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Neuntes Kapitel.

 

Moderne Literatur. Morgen- und Abendroth.

 

Als die Kämpfer ermattet vom Streite ruhten, und sie in Gruppen, mehrere Töpfe Wassers aber in Strömen hingegossen lagen, während ein unglücklicher Fall noch überdies Breche in die Tapete gelegt hatte, und der Polyhymnia noch immer die fehlende Nase blutete; während die Brüder sich jetzt erst mit abgekühltem Humor und in Hemdärmeln den Zusammenhang der künstlichen Hinterwand und der gespenstischen Nase erzählten, und nur die vor einer ersten Sängerin erlebte Demüthigung von dem musikalischen Referenten bedauert wurde, öffnete sich wieder die Thür des Redactionsbureaus und einige mattangelaufene Knöpfe eines blauen Fracks blinkten durch die künstlichen, aber zufälligen Schießscharten der Tapetenwand hindurch. Saßen sie doch wie Krieger in massiven Casematten, ruhigen Blicks den eintretenden jungen Herrn von Lipmann erwartend, den sie nicht einmal besonders würden bewillkommt haben, selbst wenn sie ihn gekannt hätten. Guido von Lipmann war ein jüdisches Reis, das durch Erziehung, Glück und eigne Neigung sich auf das Christenthum hatte pfropfen lassen, oder er war eigentlich ein Herz- und Judenkirschenbaum, der aber nichts als christliche Passionsblumen trieb. Er konnte über Raphael und den heiligen Christ zu Weihnachten sprechen, wie der Dichter Novalis. Die Romantik und das Sanskrit hatte er trotz Schlegel und den indischen Elephanten los, und mancher belletristischen Zeitschrift hatte er schon Sonnettenkränze gewunden, auch Minnelieder gesungen, was ihn auch bei allen Herausgebern solcher Blätter beliebt machte, da er ehrenhalber kein Honorar nahm. Guido von Lipmann gehörte zu jenen jüngern Juden, die mit dem orientalischen Feuer ihres Blutes schon die germanische Gefühlstiefe verbinden. Er hüpfte von Palmen auf deutsche Eichen hin- und herüber und warf dabei die Vorübergehenden bald mit den duftenden Blumen der Sentimentalität, bald wohl auch einmal mit den faulen Mispeln der Satire. Verstand und Phantasie berührten sich bei ihm in Punkten, wo alle Lehrbücher der Psychologie nur von der weitesten Entfernung wissen wollten. Guido von Lipmann war auch schon um so mehr über die Emancipation der Juden hinaus, als er erstens allerdings getauft und, wenn er wollte, Referendarius war, zweitens aber seinem Vater nicht Unrecht geben konnte, der in seiner kalten Manier ja immer schon sagte: »Wer nur Geld hat, braucht nicht zu werden emancipirt!« Guido war, wie gesagt, ein so leidenschaftlicher Christ, wie nur Felix Mendelsohn-Bartholdy, und es war längst seine Devise gewesen, daß es nur eine Emancipation gäbe, nämlich die, sich taufen zu lassen. Schlachtenmaler wird Noth mit ihm haben: denn hatte er nicht in Nro. 3 seines Blattes einrücken lassen: »Wer hätte geglaubt, daß die Juden noch einmal den Golgatha zu ihrem Parnaß machen und sich aus dem Kreuze Christi Pinselstöcke schneiden würden, wenn sie anfangen, Madonnen zu malen!«

Schlachtenmaler erhob sich aber gar nicht, weil ihn sein geschundenes Antlitz ärgerte. So wandte sich denn Guido von Lipmann an Amandus und fragte ihn: ob er sich seiner wohl noch erinnere? Freilich war er mit seinem Vater, dem Hofagenten, öfters durch Klein-Bethlehem gekommen, wenn sie nach der Neige fuhren und dort Wechsel präsentiren wollten, wo der Hofagent immer einen Zeugen brauchte: »denn,« sagte er, »der Graf ist der größten Verbrechen fähig; wer stellt mich sicher, daß er nicht meinen Wechsel nimmt, ihn in den Mund steckt und verschluckt?« Amandus aber sagte: »Gott, wie haben Sie sich verändert!« »Ich war auf Reisen,« entgegnete Guido von Lipmann, »und finde es sehr angewandt, daß Sie Ihre Bestimmung zum Bildhauer mit dem Journalismus vertauscht haben. Glauben Sie mir, ich habe in Liverpool einer Sitzung der British Association beigewohnt, wo ein Gelehrter einen kleinen Napoleon zeigte, den kein Schüler Canova's, sondern eine einfache Drechselbank hervorgebracht hatte. Der Marmorblock kommt nach allen vorher zu bestimmenden Richtungen einem höllischscharfen Messer in die Quere, und, wenn der Mechanicus vorher alle Walzen und Räder passend eingefugt hat, so brauchen Sie nur einen Drehorgelmann, der Ihnen in kurzer Zeit so viel medicäische und belvederische Götter zaubert, als nöthig sind, um einen Park vollkommen damit auszuschmücken.«

