenn die Fenster aufgerissen werden, und man die Hand hinausstreckt, um zu sehen, was für Wetter ist. Auf einige Raketen, die drüben aufflogen und trotz der feuchten und regnerischen Luft (die uns ja immer stört, wenn wir einmal etwas Ordentliches vorhaben!) einen angenehmen Effect machten, antworteten die Unsrigen mit gleichem Gruße. Hätte es in den französischen Revolutionskriegen nur gut gethan, so würden auch hier zwei Luftbälle sich erhoben haben, um die feindlichen Stellungen zu übersehen! Die Truppen standen in Reih' und Glied schon im Dorfe aufgestellt, öfters genöthigt, dem auf die Waide getriebenen Vieh Platz zu machen: denn es war ausdrücklicher Befehl, daß die Armee weder Ackerbau, noch Viehzucht, diese Quellen der Landeswohlfahrt, stören und trüben durfte. Da drüben hörte man die fürstlich Vierhufen'sche Capelle, die heute in Uniform gesteckt war, einige Couplets aus dem Barbier von Sevilla spielen; vielleicht rasirt sich der Feldherr noch, dachte man. Da aber die Pferde sich vor Muth den Gaumen auf den Kandaren zerbissen, und die Infanterie schon so lange stand, daß alle Augenblicke Einer aus dem Glied treten und seine Nothdurft verrichten mußte, so wurde jetzt beschlossen, bei dem Hauptquartier einmal leise anzupochen und dem Feldherrn ein: Wohlgeruht? zuzurufen. Einige Officiere vom Stabe betraten den Vorplatz seines Zimmers – kein Laut – sie traten ein und erstaunten, den Generalissimus noch im Hemde zu treffen, bei heruntergebranntem Lichte und wie eine Versteinerung in einem großen Quartanten lesend. »Herr Obrist!« rief man leise, fürchtend, die Gestalt möchte, wie einst vor Gallieranruf der römische Senator, in Staub zerfallen..... Gespenstisch wandte er sich zurück, gläsern blickte er den Generalstab an, sah zum Fenster hin und erstaunte, daß es schon so zeitig sey. Wer das Leiden mit dem Manne sah, hätte weinen mögen: der Verlust des Operationsplans hatte ihm selbst den Kopf benommen; doch lächelte er ironisch, wie es die Art Geistesabwesender ist, und winkte blinzelnd dem Quartanten zu, der auf dem Tische lag. »Glücklicher Fund,« stieß er in seiner kurzen Manier ab – »angenehmes Zusammentreffen, sehr angenehmes – Höhere Fügung, reiner Zufall; Folards, Ritter Folards, Ritter Folards Commentars zum Polybius, angenehmes Zusammentreffen; die ganze Nacht – sehr, sehr willkommen!« Der Generalstab zog nun dem Generalissimus die Stiefeln, Hosen und Rock an. Er hätte, indem er ihm den Degen umschnallte, weinen mögen: denn der große Feldherr hatte die Nacht über alle Schlachten der Macedonier gegen den achäischen Bund als Freiwilliger mitgemacht; er hatte den Kopf so voll schiefer und keilförmiger Schlachtordnungen, so voll thebanischer und atheniensischer Finten, daß es einer Tasse Kaffee bedurfte, um den Generalissimus aus den Umarmungen des Epaminondas zu reißen und wieder in die mittlere und neuere Geschichte zurückzuführen. Mechanisch wurde der Feldherr auf sein Roß gehoben. Mit unheimlichem Lächeln ritt er an jedes Regiment heran und grüßte es. Endlich hieß es: Rechts schwenkt! Der Zug setzte sich in Bewegung, und Allen denen, welche wußten, daß dem Generalissimus nach dem Verlust des Operationsplans wenig zu trauen war, schlug in ängstlicher Erwartung das Herz. Nur Schlachtenmaler war guter Laune aus Vergnügen sowohl, wie aus Aerger. – Die ersten Aufzüge des sich jetzt hier auf Stoppelfeldern und drüben auf der Gemeindetrift entwickelnden Kriegsschauspieles liefen trotz der Plan- und Kopflosigkeit der diesseitigen Bewegungen zu allgemeiner Freude ab. Tausende von Zuschauern aus den umliegenden Dörfern und Städten hatten sich eingefunden und bewunderten die graziöse Art, wie sich die beiden Armeen auswichen und begegneten. Es war ordentlich ein Menuett, das die beiden Parteien gegeneinander tanzten, und wer hätte nicht in seinem Leben einmal, ohne je tanzen gelernt zu haben, doch eine Française und Quadrille mitgetanzt! Bot der Fürst von Vierhufen, der seine Armee selbst befehligte, dem Generalissimus die Hand, so ergriff sie dieser aus natürlichem Instinct und rückte in die Stellung hinein, die die Feinde eben verlassen hatten. Schlugen sie drüben Pirouetten, so machten sie sie hier nach. Verschränkten sich die Paare, hob der Fürst von Vierhufen gleichsam den Arm in die Höhe, so schlüpfte die Sayn-Sayn'sche Armee hurtig darunter weg, und jedes Corps tanzte mit Würde und Geschmack seinen Pas ab, die Trompete klatschte gleichsam, und – rechts um! die Tänzer standen sich wieder gegenüber und avancirten, glissirten, marschirten, chargirten. Der Fürst von Vierhufen war in der Kriegsquadrille gleichsam die Tänzerin, die ihren etwas schwerfälligern Galan immer mit einem energischen Druck auf den Posten hinstellte, wo er stehen mußte. Kam dann die Partie an den Generalissimus, nun auch Solo zu tanzen, so benahm er sich freilich dabei etwas linkisch und machte sein Debut weit mehr im Gehen, als im Springen ab.

