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Zweites Kapitel.

 

Schülerschwänke.

 

Nun durfte auch nicht länger mit der Abreise gesäumt werden. Das geliehene Silber verwandelte sich in Quecksilber und hatte keine Ruhe mehr. Die neuen schönen Thaler wurden auch die Wagenräder, auf welche der Stallknecht die obere Kalesche legte. Rings am Rande des Einspänners wurde ein Bund Stroh ausgelassen, worauf die Brüder ihre Sitze nehmen sollten. An Brod, Schinken und Thränen ließ es Gertrud nicht fehlen. Die Knaben hatten einen Vorrath auf länger als einen Monat. Das Geld lag in einem großen Korbe, in welchem die nothwendigste Wäsche und sonstige Garderobe verpackt war, und einer muß der größern Sicherheit wegen immer auf diesem Korbe sitzen. Ein Umstand, der die Abreise verzögerte, war der, daß Töffel schon so lange verreist war. Er mußte auf den Getreidemarkt in die Residenz fahren – jetzt will ich auch ihren Namen nennen: sie hieß Kaputh – und Blasedow hatte keine Lust, ihn abzuwarten. Er überließ den Knaben den Wagen allein und sagte: »Wenn man sich darauf nicht einmal verlassen sollte!« Gertrud meinte nur, sie würden Töffeln, der Wagen und Pferd wieder zurückbringen sollte, verfehlen. »Ach, verfehlen!« äffte sie Blasedow und erntete dafür eine Grobheit, aber auch seinen Zweck. Die Kinder sollten sich selbst fahren und in der Ausspannung den Wagen an Töffeln abgeben. Sie versprachen dies treulich. Sie waren so übervoll von ihrem Glücke, daß Gertrud kaum noch deren Hunger, dafür aber desto mehr ihr eignes Schluchzen zu stillen hatte. Sie sollten nun wirklich in die Welt hinaus. Blasedow war stolz darauf, aber schweigsam und verschlossen wie ein Held vor der Schlacht.

Es war ein frischer Herbstmorgen, als die Söhne reisen sollten. Der Nebel stritt mit der Sonne um den Vorrang, und die Siegesblicke der Letztern zeigten die nach langem Regen fast schon entblätterten oder doch in's Gelbe verfärbten Bäume. Die Jungen mußten eben noch ein Bund Stroh mitnehmen, um sich hineinzuwühlen. Gertrud packte und schnallte an der alten Kalesche und an dem schwachen Verlaß, den sie auf alle vier hätte. Blasedow ließ sich nicht sehen. War er noch oben oder schon so früh ausgegangen? Sein Zimmer fand man verschlossen; aber der Fenstervorhang bewegte sich, ohne daß es vom Winde seyn konnte, mehrere Male. Gertruds Zustand war ein Bittersalz, eine Mischung salziger Abschiedsthränen und bittrer Vorwürfe auf einen Vater, der sich seiner Kinder so wenig erbarme, daß er ihnen nicht noch den Segen mit auf den Weg gebe. »Mütter,« sagte sie, »haben doch immer nur den Schmerz allein. Werden die Kinder groß, so verwandelt sich Alles, was sie thun, in neue Geburtsstunden. Wer sie einmal unterm Herzen getragen hat, der wird an dem Fleck auch nie wieder gesund.« Nun war dies aber ruhmrednerische Verleumdung. Blasedow, der oben hinter der Gardine Alles hörte und eben zu sehen war, weil er einmal die Gardine ergriff, um sich sein Auge zu trocknen, was Gertrud auch veranlaßte, den Abschied zu beschleunigen (nicht der Thränen, sondern der Gardine wegen), ich sage, Blasedow sagte und zwar sich selbst: »Sie ist nur eine halbe Hekuba. Nach Siebenbürgen hin ist immer der eine Herzlappen gerichtet.« Er, ein ganzer Priam, dagegen hatte nicht den Muth, von den Kindern Abschied zu nehmen. Ihm würde das Herz gebrochen seyn. Aber die Jungen waren im Anzuge. Der Schlachtenmaler klatschte mit der Peitsche. Blasedow verhielt sich ganz still, und so fuhr denn die Karavane auf und davon.

Lebe wohl, Blasedow! Auch die Muse vermag dich nicht zu trösten! Was du begonnen, muß sie vollenden! Lebe wohl, alter Murrkopf; predige Geduld! denn es wird lange währen, ehe du die Narben der Zweige, welche das Schicksal von dir abgeschnitten, verschmerzen wirst! Der Winter ist vor der Thür. Kehre unter deinen Büchern zu dem Umgang alter Weisheit zurück und denke, du hast Samen ausgestreut, daß er ihr ähnlich werde! Das Uebrige steht nun in Gottes Hand.

Die vier Dichter- und Künstler-Embryone benutzten die ersten Strahlen einer Mündigkeit, die für sie mit den letzten Hecken des Dorfes anfing, um die eßbaren Reisevorräthe zu untersuchen. Schlachtenmaler nahm zuvörderst die zehn Thaler und steckte sie, da sie, wie er sagte, dem Pferde zu viel zu ziehen gäben und den Wagen nur schwerer machten, in die Tasche. Dann zwang er dem satirischen Schriftsteller die Peitsche auf, indem er ihn daran erinnerte, daß, wenn der Vater so oft gesagt hätte, er müsse eine Geißel der Menschheit werden, er nun gleich mit den Pferden anfangen könne, zog sein Taschenmesser und zerlegte einen Schinken, den die Brüder mit einander theilten. Schlachtenmaler setzte hinzu: »Mutter hat gesagt, wir sollten ungefähr auf diese Art zu Mittag essen; da wir aber geneigt sind, dies Mittagessen in die Frühe zu verlegen, und noch nicht gut für uns sagen können, wenn die Sonne am höchsten steht, so werden wir doch vielleicht in einem Gasthof –« Hier stockte der Wildfang, weil die Uebrigen ihm keinen Muth machten. Nichts war ihnen so dringend untersagt worden, als in Gasthäusern einzukehren. Sie hätten ja Essen genug im Wagen und Heu für das Pferd und einen Trog sogar zum Wassertrinken für alle fünf zugleich; »den Luxus sollten sie sich nicht unterstehen,« hatte Gertrud gesagt. Der Bildhauer meinte, »man könne es ja auf den Zufall ankommen lassen,« und Schlachtenmaler lachte, indem er sagte: »Was wir heute zuviel ausgeben, können wir ja morgen sparen.«