Guido von Lipmann setzte sich nun und behauptete, daß von allen Künsten nur die Poesie unfähig sey, durch Mechanik hervorgebracht zu werden. Er wäre auf seinen Reisen vor dem immer mehr um sich greifenden Geist der äußerlichen mechanischen Zusammensetzungen geflohen, die Fabriken und die Sonntagsschulen hätten ihn angeekelt, und, wenn alle Künste schon so gesunken wären, daß sie ihre Jungfräulichkeit an die Macht der Dämpfe verkauft hätten, so wäre die Poesie doch die einzige, die sich ihre Keuschheit in allen Ländern erhalten hätte. Und, wenn die Bildhauer, Maler und Ingenieure das Christenthum untergehen ließen, so würde die Poesie jener Joseph von Arimathia werden und das Kreuz des Herrn tragen .....

Amandus war nun froh, daß Guido von Lipmann Nro. 3 noch nicht gelesen hatte, und ängstigte sich erst (da der Gast wirklich abonnirt hatte), als Schlachtenmaler anfing und ohne alle Ironie folgende Worte unter dem blutigen Schnupftuche hervorfallen ließ: Wenn es gegen den so mächtig hereinbrechenden Materialismus einen Widerstand gebe, so könne er nur von dem combinirten Germanen- und Judenthum ausgehen. Was Moses und Tacitus von beiden Völkern geschrieben hätten, wäre ihnen noch immer gegenwärtig: heilige Scheu vor dem Unsichtbaren, Verachtung des rohen Stoffes, Mißtrauen gegen das bloß Natürliche. Es wäre eine eigene Ironie des Weltgeistes, daß sich hauptsächlich die Juden an die Spitze der neuern industriellen Unternehmungen stellten und dadurch das Geld gewännen, für welches ihre Kinder Generalbaß studiren und Bach'sche Fugen und Orlando Cassi'sche Messen componiren lernten. Wäre nicht schon der Papierhandel ein Idealismus von überfliegenderer Art, als die Lehre des Duns Scotus, und hätte Plato's Timäus wohl eine so imaginäre Stelle aufzuweisen, wie jeder Börsentag der Frankfurter Courszettel? Alle romanische Völker, ja, selbst die Engländer, geschweige die Nordamerikaner, wechselten das Gold ihrer Naturanlagen in das leichte Courant der Abstraction aus; nur die Deutschen und die Juden schienen die Bestimmung zu haben, das Gemüth unter allen Umständen als die Pforte des Himmels nicht verschütten zu lassen; ja, wenn selbst nicht geleugnet werden könne, daß auch die Deutschen nun mannigfach von den Eisenbahnen angesteckt wären, und unsere Träume sich so selig in der Vorstellung möglichst bei uns zu entdeckender Steinkohlenlager wiegten, so möchten zuletzt wohl gerade nur noch die zerstreuten Juden die Bestimmung haben, die Künste in der Welt aufrecht zu erhalten und die Priester aller übrigen Religionen und Literaturen zu werden.

