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Achtes Kapitel.

 

Erinnerungen an Justinian. Die journalistischen Flitterwochen und Polyhymniens Nase.

 

Dies Programm wurde bald gedruckt. Es waren die Propyläen der spanischen Schlösser, von denen die Brüder träumten. Es war die Bajazzomütze, die erst aufs Theater fliegt, ehe der Lustigmacher selber kommt, oder die Herculeskeule, die der Alcide vorauswirft, um mit größerm Effect dann selbst auf die Bühne zu stürzen. Den Druck aber hatte Niemand so eifrig betrieben, als der Buchdrucker selbst, der auch für seine eigene Bezahlung sorgte und dem Schlachtenmaler das unangenehme Geschäft abnahm, seinen Bruder in die Löwengrube der Wiesecke'schen Rache zu werfen. Der Buchdrucker zeigte, auf seine Vorstellung, den relegirten Musensohn Amandus als Thäter an und schrieb dem neuen Wochenblatte, welches das seinige nicht zu beeinträchtigen schien, die erhaltenen zwanzig Thaler zu gute. Der Registrator aber schäumte (auch rasirte er sich eben) vor Rache, als er diese Bestätigung seiner Vermuthungen mit so vielem Gelde bezahlen mußte. Daß das Publicum gehört hatte, er wolle zahlen, darin lag für ihn schon Genugthuung genug. Da er nun wirklich zahlen mußte (wie mancher Almanach setzte nicht einen Preis für die beste Erzählung aus und behielt ihn zurück, weil keine seinen gespannten Anforderungen, die aber wenigstens ein ihm vortheilhaftes Aufsehen erregt hatten, entsprach!), so wollte er den Thäter wenigstens am Kreuze sehen. Er bedauerte jetzt, selbst dazu beigetragen zu haben, daß der junge Mensch nicht mehr unter dem Birkenstock der renovirten Gymnasialgerichts-Ordnung, sondern unter dem gewöhnlichen und allgemeinen Pranger der Justiz stand. Hätte er Muth oder der Thäter nicht drei Brüder gehabt, er würde die Justiz selbst geübt haben, sagte er wenigstens. So aber war er ein leidender Mann und trug Flanell auf bloßem Leibe und ging bei der scharfen Novemberluft nie aus der Stube auf die Hausflur, ohne einen Barometer mitzunehmen, um gleich zu wissen, wie lange er in dem Abfall der Temperatur verweilen könne, und wie viel Grad sie betrage. Ja, war er doch oft genug überzeugt, daß ihn die Schwindsucht, die er noch nicht hatte, im Sturmschritt als gallopirende überreiten könne, und saß er nicht stundenlang mit seinem kleinen Barbierspiegel, um den geheimnißvollen hippokratischen Zug zu suchen, mit welchem der Tod herbeischleiche! Genug, er eilte zu seinem Vetter, dem Advocaten Sportelhahn, und wollte Arm in Arm mit ihm den Rechtsweg in dieser Sache betreten. Sportelhahn, ein kerzengerader, trockner Mann, neigte sich mehr zum theoretischen, als praktischen Rechte, obgleich ihm die Carolina schon manchen Carolin eingebracht hatte. Dieser Tribonian von Kaputh schlorrte den ganzen Tag im langen Camisol und der schmutzigsten Schlafmütze durch seine Wohnung, die nichts als Bibliothek war. Tabaksrauch und Staub gaben die Mischung der Atmosphäre ab, von welcher (er war Junggesell) seine Umgebung geschwängert wurde. Er war übrigens geneigt zu jedem Processe und nur zu diesem nicht, weil Wiesecke sein Vetter war. »Guter Junge,« sagte Sportelhahn, indem er sich eine neue Pfeife stopfte, da ihm die alte vor Schreck über die Leichenfarbe seines Vetters ausgegangen war, »was ich dir rathen werde, kömmt vom Herzen, nicht vom Geldbeutel. Wärest du nicht mein eigen Blut, alter Kerl, ich würde dir schon meine Schröpfköpfe ansetzen und in die eine Wagschale der Gerechtigkeit deine glänzende Rechtsaussicht und in die andere meine Sportelrechnung legen. Allein, setze dich und höre!« Dabei schob er dem Registrator, statt einer Befriedigung seiner Rache, einen Stuhl hin und stützte seinen linken Ellenbogen auf den ungeheuren Quartanten des Johann Samuel von Böhmer, dem er, das Titelkupfer war aufgeschlagen, den feinen Geheimeraths-Spitzenkragen (man möchte die Brüsseler Spitzen, mit denen J. S. Böhmer immer gezeichnet wird, für allegorische römische Rechtswendungen und das Labyrinth der von Justinian gestatteten Einreden halten!) zu zerknittern drohte. »Altes Herz,« sagte Sportelhahn, »der Bubenstreich ist zunächst ein Falsum. Aber bei der Fälschung spricht die lex cornelia nicht schlechtweg vom dolus natur, und die deutsche Halseisenorduung, unser gemeines Criminalrecht, gestattet sogar, dem Kaiser seine Brabanter Thaler nachzuschlagen, wenn man's nur nicht »böslicher und gefährlicher Weise« thut. Nun ist auch von jeher gesagt worden: Man solle nur immer das Gute annehmen, bis das Gegentheil erwiesen ist ( quisquis præsumitur u. s. w.); und nun müßte bei deinem Falsum die böswillige Absicht erst erwiesen werden! Wie –«