Ueberhaupt hatten sie noch Ursache, sich zu beobachten. Sie mußten von Vetter Tobianus Abschied nehmen. Als Theobald, der Volksdichter, der Jüngste, nicht einhalten wollte mit dem Schinken, zog ihm Schlachtenmaler mit der Peitsche schnell Eins über's Ohr. Theobald war sich der ungesetzmäßigen Handlung so gewiß, daß er still das Messer fortlegte und sich die verdiente Züchtigung gefallen ließ. »Das sag' ich euch gleich,« fing der Schlachtenmaler an: »wenn der Eine mir nach Rom und der Andere nach Jerusalem will, dann bringen wir nichts Gescheites zu Stande. Einigkeit muß seyn, Kinderpossen müssen unbedingt nicht mehr vorfallen. Frei ist der Mann, der sich selbst beschränkt. Wir zählen zusammen einundsechzig Jahre; da könnten wir doch wohl schon einigen Verstand haben. Es geht nach der Mehrheit. Ich bin achtzehn Jahre alt, ihr Andere verhältnißmäßig. Sind wir uneins, so zählen wir die Jahre zusammen. Hab' ich z. B. nur einerlei Meinung mit Theobald, der zwölf Jahre zählt, so bin ich von euch Beiden, die ihr zusammen einunddreißig zählt, überstimmt, denn ich und Theobald sind nur dreißig. Das ist nicht mehr wie billig: denn es könnte leicht scheinen, als wäre Theobald von mir bestochen. So wie ich aber mit einem von euch Beiden, Lehmkneter Amandus oder Alboin von Samosata, zusammenstimme, so ist die minderjährige Minorität unterdrückt.« Dies war gleichsam die constitutionelle Verfassung, die sich der kleine Staat gab, und zu deren Besiegelung Schlachtenmaler vorschlug, Einer solle dem Andern eine Ohrfeige geben. Man würde dies gewiß gethan haben, wenn der Wagen nicht schon dicht vor Tobianus Thüre gestanden hätte.

Der Pfarrer kam heraus und reichte jedem der Brüder die Hand, dem ältesten aber einen Brief, welchen er an Sophien abgeben sollte. Sie war nämlich durch Vermittlung der Gräfin Sidonia in eine adelige Familie als Gesellschafterin gezogen worden; diese Familie wohnte gegenwärtig in Kaputh, und Oscar wurde feuerroth, als er dies hörte: denn was hatte er um Sophien nicht gelitten! War sie nicht die erste Neigung seines knabenhaften Gemüthes gewesen und die erste Veranlassung zu einem Gespenste, das seit der Bannungsscene mit Blaustrumpf auch im Dorfe das letzte geblieben? Hatte er sich nicht mit ihr nächtlich in einem Bettlaken über den Hof in den Garten geschlichen und in der Laube mit ihr gesessen, ohne daß sie noch recht wußten, was die Liebe war? Und hatte Blasedow es ihm nicht mit einem entsetzlichen Prügel eingebläut, so daß er mit Sophien allen Geschmack daran verlor? Tobianus brachte außerdem noch einige alte Schulbücher mit, die er den Brüdern schenken und es dann Gertruden zur Freude sagen wollte. Als er denselben Nachmittag Blasedow erzählte, er hätte seinen Jungen einen alten Telemach mitgegeben, einen zerrissenen Bröder, Schellers kleines Wörterbuch, den Horaz mit Gottschlings deutschen Noten und mehreres Andere ad modum Minellii, lachte Blasedow aus drei Gründen laut auf: »erstens brauchten sie das Zeug gar nicht; zweitens wären ganz andere Ausgaben jetzt in den Schulen eingeführt und drittens würde Schlachtenmaler schon nicht faul seyn, die ganze Bescherung beim Antiquar zu verkaufen.« Bitterböse fiel Gertrud ein: »Ja, dann würde es ihr doch leid thun, den Menschen geboren zu haben.«

Gegen Mittag vereinigten sich alle einundsechzig Stimmen, die auf der Kalesche saßen, dahin, daß sie am rothen Ochsen in Dreifelden halten und anständig essen wollten. »Man möchte ja glauben,« sagte der Schlachtenmaler, »wir wären wie die Kirchenmäuse bloß vom Wort Gottes aufgezogen oder hätten uns von den Flöhen ernähren müssen, die die alten Weiber Sonntags aus ihren Unterröcken verlieren und in den Kirchstühlen zurücklassen!« Der Wirth zum rothen Ochsen nahm die ihm wohlbekannten Pastorssöhne freundlichst auf und setzte ihnen wie reisenden Landjunkern vor, die die Universität beziehen. Für dies hätten sie sich auch gern ausgegeben; aber der Wirth sagte: »In Kaputh ist ja noch keine Universität!« »Ja, aber es wird jetzt eine hinkommen,« meinte Schlachtenmaler und fuhr fort: »Eine Akademie ist ohnehin schon dort. Wir sind Alle eigens nach Kaputh eingeladen worden, um die neue Universität gleich beziehen zu können. Man würde sie längst eröffnet haben, wenn es nicht zu sehr an Verbrechern in Sayn-Sayn fehlte.« Der Wirth meinte: »Wie so?« – »Nun,« entgegnete Schlachtenmaler, »man hat noch kein anatomisches Theater auskochen können, weil hier im Lande Jedermann wenigstens ein ehrliches Begräbniß verdient, wenn's auch sonst Schelme genug gibt.« »Ja, das weiß Gott!« sagte der Wirth, indem er die schwarze Tafel anblickte, wo seine Schuldner mit doppelter Kreide verzeichnet standen. Aber erschreckend, daß er's hätte vergessen können, fuhr er fort: »Hat Ihnen denn aber der Vater keinen Empfehlungsbrief an Herrn von Lipmann, seinen alten Bekannten vom Ochsen her, mitgegeben?« – »Sie meinen einen Wechsel?« fragte Schlachtenmaler stolz, während die dummen Brüder zu seinem Aerger kindisch kicherten. Der Wirth bemerkte ehrerbietig: »Der junge Herr von Lipmann warten auch mit Sehnsucht, daß die Universität in Kaputh eröffnet wird. Der Fürst hat dem Vater gesagt, er solle sie nur gründen, dann könne sein Sohn sogleich daran Professor werden. Und um dieser Professur willen geht der Hofagent wirklich damit um, die Universität an die Börse zu bringen und sie auf Actien zu stiften.« Schlachtenmaler setzte in dieser Art das Gespräch mit dem Wirthe fort und erfuhr dabei Manches über die Kaputher Zustände, wovon er, in der Residenz angelangt, Nutzen zu ziehen hoffte. »Umsonst erhalten wir dies Essen nicht,« flüsterte er seinen Brüdern zu und verstand darunter, daß er fürchte, geprellt zu werden. In der That mußten die Reisenden zwei Thaler sechzehn Groschen zahlen, ihr Pferd mit eingerechnet. Hätte Gertrud diese Verschwendung gesehen, sie würde sich in eine Furie verwandelt haben.