Mit einem Worte jedoch, die beiden ersten Aufzüge des Kriegsdrama's entwickelten sich zu beiderseitiger Zufriedenheit. Der Fürst von Vierhufen schickte auch nach Beendigung desselben seine goldene Tabaksdose aus Höflichkeit zum Generalissimus hinüber und ließ diesem eine Prise anbieten. Es geschah dies ordentlich mit einem Parlamentär, dem sie die Augen verbunden hatten, und einem Trompeter, der aber bei den Vorposten zurückbleiben mußte. Der dritte Aufzug begann, und dieser erforderte schon eine verstärkte Aufmerksamkeit, da dabei geschossen wurde. Indessen waren es doch dieselben Touren, die man hier nur wiederholte. Es war eine Art Fackeltanz, zu dem vier Kanonen den Tact schossen. Schlachtenmaler saß auf einem Baume und zeichnete jetzt mit Leidenschaft. Das Pelotonfeuer zuerst, dann die Salven und die tactgemäßen Chargen gaben der Menuett jetzt einen prächtigen Effect. Aus der bombenfesten Kutsche, die in der Nähe stand, lachte Sophie über das Schießen, wie ein Kobold, Celinde lächelte auch, aber aus Furcht, es möchte ein Unglück geschehen. Da Alles so bunt und keck einherging, und solch ein Höllenlärm gemacht wurde, grüßte sie auch Schlachtenmalern einige Male freundlichst, so daß er sich lachend gestehen mußte: »Sie denkt, nun geht die Welt unter!« Den Pulvergeruch schlürfte er wie ein Arom ein. Und, da das Schießen einhielt, weidete er sich noch lange an den phantastischen Verschiebungen, in welche der Rauch gerieth, bis er sich verzogen hatte. Es war so viel geschossen worden, daß sich die Regenwolken vertheilten, und ein heiterer Abend zu erwarten stand.

Die Pause vom dritten zum vierten Act dauerte, eines im Stehen eingenommenen Frühstücks wegen, etwas länger; aber zu dem Pfeffer, welchen der Generalissimus zu seinem Schinken nahm, kam die Prise des Fürsten von Vierhufen doch sehr zur Unzeit hinzu. Es war nämlich diesmal nicht die goldne Dose, die ihm der Feind schickte, sondern eine gefällige Bitte, in seine Bewegungen doch ein wenig mehr Präcision zu legen! Himmel, der Obrist ließ das Taschenmesser fallen, als ihm der Parlamentär diese Prise anbot, und er hatte nicht eine Sylbe im Rücken, als der Parlamentär, dem glücklicherweise für die blassen Wangen des Generalissimus die Augen verbunden waren, fortfuhr: Es könne zwar den fürstlich Vierhufen'schen Truppen nur zur Ehre gereichen, daß sie in ihren Manoeuvres adretter wären, als die jenseitigen; doch fürchte Seine Durchlaucht, daß der Feind, durch zu große Schonung seiner selbst, etwas im vierten und fünften Act bezwecke, was gegen die diplomatisch vermittelten und durch einen förmlichen Rastadter Congreß festgesetzten Operationen verstieße. Bei dieser Wendung erholte sich der Feldherr: denn es machte ihn stolz, daß der Fürst sein Zögern und blindes Tasten für Fabius-Cunctator-Klugheit hielt und ihm jetzt den Parlamentär schickte, um zu bemänteln, daß der Feind sich in den drei ersten Acten gleichsam schon heiser gesungen hätte und nun erst recht an Präcision übertroffen zu werden fürchtete. Der Obrist gab, als officiell, eine ausweichende Antwort und nahm sich vor, den Operationsplan durch sein Genie zu ersetzen und, sollte er in Ungnade fallen, wie die Urheber der Schlacht von Navarin, sich damit zu trösten, daß er Polybius erst kürzlich und Montecuculi längst studirt hätte. Er vergaß dabei, daß der Feind, nun auch schon ermüdet, immer den Vorsprung eines consequenten Planes hatte, und daß ein in stiller Muße entworfenes Gedicht doch immer die interessanteste Improvisation übertrifft.