Guido von Lipmann war in der That Dichter genug, um nicht an der Idee, daß die Juden der poetische Sauerteig Europa's und die Garantie des Supranaturalimus seyn dürften, nur das Süße, nicht des Schlachtenmalers Bitterkeit zu schmecken. Er arbeitete ja im Stillen – bis auf einige schon in Almanachen abgedruckte Fragmente – an einem Ahasver, und, da er Kunde hatte, daß zwei junge Dichter, Namens Schmeißer und Püsser, sich schon zur Bearbeitung desselben Stoffes vereinigt hätten, so freute es ihn sichtlich, hier auf eine Idee zu stoßen, welche wahrscheinlich von jenen noch nicht benutzt wurde. Er malte sich die Möglichkeit aus, eine Scene zu schreiben, wo Christus zum ewigen Juden käme und sich bei ihm für die Erhaltung seiner Lehre bedankte, wo denn die Genien einige Musikstücke von Felix Mendelsohn-Bartholdy spielen, und Herr von Eckstein in Paris, August Neander in Berlin, Frau von Schlegel und ihr Sohn, der Maler Ph. Veit in Frankfurt a. M. und Andere dabei die christlichen Chorführer der getauften Judenpietisten machen müßten. Guido von Lipmann war in den Moment ganz versunken, wo Ahasver eben zum Cardinal ernannt und mit dem großen rothen Hute bekrönt werden würde. Ein ungeheures Gedicht, eine göttliche Farce à la Dante war ihm so eben aufgegangen, er erschien sich wie Johannes, als dieser auf den schönen Gedanken kam, die Apokalypse zu schreiben. Um aber das Gemälde von Domenichino vollständig zu machen, kroch Schlachtenmaler auch wie die Schlange aus dem Kelche und lockte Guido von Lipmann aus seinem Pathmos heraus, indem er ihn bat, ihnen als jungen Anfängern doch einige Gesichtspunkte aus der neuern Aesthetik zu geben, da sie freilich nicht viel mehr als den Homer, Virgil und Horaz gelesen hätten und in der deutschen Literatur noch merkwürdig in Klopstock und Hölty befangen wären. Theobald schämte sich, indem er an den Schäfer Schumacher dachte und an seine Bestimmung, Volksdichter zu werden, und Alboin war eher ein Gegenstand des Satirikers, als selbst einer.

Guido von Lipmann fuhr jetzt mächtig heraus und vergaß sogar, mit seinem adeligen Siegelring zu spielen. »Ich habe,« sagte er, »mit Vergnügen bemerkt, daß sich in Pathmos – wollt' ich sagen, in Kaputh allmählich auch ein literarisches Leben zu regen anfängt. Der Reichspostreiter wird doch künftig nicht mehr der einzige Buchhändler seyn, noch weniger wäre zu hoffen, daß wir Wörterbücher und größere Sachen, immer nur nach Häringen riechend, kaufen müssen, wo die Thran- und Häringshändler sich noch den schönsten Dank ausbitten, daß sie uns den Gefallen thun und in Bremen und Hamburg für uns von ihren Commissionären Bücher aufkaufen lassen. Und, da sie zu gleicher Zeit für ihr Detailgeschäft Maculatur brauchen, wie oft ist es mir nicht passirt, daß ich statt meiner Bestellung das verwechselte Papier bekam und mit genauer Noth das Kostbarste aus der deutschen und fremden Literatur, wie manchen Schiller und Goethe, vor der Berührung mit frischen holländischen Häringen rettete! Bekommen wir doch die Literaturzeitungen aus Leipzig immer nur zu gleicher Zeit mit aufgespießten Leipziger Lerchen, wo man die Hunderte der armen Thierchen immer versucht wird für eine Satire auf die Inhaltsverzeichnisse der in dem Monatsheft aufgespießten Bücher und Autoren zu halten. Meine Herren, Ihr Unternehmen wird hierin eine Aenderung bewirken. Es kann nicht fehlen, daß die Gemüther allmählich warm werden und eine andere Erquickung und Durststillung wünschen werden, als Blaustrumpfs Predigten, die Charaden des Wochenblatts und den jährlichen Mispelheimer Kalender. Meine Herren, ich wünschte nur Eines. Ich möchte Sie nicht in einer so großen Unbefangenheit über Ihr eigentliches Streben und Wollen angetroffen haben; ich wünschte, daß Sie auf dem Stamm Ihrer Blätter auch etwas von einer knospenden Tendenz blühen hätten, eine innigere Beziehung zu dem bestimmt ausgesprochenen Charakter der modernen Literatur.«

Schlachtenmaler war es bei diesen Worten, als würde irgendwo im Zimmer mit elektrischen Stäben gestrichen, so zuckten und hüpften ihm die Nerven. Gern hätte er etwas Boshaftes erwidert; nun konnte er wirklich nicht anders, als sich unmächtig krümmen, da er wenig von dem gleich fort hatte, was Guido von Lipmann eigentlich meinte. Das sagte er aber denn doch: »Ich danke Gott, daß ich hierüber 'mal ein wahres Wort höre. Ich kann nicht der Meinung seyn, daß hinter dem Horaz, Virgil, Sophokles mehr steckt, als die Ruthe der Philologie, die unsre schlechten Vorbereitungen darauf so nachdrücklich strafte!«