Als die Brüder weiter fuhren, waren sie in die fröhlichste Stimmung gerathen und drückten ihre Freude durch einen Lärm auf der Landstraße aus, der das Pferd hätte scheu machen können. Schlachtenmaler verwies ihnen diese Unbändigkeit, nicht um des Pferdes, sondern um ihrer selbst willen. Er sagte: »Vom Vater haben wir die Philisterei doch nicht gelernt, daß wir gleich einen Höllenlärm verführen, wenn wir einmal gut gegessen und getrunken haben. Je wohler Einem wird, desto stolzer muß man sich benehmen. Die müssen wahrlich kümmerlich genug zu Hause leben, welche man nicht wieder erkennt, wenn sie einmal über Land sind und unter freiem Himmel tafeln.« Amandus, der Bildhauer, zog zur Antwort eine Pfeife hervor, die er in der Rocktasche versteckt hatte, stopfte sie und zündete sie mit Schwamm, Stahl und Feuerstein, das er Alles verborgen bei sich trug, an. Schlachtenmaler bemitleidete ihn: denn er sah die Folgen dieses frühreifen Beginnens voraus; die Uebrigen aber genossen die Freude des Bildhauers mit und weideten sich an dem Glück der Unabhängigkeit, welches sie hinfort genießen würden. »Er wird euch ein Opfer bringen!« warnte der Schlachtenmaler, und Amandus, vom Rauchen schon kreideweiß, aber es doch aus sprossender Männlichkeit nicht unterlassend, bemerkte nur einfach: »Wenn der Wagen nur nicht so rüttelte!« In der That mußte er jenes Opfer bringen, das Schlachtenmaler vorhergesehen hatte. Man wußte keinen bessern Rath, als im nächsten Wirthshaus einen Kaffee zu bestellen. So war dieser kleine speiende Vesuv eine gute Entschuldigung geworden, es sich auf's Neue bequem zu machen und das erhaltene Geld gar nicht anzusehen.

Der Gaul wurde wieder ausgespannt und in den Stall geführt. Schlachtenmaler sagte: »die Mutter würde über die Schonung, die sie dem Thier anthäten, sehr zufrieden seyn.« Hinter dem Wirthshause war eine sanfte Erhöhung, auf welcher einige schattige Linden, Tische und Bänke standen. Hierher wollten sie sich den Kaffee bringen lassen. Alboin erinnerte an den Brief des Vaters. Schlachtenmaler sagte: »Wir wollen sehen, ob die Adresse paßt,« und zog einen starken versiegelten Brief hervor, auf welchem stand: »An meine Kinder. Zu erbrechen,« (mit Amandus war es besser geworden) »wenn ihr an einen grünen anlockenden Platz im Walde gekommen seyd. Steigt dann aus, bindet den Gaul an einen Baum fest, erbrecht das Siegel und lest euch das Vermächtniß eures euch liebenden Vaters vor!« Die Brüder sahen nun wohl, daß die Localität nicht zutreffe. Alboin meinte, »wenn sie länger warteten, so würd' es zum Lesen zu finster werden.« Der ermattete Amandus stöhnte: »der Vater hätte gut beschreiben; wenn sich nun ein solcher Fleck gar nicht fände!« Schlachtenmaler meinte: »Der Platz ist ganz richtig. Den fehlenden Wald sehen wir nur vor den vier Lindenbäumen nicht.« Während also der Kaffee gebracht wurde, öffneten sie den Brief, und der Jüngste mußte ihn vorlesen. Er lautete

»Meine Söhne!

»Der Augenblick ist da, wo ihr für mich, wie die Schöpfung für Gott, zeugen sollt. Die goldnen Hörner oder die Eselsohren, die ihr an euren Häuptern tragen werdet, wird man mir aufsetzen. Bedenkt das und macht mir Ehre! Ich erzog euch zuvörderst zur Freiheit. Gemeine Gefühle ließ ich in euren Gemüthern nie überwuchern: Unkraut werden sie noch immer zeitigen; aber es wird nicht höher wachsen, als die Palmen und Cedern, zu welchen ich den Samen in den Libanon eurer Zukunft pflanzte. Ihr seyd frei; ich lehrte euch nur, daß außer euch noch Millionen Menschen in der Welt wären. Das war genug, mehr durftet ihr nicht wissen, um diese Millionen mit stolzem, sich zur Gleichheit vermessendem Auge anzublicken. Ihr hörtet aus meinem Munde nicht früher von Grafen, Präsidenten, Ministern sprechen, als von Menschen. Ihr wißt nichts von den Unterschieden der Stände. Drum werdet ihr mit keckem und echt vornehmem Muthe auftreten. Ihr werdet nicht zittern, wenn ihr in das Vorzimmer eines Mächtigen berufen werdet, ihr werdet euch vorher keine Fragen und Antworten einüben, ihr werdet, wenn ihr sprecht, die Nachsätze der Perioden nicht im Halse stecken behalten; ihr seyd frei, seyd meine, seyd die Söhne Blasedows.

»Daß ihr ein Herz haben werdet, hoff' ich zu Gott, zu eurer Mutter und zu manchem Kummer, den ich nicht hindern konnte, daß er durch die Ehestandsgardinen zu eurem Ohre dränge. Kinder erfahren vom Leben meist nur das, wofür sie Gott den Eltern als Trost geschenkt hat. Sie haben ein scharfes Auge für die Witterungen, die auf den Stirnhorizonten der Eltern heraufziehen. Und, wo ihr nicht deutlich sehen konntet, da, weiß ich, lauschtet ihr – genug, ihr habt empfinden gelernt, wenn ihr auch noch keinen Namen für eure Gefühle habt. Es ist besser, ihr gebt dem Armen schnell ein Stück Brod, eh' ihr euch besinnt, ob das Mitleid heißt, was euch dazu treibt. Kinder, wär' es von mir nicht zu künstlich, ich würd' euch zurufen: Seyd ewig natürlich!

»Was ihr gelernt habt, vorstellen, seyn und werden, davon red' ich nicht: denn es ist in euch gepflanzt, euer Herz muß euch dies selber sagen. Jeder von euch hat einen hohen Beruf; Jeder hat, wenn einmal doch der Mantel Christi zertheilt werden soll, einen Rockschoß davon. Euer Wissen ist Stückwerk, aber nicht Alles sind nur Lücken. Einiges habt ihr schon vollständig, und, wenn ihr Neues sammelt, wißt ihr, wo ihr's anlegt. Worauf es beim Lernen ankömmt, ist das Fach, wo hinein man sein Wissen legt. Wer ein Ziel für sein Leben weiß, bearbeitet schnell das rohe Material, das er empfängt, und paßt es in die Fugen ein, wo er es brauchen kann. Ich hab' euch in die Karten blicken lassen, mit welchen ich euch gegen das Leben ausspielen wollte. Ich bin nicht eitel, aber stolz darauf, daß ich ein neues pädagogisches System entdeckt habe, das System der unmittelbaren Prädestination. Indem ich euch für bestimmte Fächer erzog, wußtet ihr, wo ihr euren Henkel ansetzen solltet an die Dinge, um sie zu fassen. Und verließet ihr gar die Bahn, die ich euch vorzeichnete (was ich jedoch für's Erste euch noch verbiete), so habt ihr doch schon eine Consequenz des Lebens mit Ernst durchgemacht und werdet euch um so schneller in einen andern Beruf finden können, wie Ströme sich wohl mit Leichtigkeit ein neues Bett graben, aber nicht Seen. Ein Oekonom wird leichter ein Staatsmann, als ein Student in's Blaue hinein; ein Geistlicher wird eher ein Schauspieler, als ein Kunst-Eleve im Allgemeinen; ja, wie oft geschieht es nicht, daß man, wie auf dem Billard ein Stoß nach Nordost eine Wirkung auf Südwest hervorbringt, auch im Leben erst durch Carambolage zu seiner Bestimmung kömmt!