Das kleine Mißverständniß schuf größere. Wir stehen am Vorabend großer Ereignisse und werden für das politische Gleichgewicht zweier, durch ihre Enclaven fast zur Eintracht verpflichteter Staaten schwere Besorgnisse hegen müssen. Gegen die ersten Scenen des vierten Actes, der hauptsächlich der Lehre von den Quarrés gewidmet war, ließ sich noch nichts Erhebliches sagen. Der pythagoräische Lehrsatz wurde recht anständig von den Truppen bewiesen: sie verwandelten sich in Katheten und Hypotenusen, sie verlängerten sich mit Gewandtheit in Parallelogramme und verschoben sich mit Geläufigkeit in die auffallendsten Parallelepipeda. Die einfache Planimetrie der Stellungen und Bewegungen ließ dem Fürsten von Vierhufen nichts zu wünschen übrig, wenn er auch gestehen mußte, es wär' ihm, als hätte der Feind manchmal seine Lection vergessen und schlüge erst rasch im Euklides nach, wie viel Seiten das Quadrat hätte. Nun kam aber die Reihe an die in einer zum Theil doch etwas schiefen Ebene angebrachte Curvenlehre. Jetzt fingen jene prächtigen Schwenkungen und kreisförmigen Bewegungen an, und hier war es, wo der Feind Unrath merkte. Die Sehnen und Tangenten wurden vom Generalissimus gleichsam mit zitternder Hand gezogen. Das Gefühl des Mittelpunktes, des unverrückbaren, den alle seine Schwenkungen haben sollten, verließ ihn, und die plötzlichen Wendungen der Flügel, die Flankenangriffe konnten schwerlich zu etwas Gutem führen. War ein Kreisausschnitt zu bilden, so übersah er die Sehnen und machte sie größer, als die Peripherie duldete. Sollten zwei Kreise sich berühren, so maß er den Durchmesser des Fürsten nicht ab und nahm den seinigen bald zu weit, bald zu eng und durchschnitt die Bewegungen desselben, statt sie nur leise zu berühren. Parallaxen- und Parabelbewegungen, Ellipsen und spiralförmige Märsche in der Ebene wurden schon mit einer Verwirrung ausgeführt, wo der Fürst immer noch nicht wußte, sollte er sie dem schlechten Exercitium des Feindes oder einem böswilligen Bruche der Verträge zuschreiben. Er war im Völkerrechte ungemein kitzlich und schüttelte so oft den Kopf, daß seine Generäle sich verwunderten, wie er die Geduld hätte, nicht auf der Stelle den Rückzug blasen zu lassen. Die Truppen waren ermüdet und wurden es auch, durch die unaufhörlichen Fehler des Feindes gegen die Curvenlehre, unnützerweise. Der Generalissimus seinerseits hing kaum noch an einem Seidenhärchen am Leben. Er sah alle die Fehler ein, die er machte, und commandirte mit derselben Verzweiflung, wie ein Schauspieler declamiren würde, dem der Souffleur ausbleibt. Er ahnte, daß es bei dem planlosen Verfahren, wie er den Cirkel der Taktik ausspannte und links und rechts Striche und Ovale ohne Zusammenhang zog, zu einem gefährlichen Zusammenstoße kommen mußte, und fiel ohnmächtig vom Pferde, als dieser Moment eintrat. Nämlich die Cavallerie hatte einige Solo-Manoeuvres auszuführen, auf welche sich der Fürst von Vierhufen seit einem Jahre schon gefreut hatte. Es handelte sich um geschickte Schwenkungen, zu denen bald der Radius, bald der ganze Durchmesser der zu beschreibenden Kreisangriffe und Kreisvertheidigungen genommen wurde. Es kam darauf an, daß die beiden Regimenter immer dicht aneinander vorbeisausten, ohne sich zu treffen. Hier geschah es nun, daß Generalissimus das ganze Kartenspiel zusammenschüttete und einen Fehler machte, bei welchem Blut floß, wenigstens aus dem Maul einiger hartgetroffenen Pferde und der Nase einiger Reiter dies- und jenseits. Er hatte so eben die Aufgabe zu lösen, eine Radiusbewegung durchzuführen, und nahm, darin lag das Unglück, statt dieser den ganzen Durchmesser. Die Halbcolonne würde die Flankenbewegung des Feindes nur leise gestreift