Und hier hat der Menschenkenner nebenbei Gelegenheit, eine feine Bemerkung zu machen. Sportelhahn war von seinem Rechte so in Anspruch genommen, wenn er darüber sprach, daß er die andere Person, als Person, immer vergaß und Bruder und Schwester nicht mehr unterschied. So fing er auch an, in der Ekstase seiner Gelehrsamkeit, seinen eigenen Vetter mit dem höflicheren Sie zu apostrophiren – »Wie erweisen Sie das?« fragte er den Registrator, dem sich bei dieser Vergeßlichkeit die Person seines Verwandten in die Gerechtigkeit selbst zu verwandeln schien. »Aber abgesehen davon,« fuhr Sportelhahn fort, »sind auch alle Autoritäten gegen Sie.« Nun griff er blindlings in die Zimmerwände hinein und zog einen alten Tröster nach dem andern hervor. »Hier sind die Abhandlungen von Krebs und Engelschall! Was läßt sich gegen solche Namen ausrichten! – Hier der Codextitel de mutatione nominis und der Kaiser Diocletian: Alles ist gegen Sie! Und was sagt Perez ad Codicem? At vero, si fraus et dolus malus absit , unicuique liberum est, quodcunque nomen assumere, nec eo, quod novum sumpserit, ulla actione tenetur. Außer diesen feuerfesten Beweisstellen kommen noch eine Menge anderer Umstände zur Frage. Lieber Vetter, dein angeblicher Falsar ist minorenn: wie leicht würde es seinem Rechtsbeistande nicht werden, ihn noch als völlig unzurechnungsfähig darzustellen? Ferner: du, als Denunciant, müßtest Caution, bedeutende Caution stellen, ja, bei einem nur irgend mangelhaften Ausgange des Processes gewärtigen, obenein von deinem Gegner als Calumniant verklagt zu werden. Dies ist der eine Gesichtspunkt der Sache« – Und, obgleich dem Registrator schon aller Muth entfallen war, so hob der Vetter doch auch noch den andern hervor und fuhr fort: »Zu einer Injurienklage schritt' ich nun gar erst mit verzagtem Herzen. Deine moralische, Ihre bürgerliche Ehre ist weder in der Ankündigung, noch in der Unterstellung eines anonymen Briefes verletzt, ja, im Gegentheil würde Beklagter entgegnen können, er hätte ja zehn Thaler daran setzen wollen, um diese Ehre wieder herzustellen! Auch ist das bloße Briefempfängniß, mag es nun ein Brief nach allen möglichen Schemen des Briefstellers seyn, wenn man davon spricht, keine Injurie; etwas ganz Anderes wäre es, wenn der vorlaute junge Freund Ihres Rufes den Inhalt jenes eingebildeten Briefes gebilligt und etwa gesagt hätte: Wer u. s. w..... eines Briefes, dessen Inhalt ich übrigens billige u. s. w..... Allein, im Gegentheil, er setzt eine Prämie darauf, wer den Verleumder entdeckt. Der Einwand, daß ja die Möglichkeit eines begründeten Angriffs in der Annonce vorausgesetzt werde, ist irrelevant oder, wie wir Juristen das nennen, impertinent. Endlich, lieber Vetter....«