»Ich benutze die letzten Augenblicke, wo ich doppelt mit euch leben möchte, weil ich euch bald ganz vermissen muß, um euch noch etwas Knigge nach meiner Art mit auf die Wanderschaft zu geben. Was Gott betrifft, so habe ich euch oft genug gesagt, daß weder ein Bild, noch eine Geschichte, selbst, wenn's die evangelische wäre, ihn euch zu fassen erleichtern würde. Gewöhnt euch, Kinder, Gott überall da zu finden, wo ihn die andern Menschen nicht sehen! Wollt ihr fromm seyn, so denkt: Alles ist Gott, was euch umgibt! Nennt man euch Pantheisten, so hütet euch wohl, dies zuzugeben: denn ihr erweist ja nicht Allem göttliche Verehrung, ihr meint doch nur, daß Alles in der Hand Gottes stehe, und daß, wo seine Hand, auch sein Finger waltet; ferner: daß selbst das Leblose doch ein treueres Abbild Gottes seyn müsse, als euer Gedanke: denn dieser streite wider Gott, jenes nicht, weil es nicht streiten könne, und, wenn euer Streiten zwar unendlich höher steht, als jene Genügsamkeit, so müßt ihr doch suchen, soviel es geht, das Göttliche von eurem Eigenen auszuscheiden, es nicht zu vermischen: denn das, was nicht denkt, ist gewisser Gottes, als daß dasjenige, was ihr in euren Gedanken für Gott haltet, nicht der Reflex euer selbst ist. Und, wollt ihr ein philosophisches System über Gott haben, so denkt euch das All hinweg, die Geschichte hinweg, die Natur euch hinweg und denkt euch den Moment des Nichts, wenn ihr ihn fassen könnet..... Wer würde da nicht die Hand vor die Stirn schlagen und zur Erde niederfallen und die Allmacht anbeten, die einzige Eigenschaft Gottes, die sein ganzes Wesen ergründet! Habt ihr in diesen Gedanken Klarheit, Consequenz und Zusammenhang gewonnen, dann werdet ihr lächeln zu der Erfahrung, die euch jeder Tag bietet, daß die Menschen nichts so uneins macht, als Gott, in dem wir eins sind. Das Christenthum nehmt als eine ehrwürdige Reliquie, heilig wie einen Dom, der schon in Trümmer fällt, während er noch nicht einmal ausgebaut ist. Von Christus redet mit Andacht und stellet ihn höher als Sokrates. In Luther schätzet den Mönch und den Deutschen, weniger den Theologen. Gegen nichts seyd gleichgültiger, als gegen den theologischen Parteienkampf: denn, mischt man sich ein, so geräth man oft dahin, Alles über den Haufen zu werfen, und es zu bereuen, wenn man sich dadurch um das Recht bringt, theilnehmend über die Religion zu sprechen.

»Den Staat vermeidet! Nichts ist lockender als die Rolle eines Thrasybul. Bieten sich euch Conspirationen, so fragt erst: ob schon die Armee gewonnen sey? Sagt man: Nein, erst einige Recruten; dann erwidert: Wir warten lieber noch eine Weile! Drängt euch die Freisinnigkeit und die Lust nach politischen Märtyrerkronen, so bedenkt, es gibt der gesetzlichen Anknüpfungen genug, um sich das Leben sauer zu machen. Der Liberalismus ist in der Literatur längst ausgebildet, ist sogar in einige Formen der Staatsverfassung übergegangen; man hat also nicht nöthig zu conspirieren. Ich warne euch, doch ich verfluch' euch nicht! Es gibt, in eurem Alter zwar noch nicht, aber wie lange dauert's noch! eine Freiheit, die euch Niemand verkümmern kann, die Freiheit, unglücklich zu seyn. Hausbackene Klugheitsregeln euch zu geben, ist meine Sache nicht: ich weiß, daß es der beste Weg zur Weisheit ist, einmal ein Thor gewesen zu seyn; ich weiß, daß diejenigen unter meinen Jugendgenossen, welche immer die Folgen bedachten, meist ein kleines Herz hatten. Wer hielte nicht in seiner Jugend das Gefährlichere für das Edlere! Ich kann nichts, als euch in die Obhut Gottes empfehlen. Macht mir den Kummer nicht!

»Was ich jedem von euch für das Fach, zu dem er geboren wurde, schon gesagt habe, mag ich hier nicht wiederholen. Nur das Allgemeine will ich berühren: Lernt nie anders auswendig als mit den Augen! Was ihr gedruckt vor den Augen reproduciren könnt, das geht auch hinter die Pupille in's Gehirn hinein; der Klang aber ist Wind. Mündliche Vorträge schreibt niemals nach, sondern hört ihnen zu! Wer euch nicht fesselt, von dem würdet ihr auch nichts lernen, selbst wenn ihr ihm nachschriebet. Ergänzt die Vorträge durch Bücher: denn wisset, kein Vortrag enthält so Nothwendiges und Neues, das nicht auch gedruckt wäre. Unser Zeitalter will es so: wer etwas Neues hat, wird nicht lange anstehen, es öffentlich mitzutheilen. An Tendenzschriften geht nicht eher, bis das Buch des Gegners euch zur Seite liegt! Die Jugend widersteht selten der Ueberredung, welche in einer abzweckenden Schrift liegt, und liest sie immer das Für, so stumpft sie sich gegen das Wider ab. Könnt' ich jetzt noch einmal meine Jugend erleben, dann würd' ich mir vornehmen, vorm einundzwanzigsten Jahre keine feste Meinung zu haben: denn noch im zwanzigsten Jahre hatt' ich Meinungen, über die ich mich ein Jahr später von der Achsel ansah. Unsere Zeit weiß für ihre Tendenzen so außerordentlich viel Material in Bewegung zu setzen, die Sprache, die Geschichte, das ist Alles so mobil, damit verbarricadirt man sich so leicht, daß alle Parteien etwas Unangreifbares und noch mehr etwas Verlockendes haben. Wie geistreich wird nicht der Absolutismus, wie genial der Liberalismus motivirt! Denkt also stets bei einem Satze, dessen Wahrheit euch überraschte, daß es von diesem Satze eine Widerlegung geben könne, die noch weit glänzender ist! Endlich werdet ihr doch wohl die Grenze entdecken, wo die Gelehrten sich nicht mehr überbieten können.