»Ein Hauptkennzeichen,« bemerkte Guido von Lipmann, »für die neue Literatur ist ihre reizende Prosa. Wir haben die Poesie von dem Schnürleib des Metrums endlich befreit; ohnmächtig sank die seit Jahrtausenden gefesselte Muse in unsern Arm, und erst im Dufte unserer neuen blumenreichen Prosa scheint sie allmählich wieder zum Leben zu erwachen. Unter dem Namen Zustände haben wir eine ganz eigenthümliche Art erfunden, Massen von Lebenserfahrungen, wie sie der Tag und die Geschichte darbietet, in die anmuthigsten Gruppen zu vertheilen, Könige und Bettler, Hermelin und Lumpen, Frauen und Courtisanen, Zellen, Gazellen, Ghaselen, Giraffen, Caraffen, Caravanen, Girandolen, Mandolinen und Knackmandeln, Alles in Eins zu mischen, so daß Sie Ihren Augen nicht trauen, wenn Sie etwas von unsern musischen, modernen Zuständen lesen, welche verschiedenartige Schaalen von früher in ihr metrisches Gehäuse abgeschlossen gewesenen Taschenkrebsen, Hummern, Meerspinnen, Ammonshörnern, welche Unzahl von Fleischabgängen, grünen Erbsen, Capern und Austern hier alle in eine, durch die Ironie stark gepfefferte Krebs- und Mockturtlesuppe vereinigt sind! Diese neue Prosa vereinigt den Werth der abgezogenen Speculation mit den anmuthigen Abwechselungen einer zuweilen sich selbst überlassenen Phantasie. Die Schreibart der Zustände muß von Berg zu Thal wandern, hier steinig und chaussirt, wo eine Thatsache zu entwickeln ist, dort grün und kosend, wo es gilt, sie in ihren mannigfachen »Bezügen« zu schildern. Die Poesie der Vergangenheit steht neben dieser Prosa nackt und hülflos da.«

»Mein Gott!« fiel Schlachtenmaler ein, »drum las ich doch neulich etwas, was mir wie Blumenbouquets vorkam, die man aus einem blühenden Garten gebrochen und auf eine schwere englische Tafel neben blaubrennendem Plumpudding gestellt hatte. Die Italiener, Herr von Lipmann, sollen es meisterhaft verstehen, mit Würsten und Schinken ebenfalls ganze Gruppen und Genrebilder auszumalen; ja, sogar eine Kreuzigung Christi soll in allen Klöstern aus Würsten, Schinken, Käse und Butter wohlgelitten und ohne alle Blasphemie verzehrt werden. Umgekehrt scheint mir nun diese neue Prosa auch aus Blumenkränzen künstliche Würste nachmachen und dunkelrothe Georginen, hellere Centifolien, mattrothe Federnelken und weiße Schneeglöckchen so in einander schattiren zu können, daß man das Ensemble in der Ferne wahrhaftig für einen Schinken ansehen möchte. Dem Gemeinsten scheint diese Prosa eine geschmackvolle Tournure geben zu können.« – »Sie übertreiben zusehends,« bemerkte Guido von Lipmann, weniger um die neue Prosa, als die Würste und Schinken empfindlich; »Sie vergessen, daß wir gerade durch diese außerordentliche Schönheit und Gewandtheit unserer jetzigen Prosa dahin gekommen sind, selbst unpoetische Gegenstände mit Interesse zu behandeln.« Damit zog er ein Manuscript aus der Tasche und las ihnen folgende Passagen aus einer Abhandlung über den diesjährigen Getreide- und Wollhandel vor:

»Säen – oder nicht säen – das war im verflossenen Jahre bei allen Landwirthen die Frage. Der größte Reichthum kann unsre größte Armuth werden. Je üppiger das Korn draußen sich auf den Feldern wiegt, je weniger blaue Cyanen den grünen Ceresähren das Wachsthum beeinträchtigen, desto reicher die Ernte, desto wohlfeiler der Preis. Da fahren die Kornwagen, mit Blumen bekränzt, vom Felde in's Dorf; die Sense ist mit bunten Bändern geschmückt, die Schalmei ruft zur Feier des Erntefestes die schmucken Burschen und Mädchen; aber der redliche Landwirth steht einsam an eine Ecke der Scheune gelehnt, mitten unter seinem Segen, und hat die Arme kreuzweis in einander verschränkt und lächelt bitter zu all der Lust und seufzt in der beklommenen Brust. Ha! da kommen Rothschilds Boten und kündigen das Capital, das auf jenem eben abgemähten Hügel stand; Ahasver steht blinzelnd vor dem redlichen Landwirth und zieht seine Capitalien aus einem Zweige der Nationalwohlfahrt, der, wenn er tausendfältig trägt, nur zwei, trüge er zehnfach, sechs Procent Zinsen einbringen würde. Die Capitalien wandern aus den Armen der Ceres in die Schmiedeessen des Vulcan, oder ein geheimnißvoller Magier, der Zauberer Credit, berührt sie mit einem Königsscepter, und die Metalle verwandeln sich in Metalliques, die Capitalien in Papier. – Was hat aber die Geschichte von jeher bewiesen? Welches sind ihre ewigen Gesetze in Betreff des Kornhandels? Läßt nicht schon die alte Sage auf sieben fette sieben magere Jahre folgen? Ja, der Weltgeist steigt von den Alpen herunter und bringt Lawinen mit, Erdstürze und ungeheure Ueberschwemmungen, die Bäche treten aus, die Scheunen schwimmen mit den rasenden Flüssen fort, Feuer züngelt als Bundsgenosse der Zerstörung hier, dort, an allen Ecken auf, Hagel kömmt im Cürassier-Anlaufen geschmettert, die Fenster der Mistbeete klirren wie Kriegsdrommeten, und die Beutel füllen sich, je leerer die Scheunen werden. Schon haben Preußen und Polen sparsamer geerntet, und, wenn auch über das Land der Magyaren der Himmel noch seinen reichsten Segen goß, so wird ein Theil dieses Ueberflusses doch schon diesmal in die k. k. österreichischen Erbstaaten fließen müssen. – Und, wie sich hier die Negation als das eigentlich geltende Element im Getreidehandel bewies, so auch in den Oelsaaten, deren Anbau trotz der Gaserleuchtung zunimmt: denn wo könnte jetzt Lessing seinen Wunsch, die Natur nicht ewig grün zu sehen, nicht befriedigt finden? wo sind jetzt nicht meilenweite Rapsfelder mit ihrer buttergelben Blüthe? In dem reißend stark umsichgreifenden Anbau des Raps und Rübsen bekömmt die Geschichte unseres Jahrhunderts einen ganz neuen Einschnitt, und es früge sich, ob nicht diese Menge Oel, die man erzeugt, dazu erfordert wird, um den steigenden Mechanismus unserer europäischen Verhältnisse einzuschmieren und all die wichtigen eisernen Maschinen, die Menschen- und Pferdekraft jetzt ersetzen, in glatter Uebung zu erhalten? So ist die Geschichte groß in dem, was sie erfindet, aber die Natur oft noch größer in dem, womit sie das Erfundene compensirt und dem neuen Gedankenbesuch auf halbem Wege immer entgegen kömmt. Endlich hat der Wollhandel –«

Hier unterbrach sich Guido von Lipmann selbst und fragte die erstaunten Brüder, ob sie Adam Smith kennten? Als sie es verneinten, sagte er: »Nun, Sie werden die Rechnungen ihrer Wäscherin kennen; aber Dante kennen Sie doch?« – »Ja!« log Alboin ganz keck für alle Uebrige. »Nun,« schloß Guido von Lipmann, »so würde Dante den Adam Smith in Poesie verwandelt haben, wenn er die neue Literatur der »Charaktere und Zustände« hätte ahnen können.«

Als die Brüder vor Erstaunen kein Wort redeten, und Guido von Lipmann stolz durch's Zimmer schritt und immer stolzer und stolzer seinen blauen Frack immer enger und enger knöpfte, ermannte sich wenigstens Schlachtenmaler und gestand mit kleinlautem Spotte: Wenn bei Goethe der Schüler sagt, es werde ihm von dem Allen so dumm, als ging' ihm ein Mühlrad im Kopf herum, so müßte er das auch von sich sagen, nur mit dem Unterschied, daß er auf die Mühle Korn schütten möchte. Es gäbe Gedichte, die kämen ihm wie gesammelte Collecten vor, andre wie Wassersuppen, ja dem Verfasser der Klagen eines Juden solle ja sein eigener Vetter, dem er sie vorgelesen, aufgefordert, seine Meinung zu sagen, geantwortet haben: diese Gerichte kämen ihm wie Bittschriften an den Kronprinzen vor! Ebenso möchte er, nämlich Schlachtenmaler, auf die ganze von Herrn von Lipmann ihm entwickelte Pracht nichts Besseres thun, als darauf Actien nehmen.