Hier mußte Sportelhahn selber lächeln, weniger, weil der Registrator wie ein armer Sünder aussah, als, weil er sich dem Arsenal näherte, wo die Juristen ihre Hauptwaffen versteckt haben, und wo die ungeheuren endlosen Schiffstaue von ewigen Processen gedreht werden. »Gesetzt,« sagte er, »der Schlingel muß Abbitte thun (ich nehme da den glücklichsten Erfolg unserer Bemühungen an), so hast du vielleicht zehn Jahre darüber processiren müssen, bist durch alle Instanzen die Spießruthen der Advocatenkünste und Richterbedenklichkeiten gelaufen, hast auf dein väterliches Erbe Hypotheken annehmen müssen, weil der Proceß viele hundert Thaler baar an Gebühren kosten würde, hast keinen ruhigen Augenblick im Leben mehr und gehst einst mit dem schmerzlichen Bewußtseyn in's Grab, daß du nicht bloß deinen Proceß, sondern auch dein Leben verloren hast. Denn, hat der Schlingel einen guten Advocaten, etwa einen jungen, der mit dem Proceß weniger Geld, als Ruhm verdienen und seine ganze Collegiens-Weisheit hier plötzlich in ein Prakticum umsetzen will, so kommen erst die Flankenangriffe, die bei unsern Gerichten gestatteten Einreden. Wissen Sie, daß man bei uns die Einrede des Spoliums der Injurienklage so in den Weg stellen kann, daß Sie mit dem besten Rechte darauf stolpern? Der Gegner fingirt ein Spolium; er sagt: Sie hätten von ihm aus Rache eine Uhr genommen und sie noch nicht wiedergegeben..... Diese Einrede bildet nun erst einen Proceß im Processe. Sie wird durch alle Instanzen durchgejagt. Man geht darauf ein, wenn das Spolium erwiesen ist. Jetzt schiebt Ihnen ein pfiffiger Advocat den Eid zu. Ich excipire, daß dieses kein deutliches Beweismittel wäre, und, siehe, eine neue Schachtel in der Schachtel ist da, und wir müssen wieder erst durch alle Instanzen die Meinung der Gerichte hierüber abwarten. Dieser Aufenthalt macht schon einige Jahre. Man kann inzwischen gestorben seyn oder sich in dem Gegner gänzlich geirrt haben. Man söhnt sich mit ihm aus. Die Welt hat die gekränkte Ehre des Registrators ganz vergessen. Mit einem Wort, Freund, ich rathe zur Besinnung!«

Als der Registrator auf diese Schilderung eines möglichen Processes nur mit verbissenem Schmerz und einigen von seiner Versteinerung sich losbrechenden schleimigen Verwünschungs-Austerschalen dem jungen Verbrecher ordentlich ein Golgatha ausrichtete, schloß Sportelhahn endlich folgendermaßen: »Nun stehen wir vielleicht bei der Excecutions-Instanz. Nun soll der Schlingel Abbitte thun. Statt dessen schützt er wieder die Einrede der Compensation vor. Er erfindet irgend eine Injurie, die Sie ihm angethan hätten. Der alte Walzer geht von vorn an, und wir tanzen mit unsern gelehrten Juristen, die Alles beweisen, was wir bewiesen wünschen, in ewigen Kreisen herum, bis der Gegner am Ende noch replicirt, die Annonce hätte er aus Liebe zu dir gemacht; er betrachtet deine Ehre als sein Mantelkind und erklärt, er hätte als negotiorum gestor deines guten Rufs gehandelt, und schickt dir noch eine Rechnung in's Haus für gehabte Auslagen. Die Schmerzensgelder fielen von ihm auf dich, und du würdest noch obenein vom Publicum ausgelacht werden.«