»Im Umgang mit Frauen seyd stolz! Das ist das einzige Mittel, hier Strudel, Klippen und Sümpfe zu vermeiden. Wer vor Frauen scheu ist, wird in Gefahr kommen, jede für liebewerth zu halten, und keine Gefahr ist größer. Sprecht ihr mit Frauen, so haltet den Kopf unverrückt in die Höhe und wendet ihn nicht, sondern nur die Augen, je nach euren Einfällen und Affecten. Erwägt noch Eins! Laßt euch von Frauen nicht überflügeln! Denn, da sie nicht nöthig hatten, das zu lernen, was ihr wißt und noch lernen müsset, so konnten sie ihrem kleinen Inhalte bald eine Form geben. Sie imponiren euch durch ihre Abrundung. Bedenkt dies! Was sie haben, bieten sie auf Einmal. Sie haben im Hintergrunde der Vortruppen, mit welchen sie harçeliren, nur noch sich selbst, ihre Person, das, was sie ihr Herz nennen, und was selten mehr als ihre Eitelkeit ist. Wisset ihr das, kann es euch da noch schwer fallen, Frauen für zu unbedeutend zu halten, als daß ihr sie zum Mittelpunkte eures jungen Lebens macht?

»Von besondern Regeln geb' ich noch die: In Allem seyd vollständig und immer nach dem Besten strebend: denn selten ist im Leben wie bei Tabakrauchern der wurmstichige Kanaster gesuchter als der gesunde, und nur einem so großen Philosophen, wie Herbart, wird man verzeihen, daß er sein System mit einem Sprachfehler eröffnet: Ich – Mich statt Mir. Gegen Künstler seyd so nachgiebig, wie gegen Kinder, und wie ihr's gegen euch wünschtet. Gibt ein Dichter euch sein neuestes Werk mit nach Hause, und ihr sehet ihn darauf zum ersten Male wieder, so vergeßt das Urtheil nicht: denn er zittert, wo er eins seiner Werke zur Prüfung vorgelegt weiß; er nimmt euer Stillschweigen für Mißbilligung, eure Nachlässigkeit für absichtliche Kränkung. Ihr werdet selbst genug nach dem Thau der Ermunterung lechzen, ohne welchen phantastische Pflanzen verweilen. Gegen Officiere befleißigt euch einer gesetzten Zurückhaltung. Diese Herren sind nicht allein von sich, sondern auch von ihrer Uniform eingenommen; was sie Kränkendes auf sich beziehen, nehmen sie auch als dem Landesherrn geschehen an. Lacht nicht zu ihren den Dienst betreffenden Bemerkungen: denn wenn dieser Dienst auch ein Spiel ist, so geben ihm doch der Ernst und die Massen, die man dabei verschwendet, ein imposantes Aussehen. Dem Duell entzieht euch nicht, wenn es euch angetragen wird; doch versucht vorher jede List, die euch beweisen kann, ob der Auffordernde nur ein Poltron ist, oder ob er euch dafür hält! Auf Rappiere setzet Säbel, auf Säbel Pistolen: diese Steigerung macht eurem Muthe Ehre und schreckte schon manchen Raufbold ab. Auch unterlaßt nicht, bei jedem Duell auszubedingen, daß die Todtengräber, die euch begleiten, die Zeugen, schwören, niemals den Gegner anzuzeigen, und wenn ihr verheirathet seyd, so wird euch diese Maxime von jedem Duell befreien, daß ihr ausbedingt: der euch Ueberlebende müsse eure Familie ernähren und dies gerichtlich machen. Gegen Adlige braucht so viel Ironie, als ohne Verletzung erlaubt ist. Der Einzelne kann und wird sein von nicht ablegen: behandelt ihn auch immer darnach. Das Wort »gnädige Frau« würd' ich nie im feudalistischen, sondern im allgemeinen höflichen Sinne brauchen, wie in Oesterreich geschieht. Für feindselige Conflicte gelten hier dieselben Regeln, wie bei den Officieren. Gegen Juden verfahrt nach ihrer Bildung. Gemeine behandelt mit Entschiedenheit: denn sie sind's gewohnt und sogar weniger von den Christen, als von den Ihrigen. Wollt' ich euch eine Lehre geben, wie man sich beliebt macht, so möcht' es sehr leicht seyn, sich bei reichen Juden einzuschmeicheln: man darf nur mit Rothschild in seinem Garten spazieren und von theuren Zwiebeln sprechen; Rothschild erwähnt eine kostbare Gattung, die er nicht hätte, und der Andere sagt mit etwas Ironie: Freilich, die ist Ihnen zu theuer! Nein, ich sage euch nur, wie man die Menschen erträgt, und da würdet ihr wohl thun, nicht zu lachen, wenn ihr reiche Juden sich ihres Vermögens rühmen hört, und sie in ihrer kindischen Freude, wie sie bei jedem Gemälde sagen, was es sie kostet, duldsam gewähren zu lassen. Gelehrte Juden nehmt wie andre auf und stoßt euch an etwaige Arroganz nur dann, wenn ihr die Kenntnisse besitzt, ihnen den Widerpart zu halten. Gegen Handwerker seyd freundlich und kommt ihnen in ihren mangelhaften Begriffen entgegen. Mit wie wenig bunten Lappen lassen sich Kinder, mit wie wenig Worten schlichte Bürger beglücken! Nichts erobert Menschen dieser Art mehr, als wenn man in ihre Kreise hinabsteigt, einmal auch in ihrer Sprache redet und nichts verschmäht, was von oder zu ihnen kömmt. Nur hütet euch, den Umgang solcher Leute zu suchen: denn es ist besser, ihr seyd in Athen der Zweite, als in einem böotischen Flecken der Erste. Vollends hütet euch vor weiblichen Sirenenlockungen, die euch, statt auf dem Meere, hier auf einem kleinen Froschteiche angeln zu dürfen wünschten! Das Gemeine, selbst wenn es gut ist, das Philisterhafte, selbst wenn es euch herzlich liebt, verleugnet sich nie und wirkt auf eure Natur zurück. Betrachtet nur junge Theologen und handelt nicht so, wie sie handeln! Flieht diese kleinen Familien, wo es des Abends Kartoffeln und Häring gibt; sonst könnt ihr darauf einen Durst bekommen, den ihr mit eurem ganzen verscherzten Leben stillen müßtet! Von Schauspielern haltet euch fern: denn selbst die Besten unter ihnen wirken unangenehm, da sie kein aufgerolltes Buch sind, sondern sich in Geheimnisse zu begraben pflegen. Sie sind zerstreut und excentrisch in jedem Momente. Auf Bewunderung eingerichtet, schmeicheln sie denen, welche ihnen dienen können, suchen aber Andern zu imponiren. Wenn ein Schauspieler an einen öffentlichen Ort tritt, so glaubt er, die Bäume sogar müßten sich zuflüstern: Das ist Roscius aus Amerika! Wollt ihr für Recensenten gehalten werden, so geht mit ihnen Arm in Arm auf öffentlichen Promenaden. Eure Miethsleute bieten euch zu wenig, Schauspieler zu viel vom Leben. Geht zwischen beiden durch! Gelehrte ferner sind schwierig zu behandeln. Da sie gegen junge Leute geborne Herrscher sind, so verlangen sie wenig mehr, als Hochachtung. Traurig genug, daß auf Universitäten es nur Listen und Pfiffen gelingt, in genauere Berührung mit ihnen zu gelangen. Da es aber von großem geistigen Nutzen ist, gelehrten Männern nahezustehen, so setzt einen Versuch auf, um, wenn sie euch wirklich gefällt, eine der neuesten Schriften des großen Mannes zu beurtheilen, widerlegt einen Gegner und gebt das dem Meister! Schreibt ihm ein altes Manuscript ab und nehmt keine Bezahlung dafür! Könnte man nur hier nicht sogleich in Augendienerei verfallen! Ich gäb' euch gern noch mehr Winke, um bei keinem Thee übergangen zu werden: denn Gelehrte glühen wie morsches Holz doch immer etwas Feuriges aus. Bedenkt aber auch, wie verachtet diejenigen jungen Leute von ihren Commilitonen sind, welche sich dadurch in die Gunst der Professoren setzen, daß sie die Schoßhündchen ihrer Frauen tragen. Dem Umgang mit Staatsbeamten entzieht euch: denn diese oft trefflichen Männer leiden so heftig am Kastengeiste, daß ihr nur unnöthige, ja, gefährliche Galle sammelt. Der Staatsbeamte liebt es heutiges Tages, sich in Debatten einzulassen, und die Politik, auch ohne Auftrag seiner Obern, ist sein Steckenpferd. Durch das halsstarrige Festhalten an der vermeintlichen Regierungsansicht wird der jugendliche Widerspruchsgeist aufgeregt, und manchen Freund hatt' ich, der nur durch das exclusive Beamtenwesen, in welches ihn die Umstände von Kindheit an einzwängten, zu einer Opposition kam, die ihm zuletzt verderblich wurde. Gegen Gastwirthe seyd taktfest und vornehmeren Scheines, als wovon eure Verhältnisse die Wirklichkeit erlauben möchten. Aber genug, meine Söhne! Das Meiste im Leben und Charakter entspringt Umständen, die sich nicht voraus bestimmen lassen. Wenn meine Lehren euch nur darauf hinbrächten, daß man allerdings trachten soll, Grundsätze in sich zu zeitigen. Doch hütet euch auch hier, zu frühzeitig abzuschließen. Es klingt barock, wenn ein Jüngling von feinem Charakter spricht und erklärt: Ich bin einmal so! Nein, nein; man ist in den Jahren niemals so sehr so, daß man nicht noch anders werden könnte. Wer sich zu früh auf einen hohen Standpunkt begibt, wird, wie jeder Baum auf den Bergen, ein Zwerggewächs. Wollet, was ihr sollt! das ist genug; freilich aber auch Alles! Meidet das Gedräng nicht und haltet nur aneinander, und der Stärkere nehme den Schwächeren auf die Schultern! Nun gehet hin und nehmet den Segen Gottes mit! Er erleuchte euer Antlitz; lass' er ewig das Höhere und Edle in eure Mienen hineinscheinen. Seyd offen, seyd gut! Es ist das Allgemeinste, was man wünschen kann; aber Jedermann weiß, wo er die Wahl hat. Nehmt meinen Segen! Ich meint' es wahrlich redlich; gebe nur Gott, daß ihr das Ziel erreicht. Es ist groß, erhaben, aber würdig eurer Anstrengungen!