haben; aber die ganze Fronte, die er mit verhängtem Zügel ansprengen ließ, prallte so heftig gegen den linken Flügel des Feindes an, daß Mann gegen Mann fuhr, Pferd gegen Pferd sich bäumte, einige Reiter stürzten, und die beiderseitigen Corps in eine Verwirrung geriethen, die dem Generalissimus das Bewußtseyn benahm und dem Fürsten von Vierhufen jetzt die ganze abgekartete Intrigue, den treulosen Völkerrechtsbruch, die Verhöhnung einer diplomatischen Convention einleuchtend machte. Während noch die beiden demoralisirten linken Flügel sich auseinander warfen, die Verwundeten ihre blutigen Nasen wischten, die aus dem Sattel Gehobenen nach den verlornen Steigbügeln angelten, kopfüber gestürzte Tschakos mit genauer Noth wieder aufgestülpt wurden, und einige Scharfschützen, die, um den Feind desto besser auf's Korn zu nehmen, Brillen trugen, in den thränenden Augen wischten, ob ihnen auch keine Splitter von den zerschmetterten Gläsern hineingekommen: blies man schon drüben zum Rückzug. Alle Corps wurden schnell eingezogen, die künstlichen Feindseligkeiten mit wirklichen vertauscht, die Verhandlungen über ein zufälliges Mißverständniß gänzlich zurückgewiesen. Der jenseitige Fürst schnob Rache und gab sich nicht eher zur Ruhe, bis man ihm sagte, daß es noch ein Glück wäre, bei Zeiten das falsche Spiel entdeckt zu haben. Der Justizminister schlug eine Stelle aus Hugo Grotius de jure belli et pacis auf, und das diplomatische Corps, welches sich mit den Damen des Hofes in der Nähe des Lagers befand, bekam schnell einige Noten über das treulos verletzte Völkerrecht. Der Sayn-Sayn'sche Gesandte wurde auch gleich nicht mit zur Tafel gelassen (denn es war drei Uhr, und zum Essen Alles so vorbereitet, daß man dies doch noch mitnahm), und, da der Diplomat zu verhungern fürchtete, so mußte er seine Beglaubigungsschreiben zurücknehmen und in das Lager der Seinigen fahren, wo er den Generalissimus mit Vorwürfen überschütten wollte, während ihn aber schon der ganze Generalstab mit Wasser beschüttete, um ihn aus seiner Ohnmacht zu erwecken. Es war ein schmerzlicher Anblick, wie sich der siegreiche Feldherr allmählich erholte und in der That die ihm tödtliche Nachricht bestätigt bekam, daß er das Schlachtfeld behauptet hätte. In dem Xenophontischen Rückzuge hatte er seine Stärke gesucht und sie da gefunden, wo sie den Verträgen, der Etikette, dem geleisteten Schwure widersprach! Der Gesandte fertigte sogleich einen Courier nach Kaputh ab und hätte wohl noch damit warten können: denn einmal war es gar zu grausam gegen den Generalissimus, seine Streiche gleich anzuzeigen, und sodann kam auch eben noch ein außerordentlicher Bevollmächtigter von drüben, der den Auftrag hatte, alle die Vortheile und wenigstens die Verhandlungen darüber aufzuzählen, die nun der Sayn-Sayner Hof bei dem Vierhufener verwirkt hätte. Abgebrochen und einseitig entschieden war nun hiemit erstens die Agnaten-Frage. Der Fürst von Vierhufen erklärte, seine agnatische Zustimmung zu dem neuen Sayn-Sayn'schen Hausgesetze nun und nimmermehr geben zu wollen. Eine gewisse Ehe, die sich einer ihrer Ahnen im sechzehnten Jahrhundert erlaubt hätte, könne er nun keineswegs für legitim halten; das Inventarium des Familienschatzes, welches bei dem Tode des Urgroßvaters der jetzt regierenden Durchlaucht von Sayn-Sayn aufgenommen wäre, schiene ihm jetzt ganz mangelhaft: da fehlten zwanzig Schweizeruhren des verstorbenen Familienhauptes und eine besonders, die einen immerwährenden Kalender auf dem Zifferblatt gehabt hätte; da fehlten viele Duzende von Servietten, sämmtliche Hüte des Seligen, da es bekannt war, daß er immer zweiundfünfzig im Gange hatte, alle Woche einen anderen; es fehlte ein berühmter Bettwärmer von