Dies war zu viel für den Registrator. Er raffte sich auf und lief davon. In das nächste Wochenblatt ließ er mit Schwabacher Schrift und einer Hand, als gäb' es irgendwo Rosinen zu kaufen, drucken: ☞ Der Verräther ist entlarvt! Dann folgte darunter: »Er ist zu jung für das Schwert der Gerechtigkeit; die Ruthe eines Zuchtmeisters sollte ihn für eine Schandthat strafen, welche meinen Ruf nicht beflecken kann. Hier nicht, aber vor Gottes Thron! Ich verachte ihn (nämlich den Verbrecher)!« Im Stillen dachte er nur noch: Besser, ein Backenstreich mit Großmuth hingenommen, als hundert Abbitten und Ehrenerklärungen auf dem Dache! Er zahlte die Prämie und verachtete den Empfänger.

Inzwischen flatterten die ersten flüggen Nummern der Zeitschrift in's Freie hinaus, und Kaputh erstaunte über diese Zugvögelschwärme, wo sich ein Exemplar nach dem andern an die verschiedenen Fenster der Stadt nistete, um das ganze, allerdings vorauszubezahlende Quartal hindurch regelmäßig den Leuten etwas vorzwitschern zu können. Wo man in diesen Tagen bei zahlungsfähigen Leuten Besuche machte, hatte man Vorsicht nöthig, auf der Treppe nicht über die neuen Nummern des Nichts zu stolpern, welche die Colporteure dorthin geworfen hatten, in der Hoffnung, daß das Meiste zwar auf den Weg falle, Einiges aber doch hundertfältige Früchte tragen dürfte. Es war für die Krämer gut: sie brauchten nicht die alten vergilbten Regierungsacten zu kaufen (Wiesecken entging hier schon wieder durch die Brüder eine bedeutende Summe, da er sich gar nicht scheute, das ganze Kriegsministerium unter der Hand ballenweise an die Victualienhändler zu verkaufen), um ihre Butter und schwarze Seife einzuwickeln. Die Friseure machten von den Probeblättern manche Papillote, und Celinde, die so wenig Lebenstact hatte, daß sie den Schlachtenmaler durch ein Abonnement zu erfreuen nicht verstand (wie selten kaufen die besten Freunde der Schriftsteller deren Werke!), trug des Morgens in ihren Haaren die rührendsten Klagen ihres Freundes; seine Thränen lachten wie Frühlingsblüthen auf ihrem Haupte – und sie ahnete nichts davon! Es ist eine der größten Künste, mit Künstlern umzugehen. Wie man mit den Damen und Ministern, mit Fürstinnen linker oder rechter Hand umzugehn habe, ja, nach Rumohr selbst mit Bettlern und Vagabunden, das lehrten die Knigge. Nur der Umgang mit Dichtern ist sich selbst überlassen und jenen großen Fehlern ausgesetzt, welche wir täglich gegen die Lieblinge Minervens begehen. Erscheinen neue Werke von ihnen, so will man sie von ihnen geliehen haben; und, leiht man sie, so widmet man nicht einmal, um das Interesse zu verrathen, gleich die erste Nacht ihrer Lectüre; und, tadelt man, statt endlich ein mattes Lob zu stammeln, so ist der Dichter unser guter Freund, von dem wir ja wissen, daß der Gott in ihm zuweilen ausgeht oder sich sieben Stunden ruht, wenn er sechs gearbeitet hat. Celinde hatte keine Ahnung davon, wie es Schlachtenmalern schmerzte, daß sie die Unterzeichnungsliste bloß ansah, um die Freunde ihres Freundes kennen zu lernen, nicht, selbst zu unterschreiben. Celinde dachte: Der Bogen ist ja nicht sein Herz – Schlachtenmaler knirschte die Zähne und flüsterte: »Aber er ist mein Magen!«