Euer getreuer Vater....

Da der Jüngste geendigt hatte, und inzwischen der Kaffee aufgetragen war, hatte Schlachtenmaler schon mehr davon usurpirt, als auf sein Theil gekommen wäre. Er verbarg diese Eroberung jedoch unter einem Manifeste, das er an den Abschied des Vaters anknüpfte. Er sagte: »Da hört ihr's, ich bin für euch verantwortlich. Wüßte der Vater, was für Kinder ihr noch seyd, er würde diesen schönen Brief nicht geschrieben haben.« Darauf folgten Ermahnungen, die in seinem Munde den Uebrigen so lächerlich waren, daß er sie von der weinerlichen Stimmung, in welche sie die Epistel des Vaters versetzt hatte, erlöste. Die Knaben glichen den armen Kindern im Mährchen, die Däumlings Klugheit rettete. Schlachtenmaler bemerkte dies auch und eignete sich zum Behuf des Ausstreuens von Krümchen im Walde das meiste Backwerk an. Unter den mannigfachen Zwistigkeiten, welche diese neue Usurpation veranlaßte, wurde der Gaul angeschirrt und die Abreise angetreten. »Wir gleichen Jakobs Söhnen,« sagte zuletzt der Schlachtenmaler, »nur mit dem Unterschiede, daß ich, statt einen Joseph, euch alle zusammen an den ersten besten vorüberziehenden Trödeljuden verkaufen möchte.«

Die Ausschweifung mit dem Kaffee hatte acht Groschen gekostet, so daß also der baare Bestand der Kasse sich noch auf sieben Thaler belief. Es war eine gute Stunde auf der fernern Fahrt verstrichen, als die übrigen Brüder verlangten, Schlachtenmaler sollte ihnen einmal den Beutel mit diesem Reste zeigen. Sie dachten sich dabei nichts Böses, aber auch gewiß nichts Gutes, als der Seckelträger erblaßte, in die Rocktasche griff und wie besinnungslos aus dem Stroh auffuhr. War dies nun angebornes Talent zur Verstellung, oder der Schrecken war wirklich begründet, die Brüder hielten das Pferd an und betrachteten sich unter einander wie Geistesabwesende. Schlachtenmaler zog den Rock aus, schüttelte die Hosentaschen und stotterte: das müßte irgendwo liegen geblieben seyn! Der Wagen wurde in allen Ritzen untersucht; aber sieben harte Thaler ließen sich schon eher entdecken, wie der Silbergroschen, den die Frau im Evangelium sucht. Keine Bemühung fruchtete. Man mußte sich entschließen, zurückzufahren und das Geld an dem Orte zu suchen, wo sie mit Kaffee ausgeschweift hatten. Der Jüngste, Theobald, vergoß Thränen und erhielt dafür von Schlachtenmaler eine Züchtigung. »Denn erbärmlich müssen wir nicht seyn!« rief er mit hochrothem Gesichte aus, indem sie untersuchten und den Wagen ruhig zurückschleichen ließen. Bei dem Wirthshause fruchteten die Nachforschungen eben so wenig. Schlachtenmaler warnte, das Dorf in Bewegung zu bringen, weil der Finder eher vorziehen würde, das Geld zu behalten, als eine angemessene Belohnung zu erwarten. Da die Brüder sahen, daß er den Kopf nicht mit den sieben Thalern mitverloren hatte, so beruhigten sie sich und stiegen auf sein Zureden wieder in den Wagen. »Es entgeht euch nichts,« sagte er, »seyd nur verständig und laßt mich nachdenken, was wir thun müssen!«

Die Muse kann nicht verschweigen, daß ihr Schlachtenmalers Benehmen sehr verdächtig ist. Sie hat schärfere Augen, als die Brüder, die der Aelteste als Terrorist behandelte. Wie kann Schlachtenmaler zureden, die Nacht in einem Gasthofe zuzubringen, da sie kein Geld mehr zur Bezahlung der Zeche hatten? Freilich war durch ihr sybaritisches Leben und den Verlust unmöglich geworden, vor Nacht nach Kaputh zu kommen. Der Gaul war zum Umsinken müde; dennoch hätten sie bis tief in die Nacht fahren müssen, schon Töffels wegen, der den Gaul und den Wagen zurückbringen sollte. Den Knaben verging Hören und Sehen. Schlachtenmaler benahm sich wie ein Major, der in seiner Tollkühnheit mit einem Bataillon gegen ein ganzes Armeecorps Stand zu halten wagt.