Guido von Lipmann entgegnete: »Sie sind ein närrischer Kauz.« – »Nein, in vollem Ernst,« fuhr Schlachtenmaler fort, »ich wünschte, Sie zögen sich nicht zurück, wenn es sich nun wirklich einmal darum handeln soll, aus unserm Nichts Etwas zu machen. Lassen Sie uns Actien bilden, tausend Stück an der Zahl, jede im Werth von zehn holländischen Ducaten; Sie nehmen die Verbindungen Ihres Vaters zu Hülfe; das müßte doch nicht natürlich zugehen, wenn nicht, im Verein mit einigen jüdischen Freimaurerlogen, einigen Emancipations-Clubbs, Courszetteln und evangelischen Kirchenzeitungen, die Möglichkeit da wäre, alle Actien anzubringen, die Kosten des Journals zu bestreiten und den großen Gewinn, den es abwerfen wird, zum Besten einer Literaturverjüngungstontine und eines größern prosaischen Nationalstylisticums anzulegen.«

»Wie verstehen Sie denn das?« fragte Herr von Lipmann erstaunt. »Nun,« entgegnete Schlachtenmaler, »fünf Procent sind den Capitalisten sicher; aber, da wir weit mehr machen werden, so müßte gerade dieser Ueberschuß zu einer Akademie verwandt werden, welche –« – »Nur nicht die Sprache fixieren!« fuhr Herr von Lipmann auf. »Um's Himmelswillen, nein!« beruhigte ihn Schlachtenmaler; »könnte aber nicht viel gewirkt und begossen werden, was kümmerlich am Boden schmachtet? Wie viel poetische Mücken und Fliegen zittern nicht, in die blitzenden Krystallisationen der Jahrhundertsfragen mit ihrem winzigen Talente eingeschlossen zu werden? Wie viel literarische Kutscher und Bediente gibt es nicht, die sich geschmeichelt fühlen würden, daß sie, wenn in ihren Staatskarossen die großen fürstlichen Ideen und majestätischen Tendenzen an den Wachen vorüberfahren, den Trommellärm und die Ehrensalven des Geschützes auch auf sich beziehen dürfen? Wie manchem armen Zwerg, der bisher nur einen kleinen Fransenfaden an dem Riesenmantel der Zeit vorstellte, wäre nicht geholfen, wenn er wagen dürfte, sich an dem Mantel etwas Wesentliches zu dünken! Herr von Lipmann, es ist eine schändliche Verleumdung der jetzigen Literatur, daß die unbedeutenden Talente deßhalb, weil sie Zeitgemäßes verarbeiten, die Achtung genießen wollen, die das Zeitgemäße verdient – Verleumdung, wenn man wünschen möchte, die große Pedalharfe der Zeit wäre wieder von dem Isisschleier der ungelösten Räthsel bedeckt, bloß, damit nicht die Fliegen und Spinnen, die zwischen den Riesensaiten hin- und herkrabbeln, sich einbilden, ihnen gebühre der Ruhm, dem Jahrhundert einen Ton entlockt zu haben! Sagen Sie mir, ist nicht so mancher Wald in Polen schon mit einem Dreierlicht angezündet worden, und brennen die großen Kaiserpaläste in Petersburg durch etwas Anderes ab, als durch die Nachläßigkeit der Ofenheizer? Nein, unsere Unternehmung sollte gerade dahin wirken, daß die Federposen vom Adler Jupiters schon zum ersten Schreibunterricht in den Schulen verwandt, und daß die Napoleonshüte, welche sich unsere kleinen Dichter aus Papier machen, für echt erklärt würden, und daß Napoleons erster Hutmacher eigens dafür wieder aufgesucht und bezahlt wird, um den falschen Eid zu schwören, Herr von Lipmann.«