Der Erfolg des Blattes war zweifelhaft. Der Abnehmer waren zu viel, um es eingehen, und zu wenig, um es fortbestehen zu lassen. Die gewöhnliche Aushülfe in solchen Fällen, Regierungsunterstützung, konnte von dem fürstlichen Gouvernement nicht erwartet werden, da man eben erst mit Herrn von Lipmann eine Anleihe geschlossen hatte, scheinbar, um die Chausséen zu verbessern, edeln Riesenkohl und die fürstlich Rohan'sche Kartoffel in die Landesökonomie einzuführen, in Wahrheit aber, weil bei der Cavallerie das Riem- und Sattelzeug durchgescheuert war, und die Gensdarmerie neue lederne Stulpen bekommen mußte, wofür die Landstände nichts bewilligen wollten, der beruhigenden Criminalstatistik wegen. War doch, ungeachtet dieser Mißhelligkeiten, das Vertrauen zwischen Fürst und Ständen größer, als sie's Beide nöthig gehabt hätten; war doch die Demagogie, die auch nach dem bekannten Ausspruche nur die Reise um, nicht durch die Welt machen sollte, noch nicht bis hieher gedrungen. Höchstens würde sich Blaustrumpf beim Consistorium verwendet haben, wenn ihm nicht gleich die erste Nummer des Nichts einen Schrecken verursacht hätte, in welchem ein Mährchen abgedruckt war, worin eine Hexe und zwei Kobolde spielten. Mörder bekam im Gegentheil eine Instruction, nach der er Alles streichen mußte, was unverständlich wäre: denn, wäre es auch nicht mystisch gemeint, so könnt' es doch mystisch wirken. Mörder schrieb einige Male an den Rand der Censur: »Oden auf die Erfindung der Buchdruckerkunst wären doch wahrhaftig auch zeitgemäßer, als Balladen im Geschmack des Erlkönigs, wodurch nur der pietistische Unfug noch mehr befördert würde.« Ja, bei einer Vergleichung zwischen Schiller und Goethe schrieb eine zweite Hand (gewiß Blaustrumpfs) an den Rand: »Großer Schiller, dein »Taucher« eröffnet einen tiefen Blick in die Lehre von den Polypen, deine »Glocke« wird ein unvergeßliches Denkmal für jeden redlichen Gelbgießer, und dein »Gang nach dem Eisenhammer« ein ewig unschätzbarer Beitrag zur Berg- und Hüttenkunde bleiben.« Also von dieser Seite hatte das Nichts eher Hindernisse, als Begünstigungen zu erwarten.