Es war schon spät Abend, als die Brüder vor einem Wirthshause anfuhren. Je gefälliger die Aufnahme war, desto verlegener das Brüderkleeblatt, welches Schlachtenmaler als Stengel trug. Er flüsterte ihnen zu: sie sollten sich nicht verrathen, er würde Alles in's Gleiche bringen. Mit lauter Stimme forderte er vier Betten und vorher ein Nachtessen, dessen einzelne Schüsseln er sich ohne Sorge zu bestimmen erlaubte. Die Brüder stießen ihn an; aber er maß große Herrscherschritte durch das Gastzimmer, stellte sich an die Kupferstiche und Empfehlungskarten von allen Gasthäusern der Welt, die dort eingerahmt hingen, und machte seine Brüder darauf aufmerksam, wie herrlich es seyn müsse, in allen diesen nicht selten figürlich abgebildeten Rhinish Hotels, Belvederes, goldnen Gänsen, Königen von Holland u. s. w. abzusteigen. Er schob ihnen alle Bequemlichkeiten des Wirthszimmers zu und ließ, noch ehe das Abendessen kam, eine Flasche Moselwein auf den Tisch stellen. Die Brüder, eingedenk, daß sie nicht einen Pfennig zu bezahlen hatten, nahmen Anstand, seine Freigebigkeit zu benutzen. »Es ist einmal bestellt,« antwortete Schlachtenmaler keck und schenkte ein. »Ihr müßt trinken,« fuhr er fort: »Moselwein hält sich nicht lange; nicht wahr, Herr Wirth?« Dieser sagte: »Ja, meine Herren, trinken Sie mir den ganzen Keller aus, so komme ich nicht in Gefahr, daß der Moselwein dick wird. Man kann ihn öfters in Fäden ziehen, so rinnt das Gewächs zusammen. Es ist ein zärtlicher Wein.« Schlachtenmaler ergänzte: »So gleicht dieser Wein mancher originellen Ansicht, die anfangs klar und frisch im Glase perlet; wird sie aber erst in unsre feuchten Keller gebracht, so kann man sie auch in klebrigen Fäden ziehen: die schönsten Weltansichten werden auf diese Art fade und nützen nicht einmal zu Essig mehr.« Die Brüder staunten theils die Wirthschaftskenntnisse ihres Bruders, theils das dampfende Abendessen an, welches jetzt vor ihnen stand. Schlachtenmaler legte vor und verwies Jedem seine Blödigkeit. »Im Nothfall,« flüsterte er, »kann der Wirth ja unser Pferd pfänden.« Aber, statt zu essen, legten die Brüder nun erst recht die Gabeln fort. »Das wäre schön!« fuhr Amandus heraus. Aber Schlachtenmaler stampfte grimmig mit dem Fuße auf, und sie aßen, schon deßhalb, um nicht aufzufallen. Darauf ermunterte sie der älteste Bruder zur Nachtruhe und befahl dem Wirth, Leuchter anzuzünden, für's Pferd zu sorgen und ihnen ein Frühstück bereit zu halten. Unterwegs auf der Treppe ging das Licht aus und gewiß nicht ohne Ursache, denn Schlachtenmaler hatte schnell etwas auf der Erde zu suchen. Der Wirth holte ein neues Licht, und Schlachtenmaler war einen Augenblick verschwunden. Die drei Brüder harrten oben eine geraume Zeit, bis er endlich kam und sich obenhin entschuldigte. Unternommen hatte er etwas; wer weiß, was!

Inzwischen fingen die Brüder an, zu klagen, wie es ihnen morgen ergehen würde. Sie sahen sich schon alle in ihren eigenen Sprenkeln hangen, und Amandus sagte sogar: »Statt als Kunstjünger werden wir nach Kaputh als Gauner transportirt werden.« Schlachtenmaler schlug mit dem Stiefelknecht auf den Tisch: Männer müßten sie seyn und das Herz nicht in den Beinkleidern haben. Schufte wollten sie an dem Wirth nicht werden und gedächten, ihn von Kaputh aus zu bezahlen. Nur das Nächste erheische Erwägung, die morgende, glücklich zu bewerkstelligende Flucht. So hätten die alten Spartaner auch ihre Söhne erzogen und sie früh gewöhnt, zu ihrer schwarzen Suppe sich Zukost zu stehlen, wo sich nur Einer bestehlen ließ. Auch wären sie am Altar der Diana weniger ihrer Schulden wegen gegeißelt worden, als deßhalb, wenn sie Alles, wie die Heloten, pünktlich bezahlten. Als die Brüder einwendeten, ob er die durch seine Schuld verlorenen sieben Thaler denn ersetzen könne, antwortete er: »Wir müssen auf Mittel sinnen, zu Geld zu kommen; Kaputh ist ein theures Pflaster; die sieben Thaler würden kaum hingereicht haben, uns mit dauerhaftem Schuhwerk zu versehen; sehet, was euch im Traume eingegeben wird!« Damit schlief er ein.

Als die Brüder am folgenden Morgen aufwachten, war Schlachtenmalers Bett leer. Sie fürchteten von seiner Seite Verrath und litten Höllenangst, da sie nicht Lärm zu machen wagten. Eine heimliche Entfernung aus dem Hause hätten sie schon gewagt; nur hatten sie ein Pferd und einen Wagen! In dieser Noth trat Schlachtenmaler ein und sagte seinen Plan: Das Pferd stände bereits angeschirrt vorm Hause. Zwei könnten ohne Weiteres fortfahren, die beiden Uebrigen müßten, gleichsam als Garantie der Bezahlung, zurückbleiben und dann mit List fortzukommen suchen. Er wollte das Schicksal um Rath fragen, wen dies gefährliche Los treffen würde; allein die Brüder beschworen ihn, zurückzubleiben. »Gut!« sagte er; »dann bleibt Amandus bei mir.« Die beiden Jüngeren waren natürlich einverstanden! »So geht ihr nur ohne Sorge hinunter, trinkt im Gastzimmer etwas Kaffee, setzt euch in den Wagen und fahrt langsam voraus. Sowie wir Beide kommen, geht es mit Verzweiflung vorwärts.« Die beiden Brüder befolgten die Vorschrift und fuhren richtig unten wie aus Zerstreuung voraus. Schlachtenmaler und Amandus mußten nun suchen, unbemerkt aus dem Hause zu kommen. Es war sehr geräuschvoll und belebt. Im Hofe bellte der Hund, unten wurden die Dienstboten gezankt. Die beiden Brüder schlichen so weit die Treppe hinunter, bis sie eine freie Aussicht auf die Flur hatten. So eben ging der Wirth mit dem großen Rechnungsbuche in das Gastzimmer. »Benutze den Moment!« raunte der Aelteste dem Andern zu. Dieser stieg auf den Zehen die Treppe hinunter und ging dann mit Behutsamkeit an dem Zimmer vorüber, wo der Wirth ihn zu gutem Glücke nicht sah. Amandus war geborgen.