Dieser kniff die Augen zusammen und bemerkte piquirt: »Herr Blasedow, Sie machen unserer neuen Literatur den Vorwurf, daß sie große Ideen und nur kleine Talente zeitigte.«... »Vorwürfe?« fiel Schlachtenmaler ein; »im Gegentheil wünscht' ich, unser Extra-Fond könnte noch ganz andere Dinge in die Reihe bringen. Wenn ich Ihre Literatur der Zustände, feinen Bezüge und bedeutenden Persönlichkeiten erwäge, diese feine Mischung von Diplomatie und Prosa, so wünscht' ich ja nichts sehnlicher, als daß die jungen Dichter, wie sie eben aus dem Weltei kriechen, gleich ihre Memoiren schreiben dürften, ohne lächerlich zu werden; wünschte nichts sehnlicher, als daß ihnen der Pabst Ablaß und Indulgenz nicht bloß für alle Persönlichkeiten gäbe, die noch vom Wiener und Aachener Congreß herrühren, sondern für alle Charakterzeichnungen, hergenommen aus dem unmittelbaren Moment, vom kaum verschlafenen Abendcirkel, von einer kaum zurückgelegten Reise. Herr von Lipmann, wie gern ließ' ich die jungen diplomatisirenden Demokraten auf Reisen gehen und improvisirte ihnen mitten zwischen Halle und Leipzig ein paar Esel in der Löwenhaut, damit sie doch nicht zu sehr hinter dem in Afrika privatisirenden Fürsten Pückler zurückbleiben. Wie gern ließ' ich sie beim Fürsten Metternich Schreibstunde nehmen und fertigte ihnen Nebelkappen an, daß sie ungesehen aus den Umarmungen der Freiheit manchmal in die Umarmungen der Diplomatie, aus dem Kriegslager der Entsagung in die k. k. Hofkriegskanzlei in Wien sich schleichen dürften – bloß – des Styles wegen! Wie gern würd' ich von unserm Ueberschuß die Patente und Taufscheine bezahlen, wenn es sich z. B. nur irgendwo beweisen ließe, daß Heinrich Laube der natürliche Sohn Napoleons und der Fürstin von Hatzfeld wäre; und wie gern bezahlte sie unsere Commission nicht, selbst, wenn sie falsch wäre, und ließe doch wenigstens ein Wappen darnach stechen, einen Glacéehandschuh z. B. im blauen Feld, als Symbol des neuen Styles und irgend eines der wunderthätigen Prosa-Magier. Welche Fortschritte in den Naturwissenschaften ließen sich nicht befördern, wenn man einige neuere Bücher in ihre chemischen Bestandtheile auflöste, z. B. »das junge Europa« in eine Dosis aristokratischen Freiheitsalkohol, in eine zweite fixer moderner Lebensluft, in eine dritte, bestehend aus etwas neunmonatlichem Gefängnißstickstoffgas à la Silvio Pellico. Oder wenn wir für unser beliebtes Reisenovellen-Genre folgende chemische Formel entdeckten: Sieben Loth Zustände, sieben Loth feine Bezüge und drei Loth heilige, nicht ganz zu verwerfende Pietätsstoffe – das Ganze in einen diplomatischen Brei gerührt, abgekühlt und im Zustande des Bestehenden gelassen. Kurz, Herr von Lipmann, die Wirksamkeit könnte unermeßlich, und der Nutzen ohne Berechnung seyn: wollen wir Actien emittiren?«