Der Muth stieg indessen den Brüdern, als sich auch in diesem Jahre die Ankunft der Schauspielertruppe bestätigte, die schon im vorigen so schlechte Geschäfte in Kaputh gemacht haben sollte. Die dramatischen Künstler hatten es ja hauptsächlich dem Mangel einer dramaturgischen Publicität zugeschrieben, daß ihre Leistungen weder bewundert, noch besucht wurden; im Wochenblatt war man gewohnt, daß der Director der Truppe sich selber lobte, aber mit Namensunterschrift und mit dem Ausrufe: »Edle Menschenfreunde, wenn Sie fortfahren, unsern Tempel nicht zu besuchen, so verdiene ich weder das Oel, welches meine Lampen fressen, noch gar das, mit welchem ich meine Menschen-Marionetten schmieren muss, damit sie in den Gelenken geschmeidig bleiben. Drei Familienväter haben bei mir die Ihrigen, und ich Alle zu ernähren. Die erste Tänzerin ist im Kindbett, und das Nothdürftigste geht dem armen Wurme ab, Menschenfreunde, u. s. w.« In diesem Tone war das Kaputher Publicum gewohnt von den Coulissen her angeredet zu werden, und, da es immer dieselbe Litanei war, so ließ sie der Drucker des Wochenblatts stereotypiren. Noch einige andere Schmerzenslaute standen immer bereits fertig gesetzt, z. B. »Dank den edeln Gönnern, welche uns in der Verlegenheit, den fabelhaften Kaiser Altoum von China zu costumiren, einige noch ganz brauchbare Warschauer Schlafröcke geschickt haben!« Zu andern Annoncen verstand sich der Drucker des Wochenblatts gar nicht. Diese waren einmal von früher her gesetzt, und, da die Schauspieler keine Mittel hatten, einen neuen Artikel zu bezahlen, so mußten sie, selbst, wenn sie Turandot nie mehr spielten oder auch sonst erträglichere Geschäfte machten, doch immer jene stereotypirten Schmerzenslaute in dem Wochenblatt ausstoßen, weil auch das Publicum von Kaputh ein für alle Mal gewohnt war, auf diese Art an die Wiederankunft der Künstlergesellschaft erinnert zu werden.

Jetzt aber hatte die Truppe einen bessern Stand. Sie war von der Tyrannei des Wochenblatts erlöst. Die stolzen Theaterkönige hatten nicht mehr nöthig, den Armen Kapuths gleichsam jährlich die Füße zu waschen. Der Maßstab, der an ihre Leistungen gelegt wurde, war nicht mehr der, ob sie im Wirthshause ihre Rechnungen bezahlten, hübsch anständig auf der Straße gingen und uneheliche Kinder erzeugten, sondern der, ob sie Schlegel und Franz Horn gelesen hatten. Es handelte sich nicht mehr um den Aerger der in den Logen strickenden Damen, daß die Schauspielerin, welche die Ophelia spiele, schon wieder schwanger sey, sondern, ob Tieck Recht hatte, Ophelien wirklich einen solchen Zustand zuzuschreiben. Die junge Kritik hatte unter diesen Umständen nur noch den einen Wunsch, ihre äußere Lage möchte anständiger seyn, um die Besuche der Künstler anzunehmen. Ja, Amandus, der recht eigentlich über die Oper berichten wollte, war eines Tages untröstlich, als er hörte, die auf Gastrollen engagirte Primadonna könne jede Stunde eintreffen und ihn besuchen. »Wenn mich Madame Binder-Bürsten,« so hieß die berühmte Sängerin, obgleich, da das Bürsten auf ihren Mann geht (von dem sie geschieden war), sie sich eigentlich hätte nennen sollen: Madame Bürsten-Binder – »wenn sie mich nun besucht,« stöhnte Amandus, »und sie tritt hier in den Reitstall, wo unsere Betten, Kleiderriegel und in einer Ecke gar die Vorrichtungen zum selbstgefälligen Stiefelputzen stehen – welche Schande für das dramaturgische Feuilleton und die wöchentliche musikalische Revue!« – »Nun,« sagte Schlachtenmaler, »wir wollen hier vorne gleich an der Thür ein kleines Redactionszimmer improvisiren mit einer spanischen Wand von Papier, an die sich aber Keiner anlehnen darf.« Dieser Vorschlag gefiel, und man kochte Stärkmehl. Dicht am Eingang wurde ein Raum, einige Fuß breit, und die ganze Tiefe des Zimmers bis zum Fenster abgemessen, mit Hülfe einer Leiter wurden einige Nägel in die obere Decke geklopft, und nun Bindfäden hin- und hergezogen, damit das Papier einen Anhalt hatte. Man benutzte die unverkauft gebliebenen Nummern des Journals zu dieser Scheidewand zwischen der Kunst und der Kritik, klebte weißes Papier darüber, und Schlachtenmaler zeichnete einige Cartons, die der Wand einen verhältnißmäßigen Werth gaben. Grau in Grau führte er recht artig die Musen im schaffenden Verein unter der Oberaufsicht Apollo's aus und richtete es so ein, daß gerade in einen Tempel auch der Leinwandvorhang führt, der zu dem größern Rest des Zimmers die Thür abgab. Es war die höchste Zeit, daß das Redactionszimmer fertig und mit einigen Stühlen meublirt war: denn, horch, schon klopft Madame Binder-Bürsten an die Thür!