Am Ende des kleinen Städtchens, in welchem diese Abenteuer vorfielen, harrten die drei Brüder mit Zittern auf den ältesten. Endlich kam dieser athemlos gelaufen, schwang sich auf den Wagen, und in gestrecktem Laufe ging es davon. Wohl eine Viertelstunde war das Pferd zu keinem Trabe begnadigt. Scheu blickten die Brüder auf die Landstraße zurück, ob sich nirgends ein Verfolger zeige. Ein Reiter könne sie im Nu einholen, meinte Schlachtenmaler und trieb das Pferd an. Endlich war dies so mit Schweiß bedeckt, daß er selbst zum Einhalten rieth und nun seine Geschichte erzählte: Er wäre mit der unbesorgtesten Miene von der Welt, wie ein reicher Wollhändler, in's Wirthszimmer getreten und hätte seinen Kaffee geschlürft. »Inzwischen,« fuhr er fort, »ersucht' ich den Wirth, mir einen Rechnungsauszug zu besorgen. Dieser stellt sich an sein Schreibepult und kehrt mir den Rücken zu. Den Moment benutzend, ziehe ich mich an ein Fenster zurück, das ich vorher geöffnet hatte, weil es mir zu dunstig in dem Zimmer wäre, und springe mit einer behenden Wendung ohne alles Geräusch hinaus. Der Wirth hat gewiß noch gerechnet, als ich schon am Ende des Nestes war. Wir müssen ja gleich in Kaputh eintreffen.«

Die Brüder hatten aber Kenntniß der göttlichen und menschlichen Gerechtigkeit genug, um zu wissen, daß nichts so fein gesponnen, es käme doch zur Sonnen. Auch war Schlachtenmaler sehr verstimmt und meinte: Vier mit einem Wagen in Kaputh einziehende junge Leute würden von dem geprellten Wirthe bald ausgefragt seyn. Das mußten die Andern leider bestätigen und wurden immer trauriger, je näher sie der Stadt kamen. »Wir wollten ja recht gern bezahlen,« meinte der Aelteste wieder und schien mit diesen verblümten Klagen etwas zu beabsichtigen, »hätten wir nur die Mittel dazu.« Und Amandus sagte: »Betrüger sind wir nicht.« Die beiden Jüngsten weinten. »Nun denn,« sagte Schlachtenmaler, »da liegt Kaputh! Wir sind hier in der Vorstadt, und Gott selbst gibt uns einen Fingerzeig, unsre Sünde wieder gut zu machen.« Nämlich der Schlaue bemerkte, daß hier eben ein Pferdemarkt gehalten wurde. Juden handelten mit den Bauern. Die käuflichen Pferde hüpften munter vor den Roßkämmen vorüber. Es war ein Gewühl und ein Treiben verlockender Art. »Töffel ist doch nicht mehr hier,« meinte der Aelteste. »Ja, wo lassen wir denn das Pferd und den Wagen?« fielen die Brüder ein. Schlachtenmaler, statt Antwort zu geben, rief einen Juden an, den sie fast übergefahren hätten: »Heda!« und hieb ihm über die Ohren. Dieser machte Lärm, und Schlachtenmaler winkte ihm lachend zu: »Nun, haut uns wieder über die Ohren! Was gebt Ihr für Pferd und Wagen?« Der Handelsmann trat näher und fing zu prüfen an. Das Pferd war munter und frisch; kein ausgedientes Cavalleriepferd, wie hier so viele, sondern junge Zucht von Kleinbetteln. Schlachtenmaler war abgestiegen und machte eine Forderung von fünfzig Thalern für Wagen und Pferd. Die Brüder dachten, Gott müßte sie in dem Augenblick verderben; aber der Aelteste und der Jude handelten lustig hin und her, gingen und kamen, priesen an und zuckten die Achseln, kurz, für vierunddreißig Thaler wurden sie handelseins. Schlachtenmaler nahm das Geld und lud jedem Bruder etwas von den Effecten auf. »Komm, kommt!« sagte er; »wollen wir morgen nicht Alle im Thurm sitzen, so müssen wir uns von dem leicht erkennbaren Wahrzeichen befreien. Wir bezahlen den Wirth, schreiben dann den Eltern unsern guten Handel und behalten gleich das Geld als Vorschuß für die nächsten Monate hier. Denn hungern sollen wir doch nicht in Kaputh? Ueberhaupt seyd ihr recht vom Lande. Will der Mensch etwas werden, so muß er wagen, muß er auf einer Pulvermine schlafen können. Vater hat genug an uns gethan, aber das Meiste liegt noch in unserer Hand; und vor allen Dingen werden wir nichts zu Wege bringen, wenn die Hand leer ist.«

Unter solchen Trostgründen zogen die Brüder in Kaputh ein. Da wir aber einen so reichen Stoff vor uns haben, daß wir der weitern Aufklärung dieses Kapitels keinen Raum gestatten können, so erwähnen wir hier gleich, was doch nicht verschwiegen bleiben kann: Schlachtenmaler hatte eingesehen, daß mit sieben Thalern keine Existenz für sie in Kaputh möglich war. Er war klug genug, den Geiz seiner Mutter und die Weltunerfahrenheit, wie die Armuth seines Vaters zu durchschauen, und wieder Philosoph genug, um sich zu helfen, so gut es ging. Mit dem Plane, Wagen und Pferd gleich in Kaputh zu verkaufen, ging er schon lange um. Doch um dies vor seinen Brüdern zu können, mußte er diesen ihr gutes Gewissen nehmen. Er fing deßhalb an, sie durch die Mittagstafel im rothen Ochsen schon zu Genossen ein und desselben Verbrechens und Interessenten ein und desselben Geheimnisses zu machen. Die sieben Thaler verlor er nicht, sondern hatte sie in seinem Stiefel versteckt. Die Zeche im Wirthshause hatte er schon den Abend vor der Abreise bezahlt, seine Flucht war ein Mährchen, mit dem er den endlichen Wagen- und Pferdeverkauf gründlicher motiviren konnte. Wir wollen hoffen, daß sich aus diesem energischen, aber verschlagenen Charakter Gutes entwickelt.

 


 


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