Guido von Lipmann war aber recht ergrimmt und sagte zu dem Spötter, der mehr von der neuen Prosa zu wissen schien, als man nach dem Stande des Kaputher Buchhandels hätte glauben sollen: »Sie rechnen also der Idee die kleinen persönlichen Thorheiten einiger ihrer Bekenner an? Sind Sie dem Schmerze des Jahrhunderts nicht verwandt?« Darauf aber erhob sich Schlachtenmaler, schlank, fast ein Riese, und seine Augen glänzten, wie Leuchtwürmer in der Nacht, so unheimlich und so magisch in seinem Zorn und in seiner Schwermuth. Ohne daß er ein Wort sagte, war es, als lägen, wie am Pfingstfeste, tausend Sprachen auf der Zunge, tausend Reden in seinen Blicken, und, wie er so stand, groß und stolz und melancholisch, siehe, da fielen die glutrothen Strahlen der untergehenden Sonne in das Zimmer und umzüngelten mit einem hüpfenden Verklärungsschimmer die schmerzhaft bewegten Züge des Jünglings, der mit über einander gekreuzten Armen dastand, wie ein Priester der Feuerreligion. Und es war, als zögen lange Reiterschaaren auf feurigen Rossen durch die untergehende Sonne und eilten, über diese Brücke fortzukommen, in das zum Schlummer sich neigende Weltall sich zu vertheilen und während der Nacht die rings im Aufbau begriffenen Tempel zu schützen. Und, als gäbe ihnen die Sonne die Befehle, so theilten sie sich links und rechts und eilten hierhin und dorthin, dem zum Trost, dem zum Schutz, dem zur Hoffnung, dem zum Beistand. Und auf Schlachtenmalers Antlitz spiegelten sich alle die wunderbaren Sonnen wieder, seine Augen riefen freudig: Dies sind die Boten Gottes, die Ideen auf feurigen Rossen; nun kommen sie und lösen die Menschenheroen ab, die am Tag für das Jahrhundert geblutet haben, und bewachen das Schlachtfeld für den nächsten Morgen, trösten die Verwundeten, begraben die Todten und halten wie Gespenster die schleichenden Spione zurück. In scheinbar ungleichem Kampfe stehen sich zwei Lager gegenüber, Jünglinge und Greise; aber die Greise ersetzen ihre mangelnde Kraft durch die Schreckbilder verwester Vorurtheile, die sie aus den Gräbern holten, und mancher bezauberte Knabe, Mancher, der das Verjährte als das Ewige anbeten lernte, ließ sich bethören, zu ihnen zu halten. Und drüben das Lager der Jünglinge ist nicht fest genug. Sie prangen in Mannesschönheit, aber Helena und der Würfel und der Becher gehen durch ihre Reihen und verführen sie. Löse, großer Geist, die Religion aus der Fesseln des Aberglaubens, gib dem Staate ein neues, ideales, griechisches Leben, laß die Kronen nur Sinnbilder, keine Lasten seyn, zertrümmere den Reichthum da, wo er todt aufgehäuft ist, oder laß den Armen wenigstens ein Evangelium predigen, welches aus ihnen Märtyrer, nicht Sklaven des Schicksals zieht! Die Pfeile des Gedankens knicke, wenn sophistisches Gift an ihrer Spitze lauert, und die Schwungkraft lähme denen, die sie mit zu vielen bunten Federn der Coquetterie schmücken! Vergib uns, Herr, wenn wir dem Neuen nachjagen und nicht immer geradezu das Wild in deinen Himmel hinein pirschen; vergib uns, wenn auch einmal ein dunkler Geist mit uns zu Tische sitzt, und wir auf unsern Gedankenirrwegen einmal am Eingang der Hölle stehen und Dante's flammende Inschrift mit Entsetzen lesen! Dem bösen Geist das Gute abgewinnen und Mephistopheles zu täuschen, indem wir, statt seiner falschen Würfel, ihm einmal richtige hinstellen und ihn auffordern, nun es mit uns zu wagen! – sollte das nicht eine höhere Seligkeit werden, als die unmittelbare des Glaubens, die salzlos, dumm gewordene Seligkeit des bloßen Anschauens und einer Tugend, die die Probe deßhalb aushält, weil sie – sie nicht wagt? »Ja, Herr von Lipmann, Befreiung von Hergebrachten, keine Fesseln, die wir mit der Nabelschnur, der Wiege, dem Fallhut, dem Gängelbande, der Schulruthe, dem Confirmandenunterricht und dem Copulationsscheine mitbekommen – sondern Alles nur durch uns und in Gott – und, schaffen wir nichts Neues, kommen wir auf das Alte zurück, gut, dann hat die Welt und die Gesellschaft den Frieden, und die Literatur den Glanz davon – Ihre Zustände aber und feinen Bezüge locken weder Hunde, noch Philister vom Ofen!«

Schlachtenmaler sagte das Letzte, und das Erste fühlte er bloß. Herr von Lipmann bemerkte: sie wären Beide ganz einverstanden, und der Jokey der Primadonna, der die Herren Blasedow so eben zum Thee eingeladen hatte, konnte es bezeugen, daß er Schlachtenmalern die Hand drückte und eine Rolle auf dem Tische zurückließ, wohl nicht von Ducaten, aber doch von Gedichten, die in die nächste Nummer der Zeitschrift eingerückt werden sollten. Den Jokey mußten die andern Brüder abfertigen: denn Schlachtenmaler sagte, er hätte rothe und blaue Flecken – Amandus zitterte, weil er dachte: auf dem Gesichte; nein, sein Bruder sagte: vor den Augen, weil er zu lange in die Sonne gesehen. Weil er sie aber in das Bett drückte, so konnte Niemand sehen, wie feucht sie von großen stolzen Thränen waren.

 


 


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