massivem Silber, den ein Schüler Benvenuto Cellini's mit allerhand Künstlichkeiten ausgelegt hätte, eine große Wildschur von Eisbärenpelz, drei stark vergoldete Nachttöpfe, und den berühmten chinesischen Puppen, die der Selige so gern um sich gehabt hätte, wären ja alle die diamantenen Augen bei seinem Tode ausgestochen gewesen! Das Inventarium werde nicht anerkannt, das Hausgesetz bleibe ohne agnatische Zustimmung. – Zweitens die Enclavenfrage mit dem Zollanschlußprojecte. Der Souverain von Vierhufen wolle nun keinen Austausch der Enclaven. Die Zersplitterung seines Landes wäre ihm jetzt gerade lieb, weil er im Sayn-Saynschen festen Fuß damit fasse. Die kleine Felsengrotte im fürstlichen Park von Kaputh, die ihm gehöre, wolle er nun keineswegs austauschen, sondern im Gegentheil eine kleine Caserne und Casematte daraus hauen lassen, um auf Schußweite dem Herrn Vetter immer nahe zu seyn. Den bezweckten Ausbau eines Flügels vom Schlosse werde er auch nicht zugeben, weil dadurch ein Gartenbeet verletzt würde, welches zwar nur sechs Fuß lang und drei breit wäre, aber seit Jahrhunderten ihm und seinen Ahnen gehörte und noch von der Zärtlichkeit einer Urgroßmutter herrührte. Die Zollvereinigung werde der Souverain eben so wenig bewilligen, wie sich das Recht entziehen lassen, in seine Enclaven sowohl eine freie Militär-, wie Handelsstraße zu haben. Auf jenem Beete im Park des Fürsten von Kaputh solle das Pfund Zucker nach wie vor drei Kreuzer weniger kosten, als sechs Schritte davon. Endlich drittens würden sie sich in keinerlei neuerdings verlangte Administrativgegenseitigkeit einlassen. Die körperliche Züchtigung der Verbrecher würden sie nicht abschaffen, würden sich nicht die Verbrecher der Umgegend damit auf den Hals laden, die, wenn es zum Fangen kömmt, am liebsten sich da abfangen ließen, wo eine mißverstandene Humanität ihnen den Willkomm und Abschied erspare. Den neuen, durch allerhand Moralitäten verwässerten Mispelheimer Kalender würden sie im Vierhufen'schen nicht zulassen, sondern sich lieber den »Frankfurter hinkenden, aber nicht stolpernden Boten« verschreiben, um den Unterthanen zu zeigen, wie hoch's an der Zeit ist, und wann der Mond aufgeht. Sayn-Sayner unfrankirte Briefe würden sie nicht durch ihr Gebiet lassen, sondern im Vierhufen'schen selbst erst bestimmen, was für einen jeden, der das diesseitige Gebiet passirt, nach dem Gewicht zu bezahlen ist. Wild, das sich auf diesseitiges Gebiet flüchte, gehöre dem Souverain von Vierhufen, und, wenn sich die Parforcereiter erlaubten, einen Hasen, der sich zu ihnen flüchte, zu verfolgen, so würden sie die Herren, statt – wie sonst im Völkerrecht üblich – nur mit Schrot, bei ihnen von jetzt an mit Rehposten zurücktreiben. Man würde eine Grenzlinie zwischen beiden Gebieten bis tief in die Erde ziehen, damit der Bergbau sie unter der Erde nicht überschritte. Genug, die Vierhufen'schen Wasser-, Forst-, Jagd-, Berg-, Salz-, Fluß-, Fähr- und Fischereiregalien, keines sollte sich ferner noch einem freundnachbarlichen Verhältnisse anbequemen, geschweige, daß von Trauringen, fürstlichen Brautportraits und neuen Verschwägerungen die Rede seyn könne. Der Gesandte empfahl auch den Generalissimus, der, wie ein halbtodter Widerspruch, wie der geschlagene Varus auf seinen Arminiuslorbeeren lag, der Sorgfalt des Generalstabs und reiste schnell nach Kaputh ab, um den traurigen Erfolg dieses inzwischen schon berühmt gewordenen Kunstmanoeuvres zu berichten. Bis auf Weiteres blieb die Armee in dem Dorfe, und der Baron von Höllenstein behandelte sich selbst wie einen Staatsgefangenen. Den Degen hatte er immer in der Hand, um ihn gleich ausliefern zu können, wenn ein Courier seines Fürsten von Kaputh ankäme.