Amandus stand der Dame verlegen genug gegenüber. Es ängstigte ihn am meisten, daß seine drei Brüder hinter der Papierwand standen und lauschten. Man setzte sich, und Amandus wurde bleich, als die Sängerin Miene machte, sich an die künstliche Mauer anzulehnen. Sie rückte den Stuhl immer dichter an die Wand, und leichenblaß sah er, wie sie den ungewöhnlich breiten Rücken keck an einen Widerstand anstemmte, den sich der junge Kritiker nicht erklären konnte. Der Sängerin mußte die Elasticität der Wand selber sonderbar vorkommen, sie drehte sich um, und Amandus merkte an den vollständig auf dem Papier ausgeprägten Conturen eines Menschen, daß die Brüder seine Verlegenheit errathen und einen von ihnen sich mit dem Rücken gerade gegen die Primadonna hatten anstemmen lassen, so daß sie allerdings auf einen gewissermaßen festen Widerstand traf. Amandus zitterte über die Möglichkeit, daß die junge Kritik hinten nachließe, und die Künstlerin recht eigentlich hier durchfiele. Sie sah ihm auch seine Verwirrung an, schrieb sie aber nur seiner Jugend und ihrer Schönheit zu. Als sie einige Worte über die Coloraturen und den Geist des Kaputher Publicums gewechselt hatten, erschrack sie über das Rascheln hinter der Wand und knüpfte daran einige Bemerkungen über ihre Furcht vor Mäusen an. Auch erzählte sie von einem Schauspieldirector, der den Hamlet deßhalb nicht aufführen ließ, weil er sich des Polonius wegen die Coulissen nicht wollte zerstechen lassen. Amandus, unbeholfen wie ein junger Mann, der zum ersten Male eine Dame zum Tanz auffordert, lächelte und ging auf den Charakter Hamlets über. Die Sängerin war eben im Begriff, eine boshafte Miene durch eine Seitenwendung zu verbergen, als ihre Blicke auf die grau façonirte Muse Polyhymnia fielen, und sie an deren Gesicht etwas bemerkte, was sie erblassen machte. Todtenstille herrschte nebenan, Amandus drehte sich um und sah mit Entsetzen, daß Polyhymnia eine natürliche Nase bekommen hatte. Die Sängerin konnte in ihren Scherzen nicht fortfahren. Amandus stotterte und wußte sich nicht zu helfen. Beide sahen bald die fleischerne, keck aus der Wand hervorspringende Nase Polyhymniens an, bald mit der größten Verlegenheit sich. Madame Binder-Bürsten griff nach ihrem Shwal und floh mehr, als sie ging. Amandus stand wie vom Schlage getroffen da. Das Blut stürzte ihm in den Kopf, und, da Schlachtenmaler doch nun einmal das Loch in die Wand gebohrt hatte und noch immer Polyhymniens Nase figurirte, da er nicht wußte, daß die Sängerin ganz kleinmüthig davongegangen war, so schlug Amandus so gewaltsam auf die gespenstische Farce ein, daß dem Schlachtenmaler hinten Hören und Sehen verging, und er von dem Transparent der Tapete mit blutendem Antlitz zurücktaumelte. Die Scene verwandelte sich in ein so lautes Handgemenge, daß der Registrator zum Wirth lief und seine Wohnung nun unwiderruflich aufkündigte.

 


 


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