Schlachtenmaler hatte auf seinem Baume der Entwickelung dieser merkwürdigen Kriegsfarce mit Theilnahme zugesehen und erst da am lebhaftesten gezeichnet, als die Verwirrung der Stellungen anfing, und die Montecuculi'schen Parallelepipeda nicht recht sich schließen und öffnen wollten. Bald aber sollte für ihn eine Scene eintreten, die ihn aus diesem interessanten Zusammenhang mit der Weltgeschichte aufschreckte. Nämlich Celinde, die das Unglück der zusammenstoßenden Cavallerie verpaßt hatte, blickte mit großer Theilnahme auf die zahlreichen Zuschauer, welche sich am Rande des Schlachtfeldes aus umliegenden Städten und Dörfern versammelt hatten. Besonders fiel ihr ein kleiner Wagen auf, der von einem wahrscheinlich geistlichen Herrn gefahren wurde, der eine schon ältliche Frau neben sich sitzen hatte. Die Frau, die in ihren Urtheilen zwar vielen Verstand, aber wenig Gefühl und noch weniger Bildung verrieth, fing, als die Truppen sich verspielten, an, den im Baum sitzenden Schlachtenmaler zu mustern und von so verschiedenen Seiten zu besehen, als seine gebückte Haltung, indem er zeichnete, gestattete. Sophie hatte nur Augen für die Soldaten; doch schreckte sie plötzlich der Ruf des geistlichen Herrn auf, der in den bombenfesten Kutschenschlag blickte und seine Tochter erkannte. Tobianus war zu stark und seinen Pferden nicht zu trauen, sonst hätte er schon in den Armen seiner Tochter gelegen. Celinde, die mit Recht das Wiedersehen der Eltern und Kinder für eine Feierstunde der Engel hielt, drängte Sophien zum Wagen hinaus. Indem hatte aber die Frau neben Tobianus den Schlachtenmaler erkannt und rief, indem dieser, da ja nun der Vorhang des Drama's gefallen war, vom Baume sprang: »Oscar, mein Sohn!« Jetzt war Celinde von ihren Gefühlen überwältigt, sie lachte freudig auf; und verließ hurtig den Wagen, um sich von diesen Himmelsscenen nichts entgehen zu lassen. Schlachtenmaler kam heran; Gertrud, seine Mutter, breitete die Arme aus und trug sogar einen Hut, was früher ihre Mode nicht war; sie schickte sich an, von Tobianus bekannter Kalesche herunter zu klettern; doch Schlachtenmaler, den Mann in so engem Verhältniß mit seiner Mutter sehend, den Geigenspinner'schen Brief bedenkend und die zerrissene, einsame Lage seines unendlich geliebten Vaters sich vorstellend, fühlte in dem Momente einen Zorn in sich auflodern, daß er es für die redlichste Erfüllung seiner Kindespflicht hielt, die Beine in die Hand zu nehmen und hurtig davon zu laufen. Als Gertrud ihn querfeldein laufen sah, fing sie zwar nicht zu weinen, aber doch zu schluchzen an und machte, wahrscheinlich von echtem Gefühl über ihr Unglück gefoltert, einen Lärm, als sollte ihr einziger Sohn unter die Recruten gesteckt werden. Celinde suchte sie mit der wunderlichen Natur ihres Sohnes zu trösten, war aber selbst von seiner Herzlosigkeit so empört, daß sie ihn von Stund' an verachtete. So sanft ihr Sinnen war, jetzt hätte sie wünschen können, daß sich der Himmel an dem gefühllosen jungen Mann rächen möchte.



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